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Two Worlds

Auf der anderen Seite der Nacht
von

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Prolog

Mit rasender Geschwindigkeit zogen die Gewitterwolken herauf.

Nicht, dass es etwas Besonderes war. Immerhin lag die Stadt direkt am Meer. Und man kannte die Kraft des Wetters sehr gut. Die Deiche waren Zeugen des Sturms von 1962.

Aber dieses Gewitter was anders. Es war etwas, das weit über das Hinaus ging, was die Wissenschaft in ihren meteorologischen Modellen nachbilden, geschweige denn vorhersagen könnte.

Die Menschen waren bereits in Sicherheit, noch ehe das Gewitter sich entladen konnte. Entweder sie waren nach Hause geflüchtet, oder sie stürmten in das Einkaufzentrum, um dem Regen zu entgehen.

Nur auf dem Spielplatz, der sich am Rand des Stadtparks befand, waren noch Menschen. Zwei kleine Kinder ließen sich von der plötzlichen Dunkelheit, die das Gewitter mit sich brachte, nicht beeindrucken. Schließlich war heute der erste Tag der Sommerferien, und den musste man auskosten. Schon am frühen Morgen waren die beiden Grundschüler hierher gekommen. Sie wohnten nicht weit entfernt, sodass sie seit ihrer frühen Kindheit jeden Tag gemeinsam hier waren. Die beiden waren Freunde, schon seit das Mädchen hierher gezogen war. Das war vor 5 Jahren. Seitdem verbrachten die Beiden soviel Zeit wie möglich miteinander, am liebsten aber auf eben diesem Spielplatz. Es war ein noch recht neuer Platz mit vielen Geräten: Wippe, Schaukel, Rutsche, Sandkasten. Und gut gepflegt. Hundekot oder Glasscherben suchte man hier vergebens.

Im Sommer, bei schönem Wetter, waren noch viele andere Kinder hier, die alle in der Nachbarschaft wohnten. Viele kannten sich untereinander. Doch niemand wollte mit den beiden Kindern spielen, sodass diese stets unter sich waren. Und auch jetzt, bei dem aufziehenden Gewitter, tollten die Beiden umher und spielten.

„Hey wirf den Ball zu mir herüber!“, rief das Mädchen ihrem Spielkameraden zu. Dieser reagierte prompt und warf den Ball wie gewünscht zu. Das Mädchen fing ihn ohne Probleme und warf ihn zurück. Doch sie warf zu hart, und der Ball flog in hohem Bogen davon. „Ach mist“, grummelte das Mädchen. Doch der Junge lächelte. „Keine Sorge, ich hole ihn.“ Mit diesen Worten verschwand er. Das Mädchen wartete. Eine Minute. Zwei Minuten. Dann bekam sie Angst. Sie ging in die Richtung, in die ihr Freund verschwunden war. Doch kaum dass sie ihn erreicht hatte, wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. Der Junge stand regungslos da. Das, was vor ihm auf dem Boden lag, war nicht auf dem ersten Blick zu erkennen. Vor ihnen lag ein junger Mann. Tot.

Das Mädchen musste ihre Panik unterdrücken und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie in der Schule gelernt hatte. Doch in der Panik wollte ihr nicht mehr einfallen, was sie tun sollte. Auch der Junge rührte sich nicht. Und in diese Szene trat nun noch etwas. Das Gewitter war bereits ganz nah. Ein greller Blitz durchzuckte den Himmel, gefolgt von einem gewaltigen Donner.

„Lass uns hier weg.“, wimmerte das Mädchen. Sie zog an ihrem Freund, doch dieser rührte sich keinen Millimeter vom Fleck. Sein Blick hing immer noch wie gebannt am leblosen Körper des Mannes, neben den er gelandet war.

„Na los...komm schon.“, drängte das Mädchen, „Ich habe Angst!“

Erneut zuckte ein mächtiger Blitz. Das Grollen klang wie ein brüllender Löwe in der Savanne Afrikas.

Das Mädchen drückte sich noch enger an den Jungen. „Ich habe Angst“, wisperte es. Der Junge legte Geistesabwesend den Arm um sie, um sie zu schützen. Auch vor dem Platzregen, der von einer Sekunde auf die andere eingesetzt hatte.

Die gleißende Helligkeit des Blitzes erlosch, die Finsternis gewann wieder die Oberhand.

„Ich habe Angst.“ Das Mädchen schloss die Augen, hoffte, damit ihre Panik zu unterdrücken, wenn auch nur für dieses eine Mal. Hoffte sich so wieder an das zu erinnern, was sie gelernt hatte, und zu vergessen, was sie gesehen hatte.

„Du brauchst keine Angst haben“, sagte eine Stimme. Die Stimme einer Frau. Sie hatte einen weichen, warmen Klang. Das Mädchen zuckte zusammen, öffnete die Augen wieder und sah sich um. Direkt neben dem großen Baum stand jemand. Zunächst sah man nur ihre Umrisse. Doch als sie aus dem Schatten des Baums trat, sah man sie. Sie sah wunderschön aus und auf ihrem Gesicht lag etwas Beruhigendes.

„Wer bist du?“, fragte das kleine Mädchen. Das ältere Mädchen hockte sich hin und blickte dem kleinen Kind direkt ins die Augen. „Ich heiße Gadriel. Und ich bin...“ Raschelnd breitete sie ihre Flügel aus, die sie vorher auf ihrem Rücken eingezogen hatte. „Ich bin ein Engel.“ Das Mädchen wich erschrocken einen Schritt zurück. „Hey keine Angst, ich tue dir wirklich nichts!“

Das kleine Mädchen nickte. „Ich bin euer Schutzengel.“ Der Engel bewegte sich auf den Jungen zu und strich ihm sanft über den Kopf. „Alles in Ordnung. Du wirst das alles vergessen, dafür sorge ich schon.“

Der Junge löste sich aus seiner Starre. Er sah den Engel an und nickte nur. Dieser lächelte. Das Mädchen sah in den Himmel. Sie stellte fest, dass der Himmel keine einzige Wolke aufwies. „Wo ist das Gewitter hin?“, fragte es den Engel. Dieser lächelte. „Wie soll ich euch das erklären? Ihr seid nicht mehr in eurer Welt.“

„Was meinst du?“, fragte das Mädchen.

„Ihr seid in meiner Welt. Ich weiß nicht wie euch das erklären soll. Es ist als ob ihr Träumen würdet. Wenn ihr träumt, seid ihr oft auch in einer anderen Welt.“

Der Junge hakte nach. „Soll das heißen, das hier ist nur ein Traum?“ Der Engel überlegte kurz, ob sie diese Frage wirklich stellen sollte. Doch schließlich tat sie es. „Glaubt ihr an Gott?“ Beide nickten. „Wenn jemand stirbt, dann kommt die Seele in den Himmel. Das wisst ihr, oder?“ Wieder nickten beide. „Allerdings stimmt das noch nicht ganz. Denn bevor jemand in den Himmel kommt, gelangen die Seelen in eine Zwischenwelt. Und in dieser Zwischenwelt befinden wir uns jetzt. Oh man, das ist alles so kompliziert.“ Doch bevor sie weiter sprechen konnte, rief das Mädchen erschrocken: „Heißt das wir sind gestorben?“ Der Engel lächelte beruhigend. „Nein ihr seid hier nur zu Gast. Wenn ihr älter seid, werdet ihr das alles verstehen.“

„Warum sind wir hier?“, fragte der Junge.

„Wisst ihr, wir Schutzengel nehmen einmal im Leben von unserer Seite aus Kontakt zu unseren Schützlingen auf. Danach ist es uns nicht mehr erlaubt, dann müssen unsere Schützlinge selber Kontaktversuche starten. Dieses eine Mal nutzen wir, um ihnen zu zeigen, was sie noch erleben können. "Das hier...“ Sie breitete die Arme aus. „ist nur ein kleiner Teil einer Welt, die die Schützlinge erkunden können, wenn sie wollen. Doch leider finden nur sehr wenige erneut den Weg hierher.“

Der Junge sah den Engel an. „Warum?“ Gadriel blickte hinauf. „Viele kommen nicht hierher weil sie nicht mehr wissen wie, es nicht wollen...oder weil sie es nicht dürfen.“ Das Mädchen sah sie fragend an. „Nun, es ist so, dass normalerweise die Schutzengel in den Träumen Kontakt zu ihren Schützlingen aufnehmen. Ihr seid quasi eine Ausnahme. Da es aber im Traum geschieht, erinnern sich die Schützlinge entweder nicht mehr, oder sie erzählen es ihren Eltern und diese tun es dann als Fantasie ab. Außerdem beginnen sie im Laufe der Zeit, logisch zu denken, wissenschaftlich.“ Der Junge sah sie an. „Das heißt, sie verlieren oft ihre Fantasie und sehen zum Beispiel in einem Hochbett nicht mehr das Piratenschiff, dass es vielleicht früher einmal war.“ Das Mädchen lachte. „Ja, genau, es ist ein Piratenschiff.“ Der Engel nickte und redete weiter: „Aus diesen Gründen können sie uns zwar vielleicht noch erreichen, aber sehen können sie uns nicht mehr. Ich hatte gesagt, dass normalerweise im Traum Kontakt zu den Schützlingen aufgenommen wird, richtig?“ Die Kinder nickten beide. „Nun, bei euch ist es etwas anderes! Wir wollen etwas Neues ausprobieren und ihr seid die ersten, bei denen wir das probieren.“ „Was?“, wollte der Junge wissen. „Das würde jetzt zu weit führen, denn wir haben nicht viel Zeit. Wisst ihr wenn ihr träumt, haben wir viel Zeit, aber ihr träumt nicht. Es ist als würdet ihr mitten am Tag schlafen, und das ist gefährlich.“ Erneut nickten beide. „Wir haben euch hierher geholt damit ihr eure Fähigkeiten trainieren könnt.“ Die Kinder sahen sie fragend an. „Zum Beispiel das hier.“ Sie bewegte ihre Hand und kaum drei Meter entfernt schwebte ein Baumstamm in der Luft, den ein Mann allein kaum hochheben konnte. Die Kinder staunten. Gadriel setzte den Baumstamm wieder ab. „Das könnt ihr auch, aber ihr müsst es trainieren.“

Die beiden Kinder sahen sich an, dann fragte der Junge plötzlich: „Woher wissen wir dass wir dir vertrauen können?“

Gadriel lachte. „Stimmt...woher eigentlich?“ Sie sah das Mädchen an. „Ich bin ein Engel. Und Engel dürfen nicht lügen. Wir können es gar nicht.“ Der Engel sah dem Mädchen direkt in die Augen, und blickte tief in ihre Seele.

Doch sie wurde von einem Schrei unterbrochen. Hastig drehte sich Gadriel um und erblickte eine Frau, die mit eiligen Schritten auf die kleine Gruppe zukam, dich gefolgt von einem wabernden schwarzen Nebel.

„Versteckt euch!“, rief sie den Kindern zu. Diese rannten so schnell wie möglich und verschanzten sich hinter einem Baum. Gadriel wandte sich dem Schatten zu. „Ich weiß nicht was du bist, oder woher du kommst, aber du wirst niemandem etwas zuleide tun. Dafür sorge ich!“ Mit diesen Worten stürmte sie auf den Schatten zu, ein mächtiges Kristallschwert in ihrer Hand.

Ein seltsames Grunzen ging von dem Schatten aus, bevor eine Kralle aus vollkommener Finsternis auf Gadriel zuschoss und sie an der Schulter verletzte. Ein keuchender Schrei begleitete Gadriels Sturz. Das Schwert fiel klirrend zu Boden. Gadriel wimmerte. Eine tiefe, stark blutende Wunde klaffte an ihrer Schulter. Eine tiefrote Lache bildete sich neben ihr. Die Kinder erschraken und konnten nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken.

Mit einem gewaltigen Donner rauschte ein weiterer Engel heran. Sein Schwert war von Feuer umhüllt. „Erzengel Michael“, flüsterte das Mädchen. Der Junge hörte sie nicht. Er beobachtete den Kampf, der nun entbrannte. Die Schläge, die der Erzengel ausführte waren so schnell und so präzise, dass der Schatten schon wenige Atemzüge später nicht mehr zu sehen war. Der Junge hatte die Schläge nicht einmal gesehen.

Michael wandte sich Gadriel zu. „Gadriel wie konnte das passieren?“ Sie sah Michael an. „Es tut mir Leid.“

„Deinetwegen ist diese Frau gestorben! Nur weil du nicht wie du es solltest Hilfe geholt hast.“

Gadriel sah zu Boden. „Ich weiß, aber meine Schützlinge..“ Michaels Augen weiteten sich. „Bitte?“ „Sie sind hier.“ Michael schnappte nach Luft. „Hol sie her.“ Gadriel rief die beiden Kinder zu sich. Diese kamen der Aufforderung nach. Sie setzen sich zwischen Gadriel und Michael, so als seien sie plötzlich diejenigen, die ihren Schutzengel beschützen müssen.

„Hört zu ihr beiden. Es tut mir Leid dass ich euch nicht noch mehr erklären konnte, aber ich muss jetzt leider gehen.“ Der Junge sah den Engel fragend an: „Sehen wir uns wieder?“ Gadriel nickte. „Wenn ihr es wollt.“

„Das reicht jetzt“, donnerte Michael. Gadriel schluckte. „Ihr müsst gehen. Ich bringe euch dorthin zurück von wo ihr gekommen seid, und nehme euch die Erinnerungen an das was hier oben geschehen ist.“ Sie blickte den Jungen an. „Und an das was ihr dort unten gesehen habt. Wenn ihr wollt kehrt hierher zurück.“ „Wie?“, fragte das Mädchen. Gadriel schüttelte traurig den Kopf. „Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Ich kann und darf euch nicht helfen. Ich werde außerdem großen Ärger bekommen, weil ich etwas getan hab was verboten war. Und dann ist es nur Glück wenn ich weiterhin euer Schutzengel sein darf. Aber ich verspreche euch dass wir uns wieder sehen werden.“

Die beiden Kinder blickten zerknirscht drein. Sollte das wirklich schon das Ende ihrer Freundschaft sein?

„Kopf hoch!“, forderte Gadriel, so als hätte sie ihre Gedanken gelesen. „Mir wird schon nichts passieren. Ich habe nur einen Fehler gemacht und mich nicht an eine Abmachung gehalten.“ „Welche?“, wollte der Junge neugierig wissen. „Das spielt keine Rolle“, antwortete Gadriel ruhig, „wichtig ist, dass ihr hierher zurückkommt. Alles andere ist nebensächlich! Ich muss nun leider gehen.“

„Darf ich dich noch eine Sache fragen?“ Gadriel sah das Mädchen an und nickte schwach. „Nur zu.“

„Wer war diese Frau?“

„Sie war...“ Der Engel stockte, sah Michael an und fuhr dann fort. „Sie war deine Großmutter.“

Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen, und gerade bevor sie vor Trauer zusammenbrechen konnte, waren die beiden schon zurück in ihrer Welt, ohne Erinnerung an die Geschehnisse. Einen Gedanken konnte Gadriel jedoch nicht auslöschen. „Wir müssen zurückkehren.“ sagte der Junge, und das Mädchen nickte.

Das Gewitter hatte aufgehört, doch die Macht, die das Gewitter kontrolliert hatte, war zurückgeblieben, und lauerte auf eine Chance.



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