You will be the anchor that keeps my feets on the ground von midoriyuki ================================================================================ Kapitel 11: ------------ „Chrissy! Gib deiner Schwester sofort die Legosteine zurück!“ Erschöpft ließ Sonja sich auf den weichen Sessel fallen, der gegenüber von Adrian stand und wischte sich theatralisch über die Stirn. Dennoch lächelnd sah sie den beiden braunhaarigen Kindern hinterher wie sie gut gelaunt aus dem Wohnzimmer stürmten, um in einem ihrer Zimmer weiterzutoben. „So und was genau hast du jetzt angestellt?“ Adrian blies gereizt den Rauch seiner Zigarette aus den Nasenlöchern und ignorierte die anklagend hochgezogenen Augenbrauen seiner Freundin. Er saß auf der Fensterbank vor dem offnen Fenster also würden die Kinder schon nichts davon abbekommen, selbst wenn sie grade sowieso nicht im selben Raum waren. Die Kälte biss ihm in den Nacken, dennoch rauchte er mit düsterem Gesichtsausdruck zu Ende, bis er das Fenster schloss und sich auf das breite Sofa setzte. Sonjas Blick war die ganze Zeit über forschend auf ihn gerichtet und ihr entging nicht die geringste Muskelbewegung in seiner Mine, die ihr irgendeinen Aufschluss über das geben könnte was mit ihm los war. „Ich hab ihn geküsst.“ Für einen Augenblick entgleisten ihr die Gesichtszüge bevor sie anfing schallend zu lachen. Adrian rutschte weiter herunter, vergrub die Hände in den Hosentaschen und starrte sie grimmig an. „Jaja, ich finds auch lustig.“ Das schien sie jedoch nur noch mehr anzustacheln und in ihren grünen Augen glitzerten bereits die ersten Lachtränen, als sie sich schließlich möglichst beherrscht eine ihrer rotglänzenden Locken aus der Stirn strich. „Und deswegen hast du so schlechte Laune? Was hat er denn überhaupt dazu gesagt?“ Als Adrian erneut schwieg verdrehte sie kurz die Augen und stand auf um den Kaffee zu holen, der sich durch ein durchdringendes Piepsen bemerkbar machte. Mit der Kanne in der Hand hockte sie sich vor den niedrigen Beistelltisch und füllte ihre Tassen, wobei sie ihre nur halb füllte, um die andere Hälfte mit Milch zu ersetzen. „Nichts.“ Verwundert hob sie den Kopf und stellte die Kanne auf das silberne Stövchen, welches sie bereits zuvor hervorgekramt hatte. Auch wenn Adrian sie immer wieder darauf hinwies, dass das eigentlich nur für Tee war. Schulterzuckend griff dieser nach seiner dampfenden Tasse und nippte daran. „Hat geschlafen.“ „Ne.“ In den grünen Augen stand maßlose Überraschung und Adrian sah misstrauisch auf die Tasse in ihrer Hand, die bereits gefährlich nach einem baldigen Herunterfallen aussah. Bevor sie wirklich auf dem Boden zerschellte hatte die junge Frau sich allerdings wieder gefasst und stellte die Tasse mit einem leisen Klacken auf den Tisch. „Erzähl hier keine Märchen. Du, der absolut skrupelloseste Mensch der Welt, dem es völlig egal ist was seine Mitmenschen von seinem Verhalten denken, hast deinen unschuldigen, und sehr niedlichen wie ich mal anmerken möchte, Mitbewohner geküsst, als er geschlafen hat? Wie in einem völlig verkitschten und verklärten Teenie-Ich-heul-bei-jeder-Szene-Film?“ Böse starrte Adrian über den Rand seiner Kaffeetasse zu seiner besten Freundin. „Ja.“ Unwillkürlich zuckten Sonjas Mundwinkel und für einen Augenblick zog er es als realistische Lösung in Betracht mit seiner Tasse nach ihr zu werfen. Wie schön, dass er zur allgemeinen Erheiterung seiner Umwelt beitragen konnte. Es bereitete ihm schon seit Stunden Kopfzerbrechen, dass ihn diese winzige, kaum existente Berührung so aus der Bahn geschleudert hatte und seine beste Freundin hatte wirklich absolut nichts Besseres zu tun, als sich über ihn lustig zu machen. Bockig verschränkte er die Arme vor dem Oberkörper und beschloss nicht weiter mit ihr darüber zu reden. Grinsend griff Sonja wieder nach ihrer Tasse, lehnte sich genüsslich zurück und fixierte ihn mit einem überlegenen Glitzern in den Augen. „Soso…Und deswegen rufst du extra bei mir an und kommst sogar her?“ „Hrmpf.“ Ihr Grinsen wurde immer breiter und sein Verlangen ihren Kopf in die Kloschüssel zu halten wurde schon fast übermächtig. Das hatte er das letzte Mal in der Grundschule gemacht, aber in diesem Moment erschien es ihm als eine durchaus reizvolle Alternative. „Jetzt guck doch nicht so böse. Ich freu mich doch, dass der Kleine es dir so angetan hat.“ Vernichtend starrte er sie an und schnaubte durch die Nase. „Ja, wirklich eine ganz tolle Sache.“ Kopfschüttelnd trank sie einen Schluck aus der Tasse, runzelte die Stirn und musterte ihn nun nachdenklich. Zwar fand sie es wirklich gut, dass Adrian sich mal wieder aus seinem Schneckenhaus hervor wagte, aber so gefiel ihr das nicht. Absolut nicht. Wenn er sich so mit Händen und Füßen dagegen wehrte würde er schlussendlich nicht nur sich, sondern auch Myron weh tun, da war sie sich ziemlich sicher. „Und was hast du jetzt vor?“ Sie nahm ihn wieder ernst und das beruhigte ihn. Er hätte sich auch denken können, dass sie sich erst ein wenig über ihn lustig machen würde und irgendwie tat ihm sein kindisches Verhalten auch fast leid. Aber doch eben nur fast. Hilflos die Schultern anhebend setzte er seine Tasse an die Lippen und verzog kurz das Gesicht, als er sich an der heißen Flüssigkeit die Zunge verbrannte. Die Zungenspitze zwischen die Zähne geklemmt starrte er in die dunkle Brühe, sah jedoch sofort wieder zu Sonja, als ihm bei der dunkelbraunen Farbe des Kaffees viel zu schnell die braunen Iriden eines Kükens im Kopf herumschwirrten. Sonja schien immer noch nachzudenken und drehte nur etwas den Kopf, als plötzlich lautes Gerumpel aus dem Nebenzimmer zu hören war. „Nichts passiert!“ Durch die Wand konnte er nicht unterscheiden welchem der beiden Kinder die gedämpfte Stimme gehörte, aber er vermutete, dass es Chrissy war, der von einer kaputten Vase oder ähnlichem ablenken wollte. Seufzend stellte dessen Mutter ihre Tasse wieder auf den Tisch, verdrehte entschuldigend die Augen und erhob sich von ihrem Sessel. „Ich bin gleich wieder da. Vielleicht fällt mir ja unterwegs was ein.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Wohnzimmer und Adrian blieb allein zurück. Die Wanduhr tickte laut vor sich hin und er lehnte sich ratlos zurück. Das Porzellan in seiner Hand wärmte seine Handflächen und wirkte seltsam beruhigend auf ihn, während er mit den Augen die Holzstruktur der Deckentäfelung verfolgte. Von nebenan hörte er die tadelnde Stimme Sonjas und die erklärenden, durcheinander schreienden Stimmen der beiden Kinder. Also war wohl doch etwas zu Bruch gegangen und so wie es sich anhörte beschuldigten sich die Kinder gerade gegenseitig der Schuldige zu sein. Bei ihm und seinem Bruder war es damals nicht anders gewesen, auch wenn meist sein kleiner Bruder mit Beschuldigungen aller Art durchgekommen war. Aber diese Spielereien hatten eigentlich schon sehr früh aufgehört, wenn er sich nicht irrte und waren bitterer Ernst geworden. Gedankenverloren starrte er durch die Decke hindurch und versuchte sich daran zu erinnern wie sein Bruder ausgesehen hatte, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Dunkelgrüne Augen, die immer schon viel dunkler gewesen waren als seine eigenen hellgrünen, glatte, braune Haare, die ordentlich frisiert im Sonnenlicht glänzten und das gleiche markante Gesicht wie er. Nur sah er damals unglaublich wütend aus. Der sonst so ordentliche Anzug den er selbst damals schon getragen hatte wirkte schon zu lange getragen, als habe er darin geschlafen, was er wohl auch hatte und in seinen Augen blitzte purer Hass. Und der galt ihm. Seufzend setzte er erneut die Tasse und ignorierte das leichte Brennen auf seiner Zunge. Als Kinder hatten sie wie Zwillinge ausgesehen und waren auch fast genauso unzertrennlich gewesen. Aber nur bis sein Bruder alt genug gewesen war, um zu verstehen was es hieß der Jüngere zu sein. Irritiert drehte er den Kopf, als er das Klacken einer Tür hinter sich hörte und lächelte dann höflich. „Hallo, Carsten.“ Überrascht stand dieser noch mit Schlüssel und Arbeitstasche im Türrahmen der Balkontür und fuhr sich dann erleichtert durch die blonden Haare. „Ach, Adrian. Ich dachte grad schon ich höre Gespenster. Ist Sonja gar nicht hier?“ Es verwirrte ihn ganz offensichtlich Adrian allein im Wohnzimmer vorzufinden, da Sonja ihre Gäste sonst nicht einfach allein ließ. „Doch, sie ist grad bei Chrissy im Zimmer, anscheinend haben die Beiden irgendwas runtergeworfen.“ Inzwischen waren nur noch leise Entschuldigungen der Kinder zu hören, daher würde Sonja wohl gleich zurück kommen. „Achso. Magst du mir mal die Briefe da neben dir geben?“ Carsten hatte sich auf Sonjas Platz fallen lassen und nickte auffordernd zu dem kleinen Schränkchen, das neben Adrian stand, da auf diesem einige ungeöffnete Briefe lagen. Seine Arbeitstasche hatte er wie immer auf den Stuhl neben der Balkontür gelegt und Adrian lehnte sich wieder zurück, als er die Briefe rübergereicht hatte. Dankend nickte der blonde Mann ihm zu und begann die Briefe zu öffnen. Erstaunlicherweise mochte er Carsten. Sonjas vorherige Freunde hatte er immer für nicht gut genug befunden, da sie seiner Ansicht nach zu unattraktiv, ungebildet oder aber einfach nur ungeeignet waren. Erst als Carsten gekommen war hatte er zum ersten Mal verstanden warum Sonja sich in eine Person verliebt hatte. Carsten sah mit seinen blonden Haaren, den braun-grünen Augen und den breiten Schultern einfach wirklich gut aus und auch sein ruhiges, intelligentes Wesen machte ihn sympathisch. Zudem schien er ihn vorbehaltlos von Anfang an als ungefährlichen besten Freund seiner Freundin, beziehungsweise inzwischen Frau, angenommen zu haben und das bevor er wusste, dass er schwul war. „Wie läufts bei dir in der Firma?“ Er hatte die Briefe durch gesehen, für unwichtig befunden und sah Adrian nun abwartend mit Sonjas Tasse in der Hand an. Noch ein weiterer Punkt. Er interessierte sich ehrlich für seine Mitmenschen. „Naja, im Moment verschieben sich ständig die Abgabetermine und Sonjas Cousinchen glaubt wohl immer noch mich im Büro besuchen zu müssen.“ Grinsend zwinkerte Carsten ihm zu und schüttelte leicht den Kopf. „Das Mädchen hat doch wirklich zu viel Langeweile. Wenn du willst kann ich wohl eine einstweilige Verfügung für dich besorgen.“ Adrian lächelte knapp und winkte dann ab. „Nein, aber wenn sie noch mal so nervt werde ich ihr mit rechtlichen Folgen drohen, wenn du so scharf auf Arbeit bist.“ Sehnsüchtig seufzend fuhr Carsten sich erneut durch die Haare und grinste schief. „Ganz ehrlich…Um das Weib los zu werden würde ich meine Zulassung als Anwalt mit Freuden verlieren.“ „Oh, du bist schon wieder da!“ Sonjas schlanke Arme schoben sich um den Hals ihres Mannes, den sie spielerisch zudrückte. „Du willst also meine Familie loswerden?“ „Nein, nein Schatz, nur deine Cousine.“ Sofort lösten sich die Hände wieder und Sonja drückte ihm einen Kuss auf den Kopf. „Dann ist ja gut. Kannst du mal nach den Kindern sehen? Hab sie grad ins Bad geschickt, aber ich denke nicht, dass sie sich wirklich waschen werden.“ Sich in sein Schicksal ergebend erhob Carsten sich wieder, breitete die Arme aus und verneigte sich schief vor seiner Frau. „Aber natürlich meine verkleckste Herrin, wie Ihr befehlt!“ „Depp.“ Lachend verschwand er aus dem Wohnzimmer, nachdem er ihr noch einen Kuss gegeben hatte und Sonja nahm ihren Platz wieder ein. Adrian zog seine linke Augenbraue hoch, als er die bunten Spritzer in ihrem Gesicht bemerkte. „Fingerfarben. Und beim Fenster anmalen ist die Puppenküche als Leiter missbraucht worden.“ Nickend spielte er mit der Tasse in seinen Händen herum. „Was willst du jetzt machen?“ Sofort stellte er die Bewegungen ein und schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich weiß im Moment gar nichts mehr.“ Nachdenklich musterten die grünen Augen Sonjas ihren besten Freund und in ihrem Kopf begannen die Rädchen sich immer schneller zu drehen. „Bist du in ihn verliebt?“ Schweigend starrte er auf die glatt polierte Tischplatte und schwieg. Wagte es selbst nicht diese Worte auszusprechen, die er nicht wahrhaben wollte. Dieses Kribbeln in seinem Bauch, wenn er Myron nur ansah und dieses elektrisierende Gefühl bei diesem…er wagte es nicht mal das Ganze überhaupt als Kuss zu bezeichnen. Sonja schwieg ebenfalls noch einige Augenblicke, hatte aber schon verstanden was Adrian nicht über die Lippen brachte. „Am besten du sprichst es nicht an. Wenn er wirklich geschlafen hat, hat er es ja nicht bemerkt. Also wartest du einfach ab was er als nächstes tut. Eigentlich sollte ich dir wohl raten auf ihn zuzugehen, aber das wirst du nicht tun so wie ich dich kenne, oder?“ Adrian nickte kaum merklich und starrte weiter auf die Tischplatte. Da hatte er sich ganz schön was eingebrockt. Und zwar nicht zu knapp. Nur am Rande nahm er wahr, dass Sonja sich neben ihn setzte ihren Arm um ihn legte und ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Der Schlüssel in seiner Hand klirrte leise, als er in der Bewegung inne hielt und tief einatmete. Er hatte sich schon lange nicht mehr so verletzlich und angreifbar gefühlt. Eigentlich konnte er sich nicht mal dran erinnern wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte seitdem er allein wohnte. Und er wollte dieses Gefühl auch gar nicht mehr kennen. Seine sorgfältig aufgebaute Welt aus Ignoranz und Gefühlskälte hatte Risse bekommen und das machte ihm Angst. Daran konnten auch die fröhlich durcheinander plappernden Stimmen der beiden Kinder, ihre leuchtenden Augen beim Abendessen und Sonjas und Carstens Aufmunterungsversuche, während des restlichen Tages nichts ändern. Er hatte einfach Angst davor den Boden unter den Füßen zu verlieren. Kopfschüttelnd schalt er sich selbst einen Vollidioten, steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffnete die Wohnungstür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)