Frühlingsgefühle von Noleen (Vaughn X Chelsea -FF) ================================================================================ Kapitel 1: Die Ankunft ---------------------- Vorwort Ich habe das neue Harvest Moon-Spiel ‚Mein Inselparadies‘ schon seit etwa 3 Wochen und habe mich beim Spielen sehr stark mit dem Pairing ‚Vaughn X Chelsea‘ angefreundet. Leider gibt es nur sehr wenige FFs (sogar auf Englisch) und deswegen werde ich hiermit einen kleinen Beitrag leisten ^_^. P.S Ja, der Titel ist kitschig oo. __________________________________________________________________________________________ Vaughns Sicht Die Ankunft Die Wellen des Meeres wogen in ihrem sanften, blauen Farbenspiel dahin und die Sonne schien mit ihrer stärksten Kraft vom Himmel herab. Es war ein schöner Frühlingstag – fast schon zu schön, um wahr zu sein. Genau genommen hasste ich Tage wie diesen. Ich mochte das helle Licht nicht, nicht die zwitschernden Vögel oder das freudige Lachen anderer, die sich an dem Wetter erfreuten. So sehr sich andere auch daran erfreuen konnten, ich konnte es niemals. Ich fühlte niemals etwas – als ob meine Seele schon seit meiner Kindheit in tausend Stücke zersprungen wäre und sie vollkommen von mir gewichen sei. Jedoch störte es mich nicht – viele harte Jahre waren an mir vorüber gezogen und es gab mir das Gefühl unantastbar zu sein. Vielleicht war dies der Grund, warum mich stetig alle Menschen mieden, denen ich während meiner Arbeit begegnete; aber anders gesehen wollte ich auch nie etwas mit irgendjemanden zu tun haben. Die zarte Meeresbrise wehte durch meine silbernen Haarsträhnen und ich rückte meinen Hut zurecht. Es ging hier nur um meine Arbeit. Ich wandte den Blick von dem Meer ab und ging das Deck des Schiffs entlang. „Land in Sicht!“, rief ein Matrose und hechtete an mir vorbei. Insel des Glücks. Welcher Idiot denkt sich einen solchen Namen aus? Es gab kein Glück auf dieser Welt – vor allem nicht auf ein solches Fleckchen Nichts. Ich seufzte und starrte zu dem immer größer werdenden grünen Punkt im Meer. Meine Tante Mirabelle und ihre Tochter Julia hatten mich dazu überredet, jeden Mittwoch und Donnerstag in ihren Laden zu arbeiten, den sie erst vor zwei Wochen eröffnet hatten. Ich fragte mich, welch großer Profit nur dabei herausspringen konnte, mitten auf einer verlassenen Insel ein Tiergeschäft zu eröffnen. Wahrscheinlich gar keiner – doch meine Tante war schon immer ein Fall für sich gewesen. Aber immerhin hatte sie eine Arbeit – genauso wie ich. Ich runzelte die Stirn als ich den kleinen Fleck Strand der Insel erkennen konnte. Hier war es so…leer. Trostlos – und das erinnerte mich an mich selbst. Doch die Einsamkeit tief in meinem Herzen gab mir nur die Bestätigung stark zu sein – denn die einzige Person, auf die man sich wirklich verlassen konnte, war man selbst. Das hatte mein Leben mir bereits deutlich genug gezeigt – und jeder, der noch an den Funken des Anstands der anderen Menschen dachte, dem würde eines Tages die bittere Realität ins Gesicht spucken. Das Leben war hart und ungerecht. Jeder der damit nicht klar kam, musste eben den Rest seines Lebens in dem Kreis der Verzweiflung verbringen – aber das war nicht mein Problem. Ich konnte bisher alle Probleme alleine überwinden und ich sah auch keine große Gefahr darin, irgendwann alleine zu versagen. Solange man überlebte, waren die eigenen Umstände schließlich auch nebensächlich. „Wir legen an!“, rief der Matrose wieder und riss mich aus meinen unwichtigen Gedanken. Es war nur meine Arbeit und sobald diese erledigt war, dann würde ich wieder von diesem Nichts einer Insel verschwinden. Ich beschloss erst einmal meiner Tante meine Ankunft zu berichten, bevor ich mich zunächst umsah. Kaum nachdem das Schiff an dem kleinen Steg angelegt hatte, lief ich die Sanddünen entlang, hinauf zu dem kleinen Weg, der hinauf zu einigen kleinen Häusern führte. Viele waren verlassen und zugenagelt und gaben auch allgemein keinen schönen Anblick. So egal mir meine Lebensumstände auch waren – ich konnte mir keinen Reim darauf machen, wie hier tatsächlich Menschen freiwillig lebten und auch noch beschlossen hatten, diese Einöde wieder erblühen zu lassen. Ich steckte meine Hände in meine Hosentaschen und schlurfte weiter den Weg entlang. Ich hasste diesen Ort jetzt schon. „Vaughn! Wie schön, dass du endlich hier bist!“, rief mir eine bekannte Stimme zu und ich wandte mich zu Julia, meiner Cousine, um, die schnellen Schrittes zu mir herüber gerannt kam. Sie blieb vor mir stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wir haben dich eigentlich erst morgen erwartet“, keuchte sie außer Atem und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie musterte mich und einen kurzen Augenblick trafen ihre Augen meine. „Die Fähre kam einen Tag früher. Ein Problem damit?“, fragte ich und zog meinen Cowboy-Hut noch ein wenig mehr herunter. Ich hasste es, wenn andere versuchten, aus meinem Gesicht meine Gedanken abzulesen. Das war mitunter das nervigste, das es auf dieser Welt gab – neugierige Menschen. Und zu denen gehörte Julia allemal. „Nein, nein. Wir freuen uns, dass du so früh hier bist. Wir haben noch kleine Startschwierigkeiten und würden uns über deine Hilfe sehr freuen“, erwiderte sie. „Gut. Wo kann ich denn Mirabelle finden?“, fragte ich kühl. Julia runzelte die Stirn. „Du bist immer noch derselbe“, stellte sie fest. Ich ignorierte ihre Bemerkung und lief einfach an ihr vorbei. „Hey! Wo willst du hin, Vaughn?!“, rief sie mir empört hinterher doch ich schüttelte nur mit der Hand, als ob ich versuchen würde, eine lästige Fliege zu verscheuchen. Lieber suchte ich alleine auf der unbekannten Insel nach dem Geschäft meiner wahnsinnigen Tante, als dass ich mich in der Gesellschaft meiner neugierigen, nervigen Cousine befand. Nervig. Töricht. Dämlich. Genau deshalb hasste ich die Menschen. In seiner eigenen, persönlichen Gesellschaft war man immer noch am besten aufgehoben. Nachdem ich mich auf dem spärlich bewohnten Gebiet umgesehen hatte, entdeckte ich auch das Tiergeschäft von Mirabelle. Ich betrat den Laden und sah mich in dem kleinen Haus um. In den Regalen auf der gegenüberliegenden Seite waren Handbücher über die Tierpflege aufgereiht und einige Utensilien säuberlich nebeneinander aufgestellt. Der Verkaufstresen stand direkt zur linken Seite des Raumes und die halb geöffnete Tür dahinter ließ einen Blick auf den gefüllten Speicher zu. Das Sortiment war noch recht bescheiden und es gab noch einiges zu tun, um den Laden in höchst Form zu bringen. „Vaughn! Es ist schön, dich zu sehen!“ Die etwas rundlichere Mirabelle kam aus einer Seitentür zur rechten Seite des Ladens und schritt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich umging mit einigen Seitenschritten ihrer Umarmungsattacke und musterte sie gleichgültig. Sie hatten sich alle nicht verändert. Menschen waren… unverbesserlich. „Julia berichtete mir, es gäbe hier einige Arbeit zu verrichten?“, fragte ich geschäftlich und stieß meine Hände wieder in die Hosentaschen. „Ja, die gibt es in der Tat!“, rief Mirabelle energisch aus. „Du kennst das ja – ohne Fleiß keinen Preis, aber derzeit sind meine Tochter und ich etwas überfordert. Deine Hilfe kommt uns natürlich wie gerufen.“ „Wie viele Kunden habt ihr?“ „Nun, um ehrlich zu sein… Da wir gerade erst damit beginnen, die Insel wiederaufzubauen, haben wir nur eine kleine Farmerin als hochgeschätzte Kundin.“ Ich runzelte die Stirn. „Ein Mädchen? Auf einer Farm?“, fragte ich skeptisch. „Oh ja! Ein tapferes, junges Mädchen. Wie schön es doch ist, dass auch einmal ein Mädchen den Mut dazu besitzt, eine eigene kleine Farm zu führen! Wie stolz alle Bewohner doch auf sie sind…“ Ich witterte einen Anfall von Schwärmerei bei Mirabelle. Aus ihrer Vergangenheit wusste ich, dass sie schon damals gerne eine Farm geführt hätte, aber sich nie so recht daran getraut hatte. Doch da sie offenbar nicht einmal mit einer einfachen Tierhandlung fertig wurde, war ihr Zögern auch berechtigt gewesen. Farmarbeit war hart – und kein Mädchen konnte den enormen Druck lange standhalten. Wer auch immer diese Farmerin auch war – ich gab ihr drei Wochen, bis sie vor der Arbeit flüchtete. Niemand wusste besser als ich, wie schwer die Arbeit auf einer Farm sein konnte… „Ich werde noch einmal darüber nachdenken, wie viele Tiere ich dir überlassen werde, Mirabelle. Ich traue keinem Mädchen zu, auf viele Tiere Acht zu geben und gleichzeitig auch noch auf die Ernte.“ „Warum bist du immer so pessimistisch?“, fragte sie seufzend und kratzte sich mit einer Hand nachdenklich den Kopf. „Ich weiß deine Vergangenheit war nicht gerade einfach aber…“ „Genug von meiner Vergangenheit. Ich will und werde nicht über sie sprechen.“ Ich betonte jedes einzelne Wort mit einem scharfen Unterton, der sie zusammenzucken ließ. „Nun gut, wie du meinst, Vaughn. Die Zeit, die du hier auf der Insel verbringst, kannst du selbstverständlich bei uns verbringen, wenn du das möchtest.“ Urgh. Nun versuchte sie mich wieder zu einem netten, aufgeschlossenen Neffen zu erziehen. Nein, danke. Ich war alt genug und wusste, wie ich mein Leben zu regeln hatte. „Die Arbeitszeit hier reicht mir vollkommen, danke“, erwiderte ich schroff. „Ja, das dachte ich mir.“ Mirabelle seufzte. „Aber ich bin dennoch sehr froh darüber, dass du unserer Einladung gefolgt bist. Du bist schließlich der Beste, wenn es um Tiere geht.“ „Wie auch immer – Ich werde es mir noch einmal überlegen, ob ich die zahmen Tiere tatsächlich in die Hände eines völlig unwissenden Mädchens übergeben werde, die sich sicherlich einen Dreck darum schert, wie man sie angemessen behandelt.“ „Das kannst du nicht wissen“, entgegnete Mirabelle barsch und funkelte mich böse an. „Du kannst nicht immer alle Menschen unter einen Hut schieben!“ „Das kann ich sehr wohl. Ein Mädchen wird diesen Druck niemals…“ Ich brach meinen Satz abrupt ab, als hinter mir die Holztür knarzte und jemanden den Laden betrat. „Chelsea, meine Liebe! Wie geht es dir?“ Sofort kam Mirabelle auf die Person zugetrippelt und auch ich wandte mich dem Neuankömmling zu. Es war ein Mädchen. Sie besaß braune, lange Haare, die mit einem roten Tuch zusammengehalten wurden und ihre Kleidung war dem schönen Wetter draußen angepasst, wenn auch sehr verschmutzt. An ihren kurzen Jeans waren einige Risse zu erkennen und an ihren roten Stiefeln hing Erde. Offenbar war sie zuvor wörtlich auf dem Boden herumgekrochen. „Tut mir leid, dich zu stören, Mirabelle – aber ich würde mir gerne ein Buch über Tierpflege bei dir ausleihen, bevor ich mich selbst daran wage. Ich möchte nicht, dass es den Tieren später bei mir schlecht ergeht“, sagte das Mädchen mit einer hellen, sanften Stimme und sah meine Tante flehend an. Ich verdrängte den Gedanken sofort wieder aus meinem Kopf, dass ihre blauen Augen wie das beruhigende Meer aussahen und sah zu Mirabelle hinüber, die mich triumphierend ansah. Super – Eins zu Null für meine Tante. „Ja, aber natürlich, meine Liebe. Nur eine Sekunde bitte.“ Sie drehte sich um und begann sofort damit höchst beschäftigt das Bücherregal zu durchwühlen. Eine kleine Hand erschien vor mein Blickfeld. Sollte ich sie etwa schütteln? „Hallo, ich heiße Chelsea. Du musst Vaughn sein – Julia hat mir erzählt, dass du nun jeden Mittwoch und Donnerstag auf der Insel sein wirst und ich dachte mir, ich sollte dich als Fast-Bewohner einmal begrüßen. Ich leite hier die kleine Farm, oben auf dem Hügel.“ „Angenehm“, erwiderte ich mit kalten Unterton und ignorierte ihre Hand vor mir. Wie zart sie doch war. Ich schlang meine Arme um mich und wandte den Blick wieder von der kleinen Gestalt vor mir ab. Ich musste mich berichtigen – Ich gab ihr zwei weitere Wochen, bis sie aufgrund ihrer zierlichen Statur aufgeben würde. Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, dass Chelsea mich mit verwirrter Miene anstarrte. Sollte sie doch. Es war mir egal, was andere Leute von mir dachten. Im Grunde war es sogar besser für mich, wenn sie mich nicht leiden konnte – dann musste ich mich nicht darum kümmern, sie wieder loszuwerden. „So, ich habe das passende Buch gefunden!“, rief Mirabelle entzückt und kam sofort mit einem dicken Wälzer wieder auf uns zu gehechtet. „Vielen herzlichen Dank“, sagte Chelsea lächelnd und nahm das Buch entgegen. „Ich bin sicher, ich werde genug dazulernen, um bald eigenes Vieh halten zu können.“ „Ja, natürlich Liebes. Und falls du jemals Schwierigkeiten haben solltest, dann frag entweder mich, Julia oder Vaughn.“ „Hmpf“, grummelte ich und lehnte mich an die Holzwand. Lästig – als ob ich einem so unerfahrenen Mädchen auch noch zeigen würde, wie man die Tiere möglichst viel mit ihrer Gesellschaft quält. „Das ist sehr aufmerksam. Ich gehe nun wieder zurück zu meiner Farm – falls ihr mich braucht, besucht mich doch einfach einmal. Ich würde mich sehr darüber freuen.“ Sie winkte zum Abschied und verließ dann wieder den Laden. „Ein reizendes Mädchen, findest du nicht auch, Vaughn?“, fragte Mirabelle verträumt. Ich biss mir auf die Lippen und spielte an meiner Gürtelschnalle herum. „Nein“, erwiderte ich knapp. Kapitel 2: Aller Anfang ist schwer ---------------------------------- Vorwort Ja, ich weiß – Kartoffeln haben keine Samen >////< … Da im Spiel aber nun mal nur Samenbeutel für die Feldfrüchte verkauft werden, habe ich es einfach so übernommen. Na ja xD. Wenn seltsame Formulierungen dabei sind, tut mir das sehr leid… Ich habe die erste Hälfte um 1 Uhr morgens geschrieben und die andere direkt nach der Schule – und nun werde ich mein Bettchen aufsuchen XD. __________________________________________________________________________________________ Aller Anfang ist schwer „Haben Sie ein stark belastbares Seil zum Verkauf?“, fragte ich den Inselhändler Chen, der ebenfalls einen kleinen Laden zusammen mit seinem Sohn Charlie auf der Insel besaß. Es erschien mir lächerlich, dass sich so viele Menschen um den Wiederaufbau und die Versorgung der kleinen Insel sorgten. Irgendwann würde ein Glied aus der empfindlichen Reihe tanzen und schließlich alle in den Abgrund ziehen – dessen war ich mir sicher. Welchen Sinn bestand also darin, anderen zu vertrauen, wenn es niemals eine wahre Bestätigung dafür gab? Mirabelle hatte auf mich eingeredet, dass ich meine finsteren Verschwörungstheorien für mich behalten sollte und damit hatte ich die wenigsten Probleme. Ich redete sowieso nie aus dem Nähkästchen – wieso sollte ich mir also die Mühe machen, irgendwelche Fremden vor einer großen Dummheit zu bewahren? Ich hatte genug Sorgen – sollten sie sich doch um ihren eigenen Dreck kümmern. Übermorgen würde ich die Fähre zurücknehmen und dieses optimistische Traumland für eine ganze Woche verlassen – Gott sei Dank. So langsam bekam ich das Gefühl, dass ich hier wahnsinnig werden würde. Wenn es nach mir ging, dann würde mir Wolke Sieben und das Feenland noch den Rest meines Lebens aus dem Weg gehen. „Lass mich einen Moment nachsehen, Vaughn. Etwas Geduld bitte.“ Chen ging in einen Nebenraum und ich lehnte mich an den Tresen und rückte meinen Hut etwas von meinem Gesicht weg. Der Schweiß lief mir bereits nach einer Stunde Arbeit an meiner Stirn hinab und ich versuchte ihn ein wenig mit meinen Handschuhen wegzuwischen. Wie gut sie es doch alle hatten. Einfach nur den gesamten Tag hinter dem Tresen stehen und darauf zu warten, dass die sowieso seltene Kundschaft anmarschierte – doch das war nichts für mich. Ich konnte keine Bestätigung von einer solch einfachen Tätigkeit erwarten. Nichts ging ohne Fleiß. Chen kam zurück zu mir gelaufen und hielt mir ein sehr zufriedenstellendes Seil vor die Nase. „Ich hoffe, dass du das gebrauchen kannst. Ein anderes habe ich leider nicht.“ „Es wird reichen. Wie viel?“ „Nimm es einfach Vaughn. Betrachte es als kleines Willkommensgeschenk von mir.“ Er setzte ein freundliches Lächeln auf und ich hing mir das Seil ohne ein einziges Wort um meinen Gürtel. Ich hasste diese Heuchelei – als ob nicht ohnehin schon alle Bewohner der Insel wussten, dass ich nichts mit anderen Menschen zutun haben wollte. Wieso konnten sie mich nicht in Ruhe lassen? Eine kleine Klingel ertönte oben an der Decke und ein weiterer Kunde betrat den Laden. „Guten Morgen Chen. Könntest du mir noch ein paar Samen verkaufen? Ich dachte an Kartoffeln.“ Diese Stimme. Ich brauchte mich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wer hinter mir stand. Vielleicht würde sie mich ja ignorieren, wenn ich es tat. „Chelsea, wie geht es dir? Läuft es denn gut?“, fragte Chen interessiert und wandte sich strahlend ihr zu. „Danke, es läuft sehr gut. Ich habe erst heute Morgen meine ersten Feldfrüchte geerntet“, antworte sie brav und stellte sich direkt neben mich an das Tresen. Verdammt. Sie roch nach Vanille. „Hallo Vaughn“, fügte sie rasch an mich gewandt hinzu und beachtete mich nicht weiter. Ich zuckte unwillkürlich mit den Schultern und ignorierte sie wieder. „Freut mich zu hören, dass alles wunderbar läuft“, fuhr Chen fort und faltete seine Hände. „Einen Beutel Kartoffelsamen also?“ „Schlechte Wahl.“ Ohne dass ich es selbst bemerkt hatte, hörte ich, wie die Worte aus meinem Mund flossen. Ich war gewissermaßen entsetzt darüber, dass ich tatsächlich meine eigene fachkundige Meinung kundgetan und mich in das unbedeutende Leben anderer eingemischt hatte. „Wie bitte?“, fragte Chelsea völlig irritiert und ich spürte ihren fragenden Blick auf mir ruhen. Ich fixierte einen Punk an der Wand und vermied es, sie anzusehen. „Die Jahreszeit ist fast vorüber und die Kartoffeln wachsen zu langsam. Zu diesem späten Zeitpunkt sind wohl Rüben am besten geeignet“, erklärte ich. „Oh, vielen Dank“, murmelte sie überrascht. „Das habe ich nicht gewusst. Du hast meine Ernte gerettet!“ „Schon in Ordnung.“ Ich sah einen kurzen Augenblick in ihre tiefen, blauen Augen und zog dann hastig meinen Hut wieder über meine Augen. „Schönen Tag noch.“ Ich drehte auf dem Absatz um und stolzierte zur Tür hinaus. Vermutlich würden die beiden reden. Über mich. Seltsame Dinge weitererzählen und meinen Ruf als unfreundlichen Burschen schädigen. Wie auch immer – es war mir egal. Bis zur Mittagspause sortiere ich die Regale in Mirabelles Lager ein. Sie sagte, sie hätte Rückenprobleme und könne deswegen nicht die schwere Last tragen – doch für mich klang es nur wie eine faule Ausrede. Seufzend hob ich die letzte Kiste mit Tierfutter hoch und platzierte diese säuberlich neben den anderen im Regal. Meine Finger schmerzten und ich zog meine Handschuhe aus, um meine Hand zu betrachten. Sie waren rot angelaufen, doch es gab keine Verletzungen – was ein Wunder war, wenn man beachtete, dass die Kisten sehr alt waren und ich mindestens einhundert in das Regal verlagert hatte. Normalerweise hatte ich mit einem Holzsplitter in der Haut gerechnet – aber meine Handschuhe hatten offenbar ihre Pflicht erfüllt. Zufrieden und mit einem langsam knurrenden Magen verließ ich das Tiergeschäft und setzte mich abseits, kurz vor der Brücke, die zum Wald führte, mitten auf eine Wiese. Ich setzte meinen Cowboy-Hut ab und fächerte mir damit kurz Wind zu, um meine überhitzte und schweißgetränkte Haut abzukühlen. Meine Arbeit war stets hart – doch genau das brauchte ich, um nicht zu viel über mich selbst nachzudenken. Ich setzte meinen Hut wieder auf, legte mich auf das sanfte Gras und lauschte den Vögeln über mir. Etwas schob sich in mein Unterbewusstsein – etwas, das ich seit langer Zeit verschlossen hielt und an das ich mich niemals versuchte zu erinnern. Mein Magen knurrte auf und riss mich aus meinen Gedanken. Ich fluchte leise, und schlang die Arme um meinen Körper, um das stechende Gefühl des Hungers zu unterdrücken. Bis heute Abend würde ich es sicherlich aushalten und dann ausnahmsweise bei meiner Tante und meiner Cousine essen. Wie ich es hasste – hatte diese gottverdammte Insel keinen Imbiss? „Vaughn? Kann ich dich etwas fragen?“ Braune Haarsträhnen fielen mir ins Gesicht und ich bemerkte Chelsea, die sich über mich gebeugt hatte. Instinktiv wich ich zurück und setzte mich abrupt auf. „Was willst du?“, fragte ich mit einem kühlen Unterton und funkelte sie wie ein unerwünschtes Wesen an. „Tut mir leid, wenn ich dich bei deiner Pause störe… Aber könntest du mir vielleicht verraten, welches Tier ich zuerst halten soll? Du bist schließlich derjenige, der sich auf der Insel am besten damit auskennt. Ich habe Gannon nämlich bereits zum Bau eines Stalls gebeten und er ist heute fertig geworden.“ „Hmpf“, grummelte ich und sah sie skeptisch an. „Ich bezweifele, dass du der Viehzucht gewachsen bist.“ „Ich habe viel gelesen – ich glaube daran, dass ich es schaffen kann. Ansonsten wirst du und Mirabelle mir sicherlich helfen, nicht wahr?“ Wieso nahm sie so selbstverständlich an, dass ich ihr helfen würde? Hatte sie nicht bereits genug von mir gesehen und gehört? „Lesen alleine reicht nicht. Du brauchst Praxiserfahrung“, erwiderte ich schroff. „Viehzucht ist harte Arbeit – um ein guter Besitzer zu sein, musst du mit ihnen umgehen können, als seien sie Menschen.“ „Ich kann nichts dazulernen, wenn ich es nicht versuche!“ Sie schüttelte leicht den Kopf und sah mich flehend an. „Dein Rat ist mir sehr wichtig. Sag mir bitte, ob ich es zuerst mit Hühnern, Schafen oder Kühen versuchen soll!“ Ich sah sie irritiert an und zog meinen Hut schließlich mehr über mein Gesicht. Sie war… anders. Wohl die erste, die sich wirklich um meinen Rat kümmerte. „Hühner sind einfach zu halten, sie machen recht wenig Arbeit und bringen dir jeden Tag durch ihre Eier Geld – wenn auch recht wenig. Schafe sind etwas schwieriger; du musst sie jeden Tag ordentlich bürsten, ansonsten ist es nicht gewährleistet, dass die Wolle rein wird. Selbstverständlich musst du sie auch häufiger waschen. Bei den Kühen ist es fast dasselbe. Der Profit dürfte mit Kühen durch die Milch am besten sein, doch die Arbeit wird schwerer und das Futter ist etwas teurer“, sagte ich. „Oh. Meinst du, ich kann es mit einer Kuh versuchen? Ich mochte Kühe schon als kleines Kind.“ „Wenn du genug Liebe in die Versorgung deines Tiers steckst, dann dürfte es keine großen Probleme geben.“ Sie nickte nachdenklich. „Ich werde es versuchen. Wenn ich Probleme haben sollte, dann werde ich dich einfach fragen.“ Ich schwieg und betrachtete die Abschürfungen an ihrer Hand und an ihrem Knie. Offenbar gab sie sich tatsächlich große Mühe mit der Farm. Mein Magen knurrte wieder und ich schlang schnell wieder die Arme um meinen Oberkörper. Mist – das war peinlich. „Hast du Hunger, Vaughn?“, fragte mich Chelsea überrascht. „Ich habe heute noch nichts gegessen“, gestand ich. „Oh.“ Sie wühlte in ihrem Rucksack herum und zog eine Rübe heraus. „Diese habe ich noch von meiner Ernte über. Möchtest du sie haben?“ „Nein, Danke. Ich hasse Feldfrüchte.“ Meine Worte waren ungewollt schroff und ich biss mir unauffällig auf die Lippe. „Tut mir leid, das wusste ich nicht.“ Sie seufzte. „Was magst du denn stattdessen?“ „Ich bevorzuge Tierprodukte.“ Ich stand auf und vergrub meine Hände in den Hosentaschen. „Meine Pause ist vorbei. Ich muss weiter arbeiten.“ Ich drehte mich sofort um und lief über die Wiese hinweg zurück Richtung Mirabelles Tiergeschäft. Chelsea sah mir hinterher, das konnte ich genau spüren. Und es war wirklich seltsam. Der Hunger war von einem anderem, ungewohnten Gefühl gedämpft – und es machte mich krank. Ich mochte dieses Gefühl nicht und alle Erinnerungen, die damit verbunden waren. Vertrauen. Geborgenheit. All diese verräterischen Gefühle wollte ich aus meinem Inneren verbannen. Wie ich es hasste. Nach all den Jahren hatte ich geglaubt, endlich all diese Erinnerungen und Gefühle verloren zu haben; doch ich lag falsch. Warum war dieses Mädchen so anders? Normalerweise mieden mich die Leute – und selbst wenn sie Anfangs versuchten, eine freundschaftliche Beziehung zu mir aufzubauen, gaben sie es nach nur wenigen Tagen wieder auf. Ich bestand nicht auf irgendeine Freundschaft. Der einzige Freund war mein Egoismus. Zu lernen, wie man anderen Menschen half, würde mich niemals im Leben weiterbringen. Ich musste mir selbst helfen können und durfte nicht in wichtigen Situationen auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Das Leben war tückisch und hart. „Vaughn, ich habe dich schon gesucht.“ Ich sah auf. Mirabelle stand vor mir und ich musste fast erleichtert aufseufzen. Meine Arbeit. Das war genau das richtige, um auf andere Gedanken zu kommen. „Tut mir Leid. Ich werde sofort wieder mit der Arbeit anfangen.“ Ich lief an ihr vorbei, betrat den Laden und ging zurück in den Lagerraum. Mittlerweile standen wieder neue Kisten in der Ecke, die nur darauf warteten, in die Regale geordnet zu werden. Ich verdrängte den Hunger, der sich nun wieder in mein Bewusstsein eingeschlichen hatte und biss fest die Zähne zusammen. Ich brauchte keine Hilfe – niemals. Mit meiner Einsamkeit konnte ich alleine fertig werden – und ebenfalls mit meinen Gefühlen. Kapitel 3: Fürsorge ------------------- Vorwort (Sry, dass das so lange gedauert hat… =_= Ich habe vor Monaten begonnen, das Kapitel zu schreiben, aber seltsamerweise nie vollendet *hüstel*.) Ich denke, dass das Kapitel für sich selbst spricht. Leider ist die Handlung – meiner Meinung nach – etwas abgehackt beschrieben XD *hüstel*. Na ja, aber ich glaube, am Ende des Kapitels weiß man, worauf das Ganze hinausläuft ^_^. ___________________________________________________________________________________ Fürsorge Mit dem Donnerstag kam der letzte Tag, den ich auf dieser Insel verbringen würde – zumindest für diese Woche. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich auch nur einen weiteren Tag hier ausgehalten hätte. Es war nicht so, als ob ich die Insel nicht mochte. Ich hasste sie. Mein Inneres fühlte sich an, als ob sich irgendjemand einen Spaß daraus gemacht hatte, meine Gefühle zu vermischen und sich schließlich noch in meine ungewöhnlichen Gedanken einzunisten. Das Schlimmste daran war, dass ich es nicht aufhalten konnte. Eigentlich war daran nur eine einzige Person schuld – und wenn ich nur an sie dachte, wollte ich mich am liebsten selbst schlagen. Ich wusste absolut nicht, was mich geritten hatte. Je schneller ich von dieser Insel verschwinden würde, desto besser war es wohl. Ich betrachte meine aufgeschürften Hände und leckte sie sorgfältig ab. Es kümmerte mich schon gar nicht mehr – ich war solche Verletzungen während meiner Arbeit gewöhnt. Glücklicherweise konnte ich mich allerdings nun um die Tiere bei Mirabelle kümmern. Wie hart auch die Arbeit sein mochte – ich genoss es jedes Mal aufs Neue, die Tiere zu pflegen und mit ihnen zu reden. Ich steckte meine Handschuhe in die Hosentaschen und lief bedacht zu einer Kuh herüber, die sich in einer Ecke zurückgezogen hatte. Sie sah mich mit großen Augen an und rührte sich nicht. Ich lächelte ganz leicht, streckte einen Arm aus und streichelte sie ganz sanft, um ihre Angst zu nehmen. Die Kuh trat behutsam ein Stück näher zu mir und ließ sich ruhig von mir streicheln. „Braves Mädchen“, murmelte ich und tätschelte sie weiter. Gegen Mittag stattete ich Chens Laden einen Besuch ab. Ich suchte nicht die Konversation mit ihm – mein Magen sehnte sich lediglich nach etwas Essbarem. In meiner Hosentasche befanden sich dreihundert Münzen, die ich nach meiner Arbeit in Mirabelles Laden erhalten hatte. Es war eine recht geringe Summe, doch ich konnte dankbar dafür sein, dass ich überhaupt genug hatte, um mir etwas zu Essen zu kaufen. Ich konnte nichts außer den Kleidern an mir als mein Eigentum bezeichnen; ich lebte von der Situation und dem Zufall und das wenige Geld, das ich besaß, gab ich für das tägliche Überleben aus. Aber anders war ich es nicht gewöhnt – und in gewisser Weise gefiel es mir wohl sogar. Schließlich wollte ich nicht genauso verweichlichen wie die ganzen anderen Menschen, die sich in ihrem Wohlstand wälzten oder mit ihrem nervigen Optimismus tänzelnd durch die Gegend flitzten. Die Arbeit zuvor hat leichte Schürfwunden auf meinen Handflächen hinterlassen, aber ich ignorierte diese Tatsache so gut wie es ging. Natürlich konnte ich nicht leugnen, dass mich die brennenden Wunden nicht bei der Arbeit behindert hätten, jedoch konnte ich zu niemandem gehen und ihre Hilfe erbitten. Ich brauchte auch niemanden – wozu auch? Die lächerlich vorgetäuschte Fürsorge würde mir auch nicht helfen, meine Arbeit zu erledigen. Verdammt, ich wollte einfach nur meine Ruhe. Vor Chens Laden blieb ich stehen und wollte gerade die Tür öffnen, als Charlie aus der Tür stürmte. Gekonnt wich ich ihm aus und anstatt sich bei mir zu entschuldigen, sah er mich nur einen Moment lang ausdruckslos an und stürmte dann sofort weiter Richtung Strand. Hmpf – wie auch immer. Mich interessierte es sowieso nicht, ob die Bewohner dieser Insel mich mochten oder nicht. Kaum nachdem ich den Laden betreten hatte, begrüßte mich bereits Chen, der direkt hinter dem Tresen einige neue Waren aufreihte. „Guten Tag, Vaughn – heute schon hart gearbeitet?“ Er setzte ein freundliches Lächeln auf und brummte leise, das sich wie ein leichtes Lachen anhörte. Doch für mich klang es schon fast nach Spott – oder auch Neid. Ja, ich arbeitete hart – viel härter als er und ich war so verdammt stolz darauf. „Natürlich – wie immer.“ Ich konnte nicht vermeiden, dass ich spöttisch klang, aber es war mir auch egal. „Hast du irgendetwas essbares hier?“ Chen kratzte sich an seinem Bart und zog dann mehrere Tafeln Schokolade aus einer Schublade hervor. „Isst du so etwas?“, fragte er leicht verwirrt und gleichzeitig entschuldigend. „Ich warte immer noch auf eine neue Lieferung, ansonsten kann ich leider nichts entbehren.“ Skeptisch beäugte ich die Schokolade in Chens großer Hand, doch dann gab ich resigniert auf. Schön – alles war besser, als bei Mirabelle und Julia zu speisen. „Wie viel?“ „Ich gebe dir alle Tafeln für dreihundert Goldmünzen – das ist ein faires Angebot, finde ich.“ „Angenommen.“ Ich griff in meine Hosentasche und zog meinen heutigen Arbeitslohn hervor und legte ihn wortlos auf den Tresen. Chen reichte mir die Schokolade und fixierte einen kurzen Moment meine leicht blutenden Handflächen. Ich wandte meinen Blick von ihm ab und steckte die Schokolade schnell in die Hosentasche. „Vaughn? Bist du sicher, dass du nicht einen Verband möchtest?“, fragte Chen ein wenig besorgt. „Nein – ich bin es nicht anders gewöhnt“, erwiderte ich schroff und schritt bereits zur Tür und hinaus. Ich konnte diese Fürsorge einfach nicht ausstehen – mir wurde schon fast schlecht bei dem Gedanke daran. Warum ließen mich nicht einfach alle in Ruhe? Ich lief in den Ostteil der Insel und ließ mich auf einer großen Wiese nieder. Hier im Ostteil der Insel standen einige leere Gebäude, doch ich war mir nicht so sicher, ob sie jemals wieder bewohnt werden würden. Es gab so viele Dinge, an denen es auf der Insel mangelte; und ich würde nichts dagegen unternehmen. Aber es war nicht mein Problem. Ich zog die Schokolade hervor, die aufgrund meiner Körpertemperatur bereits begonnen hatte zu schmelzen und schob mir davon einen kleinen Teil in den Mund. Hoffentlich würde ich morgen früh bereits wieder genug Geld besitzen, um direkt nach der Überfahrt zum Festland etwas Anständiges zum Essen kaufen zu können. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Hunger bis zum Abend verdrängen konnte, aber danach würde ich mich vermutlich wieder einmal notgedrungen auf meinem Schlafplatz wälzen vor Hunger. Die Sonne brannte über mir am Himmel und ich widerstand dem plötzlichen Impuls, mich wahrhaftig der Wärme hinzugeben. Ich zog meinen Cowboyhut wieder bis über das Gesicht, biss mir auf die Lippe und ignorierte den immer größer werdenden Schmerz meiner Handflächen. Wen kümmerte es schon, wenn sich die Wunde entzünden würde? Es war wirklich völlig nebensächlich. Ich würde weiterarbeiten und weiterleben, egal wie groß der Schmerz auch war – so war es bisher immer gewesen. Es gab so viele Dinge, die mich mehr schmerzten, als nur eine leichte körperliche Wunde. Es gab so viel… So viele Dinge, die immer noch nach Jahren in meinem Kopf verankert waren und so sehr ich mir auch wünschte, endlich alles vergessen zu können, so blieben die Erinnerungen standhaft. Das war meine Schwäche und mein Verderben. Ich konnte einfach nicht abstreiten, dass ich mein pessimistisches Denken nie aufgrund meiner Erinnerungen ablegen könnte. Aber vielleicht war dies auch zu meinem Vorteil – wenn man sein Herz verschloss, dann konnte man nicht verletzt werden. Und es hatte funktioniert – bis ich auf diese gottverdammte Insel kam. Ich hörte leise, bedachtsame Schritte, die immer näher auf mich zu kamen. Welcher Trottel es auch immer wagte, mich wieder einmal bei meiner Pause zu stören, konnte schon einmal sein Testament schreiben. Ich wollte mich bereits aufsetzen und die Person wütend anfunkeln, als ein Windhauch mir einen leichten Vanilleduft zu spielte. Mein Herzschlag nahm so rapide zu, dass ich am liebsten laut über mich selbst geflucht hätte, aber ich verkniff es mir im letzten Moment und beschränkte mich darauf, auf meine Lippe zu beißen und meine Hände zu Fäusten zu ballen. „Vaughn?“, fragte eine sanfte Stimme. Warum konnte sich nicht ein Erdloch auftun und mich mit sich reißen? „Was ist denn?“, schnauzte ich unfreundlich zurück, ohne meinen Hut vom Gesicht zu heben. Ich konnte einfach nicht in das freundliche Gesicht sehen – weil ich wusste, irgendetwas in mir würde schmerzen… Chelsea antwortete mir nicht. Einen kurzen Moment hegte ich die Hoffnung, sie würde vielleicht bald wieder von hier verschwinden, doch als zwei kleine Hände die meinen ergriffen, wusste ich, dass das nicht der Fall sein würde. Abrupt setzte ich mich auf und entzog ihr wieder meine Hände, die bei ihrer Berührung gleichzeitig brannten und – wofür ich mich in diesem Moment selbst hasste – sich angenehm anfühlten. „Vaughn“, sagte Chelsea behutsam. „Zeig mir bitte deine Hand und nimm diesen Hut von deinem Gesicht. Ich möchte gerne der Person in die Augen sehen, wenn ich mit ihr rede.“ „Ich aber nicht“, antwortete ich schroff, aber zu meiner Überraschung setzte ich den Hut ab. Ich hob den Kopf und sah in ein Paar tiefblaue Augen, die mich besorgt musterten. „Charlie hat mir erzählt, dass du verletzt bist“, fuhr sie fort, ohne ihren Blick von mir abzuwenden. „Er wusste, du würdest dich nicht darum kümmern, deswegen ist er sofort zu mir gerannt. Ich war gerade beim Angeln, als er mir davon berichtete.“ „Und?“, gab ich zurück. „Ich brauch keine Fürsorge – in Wahrheit kümmert es doch niemanden, wenn ich verletzt bin.“ „Mich kümmert es.“ Sie sah mich mit so einem intensiven Blick an, dass ich das Gesicht von ihr abwenden musste, weil ich mir nicht sicher sein konnte, dass ich nicht soeben rot angelaufen war. Ich hasste sie, obwohl ich sie nicht hassen konnte. Es war einfach nur… schrecklich. Chelsea griff wieder meine Hände und ich zuckte auf, jedoch wand ich mich nicht mehr aus ihrem Griff. Sie drehte meine Hände um und betrachtete aufmerksam die aufgeschürften Handflächen. „Die Wunde wird sich bald entzünden. Wieso hast du sie nicht gereinigt?“, fuhr sie mich wütend an und ich sah sie fassungslos an. Sie war die erste, die so mit mir redete. Die erste, seit langem, die sich so gegen mich stellte. „Warte hier“, wies sie mich an und stand schnell auf und lief Richtung Fluss, der östlich von der Wiese floss. Ich betrachtete meine Handflächen, die nun nicht mehr so stark nach ihrer Berührung zu schmerzen schienen als zuvor… Chelsea setzte sich wieder neben mich und zückte ein Leinentuch, das sie in das kalte Wasser des Flusses getaucht hatte. Sie ergriff meine Hände wieder und wir beide schwiegen, während sie mir vorsichtig die Wunden säuberte. Und wie sie es tat, mit dieser Bedachtsamkeit und Fürsorge, erweckte nicht nur leichten Respekt zu ihr, sondern auch ein anderes Gefühl, das ich am liebsten nicht kennen wollte. Als sie fertig war, begann sie ihr rotes Kopftuch zu lösen, wickelte damit eine Hand von mir ein und für die zweite zog sie ein blaues Taschentuch aus ihrer Hosentasche. „So“, beendete sie ihre Erste Hilfe und betrachtete ihr Werk einen Moment lang, bevor sie sich mir zuwandte. „Nun tut es schon nicht mehr so weh, nicht wahr…?“ „Nein, danke“, murmelte ich leise und war überrascht von mir selbst, dass es mich dieses mal keine Überwindung kostete, meiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. „Versprich mir bitte, dass du besser auf dich Acht gibst. Wenn du dich zu sehr verletzt und nicht mehr arbeiten kannst, wer soll sich dann um die Tiere kümmern? Mirabelle und Julia wären sicherlich leicht damit überfordert.“ Sie lächelte leicht und sah mich jedoch auffordernd an, um mir das Versprechen zu entlocken. „Das stimmt“, pflichtete ich ihr ergeben bei, „Ich werde auf mich aufpassen. Ich verspreche es.“ „Gut.“ Sie strahlte mich an und stand dann vom Boden auf. „Du wirst morgen mit der Fähre zurück auf das Festland fahren, nicht wahr…?“ Sie fragte es mit einer gewissen Traurigkeit in der Stimme, die mich vollkommen irritierte. „Ja, aber keine ganze Woche.“ „Das ist… schön. Dann sehen wir uns also nächste Woche wieder.“ „Und was ist mit deinem Kopftuch?“, fragte ich sie verwundert. Bisher hatte ich immer den Eindruck gehabt, dass dieses Tuch eine besondere Bedeutung für sie hatte, Chelsea jedoch schüttelte nur leicht den Kopf. „Gib es mir einfach nächste Woche zurück, wenn deine Wunden verheilt sind. Ich möchte schließlich nicht, dass sich deine Hände entzünden.“ Sie wandte sich von mir ab und ging einige Schritte von mir weg, bevor sie über ihre Schulter hinweg zu mir zurücksah. „Ich muss weiterarbeiten. Ich wünsche dir noch viel Spaß… und gib bitte auf dich Acht.“ Mit diesen Worten lief sie wieder zurück Richtung Westteil der Insel und das letzte, das ich von ihr sah und dachte, bevor ich meinen Cowboyhut wieder auf meinen Kopf setzte, war, dass ihre braunen Haare, die im Wind wehten, noch schöner waren als sonst. Kapitel 4: Sehnsucht -------------------- Vorwort ~_~ Eher ein innerliches Kapitel xD (-wie bei dem Kapiteltitel auch zu erwarten ist). Ab dem nächsten Kapitel gibt es dann wieder mehr Handlung x3 ~ ____________________________________________________________________________ Sehnsucht Der sanfte Wind der See strich über mein Gesicht und ich betrachtete gedankenverloren die kleine Insel, die am Horizont langsam aber sicher zu einem kleinen Punkt in mitten von blauen Wellen wurde. Es war früher Morgen und die Fähre hatte pünktlich von der Insel abgelegt und war nun auf eiligem Kurs Richtung Festland. Seltsamer Weise fühlte ich ein gewisses Maß von Bedauern, die Insel verlassen zu müssen - und zur gleichen Zeit wünschte ich mir, niemals je einen Fuß auf sie gesetzt zu haben. Verdammt. Ich griff umständlich mit einer verbundenen Hand nach meinem Hut und setzte ihn ab. Mein Blick fiel dabei auf das rote Kopftuch von Chelsea, das sie mir einen Tag vor der Abreise um meine Wunde gewickelt hatte. Das war der sichtbare Beweis dafür, dass es diese verwunschene Insel gab – ob ich nun wollte oder nicht. Ich seufzte und reckte meinen Kopf nach oben, damit der kalte Wind mein Gesicht abkühlen konnte. Ich war so ein erbärmlicher Mistkerl. ~*~ Wenn ich einst geglaubt hatte, dass meine Abwesenheit von Insel-Traumland meinen gesunden Menschenverstand fördern würde, so musste ich nun feststellen, dass eher das Gegenteil der Fall war. Ich war seit Jahren innerlich zerissen und ich hatte mich nach all der Zeit an den immer wiederkommenden Schmerz gewöhnt, doch was mir in den wenigen Tagen meiner Abwesenheit widerfuhr, war etwas sehr viel Schmerzvolleres. Es war eine schiere Irrealität, die sich stetig während der Arbeit in meinem Inneren wiederspiegelte und entsetzt musste ich feststellen, dass ich nicht mehr fähig war, meiner Arbeit im genügenden Ausmaß nachzugehen. Meine Gedanken flogen immer davon, an einen ganz anderen Ort, weitab von meiner Arbeit… Ich wurde mehrmals verwarnt; mir wurde mehrmals angedroht, mein Gehalt kürzen zu lassen und manchmal wurde ich beleidigt, ein lächerlicher Tiertransporteur zu sein. Doch was das schockierende daran war, dass es mir schlichtweg egal war – und das ich im tiefsten Inneren wusste, dass der widerliche Abschaum sogar recht hatte bei all ihren Beleidigungen. Ich war erbärmlich, lächerlich, unfähig, nutzlos und schwach… Aber nichts von alldem hatte etwas mit meiner körperlichen sowie geistigen Leistungskraft, Arbeit zu verrichten, zu tun, sondern vielmehr mit meiner gefühlstechnischen Unfähigkeit. Mittlerweile konnte ich mir selbst wohl kaum verleugnen, dass ich mich zurück zu dieser Insel sehnte – und dass der Grund schier unbegreiflich war. Ich war so ein Idiot. „Vaughn, wir müssen reden.“ Mein Chef zog skeptisch seine Augenbrauen nach oben und strich sich mit einem dicken Finger über seinen langen Ziegenbart. „Muss das sein?“, fragte ich desinteressiert und legte die Bürste beiseite, mit der ich soeben ein kleines Kalb gepflegt hatte. „Es ist dringend“, sagte er mit einem ernsthaften Unterton und wies mit einer Hand zu einer kleinen Kammer neben dem Viehstall. Ergeben richtete ich mich von dem Stroh auf, zog meinen Hut wieder über das Gesicht und ging zur Kammer herüber. Die anderen Arbeiter musterten uns interessiert, als hofften sie auf interessante Neuigkeiten, die sich sehr gut zum allgemeinen Tratschen eignen würden. Lästige Sorte Mensch. Mein Chef folgte mir, öffnete die Tür und wir betraten den kleinen Raum. Eigentlich war es ein Wunder, dass ein Mann seiner Größe zusammen mit mir in den schmalen Raum hineinpasste – doch zum Glück war ich genau das Gegenteil von ihm. „Was gibt’s?“, fragte ich weiterhin in einem gleichgültigen Ton. „Es geht um deine wöchentliche Arbeit. Was ist los? Du bist so abwesend. Kühl warst du zwar schon immer, zugegeben, aber doch nicht so… Ist ein Verwandter gestorben?“ „Ich habe keine Verwandten wie du sehr wohl weißt. Außer zwei lästige Wesen auf einer gottverdammten Insel, die sicherlich leider nicht innerhalb von vier Tagen verstorben sind.“ „Freunde?“ „Ich habe keine Freunde.“ Mein Chef knirschte mit den Zähnen und wäre mein Hut nicht im Weg gewesen, dann hätte ich bestimmt wieder seinen dümmlichen Gesichtsausdruck gesehen, den er immer hatte, wenn er nachdachte. Eigentlich mochte ich ihn – als Arbeitgeber war er streng und loyal und er hatte stets ein wachsames Auge über allen Mitarbeitern. Doch manchmal entpuppte er sich nicht nur als richtiges Arbeitstier – das mich allerdings weniger störte, da ich selbst genauso war. Das schlimmere war allerdings, dass er manchmal genauso sehr einen Drang verspürte, mich zu bemuttern, als sei ich gerade einmal drei Jahre alt. „Vaughn. Du bist mein bester Mitarbeiter und du hast für einen jungen Mann deines Alters enormes Potenzial. Du hast stets gute Arbeit geleistet, obwohl ich dich streng behandele und dir ständig drohe, nur damit du noch fleißiger bist. Aber ich kenne dich schon sehr viele Jahre. Das einzige, das ich möchte, das du mir erzählst, ist warum du dich seit Tagen so seltsam verhältst.“ „Ich verhalte mich nicht seltsam. Ich bin wie immer“, erwiderte ich schroff. „Du erledigst deine Arbeit nicht mehr gründlich genug“, pflichtete mein Chef mir tadelnd bei, „aber ich kann nicht bestreiten, dass du dennoch nicht mein fähigster Mitarbeiter bist.“ „Dann gibt es also keine Probleme“, sagte ich mit einem verächtlichen Ton. „Wenn Sie nun keine weiteren Einwände haben, dann möchte ich nun gerne zu meiner Arbeit zurückkehren.“ Ich wollte schon meinen Arm nach der Türklinke ausstrecken, wenn mein Chef diesen nicht plötzlich gepackt hätte und mir den Hut vom Kopf hinunterriss und mich somit zwang, ihn anzusehen. „Oh, ich hätte sehr viele Einwände!“, stieß er hervor und er schnaubte. Ich schwieg und starrte ihn widerwillig an. Die Vater-Sohn-Nummer konnte er sich schenken. „Seit dem ich dich eingestellt hatte, warst du immer ein Einzelgänger – hast nie Kontakte gepflegt, dir war alles in der Welt gleichgültig und du hast gewissenhaft deine Arbeit erledigt. Nun sag mir eines, mein Junge, was in dieser Welt gibt es, das dich auf einmal so sehr von deiner hochgeschätzten Arbeit abhält?“ „Nichts – ich arbeite.“ „Du bist nicht der Vaughn, den ich einst eingestellt habe.“ „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Chef, ich bin immer noch dasselbe gefühlskalte Wesen wie zuvor.“ Er hob wieder skeptisch seine Augenbrauen und schürzte missbilligend seine Lippen. „Du hast dich verändert“, murmelte er langsam. „Doch du begreifst es nicht.“ „Was geht es dich überhaupt an?“, schnauzte ich zurück und bückte mich schnell, um meinen Hut vom Boden zu fischen. „Dein Seelenheil lag mir schon immer sehr am Herzen – du musst wissen, dass ich einst deinen Vater gekannt habe.“ Einen kurzen Moment stockte mein Inneres und Erinnerungen sprudelten überall aus mir hervor, jedoch verdrängte ich diese genauso schnell wieder, wie sie gekommen waren. „Du kanntest also den alten Tunichtgut? Von mir aus – mir egal“, sagte ich mit einem gespielt gleichgültigen Unterton. „Dir ist immer alles egal“, stellte mein Chef nachdenklich fest. „Gut erkannt.“ „Ich weiß wie du dich fühlst“, entgegnete er kopfschüttelnd. „Deine Art, wie du dich all die Zeit lang verhalten hast, ist mir nicht fremd. Auch wenn es dir schwer fällt, so möchte ich dennoch, dass du mit mir redest, wenn du ernsthafte Probleme hast.“ „Es gibt keine Probleme in meinem Leben.“ „Nein – natürlich nicht. Deswegen bist du so schroff zu den Anderen.“ „Wie auch immer“, schnaubte ich und zog meinen Hut auf dem Kopf zurecht. „Ich muss zurück zur Arbeit – denn du wirst mir sicherlich nicht den Lohn für meine nichtgetane Arbeit geben.“ Ich drückte die Türklinke bereits herunter, als mein Chef mir seine schwere Hand auf die Schultern legte, die mich direkt einige Zentimeter Richtung Boden drückte. „Du veränderst dich. Gib auf dich Acht.“ „Und wenn schon“, gab ich zurück und schob seine große Pranke von meinen Schultern und widmete mich wieder meiner Arbeit bei dem kleinen Kalb zu. Ich war frustriert und fühlte mich zugleich verraten, da ich wusste, dass er eigentlich Recht hatte. Sie hatten alle Recht und ich war im Unrecht. Ich war tatsächlich dabei, mich zu verändern, obwohl ich dies niemals beabsichtigt hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich meine Denkweise genauso verräterisch eingestellt hatte, wie all die naiven anderen Menschen, nur damit mein gefühlskalter Ego sich bestätigt fühlte. Und genauso sehr war es nur eine Frage der Zeit, bis meine Gefühle schließlich durchdrehen würden. Ich habe alle Menschen verraten, die einst an mich geglaubt hatten. Stets habe ich mich von allem abgewandt und allen die kalte Schulter gezeigt, nur um mich selbst nicht öffnen zu müssen. Doch nun war alles anders. Ich zog meine verbundene Hand aus der Hosentasche hervor und betrachtete abermals das rote Kopftuch. Meine Wunde war sicherlich mittlerweile genauso gut verheilt wie an der anderen Hand, jedoch hatte ich es nicht gewagt, ihn von meiner Hand zu lösen. Unwillkürlich neigte ich meinen Kopf zu dem rötlichen Tuch und atmete tief den Vanillegeruch ein, der selbst nach Tagen immer noch genauso intensiv war, als ob Chelsea neben mir stehen würde. Und verdammt… Es war völlig zwecklos, es noch länger zu leugnen. Ich verstand nicht wieso, aber ich fühlte mich bedingungslos zu ihr hingezogen; verspürte eine unermessliche Sehnsucht nach ihr und meine Gedanken schweiften immer wieder zu ihrem zarten Gesicht, das in weiter Ferne auf der einsamen Insel vor sich hin gedieh. Ich war nicht mehr als ein Narr. Sie mochte zwar für mich wie eine einzigartige Person erscheinen, jedoch war sie im Endeffekt nicht viel mehr als ein weiterer, dummer, naiver Mensch, mit genau denselben Fehlern und Sünden. Es war mehr als dumm von mir, sie in gewisser Weise zu begehren, obwohl ich wusste, dass das niemals den Schmerz lindern würde, der seit so vielen Jahren in mir verborgen war. Niemand würde das je können. Ich war auf ewig verdammt und nun war ich sogar dumm genug, mein Herz ein kleines Stück für einen einzigen Menschen zu öffnen, nur damit mir noch mehr Leid widerfuhr. Aber das hatte ich wohl auch nicht anders verdient. Mit einer gewissen Vorfreude erwartete ich die Fähre, die mich zurück zur Insel des Glücks bringen würde. Seltsam, dass mir der Name nicht mehr länger ironisch vorkam. Eigentlich war mein ganzes Leben lang ironisch, widersprüchlich und irrational gewesen – doch dieses eine Mal erkannte ich es an. Verdammt, ich war ja so eine Witzfigur… Vermutlich würde ich irgendwann noch auf dem Boden kriechen um nach Gnade vor meinem widerwärtigen Schicksal winseln. Doch etwas anderes blieb mir zu diesem Zeitpunkt nicht übrig. Ganz egal wann ich meine Augenlider vor der kalten Welt schloss, immer wieder sah ich in das fröhliche, zarte Gesicht von Chelsea und jedes Mal schenkte mir dieser Anblick aufs Neue Kraft. Wieder einmal hob ich meine Hand mit ihrem Kopftuch hoch zu meinem Gesicht und wieder atmete ich ihren Geruch ein. Ich wusste nicht, wie oft ich dies tat… wann und wie lange… Das einzige, das ich mit Sicherheit sagen konnte, war, dass ich mich zurück zu ihr wünschte. Als der lang ersehnte Morgen der Abreise endlich gekommen war, stand ich auch bereits am Dock und hatte mir einen Matrosen zur Seite genommen und redete eindringlich auf ihn ein, wann das verdammte Schiff nun endlich abfahren würde. Mich sahen alle wie einen völlig durchgedrehten Verrückten an; beobachteten mich, wie ich Kreise auf dem Dock zog, aber indem ich ihnen jeweils einen gekonnt finsteren und arroganten Blick zuwarf, begannen alle auf einmal höchst beschäftigt ihre Arbeit zu erledigen. Ich musste hinterhältig Grinsen, während ich dem Matrosen einen bösen Blick zu warf, den ich vorhin schon unter die Mangel genommen hatte. Ich war zwar ungeduldig, aber unbestreitbar gut gelaunt, selbst wenn ich für die meisten trotz alldem immer noch wie ein gefühlskaltes Wesen aussah. Der lang erhoffte Wind strich mir wieder über die Wangen und mein Blick schweifte über die sanften Wellen der See. Nur wenige Stunden würde die Überfahrt zur kleinen Insel dauern. Ich biss mir auf die Lippen und versuchte einen Moment lang, einen klaren Gedanken zu fassen. Es war so dumm von mir, sich so darauf zu freuen, sie wiedersehen zu können. All die Zeit habe ich mir selbst beigebracht, alle Menschen zu verachten und Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Doch nun, da sie tief verankert in mir waren und nicht im Geringsten vorhatten, sich wieder aus mir zu verbannen, musste ich mir selbst noch beibringen, meine Gefühle zu verstecken und zu kontrollieren. War ich tatsächlich so leicht durchschaubar? Wenn jemand ohne Vorbehalte in seine Seele schauen konnte, machte dies einen nicht schwach und verletzlich? Diese Schwäche durfte ich mir nicht erlauben – niemals. Langsam löste ich das rote Kopftuch von meiner Hand und ließ es einen Moment im sanften Wind wiegen, bevor ich es in meiner Hosentasche verstaute. Reiß dich zusammen, Vaughn. Du darfst keine Schwäche zeigen – nicht einmal vor ihr. Kapitel 5: Rückkehr ------------------- Vorwort Ich habe schon vor einiger Zeit mit diesem Kapitel angefangen, aber nun ist es endlich fertig xD. Ich entschuldige mich für meine teils ziemlich verkorksten Sätze in Kapitel 4 und hoffe, dass ich es mit diesem Kapitel wieder wett gemacht habe :3. ______________________________________________________________________________ Rückkehr Mit dem ersten Schritt, den ich auf den Holzsteg machte, spürte ich bereits, wie das Gefühl der Heimat mich durchstreifte. Ja, ich war zurückgekehrt – auf diese Insel. Ich atmete tief die salzige Seeluft ein genoss den Anblick des bekannten Strandes, der sich vor mir erstreckte. Die Matrosen verließen die Fähre ebenfalls und begangen damit, die Ladung auf den Steg abzulagern. Ich zog meinen Cowboyhut tiefer ins Gesicht und sah ihnen eine Weile argwöhnisch zu, bis das verzweifelte Geräusch eines Kalbs an meine Ohren trat. Ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern, schubste ich die Matrosen zur Seite, so dass diese beinahe ins Wasser fielen, und rannte zurück auf das Deck der Fähre. Ein kleines Kälbchen, das sichtlich noch viel zu jung war, überhaupt von seiner Mutter getrennt zu werden, wurde von einigen widerwärtigen Matrosen so dermaßen schikaniert, dass es sich auf dem Deck zusammengekauert hatte und verzweifelte Töne von sich gab. Die elendigen Widerlinge, die aufgrund dessen mit einer Verspätung der Lieferung rechnen mussten, schrien und zogen an dem kleinen Kalb, um es zum Gehen zu bewegen. Ich ballte meine Fäuste und warf ihnen einen finsteren Blick zu, während ich um Fassung bedacht auf sie zu ging. Wenn ich eine Sorte Mensch noch mehr verabscheute als diese naiven Träumer, dann waren es welche, die keinen Respekt vor Tiere an den Tag legten. Welch ein Abschaum. Trotz meiner Sehnsucht, bald auf dieser Insel zurückzukehren, hätte ich unverzüglich die Abfahrt der Fähre verhindert, wenn ich gewusst hätte, welch traurig erbärmliche Geschöpfe es doch gab. Meine Stiefel knarzten unheilvoll auf dem Deck und ich zog meinen Cowboyhut wieder etwas hinauf, um ihnen den verhasstesten Blick zu zuwerfen, den ich parat hatte. Instinktiv und von meiner finsteren Aura offenbar leicht verängstigt, traten die Matrosen sofort von dem Kalb weg und sahen mich mit einer Mischung von Furcht und Argwohn an, die absolut begründet waren. Am liebsten hätte ich sie allesamt über Bord geschmissen, aber ich konnte es nicht riskieren, meinen Beruf zu verlieren. Vorsichtig beugte ich mich zu dem kleinen Kalb herab und begann, seinen Kopf zu tätscheln und ihm tröstende Worte zu zusprechen. Das Kälbchen reagierte auf meine Worte und erkannte offenbar, dass ich nicht so war, wie die anderen. Es hob etwas den Kopf, damit ich es besser streicheln konnte und versuchte vorsichtig und zaghaft wieder aufzustehen, wissend, dass ich ihm niemals etwas tun würde. Mit einem letzten finsteren Blick auf diese dämlichen Matrosen, geleitete ich das Kalb behutsam von Bord. Glücklicherweise konnte ich sagen, dass Mirabelle es verstand, sich um Tiere zu kümmern - obwohl ich immer noch nicht recht den Sinn darin sah, so viele Tiere auf die Insel zu bringen. Ich hatte immer geglaubt, dass die besten Tiere auf einer weitläufigen Farm lebten, die auch bedachtsam und zärtlich von ihren Besitzern gepflegt wurden. Doch was gab es auf dieser Insel schon…? Die einzige Person, die auf dieser Insel den Tieren die Geborgenheit geben konnte, die sie verdienten, war Chelsea. Ich schluckte und steckte meine Hände wieder in die Hosentaschen, während ich mit dem Kalb die Sanddünen hinauf marschierte. Was sollte ich tun, wenn ich Chelsea begegnete…? Mein Herz sprach eine völlig andere Sprache als mein gesunder Menschenverstand – und beide Faktoren ließen mein Innerstes in völliger Verwirrung zurück. War es tatsächlich eine Schwäche, zu begehren…? Seit so vielen Jahren hatte ich mich nicht mehr so menschlich gefühlt, wie ich es tat, seit dem ich sie kannte. Die Menschen waren doch immer noch die einzigen Geschöpfe der Welt, die so stark begehren, hassen und lieben konnten. Aber der Hass alleine, der seit Jahren in mir ruhte, hatte mich niemals zu einem Menschen gemacht. Seufzend lief ich die Straße entlang, während das Kalb weiterhin gehorsam neben mir her trottete und sein Köpfchen dem Wind nach hin und her neigte. Ich warf ihm ein kleines Lächeln zu und streichelte ihn abermals, das mit einem freudigen Ton des Kalbs belohnt wurde. Mirabelles Laden war bereits in Sichtweite und ich zog wieder meinen Hut ins Gesicht, um jede Emotion, die sich zuvor darauf gespiegelt hatte, auszulöschen. Ich brachte das kleine Kalb in Mirabelles naheliegenden Stall und richtete ihm sorgsam ein Häufchen Heu in einer Ecke ein. „Vaughn? Bist du da?“ Mirabelles Ruf kam scheinbar von ihrem Haus und mir blieb keine andere Wahl, als unverzüglich zu ihr zu kommen. „Ich komme später wieder, Kleines…“, murmelte ich leise zum Kälbchen und tätschelte zum Abschied sein Köpfchen. „Sei artig und warte auf Papa.“ Ich richtete mich wieder auf und drehte auf dem Absatz um und kaum nachdem ich den Stall verlassen hatte, schloss ich vorsichtig das Tor. Mirabelle wartet geduldig, die Arme verschränkt, vor ihrem Laden. Kaum nachdem ich in Sichtweite trat, hob sie schon freudig ihre etwas rundlicheren Arme. „Willkommen zurück, Vaughn!“ Und es fühlte sich tatsächlich wie ein ‚Willkommen zurück‘ an. Mittlerweile war der Nachmittag angebrochen und ich hatte ohne irgendeine Rast in Mirabelles Lager gearbeitet. Eigentlich war es vollkommen unmöglich, dass innerhalb von nur einer Woche so viel Unordnung ausbrechen konnte, wie es in diesem Raum tat. Wenn Mirabelle angeblich keine Kisten heben konnte und Julia zu schwächlich dazu war, dann fragte ich mich, wie die Kisten quer durch den Raum in einer anderen Ecke aufgestapelt worden sind. Aber es stand mir nicht zu, solche Dinge zu erfragen. Der Hunger in mir wurde langsam immer stärker und ich versuchte, das dumpfe Gefühl immer weiter zu verdrängen. Doch mehr als um mich selbst, sorgte ich mich für das kleine Kalb. Ich hatte mich noch nicht vergewissert, ob es verletzt war und auch sorgte ich mich darum, ob es nicht vielleicht zu wenig Milch gehabt hatte. Hastig vollendete ich meine Aufgaben und kehrte zu Mirabelles Stall zurück. Ich ließ das Tor weit offen, um ihm ein besseres Gefühl der Freiheit zu vermitteln und ließ mich neben dem Kälbchen nieder, das mich bereits freudig erwartet hatte. Es ließ sein Köpfchen auf meinen Schoß nieder und ich versuchte so gut wie es ging zu erspähen, ob ich irgendwelche Verletzungen ausfindig machen konnte. Glücklicherweise war dies nicht der Fall, aber mit einer Sache behielt ich Recht – das Kalb war unterernährt. „Hast du großen Hunger, Kleines?“, fragte ich liebevoll und kraulte einfühlsam seinen Kopf. Ohne dass ich meine Antwort erhielt, wusste ich, wie es sich fühlte. Ja – ich war wohl der einzige Mensch der Welt, der genau wusste, wie sich das kleine Kalb fühlte… „Vaughn…? Bist du hier drin?“ Eine sanfte Stimme drang von dem geöffneten Tor an mein Ohr und ohne dass ich es verhindern konnte, nahm mein Herzschlag abrupt zu. Es war sie. Ich war unfähig mich zu rühren oder ihr zu antworten und streichelte einfach das Kalb weiter, das immer noch seinen Kopf auf meinen Schoß hatte. Schritte kamen vorsichtig zu uns näher und dann sah ich, wie braune Haare um die Ecke wehten und ein Mädchen vor mir stand, nach dessen Anblick ich mich die gesamte Woche lang gesehnt hatte. Sie lächelte mich an und kam immer noch vorsichtig näher, offenbar darum bemüht, das kleine Kalb nicht zu erschrecken. „Seit wann bist du wieder hier?“, fragte sie mich immer noch mit einem Lächeln und ließ sich neben mir nieder. „Seit heute morgen“, erwiderte ich und wandte den Blick von ihr ab, um das Gefühl in mir in den Griff zu bekommen. „Wirklich? Warum hast du nichts gesagt?“ Ihre Stimme klang leicht enttäuscht. „Ich hätte dich heute morgen begrüßen und dir bei der Arbeit helfen können, weil…“ „Ich brauche keine Hilfe“, unterbrach ich sie barsch. Sie schwieg und es kam mir so vor, als ob ich sie geohrfeigt hätte – mit Worten. Das Gefühl, das sich nun in meinem Inneren ausbreitete war Reue – Reue, die ich zuvor noch nie so empfunden hatte. „Ist das Kalb noch sehr jung? Es scheint sehr an dir zu hängen.“ Überrascht wandte ich mich Chelsea zu, die immer noch ein ungetrübtes Lächeln auf den Lippen hatte. Ich konnte nicht verstehen, wie sie so einfühlsam das Thema wechseln und weiterhin so Lächeln konnte, nachdem ich so unfreundlich zu ihr gewesen war. „Es sollte eigentlich noch bei seiner Mutter sein“, antwortete ich immer noch leicht überrascht und als mir bewusst wurde, dass mein Cowboyhut nicht vollständig mein Gesicht verdeckte und ich sie anstarrte, wandte ich mich abrupt wieder von ihr ab. „Das arme kleine vermisst seine Mutter bestimmt… Und ich denke, seine Mutter empfindet dasselbe.“ Sie streckte vorsichtig ihren Arm aus, um den Kopf des Kalbs zu streicheln und berührte ausversehen meine Hand. Wir beide zuckten einen Moment lang zusammen, doch sie begann dennoch, das Kalb zu streicheln. „Es braucht Muttermilch. Ich befürchtete, es wurde sich auch nicht groß darum bemüht, ihm ordentliche Nahrung zu geben“, sagte ich leise. Genau in diesem Moment knurrte mein Magen auf und Chelsea begann zu lachen. „Offenbar ist das kleine Kalb nicht der einzige, der zu wenig Nahrung bekommen hat.“ Ich zog meinen Hut wieder tiefer hinunter, um meine Scham und mein rot angelaufenes Gesicht zu verbergen. Chelsea stupste mich leicht an und als ich aufsah, sah ich, dass sie mir eine Flasche Milch hinhielt. „Während deiner Abwesenheit habe ich mich um eine Kuh bemüht. Man sagt, das Produkt eines Tieres schmeckt umso besser, wenn die Fürsorge des Besitzers in das Herz des Tieres eindringt. Ich hoffe sehr, dass ich mich nicht zu dumm angestellt habe.“ Sie lächelte und hielt mir immer noch die Flasche hin. Zögerlich griff ich danach. „Danke“, murmelte ich leise und schraubte den Deckel der Flasche ab, um einen Schluck zu nehmen. Als der erste Tropfen meine Kehle hinab lief, wusste ich bereits, dass ich noch nie eine so schmackhafte Milch getrunken hatte. War der Grund dafür, dass Chelsea sich gut um ihr Vieh gekümmert hatte, oder war es für mich so köstlich, weil sie es war, die mir dieses Geschenk gemacht hatte…? „Und?“ Chelsea betrachtete mich auffordern und ich konnte in ihren Augen ablesen, dass sie hoffte, alles richtig getan zu haben. „Es ist köstlich“, gestand ich leise. „Ich habe noch niemals eine vergleichbare Milch mit dieser Qualität getrunken.“ Von meinem Lob gerührt, ergriff Chelsea meine Hand. „Danke – das verdanke ich nur dir.“ Zuerst realisierte ich nicht, was sie tat. Aber dann, als ich spürte, dass sie näher als sonst jemals war, und näher als sonst irgendjemand bereits bei mir war, brannte meine Hand auf. Ich zog sie zurück – mehr instinktiv als gewollt – und nickte nur benommen. Chelsea hatte sich bereits wieder dem kleinen Kalb zugewandt und ich fragte mich, wieso sie sich so um mich kümmerte, wenn sie nichts fühlte… Denn eines ist mir bei ihrer Berührung klar geworden: Das, wonach ich mich sehnte und hoffte, von ihr zu bekommen, war nicht das, was ich jemals von ihr erwarten konnte. „Meine Kuh ist einsam“, begann Chelsea zu murmeln. „Ich habe genug Geld gespart. Ich denke, ich könnte es mir leisten, ein weiteres Familienmitglied aufzunehmen, um die Einsamkeit aller zu vertreiben.“ Ich verstand was sie sagte – und ich bewunderte sie für ihren Einsatz. „Du willst das kleine Kalb von Mirabelle kaufen?“, fragte ich nach und sah sie an. „Ja. Ich denke, meine Kuh würde sich gerne als Mutter um sie kümmern.“ Sie lächelte mich wieder an und ich spürte wie die Wärme von ihr sich in mir ausbreitete. „Aber du kannst gerne sein Papa bleiben, wenn du das möchtest“, fuhr sie leise kichernd fort. „Wie wäre es, wenn du dem Kleinen einen Namen geben würdest…?“ Das kleine Kalb sah mich auffordernd an und ich lächelte ganz leicht. „Es ist ein Mädchen“, murmelte ich. „Wie findest du Mia…?“ Chelsea lachte und das kleine Kalb gab ein freudiges Geräusch von sich. „Dann ist es also beschlossen. Das kleine Kalb heißt von nun an Mia. Willkommen in meiner kleinen Familie Mia!“ Chelsea umarmte Mia vorsichtig und tätschelte ihm anschließend den Kopf. „Ich werde sofort zu Mirabelle gehen und ihr von meinem Familienzuwachs berichten.“ Sie strahlte mich an und abermals fragte ich mich, wieso es niemals so sein könnte, wie es sich mein tiefstes Innere wünschte. „Tu das.“ „Wenn du sie besuchen willst – du weißt ja wo meine Farm liegt. Meine kleine Familie würde sich freuen, wenn du ab und zu vorbeikommen würdest.“ Sie stand auf und ich atmete heimlich ihren Geruch ein. Mia hob den Kopf und stand vorsichtig, auf wackeligen Beinen auf. „Mach es gut, meine kleine Mia“, flüsterte ich zum Abschied und tätschelte sie. „Wir sehen uns morgen, Vaughn“, sagte Chelsea und winkte mir zu, als sie mit dem kleinen Kalb den Stall verließ. Kaum nachdem die Wärme neben mir erloschen war, wurde mir klar, wie sehr ich sie wirklich brauchte – und wie sehr ich diese Einsamkeit hasste. Wie eine tiefe Wunde spürte ich die Kälte wieder in mich hinein fließen und wünschte mir sofort aufs Neue meine einzige Quelle für Wärme. Ich griff in die Tasche und zog ihr rotes Kopftuch hervor, das sich immer noch in meiner Obhut befand. Ja – ein Besuch wäre äußerst angenehm. Und dennoch wurde mir wieder schlagartig bewusst, dass ihre Freundlichkeit zu mir nicht viel mehr war, als ihre persönliche Art mit Mitmenschen umzugehen. So sehr ich auch die Wahrheit kannte und so sehr sich auch mein Inneres dagegen sträubte und es nicht wahrhaben wollte, dass ihre Gefühle zu mir nie mehr sein würden, konnte ich sie nicht gehen lassen. Zu sehr war ich bereits von ihr verzaubert, um es rückgängig zu machen. Auch wenn das hieß, dass ich den traurigen Pfad des Schmerzes wählen würde. Kapitel 6: Eifersucht --------------------- Vorwort Gibt nicht viel dazu zu sagen. Danke an alle, die diesen 'Müll' lesen (oder vielleicht sollte ich besser sagen - die sich meine verkorksten Sätze antun? xD). Allgemein denke ich, dass die Sätze in diesem Kapitel leider etwas zu sehr abgehackt sind =_= <- als Vorwarnung. Trotzdem viel Spaß beim Lesen ^_^. P.S Die Handlung wird langsam böse . ________________________________________________________________________________ Eifersucht „Du musst etwas mehr Druck auf die Bürste ausüben“, wies ich Chelsea an, die sich gerade in ihrem Stall um die Tiere kümmerte. Der Mittag war bereits angebrochen und ich hatte meine Aufgaben mit größter Sorgfältigkeit sowie Schnelligkeit erledigt, um sie möglichst bald besuchen zu können. Das Köpfchen von Mia lag auf meinem Schoß, während sie zusammen mit mir die Arbeit von Chelsea betrachtete. „Ist es nun besser?“, fragte sie und wischte sich ihre Schweißperlen mit dem Saum ihres T-Shirts ab. „Viel besser. Die Arbeit ist zwar hart, aber wenn man genug Liebe hineinsteckt, dann werden die Tiere gut aufwachsen.“ Ich kraulte Mia ein wenig und wurde dafür mit einem glücklichen Laut belohnt. Chelsea betrachtete mich aus den Augenwinkeln und fuhr dann mit ihrer Arbeit fort. „Deine Arme sind bestimmt schon überarbeitet“, sagte ich besorgt und neigte den Kopf leicht zu ihr, damit ich sie besser sehen konnte. Es war ein wenig gemein von mir, dass sie nicht dasselbe tun konnte, da ich meinen Cowboyhut fast komplett über mein Gesicht gezogen hatte - aber ich wollte nicht, dass sie auch nur die geringste Emotion, die sich auf meinem Gesicht verbarg, lesen konnte. Genau genommen wusste ich, dass mein Gesicht sicherlich leicht rot war und meine Augen sicherlich ähnlich reagierten, wenn sie in meiner Nähe war. Ich wollte nicht, dass sie erfuhr, wie sehr ich sie wirklich brauchte. Ich spielte einen Moment mit ihrem Kopftuch in meiner Tasche, das sie mir zuvor geschenkt hatte. Sie trug bereits ein neues und hatte zu mir gesagt, ich würde es dringender brauchen als sie. Chelsea seufzte und ließ sich neben mir nieder. „Du hast Recht – ich bin schon ganz verspannt.“ Unwillkürlich griff ich nach ihren Armen und begann sie leicht zu massieren. Wir beide rührten uns nicht, bis Chelsea nach einiger Zeit sich von meinem Griff befreite und ihre Arme selbst rieb. „Vielen Dank, es ist schon viel besser als vorher“, murmelte sie und stand dann wieder abrupt auf, um ihre Arbeit fortzusetzen. Ich biss mir auf die Lippen und wollte mich am liebsten selbst schlagen dafür, dass ich meine Kontrolle verloren hatte. Es erforderte meine dauerhafte Konzentration ihr zu widerstehen und diese war nur schwer aufrechtzuerhalten, wenn sie in meiner Nähe war. Was tat ich hier eigentlich? War es nicht viel mehr als eine Ausrede, dass ich Mia sehen wollte? Im Grunde war es eine Lüge – eine Lüge, die nicht existieren sollte. Ich seufzte und sah in Mias große Augen, die mich besorgt ansahen. Aus irgendeinem Grund wusste das kleine Kalb, wie ich mich fühlte – dessen war ich mir absolut sicher. „Wenn du Durst hast, kannst du ruhig ein Glas Milch nehmen, Vaughn. Sie stehen in einer kleinen Kiste in der Ecke“, bot mir Chelsea freundlicher weise an und warf kurz einen Blick zu mir. „Ich will deine Erträge nicht verringern“, antwortete ich schlicht und zuckte mit den Schultern. In Wahrheit rebellierte mein Magen und mein Hals im Stillen und ich hätte am liebsten alles angenommen, das sie mir anbot. Aber ich wollte sie nicht ausnutzen. Ich sah ihr bereits den ganzen Mittag bei der Arbeit zu und wusste, dass ich von Anfang an Unrecht gehabt hatte. Sie gab sich stets viel Mühe und ignorierte Schmerzen gewissentlich, damit sie weiterarbeiten konnte. Ich wünschte, ich könnte ihr die Last abnehmen. Ich sah ihr eine Weile zu und vergaß beinahe meine wartenden Pflichten. Der Nachmittag war angebrochen und eigentlich hätte ich schon längst in Mirabelles Laden zurückkehren sollen. Ich wollte gerade aufstehen und mich von Chelsea verabschieden, als die Stalltür geöffnet wurde. Ich wandte mich zur Tür um und sah einen jungen Mann eintreten, den ich zuvor noch nie gesehen hatte. Er hatte braune Haare und trug auf seinen Schultern einen kleinen schwarzen Vogel, der sich interessiert umsah. „Hey, Chelsea!“, rief er in die hintere Ecke wo sie stand und sich weiter um ihre Kuh kümmerte. „Du wolltest mit mir Angeln gehen, schon vergessen?“ Sie drehte sich zu ihm um und kratze sich den Kopf. „Tut mir Leid, Danny. Ich war beschäftigt mit meinen Tieren, aber nun bin ich fertig.“ Sie lächelte entschuldigend und stellte den Eimer mit Wasser in einer Ecke ab. Sie kam zu mir herüber und klopfte mir auf die Schulter. „Darf ich vorstellen, Danny? Das ist Vaughn und er hat mir ein wenig bei der Arbeit geholfen.“ Ich zuckte bei der Berührung von ihr einen Moment zusammen, bevor ich meinen Hut noch ein Stück tiefer ins Gesicht zog. „Hi, Vaughn – ich bin Danny. Schön deine Bekanntschaft zu machen!“ Er streckte die Hand nach mir aus, aber ich ignorierte sie. Chelsea seufzte. „Sei nicht beleidigt, Danny. Vaughn ist ein wenig anders. Er meint es aber nicht böse.“ „Oh…“ Er kratze sich an der Nase und warf einen Blick zu seinem Vogel. „Das ist schon in Ordnung. Ach ja – es sind einige neue Bewohner auf die Insel gekommen. Ich hab sie heute Morgen von meiner Strandhütte aus beobachtet, wie sie ihre Ladung an Land brachten.“ „Das ist großartig“, sagte Chelsea leise lachend. „Endlich kommt mehr Leben auf die Insel.“ Ich betrachtete ihren freundlichen Umgang miteinander ein wenig skeptisch. Wie lange kannten sich die beiden schon? „Können wir aber jetzt am Strand angeln gehen?“, drängte Danny und grinste. Sein Grinsen steckte Chelsea an. „Klar. Hast du etwa wieder einen riesigen Fisch gesichtet?“, fragte sie interessiert. „Und was für einer! Ich sag‘ dir – er war mindestens drei Meter lang! Beeil dich, vielleicht erwischen wir das Vieh sogar noch!“ Enthusiastisch hechtete er zurück zur Tür und winkte sie herbei. „Tut mir leid, Vaughn. Ich muss gehen.“ Chelsea winkte mir zum Abschied zu und rannte Danny hinterher. Das Gefühl das ich fühlte, konnte ich nicht in Worte fassen. Es fühlte sich kalt an und die Einsamkeit schien deutlicher zu werden, als zuvor. Ich lachte ironisch auf. Natürlich wusste ich, dass ich niemand Besonderes war. Chelsea war immer nett zu allen – ich war da keine Ausnahme. Die Wahrheit war, dass ich sie mehr brauchte als sie mich. Sie hatte mich mit ihrer Freundlichkeit aus dem tiefen Loch der Einsamkeit gezogen. Aber das tat sie sicherlich nur aus Pflichtgefühl. Sie war eine absolute Optimistin – natürlich wollte sie, dass alle Inselbewohner glücklich leben konnten. Aber sie hatte bei mir Unrecht. Ich würde niemals glücklich sein. Ich kraulte ihre Tiere zum Abschied und schloss die Stalltür hinter mir. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass sie von jemand abgeholt wurde. Schließlich wartete auf mich noch eine Menge Arbeit, die ich nicht mehr länger aufschieben konnte. Wenn die Arbeit früher teils meiner eigenen Selbsterfüllung war, dann war dies nun nicht mehr der Fall. Je mehr ich an diesem Abend noch in Mirabelles Laden arbeitete, desto mehr fühlte ich, wie mir etwas fehlte. Und an der Stelle der inneren Leere drang sich noch ein ganz anderes Gefühl zusammen mit der Neugierde. Ich wusste selbst nur zu gut, dass ich meine Arbeit nicht mehr länger sorgfältig erledigte und es spielte auch keine Rolle mehr für mich. Ich biss mir auf die Lippe, als mir das Bild von Danny und Chelsea zusammen beim Angeln vor mein geistiges Auge schoss. Was war das für ein Gefühl? Ganz dumpf konnte ich mich daran erinnern. Aber nichts von meinen verschwommenen Erinnerungen ließ eine Vermutung zu. Ich stellte die letzte Kiste in das Regal und rannte hinaus, ohne weiter darüber nachzudenken. Leichter Regen hatte eingesetzt, aber ich rannte weiter in Richtung Chelseas Farm. Ich lugte in ihre Hütte, aber sah niemanden darin. Es gab keine Erklärung für mein Handeln. Ich rannte weiter in den hinteren Teil ihrer Farm und betrat den Stall, der ebenfalls leer war. Mia schreckte auf, als ich die Tür abrupt geöffnet hatte, aber ich schloss sie sogleich wieder mit einem lauten Knall und rannte wieder zurück. Der Regen wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Wo zur Hölle konnte Chelsea stecken? Ich wusste nicht wirklich, ob ich wegen meinem dumpfen Gefühl den Hang hinunter Richtung Strand rannte, oder weil ich tatsächlich dachte, dass sie bei dem strömenden Regen noch angeln konnte. Wie es eigentlich zu erwarten war, war der Steg am Strand völlig leer. Das Meer antwortete auf den Regen in großen Wellen, die an das Strandufer schlugen und teils sogar die Anlegestellen mit Wasser überflutete. Es war unmöglich, dass jemand zu dieser Zeit angeln würde. Ich ballte meine Fäuste und starrte einen Moment in die tobende See und stellte fest, dass das Gefühl von zuvor immer noch nicht verschwunden war. Wieso glaubte ich immer noch daran, dass Chelsea hier in der Nähe war? Ich versuchte mich in dem Regen umzusehen, aber der starke Wind blies mir fast meinen Cowboyhut vom Kopf und erschwerte das Sehen beträchtlich. Eine Hütte befand sich weiter oben am Strand und strahlte leichtes Licht durch die kleinen Fenster aus. Ich rannte ohne weiter darüber nachzudenken darauf zu und schlang die Arme um meinen völlig durchnässten Körper. Die Kälte sickerte in mich hinein und ich begann langsam zu zittern; nichtsdestotrotz dachte ich nicht einmal daran, umzukehren. Ich keuchte aus Erschöpfung, als ich an der Hütte ankam und lehnte mich einen Moment an die hölzerne Wand. Das Dach der Hütte war zu klein, um einen vollständigen Schutz gegen den Sturm zu bieten. Der Wind und der Regen peitschten mir ins Gesicht und ich ging an der Wand entlang weiter um die Ecke, zum nächsten Fenster. Ich setzte meinen triefend nassen Hut ab und lugte vorsichtig durch das kleine Fenster, das im Wind leicht ratterte. Ich sah zwei Personen um eine warme Feuerstelle in der Mitte, die sich als Danny und Chelsea entpuppten. Ihre völlig durchnässte Kleidung ließ darauf schließen, dass sie ebenfalls von dem Sturm überrascht wurden. Danny reichte ihr eine Decke, die sie unverzüglich annahm. Er schürte das Feuer und setzte sich mit einer weiteren Decke direkt neben sie. Ich wollte das nicht mit ansehen, aber aus irgendeinem Grund konnte ich mich vor dem Fenster nicht rühren. Danny reichte Chelsea einen Becher, bevor er sich selber einen nahm und rutschte noch ein Stückchen näher an sie heran, als sie begann zu zittern. Die beiden unterhielten sich über irgendetwas, das ich nicht verstand. Aber eines sah ich ganz deutlich durch das Fenster hindurch – dass Chelseas Wangen gerötet waren. Niemals zuvor hatte ich diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht gesehen, als sie bei mir war. Und nun wurde mir auch klar, dass das niemals bei mir der Fall sein würde. Habe ich es nicht von Anfang an gewusst? Sich mit irgendjemand einzulassen bedeutete nur, verletzt zu werden. War dies nicht der Grund gewesen, warum ich jahrelang jeden gemieden habe? Ich zwang mich selbst, meinen Blick von der Szene in der Hütte abzuwenden und rutschte mit dem Rücken an der Wand entlang zum Boden und ließ mich darauf nieder. Mein Körper war taub und die Kälte machte fast jede Bewegung unmöglich. Ich war völlig durchnässt und mein Hut hing schlaff in meiner Hand. Aber es gab nichts in diesem Moment, das mir etwas bedeutete. Selbst der Regen, der Wind und die Kälte wurden zu einer Nebensächlichkeit, die mich nicht kümmerte. Ich sah in die dunklen Wolken hinauf, dessen Zentrum nun genau über der Insel hing. Der Regen wurde immer stärker und ich konnte nicht länger sagen, ob das, was meine Wangen entlang lief Regen oder Tränen waren. Der bittere Geschmack der Eifersucht war schrecklich. Aber es war nicht alleine dieses Gefühl, wodurch ich mich so elendig fühlte. Wieder einmal wurde mir klar, dass es keine Erlösung für mich gab. Kapitel 7: Streitigkeiten ------------------------- Vorwort Nur um es mal zu erwähnen: Tut mir leid, wenn Fehler im Text sind... Es ist fast halb 3 Uhr morgens und na ja... Mein Kopf ist schon längst im Bett xD. Das Kapitel ist ein weiterer Beweis dafür, dass meine Story eine andere Bahn einschlägt. Wenn ihr das Kapitel gelesen habt, versteht ihr, wieso. ______________________________________________________________________________ Streitigkeiten Wie sehr konnte ein Herz verletzt werden, wenn es all die Jahre lang vereist und stumm war? Was war ich doch naiv gewesen. Hatte ich mir nicht selbst geschworen, dass solche Gefühle nie wieder einen Platz in meinem Inneren finden könnten? Aber ich hatte mich selbst verraten – und dafür den Schmerz erfahren. Mein Körper zitterte immer noch vor Kälte. Ich hatte mich in Mirabelles Stall verzogen, da ich zu stolz war, sie um Hilfe zu bitten. Draußen in der nächtlichen Dunkelheit tobte noch immer der Sturm, der nicht einmal annähernd daran dachte, seinen starken Wind und den Strom an Regen zu drosseln. Wie ich die vollkommene Lähmung überwunden hatte und mich schlussendlich dazu aufgerafft hatte, Unterschlupf zu suchen und von diesem unglückseligen Ort zu verschwinden, konnte ich nicht sagen. Es war unfassbar und noch immer kreisten meine Gedanken um die Geschehnisse, die an diesem Tag vorgefallen waren. Das schlimmste an allem war, dass ich mich wie der größte Idiot der Welt fühlte – und obendrein auch noch als der größte Verlierer, der vermutlich einen weiteren Tag auf dieser verdammten Insel festsitzen würde. Und alles nur wegen diesem dämlichen Sturm… Ich fluchte leise vor mich hin – aber ich wusste, dass ich so viel klagen konnte wie ich wollte, ohne dass sich irgendetwas an der Situation änderte. Empfand ich es nur so sehr als Verrat, dass Chelsea jemanden anderen mehr mochte als mich, weil sie die erste Person war, bei dieser ich glaubte sie würde mich verstehen? Es war schwierig für mich, Dinge und andere Menschen optimistisch anzusehen und man konnte es Chelseas Bemühungen hinzuschreiben, dass vielleicht doch ein winziger Teil in mir nun an das Gute glaubte. Sollte ich sie wegen ihrer Anstrengungen, mich auf den rechten Pfad zu führen, hassen? Vielleicht habe ich mir etwas vorgemacht, wenn ich geglaubt hatte, sie könnte etwas für mich empfinden – aber war sie es nicht trotzdem die Person gewesen, die mir aufhalf, als ich am Boden war? Ich war innerlich tot – doch jetzt spürte ich erneut, wie das Leben in mir floss. Ein leichtes, gezwungenes Lächeln huschte auf meine Lippen, während ich die Arme um meinen zitternden Körper schlang und versuchte, positiv zu denken. Wie sehr hätte ich es in diesem Moment genossen, eine Fähre zurück zum Festland nehmen zu können… Was gab es schmerzhafteres als unerwiderte Liebe? Ihr braunes Haar wehte sanft im Wind, während sie lachend meinem Trugbild zu winkte. Ich wusste, dass dies ein Traum war – warum war es trotzallem so schwer, zu widerstehen? Mein eigenes Abbild bewegte sich bedachtsam auf sie zu, während sie sich lächelnd auf der Wiese niederließ, die geradezu unendlich dem Horizont entgegen strebte. Ich wollte ihr zartes Gesicht und auch nicht ihr Lächeln nicht ansehen – vor allem nicht, wenn ihr Traumschatten mich mit diesem tiefen Blick ansah, den ich wünschte, ebenfalls auf dem Gesicht der echten Chelsea sehen zu können. Nichts als Illusion. Ich ließ mich neben Chelseas Schatten nieder und widerstand dem Impuls, in ihr unwirkliches Gesicht zu sehen. Deutlich konnte ich die Wunde in meinem Herzen spüren, aber ich wusste, dass alles vergeben war. „Bist du nicht glücklich, Vaughn?“, fragte sie mit sanfter Stimme. Ich versuchte meine Finger zu bewegen und meine wahren Augen zu öffnen, aber nichts von all dem gelang mir. Ich setzte den Hut von meinem Abbild ab und sah ihr Trugbild mit funkelndem Blick an. „Was bist du? Ein Dämon? Ein Albtraum? Warum verfolgst du mich sogar bis hierher…?“ Es grenzte an Lächerlichkeit, dass ich eine Diskussion mit meinen eigenen Hirngespinsten führte. „Ich bin das, was du am meisten begehrst“, antworte das Trugbild ergeben. „Ich bin kein Albtraum.“ „Ich brauche diese Lüge nicht“, sagte ich mit scharfen Unterton und funkelte sie wütend an. „Geh in die tiefen Abgründe meines Kopfes zurück und bleib dort.“ Der Schatten erhob sich ohne Widerworte und verschwand ins Nichts. Doch nichts änderte sich. Ich saß alleine auf der Wiese, unfähig aus diesem Traum zu erwachen. War es nicht ironisch? Die idyllische Umgebung bedeutete mir nichts – dieses Paradies war für mich nicht mehr als ein leerer, kahler Fleck, auf dem ich nicht glücklich sein konnte. Wo konnte ich meinen Frieden finden, wenn nicht einmal der Traum mir Sicherheit gab? Jedoch bereute ich es nicht, Chelsea aus diesem Traum verbannt zu haben. Es war meine Welt. Der Regen prasselte mit ungehaltener Kraft auf das Stalldach und weckte mich aus meinen finsteren Traum. Ich fluchte leise; verfluchte diesen Regen, meinen Traum und all das, das mir am frühen Morgen bereits Kopfschmerzen brachte. Mit einer Hand strich ich mir durch meine Haare, die seltsamer Weise immer noch leicht feucht waren, und mit der anderen griff ich nach meinen Cowboyhut, den ich in der gestrigen Nacht neben mir platziert hatte. Träge richtete ich mich auf und untersuchte meine Kleidung, die allerdings ebenfalls kaum getrocknet war. Aber eigentlich würde das sowieso keine große Rolle spielen – schließlich stürmte es draußen unerschöpflich. Ich ließ meinen Blick über die Tiere im Stall schweifen, die sich wegen dem Sturm möglichst eng zusammengetan hatten und ging schließlich zu ihnen hinüber, um sie beruhigend zu streicheln. Der ewig andauernde Regen und Wind hatte die Temperatur enorm abgekühlt und ich überlegte besorgt, ob ich Decken für das Vieh besorgen sollte. Als ich mich nach einem hilflosen Laut umdrehte und in die großen, weiten Augen einer jungen Kuh sah, erinnerte sich ein Teil von meinem Kopf an die Tiere in Chelseas Stall. Sollte es mich kümmern…? Da ich aber anscheinend sowieso einen weiteren Tag auf der Insel verbringen musste, konnte ich auch gleich meiner Arbeit weiter nachgehen. Chelsea war mit Sicherheit noch nicht zurückgekehrt. Ich biss mir auf die Lippen bei den Gedanken daran und schlug mich mit der flachen Hand selbst – als Bestrafung dafür, dass ich wieder einmal die Kontrolle über meinen eigenen Kopf verloren hatte. Ich griff nach meinen Kleidern und zog sie an, während ich weiterhin besorgte Blicke den Tieren im Stall zu warf. Wenn ich zurückkam, würde ich versuchen sie aufzuheitern. Ich verließ den Stall, bog nach rechts ab und lief den kleinen Pfad hinauf zu Chelseas Farm entlang. Der Regen war nicht mehr so schlimm wie gestern Abend, aber ohne auch nur einen Blick auf das Meer zu werfen wusste ich, dass die See ein einziger reißender Strom war. Und den dunklen Wolken zu urteilen, die fast pechschwarz über der Insel hingen, würde das Unwetter vermutlich noch mindestens den ganzen Tag so weitergehen. Als Chelseas kleine Hütte in Sichtweite kam, verlangsamte ich meine Schritte und schlich mit meinem Hut über das Gesicht gezogen zu einem Fenster. Was war ich? Ein Bösewicht? Ich wollte nicht mit ihr sprechen – das hatte ich mir geschworen. Doch wie lange sollte ich sie meiden? Solange, bis die Wunde in meinem Herzen wieder verheilt war? Ich sah durch das kleine Fenster an der Seite hinein und stellte fest, dass sie nicht da war. War sie etwa bei den Tieren oder war sie immer noch bei…? Ich schlug mich wieder selbst – es ging mich nichts an, was sie tat. Jedoch war ich immer noch besorgt über ihre Tiere und hechtete durch den Regen in den hinteren Teil ihrer Farm. Als ich die Stalltür öffnete, kam mir sofort Mia mit einem glücklichen Laut entgegen und reckte ihr Köpfchen zu mir, damit ich sie streicheln konnte. Ganz sanft lächelte ich; kraulte ihren Kopf und als die andere Kuh ebenfalls ankam, um sich ihre Streicheleinheiten abzuholen, wurde mir klar, dass Chelsea heute noch nicht hier gewesen sein konnte. Ich konnte es nicht mit meinem guten Gewissen vereinbaren, die Tiere ohne Futter zurückzulassen – denn wer wusste, ob Chelsea heute noch nach ihnen sehen würde. Ich stockte einen Moment und schämte mich für meine Gedanken. Sie war ein guter Mensch – sie würde die Tiere nicht einfach so zurücklassen. Aber das war auch das einzig Positive an ihr. Ich sollte mir nichts vormachen. Chelseas Vieh war höchst erfreut darüber, dass ich ihnen Futter gab – und es heiterte mich ein wenig auf, in ihre glücklichen Mienen zu sehen. Viele mochten es vielleicht nicht verstehen – aber ich spürte es, wenn Tiere glücklich waren. Zufrieden verließ ich den Stall, nachdem ich mich noch vergewissert hatte, dass dieser in einem äußerst guten Zustand war. Von weitem konnte ich die tobende See sehen und mir wurde wieder einmal schlagkräftig bewusst, wer sich dort unten am Strand befand. Aber es ging mich nichts an. Wir waren Freunde. Nur Freunde. Es sollte mir egal sein, wo und mit wem sie sich befand. Frustriert stampfte ich durch den Regen und schlug den Weg Richtung Ostteil der Stadt ein. Die Tiere befanden sich in bester Obhut – was also sollte ich den Rest des Tages noch machen? Seufzend kickte ich einen Stein beim Laufen vor mich her und hasste mich im Stillen selbst. Ein hauchzarter rosa Schirm flog im Wind vor meine Füße und ich sah auf. Ein junges Mädchen mit langen schwarzen Haaren und einer großen, runden Brille kam mir keuchend entgegen gelaufen. „Es tut mir so leid! Es tut mir so leid! Danke, dass du meinen Schirm aufgehalten hast! Er ist mir bei dem Regen aus den Fingern gerutscht!“ Sie verbeugte sich energisch vor mir und ich sah sie perplex an, da ich eigentlich überhaupt nichts getan hatte, das Dank erforderte. Ich beugte mich, hob ihren Schirm auf und reichte ihn ihr. „Vielen Dank! Du bist so nett zu mir!“ Fast schon beschämt griff sie nach dem Schirm und verbeugte sich wieder dankbar. Ich verschränkte die Arme und sah sie skeptisch an. Sie sah nicht so aus, als ob sie eine Person wäre, die normalerweise ihre Zeit draußen verbringt. „Und wer bist du?“, brachte ich kühl hervor. „Oh, tut mir leid! Wie unhöflich von mir!“ Wieder einmal verbeugte sie sich und rückte ihre Brille zurecht. Welch eine nervige Person – naiv, optimistisch und zu gut erzogen. „Ich bin Sabrina und erst gestern Morgen auf diese Insel mit meinem Vater gezogen. Freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen – ähm.“ Sie stoppte und sah mich auffordernd an. Ich verdrehte die Augen und zog meinen Hut tiefer über das Gesicht. „Vaughn“, grummelte ich. „Was macht ein Mädchen wie du eigentlich bei diesem Sturm draußen?“ Sie schien ein wenig von meiner Frage irritiert und klammerte sich fester an den Griff des Schirms. „Ich habe… Inspiration gesucht.“ „Inspiration?“, hakte ich nach und runzelte die Stirn. „Ich male gerne. Besonders Landschaften. Ich dachte, dass der Sturm vielleicht ein gutes Motiv erbringen könnte… Aber wenn ich ehrlich bin, bringt er mir nur Ärger ein. Wenn mein Vater erfährt, dass ich alleine draußen bei diesem Unwetter war, dann wird er wütend auf mich sein.“ Sie sah seufzend zu Boden und ich fragte mich, was genau sich in mir regte. War das tatsächlich Mitleid? „Ich werde niemanden etwas erzählen“, versicherte ich ihr und wunderte mich selbst, dass ich so frei mit jemanden reden konnte. Sabrina lächelte mich an und verbeugte sich wieder dankbar. „Vielen Dank für deine Hilfe. Du bist wirklich sehr nett. Ich werde mich jetzt auf den Weg nach Hause machen. Wenn du willst, kannst du mich gerne einmal besuchen kommen.“ Ich dachte zwar nicht wirklich über das Angebot nach, aber ich nickte. Gerade als sie sich vermutlich verabschieden wollte und ihren Mund geöffnet hatte, spürte ich, wie eine andere Person auf uns zu kam. „Sabrina? Vaughn?“ Ich hätte fluchen können – wünschte mir ein Loch, in dem ich mich verstecken konnte. Chelsea kam angerannt und blieb keuchend und völlig durchnässt neben uns zum Stehen. „Guten Tag, Chelsea“, grüßte sie Sabrina höflich und lächelte wieder. „Hallo Sabrina“, brachte Chelsea außer Atem hervor und schob sich die nassen Haare aus dem Gesicht. „Solltest du nicht zu deinem Anwesen zurückkehren?“ „Ja, da hast du wohl Recht. Wenn ihr beiden mich entschuldigen würdet – Vaughn, Chelsea…“ Sabrina verbeugte sich abermals und wandte sich von uns ab. Chelsea und ich schwiegen. Ich wollte gerade kehrt machen, als sie ihren Mund öffnete. „Ich wusste gar nicht, dass du dich um Freundschaften bemühst“, sagte sie und lächelte leicht. „Diese Seite von dir kenne ich gar nicht.“ „Hmpf“, antwortete ich und ignorierte das flaue Gefühl in meinem Magen, das langsam ein Kribbeln über meinen gesamten Körper auslöste. „Ich bin ihr zufällig begegnet und dann haben wir uns unterhalten.“ „Das ist schön“, entgegnete Chelsea mit einem strahlenden Lächeln. Urplötzlich wurde ihre Miene wieder ernster und sie sah mich prüfend an. „Hast du dich um meine Tiere gekümmert?“ Nach ihrem Tonfall zu schätzen klang es schon fast wie eine Anklage. „Und wenn es so wäre?“, fragte ich sie herausfordernd. „Hattest du etwa Angst, ich würde mich nicht um meine Tiere kümmern?“, hakte sie weiter nach. Ich war mir eindeutig sicher, dass sie wütend auf mich war. „Wer weiß. Du warst ja auch nicht Zuhause. Und da nicht viele Möglichkeiten blieben, wo du stecken könntest, habe ich mich eben dazu entschlossen, deinen Tieren Gesellschaft zu leisten“, erwiderte ich kühl. Chelsea funkelte mich wütend an und ich konnte aus ihrem Gesicht ablesen, dass sie um Fassung bemüht war. „Glaubst du etwa allen Ernstes, ich bin so verantwortungslos und würde mich nicht um mein Vieh kümmern, nur wegen einem bisschen Regen?!“, schrie sie mich an. „Es mag zwar sein, dass ich unerfahren bin, aber ich bemühe mich! Merkst du das denn nicht?!“ Ich biss mir auf die Lippen; wollte etwas erwidern. Und konnte es nicht. „Nur weil ich bei Denny war“, begann sie wieder und brach dann abrupt ab. Nun war es offiziell – nicht wahr…? „Tiere gehen vor dem eigentlichen Privatleben vor. Ich wusste, dass du nicht mehr in deine Hütte zurückgekehrt bist und auch, dass du bei Denny warst. Ich wollte nur nach deinen Tieren sehen – da du ja offenbar vergessen hast, dass sie existieren. Sie hätten bei dem Sturm Nähe gebraucht. Fürsorge. Aber das war dir ja vollkommen gleichgültig – Hauptsache für dich war jemand da.“ Die Worte sind einfach so aus meinem Mund geflossen und der scharfe Ton, der mitschwang, war schlimmer als jede Ohrfeige, die ich ihr hätte geben können. Chelsea schwieg – schockiert über meine Worte. Ohne eine weitere Sekunde zu vergeuden, drehte ich mich auf den Absatz um und rannte zurück Richtung Mirabelles Stall – dem einzigen Zufluchtsort, der mir blieb. Trotz den wieder stärker gewordenen Regens hörte ich, wie Chelsea etwas vor sich her murmelte – doch ihre Worte gingen in dem Sturm unter. Dies war unser erster Streit – und auch unser Letzter. Ich ließ mich schweren Atems auf den Boden in Mirabelles Stall sinken. Mir wurde eines klar – wenn ich mich in Anderer Angelegenheiten einmischte, musste ich die Konsequenzen tragen. Doch von nun an würde ich Chelsea ignorieren. Trotz unseres Streitgesprächs hatte ich die ganze Zeit über dieses unausgefüllte Loch in mir gespürt. Wie konnte es verschwinden? Habe ich mich etwa nur in Chelsea verliebt, weil sie die erste Person war, die mir aufgeholfen hatte? Ich habe mir die ganze Zeit nur etwas vorgemacht. Es gab sicherlich noch genug andere nette Menschen auf der Welt. Sabrina zum Beispiel hatte mich genauso freudig aufgenommen wie es Chelsea getan hatte. Und wenn ich das Loch in meinem Inneren wieder füllen wollte, dann musste ich sie durch Jemanden ersetzen. Kapitel 8: Veränderung ---------------------- Vorwort 1. Tut mir leid, dass es solange gedauert hat. Meine Schule hat schon wieder angefangen und ich bin bis Abends in der Schule und darf dann noch lernen und Hausaufgaben machen. Mir bleibt nicht viel Zeit für Freizeit übrig und diese nutze ich meistens nicht zum Schreiben. 2. Ebenfalls tut es mir leid, dass ich denke, dass die 'Qualität' der Kapitels gesunken ist. Wegen dem oben genannten Grund habe ich leider nicht viel Zeit zum Schreiben und quasi auch 'zum Nachdenken'. Deswegen bitte ich auch alle Rechtschreib/Grammatikfehler zu entschuldigen, falls welche auftreten sollten. Es ist zwar eine Schande für mich, aber na ja ._. ... __________________________________________________________________________ Veränderung Die Wochen vergingen und eine neue Jahreszeit brach an. Die milden Temperaturen und das ungestüme Wetter wurden von Hitze und Sonne verbannt, die nun jeden Tag über die Insel herrschten. Doch die neue Zeit brachte weder Ordnung in meine Gefühle, noch schenkte sie mir einen ruhigen Tag. Ich versuchte stets, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, selbst wenn die Schuldgefühle auf meine Brust drückten und ich jedes Mal kurz davor war, aufzugeben. Aber es waren nicht mehr als diese lästigen Schuldgefühlen. Nicht mehr. Chelsea und ich hatten seit unserem Streit an diesem stürmischen Tag nicht mehr miteinander gesprochen. Jedoch war es mehr zu einer vollkommen Verleugnung der Existenz geworden. Weder sah sie mich an, noch sah ich sie an – kein Wort, kein Blick und auch keine einzige Geste tauschten wir untereinander aus. Natürlich war sie sauer auf mich – wer konnte ihr das verdenken? Trotz alldem glaubte ich immer noch, dass sie es verdient hatte – wieso wurde ich allerdings diese Gefühle in mir nicht los? Es ergab keinen Sinn. Die beruhigende Brise des Meeres streichelte zart über meine Wangen und ich sah hinauf in die strahlende Sonne, die mich zur Begrüßung belächelte. Ich befand mich auf der Fähre, die mich wieder zur Insel befördern würde – das bedeutete, dass wieder einmal belanglose Tage an mir vorbei gestrichen waren. Es war die völlige Wahrheit, dass ich mittlerweile von dem Inselleben abhängig war. Im Laufe der Wochen kamen immer mehr Bewohner an, die sich spontan dazu entschlossen hatten, dort zu wohnen oder Urlaub zu machen. Jede Woche, wenn ich mehrere Tage abwesend war und wiederkehrte, kam mir die Insel immer belebter vor als zuvor. Ich seufzte wohlwollig auf und lehnte mich etwas weiter nach vorn. Aber die Ruhe in mir war nicht viel mehr als eine gut durchdachte Lüge. Nachdem die Fähre an dem kleinen Steg der Insel angelegt hatte und ich bereits den ersten Schritt auf festem Boden tat, hörte ich auch die hastigen Schritte von Sabrina, die sofort auf mich stürmte. Es war Gewohnheit geworden. Die einzige Person, die seit Wochen jedes Mal am Steg auf mich wartete, war sie gewesen. Ich verstand nicht, wieso sie es tat – aber es tat gut, ein bekanntes Gesicht nach der langen Fahrt zu erblicken. „Wie war deine Woche, Vaughn?“, fragte sie freundlich und lächelte mich an. „Wie immer. Es gab nichts besonderes, das man Interesse hätte wecken können.“ Ich warf ihr einen Seitenblick zu und sah, wie ihre Haut erhitzt und sie schwer am Atmen war. „Alles in Ordnung?“, fragte ich. „Tut mir leid“, murmelte sie leise. „Ich hatte Angst, nicht rechtzeitig am Strand zu sein und bin hierher gerannt.“ „Dummerchen!“, sagte ich barsch und verdrehte die Augen. „Ich muss nun ohnehin arbeiten, die Mühe hättest du dir sparen können.“ „Tut mir leid“, murmelte sie wieder und verbeugte sich entschuldigend. Ich seufzte und rückte meinen Cowboyhut zurecht. „Gab es etwas Besonderes während meiner Abwesenheit?“, fragte ich, während ich den Steg entlang lief. „Die Insel wird immer bewohnter“, erwiderte Sabrina lächelnd. „Es macht Spaß, den neuen Menschen zu helfen, sich einzugewöhnen.“ „Hm“, murmelte ich leise. Ich dachte daran, wie es mir erging, als ich zum ersten Mal auf der Insel ankam. Es war meiner kühlen Art zum Dank gewesen, dass ich mit niemanden etwas zu tun haben wollte – außer mit Chelsea. Sie war von Anfang an anders gewesen und hatte mir geholfen, ohne dass ich es überhaupt wollte. Ich wusste genau, dass sich in meinem Inneren etwas verändert hatte. „Sag mal, Vaughn“, begann Sabrina vorsichtig, „willst du dich nicht wieder mit Chelsea versöhnen? Ihr habt seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Ich dachte, sie sei dir wichtig.“ Ich warf ihr einen finstern Blick zu und knirschte mit den Zähnen. „Wann habe ich gesagt, dass sie mir wichtig ist?“, fragte ich um Beherrschung bemüht und fühlte mich gleichzeitig ertappt. „Gar nicht, aber ich hatte so ein Gefühl“, murmelte sie leise. „Dem ist nicht so. Sie war nur eine… Bekannte“, log ich mit der besten Überzeugungskraft die ich aufbringen konnte. Niemand auf der Welt konnte mich dazu bewegen, meine wahren Gefühle zu offenbaren. Oder vielmehr die Gefühle, die ich damals empfunden hatte… Denn ich wusste, dass es darin keine Zukunft gab. „Oh – das… Tut mir leid, dir Unbehagen bereitet zu haben.“ Sabrina lief rot an und verbeugte sich wieder entschuldigend. „Schon gut“, schnaubte ich und stampfte durch den Sand. Als die ersten Häuser in Sichtweite kamen, sah ich bereits die ersten neuen Gesichter. Eine kleine Gruppierung hatte sich vor Chens Laden versammelt, die alle angestrengt seinem Vortrag lauschten, während Charlie in der Nähe wieder an irgendetwas herumbastelte. „Soll ich sie dir vorstellen?“, bot Sabrina an, doch ich schüttelte rasch den Kopf. „Keinen Bedarf.“ Sie seufzte und versuchte, meinem eiligen Schritt zu folgen. Ich machte vor Mirabelles Laden halt und drehte mich zu ihr um. „Du kannst jetzt gehen. Du steht mir nur im Weg, wenn ich arbeite.“ „In Ordnung. Ich werde dann Lanna einen Besuch abstatten“, erklärte Sabrina lächelnd. „Wer ist Lanna?“, fragte ich verwirrt und kramte in meiner Erinnerung nach einer Person dieses Namens. „Sie ist erst vor einigen Tagen angekommen. Offenbar ist sie ein berühmtes Idol auf dem Festland und möchte nun erst einmal einige Zeit sich entspannen können.“ „Gut. Bis später“, sagte ich und öffnete die Tür zu Mirabelles Laden. Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie mir Sabrina zum Abschied zuwinkte. ~*~ Ich wusste nicht, wie es zu dieser Situation kam, jedoch wurde mir schlagkräftig bewusst, dass ich hier nicht sein sollte. Zumindest war es eine der wenigen Male in meinem Leben, wo ich zutiefst verlegen war. Julia reichte mir ein Glas, während Mirabelle einen großen Kochtopf auf die Mitte des Tisches stellte und sich schließlich selber hinsetzte. Ich konnte zwar nicht leugnen, dass mein Magen vor Hunger rebellierte und ich eigentlich recht dankbar darüber war, zum Essen eingeladen zu sein – aber nichtsdestotrotz blieb es beschämend. „Schön, dass du endlich mal mit uns isst, Vaughn“, sagte Julia lächelnd und nahm neben mir auf dem freien Stuhl Platz. „Der Hunger siegt über den Stolz, nicht wahr, Vaughn?“, lachte Mirabelle und griff nach dem Teller vor mir, um mir eine Portion ihres Gerichts aufzuhäufen. „Danke“, murmelte ich ganz leise, dass es kaum zu hören war, aber ich konnte es ihren Gesichter ablesen, dass sie es gehört hatten. „Ich denke eher, dass er eingesehen hat, dass das Vermeiden von Menschen auf Dauer nicht wirkt“, warf Julia leicht spöttisch lächelnd ein, während sie ihre Gabel in den Mund schob. Mirabelle warf ihr einen tadelnden Blick zu, aber ich hatte bereits erkannt, dass es nicht in ihrer Absicht lag mich zu kränken – und das würde sie auch niemals schaffen. Schließlich wusste ich, dass es der Wahrheit entsprach. Ich griff zögerlich nach der Gabel, die vor mir lag, und stieß einige Nudeln auf, die sich auf meinem Teller befanden. Es bereitete mir Unbehagen, dass Mirabelle und Julia mich interessiert musterten – und es war ihnen auch nicht zu verdenken, wenn man in Betracht zog, wie ich mich Anfangs verhalten hatte. Seufzend schob ich die Gabel in den Mund und musste mir selbst eingestehen, dass es gut schmeckte und es auch nicht so schlimm war wie gedacht, mit anderen Menschen, die man fast als Familie bezeichnen könnte, zu essen. „Schmeckt gut“, gab ich schließlich zu und erklärte mich meinem Magen geschlagen. Es war viel Zeit vergangen, dass ich das letzte Mal so viel und so befriedigt gegessen hatte. Und in gewisser Weise war ich glücklich. „Hier, bitte“, sagte Mirabelle lächelnd und hielt mir ein Glas mit Milch vor das Gesicht. „So schnell wie du das Essen verschlungen hast, wirst du wohl etwas Trinken müssen.“ Ich nickte und nahm ergeben einen Schluck. Der Geschmack der Milch erinnerte mich an etwas, doch es war völlig anders, als meine brüchige Erinnerung es zuließ zu sagen. Ich runzelte die Stirn und stellte das Glas vor mir wieder ab. „Was ist das für eine Milch?“, fragte ich irritiert und starrte gerade aus an die Wand. „Von Chelseas Farm natürlich. Ich bin so glücklich, nun jeden Tag frische Milch zu haben“, schwärmte Mirabelle und Julia kicherte leise, als sie begann den Tisch abzuräumen. „Von einer Kuh von Chelsea…?“, murmelte ich leise und ungläubig. Es war lange her gewesen – viele Wochen – jedoch konnte ich mich noch genau daran erinnern, wie die Milch geschmeckt hatte, die mir Chelsea geschenkt hatte. Sie hatte besonders geschmeckt, einzigartig und mit jedem Schluck hat man die starke Verbundenheit zu ihren Tieren gespürt. Doch nun hatte diese Milch nichts mehr davon. Natürlich konnte man nicht behaupten, sie sei schlecht – aber die Qualität war vollkommen verfallen und machte es auf gewisse Weise sogar ordinär. Ich mochte Chelsea zwar zu Unrecht beschuldigt haben, sich nicht um ihre Tiere zu kümmern, doch nun war ich mir nicht mehr so sicher. Ich wollte nicht an sie denken – wollte selbst ihre beide Kühe, die ich lieb gewonnen hatte, vergessen – versuchte alle Erinnerungen daran seit Wochen zu vergessen – doch nun war es vergebens. Es war besorgniserregend. Ich konnte mir nicht klären, was diesen Wandel herbeigeführt haben könnte. ~*~ Als der Abend anbrach und ich meine harte Arbeit vollendet hatte, kreisten meine Gedanken immer noch um die Milch von Chelsea. Vielleicht war es meine Pflicht als jemand, der sich stets um Fürsorge bei Tieren bemüht hat, diesen Umstand als seltsam anzusehen. Aber irgendwie jagte es mir auch Angst ein… Ich setzte meinen Cowboygut ab und wedelte mir kurz Wind zu, um mein durchschwitztes Gesicht zu trocknen. Die Nachtluft im Sommer war immer noch so warm, dass ich mir am liebsten fast den Winter wünschte. Was gab es schlimmeres außer Hitze bei der Arbeit? Aus der Ferne sah ich, dass Sabrina auf ihren Weg war, mich zu besuchen – wie sie es seit Wochen tat. Anfänglich war ich genervt davon gewesen, aber nun wusste ich ihre Anwesenheit sogar zu schätzen – so naiv sie doch war, desto mehr konnte sie einem Trost spenden. Obwohl ich sie niemals darum gebeten hatte, war sie Anfangs für mich dagewesen, als ich Chelsea im Stummen hinterher getrauert hatte. Und ich war ihr dankbar dafür. „Guten Abend, Vaughn“, grüßte mich Sabrina lächelnd und ich hob zum Gruß die Hand an. „Wie war dein Tag?“, fuhr sie fort und legte den Kopf schief. „Du siehst etwas durcheinander aus.“ „Bin ich auch“, gestand ich und fuhr mit einer Hand durch mein Haar. Es war sinnlos zu leugnen, dass ich vollkommen den Verstand verloren hatte. Was interessiert mich die Qualität von irgendeiner bescheuerten Milch? Immer mehr bekam ich das Gefühl, dass ich mich selbst nur belog – und dass das Interesse nicht an meinem Pflichtgefühl lag. „Hast du schon einmal Milch von Chelseas Farm getrunken?“, fragte ich schlicht und setzte meinen Hut wieder auf. „Oh, ja“, erwiderte sie prompt und strahlte. „Es ist eindeutig die beste Milch, die ich jemals in meinem Leben getrunken habe! Sie verdient wirklich großen Respekt!“ Ich überging ihre Antwort. „Wann hast du zuletzt Milch von ihr getrunken?“ „Als ich auf die Insel kam – sie hat es mir als Willkommensgeschenk überreicht.“ Ich hatte es gewusst – ich hatte Recht. Sabrina sah mich irritiert an. „Was ist los, Vaughn?“ „Die Qualität der Milch ist gesunken“, antwortete ich ohne Umschweife. „Und wenn das geschieht, dann liegt es an dem Besitzer und an dessen Probleme. Sabrina. Weißt du, welches Problem Chelsea haben könnte, dass sie sich weniger um ihre Tiere sorgt?“ Einen Moment lang musterte sie mich noch verständnislos, bis sie anfing, ihre Stirn in Falten zu legen und nachzudenken. „Nun, ich könnte falsch liegen, aber…“, murmelte sie leise. „Was?“, hakte ich nach. „Als Lanna auf die Insel gekommen war, hab ich Chelsea kaum mehr gesehen. Sie war vorher viel mit Denny unterwegs, aber seit diesem Tag nicht mehr. Ich war Lanna vorhin sogar besuchen, weil ich ein Portrait von ihr zeichnen wollte und sie hatte Danny zu Besuch. Es wäre möglich, dass…“ Sie stockte. „Was?“, hakte ich weiter grummelnd nach. Im Grunde bedarf es keinen weiteren Satz mehr – aber ich wollte es hören. Weil ich den Schmerz fühlen wollte. „Ich denke, dass Lanna und Denny Interesse füreinander gefunden haben und Chelsea nun Liebeskummer hat“, vollendete Sabrina meine Gedanken. Und da fühlte ich den gewünschten Schmerz. Natürlich wusste ich, dass sie nichts für mich empfand, aber dennoch war die Wahrheit verletzend. So verletzend, dass ich versucht hatte, sie die letzten Woche zu verdrängen. Und damit eine andere Person hineingezogen hatte. Ich starrte in die Ferne, fluchte innerlich und vergaß dabei beinahe, dass Sabrina immer noch neben mir stand. „Vaughn“, begann sie leise. „Lanna und Denny…“ Ich folgte ihrem Ruf und drehte mich um – und was ich sah, bestätige unsere Vermutung. Denny und Lanna liefen beide den Weg entlang und hielten Händchen. Es war eine vollkommen unmissverständliche Geste. „Wo ist Chelsea?“, fragte ich ohne nachzudenken und ohne zu bemerken, dass sie bereits wenige Meter hinter mir stand. Nach der wochenlange Ignoranz schmerzte es, sie zu sehen – aber noch schmerzte es, ihre geschwollenen Augen zu sehen und die Tränen, die darin aufstiegen. Es war alles ein verdammter Zufall – ein Zufall, der sich innerhalb von wenigen Sekunden ereignete. Chelsea ballte die Hände zu Fäusten, versuchte ihre Tränen zu unterdrücken und rannte ohne ein weites Wort weg. Ich sah ihr eine Zeitlang hinterher, bevor ich Denny und Lanna wieder einen Blick zu warf, die glücklich zusammen schienen. Aber nicht alle Menschen wurde das Glück gegönnt. Und es machte mich rasend. Kapitel 9: Initiative --------------------- Anmerkungen: Ich will nur eines sagen und zwar, dass dieses Kapitel durch den kuriosen, undefinierbaren Gedankengang in meinem noch seltsameren Kopf anders geworden ist, als es ursprünglich geplant war. Aber ich denke, niemand wird mir den Kopf dafür abreißen xD. Zweitens, das Kapitel ist etwas kürzer, als die anderen. Aber das hat auch einen Grund, den ihr vielleicht am Ende des Kapitels versteht. Und blabla... Ich rede immer so viel <_<'. ______________________________________________________________________________________ Initiative Dass ich verrückt war, wusste ich bereits. Andererseits hätte mein eigenes Verhalten in diesem Moment nicht nur an meinem gesunden Menschenverstand appelliert, sondern auch noch meine vollkommene Zurechnungsfähigkeit in Frage gestellt. Obwohl ich wusste, dass es nichts Schlimmeres gab, als den Schmerz der Emotionen – und dass dieser nun mal ein trauriger Bestandteil des menschlichen Daseins war – fühlte ich gleichzeitig, dass der Zeitpunkt gekommen war, auf den ich im Geheimen gewartet hatte. So wenig Gewisses wie es bisher in meinen Leben gab, desto sehr wollte ich die Gewissheit in der Gegenwart finden. Ich hatte Angst gehabt über meinen eigenen Schatten zu springen – mich zu verändern; doch schließlich blieb nur ein Ausweg. Auch wenn ich vollkommen verrückt sein musste. Ich wusste, wie sehr mich Chelsea in diesem Moment hassen musste – aus vielen Gründen, deren ich mir vollkommen bewusst war. Dennoch wollte und musste ich als Einziger bei ihr sein, um sie zu trösten. Ohne Vorwarnung rannte ich ihr hinterher und spürte die irritierten Blicke Aller auf mir ruhen. Ich wusste nicht, ob sie bemerkt hatte, dass ich sie verfolgte, aber sie schien es immer eiliger zu haben, je näher ihre Farm kam. Kurz bevor ich sie einholen konnte, entwich sie in ihr Haus und schlug mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zu. Ich ließ meine Handfläche auf das Holz nieder und überlegte einen Moment, ob ich anklopfen oder sie erst einmal in Ruhe lassen sollte. Angestrengt versuchte ich etwas aus dem Inneren zu hören, doch ich konnte nichts vernehmen. Aber ich war keine Person, die so schnell aufgab. ~*~ Alles war zu schnell geschehen. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren – nur alleine die Tatsache, dass die Nacht bereits hereingebrochen war, nahm ich auf. Meine Handfläche lag immer noch auf ihrer Tür und ich selbst hatte mich ebenfalls nicht von der Stelle gerührt. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen konnte – schließlich wusste ich auch nicht, worin ihr Schmerz bestand. Es schmerzte mich selbst genauso sehr – selbst wenn ich mich von ihr abgewandt hatte, wollte ich niemals, dass sie ihr Leben in Traurigkeit verbringen musste. Mir fielen nur keine Worte ein. Es war eine Schande für mein bisheriges Leben, dass ich niemals gelernt hatte, tröstende Worte zu sprechen – und diese Tatsache wurde mir nun schlagkräftig bewusst. Sollte ich warten…? Sollte ich anklopfen…? Ich wusste nicht was richtig war. War ich der Schuldige für dies alles? Auch das konnte ich nicht sagen. Jedoch war mein Gewissen wachsam und beschuldigte mich, der Grund zu sein. Ich ließ mich vor der Tür nieder, streckte die Beine aus und hob den Kopf zu dem klaren Nachthimmel empor. Glücklicherweise waren die Sommernächte meist angenehm – und das ließ zu, dass ich warten konnte auf Chelsea. In gewisser Weise wusste ich, dass es vermutlich falsch wäre, sie in diesem Augenblick zu stören. Doch ich konnte warten - wenn es sein musste noch die ganze Nacht oder den ganzen Tag. ~*~ Der helle Schein der Morgensonne riss mich aus meinem traumlosen Schlaf. Ich benötigte einen Moment, um zu realisieren, wo ich mich befand, doch die Erinnerung an den gestrigen Tag kam schnell – und sofort wusste ich, dass sich an der Situation nichts geändert hatte. Vorsichtig tastete ich seitlich nach meinem Hut und richtete mich vor Chelseas Tür auf. Ich rieb meine Augen, die von dem hellen Licht leicht geblendet waren und sah um mich. Anscheinend hatte sie das Haus bisher nicht verlassen und ich war mir sicher, dass Chelsea nicht einmal wusste, dass ich die ganze Nacht vor ihrer Tür gesessen hatte. Ich seufzte leise und begann kleine Kreise vor ihrem Haus zu laufen – noch immer war ich zu unentschlossen, um irgendetwas zu unternehmen. Wie man es auch sah – ich war ein großer Idiot. Sicherlich haben das bereits am Abend zuvor alle Beteiligten gedacht, als ich ihr wie von der Tarantel gestochen hinterhergerannt war. Gratulation, Vaughn – du hast den Preis für den höchsten Intelligenzquotient der Insel gewonnen. Für deine allgemeine Zerstreutheit, Unwissenheit und Einfühlsamkeit erlangst du zusätzlich noch Sympathiepunkte für deinen persönlichen Teufel. Alles fügte sich doch wunderbar zusammen – alles lief seit Wochen nur darauf hin, dass ich erstens ein Idiot, zweitens ein Trottel und drittens ein Dummkopf war. Ich grummelte leise und steckte meine Hände in die Hosentaschen, bevor ich anfangen würde, mich aus Selbsthass selbst zu ohrfeigen. Mirabelle würde mich sicherlich bald suchen, wenn ich nicht schleunigst meine Arbeit begann – aber zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich, dass ich meine Priorität verlegt hatte. Ich erkannte, dass es Wichtigeres in meinem Leben gab, als nur meine Arbeit… Schritte ertönten von dem leichten Abhang Richtung Inselmitte und ich wandte mich der Richtung zu, aus der sie kamen. Als ich erkannte, um wen es sich handelte, erreichte meine Laune einen neuen Tiefpunkt. Es war eindeutig die letzte Person auf dieser verdammten Insel, die ich näher an Chelsea heranlassen wollte: Denny. Er bemerkte, dass ich ihn wütend anfunkelte und hob beschwichtigend die Hand zum Gruß. Kurz vor mir blieb er stehen und betrachtete mit gerunzelter Stirn Chelseas Haus – beinahe so, als ob er mich ignorieren würde. Einen Moment dachte ich daran, ob meine Fäuste vielleicht ausversehen ausrutschen und sein Gesicht erwischen könnten - aber schließlich besann ich mich auf Selbstbeherrschung. „Hast du mit ihr gesprochen?“, fragte er mich schließlich mit besorgter Stimme. „Nein“, antwortete ich barsch. „Hast du sie seit gestern Abend noch einmal gesehen?“ „Sie ist nicht aus ihrem Haus gekommen.“ Denny seufzte leise und kratzte mit einer Hand seinen Nacken. „Das habe ich befürchtet“, murmelte er schließlich und schüttelte leicht den Kopf. „Und ich habe befürchtet, dass du früher oder später hier erscheinen würdest“, schnaubte ich verächtlich und funkelte ihn herausfordernd an. Mit jeder Sekunde war der Drang größer, von meinem guten Willen abzusehen und sich sinnloser Weise auf ihn zu stürzen. „Du kannst mich nicht leiden“, stellte er fest. „Das habe ich vielleicht sogar verdient.“ Ich sah ihn einen Moment verständnislos an, bevor ich die Hände aus meinen Hosentaschen zog und die Arme vor meinem Körper verschränkte. „Ich weiß nicht wovon du redest und es ist mir auch völlig gleichgültig“, erwiderte ich in einem kühlen Unterton. „Ich weiß.“ Denny bemühte sich um ein leichtes Lächeln, aber es sah mehr gespielt als herzhaft aus. Er richtete seinen Blick einen Moment wieder auf Chelseas Haus, bevor er wieder meinem kalten Blick versuchte standzuhalten. „Ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir zu streiten, Vaughn. Das sollte dir eigentlich klar sein. Wenn du keine Absichten hegst, mit Chelsea zu sprechen – würdest du dann bitte den Weg freimachen, damit ich das erledigen kann?“ Ganz offenbar forderte er mir heraus. „Nicht nötig. Ich hatte gerade vor, mit ihr zu sprechen. Du kannst wieder gehen und deinen Stock auspacken, um Kaulquappen aus dem Meer zu fischen.“ Einen Moment lang glaubte ich eine wütende Reaktion auf meine indirekte Beleidigung in Dennys Augen zu erkennen, doch genauso schnell, wie sie aufgeflackert war, war sie auch wieder erloschen. „Ich warne dich“, sagte er schließlich und betonte jedes einzelne Wort deutlich. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und sah triumphiert, wie er sich umdrehte und ohne ein weiteres Wort abzog. Von der einen auf die andere Sekunde wusste ich, was zu tun war. Wie von selbst klopfte ich an die Tür zu Chelseas Haus und als keine Antwort kam, klopfte ich erneut. Wieder keine Antwort. Natürlich nicht. Es bestanden zwei Möglichkeiten: die Erste war, dass sie mein Klopfen nicht hörte. Die Zweite war, dass sie mich ignorierte – und zugegebenermaßen tendierte ich eher zur zweiten Option. Einen Moment lang überlegte ich, wie am besten ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken konnte – aber es erschien mir nicht angemessen, wie ein schamloser Verbrecher in ihr Haus einzubrechen. Ich klopfte erneut und als wieder keine Antwort kam und meine Ungeduld langsam größer wurde, fiel mir etwas Entscheidendes ein. Chelsea war in voller Eile regelrecht in ihr Haus geflüchtet, dass sie vor Aufregung wohl vergessen hatte, ihre Tür zu verriegeln. Nun, vielleicht war das sogar zu ihrem Glück – dann hatte ich nicht das Vergnügen, ihre Tür eintreten zu müssen, wenn mir nichts Besseres einfiel. Probeweise legte ich einige Finger um die Türklinke und drückte sie vorsichtig nach unten. Zu meiner Überraschung bemerkte ich, dass die Tür wirklich nicht verschlossen war; was wiederrum bedeutete, dass ich mich zum Gespött der Leute machte, wenn ich erzählen würde, dass ich die Nacht vor einer nicht verschlossenen Tür verbracht hatte. Anscheinend hatte ich meinen zweiten Intelligenzpreis gewonnen. Glücklicherweise war ich sowieso nicht der gesprächige Typ. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat ein. Ich war noch nie in Chelseas Haus gewesen – doch obwohl alles sehr schlicht war, fühlte sich die Atmosphäre seltsamerweise vertraut an. Chelsea hatte meine Anwesenheit nicht bemerkt; sie lag mit dem Gesicht zum Kissen auf ihrem Bett und gab nur leise Geräusche von sich. Leise schloss ich die Tür hinter mir und betrachtete sie einen Moment aus der Entfernung. Sie bewegte ihren Kopf leicht und ich glaubte, ein leises Schluchzen zu vernehmen, das von ihr ausging. Sie weinte. Ich ging zögerlich auf sie zu, doch sie zeigte keine Reaktion, als ich direkt vor ihrem Bett stand. Ich streckte behutsam eine Hand aus und legte sie ihr leicht auf den Kopf. Sie fuhr zusammen und schreckte auf. Ihr Gesicht war feucht von den Tränen, die ihr über die Wangen liefen und ihre Augen waren rötlich geschwollen. Sie sah mich mit erschrockenen Augen an und wich vor mir zurück. „Verschwinde“, murmelte sie leise und wischte sich mit ihrem Ärmel die Tränen ab. Ich biss mir auf die Lippen. Ihr Anblick schmerzte. „Was ist los?“, murmelte ich besorgt und ließ mich auf die Bettkante nieder. „Nichts – geh aus meinem Haus.“ Sie verdeckte ihr Gesicht mit ihren Händen, so dass ich sie nicht mehr ansehen konnte. Vorsichtig umfasste ich ihre Handgelenke und zog ihre Hände von ihrem Gesicht weg. Für einen kurzen Augenblick sahen wir uns in die Augen und bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich auch schon meine Lippen auf ihre gelegt. Kapitel 10: Die Wahrheit ------------------------ Vorwort Erlöööööööööösuuuuung! Endlich fertig. Okay, ich rede immer zu viel vor den Kapiteln. P.S Mit Schreibblockade schreibt es sich schlecht u_U. ___________________________________________________________________________ Die Wahrheit Ich rührte mich nicht von der Stelle, obwohl ich realisierte was ich tat. Ihre Lippen fühlten sich warm und zart unter meinen an und zum ersten Mal seit Wochen erkannte ich, dass mein Innerstes völlig besänftigt war. Meine Hand glitt wie von selbst zu ihrer Wange und begann diese zu streicheln, während ich meinen Kuss vertiefte. Es gab im Moment nichts außer uns. Ich spürte einen leichten Druck auf meiner Brust und bemerkte nach einiger Zeit erst, dass Chelsea versucht hatte, mich von sich zu schieben. Irritiert und völlig aufgelöst in dem was ich tat, löste ich den Kuss und genau in diesem Moment spürte ich einen leicht brennenden Schmerz auf meiner Wange. Sie hatte mich mit all ihrer Kraft geschlagen. Ich konnte nichts sagen und fiel betroffen nach hinten auf den Boden, als sie begann mich von ihr wegzuschieben. Sie bedeckte ihr Gesicht und rannte auf zittrigen Beinen aus der Tür hinaus. Einen kurzen Moment lang strich ich wie benommen meine Wange. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen – aber ich erkannte, dass meine Taten auf ewig Fehler bleiben würden, wenn ich nicht sofort handelte. Es gab viele Veränderungen seit meiner Ankunft auf dieser Insel, die mein wahres Ich zum Vorschein gebracht hatten. Ich wusste, dass Chelsea nur verdrängte – genauso wie ich es auch tat. Nur weil wir beide zu feige waren. Aber ich wollte nicht mehr länger derjenige sein, der weglief. Ich bin vor meiner Vergangenheit davongerannt, vor meinen Gefühlen und sogar vor mir selbst. Der Selbsthass und die Zweifel waren niemals mehr als bloße Angst gewesen. Angst davor, Verlust zu spüren. Doch wenn man glaubte, irgendetwas an seinem Schicksal zu verändern indem man nichts tat, irrte man sich. Die vielen Wochen die ich auf der Insel verbracht hatte, hatten mich gelehrt, dass man durch dieses Bewusstsein nur noch mehr Schäden anrichtete. Unbewusst, ganz langsam, schleichen sich ungewollte Gefühle in die Seele, die sich nicht durch weglaufen beseitigen ließen. Ich wurde akzeptiert, toleriert – und ich hatte zunächst alles zunichte gemacht. Anstatt einen neuen Weg zu gehen entschied ich mich für meinen alten – nur weil es leichter und gewohnter für mich war. Verstoßen von allen Anderen glaubte ich jahrelang daran, dass es das Beste für mich wäre. Aber ich lag falsch. Ich kannte das Gefühl, alles falsch zu machen. Und ich wusste, dass jemand das Gefühl genauso sehr kannte wie ich. Die Fehler der Vergangenheit werden nie vergehen und dennoch kann man die Zukunft ändern, indem man handelte. War es nicht bereits Mut gewesen, nach ihr zu sehen? Aber ich wusste, dass dies nicht reichen würde. Das Weglaufen würde enden, hier und jetzt. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und richtete mich vom Boden auf. Ohne noch eine weitere Sekunde zu verschwenden, eilte ich zur Tür hinaus. Ich brauchte nicht zu sehen, wohin Chelsea gelaufen war – ich wusste es bereits. Leise öffnete ich die Tür zu Chelseas Scheune und horchte nach den vertrauten Tierlauten, die nun gemischt mit Chelseas Stimme waren. Ich blieb zunächst am Eingang stehen und lauschte ihrer Stimme, die offenbar den wenigen Tieren galt, die sie besaß. „Ich habe euch vernachlässigt, nicht wahr…? Was bin ich nur für ein schlechter Mensch.“ Ihre Stimme zitterte leicht und ich ahnte, dass sie immer noch weinte. Doch ihre Stimme war nicht mehr dieselbe, mit der sie nur wenige Minuten zuvor mit mir geredet hatte. Ich konnte das aufmunternde Schnauben ihrer Tiere hören und das leichte tätscheln von Chelsea. Leise ging ich zum Futterplatz und betrachtete Chelsea, die umkreist von ihren Tieren in einer Ecke saß. „Ich wollte ein neues Leben anfangen. Aber ich habe versagt.“ Sie wischte sich behutsam ihre Tränen mit den Ärmeln ab und tätschelte Mias Kopf. „Ich bin eine schlechte Farmerin.“ „Das stimmt nicht“, warf ich leise ein und sie schreckte auf, als sie erkannte, dass ich mich hier befand. „Die Tiere haben dir verziehen – ich sehe es an ihren Gesichtern. Sie wissen, was du fühlst und wollen dich aufmuntern“, fügte ich sanft und leicht lächelnd hinzu. Ich ging wenige Schritte nach vorne und die Tiere begrüßten meine Geste sofort, indem sie sich erhoben und freudig zu mir liefen. „Hättest du versagt, würden sie nicht versuchen wollen, dich zu beschützen“, fuhr ich fort. „Sie wussten um deine Zerbrechlichkeit und haben dich in ihre Mitte aufgenommen, um dich zu schützen.“ Leichte Tränen liefen noch über Chelseas Gesicht und sie wischte sie energisch weg. „So etwas habe ich nicht verdient. Ich habe sie vernachlässigt.“ Sie wandten den Blick von mir und den Tieren ab, zog die Knie an ihren Oberkörper heran und richtete ihren Blick auf den Boden. „Wenn du davonläufst, wird alles nur schlimmer“, erwiderte ich leise und ging auf sie zu. Sie sah nicht auf, als ich mich vorsichtig neben ihr niederließ. Ich wusste was sie dachte. „Magst du mich?“, flüsterte ich ihr leise zu und sie zuckte zusammen. Ich sah sie an und wendete meinen Blick nicht ab. „Lauf nicht davon“, murmelte ich ihr leise zu, „ich werde es auch nicht mehr tun.“ Als sie immer noch nicht reagierte, legte ich eine Hand sanft auf ihre Wange. Sie waren warm, als ob sie unter meiner Hand wegschmelzen würden. Es war angenehm und ich zog meine Hand nicht weg – ich wollte, dass sie mich ansah. „Sieh mich an“, murmelte ich sanft an ihrem Ohr. Doch anstatt mich anzusehen, schob sie ihre Arme um mich und begann zu weinen. Erschrocken darüber, blieb ich einen Moment wie erstarrt sitzen und legte dann bedachtsam meine Arme um sie. Es spielte keine Rolle, dass sie mein Hemd mit ihren Tränen durchnässte. Wir verharrten einige Zeit in derselben Position, bis selbst die Tiere sich in eine andere Ecke verzogen hatten. Chelseas Hände klammerten sich an mein Hemd, während sie immer noch leichte Schluchzer von sich gab. Ich streichelte ihren Kopf und wartete darauf, dass sie sich wieder beruhigt hatte. „Tut mir leid“, seufzte ich schließlich. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.“ Ich spürte, dass sie ihren Kopf leicht schüttelte und dass sie bereits versuchte, sich wieder zu sammeln. „Die Chelsea, die ich kannte, hat immer gelächelt“, flüsterte ich leise. „Und das hat mir immer sehr gefallen.“ Vorsichtig legte ich beide Hände um ihre Schulter und sie sah mit ihrem verweinten Gesicht in das meine. „Sag nicht Dinge, die du nicht so meinst“, flüsterte sie leise zurück. „Es ist die Wahrheit.“ Ich biss mir auf die Lippen, und starrte in ihre tiefen, blauen Augen. „Ich werde mich nicht für den Kuss entschuldigen – es war mein Ernst.“ Die Röte schoss mir ins Gesicht, aber es war mir vollkommen gleichgültig. Als Chelsea nicht antwortete, wurde ich immer unruhiger. „Sag mir, ob du genau dasselbe empfindest wie ich – denn ansonsten weiß ich nicht, was geschehen wird“, murmelte ich leise, aber eher zu mir selbst. „Ich empfinde genauso“, antwortete sie zögerlich und sah mich reumütig an. „Aber ich bin eine schlechte Person.“ „Das bist du nicht“, widersprach ich sofort, und streichelte leicht lächelnd ihre Wange. Mein Inneres fühlte sich an, als ob es platzen würde und alles, was ich zu diesem Zeitpunkt wollte war, sie im Arm zu halten. „Bitte, lass mich dich halten.“ Ich wartete erst gar nicht ab, was sie antwortete, und schlang wieder meine Arme um sie. Sie erwiderte meine Umarmung und drückte mich fest an sich, dass es schon beinahe schmerzte. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. „Ich bin bei dir“, versicherte ich ihr. „Ich werde dir helfen deine Farm zu führen. Gib nicht auf.“ „Wirst du wirklich bleiben?“, fragte sie mit einem leichten Zweifel in der Stimme. Ich lächelte leicht für mich selbst. „Ja, an den Tagen an denen ich auf der Insel anwesend sein werde, werde ich dir helfen. Ich werde bei dir sein.“ Meine Eifersucht war wie verflogen. Sie fand keinen Platz mehr in meinem Herzen und ich spürte deutlich, dass ich mein Glück gefunden hatte. Chelsea schmiegte ihren Kopf an meine Brust und ich rührte mich nicht von der Stelle und kostete den Moment aus. Ich wartete – ich wusste nicht einmal auf was. Ihre Hände fanden die meinen und ich nahm sie vorsichtig, während ich meinen Kopf auf ihren legte. Ich würde bis zum Morgengrauen so verharren und es war mir egal, was die anderen Inselbewohner zu uns sagen würden. Chelsea murmelte irgendetwas vor sich her, aber ich war mir nicht sicher, was es war. Es klang wie ein ‚Ich liebe dich‘. Leicht lächelnd drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn und wiegte sie sanft weiter, ohne jegliches Zeitgefühl. Ich musste nicht die Augen öffnen, um zu sehen, dass sie bei mir war. Mein Herz fühlte es und ich wollte meine Augen auch gar nicht öffnen, um meinen lang ersehnten Frieden zu finden. Ich erkannte, dass unsere Herzen von Anfang an niemals so verschieden waren, als ich es bei meiner Ankunft in meinem tiefsten Inneren vermutet hatte. Denn es war die reinste Wahrheit, dass wir von Anfang an miteinander verbunden waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)