Hebt die Gläser von Maza_e_Keqe ================================================================================ Kapitel 1: Alkohol ist die Lösung der Probleme... ------------------------------------------------- „Zwei Jacky-Cola.“ „Ein Cola-Bier.“ „Zwei Hefe-Weizen.“ „Barcardi-O“ „Ich hätte gern ein Mineralwasser, bitte.“ Anni konnte die Blicke förmlich auf sich spüren. Sogar der Kellner schaute irritiert und wartete ab, ob denn noch etwas zu der Bestellung hinzugefügt würde. Aber sie schenkte ihm nur ein künstliches Lächeln. Aus dem Augenwinkel konnte sie die ungläubigen und herablassenden Blicke der anderen erahnen. Es war dem Mädchen wieder einmal gelungen in ein nur für sie unsichtbares Fettnäpfchen zu treten. Wie konnte sie es wagen das natürliche Nahrungsmittel eines Samstagabends zu verweigern!? Und dann noch in einem ganzen Satz zu sprechen. „Bitte“ und „Danke“ waren doch in der Pfalz Fremdwörter. Als die Getränke gebracht wurden, stand das einsame Wasserglas tatsächlich ziemlich verloren zwischen Bier und Whiskey auf dem Tisch. Und Anni kam sich unsagbar dämlich vor. Hätte sie wenigstens einen alkoholfreien Cocktail bestellt, dann wäre ihre Abstinenz vielleicht nicht aufgefallen. Innerlich seufzte sie, als alle die Gläser hoben und nippte so vorsichtig an dem kühlen Nass, dass nur die Lippen angefeuchtet wurden. Joe, auf dessen Schoß sie saß, drückte seine Freundin ein wenig fester an sich. Ihn zu küssen hatte sie immer von ihren Sorgen abgelenkt. Außerdem liebte sie seinen Geschmack, wenn er Cola-Bier getrunken hatte. „Ich versteh dich nicht“, hatte er einmal gesagt, „du trinkst selbst keinen Alkohol, aber küsst mich, wenn ich trinke.“ Anni hatte daraufhin nur die Schultern gezuckt. Sie verstand das auch nicht. Vielleicht ist die Liebe eine stärkere Macht als wir glauben dachte sie gerade, als sie im Hintergrund eine vertraute Melodie vernahm. Das Tischgespräch hatte sie schon lange nicht mehr verfolgt. Auf ihre Meinung legte sowieso keiner einen Wert. Sandra war heute nicht dabei, weil eine Familienfeier ihre Anwesenheit verlangte. Sie hätten sich wunderbar unterhalten. Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Anni an den späten Vormittag zurück: Sie und Joe waren einkaufen und gerade auf dem Weg zur Kasse, als sie ihren Namen hörte und sich umdrehte. Da kam Sandra auch schon auf sie zu gestürmt. Mit einem spitzen Schrei sprang sie in die Arme des einen Kopf größeren Mädchens. Sie freute sich aufrichtig über das unverhoffte Wiedersehen und bedauerte dessen Kürze. Sandra war sechzehn, also gut sechs Jahre jünger als Anni. Zu ihrem eigenen Bedauern wussten das alle und missbilligten das herzliche Verhältnis zwischen den Mädchen. Anni empfand der Freundin gegenüber eine Liebe, wie sie eine große Schwester kennen mag, und einen ebensolchen Neid auf die Unbeschwertheit und Offenheit der kleinen. „Das ist die neue Single von Tomte“ flüsterte Anni ihrem Freund zu. Joe verstand nicht sofort, wovon sie da sprach. Er war ins Gespräch mit Heffer vertieft über irgend einen Rapper. Heffer hieß mit Vornamen Marcus, aber niemand außer seinen Eltern und seiner aktuellen Bettgefährtin Ireen nannte ihn so. Warum die Kerle sich mit dem Nachnamen ansprachen, verstand Anni nicht und Joe konnte es ihr nicht erklären. „Das ist eben so.“ Thees Uhlmann sang gerade: „Du bist nicht gestorben. Heureka!“ Jetzt erkannte Joe das Lied ebenfalls. „Das haben wir doch gehört, oder?“ Anni war in ihrem Element. „Ja, genau“ bestätigte sie mit verhaltener Begeisterung. „Ich habe dir das neue Album letzte Woche vorgespielt.“ „Das Konzert ist nächsten Samstag, ne? Dann kommst du wohl nicht zu mir?“ „Nein, das klappt nicht.“ Anni überhörte die Enttäuschung in seiner Stimme. Zu sehr freute sie sich auf das Konzert ihrer Lieblingsband, für das sie seit drei Monaten die Eintrittskarten besaß. Sie legte den Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen um der Musik zu lauschen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie nicht allein waren und blickte wieder teilnahmslos in die Runde. Keiner von Joes so genannten Freunden nahm Notiz von ihr. Als Anni bemerkte, dass das gesamte Album gespielt wurde, war sie doch zufrieden mit ihrer Entscheidung mit in die Kneipe zu gehen. Es war weit nach Mitternacht, als auch Heffer überzeugt war genug zu haben. Anni sah Joe nicht gern am Steuer sitzen, wenn er getrunken hatte und auch Onder war alles andere als nüchtern. Ein Mal hatte sie sich angeboten zu fahren, aber Joe vertraute ihr sein Auto nicht an. Er fuhr auch nach drei Bieren noch sicher, keine Frage. Aber Anni konnte das unangenehme Gefühl nicht vermeiden. Der von ihr hinter jeder Kurve vermutete Streifenwagen tauchte jedoch nicht auf. Auf dem Rücksitz des dunkelblauen Opel Vectra grölten Onder und Heffer zu jedem Radiosong. Nur Ireen saß stumm neben ihrem Macker, sie vertrug nicht viel, wollte das aber nicht zugeben. Dann wäre sie ja nicht mehr cool. Dreißig Meter vor ihrem Haus übergab sie sich aus dem glücklicherweise geöffneten Fenster. Heffer würde heute keinen Spaß mehr mit ihr haben. Aus einem unverständlichen Grund, bereitete dieser Gedanke Anni eine gewisse Genugtuung. Der Sonntag lief ab wie immer: Sie frühstückten aufgebackene Brötchen und trafen sich gegen Mittag mit den anderen am alten Sportplatz. Die Kerle stöhnten über ihre dicken Köpfe und erzählten sich Saufgeschichten. Am späten Nachmittag brachte Joe sie zum Bahnhof. „Du kannst doch auch morgen früh fahren“ sagte er traurig beim Abschied. „Ich muss morgen pünktlich auf Arbeit sein. Mein Chef hat sich angekündigt.“ Anni hätte gern noch eine Nacht mit ihrem Freund verbracht, war aber auch froh von seinen Kumpels weg zu kommen. Nach etwa zwei Stunden Zugfahrt wurde sie von lautem Gepolter und Rufen geweckt. Eine Gruppe Fußballfans war eingestiegen und unterhielt den gesamten Großraumwagen mit ihren Fangesängen. Wie konnten mir die Rheinischen Frohnaturen nur fehlen? dachte sie angestrengt zum Fenster hinaus schauend. In dem staubigen Glas spiegelte sich das Gesicht einer Frau in den Vierzigern, die mit einer tiefen Falte auf der Stirn den Kopf schüttelte. Ach ja, deshalb. Kapitel 2: ... die sie ohne ihn... ---------------------------------- Anni war bereits seit acht Uhr wach. Für einen freien Samstag war das viel zu früh, aber an Einschlafen war einfach nicht mehr zu denken. Viel zu aufgeregt war sie in Erwartung der bevorstehenden Ereignisse. In ihrem scheinbar grenzenlosen Bewegungsdrang lief sie mehrmals die Treppen hinunter um Abfall, Papier- und Biomüll, Altglas und Verpackungen zu entsorgen. Sie putzte ihr kleines Badezimmer, die Küche und saugte Staub. Mit der musikalischen Begleitung ihrer Lieblingsband, die fünf Alben liefen in der Wiederholungsschleife, ging die Hausarbeit viel schneller von der Hand. Wegen des schweren Staubsaugers war sie danach trotzdem erschöpft genug um sich dem Einkauf zu widmen. Es war Mittag und der Supermarkt verhältnismäßig leer. So fiel das aschblonde Mädchen in dem grauen Mantel niemandem auf, das durch die Gänge schlenderte und grübelte, ob sie lieber Kirsch-, Trauben- oder doch Johannisbeersaft nehmen sollte. Als bereits Chips, Tiefkühlpizza, zwei Nudelgerichte und Zahnpasta in ihrem Einkaufskorb lagen, entschloss sie sich drei verschiedene Säfte zu kaufen. Eine Flasche Sekt hatte sie noch im Kühlschrank stehen. Um 16 Uhr kamen endlich Bianca und ihr Freund Sebastian, die beim Aufstellen der Gästebetten halfen. Dann gab es Pizza und für die Gäste jeweils ein Glas Sekt mit Saft gemischt. Um halb sieben saßen sie in der Straßenbahn. Die Fahrt erschien ihnen viel zu lang. *** „Warum ist Anni heute nicht da?“ Sandra setzte sich unbemerkt neben Joe. „Die ist bei sich daheim, weil sie zum Konzert wollte.“ „Schade. Aber sag ihr Grüße, wenn du sie anrufst, ja?“ Da fielen Joe auch die Grüße ein, die er von Anni hatte ausrichten sollen und er holte es sofort nach. Sandras Miene erhellte sich wieder und sie ging an die Bar um noch eine zu rauchen. *** Den Fußweg zum Kulturschuppen kannte Anni längst auswendig und zerrte ihre Freundin aufgeregt plappernd mit sich. „Ob Thees wieder seine tolle Lederjacke tragen wird?“ „Ich weiß es nicht.“ „Was sie wohl vom neuen Album spielen werden?“ „Ich hoffe mal mehr als beim 3sat- Festival.“ Bianca war ein wenig außer Atem, weil sie versuchte mit Anni Schritt zu halten. Sebastian trottete gemächlich hinterher. Mit großen Schritten schaffte er den gleichen Weg ohne Anstrengung. „Ich muss mir unbedingt einen neuen Button holen und ein T- Shirt für meine Mutter. Wie wohl die Vorband so ist?“ Anni erwartete keine Antwort auf ihre letzte Frage, denn sie lief schon auf den Eingang zu. *** „Endlich bist du mal wieder richtig dabei.“ „Du bist viel lockerer, wenn die Annika nicht hier ist.“ Joe nickte nur und trank sein Glas in einem Zug leer. Dann grinste er in die Runde: „Party!“ *** Der Junge am Merchandise- Stand beachtete seine neue Kundin gar nicht. Erst als sie mit der Hand winkte, entdeckte er sie in der Menschenmenge. „Ich möchte meiner Mutter gern ein T-Shirt mitbringen. Kannst du mir eins empfehlen?“ „Hört deine Mutter denn Tomte?“ Das Erstaunen in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Sie liebt Tomte! Das neue Album konnte sie allerdings noch nicht anhören.“ Zwei Minuten und ein Schwätzchen später stopfte Anni die Errungenschaften in ihre Tasche. Da entdeckte sie auch die anderen beiden wieder, die knutschend neben der Theke standen. „Hey, wollt ihr was trinken?“ „Ich nehm ein Bier.“ „Ich erstmal nichts, danke.“ „Gehn wir nochmal auf die Pissibox, bevor's losgeht?“ Bianca nickte und lief mit Anni in Richtung der Toiletten. Kurz vor dem offiziellen Konzertbeginn stellten sie sich an die Seite links von der Bühne. Sebastian hielt sich an seinem Becher fest, froh, dass die Mädchen in ihrer Aufregung und Vorfreude sein Bier nicht vergessen hatten. Keiner der drei kannte die Vorgruppe, aber sie war überraschend gut und heizte den Besuchern ordentlich ein. Als aber schließlich Thees, Dennis, Max und Simon die Bühne stürmten, gab es für die Massen kein Halten mehr. Die vier Jungs nahmen ihr Publikum mit den ersten Tönen vollständig ein. Anni tanzte vor ihren Freunden. Sie gab sich mit geschlossenen Augen der Musik hin, wiegte sich im Rhythmus und vergaß alles um sich herum. Nur Bianca fielen die Blicke auf, die andere Konzerbesucher ihrer Freundin zuwarfen, wie sie lachten und eindeutige Gesten machten. Einer sprach sie sogar direkt an: „Was hat die denn genommen?“ „Nichts Künstliches, nur die Musik!“ gab Bianca zurück. *** Nach ganzen fünf Zugaben und herzlichen Verabschiedungen zogen sich Thees und seine Jungs anderthalb Stunden später hinter die Bühne zurück; der allgemeine Besucherstrom in Richtung der Ausgänge begann. „War das nicht toll? Es war doch toll!“ „Ja, war wirklich super.“ Bianca verstand nicht, woher ihre Freundin noch die Energie hatte draußen wie ein Gummiball herumzuspringen und dabei von dem Konzert zu schwärmen. Sie selbst war von der stickigen Luft und den schwitzenden Körpern, die sich um sie gedrängt hatten, ziemlich erschöpft. Sebastian ging schweigend neben ihnen her und drückte die Hand seiner Liebsten. „Hey, wenn wir uns beeilen, kriegen wir noch die Straßenbahn um halb und müssen nicht auf die nächste warten.“ Bianca schaute auf die Uhr, die am Eingang einer Apotheke hing, nickte und ging etwas schneller. Anni drückte hektisch auf den gelben Knopf, der an dem Ampelpfahl hing und starrte das rote Licht an. „Los jetzt, wir sind hier schließlich in der Großstadt. Kommt ja eh nix“ sagte sie und flitzte über die Straße. Sie sah den silbernen BMW nicht, der in diesem Moment um die Ecke gerast kam. Mit einem dumpfen Geräusch erfasste der Wagen sie. Etwa zwanzig Meter weiter kam er zum Stehen und das Mädchen rutschte wie in Zeitlupe von der Motorhaube auf den Asphalt. Bianca und Sebastian liefen zu ihr. Er riss die Fahrertür auf und zerrte den jungen Mann hinterm Steuer nach draußen, sie hockte sich neben ihre leblose Freundin in das fahle Scheinwerferlicht. Kapitel 3: ... nie hatte ------------------------ Es war kalt, als sie die Wohnung betraten. Bianca fröstelte bereits den ganzen Tag, jetzt begann sie zu zittern. Sebastian legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Beinahe wären dem Mädchen bei dieser aufmunternd gemeinten Geste die Tränen in die Augen gestiegen. Aber sie beherrschte sich und schniefte nur vernehmlich durch die Nase und schloss die Tür hinter sich. „Schön, dass ihr da seid. Setzt euch ins Zimmer, ich bringe gleich den Tee.“ Schweigend kamen die Gäste dieser Aufforderung nach. Endlich schloss Anni auch das Fenster in der Küche. „Ich wollte einfach ein bisschen frische Luft herein lassen“ entschuldigte sie sich als sie die bunten Tassen auf dem niedrigen Tisch abstellte. Aus der Seitentasche, die an ihrem Rollstuhl befestigt war, holte sie einen kleinen silberfarbenen Flachmann und goss großzügig einen Schluck in ihren Tee. „Hast du nochmal etwas von Joe gehört“ fragte Bianca um nicht auf den Alkohol zu sprechen zu kommen. „Ach, habe ich das nicht erzählt?“ Der höhnische Ton ließ nichts Gutes ahnen. *** Joe rief seine Freundin jeden Tag im Krankenhaus an, meistens mehrmals. Er beschrieb wie alle nach ihr fragen würden und wie sehr sie fehle, erkundigte sich nach ihrem Befinden und den Fortschritten ihrer Genesung. Anni freute sich über seine Anteilnahme und ließ immer Grüße an seine Kumpanen ausrichten, besonders natürlich an Sandra. Am Tag vor ihrer Entlassung in die Reha kam der Anruf kurz vor der Nachtruhe. Die Geräusche ließen auf eine Kneipe oder Heffers Partykeller schließen. Doch die Stimmen waren trotz allem gut zu verstehen. Besonders als Anni nach Joes obligatorischem „Wie geht’s meinem Sternchen?“ den Ruf aus dem Hintergrund hörte: „Ey Alter, quatschste wieder mit dem Krüppel?“ Das schlecht unterdrückte Lachen in der Antwort „Fresse halten, Onder!“ bestätigte Annis lange gehegte Befürchtungen. Kein Wunder, dass sie nie Besuch von Joe bekommen hatte. *** „Darauf hin habe ich aufgelegt und der Kontakt ist abgebrochen.“ Bianca nickte nur, während Sebastian ihre Hand drückte. „Was hat der Typ eigentlich bekommen?“ Biancas Miene verfinsterte sich. „Nur das Übliche: Führerscheinentzug und eine lächerliche Bewährungsstrafe wegen schwerer Körperverletzung in Folge von Fahrens unter Alkoholeinfluss.“ „Tja, war wohl nicht anders zu erwarten. Das Schmerzensgeld ist fast vollständig für den Wohnungsumbau und die stationäre Reha drauf gegangen.“ Anni seufzte. „Und was hast du jetzt vor?“ „Ich bin in einer Selbsthilfegruppe, die unterstützt mich auch bei der Jobsuche. Und die Schmerzen betäubt mein kleiner Freund ganz gut.“ Dabei strich sie nahezu zärtlich über den Flachmann. ~Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)