Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 27: Wiedersehen ----------------------- John Barrington hielt das Messer hoch erhoben in der Hand. Die Spitze war auf Draco gerichtet, auf sein Gesicht. Die Klinge sollte nur seine Augen als Ziel kennen. Wie versteinert starrte Draco den betrunkenen Mann vor sich an, fassungslos, dass ein menschliches Wesen zu so etwas fähig sein konnte. Sie waren schlimmer als Tiere, schlimmer als seinesgleichen. Die Tiere und Drachen töteten um zu überleben, niemals aus Spaß und ganz gewiss nicht auf diese bestialische Art und Weise. Das Funkeln in Barringtons Augen sprach von Wahnsinn. In ihnen lag nur noch die Lust zu Verletzen, zu verstümmeln und zu töten, kein Mitleid oder gar Menschlichkeit. John Barrington stieß einen lauten Schrei aus und Draco sah, wie die Klinge nieder fuhr. Er wollte ausweichen, wissend dass Barringtons somit seinen Oberkörper treffen konnte, aber das würde es wenigsten gleich beenden. Dann wäre es endgültig vorbei. „Ihr seid ein Feigling.“, durchschnitt eine Stimme die drohende Stille und Barrington hielt augenblicklich inne. Draco erstarrte für einen Moment, als er den Klang ihrer Stimme erkannte, doch er ließ den Mann vor sich nicht aus den Augen. Bedrohlich schwankend stand Barrington vor ihm, das Messer immer noch auf halber Höhe. Barringtons Augen rollten in seinen Augenhöhlen, dann drehte sich er zu ihr um. Doch Dracos Blick blieb in seinem Rücken haften. Die Versuchung, das Verlangen, war groß stattdessen sie anzuschauen. Doch er wusste, dass er ihn keinen Moment aus den Augen lassen durfte. Obwohl es egal ist, dachte Draco. Er wird mich sowieso töten. Annie musste sich zwingen zu atmen. Ihr Mund stand leicht offen, denn so gelang mehr Luft in ihre Lungen. Von dem Geruch im Verließ wurde ihr speiübel. Aber nicht nur davon, sondern auch von dem, dessen Zeuge sie fast geworden wäre. Sie hatte seine letzten Worte gehört und als sie vor die Tür getreten war, hatte sie gesehen, wie er das Messer erhoben hatte. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt Draco anzusehen. Sie hatte gehandelt ohne zu überlegen. Für einen kurzen Moment war sie erstarrt, unfähig das Gesehene überhaupt in sich aufzunehmen. Ein kurzer Moment, der, hätte er länger gedauert, Dracos Au- Sie hörte sofort auf daran zu denken. Denn wenn sie es dachte, sah sie es, sah seinen leblosen Körper auf dem Boden liegen, in einer Lache voll Blut mit schwarzen Höhlen, die einst seine Augen wären. Das Kind hatte ihn am Ende gerettet. Es hatte sie so heftig getreten, dass sie zu sich gekommen war. Dann hatte sie das Erste gesagt, was ihr in den Sinn gekommen war. Er hatte das Messer sinken lassen und starrte nun sie aus kleinen, verquollenen Augen an. Sein Zorn lag nun auf ihr, aber das war ihr egal solange es ihn nur von Draco ablenkte. Er war sehr betrunken, erkannte sie sofort. Schon oft hatte sie ihn so erlebt und sie wusste, dass er in diesem Zustand zu allem fähig war und keine Rücksicht nahm. Wahrscheinlich nicht einmal auf das Kind in ihrem Bauch, von dem er immer noch glaubte es wäre sein eigenes. „WAS?“, fragte er scharf und schwankte einen Moment. Seine Augen funkelten sie wild an und sie rechnete jeden Augenblick damit, dass er sich auf sie stürzen würde. Dennoch reckte sie das Kinn entschlossen nach vorn. „Ihr seid ein Feigling, wenn ihr Angst vor seinen Augen habt. Etwas anderes kann ich gar nicht denken.“ „Was fällt dir ein, du elendes Weibsstück!“, brüllte er sie an und Annie verbot sich, sich auch nur zu bewegen. „Das kann ich euch sagen. Dieser Mann liegt in Ketten, er kann sich nicht wehren. Alles was er offenbar getan hat, ist euch anzusehen und ihr wolltet ihm dafür die Augen ausstechen. Ich kann es nur als Angst bezeichnen.“ „Ich habe KEINE ANGST!“ „Dann beweist es.“, sagte sie noch immer mit ruhiger Stimme. „Lasst ihn doch, seht ihm direkt in die Augen.“, forderte sie ihn auf. „Beweist mir, dass ihr keine Angst habt.“ Barrington drehte sich augenblicklich wieder zu Draco um. Seine Hand, in der er das Messer hielt, zitterte. Draco wusste nicht, ob es vom Alkohol kam, von seiner Wut oder gar Unsicherheit. War das möglich? Verspürte Barrington wirklich Angst vor seinem Blick? Er wusste, dass er ihm nicht gefiel, doch er hatte geglaubt es läge an dem Wiederstand, den er ihm damit zeigte. Doch Angst? Wovor? Es war einfach lachhaft. Dieser Mann hatte ihn in Ketten gelegt, ihn verletzt und gefoltert und doch hatte er Angst vor seinem Blick. Wie war es ihm nur jemals gelungen ihn zu finden? Aber allein der Gedanken gab ihm eine gewisse Genugtuung und ein Mundwinkel zuckte nach oben. Doch diese Geste musste Barrington noch weniger gefallen. Er stieß einen gutturalen Schrei aus und noch bevor Draco richtig realisieren konnte was geschah, traf Barrington ihn mit der freien Hand so hart im Gesicht, dass er das Gleichgewicht verlor und zur Seite kippte. Annie presste die Hand auf den Mund, als sie sah, wie Barrington ihren Geliebten zu Boden streckte. Sie wollte davon laufen, ihre Augen verschließen und glauben, dass dies alle nur ein schrecklicher, nicht enden wollender Albtraum war. Doch es war kein Traum, die Bewegungen in ihrem Inneren machten ihr dies deutlich. Das Kind sah alles durch ihre Augen. Es reichte Barrington nicht, dass Draco bereits am Boden lag, erkannte sie. Er war nicht bewusstlos. Sie sah es an seine Hand, die sich zu einer Faust geballt hatte, offenbar in der Anstrengung vor Schmerzen nicht zu schreien. Doch etwas war merkwürdig, realisierte sie dumpf. Der kleine Finger blieb außerhalb, wirkte geschwollen und blau. Annie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn Barrington wankte auf ihn zu. „Ich und Angst vor dir?“, fragte er mit schwerer Zunge. „Dir werde ich das Grinsen schon noch austreiben!“ Dann hob er das rechte Bein, wankt einen Moment gefährlich, als würde er das Gleichgewicht verlieren und trat dann mit aller Kraft und Wucht auf Dracos linke Hand. Annie sah, wie er die Augen aufriss, die vor Schmerz aus seinen Augenhöhlen hervortraten und selbst seine Pupillen fast weiß wirkten im Dämmerlicht. Das letzte bisschen Farbe, was er vielleicht noch in seinem Gesicht besessen hatte, verschwand gänzlich. Es wirkte gespenstisch. Sein Mund war in einem stummen Schrei aufgerissen und doch gab er John Barrington nicht die Befriedigung ihn zu hören. Annie begann zu zittern, denn Dracos Augen waren direkt auf sie gerichtet, als würde er sie ansehen. Trotzdem war sie nicht sicher, ob er überhaupt etwas erkennen konnte. Barrington bohrte den Absatz der schweren Stiefel in Dracos Hand, die darunter zermalmt wurde. Als könnte sie durch Dracos Haut, durch sein Fleisch sehen, sah sie wie weitere Knochen unter dem Druck brachen. Sie konnte es hören. Das Kind ihr bewegte sich unaufhaltsam. Es trat sie, als wollte es aus ihr ausbrechen. Sie konnte Dracos Schmerzen fühlen. Als würde das Kind all den Schmerz spüren, den Draco im Moment empfand, dachte sie dumpf. Wie durch einen Schleier sah sie, dass Barrington zurücktrat und ihr Herz wollte glauben, dass es vorbei war, dass Barrington ihn genug geschändet hatte und doch wusste ihr Verstand es besser. Sie hatte ihn herausgefordert, hatte ihn beleidig und ihm Angst vorgeworfen. Draco bezahlte nun dafür. John Barrington trat einen Schritt zurück und legte den Kopf schief, als wollte er sein Werk betrachten. Draco hatte die Augen geschlossen und Annie war sicher, dass er schon längst in die Tiefen der Bewusstlosigkeit hinab geglitten war. Barrington ging in die Knie und auch dabei hatte er Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten, doch das hielt ihn nicht davon ab, noch einmal mit geballter Faust auszuholen und Draco mitten ins Gesicht zu schlagen. Ein leises Stöhnen entrann seiner Kehle, mehr nicht. Sie konnte nicht einmal mehr weinen, so sehr litt sie unter diesem Anblick. Barrington richtete sich schließlich auf und spuckte noch einmal auf Draco bevor er sich zu ihr umdrehte. Annie starrte ihn an, als hätte sie nie ein schlimmeres Monster gesehen. Sie konnte nicht begreifen, von was sie gerade Zeuge geworden war. Barrington kam auf sie zu und sie konnte den Blick nicht von ihm lösen. Jetzt war sie es die Angst empfand. Um ihrer Angst Herr zu werden blickte sie zu Draco, doch sie erkannte ihn nicht wieder. Wo war der stolze, furchtlose Mann, den sie kennengelernt hatte, den sie liebte? Was war aus ihm geworden? Was hatte er ihm angetan? Sie kam erst zu sich, als sie etwas Kaltes, Spitzes an ihrer Kehle spürte. Annie schluckte und fühlte, wie die Klinge in ihr Fleisch stach. Doch sie war taub für jede Art von körperlichem Schmerz und blickte John Barrington direkt an. „Wage es nie wieder mich einen Feigling zu nennen.“, flüsterte er bedrohlich. „Das Kind rettet dich im Moment, aber das nächste Mal werde ich dich dafür bestrafen.“ Er zog die Klinge zurück und ging ohne ein weiteres Wort oder Blick an ihr vorbei. Sie konnte hören, wie er die Treppen nach oben stieg, beschwerlich und keuchend. Sie hingegen rührte sich nicht. Sie stand einfach nur da, sah auf den Mann den sie liebte, spürte den Schmerz seines Kindes in sich und wünschte sich, alles würde enden. „Was ist passiert?“, hörte sie eine männliche Stimme vom anderen Ende des Raumes. Annie blinzelte, erst dann nahm sie Alexander wahr. Mit großen Schritten durchquerte er den Raum und war auch schon bei ihr, um sie sofort in seine starken Arme zu schließen. Annie atmete seinen vertrauten Duft ein. Erst in diesem Moment schien sie wieder zu erwachen. Krampfhaft versuchte sie sich daran zu erinnern, wie sie in ihr eigenes Gemach zurückgefunden hatte. Sie wusste jedes Detail des Schreckens, dessen Zeuge sie geworden war, doch danach schien alles in dicken Nebel eingehüllt zu sein, den sie nur wage durchschauen konnte. Der Wachmann war zurückrückkehrt und hatte sie bis zum Ende der Treppe nach oben geleitet. Von da aus hatten ihre Füße den Weg wie von selbst gefunden. Doch was sie die Nacht gemacht hatte konnte sie nicht sagen. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, muss sie die ganze Nacht auf ihrem Bett gesessen und vor sich hingestarrt haben. „Annie, was ist geschehen?“, fragte Alexander noch einmal und zum ersten Mal seit Stunden, wie es sich anfühlte, schloss sie die Augen. Sofort tauchten die grausamen Bilder auf. Gleichzeitig wusste sie, dass er wohl schon weitaus schlimmeres erfahren haben musste. „Ich wünschte er wäre tot.“, flüsterte sie schließlich gebrochen und eine Träne rollte ihre Wange hinab. Als sie die Augen wieder öffnete sah Alexander sie schockiert an. „Ich wünschte Draco würde sterben. „Ich habe ihn gesehen, gestern... Ich war unten. Ich... Barrington... er wollte ihm...“, sie musste mehrmals schlucken, um die nächsten Worte hervorzubringen und nicht daran zu ersticken. „Er wollte ihm die Augen ausstechen.“ Alexander schnappte hörbar nach Luft, doch er unterbrach sie auch nicht. Dennoch spürte sie, wie sich der Griff seiner Hände um ihre Arme verstärkte. Es hätte ihr wehtun sollen, aber sie spürte noch immer nichts. „Er hat es nicht getan. Ich konnte ihn aufhalten, aber er hat...“ Sie schüttelte den Kopf und weitere Tränen rollten ihre Wange hinab. Alexander strich ihr über den Rücken, während ihre Tränen zu Schluchzern wurden. „Wir können... können nicht warten. Wir müssen... mü-müssen...“ „Ich weiß.“, unterbrach Alexander sie. „Ich weiß und ich habe auch schon eine Ahnung.“ Augenblicklich richtete sie sich auf und sah ihn erwartungsvoll an. Alexander schloss sie wieder in seine Arme und Annie ließ es geschehen. Seine Lippen waren nahe an ihrem Ohr und ein Schauer durchfuhr ihren Körper, als er zu sprechen begann und sein warmer Atem sie streifte. Es war der vollkommen Gegensatz zu dem, wie sie sich fühlte. „Wir müssen ihr nur auf das Tor schaffen, mehr nicht. Er könnte Hera nehmen und auf ihr fliehen. Er müsste sie nicht einmal richtig führen können, sie würde es allein machen. Ich habe die beiden oft genug gesehen und weiß, dass es funktionieren kann.“ Mit weit aufgerissenen Augen hörte sie ihm zu. Sie hatte sogar aufgehört zu weinen, damit ihr kein Wort entging. „Was wir brauchen ist etwas, was den ganzen Hof beschäftigt hält. Und zwar so sehr, dass selbst Barrington andere Dinge im Kopf hat. Etwas anderes brauchen wir gar nicht zu versuchen, es wäre unser sicherer Tod. Denk nach Annie, fällt dir so etwas ein?“ Alexanders Stimme war drängend und ihr Herz begann zu rasen. Gab es so eine Möglichkeit? In den alten Mauern war ständig jemand unterwegs, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Auch bei Barrington konnte sie sich nicht darauf verlassen, dass er eine fest Bettzeit hatte und Semerloy erst recht nicht. Er hatte sie inzwischen zwar in Ruhe gelassen doch sie wusste, dass er nur auf eine Gelegenheit wartete. Krampfhaft versuchte sie sich eine Situation vorzustellen, bei der das ganze Schloss beschäftigt sein würde, alle von der einfachsten Magd bis hin zu Barrington, aber es wollte ihr nichts einfallen. Damit sah sie ihre einzigen Gelegenheit Draco zu retten durch ihre Finger gleiten und ihr traten wieder Tränen in die Augen. „Wenn er zur Jagd ist?“, fragte sie und wusste doch, dass es zu wenig war. Alexanders Kopfschütteln bestätigte dies nur. „Ein Fest oder dergleichen, das würde schon gehen. Wir könnten auch anders dafür sorgen, dass einige länger als sonst schliefen.“, wisperte er. Annie durchforstete ihr Gedächtnis, irgendetwas musste es geben. Irgendwas... ein Fest... eine Feier, ähnlich groß, wie die ihrer Hochzeit. „Würde es das nicht noch viel gefährlicher machen?“, fragte sie dazwischen, während sie weiter fieberhaft nachdachte. „Es würden so viel mehr Leute hier sein.“ „Es würde ihn genügend von Draco ablenken. Er liebt es sich zu präsentieren und im Mittelpunkt zu stehen.“ Genau diese letzten Worte waren jene, die Annie den nötigen Anstoß gaben. „Sein Geburtstag.“, sagte sie fast atemlos, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. „Barrington hat in zwei Monaten Geburtstag. Es soll ein großes Fest werden mit über 100 geladenen Gästen. Die Vorbereitungen haben bereits begonnen.“, flüsterte sie aufgebracht, als sie an die Gefahren dachte, die es mit sich bringen würde aber vor allem an die Tatsache, dass es noch zwei Monate bis dahin waren. Draco würde es bis dahin nicht überleben. „Er wird vorher sterben und vielleicht ist es besser so.“, sprach sie ihre Gedanken aus und Kälte kroch ihren Körper entlang. Alexander drückte sie noch fester an sich. „Nein, Barrington wird ihn nicht so einfach gehen lassen. Nicht ohne vorher sein Geheimnis zu kennen.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte sie kraftlos. „Weil du dafür sorgen wirst.“, erwiderte Alexander und Annie sah ihn irritiert an. „Du musst Barrington dazu bringen, ihn am Leben zu lassen. Du kannst ihn jetzt nicht einfach aufgeben.“, beschwor ihr Bruder sie. „Aber...“ „Ich weiß nicht, wie es dir gelingen soll, nur dass es muss. Du bist die Einzige, die nah genug an ihn herankommt. Stelle dich auf seine Seite, nähere dich ihm an, egal wie schwer es dir fällt. Ich weiß, ich verlange viel von dir, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Wir müssen diese zwei Monate warten.“ „Er wird es mir niemals glauben.“ „Versuche es.“, sprach Alexander eindringlich. „Oder dir fällt noch etwas anderes ein?“ Starr schüttelte Annie den Kopf. Sie wusste nicht, wie sie das schaffen sollte. Dann nickte sie stumm. Was sollte sie auch anderes tun? Den ganzen frühen Nachmittag verbrachte sie ihn ihrem Zimmer und dachte darüber nach, wie sie es nun nach so langer Zeit schaffen sollte Barringtons Vertrauen zu gewinnen. Wie sollte sie ihn dazu bringen, Draco versorgen zu lassen oder ihn wenigstens nicht weiter so zu quälen? Er würde das niemals zulassen. Für ihn war Draco sein Eigentum mit dem er machen konnte, was er wollte. Aber irgendetwas musste sie doch tun können. Die zwei Monate erschienen ihr wie eine Ewigkeit. Vielleicht wäre es doch besser, wenn Draco sterben würde. Sie konnte diese Gedanken einfach nicht loswerden. Sie wünschte es sich fast für ihn, auch wenn ihr Herz dabei zerbrach. Dass, was sie gesehen hatte, konnte niemand auf Dauer ertragen. Annie stand am Fenster, sah nach draußen und dachte an den kleinen Garten, den sie sich angelegt hatte. Seit Tagen war sie nicht mehr dort gewesen. Vielleicht sollte sie jetzt hingegen. Möglicherweise würde ihr dort etwas einfallen. Langsam machte sie sich auf den Weg. Sie ging vorsichtig und langsam, denn jeder Schritt erschien ihr schwerer als der vorherige. Am Treppenabsatz blieb sie stehen. Würde sie nach links gehen, würde sie den Weg zum Verließ finden. War Barrington jetzt wieder dort? War Draco schon wieder erwacht? Doch sie wählten den rechten Weg und verließ die Burg durch einen der Seiteneingänge, die eigentlich nur für die Dienstboten bestimmt waren. Sobald sie die Mauer verlassen hatte, glaubte sie freier atmen zu können, obwohl sie im nächsten Augenblick ein schlechtes Gewissen befiel. Er litt in diesem stickigen Raum, in dem es nach Blut, Schweiß und Urin roch. Hastig ging sie in ihren Garten, aber nicht einmal die Schönheit der letzten Frühblüher konnte sie erfreuen. Die Farben leuchteten prächtig, sprachen von Wärme und Sonnenschein und doch erschien ihr alles so falsch und grau. Selbst die Knospen an ihren Apfelbäumen wollte sie am liebsten brechen, damit die Äste genauso leer waren, wie sie sich fühlte. Was würden sie in zwei Monaten tun? Wie könnte sie dafür sorgen, dass niemand es bemerken würde, wenn sie Draco aus der Burg schafften? Das einfachste wäre es wohl Schlafkräuter in das Essen oder die Getränke zu mischen. Doch wie sollte sie das anstellen? Welches Kraut war stark genug, um wirklich zu gewährleisten, dass sie nicht vorher erwachten? Wie sollte sie die ganzen Leute zum Schlafen bringen? Natürlich war Barrington am wichtigsten, aber was war mit den anderen, den zahllosen Gästen, die er mit Sicherheit haben würde? Aber vielleicht brauchte sie auch gar nicht darüber nachdenken. Wenn Draco wirklich starb, spielte nicht einmal mehr ihr eigenes Leben eine Rolle. Dann könnte sie sich ebenso selbst das Leben nehmen. Ein kräftiger Tritt gegen ihren Bauch ließ sie schmerzhaft zusammenzucken. Sie durfte so etwas nicht denken. Sie hatte ja immer noch das Kind. Aber selbst das wollte man ihr ja nehmen. Annie fuhr sich mit dem Handrücken, über die Augen und wischte sich die Tränen fort. „So traurig?“, hörte sie eine Stimme hinter sich und erkannte sie sofort. Doch anders als sonst, konnte sie nicht einmal wütend sein oder besorgt über seine Anwesenheit. Nein, vielmehr war sie schlichtweg genervt. „Was wollt ihr?“, fragte sie und sah Jonathan Semerloy nicht einmal an. „John sagte mir, ihr seid gestern im Verließ aufgetaucht und hättet ihn als Feigling bezeichnet. Ganz schön mutig von euch.“ Jetzt blickte sie ihn doch an und da sie es nicht ertragen konnte, dass er von oben auf sie herunter sah, stand sie auf, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Mag sein, dass ich das getan habe, aber was hätte ich anderes denken sollen? Er wollte diesem Mann die Augen ausstehen, nur weil er ihn angesehen hatte.“, sagte sie mit möglichst ruhiger Stimme, merkte aber selbst wie scharf sie klang. Jonathan Semerloy legte den Kopf schief. „Ach wirklich?“ „Ja, so war es gewesen. Allerdings wundert es mich überhaupt, dass er sich noch daran erinnern kann.“, sagte sie weiter und wusste gleichzeitig, dass es besser wäre den Mund zu halten. Aber sie konnte nicht. Ihre Angst bahnte sich einen Weg und das schien ihr die einzige Möglichkeit sie freizulassen. Semerloy grinste sie schief an und sie wusste, dass er sich an ihrem Tonfall nicht störte. Vielmehr fand er es wohl amüsant und sie wollte gar nicht daran denken, was es in ihm noch auslösen mochte. „Ich wundere mich eigentlich viel mehr darüber, was ihr da unten noch zu suchen hattet.“, erwiderte er so gelassen, als sprächen sie nur über das Wetter und nicht über ein Leben, dass im Verließ unter ihnen dahin vegetierte. Für einen Moment war sie zu schockiert um Antworten zu können, doch sie sammelte sich schnell wieder und suchte nach den passenden Worten. „Alexander hat mir erzählt, dass man seinen Arbeiter gefangen genommen und hierher gebracht hat. Er sagte mir, dass John ihn nicht zu ihm lässt und er erzählte auch von haarsträubenden Anschuldigungen. Ich wollte mich selbst davon überzeugen und Alexander Nachricht geben, dass es ihm gut geht. Allerdings ist wohl alles andere der Fall.“, erwiderte sie. „Ah Alexander, natürlich. Wie konnte ich ihn auch nur einen Moment vergessen?“, sagte Semerloy und seine Stimme triefte vor Sarkasmus. „Also warum?“, fragte Annie. „Was?“, fragte Jonathan Semerloy zurück, als wüsste er nicht genau, was sie von ihm verlangte. „Warum ist er im Verließ und wird schlimmer behandelt als ein Tier?“ „Diese haarsträubenden Anschuldigungen, wie ihr sie nennt, sind wahr. John glaubt, dass dieser Mann einmal ein Drache war. Jener Drache, den er schon einmal fast bekommen hätte. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, sich in einen Menschen zu verwandeln. Er hat sich bei Alexander eingeschlichen und ihr Bruder hat nicht einmal bemerkt, dass er etwas nicht Menschliches unter seinem Dach wohnen lässt. Einfältig, wenn ihr mich fragt.“ Der einzig Einfältige hier, seid ihr, dachte Annie. „Aber...“, Annie wusste, dass sie ihre nächsten Worte mit Bedacht wählen musste. Sie wusste, dass jedes einzelne darüber entscheiden würde, ob sie Draco würde helfen können oder nicht. „Aber wie könnt ihr euch sicher sein? Und was nützte er euch jetzt, da er ein Mensch ist, wenn es denn überhaupt stimmt.“ Jonathan Semerloy zuckte mit den Schultern. „Die Farbe seiner Haare, seiner Augen, dass alles ist genauso wie bei dem Drachen und der Blick mit dem er John und mich angesehen hat ist nicht menschliches. Er ist wild und tierisch, ganz der eines Monster.“ Ein Monster? Niemals! „Aber ihr habt recht, was nützt er uns noch. Nicht sehr viel, um ehrlich zu sein. Deswegen wollen wir auch, dass er seine alte Gestalt wieder annimmt.“ „Und wenn er das nicht kann?“ Jonathan sah sie einen Moment prüfend an. „Wie kommt es, dass ihr euch so viele Gedanken darum macht?“, fragte er misstrauisch. Offenbar war ihm ihr neu entfachtes Interesse nicht entgangen und vielleicht auch deswegen, weil es die erste richtige Unterhaltung war, die sie beide je miteinander geführt hatten. „Ich bin nur neugierig. Wenn ihr ihn erst einmal zu Tode gequält habt, wird es sowieso egal sein, ob er ein Mensch oder Drache ist.“ Ihre Stimme war eisig und sie bemühte sich auch nicht ihre Ablehnung zu verbergen. „Tod?“ „Natürlich. Ihr wollt Antworten, wollt dass er wieder ein Drache wird, aber wenn ihr so weiter macht, wird er schon sehr bald sterben.“, sprach sie das offensichtliche aus. „Ich habe ihn nur kurz gesehen, aber das was ich sah, reichte. Länger wird dieser Mann es nicht mehr ertragen können. Ihr solltet euch vielleicht entscheiden: entweder eurer Vergnügen oder Antworten.“ Sie sahen sich einen Moment in die Auge und Annie wiederstand dem Drang wegzusehen. Als Semerloy nichts erwiderte stahl sich ein ungläubiger Ausdruck auf ihr Gesicht. „Ihr habt noch nicht einmal ansatzweise daran gedacht, dass er unter euren Händen sterben könnte oder? Alles war ihr seht ist der Drache“, dieses Wort spukte sie beinah aus, um ihm zu zeigen, wie sehr sie glaubte, dass es stimmte, „dabei ist er nichts weiter als ein Mann.“ Sie hatte zu viel gesagt, dass wusste sie. Die Worte, die ihr auf der Seele lagen, hatte sie zwar nicht ausgesprochen, aber es hatte nicht viel gefehlt. Vielleicht hatte sie sich auch so verraten. „Jonathan!“, hörte sie Barrington rufen und beide drehten sich in seine Richtung. Er saß auf einem prächtigen Pferd, dem das Gewicht dieses Mannes nicht zu stören schien. Neben ihm stand der Stallbursche mit einem Schimmel, an dessen Sattel Pfeil und Bogen befestigt waren. „Ihr reitet aus?“, fragte Annie nicht ohne einen erstaunten Unterton in der Stimme. Sie hätte erwartet, dass Barrington gar nicht genug von seiner perversen Folter bekommen konnte und dass die Jagd nun, da er hatte, was er wollte, vorbei sei. „Natürlich. Auch uns wird hin und wieder mit ihm langweilig, obwohl uns die Idee noch lange nicht ausgegangen sind.“, sagte er leichthin und lächelte sie an. „Aber vielleicht werden wir sogar berücksichtigen, was ihr sagtet.“, fügte er an und griff nach einer Haarsträhne von ihr, die er durch seine Finger gleiten ließ. Dann wandte er sich ab und saß auf. Offenbar fand Barrington nichts Anstößiges dabei, wie Jonathan seine Begehren zeigte, selbst vor ihm. Annie beobachtete die Männer, wie sie das Anwesen verließen. Langsam trat sie aus ihrem Garten heraus. Sie war vorsichtig, damit sie sie nicht sahen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, denn sie wusste, dass dies ihre Gelegenheit war zu Draco zugelangen. Bis sie den Wald erreichten, würde es einige Zeit dauern, ganz gleich für welchen sie sich entscheiden sollten und selbst, wenn sie nur ganz kurz jagen würde, würde es ihr genügend Zeit verschaffen. Ihr Körper stand unter Anspannung und jeder Nerv in ihr schrie danach sofort in das Verließ zu rennen, doch sie zügelte sich. Sie wartete geduldig, ging durch ihren Garten und hoffte, dass man sie beobachten würde. Es sollte niemand auf die Gedanken kommen sie hätte nur darauf gewartet, dass die beiden endlich verschwunden waren, bevor sie nach unten ging. Außerdem würde Doktor Storm noch kommen. Er hatte sich zumindest angekündigt und wenn er einmal da war... Annie hielt den Atem an. Er war ein Arzt, zwar auf Frauenheilkunde spezialisiert, aber das hieß nicht, dass er nicht auch mit anderen Dingen umzugehen wusste. Vielleicht konnte sie ihn dazu bringen nach Draco zu sehen, ihm irgendwie zu helfen? Aber was würde er zu Dracos geschundener Gestalt sagen? Würde er es riskieren ihm zu helfen? Was würde sie Barrington dann erzählen? Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie wütend er sein würde, wenn er erfuhr, dass sie sich wieder eingemischt hatte. Aber sie konnte auch nicht Nichts tun und darauf vertrauen, dass Semerloy wirklich über ihre Worte nachdachte. Und selbst wenn, konnten sie Draco immer noch einfach töten. Als Annie glaubte genug gewartet zu haben und es auch nicht länger aushalten konnte, kehrte sie in die Burg zurück. Abermals wählte sie den Hintereingang, denn jeder wusste, dass sie diesen Weg bevorzugte und es würde auch niemand etwas Seltsames daran finden. Als sie jedoch wieder an der Treppe stand, ging sie gerade aus und nicht nach oben. Ihr war vor Aufregung ganz schlecht. Waren sie heute schon einmal bei Draco gewesen?, überlegte sie. Was haben sie ihm dieses Mal angetan? Was würde sie tun? Sie konnte nicht einfach zu ihm gehen und sagen, es würde alles gut werden. Sie konnte ihn nicht einmal versorgen, da sie nicht einmal Kräuter bei sich hatte. Und ihre Magie zu gebrauchen, erschien ihr zu gefährlich. Was also wollte sie dort genau? War es nur um bei ihm zu sein? Wollte sie ihn einfach nur spüren lassen, dass sie da war? Sie zog die schwere Holztür zum Verließ auf. Der Gang war immer noch von Fackeln beleuchtet. Annie spürte ihre Beine kaum noch, als sie die letzte Stufe erreicht hatte. In Gedanken war sie schon hinter der Zellentür und überlegte fieberhaft, was sie sagen würde, was sie tun würde. Sie wusste, dass jedes Wort sinnlos war. Keines würde ihm helfen können. Umso überraschter war sie, als sie den Wachmann bemerkte, der sich erhob und kurz vor ihr verneigte. „Mylady.“, sagte und sah sie abwartend an. Perplex starrte sie den Mann an. Er war nur wenig größer als sie, aber von kräftiger Statur, doch keineswegs füllig. Sein Gesicht zeigte noch die einstige Jugend, doch hatte auch schon schlimmeres gesehen. Sein Haar war hellbraun und seine Augen schienen von einem dunklen Grün zu sein. Zumindest glaubte sie das zu erkennen. „Gebt mir die Schlüssel und lasst mich mit ihm allein.“, sagte sie schließlich nach einer, wie ihr schien, Ewigkeit. Ungläubig sah er sie an. „Aber Mylady, ich habe strikte Anweisung niemanden einzulassen, ganz zu schweigen davon die Schlüssel auszuhändigen.“ Annie schwieg, unsicher über diesen unerwarteten Widerstand. Doch sie konnte und wollte nicht einfach wieder umkehren. Sie musste zu ihm. Jetzt! „Dann habe ich jetzt eine neue Anweisung für euch, gebt mir Schlüssel und verlasst das Verließ.“, sagte mit Autorität in der Stimme, wie sie hoffte. „Aber Mylady,...“, begann er von neuem. „Die Schlüssel.“, sagte Annie abermals und streckte nun die Hand nach vorn. Ihre Geduld war am Ende. Der Mann vor ihr zögerte und in seinem Blickt glaubte sie so etwas wie Angst erkennen zu können. Erst dann verstand sie. Er hatte mitnichten Angst vor ihr, aber vor John Barrington und was passieren würde, würde er erfahren, dass er sie eingelassen, ja ihr sogar die Schlüssel gegeben hatte. „Ihr könnt unbesorgt sein. Ich werde es auf meine Verantwortung nehmen und dafür sorgen, dass euch nichts geschieht. Ihr habt nach meinem Willen gehandelt. Mein Mann wird davon nie erfahren.“ Doch auch diese Worte schienen dem Wachmann nichts von seiner Unsicherheit zu nehmen. „Geb mir die Schlüssel oder ich werde genauso wenige Gnade kennen, wie mein Mann.“, sagte sie schließlich scharf und drohend, jede Vorsicht hinter sich lassend. Erschrocken sah er sie an. Dann zog der Mann langsam die Schüssel von seinem Gürtel und hielt sie ihr hin. Ohne noch weiter Zeit zu vergeuden, nahm Annie sie und das kalte Metall fühlte sich überraschend gut und beruhigend auf ihrer Haut an. „Geht.“, sagte sie ein letztes Mal und dieses Mal brauchte er keine weitere Aufforderung und verließ hastig das Verließ. Sobald sie hörte, wie seine Schritte den oberen Absatz erreicht und die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ Annie die Hand sinken und schloss die Augen. Sie atmete tief ein und versuchte die Kraft heraufzubeschwören mit der sie gerade so viel Autorität gezeigt hatte. Doch sie spürte nichts mehr davon, nur noch Unsicherheit und Angst. Was würde sie Barrington erzählen? Wie würde sie ihn überzeugen können, dass sie nur für ihn handeltet? Sie schüttelte den Kopf. Später... Ein letztes Mal atmete sie durch, dann wandte sie sich um und trat auf die Zelle zu. Ihr Herz schlug ihr inzwischen im Hals. Sie blickte auf seine zusammengekrümmte Gestalt und tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie wollte nicht weinen. Es würde ihm nicht helfen. Draco lag mit dem Rücken zu ihr. Annie wollte seinen Namen sagen, doch aus ihrem Mund drang nur ein erstickter Laut. Also führte sie den Schlüssel in das Schloss. Sie musste fest Drehen, doch als es aufsprang gab es ein klickendes Geräusch. Sie behielt Draco im Auge, hoffte eine Reaktion zu erkennen, aber er blieb regungslos. Horror setzte bei ihrem nächsten Gedanken ein: Vielleicht war sie schon zu spät. Sie zog die Tür mit Schwung auf und mit eiligen Schritten lief sie zu ihm. Dann verließen sie ihre Kräfte und sie fiel vor ihm auf die Knie. Ihre Augen waren weit aufgerissen, nahmen jede misshandelte Stelle auf seinem Körper wahr: die tiefen Wunden auf seinem Rücken, wahrscheinlich von einer Peitsche, dachte sie. Sie sah nur die rechte Hälfte seines Gesichts und an den Schläfen rote Blutergüsse. Seine rechte Hand lag über seinen Körper und als sie sich ein wenig darüber beugte, sah sie die frischen Wunden auf seinem Arm. Die Form kam ihr bekannt vor, so als würden sie ein Muster zeigen, doch sie kam nicht gleich darauf was sie bedeuten. Erst als sie ein zweites Mal hinsah, länger und genauer, erkannte sie es und verstand. Schockiert stieß sie die Luft aus und langsam rollte eine Träne ihre Wange hinab. Was hatte er ihm angetan? Als nächstes bemerkte sie die linke Hand und erst jetzt realisierte sie das Ausmaß dieser Verletzung. Sie war angeschwollen. Der kleine Finger war fast blau und seltsam verkrüppelt. Die anderen Finger zeigten Quetschungen und Blutergüssen, wahrscheinlich von dem Tritt am vorherigen Abend. Doch das merkwürdigste von allem war vielleicht, dass sie geöffnet war und er sie ausgestreckt hatte. Als würde er nach etwas greifen wollen, oder als ob sie schon gar nicht mehr zu ihm gehörte. Vorsichtig beugte sie sich über Draco und erkannt weitere blutige Striemen auf seiner Brust und Bauch. Sie sah sie nicht ganz, aber sie vermutete, dass sie ähnlich schlimm aussahen wie jene auf seinem Rücken. Bevor sie nach unten gegangen war, hatte sie mit ihm sprechen wollen. Sie hatte in seine Augen sehen wollen und ihm sagen wollen, wie sehr sie ihn noch immer liebte, dass Alexander und sie ihn schon irgendwie herausholen würden. Doch jetzt, da sie ihn so sah, fragte sie sich, ob es nicht besser war, ihn im Schutz der Ohnmacht zu lassen. So sehr sie sich auch nach ihm verzehrte, so konnte sie es noch weniger über sich bringen, dass bisschen Ruhe, das ihm durch Barringtons Abwesenheit vergönnt war, zu zerstören. Unsicher sah sie sich um und entdeckte den Becher Wasser neben ihm. Sie nahm in hoch und roch daran. Es war schon ein paar Tage alt. Das konnte er unmöglich trinken. Sie würde dafür sorgen, dass ihm frisches gebracht wurde, dachte Annie. Dann atmete sie einmal durch, als ihre Entscheidung wie von selbst fiel. Sie würde ihn nicht wecken. Er sollte schlafen, aber sie wollte wenigstens versuchen etwas zu tun. Einen kurzen Blick warf sie aus der Zellentür, um sicher zu gehen, dass sich niemand ihr unbemerkt genähert hatte, aber bei den alten Steinstufen würde sie es wohl hören, wenn das jemand versuchte. Dann legte sie eine Hand auf seinen Rücken, gerade so, dass sie die verletzte Haut kaum berührte und begann leise, in einer anderen Sprache zu murmeln. Am äußersten Rande seines Bewusstseins spürte er eine Anwesenheit. Irgendjemand war zu ihm gekommen, doch bisher fühlte er keinen neuen Schmerz, der ihn ruckartig zurückgebracht hätte. Was hatten sie sich nun einfallen lassen?, fragte er sich benommen und gleichzeitig tauchte er tiefer in die Schwärze hinab. Wenn er nur tief genug in ihr wäre, wenn sie ihn vollkommen und fest umschließen würde, würde er vielleicht gar nicht mehr zurückkönnen. Ganz gleich, was sie dem Köper antun würden. Die Empfindung verschwand langsam und Ruhe breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich schwerelos, als würde er in einem endlos schwarzen Raum dahingleiten, ohne Licht und ohne Mond. Doch er war auch ohne Schmerzen und das war alles, was er im Moment wollte. Kaum hatte er dies zu Ende gedacht, öffnete sich etwas in ihm und die Schwärze verschwand. Sie verzerrte sich zu einem nebligen, hässlichen Grau. Dann setze auch die Pein wieder ein. Er spürte es auf seinem Rücken. Brennender Schmerz, als würde das Fleisch, welches zuvor so gewaltsam auseinander gerissen worden war, wieder zusammenwachsen. Annie hörte wie er aufstöhnte und hielt augenblicklich inne. Sein Atmen ging plötzlich schneller und sie merkte, wie er sich weiter zusammenkrümmte. Als hätte er mehr Schmerzen, als zuvor. Als wäre es ihre Schuld. „Draco.“, flüsterte sie kaum hörbar, aber er reagierte nicht. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Annie besah sich die Wunden auf seinem Rücken. Ein wenig hatte sie sich geschlossen, doch es reichte bei weitem nicht. Sie konnte sie nicht ganz heilen. Dafür waren sie zu tief. Aber es war ein Anfang, dachte sie. So konnte sie den Heilungsprozess vielleicht etwas beschleunigen. Doktor Storm würde den Rest machen müssen. Inzwischen war sie fest entschlossen, den Arzt zu ihm zu bringen. Sacht berührte sie den Mann, den sie liebte an der Schulter und versuchte ihn ein wenig zu ihr zu drehen, nur so viel, damit sie auch die Wunden auf seiner Brust ein wenig heilen konnte. Doch sein Körper war steif und je mehr sie es versuchte, desto mehr schien er sich zu wiedersetzen. Annie beobachtete, wie er die linke Hand langsam zu seinem Körper zog, um sie anschließend an seinen Oberkörper zu pressen. Als wollte er sich somit vor weiteren Qualen schützen. Dracos Augen waren noch immer geschlossen. Und wieder dem, was sie zuvor noch gedacht hatte, hoffte sie dass er aufwachen würde. Behutsam beugte sich Annie über ihn und legte ihre Lippen an sein Ohr. „Draco.“, wisperte sie und er zuckte unter ihr zusammen. Welchen Streich spielte sein, von Schmerzen vernebelter Verstand ihm jetzt? Reichte es nicht, dass sein Körper gefoltert war und brannte, musste es jetzt sein Geist sein. Für einen kurzen Moment hatte er ihre Stimme gehört, schwach und leise, aus weiter Ferne, aber sie sie war echt gewesen. Aber es war auch keine Erinnerung. Zumindest wollte sein Geist ihm das glauben machen. Aber es konnte nicht sein. Er wusste inzwischen nicht einmal mehr, ob er sie wirklich gesehen hatte, ob sie wirklich dagewesen war, als Barrington ihm die Augen nehmen wollte. Er wurde langsam verrückt. Eine andere Erklärung gab es nicht. Abermals hörte er ihre weiche Stimme, dicht neben seinem Ohr, sogar noch klarer als zuvor. Vielleicht sollte er gehen und von dem Grau loslassen. Nur ein Blick, um sicher zu sein, dass sein Verstand ihn nun endgültig verließ. Dann würde es sicher nicht mehr lange dauern, bis der Rest seines Körpers folgen würde. Und vielleicht würde dann alles andere leichter sein, vielleicht würde er es dann nicht mehr spüren. Annie sah, wie seine Augenlider flatterten und gleichzeitig ein Stöhnen seine Lippen verließ. Nur sehr langsam öffnete er die Augen und es kostete ihm sichtlich Mühe sie geöffnet zu lassen. „Draco.“, wisperte sie noch einmal und kämpfte wieder mit den Tränen. Sie durfte jetzt nicht weinen. „Ich bin hier.“ Kaum hatte sie die Worte gesprochen, schloss er die Augen erneut und atmete hörbar auf. „Draco!“, sagte sie nun eindringlicher. Sie hatte das Gefühl, als würde das Leben aus seinen Körper weichen. Vielleich träumte er immer noch, überlegte er. Wie sollte es ihr sonst möglich gewesen sein, zu ihm zu kommen, wenn nicht im Traum. Mit zitternden Fingern hob sie eine Hand und fuhr ihm durch das einst blonde Haar. Jetzt war es schmutzig und strähnig. Erneut öffnete er die Augen, als ihn die Erkenntnis traf. Kein Traum konnte so real sein. In keinem seiner Träume hatten sich ihre Finger so lebendig und warm angefühlt wie jetzt. Sollte es wahr sein? War sie wirklich bei ihm? Draco wollte ihren Namen sagen, doch statt eines Wortes kam ein Husten heraus, welches ihm die Luft aus den Lungen drückte. Sein Körper zuckte unkontrolliert als es vorbei war, vor Schmerz und vor Bemühung wieder genügend Luft zum Atmen zu bekommen. Barrington konnte nicht da sein. Er hätte ihn schon längst Schmerzen spüren lassen. Die weiche Hand fuhr noch immer durch seine Haare und legte sich dann auf seine Stirn. Dort begannen sie sanft darüber zu streichen und für einen kurzen Augenblick fühlte sich Draco an die ersten Tage seines Menschseins zurückversetzt. Damals hatte sie das gleiche getan. Sie war wirklich bei ihm. Annie beugte den Kopf über ihn und lehnte ihre Stirn vorsichtig gegen seine. Stumme Tränen flossen ihre Wange hinab und bedeckten seine und sie konnte hören, wie er langsam einatmete, um den Mund für ein paar Worte zu öffnen. Sie erhob sich und sah ihn an. Langsam drehte er den Kopf und verzog für einen Moment schmerzhaft das Gesicht. Doch sein Blick blieb immer auf ihrem Gesicht haften. Er konnte nicht glauben, dass sie wirklich vor ihm stand. Es musste wohl auch auf seinem Gesicht zu lesen sein, dann sie sagte: „Ich bin es wirklich.“ Dann berührte sie ihn wieder an der Stirn, wie sie es schon so oft zuvor getan hatte. „Ich bin wirklich da.“, flüsterte sie. Draco schloss die Augen und genoss diese sanfte Berührung auf seiner Haut. Sie verschaffte ihm mehr Linderung, als es jedes andere Heilmittel wohl jemals könnte. Gern hätte er sich dieser Geste hingegeben und sich von ihr wieder in die Wiege des Schlafes bringen lassen, doch er wollte diesen Moment mit ihr nicht vergeuden. Also blickte er sie wieder an und sah in ihre tränennassen Augen. Sie war genauso, wie er sie immer in seinen Erinnerungen gesehen hatte: wunderschön, zerbrechlich und einzigartig. Ein schwaches Lächeln lag auf ihrem Gesicht und ihm wurde einmal mehr bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte, wie sehr er sich nach ihr sehnte, ihrem Blick, ihren Berührungen, ihren Küssen und ihrem Körper. Vieles wollte er sie fragen doch der Schmerz hielt ihn zurück. Seine Zunge war geschwollen und allein das Schlucken war eine Qual für ihn. Doch er drehte seinen Körper ein wenig mehr und streckte seine unverletzte Hand nach ihr aus. Er wollte sie berühren, wenn auch nur einmal und dann nie wieder. Als seine Hand ihre Wange berührte, schloss Annie die Augen und ein Schluchzer entfuhr ihr. Empfand sie das gleich, wie er dabei?, fragte er sich. Weitere Tränen fanden ihren Weg ihre Wange hinab und verfingen sich zwischen seinen Finger. Er wusste wie ihre Tränen schmeckten. Schmerzen durchdrangen seinen Körper, alles schrie danach sie loszulassen, den Arm zurückzunehmen und jene Position einzunehmen, die ihn am wenigstens empfinden ließ. Draco weigerte sich diesem Gefühl nachzugeben. Langsam ließ er seine Hand nach unten gleiten, seine Fingerspitzen berührten ihren Hals, ihren Schulter und fuhren schließlich ihren Arm entlang. Er spürte, wie sie unter seiner Berührung erzitterte und es erfreute ihn auf gewisse Weise, dass er noch immer so etwas bei ihr auszulösen vermochte. Seine Hand glitt ihren Arm hinab und er spürte, wie der Schmerz dabei etwas nachließ. Sein Blick war seiner Hand gefolgt und eilte ihm nun voraus, über ihren Arm bis zu dem Punkt zu ihrer Hand, die auf ihrem Bauch lag. Dies war der Moment in dem etwas in ihm erstarrte, um im gleichen Augenblick in tausende Scherben zu zerspringen. Seine Fingernägel gruben sich in das zarte Fleisch ihres Unterarmes und sein Körper begann unkontrolliert zu zittern. Ihr Bauch war gewachsen, schoss es ihm blitzschnell durch den Kopf. Er sah aus wie bei Susan und Draco hatte inzwischen genug gelernt, um zu begreifen, was es bedeutete. Annie erwartete ein Kind. Und obwohl er nicht ganz sicher war, wie es bei den Menschen zu Stande kam, wusste er doch, dass es nur von Barrington sein konnte. Das was sein war, erwartete das Kind eines anderen. Jede Berührung war wie der Flügelschlag eines Schmetterlings auf ihrer Haut. Sie hinterließen ein Kribbeln, das sich durch ihren Körper ausbreitete und ihn von innen wärmte. Eine Wärme, die sie schon seit langem nicht mehr empfunden hatte. Sie schloss die Augen und genoss sie, so wie er es zuvor getan hatte. Doch plötzlich hörten sie auf und seine Finger versanken schmerzhaft in ihren Arm. Erschrocken riss sie die Augen auf und ein kleiner Schrei entfuhr ihr. Annie sah in sein Gesicht und erschrak ein zweites Mal. Horror stand darauf geschrieben, Verzweiflung, Angst und vielleicht auch Resignation. Sie war verwirrte, sie verstand nicht. Was sollte diese Gefühle auf einmal in ihm ausgelöst haben? Dann folgte sie seinen Blick und ihr wurde klar, was er sah: Ihren Leib, in dem ein Kind heranwuchs. Auf einmal ließ er ihren Arm so plötzlich los, als hätte er sich daran verbrannt und zog sich gänzlich zurück. Er dreht den Körper wieder und wollte wohl in die gleiche Position zurückkehren, in der sie ihn gefunden hatte: allein und in eine Welt voller Schmerzen. „Nein!“, stieß sie hastig aus und griff nach seiner rechten Hand. Er hatte keine Ahnung. Draco wollte seinen Arm wegziehen. Sie sollte ihn nicht berühren. Ruckartig versuchte er sich zu befreien und suchte dabei unbewusst Halt mit seiner linken Hand. Die Luft wich aus seinen Körper, als ein so starker Schmerz durch seinen linken Arm schoss, dass er weiße Punkte vor den Augen sah. Er verharrte regungslos, schnappte nach Luft und hoffte, dass es bald vorbei sein würde. Dabei ließ er es geschehen, dass sie seine Hand abermals nahm. Es dauerte einen Moment bevor er begriff, was sie gedachte zu tun. Als seine Hand ihren festen Bauch berührte, wollte er sie zurückziehen, doch sie hielt ihn so fest sie konnte und in seinem geschwächten Zustand, gelang es ihr. „Kannst du es spüren.“, fragte sie mit brüchiger, kaum hörbarer Stimme. Annie spürte das Leben in sich. Es war wach und sie glaubte selbst seinen winzigen Herzschlag fühlen zu können. Das Kind spürte Dracos Anwesenheit. Also musste er es doch auch können oder nicht? Wie konnte er es nicht bemerken?, fragte sie sich fast verzweifelt. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie das Zittern in seiner Hand nachließ und er inne hielt. Sein Atem wurde ruhiger und sein Gesichtsausdruck war zutiefst verwirrt. Es war wie er, dachte Draco ungläubig. Er spürte jemanden seinesgleichen in ihrem Bauch. Es war stark und lebendig, wach und voller Erwartungen. „Verstehst du es?“, drang ihre Frage an sein Ohr. Er konnte den Blick nicht abwenden. Ob er verstand? Was? Wie war es möglich, dass er so etwas fühlte? Langsam hob er den Kopf und sah sie an. Annie erkannte so viele Fragen in seinen Augen und doch konnte sie keine davon beantworten. Es gab keine Worte dafür. Annie nahm seine Hand in ihre und drückte sie fest, dann beugte sie sich nach unten. Mit ihrer freien Hand stützte sie sich auf dem Boden ab und der kalte Stein hielt sie in der Gegenwart, sorgte dafür, dass sie sich nicht vollkommen in dem verlor, was sie gedachte zu tun. Ihre Lippen berührten sich sanft und vor allem zaghaft. Sie spürte sein Zittern und doch ließ sie nicht los. Denn trotz seiner aufgesprungenen Lippen, war der Geschmack süß und verstärkte ihre Sehnsucht nach ihm. Er konnte nicht sagen was in seinem Inneren geschah, als sie ihn küsste. Plötzlich verstand er. Er gehörte zu ihm. Das Leben, welches in ihrem Körper heranwuchs war ein Teil von ihm. Er hatte es geschaffen. Neue, unbekannte Gefühle wirbelten ihn ihm auf und wurden zu einem Sturm. Das alles war ihm unbekannt und auch beängstigend. Doch darüber stand vor allem das Wissen, dass sie noch immer sein war. Egal, was Barrington mit ihr machen würde oder was er mit ihm tat, Annie würde immer sein bleiben und das Wesen, das Kind, mahnte er sich selbst und ein Stoß durchfuhr bei diesem Gedanken seinen Körper, war der Beweis. Zögernd öffnete er die Lippen und erwiderte den Kuss. Es schmerzte, aber dieser Art von Schmerz hieß er willkommen. Als er begann den Kuss zu erwidern, änderte sich dessen Geschmack. Er schmeckte nicht mehr süß, sondern nach Blut. Annie glaubte einen Moment, dass es von seinen Lippen kam, doch es wurde so intensiv, dass ihr schlecht wurde. Sie musste sich von ihm lösen und er ließ sie, anders als noch Monate zuvor, bereit willig gehen. Ein Stöhnen entfuhr Draco und er schien seinen Körper nicht mehr halten zu können. Vorsichtig ließ er sich wieder auf den Boden gleiten und schloss die Augen. Seine Hand lag noch immer in ihrer und Annie spürte, wie sein Griff schwächer wurde. Er würde bald wieder einschlafen. Dennoch wollte sie wissen, woher der Blutgeschmack kam. Seine Lippen waren zwar aufgesprungen, doch sie blutete im Moment nicht. Woher also dann? Was hatten sie noch mit ihm gemacht? Vorsichtig legte sie eine Hand unter sein Kinn und zog mit ein wenig Druck seinen Unterkiefer nach unten, so dass sie in seinen Mund schauen konnte. Sie sah nur wenig, denn die Kerzen spendeten nicht so viel Licht, aber es genügte um sie einen entsetzten Laut ausstoßen zu lassen. Dracos Zunge war vollkommen blutig gebissen. Bevor sich sein Kiefer wieder schloss, glaubte sie die Spuren seiner Zähne sehen zu können, die sich in das empfindliche Fleisch gegraben hatten. Er hatte um keinen Preis schreien wollen. Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie musste ihm helfen, ganz gleich wie. Annie fuhr sich mit dem Handrücken über die nassen Augen, doch im selben Moment sah sie wie sich sein Mund bewegte, als wollte er etwas sagen. Sie hatte es nicht verstanden und sie beugte sich zu ihm herunter, soweit es ihr Bauch erlaubte und legte das Ohr an seine Lippen. Und dann hörte sie ihn flüstern: „Töte mich.“ Es war das einzige, was er noch wollte: Sterben. Draco wusste, dass es für ihn kein Entkommen von diesem Ort gab. Erst, wenn er tot war, würden sie ihn gehen lassen. Aber er würde nicht so schnell sterben, davon war er sogar überzeugt. Annie hatte ihm dieses Leben, dieses menschliche Leben gegeben, sie sollte es ihm auch nehmen. Mit ihr hatte es begonnen, mit ihr sollte es auch enden. Für sie gab es keine Zukunft und Draco wusste tief in sich, dass es sie nie gegeben hatte. Das Kind in ihr, sah er als weitere Strafe an. Warum sonst sollte es entstanden sein? Er war kein Mensch, er hätte sich niemals mit einem Verbinden sollen, ganz gleich wie schön und begehrenswert sie auch war. Er hatte es von Anfang an gewusst. Genauso wie er wusste, dass er den Rest seines kümmerlichen Lebens in Schmerzen verbringen würde. „Ich kann nicht.“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich kann einfach nicht... Vergib mir.“, flehte sie ihn an. Er ließ seine Hand gänzlich sinken und sich von dem Schlaf davon tragen. Es würde kein Ende finden. Annie stand am Fenster. Das tat sie schon seitdem sie aus dem Verließ zurückgekehrt war. Dem Wachmann hatte sie mit klaren Worten gesagt, dass er sie niemals gesehen hatte. Und doch gedachte sie noch am gleichen Tag dorthin zurückzukehren. Sie wartete nur noch auf Doktor Storm. Ein klopfen an ihrer Tür, kündigte von dem lang erwarteten Besuch. „Ja.“, sagte Annie und als sich die Tür öffnete und der wohlvertraute Mann eintrat, war ihr Inneres nun endlich zur Ruhe gekommen. Ihr Herz flatterte nicht mehr nervös in ihrer Brust, sie fühlte sich nicht mehr, als müsste sie sich vor Angst übergeben und selbst das Kind strahlte Ruhe aus. Sie hatte sich entschieden und durfte in den nächsten Monaten keine Unsicherheit zeigen. „Wie geht es ihnen?“, begrüßte Doktor Storm sie höflich und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. In seiner Hand trug er seine schwere, braune Tasche und Annie bewunderte ihn, dass er trotz seiner schmächtigen Statur so schwer tragen konnte. „Es geht mir gut.“, antwortete sie mit fester Stimme. „Doch würde ich sie heute bitten, nach... jemand anderem zu sehen.“ Überrascht sah Doktor Storm sie an, schien sich dann aber wieder schnell zu fangen. „Natürlich, wenn es in meiner Macht steht, werde ich gern helfen. Um wen handelt es sich?“ Annie schwieg einen Moment und sah wieder nach draußen. Sie würden sich beeilen müssen. Die Tage wurden länger und noch waren Barrington und Semerloy nicht zurückgekehrt. Doch das konnte sich jederzeit ändern. Wieder wandte sie sich an den Arzt und Annie entschied, dass er wissen sollte, worauf er sich einließe: „Mein Mann könnte sie dafür töten.“ Hosted by Animexx e.V. 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