Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 22: Stumme Worte ------------------------ Sie konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Ihr Bauch schmerze bereits, ihre Lungen taten ihr weh und schienen zum Zerreisen gespannt. Ihre Augen brannten. Annie versuchte sich zu beruhigen, rational nachzudenken, doch es gelang einfach nicht. Immer wieder drängten sich die gleichen, unmöglichen Gedanken in ihren Geist und wühlten sie noch mehr auf. Das Wort „Erinnerungen“ hatte sie darauf gebracht. Es waren Erinnerungen! Die Träume, die sie Nacht für Nacht heimsuchten, sie ängstigten und doch faszinierten, ihr gleichzeitig ein Gefühl von Vertrautheit und Fremde gaben, sie waren Erinnerungen. Annie ließ sich in die Kissen zurücksinken und das Atmen fiel ihr sofort leichter. Mit den Händen wischte sie weitere Tränen hinfort. Dann zog sie ein Kissen auf ihr Gesicht. Zum einen um die Geräusche zu dämpfen, zum anderen, weil sie hoffte, dass der Luftmangel sie endlich beruhigen würde. Und tatsächlich: Nach wenigen Augenblicken beruhigte sie sich so weit, dass sie zumindest wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Trotzdem liefen die Tränen stumm ihre Wange hinab und ihre Lippen formten zur gleichen Zeit ein Lächeln. Es waren Erinnerungen, begann sie zu akzeptieren. Es waren Dracos Erinnerungen. Nein, dass war nicht ganz richtig, dachte sie matt und zog die Stirn kraus. Es waren die Erinnerungen des Kindes, das sie in sich trug. Als sie das wagte zu denken, begann sie abermals zu lachen. Sie drehte sich auf die Seite und hielt sich den schmerzenden Bauch, das Gesicht in die Decken und Kissen vergraben, um sich wieder zu beruhigen. Es war sein Kind!, dachte sie euphorisch. Nicht Barringtons, sondern seines! Diese Erinnerungen von Drachen, von einem Leben so unvorstellbar und alt, waren allein seine!!! Es war Dracos Kind in ihrem Leib. Sie wollte in hysterisches Gelächter ausbrechen. Draco war der Vater und nicht Barrington!!! Barrington würde niemals einen Erben von ihr bekommen! Er hatte sich getäuscht! Er konnte nicht über ihr Leben bestimmen! Draco war immer bei ihr und würde es immer sein! Und doch würden sie niemals eine Familie sein. Dieser Gedanke war es, der sie so sehr weinen ließ. Es war ausgeschlossen, dass Draco von seinem Kind erfahren würde. Niemals würde er es kennenlernen. Und eben jenes Kind, welches sie bereits jetzt so sehr liebte, wie Draco selbst, bedeutete eine unermessliche Gefahr für sie alle. Sollte Barrington jemals davon erfahren, würde er sie alle auf der Stelle töten. Sie, das Kind, Draco ebenso wie Alexander und dessen Familie. Er würde sie alle vernichten. Noch nie zuvor war sie zur selben Zeit so übermäßig glücklich gewesen und doch so verzweifelt. In jenem Moment beschloss sie sich zu erinnern. Sie wollte sich für das Kind erinnern, an ihr Leben vor Draco, aber vor allem an das Leben mit ihm. Was sie gedacht hatte, was sie empfunden hatte, was sie getan hatte, all dies wollte sie dem Kind geben. Sie würde sich daran erinnern und vielleicht, nur vielleicht gelang es ihr ihm so einen Teil ihrer eigenen Erinnerungen mitzugeben. Schließlich war das Kind ein Teil von ihr, es erlebte, was sie erlebte, warum sollte es nicht auch ihre Erinnerungen bekommen? Annie konnte nicht sagen, was die Zukunft bringen würde. Sie lag dunkel und ungewiss vor ihr. Aber sie wollte ihm so viel wie möglich mit auf den Weg geben, von Draco und sich selbst. Dies war möglicherweise der einzig ungefährliche Weg, um den Kind zu zeigen, wer es wirklich war. Denn ihre Gedanken konnte John Barrington nicht kontrollieren. Sie lag wach und starrte an die Decke über ihr. Ja, sie wollte sich erinnern, doch noch hatte sie nicht die Kraft dazu. Zu vieles ging ihr durch den Kopf und drehte sich unaufhörlich. Das Glück und die Angst hatten sich für immer auf ihre Brust gesetzt. Es dauerte lange, bis sich ihr ein anderer Gedanken aufdrängte: Warum hatte sie so lange gebraucht, um es zu verstehen? Dabei war es doch so offensichtlich! Die Träume hatte sie doch schon seit... seit Neujahr. Sie hätte es längt verstehen sollen. Vielleicht hatte sie es auch nicht wahrhaben wollen. Denn das, was sie momentan empfand war übermächtig und sie wusste nicht, ob sie es überhaupt verarbeiten konnte. Doch erst einmal musste sie aufhören zu weinen und zu lachen, sagte sie sich. Es war ein Wunder, dass die Wachen noch nicht hereingekommen waren. Doch vielleicht schliefen auch sie. Aber vielleicht sollte sie sich dennoch eine Entschuldigung einfallen lassen. Sollten die Wachen etwas gehört haben, würden sie es mit Sicherheit an Barrington oder Semerloy herantragen. Das konnte sie später noch tun, sagte sie sich träge. Im Moment war in ihrem Kopf einfach kein Platz dafür und wenn sie es versuchen würde, würde sie wohl verrückt werden, glaubte sie. Annie legte eine Hand auf ihren Bauch und spürte ein kleines Flattern darin. War es zuvor schon da gewesen? Hatte sie es nur nicht wahrgenommen, weil sie dachte das Kind wäre von Barrington? Oder spürte sie es gerade zum ersten Mal? Sie konnte es nicht genau sagen und das erschreckte sie. Hatte sie das Kind nicht schon lange akzeptiert, ganz gleich wer der Vater war? Sie hatte sich doch vorgenommen, es zu beschützen so gut sie konnte. Warum fühlte sie sich nun, da sie wusste, dass es eben nicht Barringtons Kind war so erleichtert und frei? Warum empfand sie plötzlich so viel mehr für das Kind als zuvor? Annie konnte förmlich spüren, wie ihr Herz mit Liebe für dieses ungeborene Wesen förmlich überlief. Ein schlechtes Gewissen befiel sie, doch gleich darauf schüttelte sie energisch den Kopf. Es brachte nichts mehr darüber nachzudenken. Es war nicht Barringtons Erbe in ihrem Leib und das war es auch vorher nicht, auch wenn sie das vielleicht gedacht hatte. Es hatte nie ein Kind von Barrington gegeben. Dennoch konnte sie das dumpfe Gefühl nicht verdrängen. Annie atmete tief durch und schüttelte noch einmal heftig den Kopf. Sie musste diese Gedanken aufgeben. Sie konnte nichts mehr ändern. Was geschehen war, war geschehen. Sie besaß nicht die Macht die Vergangenheit zu verändern, denn wenn, dann hätte sie es schon längt getan. Dann hätte Barrington Draco niemals so schwer verletzten können. Unwillkürlich dachte Annie an ihrem letzten Traum. Jenen, der dazu geführt hatte, dass sie die Wahrheit erkannt hatte. Barrington hatte Draco gefunden und ihn angegriffen. Dabei hatte er ihn so schwer verletzt, dass Draco nichts anderes übrig geblieben war, als zu fliehen und das hatte ihn schließlich zu ihr geführt. Aber wie war es Barrington gelungen Draco überhaupt zu finden?, fragte Annie sich. Wie war es möglich, dass er einen so mächtiges Wesen, wie es Draco nun einmal gewesen war, zu verletzten? Annie drehte sich wieder auf den Rücken und starrte abermals an die Stoffdecke, die über ihrem Bett gespannt war. Viel lieber hätte sie sich den Himmel angesehen, aber sie wusste, dass sie nicht würde aufstehen können. Ihr Körper war vom Lachen und Weinen noch so geschwächt, dass ihre Beine sie wohl kaum lang tragen würden. Also überlegte sie, was sie – was Draco – gedacht hatte, als er Barrington plötzlich vor sich sah. Er war sich so sicher gewesen, dass diese Menschen ihm nichts würden anhaben können. Deswegen hatte er nicht von Anfang an gekämpft, hatte sie nur einschüchtern und verjagen wollen. Er hat sie nicht als ernstzugenehmende Gegner betrachtet, es zu leicht genommen und er war nicht auf ihre Waffen vorbereitet gewesen. Deswegen war es für Barrington und seine Leute so leicht gewesen. Sie waren davon ausgegangen. Draco hingegen hatte sie unterschätzt und war zu überzeugt von sich gewesen. Annie zog ungläubig die Augenbrauen zusammen. Das erschien ihr zu einfach, aber etwas anderes wollte ihr nicht in den Sinn kommen. Sie erinnerte sich nur zu klar an den Traum und die Gedanken. Selbst als er bereits verletzt gewesen war, wollte er immer noch nicht glauben, dass es Menschen möglich sein konnte ihn zu überrumpeln. Sie kannte Dracos Stolz, sie kannte seine Einstellung gegenüber den schwächlichen Menschen. Das hatte er ihr erzählt, so hatte sie es gesehen. Dabei hatte er die Menschen schon ganz anders kennengelernt, wurde ihr klar. Natürlich hatte sie Draco nach seinen Verletzungen gefragt, aber selbstverständlich hatte er ihr nicht geantwortet. Lange Zeit hatte sie deshalb geglaubt, sie würde von anderen Drachen stammen. Erst als Barrington bei ihr aufgetaucht war, hatte sie die Wahrheit erfahren. Dort hatte sie gesehen, dass er auch Angst vor den Menschen haben konnte. Aber warum hatte sie vorher nichts dergleichen bemerkt? Weil sich seine Einstellung nicht geändert hatte, kam sie zu dem Schluss. Draco glaubte noch immer, dass er den Menschen überlegen war. Nur John Barrington hatte ihm bisher gezeigt, dass dem nicht immer so war. Doch die Angst, die er da gezeigt hatte, hatte sicher nur an seinem menschlichen Körper gelegen. Jetzt war es schon anders. Sie wusste, dass Draco jeden Tag mehr lernte, seinen Körper immer besser beherrschte und wenn Alexander ihm den Umgang mit dem Schwert beibrachte, würde er nicht mehr warten. Irgendwann würde er Vergeltung wollen. Er wollte Rache für die Schmach, die er durch diesen Mann, diesen schwächlichen Menschen, erlitten hatte. Irgendwas in ihr sagte ihr, dass er die auch bekommen würd. Die Sonne stieg mit jedem Tag der verging höher und die wärmenden Strahlen waren wohltuend, nicht nur für das Gemüt, sondern auch für den Körper selbst. Draco verbrachte die meiste Zeit draußen. Seit der Schnee begonnen hatte zu tauen, war er wieder täglich mit Hera unterwegs und ritt aus. Er genoss diese Freiheiten sehr, besonders da er ahnte, dass sie wohl weniger werden würden, je weiter Susans Schwangerschaft voran schritt. Ihr Leib hatte sich merklich verändert und eine Wölbung trat deutlich an ihrem Bauch hervor. Doch das war nicht das einzige, was so offensichtlich war. Vielmehr hatte Draco beobachtet, dass ihr die Bewegungen immer schwerer fielen und sie geschahen langsamer. Immer öfter bat sie ihn um Hilfe und wenn er sah, wie mühselig ihr die Arbeit von der Hand ging, störte es ihm nicht einmal. Er wusste, dass er Susan viel verdankte und mit ihrer fürsorglichen Art erinnerte sie ihn nicht selten an Annie. Allerdings versuchte er darüber so wenig wie möglich nachzudenken. Zudem konnte Susan nicht mehr so lange stehen und musste selbst bei den kleinsten Tätigkeiten immer wieder kurz hinsetzen. An manchen Tagen war ihr oft so schwindlig, dass sie sich mehrmals übergab oder das Bett nicht einmal verlassen konnte. Ohne, dass er es wissen wollte, hatte Alexander ihm mitteilt, dass es wohl noch bis in den Sommer so bleiben würde. Still fragte Draco sich, ob Susan das wirklich so lange aushalten würde. Sie tat ihm in gewisser Weise sogar leid. Eine Empfindung von der er bisher nicht gewusst hatte, dass er sie für einen anderen Menschen aufbringen konnte. Erst hatte er angenommen, dass dieses Verhalten vielleicht normal bei Menschen war, die ein Kind erwartete, doch Alexander schaute von Tag zu Tag besorgter und das wiederlegte seine Vermutung. Annies Bruder ging sogar so weit, dass er seine Geschäfte tagelang liegen ließ, um sich ganz um Susan kümmern zu können. Abends war es dann immer Draco den er darum bat, die Papiere zu bearbeiten. Das Rechnen beherrschte er inzwischen besser als das Schreiben, erschien es ihm doch sehr viel logischer. Doch der Ernst der Situation wurde Draco wohl erst richtig bewusst, als er Alexander eines Tages sogar am Herd stehen sah. Aber anstatt ihn zu fragen, was genau eigentlich los sei schwieg er und beobachtete. Sie wie er es immer tat. Es war ganz und gar nicht so, dass die Neugier ihm nicht schon wieder im Nacken saß und nach Befriedigung drängte. Ganz gewiss nicht, aber er fühlte einfach, dass er nicht fragen durfte. Es war nur etwas was Susan und Alexander anging und er nur ein Außenstehender war, der nicht in dieses Heim gehörte. Selbst nach fast einem halben Jahr bei Annies Bruder hatte er noch immer diese Gedanken und er war nicht sicher, ob sie sich nur auf sein Leben in Gesellschaft von Susan und Alexander bezogen oder auf sein Leben als Mensch im Allgemeinen. Beständig spürte er diese Ruhelosigkeit in sich und nichts schien ihn beruhigen zu können, ganz egal wie viel er arbeitete oder mit Hera ausritt. Bei seinen Ausritten vermied er die Wege, die er mit ihr gegangen war. Er wollte nicht unnötig an sie erinnert werden. Er vergaß sie ohnehin niemals. Doch es gab andere, kleinere Dinge, die ihn wissen ließen, was ihm genommen wurde und doch sein war. Das erste Mal geschah es wohl, als er die ersten Schneeglöckchen fand. Mit diesen Schneeglöckchen sah er auch ihre leuchtenden Augen, die geröteten Wangen und das schwarze Haar, das sich so sehr von dem Weiß abgehoben hatte, dass es fast wehtat. Wunderschön war sie gewesen, hatte er damals zum ersten Mal gedacht und danach noch viele weitere Male. Als er die Schneeglöckchen erblickt hatte, war er sofort zurückgeritten. Er konnte nicht leugnen, dass er Erleichterung empfand, als sie wieder verblühten. Mit dem Frühjahr wuchs aber auch die Erwartung, dass Alexander ihn in die Schwertkunst einführen würde. Doch bisher hat er noch nichts dergleichen unternommen. Dabei war der Schnee vollkommen geschmolzen und der Boden wurde trockener. Bislang hatte Draco es vermieden ihn darauf anzusprechen. Sein Stolz hat es ihm einfach verboten. Aber langsam wurde er immer ungeduldiger. Jeder Tag, an dem nichts geschah, erschien ihm wie ein verlorener Tag. Es war nicht so, dass er das Ausreiten mit Hera nicht genoss, dennoch verlangt es ihm nach mehr. Seine Verletzungen waren vollkommen verheilt, er fühlte sich so kräftig, wie schon lange nicht mehr. Er wollte etwas tun. Er musste etwas tun. Natürlich konnte Draco bis zu einem gewissen Grade verstehen, dass sich Alexander nun mehr um Susan kümmerte. Aber es gab durchaus Tage, an denen es ihr gut ging. Diese Tage konnten sie doch für den Unterricht nutzen. Das Schreiben, Lesen und Rechnen hatte er ihm doch auch innerhalb weniger Wochen beigebracht, dachte er oft. Deswegen rang er sich eines Tages dazu durch, Alexander darauf anzusprechen. An diesen Tag ging es Susan gut. Sie saß in der Küche und legte die Wäsche zusammen, die Alexander zuvor gewaschen hatte. Inzwischen war es unmöglich für sie geworden, diese Arbeit zu verrichten. Doch heute war ein guter Tag nichts deutete darauf hin, dass sich das ändern würde. Also ging Draco in den Garten, wo Alexander gerade, die Erde lockerte, das Schwert in seiner Hand. Alexander bemerkte seine Ankunft und drehte sich zu ihm um. Draco sah, wie sein Blick auf das Schwert fiel und auch ohne, dass er etwas sagte, wusste Draco, dass er ihn verstanden hatte. „Ich habe es nicht vergessen.“, beantwortete er Dracos unausgesprochene Frage und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Draco wurde leicht wütend, offenbar dachte Alexander gar nicht daran, sein Versprechen jetzt einzulösen. „Es ist warm, der Schnee ist schon lange geschmolzen.“, sagte er kurz und mit kalter Stimme. Er hatte es ihm versprochen und daran würde er sich halten müssen. „Ich weiß.“, sprach Alexander und vermied es ihn anzusehen. Draco wurde misstrauisch. Irgendetwas stimmte nicht. „Wann beginnen wir?“, fragte er und trat noch einen Schritt auf ihn zu. Alexander arbeitet immer noch, aber Draco sah, wie sich seine Schultern anspannten und er zögerlicher seiner Tätigkeit nachging. „Was ist?“, fragte Draco weiter und im nächsten Augenblick rammte Alexander den Spaten in die Erde. Dann sah er Draco direkt an und er meinte Unentschlossenheit darin zu sehen. Gleich darauf sagte Alexander aber: „Jetzt. Wir fangen jetzt an. Geh zur Wiese, die an den Wald grenzt. Dort haben wir genügend Platz. Ich hole mein Schwert und komme nach.“ Draco nickte kurz und wandte sich ab. Alexander hatte zwar zugestimmt, aber Draco spürte, dass er es nur widerwillig getan hatte. Warum?, fragte er sich kurz, verdrängte den Gedanken aber gleich wieder. Es war ihm egal, solange er nur endlich gelehrt bekam, wie er mit dem Schwert umgehen musste. Alexander kam kurz nach ihm an, das Schwert in seiner Hand und baute sich in voller Größe vor ihm auf. Draco konnte nicht umhin zu denken, dass dies der Alexander war, den er damals bei Annie kennengelernt hatte. „Ich zeige dir zuerst wie du dich verteidigen kannst.“, begann er. Draco wollte sofort wiedersprechen. Er wollte nicht wissen, wie er sich verteidigen konnte, sondern wie er mit dem Schwert angriff und kämpfte. So wie es seinem Wesen entsprach. Doch Alexander ließ ihn gar nicht dazu kommen und spracht weiter: „Angriff ist wichtig und unerlässlich in einem richtigen Kampf. Aber noch wichtiger ist es sich vor der Klinge des Feindes schützen zu können. Wenn er dich auch nur einmal trifft, kann sofort alles vorbei sein. Verstanden?“, belehrte er ihn. Draco nickte widerwillig. Das konnte er nicht abstreiten, aber Alexanders Ton gefiel ihm nicht. Es war der gleiche, den er beim Schreiben lernen gebraucht hatte. Für das erste hatte Alexander vielleicht recht und es war noch Zeit. Aber, wenn er Barrington gegenüber treten wollte, würde er mehr können müssen, als sich nur zu verteidigen. „Ich werde heute erst einmal deine Instinkte testen. Ich werde dich angreifen und du parierst, so gut du kannst. Du bist Linkshänder, als nimm es in die linke Hand.“ Draco nickte kurz und wechselte die Hand. Im nächsten Moment, sah er Alexander sein Schwert durch die Luft schwingen und auf ihn niedersausen. Ohne zu wissen, was er tat, riss Draco den Arm nach oben und hielt sein eigenes Schwert von unten kommend dagegen. Die Klingen trafen sich mit einem ungewöhnlichem Klirren und Draco spürte eine heftige Vibration durch seinen Körper fahren. Gleichzeitig öffnete sich seine Hand, wie von selbst. Das Schwert fiel heraus und landete ihm Gras. Ungläubig starrte Draco es an. Was war gerade geschehen? Er hatte das Schwert nicht halten können. Es war ihm unnatürlich schwer vorgekommen, ungewohnt, ja beinah falsch. Aber das war es doch auch oder? Er war es nicht gewöhnt. Sicher, das Gewicht kannte er und konnte es einschätzen, aber bisher hatte er noch nie probiert es richtig zu führen. Daran lag es sicherlich. „Das ist normal.“, sprach Alexander die gleichen Gedanken aus. „So geht es jedem beim ersten Mal. Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt und wirst darauf vorbereitet sein.“ Wieder nickte Draco und Alexander reichte ihm sein Schwert. „Noch mal.“ Dieses Mal kam Alexanders Schwert von unten rechts. Draco nahm es schneller wahr und versuchte entsprechend von unten links zu parieren. Wieder trafen sich die Klingen und wieder spürte er die Vibration in seinem Arm. Auch, wenn er dieses Mal darauf vorbereitet war, so rutschte das Schwert fast aus seiner Hand, doch er hielt es gerade noch. Alexander machte keine Pause, sondern griff erneut an, dieses Mal seitlich links. Draco versuchte sich darauf einzustellen. Seine Reaktion war ruckartig, doch rechtzeitig. Er kannte das Vibrieren und dennoch fiel es ihm ungewöhnlich schwer. Er hatte geglaubt, das Kämpfen würde leichter sein, als das Schreiben. Sollte er sich so sehr geirrt haben? Nach nur wenigen Schlägen fühlte sich sein linker Arm so bleiern an, als hätte er den ganzen Morgen Steine und Bretter getragen. Er hatte Mühe das Schwert in der Hand zu halten. Seine Finger fühlten sich schwach an und immer wieder war das Schwert kurz davor aus seiner Hand zu gleiten. Lange würde er es nicht mehr halten können. Gerade schaffte er es noch den nächsten Schlag zu parieren, als ihm die Waffen endgültig aus der Hand fiel. „Was ist los? Ich hätte gedacht, dass dir das leichter fallen würde, als Anfangs das Lesen und Schreiben. Deine Hand zittert ja!“, rief Alexander erstaunt aus, als er es sah. Draco umfasste das linke Handgelenk mit der rechten Hand und versuchte sie zu beruhigen. Was war nur los mit ihm? Es war ihm fast, als würde er den Schwertkampf niemals erlernen. Genauso, wie er es beim Lesen und Schreiben gedacht hatte. Aber er benutzte doch nun die richtige Hand, das war sein Fehler beim Schreiben gewesen. Es sollte ihm leichter fallen! Abermals wuchs die Frustration in ihm. Er war ein Jäger! Er war dazu geschaffen zu kämpfen. Doch was wenn... das Schreiben war ihm erst gelungen, als er die linke statt der rechten Hand genommen hatte. Was, wenn es nun ebenso andersherum war? Bei dem Gedanken erhob er sich plötzlich und starrte auf seine rechte Hand. Natürlich... Alle Arbeiten, die er bisher für Alexander erledigt hatte, hatte er mit rechts getan. Das war der Arm, den er für so etwas nutzte, nicht links. Deswegen hatte es sich von Beginn an falsch angefühlt. „Was ist nun? Bist du schon müde und hast genug?“, fragte Alexander ihn herausfordernd und grinste ihn an. Draco schüttelte kurz den Kopf. Er hob das Schwert, das mit Mondsteinen besetzt war, mit Rechts auf. Gleich fühlte es sich anders an. Es lag besser in dieser Hand, als würde es dorthin gehören. „Mit rechts? Was soll das denn?“, fragte Alexander misstrauisch. „Ich will es probieren.“, antwortete ihm Draco. „Wie du meinst.“ Ohne Draco zu fragen oder darauf zu warten bis er ihm ein Zeichen gab, ließ Alexander sein Schwert auf ihn niedersausen. Dieses Mal von oben rechts und Draco parierte indem er sein eigenes Schwert nach oben riss und dagegen hielt. Wieder spürte er den heftigen Nachklang in seinem Körper, doch dieses Mal fiel es ihm nicht so schwer den Arm oben zu halten. Zwar spürte er, dass sein Körper noch nicht daran gewöhnt war, aber er war plötzlich sehr viel zuversichtlicher als noch vor wenigen Augenblicken. Wenn er weiter übte, würde es sicher schnell gelingen. Wieder griff Alexander an und dieses Mal gelang es Draco sogar das Schwer nach seinen Willen zu führen. Er riss es nicht mehr einfach nach oben, sondern versuchte bewusst Alexanders Angriff zu kontern und zu schwächen. Offenbar war dies auch Alexander aufgefallen, denn verwundert sah er Draco an und ließ sein Schwert sinken. „Geht es mit rechts wirklich besser?“ „Ja.“, antwortete Draco ehrlich. „In wie fern?“ Draco überlegte, wie er es beschreiben könnte. Entgegen seiner Natur wollte Draco ihm sogar antworteten, denn er erhoffte sich dadurch, es selbst besser verstehen zu können. „Es fühlt sich... leichter an, richtiger.“, sagte er schließlich. „Das ist wirklich mehr als merkwürdig. Schreiben kannst du nicht mit rechts, aber das Schwert führen? So etwas habe ich noch nie gehört.“ Draco zuckte kurz mit den Schultern. Er wusste nicht, was bei den Menschen üblich war und es interessierte ihn auch nicht. Letztendendlich war für ihn nur wichtig, dass es gelang. Vielleicht war doch noch etwas von seinem alten Wesen in ihm und unterschied ihn so von den gewöhnlichen Menschen, dachte er. Alexander seufzte hörbar. „Ich sollte mich eigentlich schon damit abgefunden haben, aber trotzdem: Ich versteh dich einfach nicht. Aber ich nehme an, das ist dir auch egal.“ Mit diesen Worten griff er erneut an. Doch statt das eigene Schwert zu erheben, duckte sich Draco unter der Klinge weg und sah den nächsten Angriff schneller. Alexander schien sich dadurch nicht beeindrucken zu lassen und setzte den nächsten Schlag auf Brusthöhe an. Draco drehte sein Handgelenkt, so dass das Schwert mit der Spitze senkrecht nach unten zeigte und wehrte so den Angriff ab. Nun zeigte sich ein breites Grinsen auf Alexanders Gesicht und auch bei Draco hob sich ein Mundwinkel. Jetzt hatte er das Gefühl endlich in seinem Element zu sein. Sie saß im Garten und betrachtet die wunderschönen Apfel- und Kirschblüten, die die Bäume mit weiß und rosa schmückten. Als sie den Garten im Herbst gesehen hatte, hätte sie es nie für möglich gehalten, dass sich auf diesem trostlosen Gelände etwas so schönes verbergen könnte. Annie konnte sich an dem Anblick gar nicht sattsehen. Wieder sah sie nach unten auf das Stück Erde, welches sie gerade vom wenigen Unkraut befreite, das schon wieder nachgewachsen war. Nach der Schneeschmelze hatte sie den Garten sofort säubern lassen. Die Pflanzen, die unter Gestrüpp und Unkraut verborgen gewesen waren, waren befreit worden und hatten Luft zum Atmen bekommen. Selbst Frühblüher hatten sich darunter gefunden: Schneeglöckchen und Krokusse, die sie sehr glücklich gemacht hatten, aber auch schmerzlich an das vergangen Jahr erinnerten. Doch das sanfte Flattern in ihrem Bauch ließ sie den Schmerz vergessen. Doch seine wahre Pracht zeigte der Garten erst jetzt, da die Frühblüher wieder in der Erde verschwunden waren. Natürlich hatten nicht alle Pflanzen die Verwahrlosung überlebt, aber sie erkannte wilde Rosen, Margeriten, Goldrute und Nelken. Sie trugen die ersten zarten Knospen und Annie hatte Hoffnung, dass sie stark genug waren, um auch zu blühen. Abermals sah Annie auf und blickte auf das kleine Beet von Erdbeeren, eingerahmt von Himbeersträuchern, dass sie hatte anpflanzen lassen. Die Pflanzen waren extra geliefert worden. Der erste Luxus, den sie sich mit ihrem neuem Status wirklich geleistet hatte. Vielleicht würde sie in diesem Sommer schon wenige Früchte ernten können, dachte sie hoffnungsvoll. Der Garten und ihr Geheimnis ließen sie lebendiger fühlen. Anders konnte sie es gar nicht benennen. Es hatte sie verändert und auch Barrington oder Semerloy war das nicht entgangen. Keinen der beiden sah sie besonders oft, aber die Kammerfrauen meldete nun mal jede Veränderung an ihr und sie konnte nicht leugnen, dass sie glücklich war. Bisher hatte sie sich noch nicht rechtfertigen müssen. Wenn es so weit war, würde sie die Wahrheit sagen. Na ja... vielleicht nicht ganz, nur einen kleinen Teil davon, dachte sie lächelnd. „Du siehst wunderschön aus.“, hörte sie seine Stimme sagen und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie drehte sich um und blickte in das liebevolle Gesicht ihres Bruders. „Vielen Dank. Das Kompliment gebe ich gern zurück.“, sagte sie zur Begrüßung. „Na, ich weiß nicht.“, antwortete Alexander bevor er zu ihr kam. Er reichte ihr eine Hand, die sie annahm. Spielend leicht zog er sie auf ihre Füße und schloss sie in ihre Arme. „Ich habe dich schon lange nicht mehr so gesehen. Du wirkst so befreit.“, sprach er. Annie lächelte und wusste, dass er es hören konnte. „Ich muss dir etwas erzählen.“, wisperte sie in sein Ohr. Lange hatte sie darüber nachgedacht, doch sie wusste, dass sie es nicht für sich behalten konnte. Sie musste sich jemanden anvertrauen! Alexander löste die Umarmung und sah sie fragend an. „Später“, formte sie mit ihrem Lippen. Er seufzte schwer und wieder musste sie kichern. Sie setzte sich beide in das junge Gras. „Wie du wünscht.“, sagte er, dann sah er sich um. „Ich hätte nicht gedacht, dass man hier noch so viel machen kann. Der Garten war doch vollkommen verwildert.“ „Ja, nicht wahr? Aber es hat gar nicht so lange gedauert und ich finde ihn so noch schöner. Es muss nicht immer alles in ordentlichen Reihen angebaut werden, mit Wegen die exakt dorthin führen und kleinen Schildern, die alles haargenau beschreiben.“, neckte sie ihn, spielte sie doch auf seinen eigenen wohlgepflegten Garten an. „Ich denke, dass kommt darauf an, wie es einem wohl am besten gefällt.“, antwortete er neutral. „Da hast du wohl recht.“ Annie sah wie Alexanders Blick auf den kleinen Spaten fiel, den sie zuvor noch in der Hand gehabt hatte. „Barrington erlaubt dir selbst im Garten zu arbeiten?“, fragte er sie verwundert. „Mehr oder weniger.“, antwortete sie ehrlich. Kaum hatte sie seinen Namen gehört, legte sich ihre gute Stimmung auch schon wieder. „Er war dagegen, allerdings hat Doktor Storm ihn davon überzeugen können, dass ein wenig Bewegung keinesfalls schadet. Und ich darf auch nur so lange hier sein und etwas tun, wie ich mich nicht überanstrenge. Jeden Abend schickt Barrington jemanden zu mir, der sich nach dem Wohl des Kindes erkundigt.“ „Diesen Semerloy?“, unterbrauch Alexander sie sofort. Annie sah ihn einem Moment schweigend an. Offenbar hatte sie seine Bedenken nicht zerstreuen können. „Nein, ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen. Meistens Kammerfrauen oder einen der Wachleute.“ „Offenbar tut dir die Arbeit doch gut.“, merkte Alexander an. „Ja, ich genieße jede Stunde, die ich hier verbringen kann. Besonders jetzt da es von Tag zu Tag wärmer wird.“ „Hast du keine Angst, dass es dem Kind nicht doch schaden könnte?“ „Nein.“ Wieder legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Ich weiß, dass ihm nichts geschehen wird.“, sagte sie geheimnisvoll. Wieder seufzt Alexander und dieses Mal sah Annie Sorgenfalten auf seiner Stirn. „Was ist los?“ „Ich wünschte wir könnten auch so zuversichtlich sein.“ „Geht es Susan denn noch nicht besser?“ Alexander hatte ihr von dem schwankenden Zustand seiner Frau erzählt und ihre Sorge war mit jedem Mal gewachsen. „Nein. Die Tage an denen sie das Bett nicht verlassen kann treten häufiger auf. Es ist nicht leicht für sie, für uns. Ich denke nicht, dass wir... weitere Kinder haben werden, solltest dieses...“ Er sprach den Gedanken nicht zu Ende, aber Annie verstand ihn auch so. „Oh, Alexander. Das tut mir leid.“, sagte sie ehrlich und berührte ihren Bruder sanft am Arm. Eine unterstützende und mitfühlende Geste, wie sie hoffte. „Ich weiß, aber wenn dieses gesund geboren wird, dann ist es auch nicht so wichtig, was hätte noch sein können. Ich will nur, dass es Susan und dem Kind gut geht.“ „Natürlich und das wird es auch. Darauf hast du mein Wort.“, sagte sie zuversichtlich. Ein wenig lächelte er nun doch und für einen kurzen Moment konnte sie das alte Glitzern in seinen Augen sehen. Alexander sah sich noch einmal in ihrem Reich um. „Es ist wirklich schön hier.“ „Ja, das ist es.“, konnte sie ihm nur zustimmen. „Ich muss gestehen, ich bin richtig froh, dass er jetzt bei uns ist.“, begann Alexander plötzlich von Draco zu sprechen, wie es sonst nie seine Art war. Er hatte seinen Namen nicht gesagt, aber sie wusste, dass es um ihn ging. „Gerade jetzt ist er uns eine große Hilfe und nimmt mir viel von meinen Arbeiten ab. So kann ich mich um Susan kümmern und ihr wiederum den Haushalt erleichtern. Ich wüsste nicht, was ich sonst gemacht hätte.“ „Das freut mich zu hören.“ „Aber ich war ihm dafür etwas schuldig.“, setzte Alexander weiter fort. Fragend hob Annie eine Augenbraue. Was könnte es gewesen sein, was Alexander Draco dafür gegeben hatte, was auch Draco gewollt oder angenommen hätte. Es gab eigentlich nur eines von dem Alexander ihr erzählt hatte. Oh, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte doch nicht wirklich... Doch da sprach es Alexander bereits aus. „Ich habe begonnen ihn im Schwertkampf zu unterrichten.“ „Alexander!“, stieß sie entsetzt aus. „Lass mich ausreden. Ich bringe ihm im Moment nur die Verteidigung bei. Ich denke, dass kann nicht schaden und... Annie, ich sehe wirklich keinen Grund, warum er es nicht lernen sollte. Ich respektiere deinen Wunsch und berücksichtige ihn, ich verspreche sogar, dass ich ihm nicht zeigen werden, wie er selbst angreifen kann, aber... er braucht das.“, endete er schließlich. Jetzt war sie verwirrt. „Was meinst du, er braucht das?“ „Er war nicht... ausgelastet. Im Winter mochte es noch erträglich für ihn gewesen sein, da gab es ohnehin nicht viele Möglichkeiten zur Beschäftigung und er hatte mit dem Lesen und Schreiben genug zu tun. Aber jetzt im Frühjahr ist es anders. Er erledigt seine Aufgaben schnell und gründlich, so dass er viel freie Zeit zur Verfügung hat. Er reitet zwar mit Hera aus, aber dennoch ist er so... unruhig, als würde es ihm nicht genug Kraft abverlangen. Er ist vollkommen genesen, er braucht eine Beschäftigung die ihn fordert. „Wenn du ihn sehen könntest... Er ist dafür geboren zu kämpfen. Seine Bewegungen sind geschmeidig, geradlinig und er ist verdammt schnell. Es wäre ehrlich gesagt eine Verschwendung von Talent, wenn er es nicht täte.“ Annie biss sich auf die Lippen. „Aber du verstehst nicht...“, wollte sie beginnen, ließ es dann aber sein. Sie verstand ja selbst nicht. Nein, sie wollte nicht, dass er es lernte. Auf keine Fall, aber das was Alexander gesagt hatte, erschien ihr nur zu verständlich. Sie hatte nur an ihre eigenen Wünsche und Ängste gedacht. Sie war es gewesen, die es auf keinen Fall gewollt hatte, das Draco das Kämpfen erlernte. Draco hingegen... sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sehr es ihn langweilen musste, tagein tagaus, immer das Gleiche zu erleben. Sicher, als sie noch mit ihm zusammengelebt hatte, war es auch nicht viel anders gewesen. Aber er war noch angeschlagen und ihm dieses Leben unbekannt gewesen. Es war kein Vergleich zu jetzt. Er brauchte etwas, was seinem Charakter und Naturell entsprach, gestand sie sich ein. Annie erinnerte sich an ihre Träume. Viele handelten von kämpfenden Drachen, die ihr Revier verteidigten, von Flügen hoch in den Himmel hinein, lange und ausdauernd. Er brauchte die Bewegung, wie die Luft zum atmen. „Gut.“, rang sie sich schließlich zu einer Antwort durch. „Aber, bitte... pass auf, dass er nichts dummes tut.“ Alexander nickte kurz und drückte ihre Hand. „Wir sollten reingehen, ich möchte es dir erzählen, bevor Barrington mit seinen Männern zurück ist.“ „Warum erzählst du es mir nicht hier?“ „Ich habe Angst, der Wind könnte meine Worte zu weit tragen.“ Ohne zu antworten stand ihr Bruder auf und half ihr wieder auf die Beine. Als sie den Raum betraten, vor dem wie immer zwei Wachen platziert waren, ging Annie direkt zu der Kommode und nahm eine Kerze, zwei Feuersteine sowie Feder, ein Tintenfass und Pergament hervor. Die Kerze und die Feuersteine gab sie Alexander. „Mach sie an.“, flüsterte sie leise. „Aber wir brauchen keine Kerze.“, widersprach er, stellte sie aber auf den Tisch. „Doch.“, sagte sie bloß. Dann legte sie das Pergament und die Feder auf den Tisch und das Tintenfass daneben. Alexander hatte die Kerze schnell angezündet und ohne auf Annies Aufforderung zu warten, setzte er sich an den Tisch. „Du machst es ja sehr spannend.“, sagte er lächelnd. Sie erwiderte es, wenn auch nur kurz. Viel zu nervös war sie, um sich auf etwas anderes konzentrieren zu können. Sie wollte es Alexander sagen. Schon seit sie es herausgefunden hatte, brannte sie regelrecht darauf es ihm zu erzählen. Doch bisher hatte sie es vermieden über seine Reaktion nachzudenken. Nun ging das nicht mehr. Wie würde Alexander reagieren? Seine Einstellung gegenüber Draco hatte sich geändert. Er hatte es vor wenigen Augenblicken erst zu ihr gesagt. Würde er nicht genauso glücklich sein, wie sie, dass es nicht Barringtons Kind war? Bei dem Gedanken spürte sie einen kurzen Stich im Herzen. Es erinnerte sie daran, dass sie Barringtongs Kind nicht so behandelt hätte, wie das in ihrem Leib. Sie setzte sich ebenfalls hin und schloss für einen Moment die Augen. Einmal atmete sie noch tief durch, dann nahm sie die Feder, ließ sie kurz ins Tintenfass gleiten und strich sie dann am Rand ab. Ihre Hand schwebte kurz über dem Pergament, dann setzte sie auf und begann zu schreiben. Es geht um das Kind., schrieb sie in einer feinen Handschrift. Wieder hob Alexander eine Augenbraue. „Ich dachte es wäre alles in Ordnung?“, fragte er laut. „Scht.“, sagte sie mahnen und legte einen Finger auf die Lippen. Dann zeigte sie zur Tür, um ihn an die Wachen zu erinnern. Alexander machte eine Handbewegung Richtung Papier und sie deutet es so, dass sie fortfahren sollte. Wieder zögerte sie, sogar ihre Hand begann zu zittern. Neben sich hörte sie Alexander ausatmen. Dann nahm er ihr die Feder aus der Hand und zog das Pergament zu sich. Was soll das Ganze?, schrieb er schnell und fahrig, mit großen Buchstaben. Ich habe Angst, dass du wütend wirst., antwortete sie ehrlich. Nein, werde ich nicht. Jetzt sag es mir endlich! Wir sind doch keine zehn mehr! Er klang ungeduldig, was Annies Nervosität nicht gerade milderte. Dann faste sie sich endlich ein Herz. Eigentlich wollte sie es nur noch hinter sich bringen. Sie wusste, dass es ihr gleich danach besser gehen würde. Das hoffte sie zumindest sehr. Das Kind ist nicht von Barrington., schrieb sie mit zittrigen Fingern. Ruckartig sah Alexander sie an, seine Augen groß und ungläubig. Annie wusste, dass sie den nächsten Satz gar nicht schreiben bräuchte. Sie konnte sehen, wie es bereits in ihm arbeitet. Es ist von Draco. „Nein!“, rief Alexander laut und sprang auf. „Das kann nicht wahr sein!“ Annie stand ebenfalls hastig auf und ging zu Alexander. „Beruhige dich!“, flüsterte sie heißer. Genau das hatte sie befürchtet, dachte sie verzweifelt. „Ich soll mich beruhigen?! Wie stellst du dir das vor?!“ „Du hast gesagt, du wirst nicht wütend!“, erinnerte sie ihn an sein Versprechen, auch wenn sie wusste, dass es sinnlos war. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich das so einfach hinnehme.“, erwiderte er. Wenigstens hatte er seine Stimme gesenkt, registrierte sie. Annie öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Dann deutete sie energisch auf den Stuhl, auf den Alexander vor wenigen Augenblicken noch gesessen hatte. Wortlos ging sie zu ihrem und nahm die Feder wieder in die Hand. Lass mich wenigstens erklären!, schrieb sie schnell. Alexander stand noch im Raum, wohl unschlüssig was er tun sollte.Dann gab er sich einen Ruck und setzte sich wieder neben seine Schwester. Den Widerwillen konnte sie nur zu deutlich auf seinem Gesicht erkennen, dennoch betrachtete sie es als Zustimmung, dass er sie erst einmal anhören würde. Dieses Kind ist nicht von Barrington., begann sie noch einmal. Aber allein der Gedanke, dass es Dracos ist, macht mich so glücklich, dass ich es nicht einmal in Worte zu fassen vermag. Alexander sah sie prüfend an, schüttelte dann den Kopf und nahm ihr die Feder aus der Hand. Bist du dir sicher? Ja! Du weißt nicht, was mir das bedeutet. Aber du weißt, wie sehr ich Draco liebe. Kannst du nicht wenigstens ein bisschen verstehen, was in mir vorgeht?, fragte sie ihn zweifelnd. Gleichzeitig fragte sie sich selbst, was sie in Wirklichkeit erwartet hatte. Sie hätte wissen sollen, dass ihr Bruder niemals so empfinden würde. Alexanders Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst und er atmete mehrmals tief ein und aus, bevor er überhaupt wieder die Feder in die Hand nahm. Hast du eine Ahnung, was Barrington tun wird, wenn er herausfindet, dass es nicht sein Kind ist?! Annie schluckte. Diese Frage hatte sie sich selbst schon oft genug gestellt. Ich weiß. Er wird es nicht erfahren. Das kannst du nicht wissen! Wir werden alle sterben! Annie blickte ihn flehentlich an. Sie wusste es doch! Begriff er das denn nicht? Offenbar hatte er dann doch einsehen und nahm das Papier wieder zur Hand. Du weißt, dass Barrington das Kind will., fuhr er erbarmungslos fort. Annie blinzelte eine Träne hinweg. Auch das wusste sie nur zu gut. Alexander nahm sie in den Arm und strich ihr über das Haar. Doch Annie löste sich schnell wieder und nahm abermals die Feder in die Hand. Ich werde es beschützen, so wie ich es zuvor gesagt habe. Alexander schüttel den Kopf und strich sich über die Stirn, die in tiefen Falten lag. Ich glaube nicht, dass du schaffen wirst. Doch, das werde ich! Ich musste es dir sagen! Ich weiß, dass viele schreckliche Dinge geschehen können, aber dass es Dracos Kind ist, ist einfach- Ich habe nicht daran geglaubt. Ich habe es nicht einmal für möglich gehalten! Ich trage jetzt ein Stück von ihm in mir. Ich kann nicht glücklicher sein. Und trauriger zugleich. Ich versuche es zu verstehen! Du liebst ihn, auch wenn ich nicht verstehen kann warum. Trotzdem, woher weißt du, dass es von ihm ist? Was macht dich sicher? Ich kann es dir nicht erklären. Sie hörte wie Alexander schnaubte. Es gab so vieles, was sie ihm verheimlichte und ausgerechnet das hatte sie ihm erzählt. Vielleicht hätte sie lieber schweigen sollen. Und nun?, schrieb er weiter. Annie überlegte. Was würde nun sein? Sie fühlte sich erleichtert, froh es endlich jemanden gesagt zu haben. Dennoch... eine Antwort hatte es ihr nicht gebracht. Nichts., schrieb sie deswegen. Ich werde dafür sorgen, dass er mir das Kind nicht wegnimmt, dass er es nicht einmal merkt. Sie musste zuversichtlich sein, sonst würde sie wohl untergehen. Annie blickte auf das Pergament, wartete darauf, dass Alexander ihr antworten würde. Doch als er es nicht tat, sah sie auf und blickte in sein Gesicht. Wieder schüttelt er den Kopf, als könnte es immer noch nicht glauben. Schließlich nahm er doch die Feder wieder in die Hand. Ich muss darüber nachdenken. Aber ich denke nicht, dass es, er brach ab, ohne den Satz zu beenden. Sage es niemanden!, schrieb sie als nächstes. Nicht einmal Susan und schon gar nicht Sie schaffte es nicht einmal, den Satz zu Ende zu schreiben. „Nein, mache ich nicht. Das darf man gar keinem sagen.“, sagte Alexander und Annie konnte in seiner Stimme Müdigkeit, Ungläubigkeit und Schock zu hören. Annie nickte kurz. Dann nahm sie das Pergament und zerriss es in acht beinah gleich große Teile. Es gab im Moment nichts mehr dazu zu sagen. Trotzdem fühlte sie sich freier. Als nächstes nahm sie das erste der acht Teile und hielt es gegen die Flamme. Dafür brauchte sie die Kerze. „Ich sollte gehen.“, sagte Alexander unvermittelt. Erschrocken sah sie auf. Sie hatte nicht erwartet, dass er jetzt schon gehen würde, auch wenn ihre Nachricht für ihn vielleicht schockierend war. Damit hatte sie nicht gerechnet. Schon stand er auf und ging geradewegs zur Tür. „Ich komme in ein paar Tagen wieder.“, sagte er und hatte das Zimmer schon verlassen. Nicht einmal umarmt hatte er sie zum Abschied. Annie blickte in die Flamme, nahm einen weiteren Pergamentfetzen in die Hand und begann ihn zu verbrennen. Jetzt, wo sie allein war, überkamen sie Schuldgefühle, gejagt von Zweifel und Reue. Vielleicht hätte sie sich nicht einmal Alexander anvertrauen sollen. Er würde sie nicht verraten, gewiss nicht. Aber hatte sie ihn damit nicht noch tiefer mit hineingezogen? Es war so dumm von ihr gewesen! Dabei wollte sie Alexander doch von all dem fern halten! Nur deswegen, hatte sie ihm nichts über Draco erzählt. Was hatte sie nur getan? Draco stand im Stall und striegelte Hera. Eigentlich hatte er seine Aufgaben bereits erledigt und wartete nur noch darauf, dass Alexander zurückkommen würde. Er hatte gesagt, dass er nur in die Stadt reiten wollte. Doch Draco wusste, wo er wohl eigentlich hin wollte. Er konnte jedes Mal diesen lieblichen Geruch von ihr an Alexander wahrnehmen. Er würde sich noch um Wüstensand kümmern und vielleicht würde Alexander ihm dann noch ein paar neue Abwehrtechniken zeigen, überlegte er i n Gedanken. Er hörte draußen Pferdehufen und er kannte das Geräusch gut genug, um zu wissen, dass es Alexander war. Er hörte wie er absetzte und erwartete, dass er Wüstensand gleich zu ihm bringen würde. Dann würde er sich nach Susan erkundigen und außergewöhnlichen Vorfällen. Doch dazu kam es gar nicht. Statt Wüstensand hereinzuführen, betrat nur Alexander den Stall und kam schnell auf Draco zu. Sein Gesicht war so wutverzehrt, wie es Draco in den letzten Monaten nicht mehr gesehen hatte und er fragte sich, was passiert war. Unwillkürlich rasten seine Gedanken sofort zu Annie. Irgendwas Schreckliches musste geschehen sein. Sein ganzer Körper spannte sich an und tief in seinem Inneren spürte er bereits den Hass auf Barrington, den er in den vergangen Monaten zu kontrollieren gelernt hatte, aufbrodeln. Mit wenigen Schritten war Alexander bei ihm. Draco realisierte die Angespanntheit in seinem Körper ebenso. Seine Schultern waren steif, seine Hände zu Fäusten geballt und seine Augen sprühten vor Zorn, wie es Draco nur ein einziges Mal bei Annie gesehen hatte. Diese Ähnlichkeit ließ ihn regelrecht versteinern. Doch diesen Gedanken hatte er nur kurz. Dann nahm er nur noch die Bewegung von Alexanders Arm wahr, wie seine Faust nach oben schnellte, direkt auf ihn zu. Er traf ihn hart im Gesicht. Dracos Beine gaben nach und er landete auf dem weichen Stroh in Heras Stall. Perplex starrte er Alexander an. Erst dann bemerkte er langsam den Schmerz, der sich nun in seinem Gesicht auszubreiten begann. Es pochte unter seiner Haut, an der Stelle an der der Wangenknochen saß. Verblüffte berührte Draco seine Wange, zuckte aber so gleich wieder zurück. Die Berührung hatte noch mehr geschmerzt und seine Haut glühte. Lange blieb ihm nicht sich darüber zu wundern, denn Alexander griff ihn mit beiden Händen am Hemdkragen und zerrte ihn nach oben. Draco suchte mit den Füßen halt, doch auf dem Stroh rutschten sie immer wieder weg. „Du miese kleine Ratte!“, schrie Alexander ihn an. „Ich habe dich gefragt! Ich habe dich direkt danach gefragt und du besitzt die Unverschämtheit mir ins Gesicht zu lügen!!! Nach allem was ich für dich getan habe, lügst du mich einfach an!“ Abermals holte Alexander aus und zielte mit der Faust auf Dracos Gesicht. Draco konnte nicht anders reagieren, als instinktiv den Kopf zur Seite zu drehen, so dass Alexanders Faust sein Gesicht nicht mit voller Härte traf, sondern abrutschte und sein Ohr streifte. Dennoch schoss ein neuerlicher Schmerz durch seinen Kopf und er stöhnte kurz auf. „Wie kannst du es wagen, die ganze Zeit so zu tun, als sei alles in Ordnung?! Als hättest du keinen Anteil daran! Hast du überhaupt eine Ahnung, was du angerichtet hast?! Du hättest es besser wissen sollen!!!“, fuhr Alexander ihn weiter an. Er hatte Draco noch immer fest gepackt und wieder holte er zu einem erneuten Schlag aus. Doch dieses Mal sah Draco es kommen und fing Alexanders Faust mit der linken Hand ab. Sie schnellte zwar nach hinten und er spürte wie sich die Muskeln in seiner Hand unnatürlich dehnten und schmerzten, aber es verhinderte, dass Alexander ihn noch einmal traf. Dieser schien darüber so überrascht zu sein, dass er Draco erst einem Moment musterte. Diesen Augenblick nutzte Draco um seine Füße gegen Alexanders Brustkorb zu stemmen und Annies Bruder somit wegzustoßen. Alexander taumelte ein paar Schritte nach hinten, während Draco gerade so viel Zeit blieb, um endlich aufzustehen. Gleich darauf stürmte Alexander wieder auf ihn zu. „Was soll das?!“, fragte Draco endlich und versuchte ihm auszuweichen. Er klang nicht weniger wütend. „Tu nicht so, als ob du das nicht wüsstest!“, schrie Alexander ihn weiter an und begann abermals nach ihm zuschnappen. Draco bückte sich und Alexander griff ins Leere. „Ich weiß es nicht!“ „So etwas Ähnliches hast du damals auch gesagt!“ Draco ging seine gesamten Erinnerungen durch, die er in der Gegenwart von Alexander gesammelt hatte. Und natürlich hatte er so etwas Ähnliches gesagt, mehrmals. Wovon genau sprach er also?! Draco sprang nach rechts, um einen weiteren Schlag von Alexander auszuweichen, als plötzlich eine andere Stimme zu hören war. „Alexander!“, rief Susan. „Was machst du da!?“ Augenblicklich erstarrte Alexander und drehte sich halb um. Auch Draco blickte zu ihr. Sein Atem ging schnell und sein Herz raste in seiner Brust. Was geschah hier? Susan stand am Tor, ein entsetzter Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Das verstehst du nicht.“, knurrte Alexander und wandte sich wieder Draco zu. Susan kam entschlossen auf sie zu und auch sie schien nun wütend zu sein. „Ich brauche es nicht zu verstehen, weil du das sofort beendest!“, sagte sie bestimmt. „Das geht dich überhaupt nichts an!“, fuhr er sie an. Es war das erste Mal das Draco hörte, wie Alexander so mit ihr sprach. „Doch das tut es. Ich habe keinen Schläger geheiratet.“, sagte sie ohne zu zögern. Im nächsten Moment huschte ein schmerzhafter Ausdruck über ihr Gesicht und sie legte die Hand auf ihren Bauch. Sofort ließ Alexander von Draco ab und war bei seiner Frau. „Alles in Ordnung?“, fragte er und die Stimme, die vor wenigen Augenblicken noch so wütend geklungen hat, war nun voller Sorge. „Du weißt, dass ich mich nicht so aufregen soll.“, sagte sie leise. „Also lasst es beide und kommt zum Essen.“ Mit diesem Worten drehte sie sich wieder um und verließ langsam den Stall. Offenbar war sie davon überzeugt, dass Alexander auf sie hören würde. Draco beobachtet, wie Alexander die Augen schloss und Daumen und Zeigefinge gegen seinen Nasenrücken presste. Er kannte diese Geste, Alexander versuchte sich krampfhaft zu beherrschen. Er sollte gehen, dachte Draco. Jetzt sofort oder er wollte Alexander den gleichen Schmerz empfinden lassen, den er im Moment in seinem Gesicht verspürte. Noch immer spürte er das Klopfen und Brennen unter seiner Wange, ebenso wie es an seinem Ohr und seinem Kopf schmerzte. Aber vor allem wollte er Antworten. Er wollte wissen, warum Alexander ihn so behandelt hatte. „Warum hast du das getan?!“, fragte Draco scharf. Alexander presste die Lippen zusammen und Draco sah, dass es ihn eine enorme Anstrengung kostete ihm zu antworten. „Ich habe dich damals gefragt, ob du meine Schwester entehrt hast.“, presste Alexander hervor. „Ja.“, antwortete Draco ehrlich. Und er wusste auch genau, was er damals gedacht hat. Er hatte nämlich nicht verstanden, wovon Alexander eigentlich gesprochen hatte. „Du sagtest, du wüsstest nicht, was ich meinte. Du hast es verneint. Du hast gelogen.“, sagte er aufbrausend und seine Hände ballten sich wieder zu Fäusten. Jetzt legte Draco den Kopf ein wenige schief und musterte Alexander. Hatte er denn immer noch nicht begriffen, dass er immer sagte, was er meinte? Er kannte es gar nicht anders. „Nein, habe ich nicht.“, antwortete Draco. Er wusste ja immer noch nicht, was es bedeutete! „Du streitest es immer noch ab? Sie hat es mir gesagt!“, fuhr Alexander ihn an und wurde wieder lauter. „Was hat sie dir gesagt?!“, fauchte Draco. Das Ganze wurde ihm langsam zu viel. Alexander atmete tief durch und Draco glaubte, dass er ihm endlich sagen würde, was das ganze sollte, doch stattdessen sagte er: „Du willst mir also weis machen, dass du wirklich nicht weißt, was entehrt bedeutet?“ „Ich weiß nicht was es bedeutet. Das habe ich dir mehrmals gesagt!“ Alexander blickte ihn direkt an und Draco scheute sich nicht, seinem Blick ebenso direkt zu begegnen. Dann schloss Alexander abermals die Augen. Draco wartete auf seine Reaktion, machte sie schon darauf gefasst, dass Alexander ihn wieder angreifen würde. Doch stattdessen schlug er die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Das kann nicht wahr sein.“, murmelte Alexander und sah ihn wieder an. „Du weißt es wirklich nicht.“, stellte er dann fest. „Das sagte ich doch!“, erwiderte Draco genervt. „Wie kommt es, dass du so viele Dinge nicht weiß?“, sprach nun Alexander. „Nicht nur das Lesen oder Schreiben, sondern auch, wie Kinder entstehen oder wie man reitet oder selbst einige Wörter? Warum sind dir so viele Dinge unbekannt, die man doch ab Kindesalter lernt, selbst wenn man keine gute Bildung hat? Wie kommt es, dass du anfangs ohne sie nicht lebensfähig warst? „Wer oder was bist du eigentlich?“, fragte Alexander leise. Unwillkürlich zuckte Draco zusammen. Schon einmal hatte Alexander diese Frage gestellt. Nein, die Frage damals war so ähnlich gewesen. Draco ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Er wollte von ihm Antworten!? Jetzt nachdem er ihn grundlos angegriffen hatte, glaubte er tatsächlich noch, dass er ihm auch nur irgendetwas sagen würde? Was ist mit seinen Antworten? Er wusste immer noch nicht, was dieses „entehrt“ eigentlich war! Und jetzt sollte er ihm antworten? Er hatte keinen Grund dazu. Auf einmal zog sich einer von Dracos Mundwinkel langsam nach oben. Seine Antwort würde Alexanders Selbstgefälligkeit zum Einsturz bringen. Und dieser Gedanken ließ ihn lächeln. Als Draco am Tor war, bliebe er stehen und drehte sich noch einmal halb um. Gerade so viel, dass er Alexander aus den Augenwinkeln sehen konnte. Dieser stand noch immer bei Heras Stall und starrte ihm hinterher. „Der Drache, den Barrington suchte... Annie hat ihn gefunden... und bei sich aufgenommen.“, wisperte er kaum hörbar. Dann verließ er den Stall und schloss die Tür hinter sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)