Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 15: Ohne sie... ----------------------- Das Bild vor seinen Augen flackerte. Es war zu hell. Aber außer dem störenden, hellen Licht nahm er nichts wahr. Weder das, was um ihn herum geschah, noch seinen eigenen Körper. Sein Körper hatte bereits aufgehört nach dem Notwendigem zu schreien, hatte sich offenbar dem gefügt, was kommen würde – was er herbeisehnte. Er spürte wie er zurückgezogen wurde. Wann würde das Licht aufhören, ihm immer wieder aus der wohlwollenden Dunkelheit zurückzuholen? Nur noch ein bisschen. Dann würde er für immer in der Finsternis bleiben können. Er war in der Schwärze der Erde geboren. Nun wusste er, dass er darin auch sterben würde. Dieses Wissen beruhigte ihn, nahm ihm das letzte bisschen Angst, die er vielleicht vor dem Danach hatte. Mit dem Tod würde er zurückkehren können. Dessen war er sich sicher. Die Dunkelheit und das Nichts rissen ihn abermals mit sich, während die Sonne das letzte Leben aus seinem Körper brannte. Annie erwachte durch die warmen Strahlen der Sonne, die nun ihren Weg westwärts fand und durch das Fenster direkt neben ihrem Bett schien. Erschöpft legt e sie ihren Arm auf die Stirn und benötigte ein paar Sekunden um sich daran zu erinnern, was geschehen war, warum sie zu dieser Tageszeit bereits im Bett leg. Alexander war da, dachte sie träge. Doch kaum hatte sie dies gedacht, kehrte auch alles andere zurück. Ihr Magen verkrampfte sich augenblicklich. Abrupt richtete sie sich auf. Draco war nicht bei Alexander! Wie hatte sie auch nur einen Moment daran glauben können? Sie hätte darauf bestehen müssen, Alexander zu sehen und nicht erst darauf gewartet, bis dieser Mann es ihr erlaubte! Wie hatte sie nur so dumm sein können?! Inzwischen konnte ihm so viel zugestoßen sein! Er kannte sich doch überhaupt nicht aus. Wohin sollte er denn gehen? Was, wenn jemand anderes ihn getroffen hatte? Was, wenn es einer von Barringtons Männer gewesen war? Allein die Vorstellung daran ließ sie vor Angst erzittern. Natürlich war Draco nicht schwach. Körperlich war er ihr immer überlegen, aber er wusste doch gar nicht, wie er diese Kraft einsetzen konnte. Er wusste doch gar nicht, wie man... Nein, das sollte er auch nicht wissen. Was aber sollte sie tun, wenn Draco den Wald wirklich verlassen hatte? Was, wenn er es nicht getan hat? Würde er allein im Wald zurecht kommen? Vielleicht schon. Er hatte sie oft beobachtete und Annie wusste, dass er allein dadurch schon unglaublich viel gelernt hatte. Und das Leben in einer Dorfgemeinschaft? Würde er sich dort einleben können? Vielleicht. Aber sie glaubte nicht, dass er das überhaupt wollen würde. Lieber wäre Draco allein, als unter vielen Menschen zu leben, dachte Annie. Aber würde er überhaupt leben? Ihr wurde kalt und ein Schaudern durchfuhr ihren Körper. Daran durfte sie nicht einmal denken! Verzweifelt hob Annie die linke Hand und wollte sich eine weitere Träne aus den Auge reiben, als ihr Blick plötzlich an dem kleinen roten Seidenband hängenblieb, welches um ihren Finger gebunden worden war. Ein Moment betrachtete sie es erstaunt. Es war lange her, dass sie dieses Zeichen gesehen hatte. Unwillkürlich legte sich ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen. Als sie Kinder hatten Alexander und sie sich oft Versprechen gegeben. Wenn sie nun zurückdachte, waren es meist unwichtige Versprechen. Versprechen, die sich nur Kinder gaben, die für sie aber von höchster Bedeutung waren. Hatte sie ihrem Bruder etwas versprochen, dann hatte sie ihm ein kleines Band um den Finger gebunden, um das Versprechen zu besiegeln. Hatte er ihr etwas versprochen, hatte er es genauso getan. Wichtig war, dass man immer einen Finger der linken Hand nahm. Auf dieser Seite saß das Herz und man versprach somit etwas aus ganzen Herzen. So wie es Alexander auch heute getan hatte. Annie legte die linke Hand auf ihr Herz und verharrte einen Moment. Er würde nach ihm suchen und ihn finden. Er hatte es versprochen. Mit einem lauten Knall wurde plötzlich die Tür aufgerissen, so das Annie zusammenzuckte. John Barrington betrat mit Jonathan Semerloy den Raum. Augenblicklich ließ sie ihre Hand sinken und ihr Gesicht erstarrte. Egal wie klein ihr Glück auch war, er zerstörte es durch seine bloße Anwesenheit, dachte sie verbittert. „Wie ich sehe, seid ihr wach.“, stellte Barrington fest. Statt ihm die Antwort zu geben, die ihr auf der Zunge lag, nickte sie nur. Sie hörte den verärgerten Ton ihn seiner Stimme. „Wie kam es dazu?“, fragte Barrington weiter. Annie sah ihm verwirrt an. „Ich weiß nicht, was ihr meint.“ „Euer Bruder verließ kurz nach seiner Ankunft dieses Zimmer und teilte den Kammerfrauen mit, dass ihr euch nicht wohl fühlt. Als sie dann nach euch sahen, fanden sie euch schlafend im Bett. Ich würde sehr gern wissen, wie ihr euren Bruder, den ihr ja unbedingt sehen wollte, nach so kurzer Zeit wieder wegschickt und euch dann ins Bett begebt. Meines Wissens nach, erfreutet ihr euch heute Morgen noch bester Gesundheit.“ Sie musste einmal tief durchatmen, damit sie ihm überhaupt antworten konnte. Was fiel diesem hässlichen Wicht ein, ihre Handlungen zu hinterfragen? Was sie tat, war immer noch ihre Entscheidung! Ganz besonders, wie lange sie sich mit Alexander unterhielt und wann sie zu Bett ging! „Ich wusste nicht, dass ich mich zu rechtfertigen habe, wie lange ich mit meinem Bruder spreche oder wann ich zu Bett gehe. Wie ihr euch vielleicht erinnern könnt, habe ich in dieser Nacht nicht sehr viel geschlafen und fühle mich noch immer müde und erschöpft. Ich habe mich sehr gefreut Alexander zu sehen und ich habe ihn gebeten mich so bald wie möglich noch einmal besuchen zu kommen, aber ich konnte ihm heute keine ordentliche Gastgeberin sein. Deswegen habe ich ihn gebeten wieder zu gehen. Es wäre weitaus unhöflicher gewesen, wenn ich ihn gezwungen hätte mir Gesellschaft zu leisten, wo ich ihn nicht einmal unterhalten konnte. Aber ihr könnt versichert sein, dass es mich selbst am meisten ärgert, dass ich den Besuch meines Bruders nicht mehr genießen konnte!“ „Wagt es nicht in diesem Ton mit mir zu reden! Ihr seid immer noch meine Frau! Hätte ich gewusst, dass ihr so schwächlich seid, dann hätte ich euch aber niemals zu dieser gemacht. Sollte ich feststellen, dass ihr der ganzen Mühe gar nicht wehrt ward, werdet ihr es noch bitter bereuen.“, drohte er ihr und ballte seine fleischige Hand zur Faust. „Ich habe nicht darum gebeten, eure Frau zu werden!“, stieß Annie unbedacht aus, bereute es im nächsten Augenblick bereits. Dennoch wand sie den Blick nicht von ihm ab. Sie war fest entschlossen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen. Einen Moment sah er sie aus verengten Augen an und sie glaubte bereits, dass er sie schlagen würde. Sie wusste, dass er es tun würde und dass er keine Skrupel haben würde. Doch dann erschien ein schiefes Lächeln auf seinem Gesicht. „Jonathan, wie viel Zeit bleibt mir noch, bis zu dem Treffen mit dem Finanzverwalter?“, fragte er an seinen Freund gewandt. Anscheinend hatte dieser ihn sofort verstanden, denn auch auf seinem Gesicht erschien ein kaltes Lächeln. „Nun, ich denke es bleibt noch genügend Zeit, um eurer Gemahlin beizubringen, dass es in Zukunft besser wäre, darauf zu achten, was sie sagt.“ „Ja... dass denke ich auch.“, antwortete Barrington langsam und seine Augen funkelten, wie die eines ausgehungerten Tieres. Mit einer leichten Verbeugung an Barrington gewandt, entfernte sich Jonathan Semerloy aus dem Zimmer. Vor der Tür blieb er noch einmal stehen und Annie erwiderte auch seinen Blick. Sein Lächeln war kalt und als sich ihre Augen trafen, leckte er sich genüsslich über die Lippen. Annie zuckte vor Angst zusammen. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde bald wieder auf Barrington gelenkt, der sich ihr näherte. „Was soll dieses alberne Band?“, fragte er sie kalt und Annie wusste, dass er das Band um ihren Finger bemerkt hatte. Ohne überhaupt einen Antwort von ihr zu erwarten, griff er nach ihrer Hand und riss das Band von ihrem Finger. Sie hätte am liebsten aufgeschrien und sich gewehrt, doch ihr Mut war urplötzlich verschwunden, als sie Semerloys Blick gesehen hatte. Trotzdem erwiderte sie Barringtons Blick standhaft. Sie wusste, dass sie ihm ihre Angst nicht zeigen durfte, egal wie groß sie war. Er würde sie sonst noch mehr damit in die Enge treiben können. „Ach und bevor ich es vergesse. In vier Wochen wird ein Hochzeitszug stattfinden – mir und euch zu ehren. Ihr werdet euch eine neue Garderobe anfertigen lassen.“, sagte er ohne eine geringste Regung in seiner Stimme. „ Aber erst einmal, werde ich euch zeigen, was es heißt, mir zu wiedersprechen!“, wurde sein Ton härter. Sie erwartete, dass er sie schlagen würde oder dass er sie irgendwie auf eine andere gewaltsame Art und Weise zur Vernunft bringen wollte. Aber sie würde ihm nicht die Genugtuungen geben und Schreien oder ihn gar um Vergebung und Gnade anbetteln. Niemals würde sie das. Doch Barrington wollte sie nicht schlagen. Stummen Entsetzens sah sie, wie er seine Hose öffnete. Donner riss ihn ruckartig aus der Dunkelheit zurück. Es war das erste Geräusch, dass er seit drei Tagen richtig wahrnahm und das wohl nur, weil es so laut war. Es war noch immer nicht geschehen, realisierte er langsam. Doch dieses Mal, war er sogar ein wenig dankbar dafür. Das Donnern hatte ihn von Traumbildern befreit, die ihn zu lange gefangen gehalten hatten. Immer und immer wieder hatte er das gleiche Bild gesehen, ohne das sich etwas daran geändert hatte: Annie mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht, strahlenden, braunen Augen und wellendem, langem Haar, dass sich an ihrem nackten Körper schmiegte. Aus dem Schatten trat eine Gestalt heraus. Die dicken Finger legten sich um ihren Hals, fuhren diesen hinab und berührten das zarte Fleisch ihres Busens. Auf Barringtons Gesicht stand ein schiefes Grinsen und seine Augen funkelten, wie an jenem Tag, als er ihn das erste Mal sah. Hatte er sich geirrt? Würde es nicht die Finsternis sein, zu der er zurückkehrte, sondern unaufhörlich zu diesen Traumbildern? Würde er es von nun an immer sehen? Selbst dann, wenn er endlich gehen durfte? Was für einen Sinn hatte es dann? Dabei hatte er gehofft er wäre dann für immer davon befreit. Nur langsam wurde sich Draco bewusst, dass das Donnern kein Donner des Himmels war. Es war etwas anderes, denn plötzlich endete es abrupt. Schwach nahm er nun ein anderes Geräusch war. Er konnte beinah meinen es wären Schritte. Unmöglich. Abermals rief und zog etwas nach ihm und nur zu bereitwillig folgte er. Es würde nicht so sein. Er würde von den Traumbildern befreit sein und zurückkehren. Und doch... aus einer anderen Richtung hörte er eine Stimme, die lauter und lauter zu werden schien. Er konnte nicht sagen, wo sie sich befand oder wem sie gar gehörte, doch nun schien sie direkt bei ihm zu sein und hielt ihn davon ab zu gehen. Die Worte, die diese Stimme sprach, waren ihm unverständlich, unvollständig, verschwommen und frei jeglicher Bedeutung. Jemand berührte ihn, er konnte Finger auf seinem Gesicht spüren. Zumindest glaubt er das. Aber wieso und von wem?, fragte er sich verwirrt. Hatte man ihn doch gefunden? Wer? Es war egal. Es würde nicht mehr lange dauern. Plötzlich spürte er, wie etwas um seine Arme griff und sein Körper nach oben gerissen wurde. Noch nie hatte er so empfunden. Der Schwindel, der ihn schon die ganze Zeit beherrscht hatte, wurde zu seiner übermächtigen Welle, die ihn überrollte. Sein gesamtes Inneres schien aus seinem Körper ausbrechen zu wollen, suchte sich einen Weg nach oben, seinen Hals hinauf, in seine Kehle und seinen Rachen. Dann erbrach er sich heftig. Doch er spukte nichts weiter als eine gelblich, grüne, bittere Flüssigkeit. Immer wieder musste er würgen und ein wenig von der Flüssigkeit gelangte nach draußen, doch schnell würge er nur noch vergebens. Trotzdem war da noch etwas. Draco hatte das Gefühl er würde daran ersticken, wenn es nicht bald nach draußen gelangte. „Verdammt!“, stieß plötzlich jemand neben seinem Ohr heftig aus und dieses Mal war er sich sicher, das Wort verstanden zu haben. Doch noch bevor er sich darauf konzentrieren konnte oder gar die Möglichkeit hatte sich wieder in das Gras zurückfallen zu lassen, wurde er abermals gepackt. Sein Körper bewegte sich wie von selbst. Das grelle, warme Licht verschwand und stattdessen wurde es merklich kühler und dunkler. Was geschah mit ihm? Die Hände, die ihn gerade noch fest umklammert hatten, ließen ihn los und betteten ihn auf die ebene Erde. Draco versuchte den Unbekannten endlich anzusehen, doch sobald er die Augen öffnete, sah er nur die hohen Baumkronen über ihm. Sie drehten sich so schnell, dass ihm nur noch übler wurde, wenn dies überhaupt möglich war. Draco drehte den Kopf, um auch den Rest dessen, was noch in ihm war und ausbrechen wollte, gehen zu lassen. Nochmals schoben sich zwei Hände unter seinen Körper um ihn aufzurichten. Wieder erbrach er die gleiche scharfe Flüssigkeit. Gleich darauf wurde etwas an seine Lippen gesetzt und er spürte, die kalte Flüssigkeit, die sie benetzten: Wasser. Augenblicklich schien sein Körper wieder zu erwachen und danach zu schreien. Unkontrolliert begann er zu zittern. Das Wasser lief daneben, sein Kinn und anschließend seinen Hals herunter. Die wenigen Tropfen, die in seinen Mund gelangten und er schluckte, schienen wie Feuer in seiner Kehle zu brennen. Der Schmerz war unerträglich. Die Finsternis bekam ihn abermals zu fassen. Erst war alles ruhig, warm und so voller Stille, wie er es schon lange nicht mehr empfunden hatte. Selbst die Bilder verschonten ihn. Wo immer er war, er wollte auf ewig dort bleiben. War dies endlich der Tod, den er sich so sehr gewünscht hatte? Es war angenehm. Er hatte es gespürt. Den Tag, an dem das volle Jahr vergangen war. Er war an diesen Ort gekommen, um vielleicht doch zu seinem alten Selbst zurückzufinden, obwohl er schon lange akzeptiert hatte, dass dies nicht mehr möglich war. Ein kleiner Teil hatte wohl immer noch gehofft, dass es doch gelingen würde. Seit wann empfand er so etwas wie Hoffnung? War dies eine Gabe der Menschen? Es hatte ihn in die Irre geleitet. Er hatte für umsonst gehofft. Noch immer war er in dieser Gestalt gefangen. Und dann hatte er nur noch an sie denken müssen. Wie Gift waren die Bilder von ihr und diesem Mann durch sein Blut gekrochen und hatten ihn gelähmt. Aber seinen Lebenswillen konnte sie nicht brechen. Er hatte schon lange keinen mehr besessen. Doch an diesem Ort, an dem er sich nun befand wollte er bleiben. Keine Stimmen bedrängten ihn, keine Bilder quälten ihn und selbst seine ewigen Erinnerungen schienen in einem dicken, undurchdringbaren Nebel verhüllt zu sein. Kaum hatte er dies gedacht, änderte es sich sofort. Der Nebel wurde lichter und eisige Kälte griff nach ihm. Sie kroch seinen Körper entlang, durch seine Haut hindurch, in ihn hinein. Erneut erfasste ihn ein heftiges Zittern. Der Ort, der ihm gerade noch so verheißungsvoll erschienen war, erfüllt ihn nun mit Schrecken. Mit jedem Moment, den er dort blieb, wurde die Kälte stärker, fraß sich durch seinen Körper, bis er sie an seinem Herzen spüren konnte. Ruckartig riss es ihn in das Leben zurück. Sein ganzer Körper zitterte und er wusste, dass es von der Kälte kam, die in seinem Inneren wohnte. Draco schloss die Augen gleich wieder, denn der Schwindel und die Übelkeit waren noch genauso mächtig wie zuvor und wurden nur noch von der Kälte überdeckt. Was war geschehen? Ein Knistern neben ihm, erweckte seine Aufmerksamkeit. Langsam öffnete er die Augen abermals und blickte ihn die hellen Flammen des roten Feuers, welches neben ihm brannte. Sein Körper bebte und das Feuer war so lockend warm. Wenn er doch nur zu ihm gelangen könnte. Nur ein winziger Augenblick in diesem Feuer, dachte er, würde die Kälte vertreiben und dann würde er an diesen dunklen Ort, der so ruhig und friedlich war, zurückkehren können. Inzwischen zitterte er so heftig, dass seine Zähne aufeinander schlugen. Noch nie zuvor hatte er solch eine Kälte gespürt. Noch nie hatte er sich so gefühlt... Nicht einmal zu dem Zeitpunkt, als er als Mensch erwacht war. Er streckte den Arm danach aus. Gleich würde er es berühren können und dann würde ihm wärmer sein. Plötzlich packte ihm etwas am Arm und zog ihn heftig zurück. „Was soll der Mist? Bist du so versessen darauf zu sterben?!“, fuhr eine laute Stimme ihn an. Sein Herz setzte einen Moment aus. Die Stimme kam ihm bekannt vor, aber das war vollkommen unmöglich. Wieso sollte er... Draco nahm den Blick vom Feuer und versuchte nach oben zu schauen. Seine Bewegungen waren zwar langsam, doch die Übelkeit war zu stark. Er konnte es nicht aushalten und schloss die Augen, versuchte den plötzlich auftauchenden Summen und Hämmern in seinem Kopf Herr zu werden. Irgendetwas schien hinter seinen Augen immer wieder auf ihn einzuschlagen. Jeder Schlag war stärker, lauter und heftiger, als der vorherige, als würde etwas versuchen aus seinem Kopf herauszubrechen. Es verdrängte den Sinn für alles andere. „Was ist? Ich habe dich etwas gefragt? Willst du wirklich unbedingt so sehr sterben?“ Kurz schafft er es zu nicken, bevor er sich mit beiden Händen an dem Kopf griff, um es zu beenden. Doch nichts geschah. Sein Körper zitterte noch immer vor Kälte, ihm war unsagbar Schwindelig und dieses Hämmern und Dröhnen... „Ich hätte nicht gedacht, dass du so schwach bist.“, stieß die Stimme verächtlich aus und mit einmal erkannte Draco sie. Er kannte nur einen Menschen, der in diesem abwertendem Tonfall mit ihm sprach. Mühevoll gelang es ihm seine Augen doch noch ein weiteres Mal zu öffnen, doch alles was er erkennen konnte, war ein verschwommenes Gesicht. Aber er glaubte, Alexanders Gesichtszüge ausmachen zu können. Schweigend sahen sich die beiden Männer einen Augenblick an. Dann gab Draco Alexanders durchdringendem Blick nach. Zu einem anderem Zeitpunkt hätte er dies niemals zugelassen, doch nun bemerkte er es nicht einmal. Vielmehr beschäftigte ihn die Frage, was er an diesem Ort machte. „Was machst...“, wollte er ihn fragen, doch seine Kehle war zu trocken. Draco hörte kaum seine eigenen Worte. Fast augenblicklich schlief er wieder ein. Nur als er auf einmal schweren Stoff auf sich spürte, wurde er noch einmal kurz munter. Das Zittern schien langsam schwächer zu werden. „Morgen früh, wäre dein Wunsch sicher erfüllt worden.“, hörte er Alexander sagen. Nur schwerfällig begriff er die Bedeutung seiner Worte und wünschte es wäre tatsächlich so gewesen. Draco hörte, wie sich Alexander neben ihm bewegte und im nächsten Augenblick seinen Kopf anhob. „Du musst etwas trinken. Dein Körper ist vollkommen ausgetrocknet. Ich schaue morgen, ob du noch andere Verletzungen hast. Trink nicht so viel auf einmal, sonst wirst du dich nur wieder übergeben müssen.“, redete Alexander auf ihn ein, doch Draco verstand nicht einmal die Hälfte. Er spürte nur, wie abermals etwas an seinem Mund gesetzt wurde und das Wasser wieder seine Lippen benetzte. Dieses Mal öffnete er die Lippen ein wenig mehr. Er trank nur einen kleinen Schluck, zu sehr schmerzte es ihn. Aber sein Körper schien allein dafür dankbar zu sein. Er hatte das Gefühl, als würde dieser eine Schluck nur wenigen Momente später durch seinen gesamten Körper fließen. „Hoffen wir mal, dass du dich morgen wenigstens auf einem Pferd halten kannst. Hier bleiben kannst du auf keinen Fall.“, hörte er Alexander noch sagen. Als er bereits wieder in den Schlaf glitt, wurde sich Draco noch schwach bewusst, dass er gar kein Wasser getrunken hatte. Es hatte vollkommen anders geschmeckt und es hatte auch nicht in seiner Kehle gebrannt. Draco wusste, dass er weiter leben würde, als er am nächsten Tag die Augen öffnete. So schnell würde dieses Leben ihn nicht gehen lassen. Er fühlte sich dennoch nicht besser. Schwindel, Übelkeit und diese unerträglichen Schmerzen in seinem Kopf waren noch immer da. Der Tod wäre ihm weitaus lieber, als dies empfinden zu müssen, dachte er. „Du bist ja doch wieder aufgewacht.“, hörte er Alexanders Stimme. Er war nicht überrascht ihn zu sehen, er hatte gewusst, dass er da war, aber er wunderte sich noch immer darüber, was er eigentlich an diesem Ort machte. Warum tat er das? „Glaubst du, du kannst aufstehen?“ Draco versuchte es, doch allein die kleinste Regung, ließ ihn wieder so schlecht werden, dass er den winzigen Schluck, den er gestern getrunken hatte, wieder in seinem Mund schmecken konnte. Angewidert schluckte er es nach unten. Dann schüttelte er langsam den Kopf. Wieder stieß Alexander einen Fluch aus, den Draco bei Annie nie gehört hatte. „Du musst aber. Es wird immer kälter und es sieht aus, als würde es auch noch anfangen zu regnen. Wir müssen es wenigstens versuchen.“ Noch bevor Draco reagieren konnte, hatte Alexander ihn abermals unter den Armen gepackt und richtete ihn so auf, dass er sich setzen musste. Draco presste zwar den Kiefer zusammen, um sich nicht übergeben, doch es war vergeblich. Alexander ließ ihn einen Moment allein und kam mit seinem Pferd an den Zügeln zurück. Draco sah verschwommen, dass er dem Tier etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin dieses sich in das flache Gras legte. „Na komm schon. Du musst nur draufsitzen. Alles andere macht das Pferd.“, sagte Alexander noch zu ihm, bevor er ihn erneut packte. Der Weg zu Alexanders Anwesen dauerte qualvoll lange. Immer wieder musste Draco sich übergeben und glaubte schon, dass nichts mehr in ihm sein müsste, was er wieder ausspucken konnte. Er sollte recht behalten, denn schon bald würgte er nur noch. Oft wurde ihm wieder schwarz vor Augen und ihm fehlten Erinnerungen. Er wusste nicht, wann und wie sie an Alexanders Anwesen ankamen, noch wusste er, wie er es geschafft hatte abzusitzen oder gar in das Zimmer zu gelangen, in dem er aufwachte. Etwas kühles wurde gerade auf seine Stirn gelegt, als er wieder zu Bewusstsein gelangte. Es tat gut und linderte den Schmerz dahinter ein wenig. Leise hörte er, wie sich Schritte entfernten und als sie ganz verstummt waren, öffnete er schließlich die Augen. Er lag in einem fremden Zimmer, welches nur von wenigen Kerzen erhellt wurde. Draußen konnte er den Wind pfeifen hören und den Regen, der gegen das Fenster schlug. Die Nacht war pechschwarz. Schritte näherten sich und er versuchte seinen Blick auf die Tür gerichtet zu halten. Alexander trat ein. „Susan sagte mir, dass du aufgewacht bist. Auf den letzten paar Metern dachte ich wirklich, dich rafft es dahin. Du hast plötzlich Fieber kommen und da dein Körper sowieso schon angegriffen ist, hätte es mich nicht gewundert, wenn dir das den Rest gegeben hätte. Aber du bist zäher als ich dachte, wenigstens etwas.“, sagte Alexander, während er etwas aus einer metallenen Schachtel nahm. Er ließ es in einer Schüssel fallen und rührte dann in dieser. Offenbar befand sich auch etwas darin. Draco sah, wie Alexander wenige Momente später eine zähe Masse aus der Schüssel nahm und in seinen Händen zu einer Kugel weiter formte, die so groß war, wie ein Finger breit. Diese teilte er dann noch einmal und formte zwei kleinere Kugeln. „Warum...“, versuchte Draco noch einmal, doch wieder versagte ihm die Stimme. Offenbar hatte Alexander ihn dennoch verstanden. „Das erkläre ich dir, wenn du auch wirklich verstehst. Momentan siehst du mir eher nicht danach aus. Es ist fertig. Mach den Mund auf.“, sagte er mit strengem Ton. Misstrauisch sah Draco die Kugeln an, die Alexander geformt hatte. Sie erschienen ihm fast schwarz und sie glänzen merkwürdig. Alexander seufzte kurz, als Draco nicht tat, wie ihm gehießen. Dann beugte er sich über Draco, der so geschwächt war, dass er nicht einmal reagieren konnte. Ohne zu zögern und mit wenig Kraft, drückte Alexander ihm den Kiefer auseinander und stopfte die erste Kugel tief in seinen Rachen hinein. Draco hatte gar keine andere Wahl, als sie zu schlucken. Doch kaum hatte er das getan, presste Alexander seinen Kiefer abermals auseinander und zwang ihn so auch die zweite Kugel zu schlucken. Trotz allem konnte Draco den Geschmack wahrnehmen. Es schmeckte scharf und bitter und gleichzeitig war es so trocken, dass er glaubte daran zu ersticken. Gleich darauf wurde sein Kopf abermals angehoben und erneut setzte Alexander ihm eine Flüssigkeit an den Mund. Dieses Mal trank Draco mehr. Er hoffte, dass es diesen Geschmack fortspülen würde. „Das war ein Medikament.“, erklärte Alexander, als er den Becher abgesetzt hatte. „Es wird dir hoffentlich helfen, schneller gesund zu werden.“ Mit diesen Worten ließ er ihn allein zurück. Draco starrte ihm hinterher. Er verstand noch immer nicht. Warum tat dieser Mann das? Er hasste ihn. Es war eine andere Art von Hass, als die, die er gegenüber Barrington empfand, aber dennoch konnte es nur dieses Gefühl sein. Selbst, wenn Alexander sein Leben vielleicht gerettet hatte, worum er ihn keinesfalls gebeten hatte, hasste er ihn. Alexanders arrogante Art machte ihn wütend und noch mehr hasste er sich selbst, dass er ihm ausgeliefert war. Doch seine Augen... sie glichen ihren so sehr, dass er immer, wenn er ihn ansah, an sie denken musste. Und das ließ seinen Hass noch mehr wachsen. Annie kehrte aus dem Garten zurück, den sie gerade besichtigt hatte – obwohl sie es nicht unbedingt als Garten bezeichnen würde. Wenn sie sich sehr anstrengte, dann konnte sie sich vielleicht vorstellen, dass es vor sehr langer Zeit einmal einer gewesen war, aber davon war nichts mehr übrig geblieben. Kniehohes Unkraut überwucherte die einst säuberlich angelegten Bete und von den eigentlichen Pflanzen, ganz gleich ob Blumen oder Kräutern, war nicht einmal mehr etwas zu erahnen. Jetzt, kurz vor dem Winter, würde sie nichts mehr ausrichten können, dachte sie traurig. Trotzdem war sie nicht entmutigt. Immerhin würde sie nun eine Aufgabe für das Frühjahr haben. Nur was sollte sie bis dahin machen? Bis sie in den Garten gegangen war, war die Schneiderin dagewesen, um die Kleider anzupassen. Maße hatte sie bereits vor vier Tagen genommen. Annie wusste nicht einmal genau, wie die Kleider aussahen. Sie hatte kaum in den Spiegel gesehen, als man sie ihr anprobiert hatte. Allerdings musste Barrington sich wohl furchtbar über die Kosten aufgeregt haben. Etwas was ihr ein klein wenig Schadenfreude bereitet. Er wollte sie schließlich präsentieren, wie ein seltenes Tier. Also würde er auch dafür aufkommen müssen. Vielleicht sollte sie einen Juwelier kommen lassen, der passenden Schmuck zu den Kleidern brachte. Resignierend atmete sie aus. Als ob das irgendeine Bedeutung haben würde. Das Geld würde dann nur an wichtigeren Stellen fehlen, da war sich sicher. Also würde sie es lassen. Aber irgendetwas musste sie doch tun, um ihre Gedanken zu beschäftigen und nicht jeden Augenblick mit Alexanders Besuch zu rechnen, nur um dann doch enttäuscht zu sein, wenn er wieder nicht kam. Dies war nun schon der fünfte Tag an dem sie ihn nicht mehr gesehen hatte. Hatte er Draco etwa noch immer nicht gefunden? Sie könnte in die Küche gehen und sehen, ob man ihre Anweisungen schon befolgt hat?, überlegte sie. Als sie vor zwei Tagen das erste Mal nach unten gegangen war, um sich endlich ein wenig umzusehen, war sie auch in die Küche gekommen. Sie hatte nicht glauben können, was sie da gesehen hatte. Selbstverständlich war ihre winzige Kochstelle in ihrer Hütte nicht unbedingt die Sauberste gewesen, aber verglichen mit der von dieser Burg, war ihre geradezu tadellos. Sie konnte nicht glauben, dass zwischen diesem Dreck tatsächlich Essen zubereitet wurde. Ihr hatte sich der Magen umgedreht, als sie daran gedacht hatte, dass auch sie schon davon gegessen hatte. Sie hatte sofort Anweisung gegeben, alles zu säubern und die vergammelten Lebensmittel endlich zu entsorgen. Es war ein guter Zeitpunkt um nachzusehen, ob dem Folge geleistet wurde. Außerdem würde es helfen, dem Tag schneller seinem Ende ein Stück näher zu bringen. Sie schritt über den Hof und zog ihren Winterumhang fester zusammen. Vor kurzem waren die Tage noch beinah heiß gewesen und nun hatten sich die Temperaturen so sehr abgesenkt. Das Wetter spielte in diesem Jahr wirklich verrückt. Bald würde es den ersten Schnee geben. Sie richtete den Blick gegen Himmel und fragte sich einmal mehr, was wohl mit ihm geschehen war. Annie wollte gerade den kleinen Seiteneingang nutzen, als sie hörte, wie sich das Tor öffnete. Sie warf einen flüchtigen Blick zurück und erwartete beinah Barrington zu sehen, obwohl sie wusste, dass er sich erst für den späten Abend zurückgemeldet hatte. Aber man konnte sich bei ihm nie sicher sein, ob er auch meinte, was er sagte. Doch augenblicklich blieb sie stehen, als sie einen großen stattlichen Reiter erblickte, den sie als ihren Bruder erkannte. Sofort rannte sie zu ihm und sein Pferd kam direkt vor ihm zum stehen. Kaum das er abgesetzte hatte, schloss sie ihn in die Arme. „Alexander!“, rief sie aufgeregt. Wenn er jetzt zu ihr kam, hatte er sicher Neuigkeiten für sie. „Hallo, kleine Schwester.“ Annie ließ von ihm ab und sah ihm eindringlich in die Augen. Sie hoffte, dass er ihre Frage verstehen würde. Als er nickte, fiel eine so schwere Last von ihrem Herzen, dass sie glaubte zum ersten Mal seit Wochen wieder richtig atmen zu können. „Wo?“, fragte sie stumm. Doch Alexander schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Auf dem Hof befanden sich die üblichen Wachen und keiner befand sich ausreichend in ihrer Nähe, um ein Gespräch belauschen zu können, dennoch verstand Annie ihn. „Komm mit mir. Ich freue mich, dich zu sehen. Möchtest du mit mir einem Tee trinken?“, fragte sie ihn mit gespielter Leichtigkeit und führte ihn zum offiziellen Haupteingang, damit jeder Alexander sehen konnte. Niemand sollte ihr Geheimniskrämerei nachsagen können – auch, wenn es vielleicht der Wahrheit entsprach. „Sehr gern. Ist dein Gemahl auf der Jagd? Ich habe gehört in diesem Jahr soll es besonders viel Wild geben.“, fragte er anscheinend beiläufig, doch Annie entging auch der Sinn hinter dieser Frage nicht. „Ja, er wird wohl erst bei Einbruch der Nacht zurück sein. Sie sind sehr erfolgreich.“ Sie nickte dem Mann, dem sie im Gang begegnet waren, höflich zu. Er hatte sie und ihren Bruder augenblicklich interessierter gemustert, als er es sonst getan hatte. Nach dieser kurzen, unbedeutenden Unterhaltung sprachen sie nicht mehr miteinander, bis sie Annies Zimmer erreicht hatten. Annie gab der Kammerfrau eine kurze Anweisung ihnen Tee zu bringen. Dann schloss die Tür hinter sich und wollte Alexander am liebsten tausend Fragen auf einmal stellen. „Wo hast du ihn gefunden?“, platze sie schließlich heraus. „Auf einer Lichtung im Wald.“ „Auf einer Lichtung? Was für eine?“, fragte sie. Sie konnte sich nicht erklären, was er an so einem Ort machte. „Das ist ja das seltsame. Ich war zwar schon lange nicht mehr in diesem Teil des Waldes, aber ich kann mich erinnern, dass es dort überhaupt eine Lichtung gab. Die Bäume sahen merkwürdig aus. Als hätte es einen heftigen Orkan gegeben, der sie geknickt hatte. Aber wir hatten in letzter Zeit nichts der Gleichen.“ Annie biss sich nervös auf die Zunge. Sie konnte sich nun sehr gut vorstellen, auf welcher Lichtung Alexander ihn gefunden hatte. Er war an jenen Ort zurückgekehrt, an dem alles begonnen hatte. „Was hat er dort gemacht? Wie geht es ihm?“, fragte sie stattdessen weiter. „Nun, dass... Annie...“ Alexander setzte sich auf einen der Stühle und rieb sich den Nacken. Er schien nicht recht zu wissen, wie er es ihr erklären sollte. „Was?“ Ihre Stimme begann zu zittern. Das ihr Bruder zögerte verhieß gewiss nichts gutes. „Es geht ihm... besser.“, antwortete Alexander gleich, um sie zu beruhigen. „Besser? Was ist denn passiert?“, flüsterte sie. „Als ich ihn gefunden habe, muss er wohl schon ein paar-“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn und Annie ließ den Tee hereinbringen. Als sie sah wie behutsam sich die Kammerfrau bewegte, um auch keinen Tropfen zu verschütten, hätte sie ihr am liebsten das Tablett aus der Hand genommen und es selber erledigt. Es fiel ihr schwer sich zu beherrschen. Als die Frau gegangen war, sah Annie sofort wieder zu Alexander. „Nun erzähl schon!“, drängte sie ihn. „Er muss schon ein paar Tage dort gewesen sein. Wahrscheinlich seit dem Tag an dem Barrington dich holte.“ Alexander sah sie abwarteten an, als wollte er überprüfen, ob sie von allein verstand. Annie sah ihn verwirrt an. Sie konnte noch nichts schlimmes daran erkennen. „Annie, du weißt dass die letzten Tage noch einmal besonders warm waren. Verstehst du denn nicht? Als ich ihn fand, lag er bereits drei Tage auf dieser Lichtung, der Sonne ausgeliefert. Er hatte weder gegessen noch etwas getrunken. Drei Tage lag er in der Sonne und hat nur darauf gewartet, bis er endlich sterben wird!“ Fassungslos sah sie ihren Bruder an, nicht in der Lage etwas zu sagen oder zu regieren. Ihr Mund stand weit offen, als wollte sie schreien, doch kein Laut drang aus ihrer Kehle. Sie merkte nicht, wie Alexander sich wieder erhob und sie nun ebenfalls zu einem Stuhl führte, und sie sich sogar setzte. Erst als ihr Bruder ihr direkt in die Augen sah, schien ihr Bewusstsein zurückzukehren. „W-Wi-Wieso?“, stammelte sie. „Ich weiß es nicht. Ich habe ihn noch nicht danach gefragt.“, antwortete Alexander leise. „Woher weißt du, dass er st-sterb-sterben wollte?“, brachte sie heraus. „Vielleicht hast du dich geirrt.“, hoffte sie. „Nein, ich habe ihn direkt danach gefragt. Er hat genickt.“ Annie wurde noch blasser, wenn dies möglich war und Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Warum?“, fragte sie entsetzt. Alexander legte ihren Kopf an seine Schulter und strich ihr sanft durch das Haar. „Mach dir jetzt keine Gedanken über das warum. Ich werde ihn fragen und es dir sagen. Wichtiger ist jetzt, dass es ihm besser geht. Ich habe in rechzeitig gefunden. Er wird schon wieder werden.“, murmelte er leise. Annie nickte kurz. „W-Was ist noch passiert? Ich meine... was... wie...“ „Er hatte einen ziemlich heftigen Hitzschlag und ich glaube wirklich, dass ihm sein Wunsch erfüllt worden wäre, hätte ich ihn nicht noch am gleichen Tag gefunden. Als er zu sich kam und ich ihn in den Schatten gebracht habe, hat er sich übergeben müssen. Auch die Nacht hindurch ist er immer wieder aufgewacht. Er konnte kaum etwas trinken. Ich musste mit ihm im Wald bleiben und habe ihn erst am nächsten Tag zu mir gebracht.“ „Aber warum? Wenn es ihm wirklich so schlecht ging, dann hat ihn das doch noch mehr-“ „Ich weiß, aber ich konnte dort nichts für ihn tun. Außerdem sah es nach Regen aus und... Annie, kann ich ehrlich zu dir sein?“, unterbrach Alexander sie. „Ja, natürlich.“, sagte sie und bereute es bereits. „So groß war meine Wahl nicht. Ich hatte nur die Möglichkeit ihn irgendwie zu meinem Anwesen zu bringen und er wäre vielleicht unterwegs vor Anstrengung gestorben oder ich wäre mit ihm im Wald geblieben und dann wäre die Wahrscheinlichkeit noch geringer gewesen, dass er...“ Annie schluchzte heftig. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Sie konnte das alles nicht glauben. Er war doch so stark. Wie konnte er da... „Was noch?“, fragte sie kaum hörbar weiter. „Annie,...“, sagte Alexander sanft. „Er hat es geschafft und wird von mir und Susan versorgt. Er wird sich wieder erholen, da bin ich mir sicher. Mehr musst du wirklich nicht wissen. Du musst dich nicht unnötig quälen.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich möchte es aber wissen. Was war noch mit ihm?“, drängte sie ihn. „Die Sonne hat seine Haut auf der Brust verbrannt. Nicht sehr schlimm, da ihre Strahlen nicht mehr so kräftig waren und es ist nichts, wovon er sich nicht wieder erholen wird. „Bis heute morgen hatte er hohes Fieber und Schüttelkrämpfe. Er war ziemlich oft bewusstlos. Wenn er wach war, gaben wir ihm etwas zu trinken, aber selbst jeden noch so kleinen Schluck hat er nach wenigen Stunden wieder erbrochen. Erst seit vorgestern Nacht scheint er es zu behalten.“, antwortet er ehrlich. „Wie kannst du dann sagen, dass es ihm besser geht?“ „Es geht im besser. Seine Augen waren nicht mehr ganz so glasig, als ich heute früh nach ihm gesehen habe. Das ist ein gutes Zeichen.“ „Was ist jetzt mit ihm?“ „Er schläft, denke ich.“, antwortete er schlicht. Abermals nickte sie, dann lehnte sie sich gegen seine Brust und schloss die Augen. „Wie hatte das passieren können?“, fragte sie mehr sich selbst, als ihren Bruder. „Er ist so stark. Er hat einen so festen Willen. Wie konnte er...“ „Woher stammen die Narben auf seinem Rücken?“, fragte sie Alexander plötzlich. Annie zögerte, ob sie antworten sollte. Aber das war ja wohl das mindeste, was sie tun konnte. „Deswegen war er bei mir.“, antwortete sie kurz. Alexander hielt sie noch einen Moment in den Armen und Annie war mit ihren Gedanken nur bei ihm. Erst ein Seufzen ihres Bruders brachte sie zurück. „Was ist?“, fragte sie ihn. „Nichts...“, antwortete er ausweichend. „Ich habe mich nur gerade an etwas erinnert, was er zu mir gesagt hat, als ich mit ihm allein im Wald war, kurz bevor... Ich weiß nicht, ob er wirklich so stark ist. Anscheinend kann er es wirklich nicht.“, sagte Alexander leise in ihr Haar. „Was kann er nicht?“, fragte Annie weiter. „Verschweigst du mir etwas?“ „Nein. Es ist etwas, von dem ich denke, dass du es nicht wissen solltest und es hat gewiss auch nichts mit dir zu tun.“ „Aber Alexander, ich muss es wissen.“, forderte Annie ihn auf. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als wenn ihr Leben davon abhinge. „Ich werde es dir nicht verraten. Es ist nicht so wichtig.“ „Du willst ein Geheimnis vor mir haben?“, fragte sie tonlos. „Du weißt, dass ich das nicht will. Aber ich denke dennoch, dass es nicht mehr wichtig ist. Es würde nichts ändern, verstehst du?“ Zaghaft nickte sie. Annie wusste, dass er seine Meinung in solch einer Situation auch nicht mehr ändern würde. „Kann er bei dir bleiben?“, fragte sie ihn anschließend. „Ja, wenn das möchte. Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass wir noch gute Freunde werden, nachdem ich ihn so... gesehen habe. Er scheint sehr stolz zu sein.“ Nun musste sie sogar ein wenig Lächeln. „Ja, das ist er, sehr sogar. Was hast du ihm an Medizin gegeben?“ „Ein Honig-, Fenchel – und Anisgemisch, um seinen Magen zu beruhigen und hauptsächlich Fenchel- und Anistee. Deswegen wird er mich nun noch weniger mögen, als vorher. Er hat es nicht gerade freiwillig genommen.“ Auf Alexanders Gesicht erschien plötzlich ein breites Grinsen. „Was hast du gemacht?!“, fragte Annie allarmiert. „Nichts, ich musste nur ein bisschen nachhelfen.“, sagte er und sein Grinsen wurde noch breiter. „Er wird dich hassen.“ „Du weißt, dass mir das egal ist.“, erwiderte er trocken. Wieder musste sie lächeln, doch schnell zerfiel es wieder. Alexander zog sie abermals in seine Arme. „Ich danke dir.“, flüsterte sie gebrochen. „Ich hätte es für jeden getan, aber für dich ganz besonders. Das weiß du.“ Dann begann sie zu weinen und ließ es eine ganze Zeit lang geschehen. Sie wusste nicht, ob sie glücklich darüber sein sollte, dass Alexander ihn gefunden hatte oder unglücklich, dass es Draco offenbar so schlecht ging. Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, bat sie ihren Bruder ihr etwas von Susan und vor allem von Sophie zu erzählen. Annie wusste, dass sie, wenn Alexander erste einmal gegangen war, ohnehin nur an Draco denken würde. Sie würde sich dann noch genug Sorgen machen. „Ich sollte jetzt wieder gehen.“, sagte Alexander, als die Sonne sich langsam gen Horizont senkte. Der Tee war getrunken und die Kanne war fast leer. „Ja, er wird bald zurück sein.“, erwiderte Annie bedrückt. „Deswegen doch nicht.“, sagte er und klang dabei ein wenig entrüstet. „Ich möchte Susan nicht so lange mit ihm allein lassen. Sie kann sich nicht so gut… durchsetzen wie ich.“ In seiner Stimme lag ein Schmunzeln. „Ich verstehe schon. Aber bitte provozier ihn nicht zu sehr. Versprich es mir.“ „Natürlich nicht. Wir werden schon mit einander auskommen. Mach dir keine Gedanken.“ Alexander stand auf und ging durch das Zimmer. Dabei blieb sein Blick an den Kleidern hängen, die noch ausgebreitet auf ihrem Bett lagen. Barrington wollte sie sehen, wenn er zurück war. „Sehen ziemlich teuer aus.“, bemerkte er und rieb den Stoff zwischen seinen Fingern. „Ich wusste nicht, dass dir so etwas gefällt.“ „Um ehrlich zu sein, ist es mir egal. In fast drei Wochen soll der Hochzeitszug sein. Er will mich seinem Volk präsentieren.“, stieß sie bitter aus. „Ich werde da sein.“, erwiderte Alexander gleich und Annie fiel ihm abermals in die Arme. „Danke. Es wäre schön dich dort zu wissen.“ Annie hielt die Umarmung noch einen Moment länger und flüsterte dann: „Ich möchte ihn gern sehen.“ „Ich weiß. Aber wir wissen beide, dass es besser ist, wenn du das nicht tust.“ Ergeben nickte sie. „Richte Susan meine Grüße aus und sag Draco,... nein, sag ihm nichts.“ „Das werde ich. Bis bald.“, verabschiedete er sich. Als Annie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ging sie zum Fenster und nach einer Weile sah sie, wie ihr Bruder den Hof verließ. Wieder fühlte sie sich schrecklich einsam. Dennoch war die Unruhe, die sie in den letzten Tage ergriffen hatte nicht mehr so stark. Er war noch in ihrer Nähe, er war jetzt bei Alexander und er würde sich wieder erholen. Daran glaubte sie ganz fest. Seltsam, dachte sie. Vor genau einem Jahr war es ihm genauso schlecht gegangen. Auch damals hatte er Fieber gehabt, doch es war hauptsächlich wegen dem gewesen, was sie aus ihm gemacht hatte. Was hatte ihn diesem Mal so sehr verstört? Sollte es wirklich ihre Trennung gewesen sein? Oder war es viel mehr, weil auch seine letzte Hoffnung wieder zu einem Drachen zu werden, nicht erfüllt worden war? Ein Jahr... Dieses Wort kam ihr so furchtbar lang vor, dabei hätte sie meinen können, es wäre erst vor wenigen Tagen gewesen, dass sie dieses verletzte Wesen gefunden hatte. Sie sah die riesige Gestalt des Drachen vor sich und dachte dann an Dracos Gesicht. Auch wenn Draco glaubte, sein altes Selbst wäre verschwunden, so wusste sie es besser. Es gab Züge an ihm, die verrieten was er wirklich war. In der letzten Nacht, in der sie sich so sehr geliebt hatte, hatte sie es gesehen. Die Magie, die von jenem Wesen ausging. Er hatte ihr einen winzig kleinen Teil davon gezeigt. Deswegen durfte Barrington ihn niemals sehen. Ein Geräusch weckte ihn. Das Holz knarrte unter den Füßen dieser Menschen. Es hörte sich viel zu laut in seinen Ohren an. Sie war nie so laut gewesen, dachte er kurz. Mühsam schlug Draco die Augen auf. Es war anscheinend wieder dunkel. Oder waren es doch nur seine Augen, die ihm wieder einen Streich spielten? „Susan sagte, du hättest am Mittag wieder nichts zu dir genommen.“, hörte er Alexanders Stimme, die sich ihm näherte. Statt zu antworten, schloss er die Augen und wollte sich in den Schlaf zurückfallen lassen. Er wusste sehr genau, wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte und er wusste, was dann aus ihm geworden war. Welches Leben würde ihn hiernach erwarten? Musste es ein Leben danach geben? Ein Rütteln an seiner Schulter riss ihn zurück. „Du musst endlich etwas trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Schlafen kannst du später noch.“, brummte Alexander. Müde schüttelte Draco den Kopf. Die Mühe konnte er sich sparen. Er fühlte sich als könnte er nie wieder etwas essen. Allein bei dem Gedanken daran, wurde ihm wieder schlecht. Er hatte das was man ihm gab, zu oft erbrochen. Er wollte nie wieder trinken oder essen. „Susan sagte, dass du dich heute wieder nicht übergeben hast. Stimmt das?“, fragte Alexander weiter. Kurz nickte er, mehr schaffte er nicht. Für einen Moment glaubte Draco Alexander würde ihn wieder zwingen. In seinen Zustand wäre es ihm ein leichtes gewesen. Doch im gleichem Moment hörte er Alexander genervt ausatmen. „Ich fange langsam an, dich wirklich zu hassen.“, stieß Alexander wütend aus. Draco öffnete die Augen und erwiderte den Blick, den Alexander ihm zuwarf. Er war verachtend und kalt. „Ich habe noch nie etwas so erbärmliches wie dich gesehen. Kein Wunder, dass du allein nicht überleben kannst. Ich hätte dich wirklich dort liegen lassen soll. Dann hättest du wenigstens noch als Futter für die Wölfe gedient.“ „Warum hast du es nicht getan?“, fragte Draco schwach. Was interessierte es ihn, was dieser Mensch von ihm dachte? Es war ihm gleich. Er hatte sich selbst und das was er am meisten begehrte verloren. Alles was er gewollt hatte, war sterben. War selbst das zu viel verlangt? War seine Strafe denn noch nicht schon genug? Gehörte das elende Leben, dass er nun fristet, dazu? „Weil sie mich darum gebetet hat!“ Augenblicklich schien Draco hellwach zu sein. Der Schwindel und die Schmerzen in seinem Kopf verschwand schlagartig unter der Bedeutung, die Alexanders Worte in sich bargen. „Ja, ganz recht. Annie macht sich selbst jetzt noch Sorgen um dich. Ich frage mich, womit du das verdient hast! Wer bist du, dass sie dich so sehr liebt? Sie ist mit ihren Gedanken immer nur bei dir, während du in deinem Selbstmitleid dahinvegetierst.“ Unbeeindruckt sah Draco sein Gegenüber an und rührte sich nicht. Doch sein Herz schlug allein bei der Erwähnung ihres Namens schneller. Er hatte sie gesehen? Er hatte mir ihr gesprochen? Wann? Wo? „Ich würde dich augenblicklich sterben lassen, aber ich habe ihr versprochen, mich um dich zu kümmern. Also werde ich dafür sorgen, dass du weiter lebst, ob es dir nun gefällt oder nicht!“ Mit diesen Worten ging Alexander wieder aus dem Zimmer. Draco glaubte nun endlich Ruhe vor ihm zu haben, doch wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür erneut und dieses Mal trug er eine Schüssel in der Hand. Allein schon bei deren Anblick verkrampfte sich alles in ihm. Wortlos stellte Alexander die Schüssel auf den kleinen Tisch neben seinem Bett und zog sich dann einen Stuhl heran. Draco beobachtete ihn stumm und fragte sich einmal mehr, was er damit bezweckte. Annies Bruder rieb sich über das Gesicht und begann dann erst zu sprechen. „Annie, sagte, dass du verletzte warst, als sie dich fand und dass die Narben auf deinem Körper davon stammen, ist das wahr?“ Es fiel ihm offenbar schwer, ruhig zu sprechen, denn seine Stimme klang gepresst. Was will er?, fragte sich Draco abermals. Er verstand ihn nicht. War er wirklich genauso wie seine Schwester? „Wann war das?“ „Vor einem Jahr?“ „ Vor ungefähr einem Jahr... und den-“ „Nein, es war genau vor einem Jahr.“, wiedersprach Draco ihm und schloss abermals die Augen. Er wollte nur schlafen. Aber das würde ihm Alexander wohl nicht gönnen. Er machte keinerlei Bewegung, die darauf schließen ließ, dass das Gespräch bald vorbei war. „Vor einem Jahr, also? Warum hast du es dann nicht in diesem einem Jahr geschafft für dich selbst zu sorgen? Warum bist du so lange bei ihr geblieben? Hast du keine Familie?“ Draco schüttelte den Kopf. Das Gespräch strengte ihn an. Worauf wollte er nur hinaus? „Warst du schwer verletzt?“ Dieses Mal legte sich ein spöttischen Lächeln auf seine Lippen. Was für eine dumme Frage. „Wie man es nimmt.“, antwortete er schließlich ausweichend. Er spürte kaum noch, wie sich seine Lippen bewegten und die Worte seinen Mund verließen. Nicht einmal der Gedanke an sie, vermochte ihn wach zu halten. „Hättest du sterben können?“, fragte Alexander unerbittlich weiter. Draco hört seine Stimme kaum noch. Der Schlaf holte ihn immer weiter zu sich. „Ja.“, flüsterte er. „Und Annie hat sich gefunden und dir das Leben gerettet.“ „Ja.“ „Wie lange warst du krank.“ Draco antwortete nicht. Sein Geist, war fast vollständig wieder in das wohlwollende Nichts zurückgekehrt. „Ich habe Annie heute gesehen.“ Abrupt riss er sich aus dem Nichts zurück und öffnete die Augen. „Ach, so geht das also?“, sagte Alexander und auf seinen Lippen zeigte sich ein Lächeln, welches Draco ihm am liebsten vom Gesicht gekratzt hätte. „Was. Willst. Du?“, fragte er endlich mit bebender Stimme. Die Wut schien ihm einen Teil seiner Kraft zurückgegeben zu haben. „Dass du am Leben bleibst!“, stieß Alexander aus. „Nicht für mich! Und auch nicht für dich, aber wenigstens für sie! Annie hat dir vor einem Jahr das Leben gerettet. Sie hat sich für dich aufgeopfert. Selbst als du wieder genesen warst, hat sie sich um dich gekümmert, dir ein Dach über den Kopf gegeben und täglich für eine warme Mahlzeit gesorgt. Und nun willst du das Leben, welches sie versucht hat zu erhalten und zu beschützen einfach so wegwerfen? Nur weil du glaubst, ohne sie nicht zurecht zu kommen? Das ist erbärmlich. Ja, ich war heute bei ihr. Sie hat mich darum gebeten, dass du bei mir und Susan bleiben kannst, obwohl sie weiß, wie wenig ich von dir halte! Ich habe zugestimmt – für sie! Weil dass das einzige ist, was sie im Moment glücklich machen kann!“ Er atmete einmal tief durch, um sich abermals zu beruhigen. „Sie macht sich sorgen um dich. Sie will das du lebst. Ist es wirklich so schwer ihr diesen Wunsch zu erfüllen?“ „Du hast keine Ahnung.“, sagte Draco schließlich und drehte den Kopf weg. „Mag sein. Dann erzähle es mir doch. Wenn ich es verstehe, lass ich dich vielleicht krepieren, wie du es willst. Wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass du weiter lebst – egal mit welchen Mitteln.“, drohte er ihm.. Wieder sah Draco ihn an. „Nein.“, antwortete er kurz. Der kurze Moment, indem die Wut ihm Kraft verliehen hatte, war verschwunden und die Müdigkeit überkam ihn erneut. Alexander ging zur Tür. „Ich werde dafür sorgen, dass du lebst. Ich will meiner Schwester das nächste Mal nicht sagen müssen, dass du so erbärmlich warst und das Leben, was sie gerettet hat, einfach weggeworfen hast. Ich gebe dir noch diese Nacht die Gelegenheit, um es dir anders zu überlegen oder ich bringe dich mit Gewalt dazu.“ Mit diesen Worten verließ Alexander den Raum. Zornig starrte Draco ihm hinterher. Sein Blick fiel auf die Schüssel, die Alexander mitgebracht hatte. Einige Augenblicke starrte er darauf, unentschlossen was er tun sollte. Er wusste, dass Alexander seine Drohung war machen würde und es würde ihm gelingen. Daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Er hasste diesen Zustand seines Körpers. Doch allein der Geruch des Gebräus schreckte ihn ab. Er konnte unmöglich mehr davon trinken. Erbärmlich, das war das Wort, welches Alexander gebraucht hatte und auch, wenn Draco dessen Bedeutung nicht ganz verstand, wusste er, dass es ihn wohl am besten beschrieb. Was war aus ihm geworden? Draco spannte die Muskeln in seinem Körper an, als sich sein Magen vor Wut abermals zusammenzog und ihm dadurch noch mehr Schmerzen bereitete. Er tat ein paar tief und ruhige Atemzüge. Was wollte er? Was wollte sie? Sie wollte dass er weiter lebte. Das hatte Alexander gerade gesagt und Alexander wollte es für Annie. Aber warum sollte er genauso denken? Was brachte ihn ein neuer Morgen, wenn er wusste, dass der Tag genauso wie jeder andere, ohne sie enden würde? Würde sie mit seinem Weiterleben wirklich glücklicher sein? Könnte er ihr damit eine Sorge nehmen? Wie lang würde sein Leben dann sein? Plötzlich erschien ihm selbst ein Menschenleben wie eine Ewigkeit. Es war morgen. Zumindest vermutete Draco dies, als er das nächste Mal die Augen öffnete. Die Sonne schien durch das Fenster und war hell und warm. Als hätte er es geahnt, ging die Tür abermals auf und Alexander trat ein. Ohne ein Wort zu sagen, stellte er die Schüssel, die er dieses Mal mitgebracht hatte, auf den Tisch. Die andere war verschwunden, realisierte Draco schnell. Dann trat Alexander an ihn heran und setzte Draco wie eine Puppe auf. Wie sehr er es verabscheute. Seine blauen Augen funkelten sein Gegenüber an, doch dieser schaute nur gleichgültig zurück. „Wie hast du dich entschieden? Lebst du freiwillig oder muss ich dich dazu zwingen?“ Hatte er sich entschieden? Er wusste es nicht. Gestern war er eingeschlafen, noch bevor er eine Antwort hatte finden können. „Wie geht es ihr?“, fragte Draco leise, anstatt auf Alexanders Frage zu antworten. „So gut es ihr dort gehen kann.“, antwortete Alexander und nahm die Schüssel in die Hand. „Ist sie glücklich?“, fragte Draco weiter und starrte weiterhin gerade aus. Alexander hielt ihm die Schüssel hin, doch Draco sah es nicht. „So kann man es nicht unbedingt sagen, nein. Aber er hat Sophie und ihre Familie gehen lassen. Morgen werden sie das Land verlassen. Ich werde sie begleiten, deswegen wird sich Susan um dich allein kümmern. Ich rate dir, es ihr nicht schwerer als nötig zu machen.“ „Hast du keine Angst mich mit deiner Frau allein zu lassen?“ Dracos Gesicht war ausdruckslos und er selbst fühlte sich merkwürdig taub. Da war nicht mehr der Schmerz über ihren Verlust oder die Wut, ihm ausgeliefert zu sein. Da war nur noch ein dumpfes Gefühl. Es war besser als alles andere. „Würdest du ihr etwas antun?“, fragte Alexander gerade heraus. „Ich kann ja nicht mal allein aufstehen.“, antwortete er bitter. „Nimmst du jetzt die Schüssel oder nicht?“, fragte Annies Bruder und beide wussten, dass es das letzte Mal sein würde, dass er ihn so höflich fragte. Alexander legte ihm die Schüssel in die Hände und schloss seine Finger darum. „Versuch es allein, sonst werde ich nachhelfen.“ Draco starrte ihn die Flüssigkeit. Sie war fast klar, nur ein paar vereinzelte Kräuterblätter schwammen an der Oberfläche. Auch roch es anders, als das, was Alexander ihm gestern gebracht hatte. Aber er konnte es nicht benennen. Der Geruch war wohltuender. Sein Gesicht spiegelte sich in der glatten Oberfläche. Seit Tagen war es das erste Mal, dass er sich selbst sah. Sein Gesicht erinnerte ihn an Annies, als es ihr so schlecht gegangen war. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, seine Wangenknochen standen hervor, die blauen Augen, waren trüb und die Lippen blass und aufgerissen. Erbärmlich, kam ihm als erstes in den Sinn. „Würde sie glücklich sein, wenn ich lebe?“, wisperte er schließlich. „Das versuche ich dir doch die ganze Zeit klar zu machen. Ihr Leben mag dort, wo sie jetzt ist, nicht gut sein, aber sie... könnte besser leben, wenn sie wenigstens wüsste, dass es dem, den sie so sehr liebt, gut geht. Dein Wohl ist ihr am wichtigsten.“ Draco nickte kurz. Er hatte verstanden. „Ich will sie sehen.“, sagte er leise. „Ja, sie dich auch.“, antwortete Alexander und setzte sich abermals auf den Stuhl vor Dracos Bett. „Aber es wäre... nicht klug. Barrington könnte dahinter kommen.“ Bei der Erwähnung dieses Namens hob Draco kurz den Kopf und sah Alexander direkt an. „Ich will stärker werden.“ „Warum?“, fragte Alexander sichtlich überrascht, über diese plötzliche Wendung. „Ich will nicht mehr schwach sein. Ich will mich nicht vor ihm verstecken müssen, wenn er mich noch einmal findet.“ „Er? Wer? Barrington? Sucht er nach dir?“, fragte Alexander. „Ich will stärker werden.“, wiederholte Draco und starrte wieder, wie gebannt, auf die Flüssigkeit vor ihm. Das dumpfe Gefühl verschwand und etwas neues schien ihn ihm zu erwachen. Etwas von dem er schon lange geglaubt hatte, dass es gestorben sei. Er hasste die Schwäche dieses menschlichen Körpers. Irgendwann, wenn die Zeit gekommen war, würde er diesem Mann noch einmal gegenüberstehen. Und dann würden das beenden, was er vor einem Jahr begonnen hatte. Doch in diesem schwachen Körper konnte er nichts ausrichten. Er war noch zu unerfahren. „Ich kann dir das Reiten beibringen und den Umgang mit dem Schwert.“, erwiderte Alexander kurz darauf. Er ließ es erst einmal dabei bewenden. Ohne zu antworten, setzte Draco die Schüssel an die Lippen. Jetzt erkannte er den Geruch. Annie hatte es Kamille genannt. Er trank zwei Schluck auf einmal. Ein Fehler wie er schnell merkte. Er musste heftig husten und dann schlucken, um es bei sich zu behalten. Wann würde es aufhören? „Du solltest nicht so schnell trinken. Ich geh wieder. Die Pferde brauchen Heu.“, murmelt Alexander bereits am Hinausgehen. „Wenn ich zurück bin, will ich, dass die Schüssel leer ist.“, sagte er dann etwas lauter. „Es war die falsche Frage.“, sagte Draco auf plötzlich und starrte immer noch auf die Flüssigkeit in seinen Händen. Dennoch nahm er wahr, wie Alexander kurz innehielt. „Was?“, fragte dieser irritiert und drehte sich abermals um. „Es war die falsche Frage.“ Mehr sagte Draco nicht und setzte die Schüssel abermals an. Verwirrt verließ Alexander das Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)