Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 11: Erwachen -------------------- Die Zeit danach konnte Annie nicht anders beschreiben, als glücklich. Sie wusste nicht, wie Draco es empfand, aber ein anderes Wort wollte ihr einfach nicht in den Sinn kommen, wenn sie an die letzten verstrichenen Wochen dachte. Sie konnte sich nicht erinnern jemals so glücklich gewesen zu sein. Natürlich war sie bereits glücklich gewesen. Sie würde allen Menschen, die sie liebten Unrecht tun, wenn sie etwas anderes behaupten würde. Doch das Glück das sie damals verspürte, war ein ganz anderes, als das, welches sie momentan empfand. Diese verschiedenen Arten von Glück waren nicht einmal mit einander zu vergleichen. Mit Draco fühlte sie sich... Manchmal dachte sie, sie könne den Himmel erreichen, solange er nur bei ihr war. Annie überlegte oft, was sich in all der Zeit seit ihrer ersten Begegnung verändert hatte. Es war so vieles. Nicht einmal, dass er zu einem Menschen geworden war, war dass bemerkenswerteste, sondern die kleinen Dinge. Draco hatte das Sprechen, Laufen, Fühlen gelernt und wenn sie es klug anstellte, würde sie ihm auch das Schreiben beibringen können. Er war in seinem Verhalten zu einem – fast beinah – gewöhnlichem Menschen geworden. Eigentlich sollte sie sich gar nicht mehr darüber wundern. Hin und wieder fühlte sie sich ihm nimmer noch weit unterlegen. Dabei war sie es doch von der er lernte! Demnach müsste sie es doch sein, die ihm überlegen war, zumindest theoretisch. Aber was hatte sich seit der erste zärtlichen Berührung verändert? Nun, das war dass faszinierendste überhaupt. Es hatte nichts geändert – zumindest nichts grundlegendes. Draco ging weiterhin allein auf seine Streifzüge in den Wald und Annie wäre niemals auf die Idee gekommen ihn zu begleiten. Sie hatte das Gefühl, nein sie wusste, dass diese Momente nur für ihn allein bestimmt waren. Sie würde nur stören, wenn sie ihm folgte – auch wenn sie nur zu gern gewusst hätte, was er dort tat. Sie selbst kümmerte sich wie bisher um die Wäsche, führte den kleinen, recht bescheidenen Haushalt und versorgte die Tiere. Die Küken, die Mitte des Jahres geschlüpft waren, waren ihr oft ein angenehmer Zeitvertreib, wenn Draco nicht da war. Auf den ersten Blick hatte sich also wirklich nicht viel in ihrer recht seltsamen Beziehung verändert. Die größte Veränderung gab einzig in ihren Gefühlen. Annie liebte Draco und jedes Mal, wenn er sie ansah oder sie berührte, spürte sie es mehr und mehr. Selbst wenn sie noch gewollt hätte, hätte sie sich nicht mehr gegen diese übermächtigen Empfindungen wehren können. Das Gefühl des Verliebtseins war für Annie zu etwas wunderbaren und außerordentlich schönem geworden. Selbst, wenn sie nicht wusste, ob ihre Gefühle überhaupt erwidert wurden. Es reichte ihr zu wissen, dass sie die Einzige war, die er begehrte. Das genügte ihr, um sich seiner Zuneigung sicher zu sein. Doch Dracos Gedanken oder gar Gefühle waren ihr, wie jeher, ein vollkommenes Rätsel. Wenn sie ihn etwas persönliches fragte, schaute er sie nur verwundert an oder antwortete ihr gar nicht. Überhaupt war er nicht viel gesprächiger geworden als vorher. Weiterhin sprach er nur selten und unregelmäßig mit ihr. Oft war es dann nur kurz oder ganz einsilbig und so gut wie nie, gestattete er ihr einen tieferen Einblick in seine Gedanken oder Empfindungen. In diesem Punkt wusste Annie nicht, was sie davon halten sollte. Sie wusste, dass er ihr vertraute. Er hatte es ja selbst gesagt. Dennoch fragte sie sich, warum er ihr nicht wenigstens ein bisschen mehr über sich erzählte. Taten das die Menschen nicht hin und wieder? Müsst er nicht das Bedürfnis danach verspüren? Wenn er also nun mehr ein Mensch war, als ein Drache, müsste er dann nicht genauso empfinden? Oder dachte er vielleicht schlichtweg, sie würde ihn nicht verstehen können? War sie möglicherweise nicht intelligent genug, um ihm folgen zu können? Er wusste ja, dass sie bereits Schwierigkeiten gehabt hatte, die Geschichte der Monddrachen zu akzeptieren. Dachte er nun also, dass alles andere sie ebenso überfordern würde? Sie wusste es einfach nicht und genau das brachte sie hin und wieder dazu an ihm zu zweifeln. Doch dann berührte er sie wieder zärtlich, liebkoste ihren Körper, sie liebten sich und die Zweifel schwanden. Aber nichts wollte sich an seinem Verhalten, Denken oder Handeln ändern. Noch immer umgab ihn etwas unnahbares und mystisches, dass sie niemals würde durchdringen können - und wenn sie ehrlich war, war das einer der Gründe, die ihn für sie so anziehend machte. Irgendwann akzeptierte Annie schließlich, dass das nun einmal die Art war, wie er war. Er war eben niemand der viel Sprach und anscheinend schon gar nicht darüber, was ihn bewegte oder worüber er nachdachte. Stattdessen war er jemand, der jeden Schritt abwog, nicht unüberlegt handelte und nur wenig von sich preisgab. Vor allem aber war er nun mal kein Mensch von Geburt an. Ab und an musste Annie aber auch über Draco schmunzeln. Dann wurde sie sich bewusst, das er trotz allem nichts von seiner kindlichen Unschuld verloren hatte. Er war immer ehrlich, hatte nie Zweifel an seinen eigenen Worten und glaubte, dass alles ihm gehören konnte - auch sie - und keine Antwort auf all seine vielen Fragen schien ihm genug zu sein. Er dankte es ihr mit einer neuen Frage. Vielleicht war es besser, dass Annie Dracos Gedanken nicht kannte. Denn dieses seltsame Gefühl, welches ihn bereits nach der ersten Nacht beschlichen hatte - das Gefühl etwas verbotenes getan zu haben, gesündigt zu haben - war noch immer da und mit jedem Tag, den sie gemeinsam verbrachten, wurde es nur stärker. Immer wieder fragte er sich, wie es sein konnte, dass er einen Menschen so sehr begehrte, dass er sein Verlangen nach ihr stillen konnte, wann immer er wollte, ohne dass es irgendwelche Folgen hatte. Selbst, wenn Annie sagte, dass sie nichts verbotenes taten, wusste er doch, dass es anders war. Von Anfang an hätte er sie nicht haben dürfen. Er wusste, dass es falsch war, was er tat und dass er zurückkehren sollte. Aber er konnte schon lange nicht mehr zurück. Und jedes Mal, wenn sie ihn ansah, lächelte und ihn küsste, verschwand dieser dunkle Gedanke so plötzlich schnell, dass er keine Chance mehr hatte auch nur einen Augenblick länger daran festzuhalten. Nur eine einzige Berührung von ihr genügte und er vergaß sich selbst und war nur noch ein Mann, der ohne die Geliebte nicht mehr sein wollte. Was für einen Sinn hätte sein Leben ohne sie noch gehabt? Mit Schrecken wurde ihm bewusst, dass er sich an sie gefesselt hatte. Er war untrennbar und für immer an sie gebunden. Eine Vorstellung, die er hasste und ihn seine eigene Schwäche verabscheuen ließ. Aber ein Leben ohne sie wollte er ebenso nicht. Lieber würde er die Strafe tragen, die ihn eines Tages ganz sicher erwartete. Er würde alles ertragen, solange er es nicht sie war, die dafür sühnen musste. Diese Gedanken beschäftigten ihn so sehr, dass er von Tag zu Tag unruhiger wurde. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer und sein Herz fühlte sich furchtbar eng in seiner Brust an. Doch er konnte nichts tun als zu warten. Und langsam begann er es zu hassen. Vielleicht war seine Strafe aber auch nur der Tod, der ihn als Mensch so viel früher ereilen würde. Wenn es nur das wäre,... Er würde ohnehin irgendwann sterben. Draco war an diesem Tag schon früh in den Wald gegangen und bis jetzt, zur Mittagszeit, war er noch nicht wieder zurückgekehrt. Es wunderte Annie nicht allzu sehr. Sie wollte ihm diesen Freiraum lassen, wusste sie doch, dass er in ihre Arme zurückkehren würde. Bei dem bloßen Gedanken daran, wurde sie rot und doch durchlief sie dieses prickelnde Gefühl. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so empfinden? In diesen Momenten verstand sie Draco und seine vielen Fragen. Auch wenn sie es war, die die seinen beantwortete, so hatte sie keine Antwort auf ihre eigenen. Sie wollte sich gerade an das Mittagessen machen, als es an ihrer Tür klopfte. Verwundert hielt sie inne. Warum hatte sie niemanden kommen hören? War sie so in Gedanken gewesen? Wer mochte das sein? Alexander? Er hatte sie schon lange nicht mehr besucht, aber darüber war sie auch nicht weiter überrascht. Immerhin hatte er nun eine eigene kleine Familie zu versorgen und nach dem Sommer war meist die Zeit, in der die Familiengeschäfte besonders gut liefen. Annies Familie handelte mit Kräutern und den Produkten, die sie daraus gewannen. Sie verkauften sie als Heil- oder auch Nahrungsmittel. Bis ihr Bruder Oberhaupt der Familie geworden war und ihr Vater noch das Geschäft inne hatte, wurde ausschließlich an magische Kundschaft verkauft. Etwas, was ihr Bruder geändert hatte und die Geschäfte seitdem noch erfolgreicher liefen. Allerdings wusste Annie auch, dass es schwierig war weiterhin mit so etwas zu handeln, ohne Gefahr zu laufen, der Hexerei bezichtig zu werden. In zu vielen Dingen sah man das Schlechte und Böse. Nur wenn man sich einer freiwilligen Überprüfung des Geschäftes und der Herstellung unterzog, konnte man dem vielleicht entgehen. Andererseits war Annies Wissen auch schon fast ein Jahr alt. Sie hatte ihren Bruder schon lange nicht mehr danach gefragt, wie es jetzt war. Es wird sich wohl nicht viel geändert haben, sagte sie sich. Sonst hätte er ihr wohl von selbst davon erzählt. Sie öffnete die Tür doch als sie erkannte, wer da vor ihr stand, hätte sie sie am liebsten wieder zu geschlagen. Sie stand niemand geringerem als John Barrington gegenüber. Perplex starrte sie ihn an und war nicht in einmal in der Lage zu denken. In den letzte zwei Monaten hatte sie diesen Menschen vollkommen aus ihrem Gedächtnis gestrichen. „Ah, sind sie so sprachlos, wenn sie mich wieder sehen? Dabei hörte ich, dass sie nicht selten um eine Antwort verlegen sind.“, eröffnete Barrington das unfreiwillige Gespräch. Sie musste ein paar Mal schlucken und tief einatmen, bevor sie überhaupt ein Wort herausbrachte. „Ähm... Guten Tag, Sir.“, sagte sie dann eher zaghaft. „Ihnen auch einen schönen Tag. Wie ich sehe haben sie noch immer nichts von ihrer Schönheit verloren. Wie geht es ihnen? Ich hoffe sie erfreuen sich noch bester Gesundheit?“ Sie sah ihn ein wenig verwundert an und trat dann einen Schritt nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Sie wollte verhindern, dass er einen Blick in ihre Hütte werfen konnte, aus Angst er würde etwas verräterisches darin finden können. „Vielen Dank der Nachfrage, Sir. Mir geht es ausgezeichnet. Was verschafft mir die erneute Ehre ihres Besuches?“, fragte sie ihn und merkte selbst, wie distanziert sie dabei klang. Aber es störte sie nicht einmal. Dieser Mann musste so schnell, wie möglich wieder verschwinden, bevor Draco zurückkam und er ihn bemerkte... oder Draco ihn. Sie war sich nicht sicher, wie Draco wohl reagieren würde. „Oh, ich wollte sie fragen, ob sie inzwischen über mein verlockendes Angebot nachgedacht haben und einwilligen meine Frau zu werden.“ Seine Stimme klang sachlich und emotionslos, so als würde er jeden Tag eine Frau darum bitten, ihn zu heiraten. Annie benötigte abermals einen Moment, um antworten zu können. Auch an dieses unliebsame Thema hatte sie nie wieder einen Gedanken verschwendet. Es hatte nur Draco und sie gegeben. „Es tut mir aufrichtig leid, Sir, aber ich habe meine Meinung nicht geändert.“, versuchte sie so selbstsicher wie möglich zu sagen. Es war eine Lüge, das wusste sie. Es gab einen Mann an den sie bereit war sich für immer zu binden. Aber das durfte die Person vor ihr niemals erfahren. Aus einem ihr unverständlichen Grund lachte Barrington plötzlich. Irritiert sah sie ihn an. „Das habe ich erwartet. Deswegen bin ich dieses Mal besser vorbereitet. Erinnert ihr euch noch an meine Worte? Ich sagte, ich würde schon etwas finden, um euch umstimmen zu können.“ Annie nickte kaum merklich. Das Versprechen, welches sie niemals haben wollte. „Nun, ich darf euch mitteilen, dass es mir tatsächlich gelungen ist, etwas ausfindig zu machen, was euch bestimmt überzeugen wird mich zu ehelichen. Ein Angebot, welches ihr nicht ablehnen könnt.“ Abermals schluckte sie heftig. Ihr Herz raste in ihrer Brust und ihre Kehle wurde trocken. Sie erwartete das Schlimmste, umso überraschter war sie also über seine nachfolgende Frage. „Sagen sie, wie geht es ihrer ehemaligen Amme Sophie Weather?“ Verwirrt blickte Annie ihn an. Wieso kam er plötzlich auf ihre ehemalige Amme zu sprechen? Woher wusste er von ihr? „Ähm... Ich bin nicht sicher. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesprochen.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Oh, wie schade.“, antwortete Barrington und verzog dabei das Gesicht, was ihn abermals nur noch hässlicher erscheinen ließ. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Frau Weather und ihre Familie der Ketzerei bezichtigt werden. Ist das nicht eine furchtbare Tragödie?“, fragte er sie. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte sie den Mann vor sich an, schloss ihn, öffnete ihn erneut und schloss ihn wieder. Sie konnte nicht sprechen. Zu entsetzt war sie über das gehörte. Tief in ihrem Unterbewusstsein erkannte Annie, dass diese letzten Worte geheuchelt und gelogen waren, denn sie konnte nicht das kleinste Mitleid daraus hören. Aber was interessierte sie das? Nicht einmal nachdenken konnte sie darüber. Sie konnte überhaupt nicht mehr denken. „Wie ich sehe, war ihnen diese Nachricht vollkommen neu.“, sagte John Barrington gespielt anteilnehmend und tätschelte ihr die Hand. Erst da kam Annie wieder zu sich. Hastig entzog sie sich ihm und nickte leicht mit dem Kopf. Endlich ließ die Betäubung in ihrem Körper, die der Schock verursacht hatte, nach. „W-Warum?“, fragte sie mit krächzender Stimme. „Was... Was wird ihr vorgeworfen?“ „Es heißt, dass zwei Kinder, die sie betreut hatte, ganz plötzlich verstorben seien. Dabei waren sie vorher gesund und munter. Man untersucht die Fälle gerade. Außerdem scheint es, als habe einer ihrer Enkel eine Liaison mit einer Frau, ohne vorher überhaupt den Bund der Ehe geschlossen zu haben!“ Barringtons Stimme klang angeekelt und darüber scheinbar mehr entsetzt als über den Tod der beiden Kinder. Annie zuckte kurz zusammen. Es war als hätte er die Worte ausgespukt. „Wer hat das entschieden?“, fragte sie dumpf. „Das glaube ich nicht! Wie kommen sie auf so etwas?“ Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken. Alexander hatte sie davor gewarnt, was Barringtons Meinung über die Ehe anbelangte und besonders Liebschaften ohne den Ehebund. Draco durfte jetzt auf keinen Fall zurückkommen! Sie wären beide des Todes! „Ich könnte dafür sorgen, dass Misses Sophie Weather und ihrer Familie nichts zu Schaden kommt.“, erzählte Barrington ruhig weiter. „Wissen sie, Fräulein Annie, ich habe ein paar Kontakte, die ich nur zu gern benutzen würde, um ihnen zu helfen. Es würde aber selbst für mich nicht so einfach sein. Allerdings...“, Barrington machte eine kleine Pause und Annie hielt instinktiv den Atem an, „wenn sie bereit wären, mich zu heiraten, dann will ich dieses Risiko nur zu gern für sie eingehen. Immerhin würde es sich unter diesen Umständen, um alte Freunde meiner Braut handeln.“ Ihre Starre brach bei diesen Worten gänzlich. Annie hob den Kopf und sah den Mann vor ihr scharf an. Endlich hatte sie begriffen, was für ein Spiel er mit ihr spielte. Er hatte ihr eine Falle gestellt. Eine Falle aus der sie nicht entkommen konnte, wie ihr blitzartig klar wurde. Wahrscheinlich gab es nicht einen Beweis für diese Anschuldigungen. Wahrscheinlich war Barrington es gewesen, der die Anklage erst erhoben hatte. Sie wusste auf einmal ganz genau, dass er es sein würde, der das Verhör führte und über den Ausgang entscheiden würde. Und der hing allein ihr ab. Würde sie einwilligen seine Braut zu werden, würde er Sophie frei sprechen. Würde sie es nicht tun, würde er... würden Sophie und ihre Familie... „Haben sie verstanden, was ich ihnen damit sagen will?“, fragte Barrington noch einmal, als sie ihm noch immer nicht geantwortet hatte. „Wenn sie einwilligen meine Frau zu werden, will ich das Leben von Misses Weather verschonen. Die arme alte Frau. Wie alt ist sie jetzt? Schon fast 60, nicht wahr? Es wäre doch wirklich ein Jammer, wenn sie den Tod auf den Scheiterhaufen oder am Strang finden würde, wo sie doch ihren Lebensabend genießen könnte. Wie lange hat sie sich eigentlich um sie gekümmert? 15 Jahre? Ich habe gehört, sie war wie eine Mutter für sie und ihre Tochter, wie eine ältere Schwester. Ach und ihre Kinder und Kindeskinder erst. Es wäre verboten, diese Sünder ebenfalls am Leben zu lassen, wenn ein so schwerer Verdacht an Kindsmord besteht. Schließlich haben auch sie dieses dreckige Blut geerbt. Man muss dem Vorbeugen, bevor es zu spät ist und sich dieses Pack ausbreiten kann.“ Wie er es sagte! Als wäre es ebenso alltäglich so etwas ungeheuerliches auszusprechen! Vielleicht tat er das ja auch, schoss es Annie durch den Kopf. Doch schnell verschwand auch dieser Gedanke. Ihre Beine begannen zu zittern und ihr Blick verschwamm. Sie erkannte kaum noch die Umgebung in der sie sich befand. Sie hatte überhaupt kein Wahl! Es war schon lange vorher alles entschieden worden! Dieser ungeheuerliche Mensch wusste, dass sie niemals zulassen würden, dass unschuldige Menschen für sie sterben mussten. Und dass Sophie und ihre Familie unschuldig war, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick. Sie musste einwilligen, sonst... Aber sie... sie hatte Draco doch versprochen, immer bei ihm zu bleiben. Sie hatte sich Draco versprochen! Wie konnte sie jetzt noch einem anderen Mann... Er würde es merken... Er würde herausfinden... Nur langsam keimte eine Hoffnung in ihr auf. Vielleicht war dies die einzige Möglichkeit. Sie bezweifelte, dass Barrington noch eine Frau haben wollte, die sich bereist einem anderem versprochen hatte. Es musste einfach so sein. „Sir, was...“, sie atmete einmal tief durch. Sie musste sehr genau aufpassen, wie sie ihre Worte wählte. Sie durfte ihn nichts merken lassen. „Sir, was würde geschehen, wenn ich mich bereits einem anderem Mann versprochen hätte?“ Sie versuchte ihrer Stimme Selbstsicherheit zu verleihen, doch dieser Versuch scheiterte kläglich. Von ihrer Selbstsicherheit war nichts mehr übrig geblieben. Zu groß war die Angst, er könnte doch noch die Wahrheit herausfinden. John Barringtons ohnehin schon kleine Augen wurden noch schmaler und das Blitzen kehrte zurück. „Nun, dann wäre es doch sehr bedauerlich, wenn der Auserwählte einen tödlichen Unfall erleiden würde.“, flüsterte er bedrohlich. Bestürzt sah sie ihn an. Sie hatte seine Drohung klar und deutlich verstanden. „Hat diese Frage denn eine Berechtigung?“, fragte er sie in diesem gefährlichem Flüstern weiter. Annie bemerkte, wie er begann sich sehr genau umzusehen. Er blicke nach rechts und nach links, wohl in dem Glauben etwas im Gehölz oder der Umgebung zu finden, was auf einen weiteren Anwesenden schließen ließen ließ. „Nein!“, antwortete Annie möglichst ruhig. „Nein, es gibt keinen Grund. Ich habe in letzter Zeit nur darüber nachgedacht, dem Drängen meiner Familie nachzugeben. Das Leben im Wald kann gerade im Winter etwas unbequem sein.“ Sie wusste nicht wie, aber es gelang ihr sogar ein falsches Lächeln aufzusetzen. „Verstehe.“ Durchschaute er ihre Lüge? „Aber wenn sie darüber nachdenken, sollte sie mein Angebot erst recht annehmen.“ Ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht, als hätte er gerade an etwas gedacht, was ihn besonders erfreute. Im nächsten Moment teilte er Annie seine Gedanken mit. Sie wusste, dass sie ihr nicht gefallen würden. „Nicht nur, dass sie damit vielleicht das Leben der armen Misses Werther retten würden, sie können auch noch dem Drängen ihrer Familie nachgeben und bräuchten sich im Winter nicht mehr um ihr Überleben zu sorgen. Außerdem... bedenken sie doch nur den Zuwachs an Einfluss und Ansehen, den ihre Familie dadurch gewinnen würde. Ich bin sicher, sie wären ihnen äußerst dankbar. Ihre Geschäfte würden dann wahrscheinlich noch besser gehen. Ach ja... womit handelte ihre Familie nochmal gleich? Mit Kräutern, wenn ich mich recht erinnere. Sind sie sich sicher, dass diese nicht ebenso schädlich sind? Wer kann schon dafür garantieren, dass mit diesem Zeug niemand zu schaden kommt?“ Wie dumm sie doch war! Würde er nun auch Alexander anklagen, würde es nur ihr verschulden sein! Dann war sie es, die diesem Menschen erst auf diesen Gedanken gebracht hatte! Wie konnte sie das tun? ! Sie durfte nicht auch noch Alexander in Gefahr bringen! Als sie noch immer nichts erwidert hatte zog sich einer seiner Mundwinkel schräg nach oben. „Ich sehe wir verstehen uns. Ich bin aber so großzügig und lasse ihnen eine Woche Zeit, um über mein Angebot nachzudenken. Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie es ablehnen können. Bedenken sie nur, wer dadurch alles gewinnen würde... und wer verliert. Ich empfehle mich ihnen, schöne Frau und werde sie in einer Woche wieder aufsuchen, um eine Antwort zu fordern. Schönen Tag noch.“ Damit drehte Barrington sich um und bemühte sich abermals auf sein Pferd. Erst jetzt bemerkte Annie, dass Barrington sogar in Begleitung gewesen war. Ein blonder Mann ritt neben ihm her, doch sie erkannte sein Gesicht nicht mehr. Aber es war auch nicht weiter wichtig. Sie starrte den Reitern selbst dann noch hinterher, als sie diese schon längst nicht mehr sehen konnte. Dennoch blieb sie, anders als nach seinem letzten Besuch, merkwürdig ruhig. Ihr Herz schlug wieder gleichmäßig und auch ihr Atmen war nicht zu schnell. Ihre Beine waren vielleicht ein wenig wacklig, aber sie verspürte nicht die gleiche Panik. Sie wunderte sich mehr über ihr eigenes Verhalten, als darüber nachzudenken, was sie nun tun sollte. Aber was sollte sie auch darüber nachdenken? Hatte sie denn eine Wahl? Nein, sagte sie sich nüchtern. Die hatte sie im Grunde nicht. Niemals könnte sie es verantworten, Sophie oder ihre eigene Familie solch einem Schicksal zu überlassen. Lieber würde sie sterben! Doch das war es leider nicht, was dieser Mensch von ihr forderte. Er wollte sie und das war es, was sie fast der Verzweiflung nahe brachte. Und trotzdem... Sie würde ihn verlassen müssen... Aber sie... Nein... Sie konnte nicht... Sie würde nicht... Ein Leben ohne ihn war vollkommen ausgeschlossen. Sie könnte ohne ihn nicht mehr leben. Warum sollte sie dann auch noch leben wollen? Sie würde sterben, wenn sie auch nur einen einzigen Tag ohne ihn sein müsste, ohne seine eisblauen Augen, ohne seine Berührungen oder seine Stimme... Welchen Sinn hatte dann ein Tag noch? Es würde immer Nacht sein. Doch bei ihm zu bleiben... alle diese Menschen... ihr eigenes Glück, für das anderer? Könnte sie dann überhaupt glücklich sein? Nein... niemals... Nicht mit diesem Menschen. Fieberhaft suchte sie nach einer Lösung, die allen helfen würde. Jedoch ohne Erfolg. Sie konnte weder ohne den einen noch dem anderem leben. Sie konnte sich nicht für eines entscheiden. Auch wenn es vielleicht noch so offensichtlich war! Annie biss sich auf die Lippen, bis sie sogar glaubte ihr eigenes Blut schmecken zu können. Gab es denn keinen anderen Ausweg für Sophie? Für Alexander? Woher wusste Barrington eigentlich von Sophie? Wenn Sophie wo anders wäre, wenn sie und ihre Familie irgendwo in Sicherheit wäre, dann hätte dieser Barrington nichts mehr, womit er sie „überreden“ könnte. Aber was würde mit Alexander sein? Hätte Barrington ihn auch so leicht in der Hand? Sie konnte sich das gar nicht vorstellen, doch sicher war sie sich nicht. Sie atmete tief durch. Sie musste mit Alexander reden, entschied sie sich. Sie wollte ihn zwar aus dieser Sache heraushalten, aber es konnte nichts böses dabei sein, wenn sie ihn um Rat fragte. Immerhin war er ihr Bruder! Das konnte niemand als etwas Schlechtes auslegen! Vielleicht konnte er ihr sogar helfen. Ganz bestimmt konnte er das! Es gab kein Problem, für das er noch keine Lösung gefunden hatte. Wenn er ihr nicht helfen könnte, dann... Ohne weiter nachzudenken, lief sie in den Wald hinein. Sie musste jetzt sofort mit ihm sprechen! Sie sah nicht, wo im Wald sie sich befand und sie sah auch nicht, an was sie vorbei lief. Das brauchte sie auch nicht. Sie kannte den Wald zu genau, um sich zu verirren. Als Kind war sie den Weg in diesen Wald so oft gegangen, dass sie ihn im Schlaf hätte finden können. Sie versuchte noch etwas schneller zu laufen, obwohl bereits ihre Lungen schmerzten. Doch plötzlich wurde sie von etwas festgehalten und fiel mit einem Schreckensschrei auf den Boden. Sie musste an irgendetwas hängen geblieben sein, dachte sie und rieb sich den schmerzenden Rücken. „Wo willst du hin?“, hörte sie eine vertraute Stimme fragen. „Draco!“, sagte sie atemlos, als sie von unten in sein Gesicht blickte. Einen Moment sah sie ihn stumm an. Ihr war, als würde sie sich jetzt erst richtig bewusst, was sie verlieren würde. Es waren nicht nur die kleinen Dinge, die sie so sehr an ihm liebte. Es war er. So, wie er war. Mit seinen blauen Augen, die in langen dichten Wimpern lagen, sein makelloser Körper, seine melodisch weiche Stimme, sein ganzes Verhalten und seine anderen Eigenschaften – selbst wenn diese sie manchmal an den Rand der Verzweiflung brachten. Ihr Herz zog sich aufs schmerzlichste zusammen. Sie wollte das alles nicht gehen lassen. „Annie?“, fragte er sie noch einmal und ließ nun ihren Arm los. Er verstand nicht, was mit ihr los war, nur dass sie anders war. Den Blick mit dem sie ihn ansah, kannte er nicht und er wusste ihn nicht zu deuten. Doch er gefiel ihm nicht. Sie rappelte sich wieder auf und bemühte sich ihn nicht mehr anzusehen. Es hätte sie nur noch schwächer gemacht. „Alexander.“, antwortete sie kurz und rannte weiter. Diese Antwort verwirrte ihn nur noch mehr. Wieso er? Warum gerade jetzt und warum hatte sie ihm nichts gesagt? Hätte er sie nicht zufällig gesehen, wäre sie ohne ihn gegangen. Draco lief ihr hinterher und auch, wenn er schneller war als sie, so wahrte er doch einen gewissen Abstand. Zum einen kannte er den Weg nicht und zum anderem, verstand er nicht, was dieses seltsame Verhalten schon wieder sollte. Selbst, wenn er nun ein vollwertiger Mensch war, so gab es Verhaltensweisen, die ihm wohl immer ein Rätsel bleiben würden. Er wusste nicht, wie lange sie so liefen, aber als Annie anhielt und er sah, dass sie wohl am Ende ihrer Kräfte war, fühlte sich sein Körper noch immer nicht sehr beansprucht. Er blickte nach vorn und sah eine weite Ebene vor sich. Noch nie war er bis an den Rand des Waldes gegangen und er fühlte sich ungeschützt und angreifbar. Wie von selbst ging er einen Schritt zurück, in den schützenden Wald hinein. Er sah sich um. Außer Gebäuden, die nur wenige Schritte vor ihm standen, gab es nichts weiter als weite Landschaft. Ununterbrochen grüne Wiesen, soweit er schauen konnte, begrenzt durch einen klaren, blauen Himmel und dem dichten Wald hinter ihm. Die Häuser selbst empfand er als wenig beeindruckend. Es wunderte ihn nur ein wenig, dass so viele nebeneinander standen. Es gab nur ein Gebäude, von dem er glaubte, dass darin Alexander leben musste. Aus den andere beiden hörte er Pferde wiehern oder andere fremde Geräusche, die er noch nie zuvor gehört hatte. Er konnte nur vermuten, dass sie auch zu Tieren gehörten. Ohne auf Draco zu warten, ging Annie langsamer weiter. Ihr Atem ging kurz und unregelmäßig, ihr Körper tat ihr weh und ihr war vom schnellen Rennen ganz übel. Dies alles versuchte sie zu kontrollieren, bevor sie Alexander gegenübertreten wollte. Aber auch, wenn sie noch so langsam zur Haustür zu ging, gelang es ihr nicht. Außerdem hatte sie Mühe Draco nicht anzusehen oder gar zu berühren! Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicheres, als seine Hand zu nehmen und seine Wärme zu spüren. Sie wusste, dass dies ihr die nötige Kraft geben würde, aber es würde sie zu sehr beeinflussen. Denn dann würde sie seine Hand nie wieder loslassen. Draco sah ihr unentschlossen hinterher. Sie wirkte unsicher und ängstlich auf ihn. Aber immer noch kannte er den Grund nicht. Was war während seiner Abwesenheit geschehen? Er verließ das schützende Dickicht der Bäume und folgte ihr. Das war nur Alexander, den sie aufsuchen wollte, sagte er sich. Und nur so würde er eine Erklärung für ihr ungewöhnliches Verhalten erfahren. Er ging ein paar Schritte hinter ihr und sah wie sie anklopfte. Es war verhalten und fast leise, fast so als wünschte sie sich, dass ihr Bruder sie nicht hören würde. Doch wenige Augenblicke später wurde die Tür geöffnet. Nicht Alexander war es, der ihnen entgegen trat, sondern eine Frau mit lockigen strohblondem Haar, runden, grünen Augen, einer zierlichen Nase und einem kleinen Mund. Draco betrachtete diese Frau und versuchte irgendeine Ähnlichkeit zu Annie herzustellen, doch es gelang ihm nicht. Dieser Person war vom Aussehen so ganz anders, als sie. Vielmehr war sie das genaue Gegenteil von der Frau, die er so begehrte. „Ähm... Hallo, ich... Ich wollte zu Alexander.“, brachte Annie nach dem ersten Moment der Verblüffung heraus. Die fremde Frau lächelte leicht. „Du bist Annie, nicht wahr?“, fragte sie mit klaren Stimme. Annie nickte kurz und Draco trat näher an sie heran. Er stand direkt hinter ihr und er spürte, dass sie seiner Nähe gewahr war. Ihr Körper versteifte sich auf einmal, so als wäre es ihr unangenehm, wenn er ihr so nah war. Misstrauisch sah er sie von der Seite an, doch sie blickte nicht zurück. „Äh... Ja.“, antwortete Annie kurz. „Es freut mich dich endlich einmal kennenzulernen. Alexander hat schon viel von dir erzählt. Ich bin Susan, deine Schwägern.“ „Oh!“, stieß sie überrascht aus. „Das... Bitte entschuldige! Ich... Das ist mir sehr unangenehm.“, stammelte sie. „Das macht doch nichts. Komm rein. Ich nehme an, du möchtest zu deinem Bruder?“ Susan öffnete die Tür noch ein Stück weiter und Annie trat ein. Ebenso Draco, auch wenn er nicht direkt angesprochen war. Er sah sich flüchtig um. Dieser Ort war so ganz anders, vor allem größer. Es gab hier ein seltsames Gebilde, was irgendwohin zu führen schien, eine Holzplatte, die auf vier Beinen stand, ebenso weitere kleine Holzdinger, die auf Beinen standen, nur das nach oben noch etwas abging. An den Fenstern hing ein Stück Stoff und der Ofen war viel größer als Annies. Was war das nur für ein seltsamer Ort, fragte er sich. Wann würden sie wieder gehen? „Wer ist das?“, fragte nun Susan und deutete auf Draco. Er erwiderte ihren Blick und betrachtet sie genauer. Es gab nichts an ihr, was ihn faszinierte, kam er schnell zu dem Schluss. Sie war nur ein gewöhnlicher Mensch. „Das... Das ist...“, wollte Annie mit Mühe erklären, als sie unterbrochen wurde. „Was will der denn hier?“, fragte eine Stimme schroff und alle sahen nach hinten, von wo die Stimme gekommen war. Alexander trat ein und plötzlich fühlte sich der Raum sehr viel kleiner an. Alexander stand neben seiner Frau und diese wirkte neben ihm noch kleiner und zierlicher. Annie brauchte einen Moment, um sich an den Anblick zu gewöhnen. Es war ihr einfach befremdlich ihren Bruder mit seiner Frau an der Seite zu sehen. „Alexander sei nicht so unhöflich! Sie haben sich extra die Mühe gemacht und sind den ganzen Weg zu uns gekommen. Sei freundlicher!“, mahnte seine Frau ihn. Der Blick der beiden Männer traf sich und Annie befürchtete schon das schlimmste. „Wie du meinst.“, antwortete er Susan und sprach dann mit seiner Schwester. „Annie, was ist los. Warum bist du hier und warum bringst du ihn mit?“, fragte er dennoch. Annie schüttelte kurz den Kopf, um ihre Gedanken sortieren zu können. Wo sollte sie nur anfangen zu erzählen? „Bar-Barrington war da...“, begann sie zaghaft und sah auf den Boden. Sie konnte Dracos stechenden und fragenden Blick in ihrem Rücken spüren. „Er... Er will immer noch, dass ich ihn heirate... Er... er... Sophie... Du...“, stotterte sie. Wieso war sie hierher gekommen? Wie sollte sie das alles nur erzählen? Wie sollte sie ihrem Bruder begreiflich machen, dass sie Draco einfach nicht verlassen konnte? Dass er sie brauchte? Wie sollte sie das tun, ohne ihm zu beichten, was sie vor fast einem Jahr getan hatte? Wie sollte sie erzählen, dass es ihre Schuld war, wenn dieser Mann es nun auch auf ihn abgesehen hatte? „Annie, beruhige dich.“, sagte ihr Bruder nun sanft und Draco sah ihn kurz an. Er war also nicht der Einzige dem auffiel, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Alexander kam näher und Annie wusste, dass er sie in den Arm nehmen wollte. So, wie er es früher so oft getan hatte, wenn sie Angst hatte oder sie etwas bedrückte. Doch dieses Mal wich sie ihm aus. Sie trat einen Schritt zurück und spürte, wie ihr Rücken nun unerwartet Dracos Brust berührte. Sie fühlte sich von beiden in die Ecke gedrängt, konnte weder vor noch zurück. Genauso wie sie sich gefühlt hatte, als Barrington bei ihr war. Sie musste sich zusammenreisen, sich nicht umzudrehen und davon zu laufen. Auch wenn sie vorher keine Panik verspürt hatte, so tat sie es jetzt. Das alles wurde ihr zu viel! Draco... Alexander... Barrington... Was sollte sie... Wie konnte sie... Warum war sie... Sie konnte nicht darüber reden! Mit niemanden! Was würde es auch bringen? Niemand konnte ihr helfen. Niemand ihr die Entscheidung abnehmen. Es gab kein zurück. Nicht einmal Alexander würde ihr helfen können und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass er es doch konnte... Sie könnte ihn nicht mit in diese Sache hineinziehen. Dieser Mann war unberechenbar, das hatte sie selbst gemerkt und er würde vor nichts zurückschrecken um sie zu bekommen. Draco konnte ihre Angst spüren und sie in ihren Augen sehen. Aber er fragte sie nicht danach. Stattdessen umschloss seine Hand ihre kalten, zittrigen Finger und er merkte, wie sie kurz zusammenzuckte. Aber kaum, dass er sie berührt hatte, umschloss Annie mit ihren Fingern die seinen und drückte seine Hand so fest sie konnte. „Annie?“, fragte ihr Bruder verwundert. Draco sah, dass er diese Geste ebenfalls gesehen hatte. Sofort sah Alexander ihn scharf an. Sein ganzes Misstrauen war in seinem Blick zu sehen. Unbewusst zog Draco Annie noch ein wenig mehr an sich und erwiderte dabei Alexanders Blick. Es war ihm egal, was dieser von ihm dachte, aber er würde sie nicht loslassen. Er war nur ihr Bruder. „Das... Barrington hat gesagt, wenn ich ihn nicht heirate, dann...“ „Warum? Wie kann er so etwas noch sagen?“, fragte Draco und seine Stimme klang wie Eis. Selbst Alexander und Susan sahen ihn erschrocken an. Er konnte die Wut deutlich in sich spüren. Nur der Name dieses Mannes ließ ihn so zornig werden, dass sie Blut regelrecht zu kochen begann. Doch wieso sprach sie schon wieder von ihm? Sie würde ihn nicht mehr heiraten können. Sie war sein! „Du kannst ihn nicht heiraten! Du bist-“ „Nein!“, unterbrach Annie ihn viel zu laut. „Sag es nicht...“, wisperte sie dann. Schockiert sah er sie an. Ihre Worte verletzten ihn seltsamer Weise. Es war kein äußerlicher Schmerz, den er spürte. Vielmehr kam er aus seinem Körper heraus, von seinem Herzen. Einen Schmerz den er nicht kannte und der doch so viel tiefer ging, als jeder den er bisher verspürt hatte. Wie konnte sie ihn daran hindern, es zu sagen? Sie war doch sein - für immer. Warum sollte er es nicht sagen? Anne wusste nur zu gut, wie er sie ansah, ohne das sie es eigentlich sah. Sie konnte es sich vorstellen. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Blick war verständnislos und verwirrt. Gleichzeitig würde sich aber auch Ärger darin spiegeln. Er würde eine Antwort haben wollen. „Annie, würdest du mir bitte erklären, was hier eigentlich los ist?!“, war es nun Alexander, der das Wort erhob. Annie kannte diesen Klang seiner Stimme. Er war mahnend, voller Autorität und akzeptierte keine Wiederworte oder gar Ausflüchte. „I-Ich...“, begann sie zu stottern. Es war nur wegen ihm. Er war hier! Wenn sie es jetzt sagte, würde er es hören. Er würde es wissen und er würde... Wie würde er nur reagieren? Würde er es überhaupt verstehen? Wie sollte sie es ihm erklären? Wie sollte sie ihm sagen, dass ein anderer Mann sie wollte? Dass er sie immer noch haben konnte, auch wenn sie ihr Herz und ihren Körper schon längst ihm versprochen hatte? Wie konnte sie ihm verständlich machen, dass es dann egal war, was sie selbst wollte? Wie?! Sie konnte es fast vor sich sehen, wie er sie dann anblicken würde. Ebenso irritiert, doch so bald er es begriffen hatte, würde sein Blick kalt werden, würde sein Gesicht einfrieren, würde er sich von ihr abwenden. Endgültig. Aber vielleicht war es so auch besser, dachte sie verzweifelt. Wenn sie ihn dazu bringen konnte, sie zu hassen, dann würde es für sie beide vielleicht einfacher sein... Er sah sie wütend an. Noch immer hatte sie ihm keine Antwort gegeben! Draco fing Alexanders Blick auf, der von ihm auf seine Schwester und wieder zu ihm sah. Wieder sah Draco zu ihr und dieses Mal konnte er Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Ihre Hand zitterte stärker als zuvor und doch schloss sie sich noch ein wenig enger um seine eigene. Als hätte sie angst, er könnte davon laufen, wenn sie es nicht täte. Er drehte sich zu ihr um und hob vorsichtig eine Hand. Sie durfte nicht weinen. Was, war es dieses Mal, was ihr solche Schmerzen bereitete? Hatte er etwas falsches getan? Was war geschehen, als er nicht bei ihr gewesen war? Am Morgen war noch alles in Ordnung gewesen. Vorsichtig hob er die Hand und wollte er ihre Wange berühren, als Alexander plötzlich neben ihm stand und sie weg schlug. “Fass sie nicht an!“, zischte dieser wütend. „Und du kommst jetzt mit mir mit und erzählst mir endlich, was eigentlich los ist!“, verlangte er von seiner Schwester und zog sie unsanft am Handgelenkt. Annie wusste nicht wie ihr geschah, aber plötzlich löste sich Dracos Hand von ihrer und sie fand sich mitten im Raum wieder, immer noch gezogen von Alexanders starken Arm, der sie sofort aus dem Raum hinaus, in einen weiteren führte. Sie drehte sich kurz um und fand Dracos Blick, der sie aus kalten und vor Zorn funkelnden Augen ansah. Das eisige Blau seiner Augen brannte sich in ihr Herz und schien eine Narbe zu hinterlassen, die sie von nun an für immer tragen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)