Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 2: Kälte und Wärme -------------------------- Acht Wochen waren bereits vergangen, seitdem Annie diesen Drachen im Wald gefunden und in einen Menschen verwandelt hatte. Es waren die letzten Tage eines goldenen Herbstes und die Tage wurden schnell immer kürzer. Je kürzer die Tage waren, desto kälter waren sie auch. Bald würde der erste Schnee fallen, das wusste Annie. Sein Fieber war erst nach drei Tagen gesunken und es hatte noch einmal eine ganze Woche gedauert, bis es ganz verschwunden war. Sie hatte in diesen Tagen kaum geschlafen und immer nur gebetet, dass es er schaffen würde. Als es ihm wirklich langsam besser gegangen war, war sie so erleichtert, dass sie nur noch selten an ihrer Entscheidung zweifelte. Bis zu jenem Tag, als er das erste Mal seit langem seine Augen wieder geöffnet und sie angesehen hatte. Es war nicht so sehr der Hass, der sie erschrocken hatte, sondern das Anklagende und Hilflose, was sie noch darin gesehen hatte. In diesem Moment war ein Schauer durch ihren Rücken gelaufen und ihr war kalt geworden. Er würde ihr niemals vergeben und sie wusste plötzlich ganz genau, dass er lieber den Tod gewählt hätte, als in dieser Gestalt gefangen zu sein. So war es auch jetzt noch. Jetzt ging es ihm wirklich schon besser. Er krümmte sich nicht mehr vor Schmerzen und auch seinen neuen Körper konnte er ein wenig benutzen. Sobald es ihm besser gegangen war, hatte Annie ihm hin und wieder gezeigt, wie er diesen Köper gebrachen konnte. Doch täglich konnte sie sehen, wie unwohl und unsicher er sich in dieser Gestalt fühlte; wie verhasst ihm jede einzelne Bewegung war. Sie hatte ihm doch nur helfen wollen, dachte sie dann manchmal fast verzweifelt. Sie hatte doch nur sein Leben retten wollen. Ihr Herz zog sich bei diesem Anblick jedes Mal zusammen. Trotzdem wollte sie ihn nicht gehen lassen. Er war noch immer nicht vollständig genesen und es würde auch noch lange dauern, bis es soweit war. Aber selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie es nicht gekonnt. Sie hatte den Zauber so gesprochen, dass er mindestens ein Jahr halten würde. So lange hatte sie geschätzt, würden seine Wunden, zu heilen brauchen. So lange mussten sie eben mit einander auskommen, auch wenn es ein sehr langes und schwieriges Jahr zu werden schien. An diesem frühen Abend kam Annie gerade vom Wasserholen zurück – dick eingemummelt in ein dickes Kleid und einen noch dickeren Mantel – als sie ihren neuen Mitbewohner vor der Tür sitzen sah. Für einen Moment hatte sie den Gedanken, dass er vielleicht auf sie gewartete hatte. Unwahrscheinlich, dachte sie. Aber sie betrachtete es bereits als kleinen Erfolg, dass er diesen Körper benutze. Es hatte sie sehr überrascht zu erfahren, wie schnell er lernte. Sie brauchte es ihm nur einmal zu zeigen und er schien es in seinem Gedächtnis verankert zu haben. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie selbst geglaubt, dass er schon immer ein Mensch war. Sie sprach auch mit ihm, doch nie hatte er ein Zeichen gegeben, dass er sie verstand oder gar auch die Worte erlernte. Doch das war ihr auch nicht wichtig. Das versuchte sie sich zumindest einzureden. Aber egal, wie lange er nun schon bei ihr war, wie sehr er sich erholte oder gar diesen Körper gebrauchte, sein Gesichtsausdruck ihr gegenüber änderte sich nie. Er war immer ausdruckslos, verschlossen und zeigte keinerlei Regung oder gar Emotion. Nur seine Augen schienen mit ihr zu sprechen und sie wünschte sich manchmal, dass sie es nicht sehen würde. Manchmal versuchte sie es zu ignorieren, doch meistens gelang es nicht. Trotzdem versuchte sie das Beste daraus zu machen. „Draco, was machst du denn vor der Tür? Es ist doch kalt!“, schellte sie ihn sanft. Sie ging auf ihn zu und kniete sich vor ihn, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Hatte er denn kein Kälteempfinden? Draco, so hatte sie ihn benannt, nachdem das Fieber endlich gesunken war. Annie fand es sehr passend und ein anderer, vor allem passender Name, war ihr nicht so schnell eingefallen. Wieder einmal sah er sie nur stumm und ausdruckslos an. Seine stahlblauen Augen blickten unverwandt in ihre rehbraunen und in solchen Momenten überkam Annie immer das Gefühl, dass er sie doch irgendwie verstehen konnte. Zumindest ein kleines bisschen. Doch bestimmt irrte sie sich. „Du musst aufpassen, dass du dich nicht erkältest. Ein weiterer Fieberanfall würde deinen Körper wieder sehr schwächen und du würdest vielleicht... nicht mehr gesund werden.“, sagte sie die letzte Worte leiser und biss sich auf die Lippen. An solch eine Vorstellung wollte sie gar nicht erst denken. „Na, komm schon. Ich bereite uns etwas zu Essen.“, sagte sie noch, bevor sie in der Hütte verschwand. Er folgte ihr wenige Augenblick später und setzte sich neben den Ofen, an die Stelle, an der er auch das erste Mal bewusst erwacht war. Er beobachtete sie sorgsam dabei, wie sie irgendetwas schnitt, in etwas hineinwarf und dabei vor sich hinsummte. Um genügend Lebensmittel für sie beide, musste sich Annie zum Glück keine Gedanken machen. Hinter ihrer Hütte hielt sie ein paar Hühner, in einem kleinen Verschlag. Die konnte sie notfalls schlachten – auch wenn ihr der Gedanke nicht sehr gefiel. Ihr Bruder hatte ihr zudem immer wieder bei seinen Besuchen etwas mitgebracht, was sie lange und gut lagern konnte. Darunter Kartoffel und Getreide zum Brot backen. Sie selbst hatte Möhren angebaut, die sie nun in einen Bottich voll Sand lagerte und somit über den Winter brachte. Hätte sie bereits geheiratet, müsste sie sich um diese Dinge keine Gedanken machen, dachte sie einen kurzen Moment, als sie eine weitere Kartoffel schälte und anschließend schnitt. Aber lieber so ein Leben, als das einer Gefangenen im goldenen Käfig. Das Feuer war inzwischen heiß genug, so dass sie den Topf mit Wasser aufsetzen und nach dessen Kochen, die Kartoffeln hinzugab. Während des Kochprozesses, war Annie immer so sehr in Gedanken versunken, dass sie von dem, was um sie herum geschah, nicht viel mitbekam. Dann störte es sie nicht, dass er sie die ganze Zeit beobachtete und weiter anschwieg. Wenn sie dann aber aßen, bedrückte sie das Schweigen hingegen sehr. Beide waren in ihre eigenen Gedanken versunken und Annie, war es gewohnt ihre Gedanken immer zu teilen, wenn sie sich mit einer weiteren Person im Raum befand. Wenn er doch nur verstehen könnte, was ich sage! Dann könnte ich mich wenigstens mit ihm unterhalten!, dachte Annie, als sie ihn wieder einmal ansah. Aber vielleicht war es auch gut so, dass er nicht sprechen konnte. So konnte sie ihn in aller Ruhe beobachten. Seine weiß-blonden Haare, die ihr am Anfang noch silbern erschienen, glänzen nun leicht golden im schwachen Schein der Kerze, wohingegen sie im Mondschein wieder einen silbernen Schimmer annahmen. Sein Gesicht war schmal, aber keines weg knochig, und seine Haut sehr blass. Aber am meisten faszinierten sie seine Augen. Diese eisblauen Augen schafften es jedes Mal, sie aus der Ruhe zu bringen. Sie lagen unter dicken langen Wimpern, die ihn so unschuldig und zerbrechlich wirken ließen, mehr noch als es bei einem Kind der Fall gewesen wäre. Dennoch war dieses Blau von solch eine Intensität, dass sie glaubte, sie würde in ein kaltes Meer schauen und unwillkürlich liefen ihr dann jedes Mal Schauer über den Rücken. Manchmal war Annie, als würde von ihnen eine seltsame Kraft ausgehen, die sie magisch anzuziehen schien; die sie immer tiefer mit sich zog und sie bereits mehr als einmal befürchtet hatte, sie könnte sich eines Tage für immer darin verlieren. Doch immer, wenn sie ihn ansah und in seine Augen blickte, war auch die Traurigkeit unverkennbar. Nach dem bescheidenen Mahl, räumte sie die Teller weg. Es war inzwischen sehr dunkel draußen geworden und an diesen Tagen blieben sie nie lange auf. Die Kälte, die in die Hütte einzog, nachdem das Feuer herunter gebrannt war, weckte sie schon immer recht früh. Zudem stand sie gern mit dem Sonnenaufgang auf und im Winter war dieser noch eindrucksvoller, als im Sommer. Außerdem war es ihr immer schlichtweg zu kalt, um noch länger liegen zu bleiben. „Es wird Zeit ins Bett zugehen. Schlaf gut, Draco.“, sagte sie und blies die Kerze aus. Draco sah sie an. Er beobachtete Annie dabei, wie sie sich ihr eigenes Bett bereitete und sich neben dem Ofen in eine Decke einkuschelte und zusammenrollte. Dann legte auch er sich hin. Er lauschte dem knistern und knacken des sterbenden Feuers, wie er es bisher jede Nacht getan hatte. Er hörte ihren Atmen und es dauerte nicht lange und er schlief ein. Auch wenn es selbst spüren konnte, dass es seinem Körper nach und nach besser ging, so fühlte er sich doch immer noch nicht sicher in diesem Körper. Er kannte dessen Kraft nicht; dessen Können und Fähigkeiten. Es war nicht sein Körper. Annie hingegen konnte nicht so leicht einschlafen. Sie fror noch immer. Auch wenn sie wusste, dass es in der Hütte angenehm warm war, so wollte sich dieses Gefühl nicht bei ihr einstellen. Ihr war so kalt, wie lange nicht mehr und sie fragte sich, ob sie vielleicht krank würde. Immerhin müsste doch auch die Suppe sie gewärmt haben, aber sie fühlte sich so kalt, als wäre sie gerade er nach Hause zurückgekehrt. Wenn es so kalt war, dann konnte der Schnee nicht mehr weit sein, überlegte sie kurz. Nach einer Ewigkeit wie es ihr schien, richtete sie sich wieder auf. Sie konnte nicht schlafen. Nicht so lange sie noch so fror, aber wie warm werden? Sie sah kurz zu Draco. Dieser schlief anscheinend schon tief und fest und Annie beneidete ihn ein wenig darum. Auch schien er nicht gefroren zu haben, als er am späten Nachmittag draußen gesessen hatte. Vielleicht hatte er wirklich ein anderes Kälteempfinden. Vielleicht war ihm ganz warm. Ach könnte sie doch auch nur etwas von dieser Wärme haben, dachte sie resignieren. Plötzlich kam ihr ein neuer Gedanke und sie sah noch eindringlicher auf seine schlafende Gestalt. Sie drehte und wendete diesen Gedanken in ihrem Kopf, wog ihn sorgsam ab, viel sprach dafür und zu viel dagegen. Dann gab sie sich schließlich einen Ruck. Immerhin hatte sie ihm das Leben gerettet und er würde sie schon nicht gleich umbringen. Also nahm Annie ihre Decke und wickelte sie sich um den Körper. Dann ging sie so leise sie konnte zu Dracos Schlafplatz und legte sich sacht neben ihn. Er lag mit den Rücken zu ihr, so dass sie nicht sein Gesicht sehen konnte. Sie wusste, dass, wenn dies der Fall gewesen wäre, sie keinen Schlaf mehr gefunden hätte. Zu sehr hätte sie dieser Anblick fasziniert. Doch so rückte sie so nah wie möglich an seinen Rücken. Sie wusste nicht, ob es wirklich so war oder sie es sich nur einbildete, aber sie fühlte sich gleich viel wärmer und geborgener und ließ den Schlaf bereitwillig über sich kommen. Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte Annie sich ausgeschlafen und seltsam erholt. So hatte sie schon nicht mehr geschlafen und sie fragte sich einen Moment, woran das gelegen haben könnte. Dann sah sie aber auf und bemerkte, dass sie noch immer neben Draco lag. Stimmt, ja., dachte sie, als sie sich erinnerte. Draco hatte sich in der Nacht wohl umgedreht, während sie noch so dalag, wie zu dem Zeitpunkt als sie eingeschlafen war. Nun konnte sie aber sein Gesicht sehen. Es war dem ihren genau gegenüber und Annie fiel auf, dass sie noch nie so wirklich die Gelegenheit dazu gehabt hatte, sein Gesicht bisher zu betrachten. Am Anfang war es immer nur von Schmerz und Qual gezeichnet gewesen und oft hatte sie sich gewünscht, es einmal anders zu erleben. Sollte sie jetzt wirklich die Chance dazu haben? Aber war es nicht besser, gleich aufzustehen, so lange er noch schlief? Bevor er etwas bemerkte? Annie war hin und her gerissen. Aber am Ende siegte ihr Neugier mehr, als ihr Verstand. Wer wusste schon, wann sich ihr die nächste Gelegenheit dazu bieten würde? Und vielleicht würde er auch noch etwas länger schlafen und sie konnte sich vorher unbemerkt davon stehlen. Außerdem wollte sie ja nur einen ganz kurzen Blick, nicht mehr... Ihr fiel auf, dass seine Haut makellos rein und weiß, wie Porzellan, war. Eine hellblonde Haarsträhne hing ihm ins Gesichte und es verlieh ihm etwas kindlich – unschuldiges. Sie könnte ihn ewig so ansehen, dachte sie. Aber sie wagte es nicht ihn zu berühren, auch wenn das Verlangen danach unaufhaltsam anwuchs. Stattdessen versuchte sie sich jedes Detail seines Gesichts einzuprägen. Seine Gesichtszüge waren weich und nichts darin ließ etwas von seiner wahren Gestalt erahnen. Annie fragte sich einen Moment, ob er als Drache ebenso anmutig und rein gewirkt hatte. Sie konnte es nicht sagen, war er doch bei ihrer ersten Begegnung, so gut wie dem Tode geweiht gewesen. Ihre Augen wanderte zu den seinen und sie konnte die feinen blauen Äderchen erkennen, die sich auf seinen Augenlidern zeigten. Seine Augen darunter, bewegten sich nur langsam, ja beinahe gar nicht. Ob er wohl auch träumte?, fragte sie sich einen Augenblick. Seine Augenbrauen waren fließen und zeigten kaum einen Bogen. Ihre Farbe war nur einen geringen Ton dunkler, als seine Haarfarbe. Draco besaß eine recht schmale Nase, deren Spitze aber abgerundet war. Annie fand, dass sie perfekt in sein Gesicht und zu ihm selbst passte. Und seine Lippen... Es kam ihr selbst schon unhöflich vor, wie lange sie darauf starrte. Für sie sahen sie unglaublich weich und sanft aus. Sie waren leicht geschwungen und die Oberlippe ein wenig schmaler, als sie untere. Sein Mund war ein wenig geöffnet und sein warmer Atem blies leicht gegen ihr Gesicht. Selbst sein Atem erschien ihr himmlisch süß! Für Annie war er wie ein Engel, der vom Himmel gefallen war und nun bei ihr Unterschlupf ersuchte. Nun, in gewisser Weise stimmt das vielleicht auch, nur dass er wohl wahrlich kein Engel war. Annie war so sehr in ihrer Beobachtung versunken, dass sie gar nicht bemerkte, wie Draco langsam erwachte. Erst als sie zwei eisblaue Augen anstarrten und regelrecht durchbohrten, stellte sie mit erschrecken fest, dass sie sich hinreisen lassen hatte. Ihr Herzschlag wurde schneller und leichte Angst stieg in ihr auf. Der Blick mit dem Draco sie ansah, hatte nichts freundliches. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen schienen Funken zu sprühen. Sie sah das Mistrauen und die Feindseligkeit, die sie sprachen. „Ich... Ehm...“, begann sie zögerlich und richtete sich langsam auf. Sie hatte die Befürchtung, dass er sie bei einer schnellen Bewegung vielleicht angreifen würde. „Mir war gestern Nacht so kalt und ich wollte mich bei dir wärmen.“, sagte sie verlegen. Bei dem Wort kalt, hatte sie über ihre Arme gerieben, um ihm deutlich zu machen, was sie meinte. Doch noch immer starrte er sie an und Annie fand, dass es besser war sich nun endlich zu erheben. Auch dabei ging sie bedacht vor und wollte ihn mit einer unerwarteten Bewegung nicht erschrecken. Ohne ihn noch einmal anzusehen, schürte sie das Feuer im Ofen und innerhalb weniger Sekunden leckten die Flammen über das Holz, welches sie aufgelegt hatte. Draco war noch nicht aufgestanden, aber sie wusste, dass er jede ihrer Bewegungen mit den Augen gefolgt war. Das konnte sie spüren. Doch um es zu verdrängen, ging sie zu Tür und öffnete sie einen Spalt. Als sie dann aber einen Blick nach draußen warf, wäre sie am liebsten wieder unter ihre Decke verschwunden. In der Nacht hatte es sehr viel geschneit und es herrschte noch immer das reinste Schneechaos. Zudem sah es nicht so aus, als würde sich das Wetter bald wieder beruhigen. Schnell schloss sie die Tür und legte noch ein wenig mehr Holz nach. Wahrscheinlich würde sie dafür sorgen müssen, das es auch die ganze Nacht durch brennen würde. Es hatte nicht danach ausgesehen, als wäre Draco begeistert über ihren „Besuch“ gewesen. Bald darauf, wurde es schon mollig warm und schnell vergaß sie die Temperaturen, die draußen herrschten. Erst einmal musste sie sich um das Frühstück kümmern. Jeder bekam eine Scheibe Brot und dazu Butter und Marmelade. Es war nichts besonderes, aber es schmeckte gut und machte satt. Nach dem Frühstück und nachdem sie alles wieder weggeräumt hatte, ging Annie wieder zum dem Schrank, in dem ihre Salben und Tinkturen lagerten. Dort nahm sie eine Schüssel heraus mit einer festen gelben Substanz darin. Diese Stellte sie erst einmal auf den Schrank und ging dann zu der Truhe in der sie ihre Kleidung aufbewahrte. Von dort nahm sie ein hölzernes Kästchen heraus. Als Draco begriff, was sie da tat, wusste er was als nächstes geschehen würde. Er streifte sich das Hemd über den Kopf und entblößte seinen – noch immer von Wunden gekennzeichneten und verbundenen – Oberkörper. Annie wollte seine Verbände wechseln, so wie jeden zweiten Tag und trotzdem wollten die Wunden nicht schneller heilen. „Es ist seltsam. Obwohl ich ein paar Heilsprüche benutzt habe, heilen deine Wunden nur sehr langsam. Bei einem richtigen Menschen wären sie, trotz der Tiefe, schon längst verheilt.“, überlegte Annie laut, als sie die Verbände entfernte. Andererseits hätte ein normaler Mensch wohl gar nicht so lange überlebt, hängte sie in Gedanken an. Dann ging sie schnell zum Wasserkrug und füllte etwas Wasser in eine weitere Schüssel ab. Im Anschluss begann sie die Wunden leicht abzutupfen und sie abermals zu reinigen. Sie ging sehr vorsichtig in ihrem Tun vor. Da er nicht sprach oder sonst einen Laut von sich gab, hatte sie jedes Mal Angst ihm wehzutun, ohne dass sie es merkte. Sie konnte noch immer keine weiteren, sichtbaren Verbesserungen wahrnehmen, aber im Vergleich zum Anfang, war der Heilungsprozess schon enorm vorangeschritten. Insgeheim war sie zudem dankbar dafür, dass die Verletzungen nicht auch noch zu eitern begonnen hatten. Dennoch erstaunte es sie jedes Mal, wie sehnig und muskulös er war. Seine Schultern schienen noch immer voller Kraft zu sein und es schien ihm auch keine Schwierigkeiten zu bereiten, den Rücken gerade zu halten. Musste er dabei nicht Schmerzen empfinden?, fragte sie sich. Anscheinend nicht so sehr. Vielleicht empfand er seine eigenen Verletzungen gar nicht mehr als so schlimm und spürte auch deren Schmerzen nicht, wie sie vielleicht die ganze Zeit vermutete. Nachdem sie mit seinem Rücken geendet hatte, ging sie um ihn herum und setzte sich vor ihn. Jetzt würde sie die gleich Prozedur wiederholen. Doch hatte sie schon sein Rücken beeindruck, dann machte sie sein Oberkörper einfach sprachlos. Jedes Mal musste sie sich von neuem darauf konzentrieren, dass sie ihn nicht stundenlang anstarrte. Seine Brust- und Bauchmuskeln waren klar zu erkennen und doch war es keineswegs übertrieben oder einschüchternd. Vielmehr hatte sie das Gefühl, als würden sie sie regelreicht einladen, sich dagegen zu lehnen und sich an ihn zu schmiegen. Sein Körper wirkte kraftvoll, fest und doch war seine Haut so unglaublich weich und zart, dass sie jedes Mal eine Gänsehaut überkam und ihre Finger leicht zitterten, wenn sie ihn berührte. Annie war sich äußert sicher, dass jeder Muskel den er besaß, er auch schon am Tag seiner Verwandlung besessen hatte. Es war so ganz anders, als man vielleicht bei einem Menschen mit diesen Verletzungen erwartete hätte. Und er war so ganz anders, als sie sich einen Mann vorgestellt hatte. Dies war nicht das erste Mal, dass Annie diese Gedanken hatte und sie schämte sich selbst dafür. Aber seit dieser Drache bei ihr lebte und sie immer mehr an ihm entdeckte, war es ihr, als würde ihre gute Erziehung nach und nach verloren gehen. Sie wusste sehr wohl, dass es äußerst unanständig war, einen Mann so lang zu betrachten, ganz zu schweigen von den Gedanken, die sie dabei hatte. Aber so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte absolut nichts dagegen tun. Ihr war, als gingen ihre Gedanken eigene Wege und verließen kurzzeitig sogar ganz und gar ihren Körper. „Ich denke, dir werden ein paar große Narben bleiben.“, murmelte sie nach einer kurzen Zeit und sie bemerkte nicht, dass Draco sie dabei kurz ansah. Sie erwartete nicht, dass er sie verstand. Danach kehrte wieder Schweigen ein und Annie erledigte einigermaßen konzentriert den Rest. Behutsam trug sie die Ringelblumensalbe auf und legte die neuen Verbände an. Die anderen würde sie waschen müssen. Etwas was bei diesen kalten Temperaturen kein Vergnügen war. Zumindest würde der Bach nicht zufrieren, da dessen Quelle stark genug war, versuchte sie das positive daran zu sehen. Aber auch beim Verbandanlegen, wusste sie nicht, ob es zu fest oder zu locker war. Bisher schien sie es dem ungeachtet, richtig gemacht haben. Als sie den Verband auf Dracos Rücken verschloss, lehnte sie plötzlich ihre Stirn an seinen Rücken und verharrte so ein paar Sekunden. Draco hingegen war erstarrt und Annie wusste, dass ihre Nähe ihm nicht behagte. „Ach Draco, ich wünschte, du könntest verstehen was ich sage. Sich mit jemandem zu unterhalten, wäre wirklich mal eine nette Abwechslung.“, sagte sie leise. Gerade die Wintertage kamen ihr immer sehr einsam vor, wusste sie doch, dass sie auch von ihrem Bruder keinen Besuch zu erwarten hatte. Dann ließ sie von ihm ab und räumte alles wieder weg. Im Anschluss zog sie ein weiteres Kleid an, welches sie aus ihrer Kleidertruhe holte und begann sich in ihren Mantel zu wickeln. Sie wollte zwar nur die Hühner füttern, aber sie sie hatte das Gefühl, dass sie nicht warm genug angezogen sein konnte, wenn sie sich der Natur stellte. Wasserholen würde sie auch noch müssen, dachte sie resigniert. Ohne ein weiteres Wort an Draco zu richten, öffnete sie die Tür und schritt hastig hinaus. Sie wollte die Kälte nicht auch noch hinein lassen. Draco war ihr wieder mit seinen Blicken gefolgt. Er sah kurze Zeit später zu dem kleinen Fenster und sah Annie vorbei huschen. Dann richtete er seinen Blick wieder auf den Ofen und lauschte abermals dem Knistern des Feuers. Mich mit dir unterhalten? Ich wüsste nicht wieso. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)