The Wasted Time of Our Lives von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: 守護神 - Shugoshin - Guardian Angel ------------------------------------------- Ich legte die Karte nieder und sah der jungen Frau ins Gesicht. „Ich hätte gerne einen großen Eisbecher mit drei Kugeln Schokolade und einer Vanille, wenn das geht.“, fragte ich indirekt nach. „Natürlich.“, meinte die Bedienung freundlich. „Kein Problem.“ „Für mich einen Kaffee, schwarz.“, bestellte Gackt mit wenigen Worten, doch ohne dass es unhöflich klang. Es war einfach nur seine zielstrebige Art. Ungewöhnlich, aber nicht unhöflich. Es war bereits mehr als ein ganzer Monat vergangen, seit ich Gackt von meiner Überlegung, mich von Megumi zu trennen, erzählt hatte. Er hatte mich seither nicht mehr darauf angesprochen. Wir hatten uns auch nicht sehr häufig gesehen in diesen Wochen, doch seit diesem Gespräch schien sich die Atmosphäre zwischen uns verändert zu haben. Sie war noch angespannter als gewöhnlich. Wir versuchten die Situation immer wieder mit Scherzen aufzulockern, aber es half nichts. Die Spannung blieb. Sie war auch der Grund, weshalb ich ihn nicht mehr auf seine geheim gehaltenen Songtexte angesprochen hatte. Ich wusste, dass es das Letzte war, worüber er sprechen wollte, und auch das Letzte, das die Stimmung anheben würde. Sein Blick wanderte zu mir; ich bemerkte es zu spät, sodass ich nicht mehr unbemerkt in eine andere Richtung sehen konnte. „Nani?“ Ich schüttelte zur Antwort lediglich andeutungsweise den Kopf. Dieses Mal ging er nicht weiter darauf ein, sondern begann sogleich ein anderes Thema: „Wie weit bist du eigentlich mit deinem neuen Soloalbum?“ Smalltalk. „Fast fertig.“, ließ ich ihn wissen, mit den Gedanken bei meinem neuen Song, bei dem ich noch hin und her überlegte, ob ich ihn auf das kommende Album tun sollte. Wegen des Textes. Würde ihn jemand verstehen? Würde er ihn zu deuten wissen? Ich sah ihn fragend an. „Warum fragst du?“ „Ich... habe mir überlegt... mein Talent als Drehbuchautor noch einmal unter Beweis zu stellen.“, antwortete er mit gewählten Worten und meine Augenbrauen hoben sich an. „Du hast wieder ein Drehbuch geschrieben?“, wollte ich interessiert wissen. Die Spannung fiel von uns ab, als hätte sie nie existiert. „Der Schluss fehlt noch.“, sagte er gelassen, doch ich glaubte zu sehen, dass er sich über meine rege Anteilnahme freute. „Aber ich brauche Gewissheit, bevor ich weiterschreibe.“ „Gewissheit?“, fragte ich verständnislos nach. „Gewissheit, dass du wieder die Hauptrolle spielen wirst.“, sagte er freiheraus. Meine Augenbrauen wagten sich noch höher. Ich keuchte leise vor Erstaunen. „Das... Also... Schon wieder ich?“, brachte ich nur heraus. „Ich sehe es als Fortsetzung zu ‚Moon Child’.“, erklärte er sogleich, als hätte er gewusst, dass ich das sagen würde und sich bereits Antworten zurechtgelegt. Ich war mir manchmal jedoch nicht sicher, ob es nicht einfach nur so klang, weil er - im Gegensatz zu mir - so schnell antworten konnte. „Aber keine tatsächliche Fortsetzung, also nicht inhaltlich, oder?“ Nun zog er seine Augenbrauen nach oben. „Dir ist aber schon klar, dass, dass das Auto am Ende leer war, nicht bedeutet hat, dass wir ausgestiegen sind und den Wagen haben stehen lassen, oder?“ „Ja, das ist mir schon klar, aber... Ja, okay. Es kann keine Fortsetzung sein.“, gab ich kleinlaut zu. Ich hatte mal wieder nicht lange genug nachgedacht, bevor ich zu sprechen begonnen hatte. „Also? Interesse?“, fragte er kurz und bündig und sah mich erwartungsvoll an. „Worum geht es denn? Und vor allem: Wann willst du mit dem Dreh anfangen? Mein Terminplan sieht nächstes Jahr nicht sehr leer aus.“ „Ich dachte auch an den Herbst.“, sagte er arglos. „Nächstes Jahr.“, äußerte ich meine Annahme. „Nein. Dieses Jahr.“, kam es deutlich zurück. „Herbst? Wir haben schon März. An welchen Monat hast du denn gedacht?“, fragte ich fassungslos und sah ihn dementsprechend an. „Na, Anfang August oder so.“, meinte er schlicht. „Anfang August?? Wie willst du das denn so schnell alles auf die Beine gestellt bekommen?“ „Ich habe mich schon darum gekümmert. Ich habe eine provisorische Zusage von demselben Filmteam wie bei ‚Moon Child’. Ich habe schon ein paar Schauspieler gefragt, ob sie Zeit und Interesse hätten. Ich hätte so ziemlich alles schon geregelt, müsste nur noch die Verträge, die ich auch schon aufgesetzt habe, endgültig unterschreiben lassen. Es hängt eigentlich... nur noch von dir ab.“ Seine Augen durchbohrten mich, genau so wie sie es getan hatten, als er mich fragte, ob ich in seinem ersten Film mitspielen wollte. Es war das allerselbe. Und so würde es wohl auch auf das allerselbe hinauslaufen. Entweder ich würde die Rolle annehmen und der Film würde dank seines Drehbuchs ein voller Erfolg oder - es würde den Film nie geben. Ich sah ihm ins Gesicht. Wusste er eigentlich, wie wenige Dinge dafür und wie viele dagegen sprachen? Einerseits wollte Megumi schon seit einer Ewigkeit mit mir und Joseph richtig Urlaub machen, wozu es noch nie gekommen war, da ich bis jetzt nicht die nötige Zeit aufbringen konnte. ~Und Tetsu wird mich umbringen, wenn ich - wie er es dann nennen wird - „mehr Zeit für solchen Kram habe als für die Band“. Wir haben nämlich geplant, demnächst eine neue Single aufzunehmen. Auch mein Manager wird nicht sonderlich begeistert sein, wenn mein neues Album vor Drehbeginn nicht in den Regalen steht. Es muss noch so vieles dafür gemacht werden: Studioaufnahmen, das Cover, das Booklet, Promotion Shootings, Promotion Auftritte im Fernsehen, im Radio, die Werbung auf der Website. Vier Monate sind verdammt wenig Zeit für all das. Andererseits würde ich wahnsinnig gerne wieder in einem seiner Filme mitspielen...~ Ich bemerkte, wie er mich dabei beobachtete, wie ich nachdachte. „Nicht vor September.“, sagte ich schnell, um seinem stillen Blick zu entkommen, in dem Versuch, entschlossen zu klingen, die Für und Wieder vorerst ignorierend. Denn eigentlich konnte ich jetzt ohnehin noch keine Entscheidung treffen. Das wusste er. Hoffte ich. „Ist das eine Zusage?“, lächelte er verschmitzt. „Nein.“, antwortete ich hastig. Doch es war eine Lüge. „Ich wollte damit nur klarstellen, dass, wenn du unbedingt im Juli zu drehen anfangen willst, du dir auf jeden Fall jemand anderen suchen musst.“ „Du weißt, dass ich niemand anderen will...“ Sein Blick verschlang mich. Mein Herz blieb stehen. „...für diese Rolle.“ Seine Augen funkelten. „Dann fangen wir im September an.“ Sein Beschluss stand fest. „Ich bringe dir bei Gelegenheit das Drehbuch vorbei.“ Sein Gesicht konnte die Freude nicht vollends verbergen. „Warte mal. Worum geht es jetzt eigentlich?“, fragte ich, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, ob ich bereits eine Entscheidung getroffen hatte oder nicht. „Wie ich ja weiß, würdest du nie einfach nur einen gewöhnlichen Menschen spielen. Also wirst du das schon einmal nicht sein.“ Er grinste. Es gefiel ihm, mir unklare Antworten zu geben. „Jetzt sag schon, worum genau geht es?“, fragte ich ungeduldig. „Wer oder was bin ich?“ „Also nimmst du das Angebot an?“, grinste er erneut teuflisch. „Du weißt genau, was ich wissen wollte. Was ist die Figur, die du mir anzubieten hast? - Besser so?“, fragte ich noch kurz nach, in sarkastischem Ton. „Saa... Du bist...“ Sein Blick war direkt auf meine Augen gerichtet, und doch durchbohrte er mich dieses Mal nicht. Er war weicher. Unablässig, fesselnd, und doch sanft. „...ein Engel...“ Im ersten Moment verstand ich nicht, wie er das, was er gerade gesagt hatte, meinte. Dann begriff ich, dass es die Antwort auf meine Frage war, mit der ich so schnell nicht gerechnet hatte. „Meine Rolle... wäre ein Engel?“, fragte ich vorsichtshalber noch einmal nach. „Ja... Du bist ein Engel.“, wiederholte er seinen Satz lediglich noch einmal, was mich etwas verwirrte. „Ein Schutzengel.“, wurde er dann doch etwas präziser. „Ein Schutzengel also... Und was tue ich so?“, wollte ich erfahren. „Du rettest Menschen.“, antwortete er knapp, doch dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten, mir mehr zu erzählen und es sprudelte regelrecht aus ihm heraus. „Du bekommst Menschen zugeteilt, die du beschützen sollst. Doch du kannst nicht immer bei allen gleichzeitig sein, deshalb musst du dich manchmal entscheiden, wen du eher beschützen willst oder welches Unheil das größere und deswegen zuerst abzuwenden ist. Du hast auch nur eine begrenzte Anzahl an Einschreitungsmöglichkeiten pro Mensch, der dir zugeteilt worden ist. Beziehungsweise: Es ist eher so, dass du für jeden Menschen nur soundsoviel Energie zum Einschreiten aufwenden darfst. Wenn du einem Menschen schon so oft geholfen hast, dass diese Energie aufgebraucht ist, kannst du ihm nicht mehr helfen - und früher oder später wird er sterben.“ Ich schluckte bei diesen Worten. „Du kannst dann nichts mehr für ihn tun.“ Ich öffnete den Mund, dabei wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte, zu gefesselt war ich von der Vorstellung, diese Last tragen zu müssen. „Du machst dir also Vorwürfe, weil es alleine in deiner Macht liegt, wie lange die dir zugeteilten Menschen leben, denn du musst abwägen, wann du einschreitest und wann nicht, wann mit mehr und wann mit weniger Aufwand von dieser Energie. Wenn du bei vielen kleinen, eher unwichtigen Dingen eingreifst, verbrauchst du zu viel von dieser Energie, die ich ‚Protergy’ genannt habe - eine Verschmelzung aus ‚Protection’ und ‚Energy’.“ Er unterstrich seine Aussagen mit Gesten. Ich war fasziniert. „Außerdem kannst du Menschen, denen du zu viel unter die Arme greifst, unvorsichtig und damit übermütig machen. Wenn du ihnen von Anfang an das Gefühl gibst, ihnen kann nichts - oder zumindest nicht viel - passieren, dann werden sie waghalsig. Und wenn du ihnen dann nicht mehr helfen kannst, werden sie selbst es kaum schaffen, sich ausreichend zu schützen. Zu Anfang machst du solche Fehler, doch sie werden im Film nur als Rückblicke gezeigt oder erzählt. Zum Zeitpunkt der Handlung machst du dir bereits wahnsinnige Vorwürfe und bist dir der Verantwortung bewusst, die man dir auferlegt hat. Du machst dich selbst verrückt, ruhst keine Sekunde, aus Angst, es könnte etwas passieren und du wärst schuld, weil du hättest eingreifen müssen. Du versuchst dich selbst zu zerreißen, dabei sollte dir klar sein, dass es unmöglich ist, alles Schlechte vorauszusehen. Du weißt es und doch versuchst du, es nicht zuzulassen. Dein Partner, ebenfalls ein Schutzengel, versucht, dich davon abzuhalten, dass du dich selbst daran zugrunde richtest. Er will verhindern, dass du daran zerbrichst. Doch du lässt es nicht zu. Du versuchst weiterhin alles, dass niemandem etwas Ernsthaftes zustößt, dass du niemanden verlierst, ohne zu bemerken, dass du dich selbst dabei verlierst.“ Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade die schlimmste Geschichte erzählt, die er je gehört hatte. Dabei war es nichts anderes als sein eigenes Leben, in einem etwas anderen Rahmen ausgestellt. Er versuchte verzweifelt, es allen recht zu machen und ich war der Partner, der alles daran setzte, dass er es bemerkte, was er tat, und dass er auch einmal an sich selbst dachte. Doch es war erfolglos. „Dieser Film ist... sehr traurig, nicht?“, fragte Hyde auf einmal zaghaft. Ich nickte. „Ja...“ ~Es ist eine traurige Art zu leben.~ „Und was passiert dann? Wie geht es aus?“, wollte er plötzlich neugierig wissen. Ich holte tief Luft. „Du... kannst einen deiner zugeteilten Menschen nicht mehr retten und brichst zusammen. Das ist der Moment, in dem es deinem Partner gelingt, zu dir durchzudringen und dir begreiflich zu machen, dass es so kommen musste und du nichts dagegen tun konntest. Er macht dir endlich klar, dass die Menschen einmal sterben müssen, wenn nicht an dieser, dann an jener Ursache. Du siehst es endlich ein, schaust natürlich immer noch regelmäßig nach deinen Schützlingen, hetzt aber nicht mehr vom einen zum anderen und greifst auch nur noch ein, wenn es wirklich nötig ist. Es vergehen Jahre und du hast nur noch zwei Schützlinge, für die du beide nur noch sehr wenig ‚Protergy’ übrig hast. Und plötzlich frägst du dich, was passiert, wenn du die letzten beiden auch noch verloren hast. Du hast nie über deine eigene Existenz nachgedacht, immer nur über deinen Auftrag. Das Erste, an das du dich erinnern kannst, ist, als du in einem weißen Raum aufgewacht bist und man dir deine Aufgabe erklärt und deine Schützlinge zugeteilt hat. Ab da fing deine Existenz als Engel an, doch du hast keine Erinnerung mehr an dein Leben vor dieser Existenz. Und nun, da du so kurz davor stehst, deinen Auftrag, den man dir anfangs gab - wie man im Rückblick sehen kann , endgültig zu erfüllen, stehst du vor der Frage, was danach passiert. Du hast keine Ahnung und sprichst mit deinem Partner darüber, fragst, ob er es weiß. Doch auch er kann es dir nicht sicher sagen, aber er glaubt, dass man nach dem göttlichen Dienst einen Wunsch frei hätte.“ Er blickte mir gespannt ins Gesicht, erpicht darauf, dass ich weitersprach, doch längst nicht so sehr wie ich, dass er sich dasselbe wünschen würde wie ich. „Daraufhin willst du von ihm wissen, was er sich denn dann wünschen würde. Du selbst weißt nämlich von keinem Wunsch, den du dir gerne erfüllen würdest. Du hast ja auch noch nie darüber nachgedacht.“ Es klang wie ein direkter Vorwurf. Ich vermute, es war einer. „Was hat er geantwortet?“, fragte Hyde gespannt, nachdem ich die Sprechpause hatte zu groß werden lassen. „Er meinte... er wünsche sich, zusammen mit der Person, die er liebte, wieder zum Menschen zu werden.“ Seine Augen sahen mich nur stumm an. Er versuchte noch, selbst eine Antwort auf seine Frage zu finden, dann stellte er sie doch an mich: „Wer ist diese Person?“ Es war eine so einfache Frage. Doch es war nicht so einfach, sie zu beantworten. Ich zögerte. „Du...“ Es herrschte eine Weile Stille. Dann, nachdem er wahrscheinlich entschieden hatte, dass es keine einfältige Frage war, konnte er sie auch nicht länger zurückhalten: „Wer ist eigentlich mein Partner?“ Ich wusste, dass er das nun fragen würde, ich wusste, dass er das früher oder später musste. „Ich...“ Lange sah er mir in die Augen, dann, als wäre er sich in dem Moment dessen erst bewusst geworden, wandte er scheu seinen Blick ab, schlug verlegen seine Augen nieder. „Entschuldigen Sie, dass es etwas länger gedauert hat.“, riss die Bedienung ihn, wie auch mich, aus den Gedanken. „Bitte.“, meinte sie, als sie den Eisbecher vor ihm und zugleich den Kaffee vor mir abstellte. „Danke sehr.“, gab ich zurück. Hyde erwiderte nichts, konnte es in dem Augenblick vielleicht nicht. Ich beobachtete ihn eine Weile, doch er rührte sich nicht. Sein Eis schmolz vor sich dahin. „Was sagst du zu der Story?“, fragte ich ihn dann, versuchend, neutral zu klingen. Er sah wieder auf, nachdem seine Augen unruhig hin und her gewandert waren, was sie auf meinem Gesicht fortsetzten. „Sie ist...“ Seine Stimme brach ab. Er versuchte es erneut. „...gelungen.“ Mehr konnte er dazu wohl nicht sagen. Ich wollte ihn auch zu nichts zwingen. Zu sehr fürchtete ich, dass er das Angebot letzten Endes doch noch ablehnen würde. „Schön, dass sie dir gefällt...“, kommentierte ich. Ich hätte es gar nicht ausdrücken können, wie sehr es mich glücklich machte, dass es ihm gefiel. „Du solltest dein Eis essen. Es schmilzt schon.“ „Oh. Ja.“ Er nahm den Löffel zur Hand und begann zu essen. Dabei machte er allerdings nicht den Eindruck, als hätte er noch Appetit. „Lust, Morgen was zu machen?“, fragte ich locker, als wir an der Innenseite der Eingangstür von Hydes Haus standen. Nach dem Eisessen waren wir noch eine Weile zu ihm nach Hause gegangen und irgendwann - es war nicht sonderlich viel Zeit vergangen - hatte ich das Gefühl, dass er wollte, dass ich ging. Und so sagte ich, dass ich gehen wollte. Auch wenn es eine Lüge war. „Ich fürchte... ich habe keine Zeit...“, antwortete er nahezu vorsichtig, als wüsste er längst, dass meine Laune nicht sonderlich gut war, und wollte mich schonen. Es könnte aber auch einfach sein, dass er sich zu erinnern versuchte, was in seinem Terminkalender stand. „Studio?“, fragte ich nach, als würde es mich jedoch gar nicht wirklich interessieren. Selbstbeherrschung. „Nein...“ Es wirkte, als wollte er etwas hinzufügen, sparte es jedoch absichtlich aus. „Joseph?“, fragte ich weiter und spürte zugleich, dass ich das nicht hätte tun sollen. „Nein, ich habe Megumi versprochen, mit ihr... was zu machen.“, klärte er mich vage auf. ~Wieso hat er mit mir darüber gesprochen, dass er überlegt, sich von ihr zu trennen, wenn er es doch nicht tut?! Worauf wartet er? Warum zögert er es hinaus? Warum zögert er? Warum tut er mir das an? Warum kann er sie nicht loslassen? Warum hört er nicht auf, sie zu lieben? Warum liebt er nicht mich? Warum? Warum habe ich keine Chance gegen sie?~ „Du weißt, dass ich es hasse zu verlieren!“, entfuhr es mir. Ich war wütend. Es war nicht nur die Tatsache an sich, dass er keine Zeit für mich hatte, nicht nur die Einbildung, dass sie ihm um ein Vielfaches wichtiger war als ich, nicht nur die Grundwahrheit, dass sie mehr Zeit mit ihm verbrachte, nicht nur die Erwähnung ihres Namens, nicht nur die Vorstellung, wie unglücklich sie ihn machte; es waren nicht nur die vielen Bilder, die auf mich einströmten, von denen ich nicht einmal mehr sagen konnte, ob sie Erinnerungen oder meiner Fantasie entsprungen waren. Es war auch nicht nur die Tatsache, dass ich spürte, wie meine Selbstbeherrschung zu zerbröckeln begann, nicht nur die, dass sich mit der Zeit so viel Wut anstauen, ohne dass ich sie abbauen konnte, sondern die, dass ich ihn praktisch dazu gebracht hatte, es mir zu sagen, dass sie der Grund ist. Ich hatte es erzwungen, obgleich ich es gar nicht wissen wollte, oder eher nicht wollte, dass ich es wusste. „Verlieren? Wieso denn verlieren?“, fragte Hyde verwirrt. „Gegen Megumi?“ Ich konnte ihm nichts darauf antworten. Ich konnte ihn nicht einmal ansehen. Ich blickte beschämt zu Boden. Ich wusste mit einer derartigen Situation nicht umzugehen, kam ich doch so unermesslich selten in eine solche. Und diese war beispiellos. „Ga-chan...“, begann Hyde leise, die Stille brechend. „Megumi ist zwar meine Frau, aber... die Freundschaft zu dir...“ Mein Blick hob sich unkontrolliert ein wenig an. „...ist mir trotz alledem wichtiger...“ Nun zog sein Gesicht meinen Blick regelrecht an. Mein Mund war leicht geöffnet; ich bemerkte es zuerst nicht. Meine Augen ließen seine lange Zeit nicht mehr los. Hyde sah mich warm lächelnd an. So hatte er das noch nie getan. Etwas hatte sich verändert. Es war etwas Winziges, zumindest etwas, dass man kaum sehen konnte, etwas, von dem man nicht einmal sicher sagen konnte, ob es da war. Doch ich sah es. „Arigatou, Hai-chan...“, flüsterte ich beinahe. Dann gab ich dem Drang nach und schlang meine Arme um den kleinen, zarten Körper. Als zwei warme Arme meine Taille umschlossen, spürte ich eine Gänsehaut aufkommen; und als zwei warme Hände meinen Rücken berührten, fühlte ich die nächste; als sich die eine Hand dreimal auf und ab bewegte, in der Absicht, mir über den Rücken zu streichen, die nächsten zwei. Aber wie immer konnte ich nur die ersten, wenigen Sekunden genießen, denn danach kreisten drei quälende Fragen in meinem Kopf herum: ~Wundert er sich, weshalb ich ihn nicht mehr loslasse?~, ~Empfindet er es als seltsam?~ und ~Fühlt er sich überhaupt wohl in dieser langen Umarmung oder will er sie beenden?~ Sie zwangen mich dazu, wieder von ihm abzulassen. So standen wir, nachdem ich zurückgetreten war, in eigenartigem Schweigen voreinander. Hyde warf mir ein flüchtiges Lächeln zu, dann schweifte sein Blick ab, sein Kinn senkte sich etwas, seine Augen schienen nichts Bestimmtes zu sehen. Einige Male wandte ich meinen Blick von ihm, hielt mich davon ab, ihn ununterbrochen zu beobachten, aus Angst, er würde mich fragen, weshalb ich ihn derart anstarrte. Als ich meinen Blick von der Lampe nahm und wieder auf ihn richtete, schwenkten seine Augen gerade wieder zu meinem Gesicht. „Willst du auch noch eine Zigarette?“, wollte Hyde auf einmal von mir wissen. Es war, als wäre nichts gewesen, als hätte er diese Spannung zwischen uns nicht bemerkt. Ich wusste nicht, ob mir das nun gefiel oder nicht. Ich konnte mich nicht entscheiden zwischen Aufatmen, da ich mich nicht verraten hatte, und dem Gefühl der Enttäuschung, dass diese Spannung nur Teil meiner Einbildung und Zeuge der Einseitigkeit meiner Gefühle war. Doch ich war ein wenig überrascht. An eine Zigarette hatte ich in dieser Situation überhaupt nicht gedacht, dabei würde sie wahrscheinlich meinen Puls wieder etwas beruhigen. „Gute Idee.“ Warum hatte ich nicht daran gedacht? - Wahrscheinlich, weil mein Kopf von anderen Dingen eingenommen war. Im Gegensatz zu seinem. ~Warum hat er mich schon nach so kurzer Zeit losgelassen? Fühlt er sich vielleicht unwohl? Empfindet er es als seltsam, einen Mann so lange zu umarmen?~ Ich sah wieder zu ihm hoch. Es war der Moment, in dem auch er seinen Blick wieder mir zuwandte. Ich verspürte den Drang, etwas zu sagen, die Stille zu brechen. „Willst du auch noch eine Zigarette?“ Ich hatte es geschafft, dass es sich natürlich anhörte. „Ii kangae da yo.“ Er wirkte nahezu erleichtert, als er das sagte. Ich griff nach meiner Jacke, versicherte mich, dass eine Schachtel Zigaretten in der Tasche war und öffnete die Haustür. Wir gingen hinaus, stellten uns neben seinen Wagen und holten jeweils eine Zigarette aus unseren Packungen. Er steckte sich seine an, während ich noch nach meinem Feuerzeug suchte. Da ich es, nachdem seine Zigarette brannte, noch immer nicht in der Hand hielt, zippte er sein Feuerzeug ein weiteres Mal auf und zündete damit auch meine Zigarette an. „Arigatou...“, murmelte ich, mit meiner Zigarette im Mund. Von dem Zeitpunkt an standen wir still in der Dunkelheit, nur eine Straßenlaterne ein paar Meter weiter unterbrach sie. Und unsere brennenden Zigaretten, die uns unsere Gesichter besser erkennen ließen. Wir sprachen nicht. Gackt stand gelassen da, genoss das Rauchen sichtlich. Ich warf ihm immer wieder verstohlene Blicke zu, trat eher nervös von einem Bein auf das andere. Die Nachtluft war nicht kühl. Als Gackt seine Zigarette auf den Boden fallen ließ und austrat, tat ich es ihm nach, bemerkte erst dann, dass ich meine bereits viel weiter, als ich es gewöhnlich tat, heruntergeraucht hatte. Wir sahen uns einen Augenblick an, dann umarmte er mich zum Abschied. Und wieder ließ er mich viel zu schnell wieder los. „Bis bald hoffentlich.“, sagte ich, zu leise für eine gewöhnliche Verabschiedung. „Jaa, mata ne.“, meinte er noch, bevor er um den Wagen herum lief und einstieg. Er schien es nicht bemerkt zu haben. Als er den Motor angelassen hatte, winkte er mir noch einmal kurz zu, bevor er davonfuhr und mich in der Dunkelheit zurückließ. Wie konnte es sein, dass mir Gackts Wohnung heller erschien, obgleich sie noch weniger erleuchtet war als diese Straße? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)