end of all hope
Ich konnte nicht nachdenken. Mein Kopf war voller Fragen und Antworten, Wut und Trauer,
gefühllos und voller Emotionen, er war erstickt, tot und doch lebendig wie nie zuvor.
Eines stand fest. Und das war es, was mich bedrückte. Nein, mich umbrachte. Takashi. Selbst jetzt
konnte ich seine warmen weichen Lippen auf meinen spüren. Seine Zunge, die sanft meine
umspielte, seinen heißen Atem, dann wurden seine Spielchen härter und fordernder.
Warum?! Alles in mir schrie. Und doch war ich ganz ruhig. Warum nur mussten wir diesen
verdammten Fanservice machen? Und das, obwohl wir nicht einmal berühmt waren.. Okay, den
anderen gefiel es. Sie mochten es, von den Leuten auf der Straße schief angeguckt zu werden, und
ihre verdatterten, ja erstarrten Mienen im Rücken zu spüren. Sie liebsten es, ihre Emotionen bei
einem Konzert auszuleben, außerdem waren sie alle verrückt nacheinander. Freundschaftlich
natürlich, nur freundschaftlich. Es war alles nur Show. Egal, ob es war um die homophobe
Menschheit zu schocken oder nur um den Fans zu gefallen. Es war Show. Gefakt. Hatte nichts zu
bedeuten. Wie für mich anfangs auch..
Takashi.. Ich nahm selbst kaum wahr, dass ich mich wie ein Irrer von der einen auf die andere Seite
meines Bettes rollte. Wieso?! Wieso musste das Leben so grausam sein? Wieso hatte Takashi das
heute tun müssen? Es war so ungerecht! Spürte er denn nicht, was in mir vorging? ..Nein, das tat er
nicht. Takashi war nicht schwul. Und er käme nie auf den Gedanken, dass einer seiner Freunde es
wäre. Das, was er heute getan hatte, war es wieder nur da gewesen, um sie alle zu schocken? Ich
wusste, dass es ihm Spaß machte. Nicht umsonst hatte er diese seidigen blondierten langen Haare.
Die Haare, die mich an der Nase gekitzelt hatten, an dem Tag, als sich alles entschieden hatte.
Doch am heutigen Tage hatte es ausgesehen als hätte es ihm sehr gut gefallen. Zu gut. Dieser
Shinichi war auch einfach unerträglich hübsch. Da würde ich nie mithalten können. Takashi hatte es
Freude bereitet, ihn immer und immer wieder an verschiedensten Körperstellen zu berühren und zu
küssen. Takashi.. Es fiel mir schwer, überhaupt an seinen Namen zu denken.. An diesen Namen, mit
dem ich so viel verband.
Fest stand, unter diesen Bedingungen konnte ich auf keiner Fall einschlafen. Stöhnend rappelte ich
mich auf um mir ein paar Tabletten zu holen. Wie so oft in letzter Zeit. Es ist Klischee, doch
Takashi raubt mir den Schlaf.
Nachdem ich die Badezimmertür aufgestoßen hatte fiel mein Blick in den Spiegel. Meine Haare
standen wirr in alle Richtungen ab und mein Make-up war verschmiert. Ich hatte die Tränen gar
nicht bemerkt, die mir die Wangen hinuntergelaufen waren. In meinem Arzneischrank fand ich
sofort die Tabletten die ich suchte. Sie wurden so oft verwendet, dass ich mir nicht mehr die Mühe
machte, sie sorgsam zu verstauen. Nachdem ich ein paar Minuten mit leerem Blick und ohne zu
denken auf das Regalbrett gestarrt hatte, nahm ich gleich die ganze Packung mit. Zur Vorsorge.
Einen kurzen Moment lang beherrschte mich die Idee, einfach alle Pillen zu schlucken.
Nacheinander, ohne auf Packungsbeilagen zu achten. Man musste ja nicht immer auf das hören,
was in der Werbung gesagt wird. Das wurde einem doch auch ständig beigebracht. Doch ich war
natürlich zu feige, mich einfach umzubringen. Ich hatte natürlich Angst vor dem Tod und dem, was
danach kam. Mir würde sowieso keiner auch nur eine Träne spenden, doch ich hatte auch keine
Lust auf meine Wiedergeburt. Mit meinem beschissenen Karma würde mein nächstes Leben nicht
besser werden als mein jetziges. Doch – was hielt mich noch hier?
Was kam überhaupt nach dem Tod? Himmel? Hölle? Wiedergeburt? Das endlose Nichts?
Ich hatte natürlich zu viel Angst um es selbst herauszufinden. Doch irgendwie erschien mir der Tod eher als ein Anfang als ein Ende. Also: Was hielt mich noch hier?
Bei meinem Bett angelangt, ließ ich mich auf die Bettkante fallen und versuchte, drei
Schlaftabletten aus der Packung zu bekommen. Doch aufgrund meiner Tollpatschigkeit gelang mir
das natürlich nicht und der gesamte Inhalt verstreute sich über meinen Nachttisch und den Boden.
Angepisst vom Leben und von mir selbst erhob ich mich und begann damit, jede Tablette einzeln
aufzusammeln, als es an der Tür schellte, woraufhin ich die Packung achtlos in die Ecke warf, und
mich, da meine Eltern sich in Japan bei Verwandten befanden, sodass ich alleine wohnte, nach
unten begab, ohne mir Gedanken über mein Aussehen zu machen, was sich in Jogginghose und viel
zu großem Pullover äußerte. Vor der Haustür angelangt machte ich mir nicht die Mühe, zu fragen,
wer mich denn mit einem Besuch beehrte und öffnete die Tür. Meine Finger gefroren an der Klinke,
als ich erkannte, wem ich da geöffnet hatte.
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, sagte Takashi nach kurzem Schweigen.
Ich weiß nicht, wie ich es geschafft hatte – wie er es geschafft hatte. Doch irgendwie war ich
Takashi widerstandslos in mein Zimmer gefolgt. Jetzt konnte ich wirklich nicht mehr klar denken.
In meinen Träumen hatte es immer etwas Schönes bedeutet – Takashi und ich allein in einem
Raum. Doch dies war Realität, kein Wunschdenken. Das war der wahre Takashi, der, der an der
Band interessiert war, nicht an mir. Sorgen. Er sagte, er mache sich Sorgen um mich. Genauso gut
hätte er sagen können: „Wenn du so weitermachst, suchen wir uns einen anderen Gitarristen.“ Das
war es wahrscheinlich auch, was ich gleich zu hören bekommen würde. Und ich würde dastehen, in
sein zorniges und doch so schönes Gesicht sehen und hoffen, das meine wahren Gefühle nicht zum
Vorschein kommen. Ich würde mein ausdruckslosen, leeres Gesicht aufsetzen, für das ich mich in
letzter Zeit kaum noch anstrengen musste.
- Und dann war es das gewesen. Dann war PrincessMurder für mich Geschichte. Dann wäre ich
allein, meine einzigen Freunde und meine heimliche Liebe würden sich von mir abwenden und
mich auf ewig hassen.
Ich hatte mich längst damit abgefunden, bi zu sein, obwohl es noch nicht lange her war, dass ich
dieses herausgefunden hatte. Für mich war das etwas vollkommen normales, teilweise machte ich
mich sogar über Leute mit Homophobie lustig. Doch niemals. Niemals! Hätte ich damit gerechnet
mich in meinen heterosexuellen besten Freund zu verlieben, der mich auch noch für hetero hielt.
Mein Blick schweifte zu Takashi, als wäre dieser nicht sowieso schon immer in meinen Gedanken,
der währenddessen mein Zimmer halb durchquert hatte, als er auf einmal erstarrte.
Nach Sekunden des Schweigens sah Takashi mich erschrocken und entsetzt an. Ich hatte überhaupt
Keine Ahnung, was los war und überlegte fieberhaft, was Takashi denn so erschreckendes hatte
finden können. Wann hatte ich das letzte Mal aufgeräumt? Es musste sehr lange her sein, dass es
mir nicht mehr einfiel.
„Yuichi.. Was ist das..?“, Takashis entsetzte Stimmt ließ den Raum erzittern. Seine Stimme schien so
voller Angst, dass es mir kaum möglich war, mich zu rühren. „Yuichi! WAS IST DAS?!“, Takashis
Stimme wurde immer schriller, sie war von Angst zerfetzt.
Ich stolperte ein paar Schritte vorwärts und sah hinter mein Bett, dahin, wo die Schlaftabletten
verstreut lagen. „Yuichi! Nein, bitte Yuichi, bitte sag, dass das nicht wahr ist.. NEIN, das darf es
nicht..!“, Takashi krallte seine Finger in meine Schultern und schüttelte mich. Ich war unfähig etwas
zu sagen. Geschweige denn, etwas zu tun. „Yuichi, nein, du darfst dich nicht umbringen, Yuichi,
nein..“ Nach einigen Sekunden, es können auch Stunden gewesen sein, die ich das schmerzverzerrte
Gesicht von Takashi nur Zentimeter von meinem entfernt mich anschreien sah, kam wieder Leben
in mich. Ich hatte Takashi wie durch einen wässernen Schleier gesehen, all seine Handlungen
schienen verzögert. Die Tabletten. Es hatte den Anschein, als hätte ich sie alle schlucken wollen.
Hatte ich das nicht auch vorgehabt? Meldete sich eine leise Stimme in mir. Ich verdrängte sie und
starrte takashi an. Seine Lippen zitterten. Langsam öffnete ich den Mund: „Takashi.. S-Sie sind mir
runtergefallen.. Ich-ich wollte sie nicht alle schlucken.. Das ist kein Selbstmordversuch.. Ich konnte
nur nicht schlafen, ich-“
Takashi hatte aufgehört zu schreien. Sein Tränenüberströmtes Gesicht war meinem sehr nahe, als er
den Mund öffnete: „..Yuichi.. Wirklich..? ..Danke.. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn..“
Diesen Satz brachte er nicht zu Ende. Seine Finger tasteten langsam über meinen Rücken und ich
spürte, wie er mich fest in den Arm nahm. Mir blieb die Luft weg. Das war eindeutig zu viel
Takashi auf einmal. Seine kleinen Hände, die sich fest in meinen Rücken pressten, seine
tränennasse Wange, die auf meinem Schlüsselbein lag, sein heißer Atem, der stoßweise eine
Gänsehaut über meine Brust laufen ließ, sein warmer, zierlicher Körper, seine weichen Haare, die
mich an der Wange kitzelten -
Ich schnappte nach Luft und stieß ihn von mir weg, wirbelte herum um mein Gesicht zu verbergen.
Ich drehte mich nicht um. Nicht, als er mich unentwegt ansah. Nicht, als er vorsichtig fragte, was
denn mit mir los sei. Nicht, als er mir versicherte, dass ich ihm alles anvertrauen kann. Nicht, als er
schließlich auf sein Handy verwies, seufzte, sich umdrehte und zur Tür hinausschlurfte. Ich wusste,
dass ich ihn verletzt hatte. Ich wusste, was Selbstmord für Takashi bedeutete. Er selbst hatte vor ein
paar Jahren versucht, sich das Leben zu nehmen. Damals, als wir uns noch nicht gekannt hatten.
Takashi, damals 13 Jahre alt, hatte nicht gewusst, was es bedeutete, 'Freunde' zu haben, er hatte nie
welche gehabt, war wegen der Tatsache das er Visu war von jedem gemobbt worden und war
schließlich aus der Schule geflohen und in den nahegelegenen Wald gerannt, wo er irgendwann
zusammenbrach und das tat, was er schon so lange in unendlicher Seelenqual vorgehabt hatte. Er
hatte mir einmal beschrieben, wie es war, wenn dunkelrotes Blut aus einem herausströmt, während
einem die Sinne schwinden. Nach dieser Vorstellung hatte ich tagelang nicht schlafen können, doch
Takashi hatte gesagt, es sein ein schönes, befreiendes Gefühl gewesen. Als er jedoch im
Krankenhaus aufwachte, man hatte ihn 'retten' können, und er sah, wie seine Mutter
zusammenbrach und sein Vater schluchzend in tiefe Gebete versunken war, während er gleichzeitig
versuchte, seiner Frau zu trösten, was jedoch scheiterte, war es vorbei gewesen. Denn nichts ist
schlimmer als die die man liebt leiden zu sehen.
Nach diesem Tag hatten seine Eltern sich bemüht, ihm zu zeigen, wie schön das Leben sein konnte.
Sie waren für ein Jahr nach Japan gezogen, wo er sich einer psychischen Behandlung unterzog die
sein Selbstwertgefühl aufbauen sollte, sie hatten ihn zu allen möglichen Konzerten geschickt, ihn
auf alle Cons gehen lassen, einfach alles versucht um ihn glücklich zu machen. Takashi hatte
gesehen wie sie litten. Das hatte sein Leben erhalten.
Wie konnte ich nur so grausam sein? Über Selbstmord nachzudenken, ihn dann zu Tode zu
erschrecken und ihn dann noch zu verletzen? Was war ich für ein schlechter Mensch, in diesem und
in früheren Leben, dass ich das alles erleben musste?