Tsunade
Müde schlich Neji durch das Dorf, schon wieder hatte er eine dieser grausamen Missionen hinter sich. Geflohene Gefangen zu suchen und zurückzubringen, zusammen mit Shikamaru, ausgerechnet mit Shikamaru. Dabei war Neji doch jedes Mal, wenn er ihn sah, einfach nicht mehr zu gebrauchen. Erst vor kurzem hatte er es sich eingestanden: Er war verliebt.
Es war hoffnungslos. Immerhin war er nicht der Einzige, der auf Shikamaru stand, Ino und Temari trugen schon seit langer Zeit einen Zickenkrieg aus. Da hatte Neji als Mann keine Chance dagegen anzukommen, mal davon abgesehen, dass er nicht vorhatte, sich vor halb Konoha zum Idioten zu machen. Die würden lachen, ein Hyuuga war in einen anderen Kerl verliebt. Ein Hyuuga brachte in der Nähe des anderen Kerls kein Wort mehr raus, ein Hyuuga hatte in einer Mission versagt, nur weil er verliebt war.
Neji seufzte und senkte den Kopf noch weiter. Nachdenklich betrachtete er die Straße, beschloss dann aber sich einen anzutrinken. Er wollte nur noch vergessen, die misslungene Mission, Shikamaru, einfach alles. Und er wusste auch schon, wo er seinen Kummer ertränken konnte.
Zielstrebig öffnete Neji eine versteckte Tür und betrat das dunkle, verrauchte Zimmer. Nur wenige Lampen erhellten den fensterlosen Raum.
„Sieh mal einer an, der kleine Hyuuga-Junge, das Übliche?“, fragte der Barkeeper mit heiserer Stimme.
Neji nickte schweigend und setzte sich an seinen Stammplatz. Kurz darauf stand schon der erste Drink vor ihm, doch noch während er trank, orderte er mit einer lässigen Handbewegung schon den zweiten. Heute konnte er so einiges vertragen, damit er seine Gedanken und sein Gefühlsleben ertragen konnte.
Ein paar Drinks später fühlte sich alles schon angenehmer an und Neji lag ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Als die Tür sich öffnete, drehte er sich erwartungsvoll um und sah direkt in die glasigen Augen der Hokage.
„Hey, Neji!“, rief sie ihm fröhlich zu.
Der Barkeeper hatte schon den Sake hervorgeholt.
„Was treibt dich denn hierher? Du bist ja ein seltener Gast!“, grinste die Hokage ihn betrunken an, „Etwas wegen der Mission? Das ist doch kein Grund sich zu schämen, kann jedem Mal passieren.“
Neji schüttelte energisch den Kopf, in der Zwischenzeit war auch er mehr als nur angetrunken: „Nein, nein, ich bin wegen etwas anderem hier. Ich will vergessen!“
Tsunade leerte einen Sake nach dem anderen. Mit einem Hicksen schaute sie zu Neji: „Stress in der Familie?“
Wieder schüttelte er den Kopf und ignorierte dabei das Schwindelgefühl: „Nein, nein, nein, ich habe Pech in der Liebe!“
„Ist was mit Tenten?“, fragte die Hokage mit leiernder Stimme.
„Was sollte mit ihr sein?“, fragte Neji erstaunt zurück, „Ist ihr was passiert?“
„Seid ihr nicht zusammen?“
„Warum sollten wir?“
„Sag bloß…“, staunend sah sie ihn aus großen Augen an, „Aber wenn du nicht wegen Tenten Liebeskummer hast, wegen wem denn dann?“
Mit einem Zug leerte Neji einen weiteren Drink, betrachtete danach nachdenklich die Hokage. Sollte er ihr es wirklich sagen? Ach egal, sie war so betrunken, sie würde sich so oder so nicht mehr daran erinnern.
„In…“, er legte eine Kunstpause ein, „In Shikamaru!“
Tsunade flog fast von ihrem Barhocker runter: „Shikamaru? Shikamaru Nara?“
„Ja.“, Neji nickte heftig hin- und herschwankend.
„Junge…“, die Hokage dachte kurz nach, „Junge, du hast einen guten Geschmack. Und einen gefährlichen. Temari und Ino werden dich köpfen.“
„Die wissen doch von nichts! Das soll auch so bleiben.“, er überlegte noch einmal kurz, „Ja, das soll definitiv so bleiben.“
„Aber was willst du machen?“, lallte Tsunade fragend, „Auf ewig schweigen? Du musst es ihm sagen!“
„Nein, das werde ich nicht!“, Neji schüttelte den Kopf, „Ich glaube, mir wird schlecht…“
Würgend und mit hochrotem Kopf verließ er seinen Platz an der Bar und rannte zur Toilette. Gerade noch rechtzeitig. Einige Minuten später kehrte er schwankend zurück.
„Das war wohl zu viel, mein Junge“, schaffte Tsunade es gerade noch zu sagen, dann rutschte sie wie ein Sack Kartoffeln von ihrem Stuhl herunter.
„Tsunade!“, ertönte plötzlich eine, zumindest nach Nejis Meinung, viel zu schrille Stimme.
Immer noch schwankend drehte er sich um und sah Shizune.
„Oh, Hyuuga-kun, alles in Ordnung?“, fragte diese besorgt.
„Ja, alles…“, mitten im Satz brach Neji ab und folgte der Hokage dann zu Boden.
„Mein Kopf…“, murmelte er am nächsten Morgen in sein Kopfkissen.
„Neji-kun! Bist du wieder wach?“
„Hinata?“, fragte er einfach mal blind nach, denn das Licht der Sonne würde ihm sicher seine Augen verbrennen.
„Ja, Neji-kun, geht es dir besser?“, fragte seine Cousine freundlich nach.
„Schrei doch bitte nicht so…“
„Aber ich rede doch ganz normal.“
Neji grummelte etwas in sein Kissen, gab Hinata aber keine genaue Antwort.
„Äh, ich soll dir von Tsunade-sama ausrichten, sie möchte dich in ihrem Büro sehen, sofort.“
„Was?“, abrupt richtete er sich auf, bereute es aber gleich wieder.
„Ja, und ich soll dir sagen, wer trinken kann, der kann auch arbeiten.“, mit diesen Worten verließ Hinata das Zimmer.
Mühsam kämpfte Neji sich nach einigen wortstarken Flüchen aus dem Bett und von dort aus dem Haus in Richtung Hokage-Turm. Jedes freundliche "Guten Morgen" auf dem Weg war eine Qual für ihn, jeder Sonnenstrahl warf ihn fast um.
Griesgrämig betrat er das Büro der Hokage und wurde durch ein unfreundliches Grummeln begrüßt. Ihr ging es also auch nicht viel besser.
„Morgen…“
„Guten Morgen, Hokage-Sama“, antwortete Neji schleppend.
„Setz dich doch, wir müssen das über eine Sache reden.“
Er tat, wie es ihm geheißen war, sah sie dann fragend an. Worüber wollte sie nur reden? Über seine verpatzte Mission? Aber der Bericht dazu war doch erst heute Abend fällig.
„Shikamaru.“
Fassungslos schaute Neji sie an, dann erinnerte er sich an sie. Vergessen, er wollte doch nicht sich selbst vergessen.
„Du musst ihm die Wahrheit sagen! Ihr Zwei werdet auch in Zukunft öfter zusammenarbeiten und die Missionen können nicht immer so enden.“, allmählich kam Tsunade in Fahrt, „Sag es ihm, ich bestehe darauf. Das ist deine nächste Mission! Sag Shikamaru die Wahrheit.“
„Tsunade…“, kam da Shizunes ermahnende Stimme von hinten.
„Hm?“, die Hokage drehte sich um, „Also gut… Es ist keine Mission, aber eine Bitte. Sag ihm die Wahrheit oder lerne damit umzugehen. Du kannst jetzt gehen.“
Immer noch fassungslos und starr vor Schreck verließ Neji das Büro. Er wollte es doch niemanden sagen, und jetzt?
Was nun?