Toys in the Attic von Elster (Torchwood) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Regentropfen sind so fein, dass sie nicht nach unten fallen, sondern vom Wind getrieben werden. Und vielleicht sind sie auch nicht aus dem Himmel gefallen, sondern vom Meer aufgestiegen; das Wasser ist aufgewühlt und je näher man ihm kommt, desto salziger schmeckt die Luft. Es ist noch nicht spät, früher Nachmittag vielleicht. Ianto weiß es nicht genau. Im Grunde will er seine Hand nicht aus der Tasche nehmen, aber jetzt ist es wie ein Jucken und er muss auf seine Armbanduhr sehen. Fünfzehn Uhr dreiundzwanzig. Es ist Samstag und eigentlich hat er frei. Jack hat diese abwegige Vorstellung, dass es auch für Torchwood Wochenenden geben sollte. Das nimmt ihn selbst natürlich aus, weil er der größte Workaholic von allen ist. Oder weil er Torchwood ist, was im Grunde dasselbe bedeutet und zusätzlich noch, dass er das einzige ist, was zwischen der Welt, wie wir sie kennen, und der totalen Vernichtung steht. Vielleicht hat er Recht damit, vielleicht ist sein Ego aber auch einfach nur so groß wie Grönland. Wenn nichts Weltbedrohliches anliegt, können also alle anderen Zuhause bleiben, mit der Bedingung, im Notfall jederzeit erreichbar zu sein. Was dazu führt, dass Ianto einen Großteil seiner Samstage damit zubringt, sein Handy anzustarren. Er ist nicht gut mit Freizeit. Am Vormittag hat er seine Wäsche gemacht und die Einkäufe für die Woche erledigt (drei Viertel der Sachen für Torchwood, ein Viertel privat), er hat einen Anzug zur Reinigung gebracht (Hoixinnereien) und einen von der Reparatur abgeholt (Weevil), er hat mit seiner Mutter telefoniert und sich dann, als Resultat aus einer Art schlechtem Gewissen heraus, ‚richtiges’ Essen gemacht, anstatt nur etwas in der Mikrowelle aufzuwärmen (allerdings waren es nur Spaghetti, weil er nichts anderes im Haus hatte). Er hat Staub gesaugt und gebügelt und ist schließlich zum Hub aufgebrochen, als er in Erwägung gezogen hat, die Vorhänge zu waschen. Genug ist genug. Er geht in zielstrebigen Schritten über den silbergrauen Platz. Es ist kalt und feucht und außer ihm ist niemand hier unterwegs, aber es ist auf unbestimmte Weise schön, wie sich alles in nass und grau zusammenfügt: Meer, Land und Himmel, Möwen, Regen, schimmernder Beton und die Säule, die aus dem Hub aufragt. Er hat den vagen Plan, in den Archiven aufzuräumen (normalerweise tut er das sonntags, weil ein Tag in der Woche schon schwer genug rumzukriegen ist und Sonntage noch schwerer totzuschlagen sind als Samstage und Jack ihm Überstunden bezahlen kann, wenn er den verantwortungsvollen Chef spielen will). Möwenschreie und ein Windstoß voller fein zerstäubter Wassertropfen drängen sich mit ihm durch die Tür der Touristeninformation, als er eintritt. Drinnen ist es dunkel und es riecht nach feuchten Backsteinen, moderndem Holz und Staub. Das ist Torchwood Drei: desolat, aber funktional, ein Sammelsurium von Anachronismen. Nichts ist makellos, nichts ist wirklich heil oder fertig oder geordnet oder auch nur auf dem Weg dorthin. Torchwood Drei ist chaotisch und fragil, aber auch flexibel und nahezu perfekt. Es ist effizient, auf eine schwer nachvollziehbare Art und Weise. Ianto hat eine vage Vorstellung davon, was Jack tut, wenn er allein im Hub ist. Nach solchen Tagen finden sich Anzeichen. Manchmal sind es Verbesserungen am Riftmanipulator, am Kühlschrank oder an der Mikrowelle. (Nie wieder an der Kaffeemaschine, Ianto hat Jacks Ehrenwort.) Manchmal findet Jack heraus, wie ein unbekanntes Stück Alientechnik funktioniert, das sie im Laufe der Woche gefunden haben. Dann kann er es entweder am Montag stolz vorführen oder Ianto bekommt die Akte des betreffenden Stückes mit dem Vermerk „sicher verwahrt“ zurück und eine Liste der Dinge, die kaputt gegangen sind. Manchmal ist es ein altes Loch in der Wand, das endlich zugemauert, oder eine tropfende Leitung, die repariert wurde. Heute sitzt Jack auf der Couch, die Füße auf dem Tisch. Er hat etwas in den Händen, eine Art Fernbedienung scheinbar, und sieht konzentriert auf einen von Toshikos Monitoren. Ianto steigt die Stufen zur Couch hinauf und eines von Jacks strahlenden Lächeln ist alles, was ihm zeigt, dass er bemerkt wurde. Er hängt seinen Mantel auf, stellt die mitgebrachten Einkäufe auf dem Boden ab und setzt sich neben Jack aufs Sofa. Auf dem Tisch steht eine Pappschachtel mit den Resten einer Nudelpfanne und an Owens Arbeitsplatz laufen Nachrichten, ein Cartoon und ein Porno auf drei Bildschirmen. Ianto wendet sich Toshs Monitor zu, wo das Bild einer Webcam zu sehen ist, etwas verwackelt. Erst kann er die Bilder nicht zuordnen, aber dann erkennt er das Waffenlager, die Wendeltreppe und schließlich die Kaffeemaschine. Er sieht hinüber. Vor der Kaffeemaschine schwebt ein kleines Raumschiff, etwa tellergroß und matt silbern glänzend. Die Form lässt sich von hier aus nicht gut erkennen, aber sie erinnert vage an einen Rochen. Jack drückt ein paar Knöpfe und an der Spitze des Raumschiffes formt sich ein blaues Licht zu einer Art Röhre. Man sieht auf dem Monitor, wie das Licht auf den Hebel gelenkt wird und dieser sich zögernd bewegt. Ianto sieht ungläubig zu Jack herüber. „Versuchst du Kaffee zu machen?“ Jack nickt grinsend, während er konzentriert daran arbeitet, das Raumschiff stabil in der Luft zu halten. Ianto ist skeptisch, aber er lehnt sich zurück und wartet ab. „Ist das ein Spielzeug?“ Die Vorstellung, dass es ein Raumschiff für sehr kleine Außerirdische ist, ist ein wenig lächerlich, aber nicht völlig abwegig. „Ja. Wir haben es vor sechs Jahren gefunden, aber der Maxwellsche Dämon war kaputt und mir fehlte der Bosonenrespirator, um es zum Fliegen zu bringen.“ Die Kaffeetasse ist voll und Jack lenkt das Schiff weiter nach unten und versucht, das Licht auf den Henkel zu lenken. „Ich hatte mal so eins. Nicht dasselbe Model allerdings und in Originalgröße natürlich. Wenig luxuriös. Sehr mittelmäßiger Martini leider und sie hätten wirklich an Rettungskapseln denken können – aber sexy Computerstimme und gutes Handling…“ Er lässt das Raumschiff aufsteigen und es nimmt die Tasse tatsächlich mit. Jack seufzt, während er es konzentriert sehr langsam zur Couch herüberfliegen lässt. „Wirklich schade drum, es ging nichts über ‚Willst du mein unsichtbares Raumschiff sehen?’. Bester Spruch überhaupt.“ Ianto sieht zu Jack herüber, der ihm süffisant zublinzelt, und er ist sich nicht sicher, ob er jetzt lachen will oder betont unbeeindruckt sein. Jack steht auf betont unbeeindruckt, also hebt Ianto nur eine Augenbraue. „Unsichtbar kann es also auch werden?“ Jack grinst, begeistert über die Herausforderung in Iantos Stimme, und drückt einen der seitlichen Knöpfe auf der Bedienung. Die Luft um das Schiff herum beginnt zu flimmern und es verschwimmt wie eine Fata Morgana. Es bleibt nur eine blau schimmernde Kaffeetasse, die langsam auf sie zu schwebt. Jack wirft ihm einen triumphierenden Blick zu und Ianto merkt, wie er zurückgrinst. Es ist Jacks Begeisterung und der verdammte Charme und Ianto ist froh, dass er hergekommen ist. „Was ist mit dem Raumschiff passiert?“, fragt er, während er auf den Bildschirm guckt, wo sie beide auf der Couch zu sehen sind und langsam größer werden. „Deutsche Fliegerbombe.“ Jack sieht konzentriert auf die Tasse und Ianto weiß, dass es wenig Sinn hat, nachzufragen, wenn Jacks Antworten derartig kurz ausfallen. „Tut mir leid“, sagt er deshalb unverbindlich. Jack zuckt die Schultern. „Ich würde sagen, es hat sich gelohnt“, sagte er und fügt nach kurzem Zögern hinzu: „Ich war danach auf einem besseren Schiff. Mit schöner blauer Täfelung. Ziemlich retro. Aber ich mag retro.“ „Ich dachte es mir“, sagt Ianto trocken, „die Hosenträger verraten dich.“ „Siehst du? Ich bin ein offenes Buch“, behauptet Jack. „Es kann nicht jeder so mysteriös sein, wie du, Ianto Jones.“ Dann schweigen sie, weil Jack sich auf den Landeanflug konzentrieren muss und Ianto ihn nicht stören will. Ein kleiner Schwall Kaffee landet auf dem Tisch, als die Tasse etwas zu unsanft aufsetzt, aber Ianto hat heute frei, also ist das nicht sein Problem. Keine Krawatte, kein Putzdienst. Stattdessen greift er nach dem Raumschiff. Es ist kalt, mindestens zehn Grad kälter als die Umgebung, und es ist seltsam, etwas Unsichtbares zu halten, auch wenn man etwas sehen kann, das wie ein Luftflimmern oder bewegtes Wasser aussieht. Dann macht Jack das Schiff sichtbar. Es scheint ziemlich beschädigt gewesen zu sein, Ianto kann auf Anhieb vier Stellen erkennen, wo Jack es geschweißt oder Teile ausgetauscht hat. „Und, was sagst du?“, fragt Jack, die Kaffeetasse triumphierend erhoben. Ianto lächelt. „In der Zeit hätte ich fünf Tassen holen können.“ „Und deswegen bist du unersetzlich!“ Jack lässt sich zufrieden gegen die Couchlehne und Iantos Schulter sinken, dann hält er die Fernbedienung hoch. „Aber willst du es wirklich auf die langweilige Art machen, oder bist du der Herausforderung gewachsen?“ Jack grinst und wackelt mit der Bedienung und Ianto ist sich fast sicher, dass er nur vom Kaffeeholen redet, aber so wie er es sagt, klingt es ganz faszinierend schmutzig. „Soll ich die Stoppuhr holen?“, fragt er so unschuldig wie möglich und genießt es, dass Jack sich fast an seinem Kaffee verschluckt. Dieser Samstag entwickelt sich doch noch sehr vielversprechend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)