Bloody Mary (Der Gast) von -innocent- ================================================================================ Kapitel 2: Funkstille --------------------- Das penetrante Piepsen meines Weckers reißt mich aus einem seltsamen Traum. Ich schalte ihn abwesend aus. Nur verschwommen erinnere ich mich noch an ein kräftiges Handgelenk, das vor meinen Mund gehalten wurde und an eine tiefe, bestimmende Stimme. „Nimm es an.“ ,hatte der merkwürdige Mann vom Abend zuvor gesagt. Dann hatte der Wecker geklingelt. Ich atme tief durch und stehe missmutig auf. Meine Schläfen schmerzen. Ich mache mich für die Arbeit fertig. Um sieben Uhr ist die Sonne nicht ganz untergegangen, also ziehe ich ein Cappy tief ins Gesicht. Die Kopfschmerzen werden schlimmer. Ich schlendere die Straße entlang und reibe mir die pochenden Schläfen. Wenigstens lenken sie mich von meinem Traum ab. Leider kann ich keine Aspirin einwerfen – ein fieser Blutverdünner. Ein paar Minuten später stehe ich schon vor dem alten Pub. Ich stemme die schwere Holztür auf und sehe mich um. Noch nicht viel los. An der Bar sind nur zwei Hocker besetzt. Der eine Hinterkopf kommt mir schrecklich bekannt vor. Die gegelten Haarfransen und der vornehme Anzug versprechen Unheilvolles. „Hey Reece!“ ,werde ich fröhlich begrüßt. Eine junge Kollegin kommt mir entgegen. Auf einem der Barhocker wird sich umgedreht. Ich erhasche nur einen kurzen Eindruck der Person und meine Befürchtung ist bestätigt, doch weiter darüber nachdenken kann ich nicht, denn sofort zieht Amy mich vom Eingang weg und unterbreitet mir, mit viel Armgefuchtel, meine ersten Aufgaben: „Die Familie dahinten hat schon gezahlt. Tisch sieben will noch nicht bestellen. Die mittlere Reihe ist noch gut versorgt und der Rechte an der Bar. Ich glaube der will sich heute besaufen. Der Linke wartet noch auf jemanden.“ Ich schaue ihn an. „Und dieser jemand ist gerade gekommen“ ,antwortet er ihr und lächelt mich an. Ich verdrehe die Augen. Hat er jetzt vor mir jeden Abend auf die Nerven zu gehen? „Dann schönen Feierabend“ ,wende ich mich wieder an Amy. „Bye bye, Reece!“ Instinktiv weiche ich ihrem alltäglichen Umarmungsversuch aus und schlendere hinter die Bar. Ich schenke dem älteren, gebrechlich wirkenden Mann nach und meide jeglichen Blickkontakt mit dem Kerl zwei Plätze weiter. Schließlich werde ich an einem Tisch verlangt. Ich gehe zurück hole ein paar Bier und bringe sie an Tisch sieben. So vergeht mindestens eine Stunde mit Leute bedienen, ohne dass er mich auch nur einmal dumm angemacht hätte. Ich könnte ihn sogar rausschmeißen, nachdem er solange nichts bestellt hat, aber so richtig dazu durchringen kann ich mich nicht. Plötzlich reißt mich laute Musik aus den Gedanken. ACDC’s TNT dröhnt aus einer Jackentasche und zum ersten Mal nehme ich wirklich Notiz von dem Gast auf dem äußersten Platz an der Bar. Er wühlt hektisch in der Tasche und zieht ein kleines, schwarzes Handy heraus. Leicht verlegen sieht er über die Schulter, drückt auf den Hörer und beendet damit den Lärm. Ich kann mir einen Lacher nicht verkneifen und ziehe damit sein Augenmerk auf mich. Sofort versuche ich wieder ein ernstes Gesicht aufzusetzen. Er dreht sich weg und redet monoton auf seinen Gesprächspartner ein. Leider kann ich kein Wort verstehen, dafür ist die Geräuschkulisse im Pub zu laut, aber lassen die Stirnfalten und die zusammengekniffenen Augen einiges herauslesen. Ich werde wieder an ein paar Tischen gebraucht und als ich zurück zur Bar komme, liegt da ein Zehner, wo eben noch der Mann mit dem Handy saß. Verwundert nehme ich ihn in die Hand. Er hatte doch nicht mal etwas bestellt? Zumindest ist keine Telefonnummer darauf gekritzelt. Ich würde es ihm zutrauen. Aber interessieren tut es mich schon, wieso er es so eilig hatte. Ich streife mir die Haare aus dem Gesicht und kümmere mich um die Gäste. So verklang meine Nachtschicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)