Autobahnlichter von angeljaehyo (One-Shots, LxLight/Raito) ================================================================================ Kapitel 7: I can't reach you ---------------------------- Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich nicht an sein Gesicht erinnern konnte. Ich hatte einen schlechten Tag gehabt, und als ich nach Hause kam, war ich einfach nur froh, dass Misa einen Filmdreh hatte und Ryuuku gezwungenermaßen mit ihr gehen musste, so dass ich mal für einen Augenblick alleine war. Die Charaktertests vor der Aufnahme bei der Polizei waren lachhaft, aber das körperliche Training doch ganz schön schwer. Also sprang ich unter die Dusche, blieb dort etwas länger als gewöhnlich, um meinen schmerzenden, verspannten Muskeln zu etwas Linderung zu verhelfen, schloss die Augen und dachte nach. Dachte, wie langweilig das Leben ohne das Death Note doch wäre. Nun, ich hätte vielleicht nicht Misa am Hals, aber ansonsten wäre alles genauso, wie es jetzt ist. Das Polizeiausbildungstraining, die Lernerei, der Erfolg... Bloß die Würze würde fehlen, der Geschmack, der das Leben für mich ausmacht. Die Erhabenheit, der absolute Unterschied zwischen einem Normalmenschen und mir, der Sieg über die Langeweile, der Sieg, dem ich es zu verdanken hatte, zum Gott der neuen Welt werden zu dürfen. Es verlangte mir ziemlich viel ab, unglaubliche Anstrengungen, ohne dass ich je wirklich dafür belohnt wurde - außer von "meinen kleinen Momenten", wie ich sie gerne nannte. Wenn ich im Fernsehen Pro-Kira-Demonstrationen sah. Wenn ich die rapide fallenden Prozentsätze der kriminellen Aktivitäten auf der ganzen Welt las. Wenn nach und nach die Politiker, Wirtschaftsbosse und die sonstigen Mächtigen der Welt sich ganz klar zu Kira bekannten. Das waren die Ereignisse, die mir Gänsehaut bereiteten, die mein Leben lebenswert machten und nicht nur öde und langweilig wie die Leben aller anderen. Die mich erregten. Die mich motivierten, weiterzumachen, immer weiter, nie aufzuhören, immer der Beste sein zu wollen, der Erhabene, der Einzigartige. Aber die "kleinen Ereignisse" waren nichts - nichts - im Gegensatz zu der Erinnerung an das "große Ereignis". Mein Kampf. Mein Schrecken. Mein Sieg. Mein Triumph. Der absolute Triumph. Ich stieg aus der Dusche und setzte mich auf die Couch in meinen bequemsten Sachen, eine abgetragene, viel zu große Jogginghose und ein weißes Longsleeve. Eine Trophäe konnte man es nennen. Nicht einmal Misa oder Ryuuku ließ ich mich so sehen, nein, diese Momente gehörten nur mir, mir ganz alleine. Mit voller Absicht kramte ich in meinem Gedächtnis, kramte nach der Erinnerung an ihn, suchte und fand sie schließlich. Ich konnte mich so gut an das alles erinnern, an meine Gefühle zu der Zeit, als ich mich nicht an Kira erinnern konnte, als die Erinnerungen wieder zurückkamen und mir schlagartig bewusst wurde, dass mein genialer Plan aufging, und schließlich an den Moment, als er in meine Armen zu Boden fiel und starb. Der perfekte Abschluss meines Problems, die perfekte Lösung. Aber ich konnte mich nicht an seinen Gesichtsausdruck erinnern, als ihm klar wurde... Warum nicht, scheiße, das ließ mich doch meinen Triumph erst so richtig auskosten, diese wilde Verzweiflung, diese Enttäuschung, dieses Erkennen... Ich wusste noch ganz genau, dass seine Augen fast schwarz und übernatürlich groß waren, dass seine Haut aschfahl im Computerlicht schimmerte, dass seine ebenholzschwarzen Haare in ebendiesem einen eigenartigen Blauton hatten. Ich wusste noch, dass er immer nur Süßes aß, wie er roch, wie er sich kleidete, wie er zu sitzen pflegte, verdammt, ich erinnerte mich sogar noch an seine Stimme! Schließlich war er für einige Zeit sowas wie der wichtigste Mensch auf der Welt für mich, der Mensch, der mich am meisten interessierte, der mir am ehesten das Wasser reichen konnte. Und für den ich sowas wie Freundschaft zu Zeiten meines nicht-Kira-Daseins zu entwickeln vermochte. Und jetzt konnte ich mich nicht mehr an diese feingeschnittenen geraden Gesichtszüge erinnern. Es nahm mich furchtbar mit. Ich konnte tagelang nicht schlafen. Irgendwann - ich wusste, dass meine Chance, etwas zu finden, fast gleich null war - stürzte ich mich auf die wenigen Sachen, die ich aus dem Kiraermittlungshauptquartier retten konnte, bevor er alles hatte löschen können: Ein paar Akten waren in der Kiste, voll von seiner und meiner feingestochenen, fast nicht zu unterscheidenden Schrift, ein paar Disketten mit Aktenkursen der Yotsuba-Gruppe, sogar ein Bonbonpapierchen (das ich kurz angestarrt habe, als ob es etwas Fremdes von einem fernen Planeten wäre, es dann gänzlich in meiner Faust verschwinden ließ und dann sorgsam in meine Hosentasche plazierte), und... Eine Kopie einer Aufnahme der Überwachungskameras. Ich hatte sie mir mal gezogen, um für die Zukunft schon mal zu üben, wie man trotz der nicht perfekten Qualität eines Überwachungsvideos doch trotzdem alles so genau erkennen konnte wie er es immer tat. Hastig stopfte ich die Kassette in unseren Kassettenrekorder (ich war schon immer etwas konservativ und hing an meinen Sachen), und mit zitternden Händen tastete ich nach der Fernbedienung. Ich wusste selbst nicht so genau, warum es mich so fertig machte, warum ich so unbedingt sein Gesicht sehen musste, denn das Triumphgefühl in meinen gesichtslosen Erinnerungen war zwar durch den fehlenden Ausdruck bei seinem Tod geschwächt, aber noch da. Und genug andere Motivationen besaß ich auch noch. Trotzdem zerdrückte ich fast das kleine schwarze Ding in meiner Hand, als ich den Start-Knopf betätigte. Und da waren wir. Ryuuzaki beugte sich gerade über meine Schulter, um auf meinen Bildschirm sehen zu können, in den gespreizten Fingern hielt er einen Lutscher. Ich konnte mich noch ganz genau erinnern, wie mich das Schmatzgeräusch auf die Palme brachte. Er betrachtete allerdings in keinster Weise den Bildschirm, wie zu dem Zeitpunkt von mir angenommen - er betrachtete mich, mich allein, ohne zu blinzeln, und Ryuuzaki lächelte, als ich im Bild ganz aufgeregt gestikulierend erklärte, wie die Aktienkurse verschiedener Firmen in Japan und die letzten Todesfälle zusammenhängen könnten. Und Ryuuzaki lächelte mich einfach an und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich starrte die Szene an, starrte sein Gesicht an, konnte nicht wegschauen, obwohl alles in mir schrie, dass der Schmerz aufhören müsse, dass ich mich doch gefälligst vom Bildschirm drehen solle, wegsehen solle, verdammt noch mal irgendwas ins Death Note schreiben solle, bloß nicht mehr das kindliche Gesicht betrachten, das mich so angelächelt hatte. Ich hatte früher das Lächeln nie wahrgenommen. Jetzt sah ich es ganz genau. Es war nur für mich, es hat es nur mir geschenkt, es war sein ganz spezieller Raito-kun-Ausdruck, wenn keiner aus dem Team dabei gewesen war. Ich zog meine Knie an, verschränkte meine Arme darauf und vergrub meinen Kopf in ihnen. ____________________ Und jetzt sitze ich hier. Auf meinem Platz. Selbst Ryuuku ist es schon leid, neben mir zu sitzen, er findet die Menschenwelt viel interessanter. Um mich herum sitzen meine "Kollegen" und spielen wie immer Karten und Glücksspiele. Aus Langeweile. Alle meckern, dass ich zu meinen Lebzeiten ein viel besserer Shinigami war als heute. Alles, was ich tue, schon seit Jahrhunderten, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, war, am Tor zum Jenseits zu sitzen, das genau gegenüber zum Tor der Menschenwelt liegt. Bloß, dass man das Tor zur Menschenwelt benutzen kann. Das zum Jenseits nicht. Und immer, immer sehe ich ihn durch das Tor in unserem alten Zimmer hocken, immer in derselben Position, die ich von ihm übernommen habe, um hier auf meinem Platz zu hocken, und beobachte ihn, starre ihn an. Andere Menschen lachen und sind glücklich in ihrem Leben danach. Ich habe L Lawliet seit der Videoaufnahme nicht ein einziges Mal mehr lächeln gesehen. Es zerreisst mir das Herz. A/N Disclaimer, Death Note gehört nicht mir, blabla. Hört euch zu diesem Kapitel "Breathe Easy" von Blue an, wenn ihr wollt. Tränen liefen mir beim Schreiben über die Wangen, zum allerersten Mal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)