Unter die Haut von abgemeldet (KakuzuxHidan, Multichapter-Alternative Universe) ================================================================================ Kapitel 3: Ach, sie suchen Streit? ---------------------------------- Hidan öffnete die Augen. Rings um ihn herrschte graues Dämmerlicht. Er schloss die Augen wieder, um sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Im Zimmer war es warm, aber nicht stickig. Offenbar lag er unter einer Decke auf einem Sofa. Von irgendwo her kam ein schwaches Ticken, vermutlich von einer Uhr. Einen Moment lang glaubte Hidan, allein im Raum zu sein. Aber als er sich aufsetzte und über die Rückenlehne des Sofas blickte, sah er den breiten Rücken seines Mitbewohners, der noch zu schlafen schien. Der Typ hatte einen ordentlichen Schlag drauf, daran erinnerte er sich von ihrer kleinen Meinungsverschiedenheit. Um den Namen wieder auf die Reihe zu bekommen, brauchte er etwas länger. Zwar hatte der Wachmann selbst ihn nicht erwähnt, aber der Blaue vom Parkplatz gestern hatte ihn Kakuzu genannt. Kakuzu also. Er bezweifelte, dass der Mann sich noch an seinen Namen erinnern konnte. Er würde sich bei Gelegenheit angemessen vorstellen. Jetzt aber hatte er erst einmal Hunger. Seit gestern Mittag hatte er nichts mehr gegessen. Er bemühte sich, leise zu sein, als er aufstand und einige frische Kleidungsstücke aus seiner Tasche zu holen, um sich anzuziehen. Dann verließ er den Raum auf leisen Sohlen. Das gegenüberliegende Zimmer schien die Küche zu sein. Der Kühlschrank offenbarte nur gähnende Leere, aber zum Glück hatte Hidan ja noch das Froschportemonnaie des Jungen von gestern. Er würde einfach die nächstbeste Bäckerei aufsuchen und Frühstück kaufen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Geld noch in seiner Hosentasche steckte, ging er zur Wohnungstür. Sie war verschlossen, aber der Schlüssel hing gleich daneben an einem Schlüsselbrett, ebenso wie der Schlüssel zum Treppenhaus. Hidan schloss die Tür auf und steckte beide Schlüssel ein. Auf dem Weg nach unten dachte er noch, dass er gerade eine der drei Grundregeln gebrochen hatte – nichts anfassen, ohne zu fragen. Na, egal. Gut gelaunt verließ Hidan das Haus und ging über den Parkplatz zur Straße. Der Himmel war dicht bewölkt, aber es schien trocken zu bleiben. Die Autos brummten auf den vollen Straßen. Berufsverkehr, also konnte es noch nicht sehr spät sein. Fußgänger bevölkerten die Wege, und einer konnte Hidan den Weg zu einer Bäckerei weisen. „Da vorne über die Ampel, links in die Straße einbiegen und dann einfach geradeaus, irgendwo auf der linken Straßenseite ist es. Die machen die besten Croissants der ganzen Stadt!“ , sagte der Mann mit einem freundlichen Lächeln. Tatsächlich fand Hidan den Weg ohne Probleme. In der Bäckerei war es angenehm warm und es roch nach Kaffee. Der Laden war relativ leer und eine junge Verkäuferin strahlte Hidan an. „Was darf es denn sein, der Herr?“ Hidan überlegte. Sollte er Kakuzu etwas mitbringen? Er entschied, dass er es verdient hätte. Immerhin verdankte Hidan ihm seine zweite Chance. „Zwei Kaffee, schwarz. Und vier Croissants. Zum Mitnehmen, bitte.“ Die Verkäuferin lächelte ihn an und drückte ihm eine Tüte mit Croissants in die Hand. „Ihr Kaffee kommt sofort.“ Abwartend sah sich Hidan im Laden um. Laut der Uhr an der Wand hinter dem Tresen war es kurz nach acht. Er schlief selten so lange. Und gut geschlafen hatte er auch. Wenn dieser Kakuzu sich mit der Situation abgefunden hatte, könnte sich das ganze zu einer angenehmen Zweckgemeinschaft entwickeln. Gut, die besten Freunde würden sie wohl nicht werden, aber das musste nun wirklich nicht sein. Obwohl Kakuzu interessant schien. Ein wenig verbohrt vielleicht, aber mit einer unterschwelligen Aggressivität und einem Temperament, das Hidan neugierig machte. Langeweile würde er mit diesem Hausherrn auf jeden Fall nicht befürchten müssen. Die Verkäuferin stellte zwei mit Plastikdeckeln verschlossene Pappbecher auf dem Tresen ab. Hidan zahlte und ging. Er mochte den Laden. Aber hoffentlich kaufte dieser Kakuzu trotzdem bald mal ein. Wo war der Witz an einer Wohnung, wenn man ständig auswärts aß? Als Hidan die Stufen des Treppenhauses hochstieg, keimte eine leise Unruhe in ihm auf. Sollte er hoffen, das Kakuzu noch schlief, oder das er wach war? Möglicherweise war es doch nicht das Klügste gewesen, gleich am ersten Tag so eigenmächtig zu handeln. Blieb nur zu hoffen, dass der Anblick von frischem Kaffee und Croissants ihm größere Konsequenzen ersparen würde. Der Mistkerl sollte sich nicht so anstellen, wenn er ihm schon was mitbrachte – schließlich machte er das hier nicht aus Spaß an der Freude. Ein leises Geräusch ließ Kakuzu aus dem Schlaf schrecken. Noch leicht benommen sah er sich im Raum um, konnte aber nichts entdecken, was das Geräusch verursacht haben konnte. Sein Blick streifte das Sofa.Und plötzlich fluteten die Erinnerungen der letzten Nacht in sein Gehirn zurück. Scheiße. Irgendein krimineller Penner schlief auf seinem Sofa. Kakuzu stand auf. Er wollte herausfinden, ob eventuell der Mann auf dem Sofa das Geräusch gemacht hatte. Also ging er hin und warf einen Blich über die Rückenlehne. Nur eine leere, verkrumpelte Decke. Das Kissen lag auf dem Boden. Vielleicht war er im Bad. Das Geräusch könnte die Badezimmertür gewesen sein. Normalerweise wäre das Geräusch zu leise, um jemanden zu wecken, aber Kakuzus an die Stille gewöhnte Ohren waren empfindlich. Kakuzu beschloss, abzuwarten. Er zog sich erstmal an und machte sein Bett. Als auch dann nichts von seinem Mitbewohner zu sehen war, ging er nachsehen. Aus dem Bad drang kein Laut. Auch nach Klopfen und Rufen kam keine Antwort. Kakuzu öffnete die Tür. Der Raum war leer. Wo steckte der verdammte Kerl? Mit einer dunklen Vorahnung eilte Kakuzu zur Haustür. Der Schlüssel für die Tür und für das Treppenhaus hingen nicht mehr an ihrem Platz. Was war er auch für ein Idiot, dass er die Schlüssel nicht sicher weggepackt hatte? Wütend trat er gegen die Wand. Es half nicht. Kochend vor Wut stampfte er ins Wohnzimmer. Was fiel diesem dreckigen kleinen Dieb ein? Er hatte seine Schlüssel geklaut! Was stellte er damit an? Würde er zurückkommen? Um sich davon abzuhalten, durch die Gegend zu tigern, setzte er sich mit fest verschränkten Armen auf das Bett und lehnte den Kopf gegen die Wand. Die Augen hielt er geschlossen, bereits spürend, wie er Kopfschmerzen bekam. Er wusste, es war ein Fehler gewesen. Natürlich machte so jemand Ärger. Was immer der Dieb mit den Schlüssen vorhatte, es war garantiert nichts Gutes. Allerdings verstand Kakuzu das Motiv hinter der ganzen Sache nicht. Dem Mann musste doch klar sein, dass er es sich jetzt endgültig verscherzt hatte. Warum machte er den Aufstand, sich bei ihm einzunisten und ihn zu erpressen, nur, um ihm die Schlüssel zu klauen? Sie nachmachen lassen und einbrechen? Hier gab es nichts zu holen, das müsste er doch gemerkt haben. Es ergab keinen Sinn: Dieser Typ ergab keinen Sinn. Allein sein Verhalten vom Vorhaben war voller Widersprüche gewesen. Ein religiöser Dieb ohne Manieren mit großer Klappe. Und fast schon beunruhigend direkt. Kakuzu erinnerte sich daran, wie er ihn zum schweigen bringen wollte. Er hatte ihn auf seine Entstelltheit angesprochen – das ließ normalerweise jeden verstummen. Aber diese kleine Ratte hatte sich nicht einschüchtern lassen. Vielmehr hatte sie es gewagt, ihm Minderwertigkeitskomplexe zu unterstellen. Diese unverschämte Art machte Kakuzu wütend. Und aus der gleichen Wut heraus hatte er dann auch zugeschlagen – und hier war der nächste Widerspruch. Erst prügelte der Mann sich todernst mit ihm, dann bekam er einen Lachanfall und machte ihm so was wie ein Kompliment. Nur würde sich den Kopf zerbrechen auch nichts bringen. Trotzdem beschäftigte ihn der Dieb gegen seinen Willen. Hah, er wusste noch nicht mal seinen Namen. Nur den Falschen, den er ihm bei ihrer ersten Begegnung abgerungen hatte. Hidan. Und er hatte schon gedacht, ihn nie mehr wiedersehen zu müssen. Da kam aus dem Flur plötzlich ein wohlbekanntes Geräusch: Das Klicken des Schlüssels. Sofort sprang Kakuzu auf und lief in den Flur. Gerade war sein Mitbewohner durch die Tür getreten und hängte die Schlüssel an das Brett zurück. „Du!“, stieß Kakuzu hervor. Hidan drehte den Kopf. „Oh, hey. Du bist wach.“ „Allerdings.“ „Ähm...Ich hab Frühstück geholt.“ „Was?“ Hidan hielt dem Hausherren seine Einkäufe hin. „Dein Kühlschrank war leer, da dachte ich, ich hol Frühstück für uns. Hoffentlich magst du Croissants.“ Perplex nahm Kakuzu die Sachen entgegen. Was sollte das jetzt schon wieder? Hatte er sich all seine Sorgen umsonst gemacht? Der ganze Aufriss für Frühstück. Das verdammt gut roch. Offenbar war das Kaffee in den Bechern. Apropos Kaffee: Er hatte ja noch gar keine neue Maschine gekauft. Kakuzu ging ins Wohnzimmer und stellte das essen auf dem Couchtisch ab. Dann öffnete er die Tür zu seinem winzigen Balkon, der eher den Weg zur Feuertreppe darstellte. Aber jetzt brauchte Kakuzu frische Luft, um seinen Kopf frei zu kriegen. Scheinbar bekam er langsam Paranoia. Natürlich war die Aktion ganz harmlos gewesen. Alles Andere hätte für den Dieb einen Schuss ins eigene Bein bedeutet. Nachdenklich holte sich Kakuzu seinen Kaffee und ein Croissant und stellte sich auf den Balkon. Es schien, als würde das Wetter aufklaren. In der Wolkendecke klafften schon einige Löcher, durch die das Blau des Himmels schimmerte. Ein leichter Wind wehte. Kakuzu trat an das Geländer. Hinter ihm kam Hidan auf den Balkon, ebenfalls sein Frühstück in den Händen.. „Was dagegen, wenn ich mich dazustelle?“, fragte er. Kakuzu antwortete nicht. Hidan stellte sich neben ihn. „Ich hab´ mich gar nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Hidan.“ Er streckte ihm die Hand entgegen. Kakuzu nahm sie nicht. „Glaubst du, ich bin ein Idiot? Das ist der gleiche falsche Name, den du mir beim ersten Mal gesagt hast.“ Hidan ließ die Hand sinken. „So heiße ich. Es ist kein falscher Name. War es nie.“ Belustigt warf ihm Kakuzu einen Blick zu. „Dann bist du dümmer als ich gedacht hatte.“ „...Hidan.“, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. „Dumm? Ich bin grundehrlich.“, sagte derselbige mit Unschuldsmiene. Er setzte sich auf das hüfthohe Tor, das den Zugang zur Feuertreppe versperrte, und trank einen Schluck. Kakuzu fragte sich, woher der Mann die Unbeschwertheit zum Scherzen nahm. Hungrig wie er war, hatte Hidan seine Croissants im Handumdrehen verschlungen. Noch an seinem Kaffee nippend fragte er: „Stört es dich, wenn ich rauche?“ „Solange es nicht Kette ist, nein.“ „Kette kann ich mir gar nicht leisten.“ Auch wieder wahr. Während sich Hidan seine Zigarette ansteckte, überlegte Kakuzu, wo wohl das Geld für das Frühstück her war. Da der Dieb wohl kaum über ein gut gefülltes Bankkonto verfügte, war es vermutlich gestohlen. Kakuzu aß sein Croissant auf . Es war Zeit, diesem Hidan zu zeigen, mit wem er sich angelegt hatte. Der sollte bloß nicht glauben, dass er ihm für ein Frühstück alles vergaß. „Bist du eigentlich bescheuert, dass du so lebst? Hidan sah überrascht auf. „Was meinst du?“, fragte er stirnrunzelnd. „Das hier.“ Kakuzu hielt ihm seinen Kaffeebecher unter die Nase. „Was musst du für ein Idiot sein, dass du in so eine Situation geraten bist? Von Tag zu Tag leben, ohne Geld, ohne Sicherheit...“ „Eben das ändere ich ja gerade.“, unterbrach ihn Hidan ärgerlich. Kakuzu sah ihn herablassend an. „Dumm, dass du es überhaupt soweit kommen lassen hast.“ „Ich bin also dumm? Na, das beruhigt mich. Wenigstens bin ich kein frustrierter, langweiliger Spießer, der unzufrieden mit seinem Leben ist, aber zu feige, um was dran zu ändern.“ Du bist viel zu offensichtlich, Großer, dachte Hidan. Das Gerede sollte klar eine Provokation darstellen. Aber dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen. Während sich Kakuzu drohend vor ihm aufbaute, fuhr Hidan grinsend fort: „Wohl einfach zu lange nicht mehr gefickt, wie?“ Das war scheinbar eine Stichelei zu viel. Mit einem wütenden „Was erlaubst du dir?“ versetzte Kakuzu Hidan einen Stoß. Dummerweise saß der immer noch auf dem Gitter zur Feuertreppe. In der linken Hand hatte er seinen Becher, in der anderen die Zigarette, weshalb er sich nicht rechtzeitig festhalten konnte. So kippte er mit erschrockenem Gesichtsausdruck rücklings vom Tor, kam mit einem lauten Krachen auf den Stufen auf und überschlug sich. Becher und Kippe flogen ihm aus der Hand, während er lautstark die Treppe herunter polterte. Zu seinem Glück war die Treppe in Absätze unterteilt, sodass er schließlich mit dem Rücken gegen das Geländer prallte und auf einem Absatz liegen blieb. Nach dem Lärm wog die plötzliche Stille doppelt schwer. Erstarrt blickte Kakuzu nach unten. Scheiße. Hoffentlich hatte er ihn nicht umgebracht. Eine Leiche im Keller – beziehungsweise auf der Feuertreppe – fehlte ihm gerade noch. Da vernahm er ein leises Stöhnen. Unsicher, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte, stieg Kakuzu über das Tor und ging auf den sich jetzt langsam regenden Mann zu. Zwei Stufen über dem Absatz blieb er stehen und sah mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu auf das Bild hinab, das sich ihm bot. Hidan hatte es geschafft, sich aufzurichten und den Rücken gegen das Geländer zu lehnen.. Mit dem linken Arm hielt er sich die Brust, mit der rechten Hand war er gerade dabei, etwas unter seinem Shirt hervorzuholen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er Schmerzen, aber er hörte nicht auf, bis er es schließlich schaffte, seine Kette herauszuziehen. Sofort entspannte er sich, führte den Anhänger zum Mund, küsste ihn und lächelte dann selig. Seine Lippen formten Worte, die Kakuzu nicht hören konnte. Er stand nur still und starrte. Was tat der Verrückte da? Für sein letztes Gebet sah er zu lebendig aus. Dankte er seinem Gott, dass er überlebt hatte? Schließlich schien Hidan ihn zu bemerken. Seine Miene verfinsterte sich. „Du Affe. Das war jetzt wirklich nicht nötig, Arschloch.“ Der Bann war gebrochen. Kakuzu stieg die letzten Stufen hinunter und kniete sich neben den Verletzten. Der sah ihn misstrauisch an. „Komm mir nicht zu nahe. Wenn du so was nochmal bringst, verklag ich dich.“ Für jemanden, der gerade brutal eine Treppe heruntergeschubst worden war und offensichtlich Schmerzen hatte, klang er reichlich unbeeindruckt. Und definitiv zu versöhnlich der Person gegenüber, die ihm das angetan hatte. Vielleicht hatte er sich den Kopf angestoßen. Auf jeden Fall musste er Hidan erstmal wegbringen, bevor ihn irgendwer hier liegen sah. „Wo hast du Schmerzen?“, fragte Kakuzu sicherheitshalber. „Überall.“ „Wo genau, du Schwachkopf.“ „Ich glaube, du solltest etwas netter zu mir sein, wo du mich gerade fast umgebracht hast.“ „Und ich glaube, du solltest mir sagen, wo du Schmerzen hast, weil ich dich sonst hier verrecken lasse.“ Innerlich schüttelte Kakuzu den Kopf. Musste der Typ ständig Widerworte geben? Zumindest schien er es jetzt einzusehen. „Wirklich weh tut nur meine rechte Hand und die rechte Seite meiner Brust. Oh, und mein Schädel brummt.“ „Sonst nichts? Keine Schmerzen im Bauch? Spannungsgefühl? Schwindel?“ „...Nein.“ Kakuzu nickte zufrieden. Gut. „Dann können wir nur hoffen, dass du keine inneren Blutungen hast.“ Das machte es ungefährlicher, den Verletzten zu bewegen. Wenn auch später keine Symptome auftraten, blieb ihnen vielleicht auch ein Besuch im Krankenhaus erspart. „Kannst du aufstehen?“ „Meine Beine sind in Ordnung. Aber du müsstest mir aufhelfen.“ Hidan wunderte sich über die ruhige Professionalität, mit der Kakuzu an die Sache heran ging, obwohl er die Verletzungen verursacht hatte. Keine Spur von Unsicherheit, keine Panik, keine übereilten Schritte. Als wäre er ständig in solchen Situationen. Auch wie er ihn jetzt stützte und ihm die Treppe hoch half wirkte wie tausendmal geübt. Am Tor zum Balkon zögerte Kakuzu. Das Tor war nach wie vor verschlossen. Zwar könnte er es mit dem Schlüssel zum Treppenhaus öffnen, aber dazu müsste er Hidan, der immer noch reichlich wackelig auf den Beinen war, hier stehen lassen. Kurzerhand stieg er auf die andere Seite, murmelte „Festhalten.“ und im nächsten Moment hatte er Hidan hoch- und über das Tor gehoben, darauf bedacht, nicht an seine verletzte Seite zu kommen. Er stellte den überraschten Verletzten rasch wieder ab und half ihm ins Wohnzimmer und auf die Couch. Mit einem „Rühr´ dich nicht von der Stelle“ verschwand er durch den Flur im Bad. Dort spritzte er sich erstmal etwas kaltes Wasser ins Gesicht und atmete tief durch. Körper und Gehirn schalteten auf Autopilot, drängten seinen Ärger zurück. Es wurde gleichgültig, wer der Verletzte war und dass er selbst ihn verletzt hatte. Kakuzu war ganz professionelle Effizienz. Er nahm den Erste-Hilfe-Kasten aus dem Schrank an der Wand und ging zurück ins Wohnzimmer. Hidan saß still da. Er rührte sich auch nicht, als sein Shirt hochgeschoben wurde und Kakuzu seinen Oberkörper betastete. Er bewegte sein Handgelenk nach Kakuzu´s Anweisungen und ließ sich einen Verband mit Armschlinge anlegen. Erst als Kakuzu ihm mitteilte, er habe sich wohl zwei Rippen geprellt, das Handgelenk verstaucht und eine leichte Gehirnerschütterung, platzte es aus ihm heraus: „Woher weißt du das? Jeder kann so was vermuten, aber du klingst, als ob du es wüsstest! Erst bringst du mich halb um und dann das? Woher kannst du diesen ganzen Kram?“ Er sah so entgeistert aus, dass Kakuzu fast gelacht hätte. „Man glaubt es kaum, aber Nachtwächter in einem Hotel war nicht immer mein Traumjob. Ich war mal Notarzt.“ „Warum der Berufswechsel?“ Hidan lehnte sich neugierig vor. Kakuzu stand etwas unschlüssig vor der Couch. Eigentlich wollte er nichts erzählen. Andererseits würde Hidan ihn dann wahrscheinlich solange nerven, bis er doch aufgab. „Der Job war weder so gut bezahlt noch so sicher wie ich dachte.“ Er zuckte mit den Achseln. „Und so was wie Leidenschaft für deinen Beruf hat dich nicht vom Wechseln abgehalten?“ „Ein Job ist ein Job. Ich bin nicht Arzt geworden um `Menschen zu helfen´ oder irgend so eine rührselige Kacke. Ich konnte Medizin, also hab ich´s studiert und bin Arzt geworden. Das Helfen ist mehr so ein Reflex – du weißt, was du tun musst, also machst du es. Wie wenn was umfällt und du es aufhebst.“ „Ich bin also umgefallen und du hast mich wieder aufgehoben? Na danke.“, sagte Hidan gespielt beleidigt. Er hatte nicht erwartet, dass Kakuzu ihm aus Sympathie geholfen hatte. Spielerisch boxte er ihm vor´s Bein. „Und wie lange dauert es, bis ich armes umgefallenes Ding wieder ganz heile bin?“ „Genau kann ich das auch nicht sagen. Deine Rippen kommen schon wieder klar, wenn du nicht zu viel rumzappelst. Das Handgelenk könnte länger dauern.“ „Na geil. Wie soll ich da arbeiten?“ Oh Scheiße. Großartig, dachte Kakuzu. Da hatte er sich wirklich selbst ans Bein gepisst. Das er sein Temperament aber auch so verdammt schlecht unter Kontrolle hatte... Hidan sah ihn verlegen an. „Dann hast du mich wohl länger an der Backe als ich dachte. Aber hey, meine Schuld ist es nicht.“ Die nächsten Stunden verbrachte Hidan damit, die Stellenangebote aller auffindbaren Zeitungen nach Jobs in der Nähe zu durchsuchen. Als er gegen frühen Nachmittag immer noch nicht fündig geworden war, gab er entnervt auf. Wenn man seinem Magen Glauben schenkte, war es längst Essenszeit. Da der Kühlschrank leer war, hieß das: höchste Zeit, einkaufen zu gehen. Hidan ging in die Küche, um Kakuzu, der sich schon vor einiger Zeit dorthin zurückgezogen hatte, seinen Vorschlag zu unterbreiten. Er fand ihn am Küchentisch sitzend, wie er auf einen Punkt auf der Arbeitsfläche starrte. Um sich bemerkbar zu machen, klopfte Hidan gegen den Türrahmen. Kakuzu fragte ohne aufzusehen: „Was willst du?“ „Wir sollten einkaufen gehen. Fahren, falls der Supermarkt weit weg ist.“ „Und warum?“ „Erstens ist dein Kühlschrank leer und zweitens will ich mehr Zeitungen kaufen. Wegen der Stellenangebote.“ „Warum sollte ich dich mitnehmen?“ „Willst du mich lieber ganz allein in deiner Wohnung lassen?“ Hidan lächelte zuckersüß. „Na gut.“ Unwillig erhob sich Kakuzu und ging an Hidan vorbei ins Wohnzimmer, während sich Hidan an der Haustür postierte. Als Kakuzu zurück kam, trug er ein Kapuzenshirt. Aber er hätte genau so gut eine Skimaske tragen können, denn an der Kapuze war ein Mundschutz angebracht, der beinahe das gesamte Gesicht verdeckte. „Mann, du siehst aus wie Kenny von South Park.“, begrüßte ihn Hidan. Er legte den Kopf schief. „Oder wie ein Bankräuber.“ Kakuzu ging wortlos zur Tür. Wenig später standen die Beiden vor einem Supermarkt. An einem Freitagnachmittag lief der Laden natürlich fast über mit Menschen, die ihre Wochenendeinkäufe erledigten. Dementsprechend voll war es, als die Männer den Laden betraten. Menschenmengen gehörten nicht zu Kakuzus Lieblingsphänomenen, und er verfluchte Hidan dafür, ihn hergeschleppt zu haben. Allein hätte er es vielleicht geschafft, unterzutauchen und schnell das Nötigste zu besorgen. Aber mit Hidan an seiner Seite... Nicht nur, dass er einen auffälligen Verband trug, er schien auch keine Gelegenheit auszulassen, Leute anzurempeln oder sie zu beschimpfen, wenn sie ihn anrempelten. Bald folgten ihnen zahlreiche Blicke durch das Geschäft. In Kakuzu kochte es schon wieder. Hidan, das Gedränge, das Gestarre, alles machte ihn furchtbar aggressiv. Als Hidan schon wieder jemanden anpöbelte, packte er ihn am Kragen und zog ihn in einen weniger belebten Gang. Offenbar den für Nudelgerichte, wie Hidan feststellte, als er grob gegen ein Pastaregal geschubst wurde. „Hey!“, beschwerte er sich, „Ich bin schon Invalide! Wenn du dich prügeln willst, warte wenigstens, bis ich wieder gesund bin!“ Unwillig ließ Kakuzu ihn los. „Dann hör auf, den ganzen Laden auf uns aufmerksam zu machen. Falls du es nicht bemerkt hast: Die Hälfte der Leute starrt uns an!“ Hidan blieb unbeeindruckt. „Na und? Außerdem liegt das weniger an mir als daran, dass du aussiehst, als würdest du gleich die Kasse leer räumen. Nimm endlich die dämliche Kapuze ab.“ „Und du glaubst, ohne Kapuze starren die weniger?“ Ungläubig sah Hidan ihn an. Er schüttelte den Kopf. „Du bist ja schlimmer als die Schwulen und die Schwarzen zusammen.“ Seine Stimme klang, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Was meinst du damit?“ „Weil Schwule und Schwarze früher diskriminiert werden, denken, sie sie wären heute immer noch benachteiligt. Darum veranstalten sie Black- beziehungsweise Gay-Proud-Paraden und diesen ganzen Mist. Damit, dass sie ständig Angst vor Diskriminierung haben, diskriminieren sie sich selber.“ „Inwiefern hat das mit mir zu tun?“, fragte Kakuzu, der keine Lust hatte, sich von einem Dieb belehren zu lassen. „Du trägst eine Kapuze, weil du erwartest, dass du schief angeguckt wirst. Dabei ist das dein Problem. Wenn dein Gesicht den Leuten nicht passt, dann haben sie Pech gehabt. Oder bist du so ne kleine Pussy, die losheult, wenn sie schief angeguckt wird?! Hidan klang fast wütend, auch wenn Kakuzu keine Ahnung hatte, warum. Im Moment fiel ihm auch keine schlagfertige Erwiderung ein. „Die Kapuze bleibt auf. Und jetzt beeil´ dich, ich will vor meiner Schicht heute Abend noch ein paar Stunden pennen.“ Auf dem Rückweg zu Kakuzus Wohnung schwiegen die Beiden. Kakuzu hielt zwischendurch noch beim Elektronikladen um eine Kaffeemaschine zu kaufen, ansonsten verlief die Fahrt ereignislos. Zurück in der Wohnung schlug der Hausherr Hidans Angebot aus, beim Verstauen der Einkäufe zu helfen und verbannte den Verletzten zu Ruhe auf dem Sofa. Er selbst aß noch eine Kleinigkeit, dann stellte er sich den Wecker und legte sich schlafen. Als tiefe, gleichmäßige Atemzüge zu vernehmen waren, verzog Hidan sich in die Küche. Was für ein Tag. Seine Verletzungen schmerzten noch immer unverändert, aber er war längst nicht so wütend, wie man hätte erwarten können. Schließlich hatte er die Schmerzen weihen können – so eine Gelegenheit ergab sich nicht alle Tage. Sich selber ernste Verletzungen zuzufügen, ohne sich dabei umzubringen, war kein Kinderspiel. Und für seinen Lord zu leiden war ihm Pflicht wie Vergnügen. Vermutlich wäre Kakuzu sehr ungehalten, wenn er erführe, dass er ihm half, seinem Gott zu dienen. Oder es wäre ihm vollkommen egal. Ziemlich undurchschaubar, der Mann. Aber zumindest schien Hidan den Grund für Kakuzus nicht ganz so unterdrückten Aggressionen herausgefunden zu haben. Offenbar hatte Kakuzu sich so auf seine Andersartigkeit fixiert, dass er irgendwann nicht mehr zur Gesellschaft gehörte. Oder vielleicht hatte er nie dazugehört und nahm die Narben als Vorwand, um sich noch weiter abzukapseln. Schade drum. Es interessierte Hidan, bei was für einem Menschen er eigentlich lebte. Und es ärgerte ihn, dass er es nicht erfahren würde, weil der Typ sich nicht in die freie Wildbahn begeben wollte. Sollte das Wochenende über kein Kumpel, Freund oder Bekannter anrufen, würde er seinen Mitbewohner wohl resozialisieren müssen. Ein Verbrecher, der einen braven Bürger wieder in die Gesellschaft eingliederte... Das nannte sich dann wohl Ironie des Schicksals. Aber das hatte Zeit. Jetzt würde er sich erstmal seinen knurrenden Magen füllen. Als Kakuzu einige Stunden später im Sicherheitsbüro auf seinem Drehstuhl saß, schwirrte ihm der Kopf. Obwohl es Schwachsinn war, sich über Hidans Gerede Gedanken zu machen, ging es ihm nicht mehr aus dem Kopf. „Feiger Spießer“ „Laange nicht gefickt“ „Langweilige Pussy“, alles nur unsinnige Beleidigungen. Er versteckte sich nicht wegen seiner Narben. Er war nicht frustriert. Weder sexuell noch sonst wie. Er hatte einfach beschlossen, dass er all das nicht brauchte. Andere Menschen brachten nur Probleme mit ihrer Irrationalität. Hidan selbst war das beste Beispiel. Er kapselte sich ab, weil er es so wollte, nicht, weil er zu feige war sich mit den Menschen auseinander zu setzen. Oder? Verdammt, was sollten die Zweifel? Er hatte seinen Weg im Leben gefunden. Er wollte keine Veränderung, keine Zweifel. Kakuzu zwang sich, seine Konzentration den leuchtenden Monitoren zuzuwenden und in seinem Kopf die Bilder der Fahndungsplakate mit den dazugehörigen Namen und der Belohnung für die Ergreifung durchzugehen. So schaffte er es, den Kopf frei zu kriegen, bis seine Schicht endete. Zurück in seiner Wohnung schien etwas anders zu sein. Erst konnte er den Grund nicht ausmachen. Beim Betreten des Wohnzimmers fiel sein Blick auf das Sofa, auf dem Hidan schlief. Er lag auf dem Rücken, wohl um seine Verletzungen zu schonen. Die Decke raschelte, als der Schlafende mit der gesunden Hand darüber fuhr. Er atmete leise. Da wurde Kakuzu bewusst, was sich verändert hatte: Es war nicht mehr still. Zum ersten Mal seit Jahren grüßte ihn etwas Anderes als vollkommene Stille in seiner Wohnung. Es war ungewohnt. Es war seltsam. Es war nicht unangenehm. Unschlüssig stand Kakuzu im Raum. Schließlich ging er zu seinem Bett, zog sich aus und legte sich hin. Er würde Hidan schon beweisen, dass er kein frustrierter Spießer war. Das er mit Menschen umgehen konnte, wenn er wollte. Durch sein Vorhaben endlich beruhigt schlief er bald darauf ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)