Das Auge des Ra (J&S) von moonlily ("Wüstensand") ================================================================================ Kapitel 9: Bittersüße Liebe --------------------------- Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=ouf43phC-kI&feature=related Promise http://www.youtube.com/watch?v=c1X_-Fj8dcM&feature=channel_page Yugioh Duel Sound 4 – Ancient Egypt Kapitel 9 Bittersüße Liebe Jono blinzelte verschlafen und tastete mit der Hand nach Seth. Doch da, wo er liegen sollte, fühlte er nur den noch leicht warmen Stoff des Bettlakens. Jono öffnete die Augen vollends und sah sich in seinem Schlafzimmer um. Seth war verschwunden und seine Kleider, die sich gestern über den Boden verstreut hatten, mit ihm. Er schlüpfte aus dem Bett und warf sich einen Umhang über, ehe er das Zimmer verließ. Auch im Wohnzimmer war nichts von dem Priester zu sehen. Alles wirkte, als sei er nie hier gewesen. Aber er wusste, dass es dieses Mal nicht nur ein schöner Traum gewesen war. Seth hatte sich ihm bereitwillig hingegeben. „Guten Morgen, Euer Hoheit.“ Jono drehte sich zu Marik um. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht.“ Das vielsagende Grinsen auf dem Gesicht des Dieners trieb Jono eine leichte Schamesröte auf die Wangen. „Hast du etwa –“ „Hapi und ich waren hier, als Ihr kamt. Zu Eurem Glück, möchte ich zu sagen wagen, da Fürst Zidanta kurz darauf geruhte, Euch einen Besuch abzustatten. Ich habe Euch mit einer Krankheit entschuldigt.“ „Danke, Marik. Aber hast du ... hast du Seth gesehen?“ „Ja, heute in aller Frühe. Hapi und ich waren über unserer letzten Partie Senet eingeschlafen. Er hat sich Hapi geschnappt und ist aus Euren Gemächern gehetzt, als sei eine ganze Dämonenarmee hinter ihm her.“ „Hat er nichts gesagt?“, drängte Jono. „Nur, dass er sich nicht länger hier aufhalten dürfe und dass er dafür sorgen würde, dass Hapi und ich als Futter der heiligen Krokodile enden, wenn wir auch nur ein Wort verraten.“ „Das sieht ihm ähnlich“, lächelte Jono. „Besorg mir bitte was zum Frühstück und dann hilf mir beim Bad, ich möchte so schnell wie möglich zu ihm.“ „Muss junge Liebe schön sein“, lachte Marik und duckte sich unter dem Kissen weg, das Jono ihm nachwarf. Aber warum hatte er es nur so eilig?, überlegte er und setzte sich auf einen der mit Schnitzereien verzierten Stühle. Wie schade ... er hätte Seth gern noch einmal schlafend gesehen, so wie damals im Zelt. Er hatte ganz anders gewirkt als tagsüber. Ruhig. Entspannt. Ledig der vielen Sorgen, mit denen er sich am Tag als Hohepriester herumplagen musste. Jono konnte sich keinen rechten Reim auf Seths Verhalten machen. Ob er am Ende bereute, was sie getan hatten? Es war den Mitgliedern der Priesterschaft von Kemet nicht verboten, sich einen Gefährten oder eine Gefährtin zu nehmen, viele von ihnen waren verheiratet. Dennoch wurde es allgemein lieber gesehen, wenn sie ihre Hingabe ausschließlich der Gottheit zuwandten, der sie dienten. Oder ob er das mit ihnen geheim halten wollte? Es kamen so viele Dinge in Frage, die zu seinem frühen Aufbruch geführt haben konnten. Marik hatte heute seine liebe Not damit, Jono lange genug ruhig zu halten, damit er ihm in die Kleider helfen und ihm die Haare frisieren konnte, die sich wie meistens als störrisch erwiesen. Kaum hatte er es geschafft, sie mit dem Band zu bändigen, war Jono mit einem „Danke, bis später, Marik!“ an ihm vorbei und aus seinem Zimmer verschwunden. Der Ägypter machte sich daran, die Parfüm- und Salbentöpfe zusammenzuräumen. Und wir hatten am Anfang Angst, Jono würde das mit seiner Rolle nicht hinkriegen. Dabei ist er Kail so viel ähnlicher, als er selbst weiß. Auf seinen Lippen erschien ein erinnerungsseliges Lächeln. Ein knappes Jahr mochte es her sein, da hatte der Prinz sich fast genauso überdreht verhalten, wie Jono es heute tat und der Grund dafür hatte auf den Namen Hintis gehört. Sie war eine junge, ehrgeizige Tänzerin im Palast von Kails Vater gewesen und hatte dem Prinzen schon bei ihrer ersten Begegnung, als sie auf einem Fest Muwatallis auftrat, gehörig den Kopf verdreht. Da Marik vor den Gemächern seines Herrn so manches Mal hatte Wache halten müssen, hatte er einiges von dem mitbekommen, was Kail und Hintis dort des Nachts getrieben hatten. Der Großkönig war förmlich explodiert, als er von der unstandesgemäßen Liaison seines Sohnes erfuhr. Zu allem Übel war sie nicht frei von Folgen geblieben. Ein Kind von einer Tänzerin ... Ein Bastard und dazu noch mit Ansprüchen auf den Thron, da seine anderen Söhne bisher keine Kinder gezeugt hatten. In seiner Verzweiflung hatte sich der König in Verkleidung eines einfachen Mannes an eine Kräuterfrau gewandt und sich bei ihr ein Pulver besorgt. Marik hatte ihn gesehen, als er den Palast verlassen hatte. Zwei Tage darauf war Hintis mit Bauchkrämpfen zusammengebrochen und hatte das Ungeborene verloren. Muwatalli hatte sie mit dem nächsten Sklavenschiff in den Süden geschickt. Nur wenige, darunter Marik, wussten, dass sich das Paar wirklich geliebt hatte, dass Hintis Kail nicht wegen seiner Stellung hatte ausnutzen wollen, wie man ihr vorgeworfen hatte. Für Kail war mit ihrem Verschwinden eine Welt zusammengebrochen und er hatte in einem leichten Leben, umgeben von Frauen, Wein und Spiel, Vergessen gesucht. Marik hoffte, dass es Jono und Seth anders erging. Wenigstens für die Zeit, die ihr Aufenthalt in Kemet dauerte. Jono nahm sich nur kurz die Zeit, bei Seth zu klopfen. Ohne das „Herein“ abzuwarten, trat er ein. Hapi sah überrascht vom Schreibtisch auf, den er gerade ordnete. „Oh, guten Morgen, Euer Hoheit.“ „Ja, dir auch. Ist Seth nicht hier?“ „Meister Seth wurde heute früh in den Tempel gerufen. Er ist schon vor einer ganzen Weile aufgebrochen.“ „Ach so“, sagte Jono und senkte betrübt den Kopf. „Dann ist er also gar nicht da. Wann wird er denn zurückerwartet?“ „Das konnte er nicht sagen, aber wenn es mit den Vorbereitungen für das Fest zusammenhängt, das der Pharao übermorgen geben will, kann es dauern. Meister Seth ist etwas ... perfektionistisch veranlagt, wenn es darum geht. Es ist möglich, dass er heute Mittag zurück ist, doch es kann auch Abend werden.“ Jetzt sah Jono erst recht niedergeschlagen aus. Abend? Er wollte Seth jetzt fragen, was er sich bei seiner frühmorgendlichen Flucht gedacht hatte, nicht erst heute Abend. Als er auf dem Rückweg in seine Gemächer um eine Ecke bog, traf er auf Sennefer, der zwei Mädchen anfauchte, weil sie sich unterhalten hatten, statt zu arbeiten. „Ah, genau der Mann, den ich gesucht habe“, sagte Jono und winkte dem Aufseher, damit er aufstehen konnte. „Lasst mein Pferd satteln, ich möchte ausreiten.“ „Wie Eure Hoheit wünschen. Ich werde den Wachen Bescheid geben, dass sie eine Eskorte für Euch zusammenstellen.“ „Aber das ist doch gar nicht nötig“, wandte Jono ein. „Verzeiht, doch seit kurzem treibt ein sehr dreister Straßenräuber sein Unwesen in Men-nefer und Seine Majestät wäre um Eure Sicherheit besorgt, wenn Ihr den Palast allein verlassen würdet.“ Dreister Straßenräuber? Wenn das nicht dieser Kura ist, fress ich ein Bündel Papyrusstauden. „Na schön, wenn das so ist ... Dann habe ich nichts gegen ihre Begleitung.“ Jono seufzte leise. Sein schöner Plan, Seth heimlich aufzusuchen, war zunichte gemacht. Mit einem Trupp Soldaten an den Hacken würde er wohl kaum unauffällig durch die Straßen kommen. Dann blieb ihm nur zu hoffen, dass der Priester dieses Mal nicht die Flucht vorzog und ihm gleich Rede und Antwort stand. „Also, dann machen wir es doch so, dass erst die Sänger mit der Hymne an Ptah kommen und danach die Vorführung der Artisten“, sagte Seth. Er stand im Hof der Erneuerung, dem dritten der fünf Vorhöfe des Tempels des Amun-Ra, wo die Proben für die Feier im vollen Gange waren. Ein älterer Priester saß neben ihm und hielt die Wünsche des Hohepriesters mit schnellen Strichen auf dem Papyrusbogen fest, den er auf seinen Knien liegen hatte. „Ich hatte diese Reihenfolge gleich favorisiert, aber es gibt ja immer Menschen, die alles besser wissen müssen!“, fuhr der Hohepriester fort. Am Eingang zum Vierten Tor setzte sich unter den Schlägen einer Trommel eine lange Schlange von Priestern in Bewegung, immer zwei gingen nebeneinander. Die linke Reihe trug in der rechten Hand eine Fackel, die rechte Reihe in der linken Hand. Noch brannten sie nicht, doch in zwei Tagen sollten sie den Festsaal erhellen. Die Männer schritten bis zur Mitte des Platzes, teilten sich dort zu den Seiten auf und schlängelten sich durch eine Reihe von Säulen. „Halt, halt“, rief Seth, als die Prozession wieder am Ausgangspunkt angelangte und sich zusammenfügen sollte. Ein Teil war erst bis zur vorletzten Säule vorgerückt, zwei junge Priester waren viel zu weit vorgegangen ... Was ein ordentlicher Zug sein sollte, war ein einziges Durcheinander. „Fangt noch einmal von vorne an und Ihr beiden“, er sah die zwei Eiligen an, „geht langsamer, das hier ist kein Wettrennen.“ Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er den beiden das in der letzten halben Stunde gesagt hatte. Dabei war die Choreografie, die er sich ausgedacht hatte, nun wirklich nicht so schwer, dass man sie sich nicht merken konnte. Trotzdem tanzte immer wieder jemand aus der Reihe. Heute wollte nichts so laufen, wie Seth es sich vorstellte. Er konnte sich nicht daran erinnern, je zuvor über solch große Probleme bei den Proben gestolpert zu sein. Der Solosänger vergaß mitten im Lied seinen Text, wegen Hintis, die aufgrund versuchten Mordes vorgestern hingerichtet worden war, fehlte eine Tänzerin, womit sein wohl durchdachtes Programm ohnehin auf den Kopf gestellt worden war, da er sie mit einem Einzelauftritt eingeplant hatte, der nun wegfiel. Die Prozession der Priester musste ständig von vorne begonnen werden, die Gänse, die über den Hof liefen, schnatterten wie wild ... Augenblick, was hatte eine Schar Gänse in seinem Hof verloren? Irritiert wandte sich seine Aufmerksamkeit dem weiß gefiederten Geflügel zu, das, mit den Flügeln schlagend, kreuz und quer über den Hof lief. Moses, ein kleiner Waisenjunge, der auf dem Tempelgelände lebte und sich um die Tiere kümmerte, rannte ihnen mit der Gerte hinterher und versuchte sie wieder einzufangen. Die Gänse dachten allerdings nicht daran, in ihren Stall zurückzukehren, änderten ihre Richtung und hielten nun auf die Priester zu. Hunefer, ein älterer Priester, dessen dunkle Haare sich allmählich zu würdigem Grau färbten, stieß einen erschrockenen Schrei aus, ließ die Fackel fallen und brach aus der Reihe aus. „Halt, Hunefer“, rief Seth, „wo wollt Ihr denn hin?“ Der Mann lief mit einem gehetzten Gesichtsausdruck an ihm vorbei, mehrere Gänse waren ihm dicht auf den Fersen. „Das ist die falsche –“ Noch im Laufen raffte der Priester seine Gewänder und sprang unter lautem Platschen in den heiligen See. „– Richtung“, beendete Seth seinen Satz. „Tse, was ist denn nur in ihn gefahren?“ „Hunefer hat Angst vor Gänsen, Meister Seth, wusstet Ihr das nicht“, sagte der Schreiber. „Ehrlich gesagt wusste ich das nicht. Moses, schaff mir dieses Viehzeug aus den Augen, aber schnell!“ Hunefers Flucht und die Gänse sorgten für ein heilloses Durcheinander. In dem Gewühl aus Federn und Menschenbeinen löste sich die Prozession auf, eine der Tänzerinnen wurde ins Bein gezwickt und erschreckte dadurch ihre Kolleginnen. Schalen mit Blütenblättern wurden umgeworfen, ein Akrobat, der Kopfstand übte, fiel vornüber, aufgeregte Stimmen schwirrten durcheinander. „Bei Amun, womit habe ich das nur verdient“, murmelte Seth und strich mit den Fingerspitzen über seine Stirn. Derzeitig schien ihm alles zu entgleiten. „Hallo, Seth! Na, wie laufen die Vorbereitungen, sind alle schön fleißig am Üben?“ Das darf nicht wahr sein! Was macht er denn hier? Jono kam, die Hand zum Gruß erhoben, gemütlich über den Zweiten Vorhof geschlendert. Ihm folgten mehrere Männer der Palastwache. Die Sonne stand in seinem Rücken und ließ seine Konturen durch den safrangelb gefärbten Stoff scheinen. Der rote Umhang, den er dazu gewählt hatte, umschmeichelte seine schlanke Gestalt und das Gold, das Hals und Arme schmückte, warf funkelnde Reflexe auf den Boden und die Umstehenden. „Als wäre Ra von Himmel herabgestiegen“, stieß Seth leise aus. „Wie bitte, Herr? Ich habe Euren letzten Satz nicht mitbekommen“, sagte der Schreiber, der seine Notizen überflog und korrigierte, während er darauf wartete, dass Seth ihm die nächsten Anweisungen diktierte. Großer Sonnengott, verzeiht Eurem unwürdigen Diener diesen ... anmaßenden Vergleich. Ich darf nicht zulassen, dass dieser Mann eine derartige Macht über mich gewinnt. „Ahem ...“, räusperte er sich. „Es war nichts von Bedeutung. Kümmert Ihr Euch kurz um die Proben, Imsety.“ Er drückte dem Priester den Abfolgeplan in die Hand und ging auf Jono zu. „Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Euer Hoheit?“, erkundigte er sich. „Ich wollte mir ein wenig die Stadt ansehen und da bin ich auf den Tempel gestoßen und neugierig geworden. Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid, Seth.“ Ganz der Wahrheit entsprach das zwar nicht, aber das musste er Seth ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Er hatte sich bei Hapi genau erkundigt, wie er am schnellsten vom Palast zum Amun-Ra-Tempel kam und dann den weitesten Umweg genommen, der ihm möglich war, immer in der Hoffnung, die Soldaten würden ihn in dem Gedränge, das auf den Straßen herrschte, aus den Augen verlieren. Kaum glaubte er jedoch, sie erfolgreich abgehängt zu haben, tauchten sie von irgendwo wieder auf und hängten sich an ihn. „Würdet Ihr mich eventuell ein wenig herumführen, Seth? Natürlich nur, wenn Ihr Zeit habt.“ „Ich ... eigentlich sind wir mitten in den Proben und ...“ „Macht Euch darüber keine Gedanken, Meister Seth“, rief Imsety herüber und winkte mit dem Abfolgeplan. „Ich komme hier schon zurecht.“ Verräter! „Na gut, anscheinend habe ich doch etwas Zeit“, brummte Seth. „Da mir mein freundlicher, baldiger Ex-Assistent die Proben unbedingt abnehmen möchte ...“ „Das freut mich.“ Jono wandte sich seiner Eskorte zu. „Würdet Ihr hier auf mich warten? Ich möchte mit dem Hohepriester gern in Ruhe sprechen.“ Er und Seth verließen den belebten Hof durch einen Seitenausgang und traten auf das weitläufige Außengelände des Tempelbezirks. Schweigend spazierten sie über die gewundenen Wege. „Das ist ein sehr schöner Tempel, dem du vorstehst.“ „Wusstest du wirklich nicht, dass ich hier bin oder ist dein Besuch doch nicht so zufällig, wie ich vermute?“, fragte Seth, als sie so weit von den Gebäuden entfernt waren, dass sie sicher sein konnten, von niemandem gehört zu werden. „Hmpf ... Du hast mich ertappt, Seth. Ich bin eigentlich nur deinetwegen hergekommen, weil ich dich etwas fragen möchte.“ Ahnte ich es doch! „Und was?“ „Ich bin heute Morgen aufgewacht und musste feststellen, dass du nicht mehr da warst. Dabei ... Ich hatte mich darauf gefreut, vielleicht mit dir zusammen wach zu werden.“ Seth blieb stehen. „Du machst mir Spaß!“, sagte er, um seine Stimme gleich darauf zu dämpfen. „Hast du mal darüber nachgedacht, was für einen Aufruhr es verursachen würde, wenn mich einer der Sklaven zufällig in deinen Gemächern – oder noch schlimmer in deinem Bett – entdeckt hätte? Oder einer deiner Männer hätte hereinkommen können ... Ich möchte mir das lieber nicht weiter ausmalen.“ „Es war doch abgeschlossen.“ „Darum geht es nicht, ich ... So etwas darf nie wieder vorkommen.“ „Was?“ „Das ... letzte Nacht hätte nie passieren dürfen. Es war ein Fehler. Ein gewaltiger Fehler.“ „Ist es denn ein Fehler, seine Liebe ausleben zu wollen?“, fragte Jono und streckte die Hand nach Seths Gesicht aus. Dieser zuckte vor ihm zurück und schüttelte den Kopf. „Nein, wenn ... wenn es sich um solche handeln würde.“ „Wenn es keine Liebe ist“, überlegte Jono, „was war es dann, was dich in mein Bett trieb? Verlangen?“ „Nichts anderes kann es gewesen sein“, sagte Seth kühl und spürte, wie ihm jedes Wort ins Herz stach. „Ein Verlangen, das uns für eine Nacht zusammenbrachte, doch wenn wir uns heute sehen, bin ich für Euch nur noch der Priester des Amun-Ra und Ihr werdet für mich nicht mehr als der Prinz der Hethiter sein.“ „Ich glaube dir kein Wort“, sagte Jono langsam. „Das kann nicht dein Ernst sein.“ „Und ich bitte Euch, von diesem unförmlichen ‚Du’ abzusehen, Euer Hoheit.“ „Was für ein falsches Spiel treibst du ... treibt Ihr mit mir, Seth? Ihr schürt meine Hoffnung und kaum, dass Ihr Euer Vergnügen gehabt habt, lasst Ihr mich fallen!“ Jonos Stimme schwoll an. „Wenn Ihr es so wollt, gut, bitte! Ich werde Euch in Zukunft nicht mehr belästigen!“ Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, verließ er die Gärten, und rief den Soldaten noch am Tor in harschem Ton entgegen, dass er aufbrechen wolle. Auch er hatte eine Grenze, wie weit ihn jemand verletzen konnte und Seth hatte diese gerade um ein ganzes Stück überschritten. Der Hohepriester ließ sich auf die Erde sinken und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Klingen trafen klirrend aufeinander, wurden voneinander getrennt, nur um sich gleich darauf erneut zusammenzufinden. In einem unbarmherzigen Duell jagten sich Jono und Zidanta über den Hof. Beide waren mit weißen, von goldenen Gürteln gehaltenen Schurzen bekleidet, ihren Schmuck hatten sie bis auf die Armreife weitestgehend abgelegt. Die Sonne brannte mit voller Kraft auf sie hernieder und überzog ihre nackten Oberkörper mit einem Schweißfilm. Jonos Atem ging kurz und abgehackt, er ließ seinen Gegner keine Sekunde aus den Augen. Gleich nach seiner Rückkehr vom Tempel hatte er Zidanta um diese Trainingsstunde gebeten. In ihm hatte sich ein gewaltiger Druck angestaut, der danach schrie, freigesetzt zu werden. Bei jedem Schlagabtausch stellte er sich vor, hinter der bronzenen Maske, die sein Gesicht vor Verletzungen schützte, würde nicht der hethitische Fürst, sondern Seth stecken. Jonos Angriffe kamen schnell und hart, doch fehlte ihnen heute etwas die Struktur, für die ihn Kysen bei ihren Übungen immer so gelobt hatte. Es gelang ihm nicht, in den Rhythmus einzutauchen, den jeder Kampf in sich trug, der seine Bewegungen sonst zu einem Tanz werden ließ. Jono fluchte, als er Zidanta mit dem Schwert verfehlte und an ihm vorbeistolperte. Er fuhr herum und schaffte es gerade noch, den Konter seines Gegners zu blocken. Der nächste Angriff des Fürsten riss ihm das Schwert aus der Hand, das über die steinernen Fliesen schlitterte und, zu weit von ihm, um es zu erreichen, liegen blieb. Eine bronzene Klinge wurde an seine Kehle gesetzt. „Ihr habt nicht schlecht gekämpft, aber ich weiß, dass Ihr das wesentlich besser könnt, Euer Hoheit.“ Zidanta nahm die Waffe herunter und half Jono auf. „Wollt Ihr mir verraten, was Eure Gedanken während unseres Duells blockiert hat?“ „Nein, es ist ... nicht so wichtig. Vielen Dank für das Duell, Fürst Zidanta.“ Jono nickte ihm zu und hob seine Waffe vom Boden auf. Marik reichte ihm sein Obergewand. „Ich lasse gleich das Bad für Euch richten, Euer Hoheit.“ „Nicht nötig, Marik, ich werde ein Bad im Nil nehmen.“ Zurück in seinen Gemächern, ließ sich Jono ein großes Leinentuch und frische Kleider geben und bat Marik, sich in seiner Abwesenheit um das Mittagessen zu kümmern. Der Kampf hatte ihn, wie er es geplant hatte, seiner Kraft beraubt, ihm Erschöpfung beschert, doch leider nicht das erhoffte Vergessen. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Seth zurück, ohne dass er es verhindern konnte. Fast verzweifelt suchte er nach Ablenkung und freute sich darauf, sich in die kühlenden Fluten des Flusses zu stürzen. Von dem Säulenweg, der zur Anlegestelle der königlichen Boote führte, ging ein zweiter, ebenfalls überdachter Gang ab, über den man zu einem kleinen weiß getünchten Gebäude direkt am Ufer des Nil gelangte. Steinerne Wächterstatuen hielten vor dem Eingang Wache. An den Innenwänden war eine Huldigungsszene an Sobek, den Krokodilgott, dargestellt. Einige Ruheliegen mit Kissen, ein paar Beistelltische und große Schalen mit frischen Blumen bildeten die ganze Einrichtung. Das Gebäude öffnete sich zur Flussseite hin, zarte Vorhänge schufen anstelle von Mauerwerk eine Abgrenzung zum Nil. Breite Stufen führten direkt ans Wasser, auf dem Lotosblumen schwammen und Ibisse umherwateten, auf der Suche nach Nahrung. Säulen ragten aus dem Wasser, zwischen denen sich weitere Bahnen des hauchdünnen Stoffes spannten und eine Art Zelt bildeten, das die Besucher des Hauses vor unerwünschten Blicken schützte. Hierhin zog sich der Pharao mit seiner Familie zurück, wenn er den Wunsch nach einem ruhigen Bad im Nil statt in seinen Gemächern verspürte. Atemu hatte Jono und den drei Fürsten erlaubt, sein Badehaus zu benutzen. Als Person, deren praktisch ganzes Leben sich in der Öffentlichkeit abspielte, schätzte er die kurzen Zeiten seiner Privatsphäre umso mehr. Jono legte sein Leinentuch auf einem der Ruhebetten ab, warf den Schurz daneben und stieg über die Stufen, vorsichtig, um nicht auszurutschen, ins Wasser. Das kühle Nass umspülte seine Beine und ließ ihn frösteln. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen, als er seinen Oberkörper mit Wasser bespritzte und dann weiter hineinging, bis erst seine Hüften, dann seine Schultern unter der Wasseroberfläche verschwanden. Er stieß sich mit den Füßen vom Grund ab und schwamm mit wenigen Zügen zu der Stelle, an welcher der Vorhang knapp über dem Wasser endete und der Außenwelt den Einblick verwehrte. Mit einer Hand hob Jono den Stoff an und spähte durch die Lücke. Auf dem Fluss war nicht viel los. Die Fischerboote, die in den frühen Vormittags- und späten Nachmittagsstunden ihre Netze auswarfen, waren verschwunden, geflohen vor der Hitze des Mittags. Die Männer saßen am andern Ufer, ließen die Füße ins Wasser baumeln, lachten und unterhielten sich. Nach und nach vertrieb das Wasser die Hitze des Kampfes aus Jonos Körper und entspannte seine Muskeln. Er hatte von Anfang an gewusst, dass die Verbindung mit Seth nicht von Dauer sein würde. Er hatte nur nicht gewusst, dass diese Dauer so kurz sein sollte. Seine Hand schlug auf die Oberfläche des leicht grünlichen Wassers. Wie ein Narr hatte er ihm seinen Zustand offen gelegt. Ein Narr ... ja, ein verliebter Narr. Nun hoffte er, dass die Verhandlungen bald zum Abschluss kamen. Dann konnte er den Hof verlassen, auch wenn er keine Ahnung hatte, was ihn danach erwartete. Doch alles war besser, als noch lange hier verweilen zu müssen. Etwas ruhiger geworden kletterte er ans Ufer, trocknete sich ab und zog sich die mitgenommenen Kleider über. Das feuchte Haar rubbelte er nur kurz mit dem Tuch ab, dann verließ er das Badehaus. Um diese Uhrzeit lagen die Gartenanlagen des Palastes immer wie verlassen da. Wer irgendwie die Möglichkeit hatte, hielt sich drinnen auf, Hauptsache fern von den heißen Sonnenstrahlen. Jono schlenderte, das nasse Tuch über den Arm gelegt, gemächlich einen der Uferpfade entlang, die zum Palast zurückführten. Bis zum Mittagessen war noch genug Zeit. „Hat dich auch niemand gesehen?“ Jono horchte auf. Die Stimme kam ihm bekannt vor. „Nein, Euer Gnaden. Ihr kennt mich, wenn ich nicht will, dass mich jemand sieht, so wird man mich auch nicht sehen.“ Die tiefe männliche Stimme, die antwortete, hatte er noch nie gehört. „Gut, dann komm hier herüber.“ Neugierig geworden sah sich Jono kurz um, dann bog er die Papyrusstauden auseinander und tauchte in den grünen Wald ein, der sich am Ufer erhob. Vorsichtig, darauf bedacht, wenig bis gar keine Geräusche zu verursachen, pirschte er sich näher an die beiden Stimmen heran. Der Papyrus und das dazwischen wachsende Schilf boten ihm ausreichend Deckung. Er drang tiefer in das Dickicht ein, watete durch das seichte Wasser, bis die Stimmen fast direkt vor ihm waren. Auf einem schmalen, flach zum Wasser hin abfallenden Weg standen Anitta und ein Mann, den Jono nicht kannte. Er konnte kein Ägypter sein, dafür war seine Haut viel zu hell, auch wenn er sich wie einer gekleidet hatte. Die langen glatten Haare, von hellem Weizenblond, waren im Nacken zusammengebunden und die eisblauen Augen ließen dem heimlichen Beobachter einen kalten Schauer über den Rücken laufen. „Womit kann ich Euch dieses Mal zu Diensten sein, Euer Gnaden?“ „Ich wünsche, dass du den Pharao tötest.“ Jono schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Gebannt lauschte er Anitta, wie dieser dem Attentäter seinen Plan erklärte. „Hast du alles verstanden?“ „Das habe ich, mein Herr. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.“ „Gut.“ Der Fürst lachte grimmig. „Prinz Kail kann sich auf den Kopf stellen, es gibt nur einen Weg, Frieden mit Kemet zu schließen und das werden wir mit dem Schwert tun. Wenn der Pharao tot ist, werden sich die Menschen erheben, weil er keinen Erben hat. Dann wird das Land eine leichte Beute für uns sein.“ Anitta nahm einen Lederbeutel von seinem Gürtel und reichte ihn dem Mann. Das leise Klingen ließ darauf schließen, dass Gold seinen Besitzer wechselte. „Das ist die Hälfte, wie abgemacht. Die andere bekommst du, sobald du deinen Auftrag erfüllt hast. Und sollte dich irgendjemand erwischen ...“ „Das wird nicht geschehen“, versicherte der Blondhaarige. Jono zog sich mit vorsichtigen Schritten zurück. Er hatte genug gehört. Ein lautes Knacken brach die Stille des Ufers. Anitta und der Mann blickten sich hastig um. „Was war das?“ „Vielleicht hat uns jemand belauscht“, sagte der Mann. „Rasch, geh und finde ihn. Wenn jemand etwas gehört hat, müssen wir ihn zum Schweigen bringen.“ Bei Anittas Worten zog Jono scharf die Luft ein. Er musste hier weg, so schnell es ging. Wenn sie ihn fanden, würde er den heutigen Abend nicht erleben ... und der Pharao nicht den nächsten Tag. Er wich zurück, stieß mit dem Bein gegen einen großen Ast, der sich zwischen den Pflanzen verfangen hatte, und stürzte nach hinten. Es klatschte geräuschvoll, als er ins seichte Wasser fiel und sich seine Kleider voll sogen. Auf allen Vieren robbte er durch die Papyrusstauden, blickte sich alle paar Sekunden hektisch um, ob er verfolgt wurde. Kaum hatte er den Rand des Dickichts erreicht, richtete er sich auf und rannte auf den Palast zu. Das Leinentuch, das er sich um den Hals gehängt hatte, verfing sich in einem Rosenbusch. Jono zerrte verzweifelt an dem Stoff, denn er glaubte schnelle Schritte auf den Wegen zu hören, die in seine Richtung unterwegs waren. Mit einem Reißen gaben die Dornen das Tuch frei und er hastete weiter, triefend nass, wie er war, durch das von Widderstatuen flankierte Portal, die Gänge entlang, bis er keuchend in seinen Gemächern ankam. Er schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie. „Euer Hoheit, was habt Ihr denn? Und warum wart Ihr in Euren Kleidern schwimmen?“, fragte Marik. Jono warf das Badetuch auf den Boden und ließ sich auf einen Hocker fallen. Er vergrub das Gesicht in den Händen, bis er einigermaßen zu Atem gekommen war, und strich sich die Haare aus der Stirn. „Anitta will den Pharao umbringen lassen.“ „Wie bitte? A-aber ... wie kommt Ihr darauf?“ „Ich habe es selbst gehört, eben, am Ufer. Er hat einen Attentäter beauftragt.“ Marik stellte die Karaffe ab und reichte Jono mit leicht zitternden Händen einen Becher Wein. „Und wann?“ „Es soll heute Nacht geschehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)