Ipod von Idris (oder "Ich vermisse dich nur ein bisschen ... und nur manchmal .... und am meisten nachts") ================================================================================ Kapitel 1: Ipod --------------- Morgens um vier wird er verrückt. "Okay", sagt Sam und atmet tief durch. Er sitzt auf dem Fahrersitz, was sich nach drei Monaten immer noch anfühlt wie ein Vergehen. Genauso wie das Blut auf dem Leder, was er noch nicht weggewischt hat und die Schokoriegelpapiere unter dem Rücksitz. Alles ist Chaos. Und er ist dabei, ein noch viel größeres Sakrileg zu begehen. "Du hast es nicht anders gewollt." Seine Hände sind feucht und der schmale Stöpsel rutscht zwischen seinen Fingern. Er fummelt an dem antiken Kassettenrekorder herum und steckt Anschlüsse hin und her und wartet, wartet, wartet. Die Gebrauchsanleitung flattert ungelesen auf den Boden. Das Radio läuft auf Statik. "Er ist weiß“, beginnt er, als er die Stille nicht mehr aushält. Seine Knie wippen auf und ab. „Ich hoffe, du siehst das. Auf der Packung steht ‚Eierschale‘. In deinem Baby befindet sich grade etwas, das eierschalenfarben ist." Ruby denkt, er redet mit sich selbst, wenn sie ihn manchmal nachts hört. Sie denkt, er wird wahnsinnig und vielleicht hat sie Recht. Er dreht durch, er wird verrückt, und einen eierschalenfarbenen iPod zu kaufen, ist nur die Spitze des Eisberges. Morgens um vier ist alles unscharf und verschwommen und er kann die Augen zu machen und so tun, als ob Dean auf dem anderen Bett liegt und fernsieht. Und dass er nur so still ist, weil er dabei eingeschlafen ist. Morgens um vier ist er so müde, dass er sich einbilden kann, das Rauschen in seinem Kopf ist die Dusche und manchmal … manchmal wartet er darauf, dass Dean gleich aus dem Bad kommt und ihm seine schmutzigen Socken ins Gesicht wirft. „Überleg dir, ob du mich nicht aufhalten möchtest. Zum Beispiel jetzt. Jetzt wäre ein guter Augenblick.“ Er reibt mit den Händen über seine Jeans. Er kann nicht still sitzen. Sein Körper fühlt sich fremd an, und zu eng, kribbelig und taub, wie Ameisen unter der Haut. „Ich mache nicht regelmäßig die Felgen sauber“, sagt er in die Stille. „Ich tanke nicht Premiumdiesel, sondern nur das billige. Und jetzt … hörst du mir zu? Jetzt werde ich James Blunt in deinem Baby hören. Zuerst alle Lieder, in denen er über Frauen nachdenkt und dann alle, in denen er über sein Leben jammert und am Ende noch alle über seinen tiefen, tiefen, tiefen … Schmerz.“ Seine Finger hämmern über die Tasten und er denkt an die Autobatterie, die er jetzt stundenlang strapaziert. Der Klang, der aus den Lautsprechern kommt, ist zu weich und zu klar im Vergleich zu kratzigen Kassettenbändern. Wie ein Fremdkörper. „Danach dachte ich an die Spice Girls. Und dann Abba. Und dann vielleicht ‚Best of Broadwaymusicals‘.“ Er legt den Kopf zurück und Gelächter steckt in seiner Kehle fest, hart und scharf wie Glassplitter. Manchmal tut ihm Atmen so weh, dass es sich anfühlt als ob er daran erstickt. „Ich kann das stundenlang machen. Okay? Dean? Die ganze Nacht. Und morgen. Und übermorgen. Und danach.“ Komm zurück. Bitte. Bitte. Komm zurück. Mach, dass es aufhört. „Es ist nicht so, als ob ich etwas anderes vorhabe. Du solltest mich wirklich davon abhalten.“ Er kommt nicht zu seiner Verabredung mit Ruby in dieser Nacht. Er jagt nicht und er tötet nicht. Er sitzt im Impala bis sein ganzer Körper taub ist und seine Muskeln schmerzen und er hört Abba und die Backstreet Boys und James Blunt bis seine Ohren bluten. Morgens um vier ist es so dunkel und die Nacht so lang, als ob sie niemals vorbeigeht. Der Impala ist zu klein für ihn allein. Morgens um vier wird er verrückt. Und es gibt niemanden, der ihn aufhalten wird. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)