Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 30: Zwei werden eins ---------------------------- Wie viel Zeit vergangen war, konnte Dilando nicht sagen. Er war in einem Raum eingesperrt, den er aus seinen frühesten Erinnerungen her kannte. Genauso wie damals war er zum Nichtstun verdammt. Das einzige Geräusch war das Reiben seiner Finger aneinander. Im Gegensatz zu damals gab es kein Licht von draußen, das den Tagesablauf ersichtlich machte. Das Gefängnis war durch eine Wand halbiert, die sich vor langer Zeit aus dem Nichts gebildet hatte, wahrscheinlich um die Frau auf der anderen Seite zu schützen. Dummerweise war das einzige Fenster hinter der Wand. Jajuka brachte ihm auch nichts zu essen oder zu trinken. Wie auch? Der war ja tot. Wie alle anderen, die er jemals gekannt hatte. Seltsamer Weise hatte Dilando weder Hunger noch Durst, obwohl er schon eine gefühlte Ewigkeit in seiner Zelle verbracht hatte. Es war alles nur ein Traum. Ein sehr realer Traum. Ein Traum, aus dem es kein Entkommen gab. Er hatte schon alles versucht. Er hatte gegen die Tür getreten, auf das Mauerwerk eingeschlagen, geflucht, gedroht, geschrien. Wenn überhaupt igelte sich die Frau nur noch mehr ein und zog es vor, gemeinsam mit ihm zu verrotten, statt ihn rauszulassen. Dummes Gör! Dabei wäre alles so leicht, wenn diese Serena ihn einfach in Ruhe lassen würde. „Hey!“, sprach er sie an. „Ich weiß, dass du da bist. Lass mich raus!“ „Nein!“, weigerte sie verzweifelt. „Du tust jedem weh! Du tust meinem Bruder weh! Ich werde nicht zulassen, dass du ihm weh tust.“ „Deinem Bruder? Du meinst Allen?“ „Ja, er ist mein...er ist unser Bruder. Er ist alles, was von unserer Familie übrig ist.“ Dilando war überrascht, wollte sich jedoch nichts anmerken lassen. Ausgerechnet dieser Floh von einem Himmelsritter war mit dieser...war mit ihm verwandt. Ein Grund mehr ihn zu töten. „Erzähl mir von ihm...von unserer Familie.“ Er konnte es förmlich hören, wie Serena aufatmete. Sollte sie doch glauben, dass sie ihn geknackt hatte. Sobald sie übermütig wird und einen Fehler macht, würde er sie überwältigen. „Wir waren zu viert.“, sagte sie stolz, als wäre es etwas besonderes so weit zu zählen. „Ich, Mama, Allen und Vater. Mutter hat mich immer in den Arm genommen und ist mit mir zum Spielen raus gegangen. Allen war auch dabei. Er hat mich gelobt, wenn ich einen schönen Strauß gepflückt hatte. Vater war nie da. Ständig hat er nur auf seine Bücher gestarrt und war lange weg. Irgendwann ist er nicht mehr zurück gekommen. Ich hab Mama die Blumen gegeben, damit sie nicht mehr so traurig ist. Sie hat jedes Mal gelächelt, wenn ich sie ihr gebracht habe. Dann aber, als ich wieder auf einer Wiese war, wurde alles dunkel und ich war allein in diesem Zimmer.“ „Wie ist das so?“, hakte Dilando nach. Nein, das Mädchen keinen Draht zu ihm gespannt, er war nur neugierig. Eine gute Eigenschaft für jeden Krieger. „Ein Familie zu haben, wie ist das?“ Serena überlegte. Zu Familie fielen ihr so viele Dinge ein und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. „Warm.“, fasste sie schließlich ihre Erinnerungen zusammen. „Du hast keine Angst nach draußen zu gehen. Du weißt, du kannst wieder zurück. Du hast keine Angst einzuschlafen. Du weißt, sie werden auch Morgen für dich da sein. Sie sind alle so groß und doch sind sie sanft, wenn sie dich umarmen. Dieses Gefühl, es ist so...warm.“ Nein, diese Frau, die eigentlich noch Kind war, würde ihn nicht brechen, versicherte sich Dilando und wischte die verräterische Nässe aus seinen Augenwinkeln. Dass sie hatte, was ihm verwehrt geblieben war, ließ sie lediglich auf seiner Todesliste nach oben rücken. „Ich hab eine Idee!“, rief Serena hinter der Wand, die sich plötzlich auflöste. Dilando war so überrascht, dieses einfältige Weibsbild wieder vor sich zu sehen, dass er völlig vergaß zu reagieren. Und sie knöpfte ihr Kleid auf. „Was machst du?“, fragte er sie fassungslos. „Ich ziehe mich aus. Das kann ich ganz allein.“, verkündete sie stolz und streifte das Kleid ab. „Bist du irre?“, fuhr er sie fassungslos an, während Serena mühsam nach den Verschlüssen ihrer Unterwäsche am Rücken tastete. „Ich hab Allen mal mit einem Mädchen in seinem Zimmer gesehen, als Vater und Mama nicht da waren. Ich hab gefragt, was sie da machten und er sagte, sie lernen sich besser kennen.“ Dilando schlug eine Hand vor sein Gesicht. „Es klappt vielleicht auch bei uns.“, fuhr sie trotzig fort. „Die vom Volk des Drachengottes haben gesagt, wir müssen einander annehmen.“ „Aber nicht so!“, klärte Dilando sie auf und erhob sich. „Hör auf!“ Serena setzte einen Schmollmund auf, doch sie ließ ihre Hände sinken. „Hat dir keiner etwas über Beischlaf beigebracht?“ „Beiwas?“, wunderte sich Serena. „Geschlechtsverkehr!“, versuchte es Dilando noch einmal. „Nein. Was ist das?“ Er stöhnte ausgiebig. Wie konnte man so etwas nicht wissen? „Das werde ich dir bestimmt nicht sagen.“, lehnte er strikt ab. „Aber ich gebe dir einen Rat. Zieh dich nie in Anwesenheit von Männern aus!“ „Aber Allen hat mich schon oft gebadet.“, erwiderte sie ratlos. „Nackt?“ „Nein, er trägt dabei immer eine Hose. Mit einer lustigen Beule drin. Ich hab ihn schon gesagt, dass wir uns besser kenne lernen sollten und hab ihn an das Mädchen im Schlafzimmer erinnert. Dann hat er geschmunzelt und einfach weiter gemacht.“ „Mach das nie wieder!“, verbot es ihr Dilando aufgebracht. „Sonst könntest Schmerzen erleben, die du dein Leben lang nicht vergisst.“ „Allen würde mir nie weh tun. Im Gegensatz zu dir!“, giftete Serena. „Niemals!“, behauptete er aufgebracht. „Ich hab einen meiner Männer mal bei einer Vergewaltigung erwischt. Das Mädchen hat nie wieder gelächelt und er hat danach nicht mehr lange gelebt.“ „Du bist ein kalter, gefühlloser Killer.“, klagte sie ihn an. „Warum sollte dich das Schicksal eines Mädchens kümmern?“ Dilando erwiderte nichts, sondern hockte sich an die Wand und schwieg eisern. Überrascht hielt Serena inne. Ihr zweites Ich wirkte hilflos, so zerbrechlich. Plötzlich fing er an zu erzählen: „Jeder sollte über Beischlaf Bescheid wissen. Das dachten auch meine Kameraden an der Akademie. Also schleppten sie mich in ein Bordell, in das Zimmer einer Hure, die mich 'aufklären' sollte. Es hat mir nicht gefallen.“ „Soll Beischlaf denn gefallen?“, wollte Serena wissen. Dilando nickte und fuhr dann fort: „Diese Gossenhure hat mir das Gefühl gegeben schwach zu sein. Sie hat sich an mir vergangen und dafür auch noch Geld verlangt. Also habe ich sie getötet. Durch sie bin auf den Geschmack gekommen. Doch ich habe meine Opfer immer umgebracht. Nur wer das Pech hatte am Leben zu bleiben, musste leiden.“ Er strich über die Narbe an seiner rechten Wange. „So wie ich.“ „Das ist grausam.“ „Ja, das ist es.“ „Wenn du mich nackt siehst, möchtest du also Beischlaf?“, versuchte sie zu verstehen. „Nein.“, dementierte er heftig. „Warum nicht? Möchtest du Beischlaf mit Männern?“ „Nein!“, erwiderte er aufgebracht und sprang auf. „Wäre das schlimm? Ich finde Männer doch auch interessant.“, fragte sie noch immer ratlos. „Du bist aber...Ach, vergiss es!“ „Allen und das Mädchen haben sich geküsst.“, erinnerte sich Serena. „Ich habe dir nicht oft zugeschaut, weil ich so viel Angst hatte, etwas schreckliches zu sehen. Aber einmal bist du sauer geworden, weil Allen Hitomi geküsst hat. Jedenfalls glaube ich, dass es sie war. Warst du an Allen interessiert?“ „Nein!!!“, schrie Dilando wütend, packte sie am Kragen und schnaubte in ihr Gesicht. Jedoch war Serenas Grad an Neugierde im vollen Anschlag, so dass sie das dünne Eis unter ihr nicht bemerkte. „Hör zu, du kleine, gemeine Zecke, ich...Wir haben nichts gemeinsam. Gar nichts! Wir werden einander nie annehmen können. Also lass mich hier raus und versinke in dein Loch, wo du hin gehörst!“, brüllte er sie an. „Das stimmt nicht.“ Serenas Augen glühten und brannten sich in ihn hinein. „Jajuka! Du kanntest Jajuka. Du mochtest ihn so wie ich. Er war unser Fels in der Brandung!“ Dilando wollte es abstreiten, ihr sagen, dass sie sich irrte, doch er stand ihrem wissenden Augenpaar gegenüber. Sie würden die Lüge sofort erkennen. „Er hat Geduld mit mir gehabt und ist nie zurückgewichen, wenn ich abweisend gewesen bin.“, gab er widerwillig zu. „Er hat mir das Essen gebracht. Ich wusste, er würde nächsten Morgen kommen.“, erzählte Serena aufgeregt. Ihr Gesicht kam Dilandos ein klein bisschen näher. „Er war als letzter meiner Männer an meiner Seite. Er hat mich nicht im Stich gelassen, obwohl sie alle unter meinem Kommando gestorben sind.“, erinnerte er sich. Seine Nasenspitze drückte gegen ihre und ihre Stirn berührte seine. „Er hat Schläge für mich eingesteckt und mich beschützt.“, fügte sie hinzu. „Es wird nicht funktionieren.“, wehrte sich Dilando mit letzter Kraft. „Doch, wird es! Jajuka möchte, dass wir leben.“, zerstreute Serena den letzten Rest seines Widerstands. „Wir tun es für ihn!“ Sie packte ihn an den Armen. Unaufhaltsam verschmolzen sie ineinander. „Wie geht es ihr?“, fragte Merle, noch während sie den Flur entlang gehastet kam. „Sie ist wach, euer Hoheit.“, berichtete eine der Wachen vor der offenen Tür, während die andere in Serenas Zimmer geblieben war. „Sie sitzt auf dem Bett und rührt sich nicht.“ Merle spähte in den Raum mit einer Hand an ihrem im Kleid versteckten Dolch. „Bewacht die Tür und egal was passiert, kommt nicht rein!“, befahl sie. Die zwei Männer folgten ihrem Befehl, allerdings nur zögernd. Sie verstanden die Gefahr nicht, in der sie sich befunden hatten, begriff Merle. Das Mädchen schloss hinter sich die Tür und ging langsam auf die verwirrte Frau zu. „Ich bin Merle.“, stellte sie sich freundlich vor. Sie versuchte Hitomis Beispiel zu folgen und verbannte krampfhaft ihr Misstrauen in die hinterste Ecke ihres Verstandes? „Wie heißt du?“ „Ich weiß es nicht.“, gab die Frau zu und sprach dabei überraschend laut und hart. Sie war nicht mehr das unsichere Kind, das in einem Frauenkörper gefangen war. „Sag dir der Name Serena etwas? Oder Dilando?“, versuchte Merle es noch einmal. „Ich bin er...sie...beide.“, stotterte sie. „Ich versteh es nicht.“ „Wie darf ich dich nennen?“, erkundigte sich das Katzenmädchen geduldig. Die Frau musterte ihren Oberkörper und erfühlte ihre Brüste. „Ich bin weiblich...Serena...aber ich bin nicht sie.“ „Serena.“, sprach Merle sie an. „Ich weiß, du...“ „Wo ist Allen?“, fragte die Frau plötzlich. „Er wurde von König Aston nach Orio gerufen, einer Feste am Rand Farnelias.“, erklärte Merle einfühlsam. „Es ist ihm nicht leicht gefallen zu gehen. Er hat dich mir anvertraut.“ „Er ist nicht hier?“ „Nein, aber ich bin hier in seinem Namen. Es ist nicht das gleiche, aber ich werde dich beschützen, bis du ihn wiedersiehst. Dieses Versprechen habe ich schon einmal gegeben und es gehalten. Du kannst mir vertrauen.“ „Ich habe Hunger.“, sagte Serena verloren. „Ich lasse dir etwas zu essen bringen.“, sicherte ihr Merle erleichtert zu. „Außerdem werden ein paar Leute kommen, die dich untersuchen. Ich schwöre, es ist zu deinem Besten und ich werde dich nicht mit ihnen allein lassen.“ Die Frau nickte. Merle drückte kurz ihre Hand und übermittelte dann den Wachen vor der Tür ihre Anweisungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)