Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 24: Ein Schritt näher ----------------------------- Es war ein Haus, wie jedes andere, das die enge Gasse säumte. Ohne die geringste Lücke zu hinterlassen, grenzte es an den Nachbargebäuden. Vier übereinander liegende Fensterreihen schmückten die Fassade, deren Läden aber alle geschlossen waren. Aus den oberen Stockwerken drang Licht durch die hölzernen Verschläge und eine angeregte Unterhaltung über Bier und Frauen drang bis zur Straße hinab. Es gab absolut nichts verdächtiges an dem Haus, und doch schlug Siris Herz bis zum Hals, denn dies war eines der sicheren Häuser, die die Händlerallianz in Palas unterhielt. Dieser Bund geschäftstüchtiger Männer verfügte nicht nur über ein internationales Kommunikationsnetzwerk, sondern ermunterte gewisse Mitglieder auch, Vorgänge und Personen im Auge zu behalten, die dem Frieden und damit auch der Wirtschaft Schaden konnten. Hatte sich jemand dabei die Finger verbrannt, fand er in Gebäuden wie diesen Unterschlupf, Nahrung und Hilfe. Im Zuge der engen Kooperation zwischen der Händlerallianz und Farnelia, hatte man der Leibwache und den diplomatischen Vertretern Zugang zu diesen Einrichtungen zugesagt. Dass alle außer dieser geschlossen oder verlegt worden waren, nachdem Siri ihren Meister gewechselt hatte, roch nach einer Falle. Und sie hatte keine andere Wahl, als hinein zu tappen. Sie und ihr Schüler Ryu näherten sich als Bauern verkleidet der Tür. Sie hatte ihr dunkelbraunes Haar blond gefärbt und es sowieso schon seit Wochen nicht mehr gepflegt, genau wie den Rest ihres Körpers. Mehr als das eine oder andere kalte Bad im Fluss war während ihrer Flucht nicht drin gewesen. Selbst eine Vogelscheuche war ansehnlicher als sie. Siri pochte heftig gegen das Holz, um sich bis in den ersten Stock Gehör zu verschaffen. Im Erdgeschoss konnte sie keine Person wahrnehmen. Umso überraschter war, als die Tür beim Kontakt mit ihrer Faust zurück schwang. Zaghaft drückte sie die Tür weiter auf und rief ein lautes Hallo in den Raum. Sie wollte schon einen Fuß hineinsetzten, da drängte sich Ryu mit gezogenen Schwert neben sie. Dann klirrte es vor den beiden. Ihr Blick schnellte wieder nach vorn und erfasste das Schimmern einer Klinge, die sich waagerecht auf der Höhe ihres Halses mit Ryus kreuzte. Er hatte ihr Leben gerettet. Wieder einmal. Während sie zurück wich und ihre eigene Waffe zog, presste er nach vorn in den Raum hinein und nahm den Angreifer mit. Sie folgte ihm und beobachte für einen Augenblick das Duell, bei dem Ryu wild um seinen Gegner herum wirbelte und dabei einen Tisch und Stühle umriss. Der Feind hingegen parierte sicher, stand fest wie ein Felsen und verlor nicht einen weiteren Zentimeter. Dann erfassten ihre Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, den Schankraum und eine zweite Gestalt, die blitzschnell auf sie zu kam. Sie hatte keine Mühe, den von oben senkrecht geführten Schlag an ihrer Klinge entlang an sich vorbei gleiten zu lassen und einen Ellbogen in das schutzlose Gesicht zu stoßen. Die Gestalt torkelt zurück, sie setzte unbarmherzig nach und brachte ihn zu Fall. Noch ehe sie ihr Schwert an seinen Hals setzten konnte, kam eine weitere Person mit einer Kerze in der Hand die Treppe runter und fragte scheinbar seelenruhig: „Was ist hier los?“ Der Fremde auf den Boden, er schien fast noch genauso jung wie Siri zu sein, vergaß sie glatt und starrte erschrocken die Treppe hinauf. Der andere hingegen verlor Ryu nicht einen Moment aus den Augen, der gar nicht daran dachte aufzuhören. Zwei weitere Mal wurden Schläge ausgetauscht, ehe Siri ihm scharf Einhalt gebot. Sie konnte die Aura der beiden Angreifer noch immer nicht wahr nehmen. Wenn sie nicht gerade in der Kunst der Gedankenenergie ausgebildete Menschen waren, von den sie noch nichts wusste, handelte es sich bei ihnen um Mitglieder des Drachenvolkes. Der Gedanke jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. So gelassen, als ginge er in friedliches, gut gefülltes Lokal, stieg der Mann mittleren Alters die Stufen hinunter. Er hatte langes, braunes, gewelltes, zu einem Zopf gebundenes Haar, eine Brille mit kleinen, runden Gläsern auf der Nase und trug mehrere stilvolle Gewänder übereinander, die ihn als einen Kaufmann ausgaben. „Mein Name ist Dryden Fassa.“, stellte er sich vor. „Was verschafft mir die Ehre weiblichen Besuchs zu dieser späten Stunde?“ „Ich heiße Siri Riston, Herr.“, antwortete sie und ließ von ihrem Gegner ab. Dann vergewisserte sie sich, dass sich keine Aura eines weiteren Menschen auf der Straße in Hörreichweite befand. „Merle ist...war meine Meisterin.“ „Ah!“, freute sich Dryden. „Das verlorene Schäfchen kehrt zurück. Bitte schließ die Tür und mach es dir gemütlich.“ Er nahm einen der umgeworfenen Stühle, richtete ihn auf und setzte sich. Die anderen Fremden traten an seine Seite, noch immer wachsam. Siri tat, wie ihr geheißen war und setzte sich zusammen mit Ryu an einen anderen Tisch. Mit der stillen Übereinkunft, dass genug Hindernisse zwischen ihnen waren, um ein kleines Maß an Sicherheit vor einander zu bieten, musterten sie sich gegenseitig. Schließlich brach Dryden das Eis. „Ich nehme an, du bist gekommen, weil du etwas möchtest.“ „Ja, Herr.“, bestätigte Siri und schluckte. „Ich brauche Schutz, genauer gesagt, den von Hitomi.“ „Von der Königin Hitomi?“, staunte Dryden. „Du erwartest doch wohl nicht von mir, dass ich dich zu ihr bringe.“ „Wir sind Freundinnen.“, konterte Siri, unsicher, ob man das Verhältnis zwischen ihnen wohl so nennen konnte. Immerhin hatte Hitomi ihr einmal das Du angeboten. „Du bist Trias Untergebene.“, zweifelte der Händler und stützte beide Arme auf den Tisch. „Auch wenn sie dir vertraut, ich kann es nicht.“ Siri biss sich auf die Lippen. „Sie wird mich sehen wollen.“, versuchte sie es erneut. „Besser gesagt, ihn.“ Und wies mit dem Kopf auf Ryu. „Er ist ihr kleiner Bruder.“ „Er hat bereits einmal versucht, sie umzubringen, übrigens auf deinen Befehl hin.“ „Das wird nicht passieren!“, versicherte sie eilig, besann sich dann aber. „Mein Meister wollte sie tot sehen, nicht ich, und ich bin...“ Nervös verschränkte sie ihre Arme. Sie würde es ja nicht selbst glauben, wenn es ihr jemand erzählen würde. „Ich bin vor ihm auf der Flucht.“ „Warum?“ „Kann ich nicht sagen.“ „Deine Loyalität ist wohl sehr flatterhaft.“, provozierte Dryden. „Ist sie nicht!“, dementierte Siri verärgert. „Sobald diese Sache ausgestanden ist, werde ich zurückkehren.“ „Was für eine Sache meinst du?“, versuchte er es noch einmal, ihre Antwort war dieselbe. „Sie ist schwanger.“, unterbrach der ältere Fremde das Gespräch. Überrascht starrte sie den Mann an. Sie schottete genauso wie er ihre Aura ab. Wie konnte er davon wissen? Auch Drydens Augen schienen etwas größer zu sein. „Stimmt das?“, fragte er verwundert. Siri nickte beschämt. Am liebsten würde sie im Boden versinken. „Hat Trias beschlossen, dass er sich ein bisschen mit dir vergnügt, oder bist du eines seiner Experimente?“ „Mein Meister hat nichts mit dem Kind zu tun.“, widersprach sie heftig. „Das Virus, das uns zu Gezeichneten gemacht hat, sorgt sogar dafür, dass wir alle unfruchtbar sind.“ „Warum bist du es dann nicht?“ „Wegen meiner persönlichen Fähigkeiten. Ich kann in Körper hineinsehen, bis in die Zellen rein. Und ich habe mir schon immer Kinder gewünscht. Also habe ich die Veränderungen an meinem Körper rückgängig gemacht, die mir nicht gefallen haben.“ „Warum hast du dann nicht seine Kontrolle über dich gelöst?“, erkundigte sich Dryden weiter. „Ich kann nicht.“, gab sie kleinlaut zu. „Warum?“ „Hat diese Fragerei noch einen Sinn?“, muckte sie auf. „Es ist das erste Mal, dass ich einem Gezeichneten begegne.“, beruhigte Dryden sie. „Ich bin einfach nur neugierig, was die Wesen antreibt, die unsere Welt zerstören möchten.“ „Niemand von uns möchte das, aber mein Meister bürdet uns seinen Willen auf.“, entgegnete Siri aufbrausend. „Ah, das klang schon fast, als wäre es die Wahrheit.“, amüsierte er sich und lächelte besserwisserisch. „Aber zumindest in deinem Fall ist das anders. Du hättest die Fähigkeit und den Willen, dein altes Wesen zurückzubekommen, und doch tust du es nicht.“ Siri fühlte sich durchschaut. „Was treibt dich an?“ „Das sag ich nicht!“, verweigerte sie, woraufhin Dryden sich zurück lehnte. „Wer ist der Vater?“, fragte er sie weiter aus. Schweigend wies sie wieder auf Ryu. „Wie das?“ „Er hat wohl die Veränderungen übernommen, als ich gebissen habe.“, vermutete sie. Sie fühlte sich, als säße sie auf einem heißen Stuhl. Unruhig rutschte sie hin und her. „Nun, das können wir ihrer Majestät nicht vorenthalten!“, verkündete der Händler und erhob sich. Der ältere Fremde zog sein Schwert. Sogleich ging auch Ryu in Kampfstellung. „Was soll das?“, fragte Dryden verwirrt. „Bisher konnten sich die Gezeichneten nicht fortpflanzen.“, erklärte der Fremde. „Wenn wir die beiden jetzt nicht töten, vermehren sie sich wie die Karnickel auch ohne neue Opfer!“ „Ist doch gut.“, scherzte Dryden. „Dann existiert Gaia auch weiterhin, selbst wenn sie es schaffen sollten, die Bevölkerung auszulöschen.“ „Dryden!“ „Genug!“, entschied dieser. „Ich habe Merle versprochen, dass ich diesem Mädchen helfe, sollte sie mich je darum bitten. Sie ist mein Gast und steht unter meinen Schutz.“ „Was ist, wenn sie angreift? Sie könnte lügen.“, wandte der Fremde ein. „Dafür seid ihr ja da, oder?“ „Was ist mit dem Attentat von heute? Sie könnte dafür verantwortlich sein und versucht es wieder.“ „Ich war es nicht!“, fuhr Siri dazwischen. „Ach nein?“, zweifelte der Krieger. „Du scheinst weder überrascht noch besorgt zu sein, ob deiner Königin etwas zugestoßen ist. Fast so, als wärst du dabei gewesen.“ „Ich war dabei, na und?“, erwiderte sie wütend. „Ryu und ich haben sie heute beschattet, um eine Gelegenheit zu finden allein mit ihr zu sprechen. Wir haben das Attentat gesehen und später durch Augenzeugen am Markt erfahren, was danach passiert ist. Er hat übrigens auch den Täter gestellt und hätte ihn fast umgebracht.“ „Interessant.“, kommentierte Dryden. „Wo ist er jetzt?“ „Keine Ahnung. Ich hab ihn einen Dolchstoß in die Schulter verpasst, ihn liegen lassen und Ryu befohlen, er solle einer Wache von ihm erzählen.“ „Der Zeuge!“, schloss der Händler. „Er liegt im Krankenhaus.“ „Er kommt vom Mond der Illusionen und hatte Gestände aus Metall dabei, die auch von dort stammen und zusammen eine Waffen bilden.“ „Woher weißt du das?“ „Ryu hat es mir gesagt und ich vertraue ihm.“, versicherte Siri. „Oder es ist wirklich nur ein Zeuge und sie haben die Waffe bei ihm platziert.“, spekulierte der Fremde weiter. „Nun, es wäre wirklich ein zu großer Zufall, wenn das unschuldige Opfer einer solchen Intrige tatsächlich vom Mond der Illusionen kommen würde.“, gab Dryden zu bedenken. „Zwei meiner Kollegen machen sich gerade auf den Weg.“, knickte der Fremde ein und richtete seinen Blick auf das Mädchen, während er das Schwert wegsteckte. „Wenn er auf Gaia geboren wurde, seid ihr tot.“ Wie viele Kämpfer des Drachenvolks sind wohl gerade in Astoria?, überlegte Siri. Auf seine Drohung gab sie nicht viel. Ryu belog sie nicht. „Nun, ihr müsst müde sein.“, stellte er unbekümmert fest und winkte die beiden zu sich. „Ich gebe euch zwei Zimmer. Oder wäre euch eines mit einem größeren Bett lieber?“ „Zwei bitte.“, antwortete Siri mit hochrotem Kopf. „Kein Problem. Allerdings würde ich es begrüßen, dass ihr in den Zimmern bleibt, bis ich euch rufe. Ansonsten kann ich nicht für eure Sicherheit garantieren.“ Dryden ließ es wie ein Vorschlag klingen, aber diese Warnung nahm Siri ernst. „Einverstanden.“, stimmte sie hastig zu. „Sehr schön.“, erwiderte er heiter. „Bitte folgt mir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)