Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 22: Schuld und Sühne ---------------------------- Es geschah alles so schnell, dass Irene erst gar nicht realisierte, dass überhaupt etwas geschehen war. In einem Augenblick lauschte Hitomi ihrer Geschichte, im nächsten badete Hitomis Hinterkopf in gleißend hellen Licht. Nur einen Moment später war es erloschen und sie sah gerade noch, wie die junge Königin von dem Kanalrand herunter fiel und im Wasser verschwand. Zwei der vier Wachen starrten der Strömung ungläubig hinterher, während die anderen beiden sich gerade erst umdrehten. Irene schrie lauthals Hitomis Namen und beobachtete besorgt die leichte Strömung. Einige Sekunden verstrichen, dann wurde allen klar, dass die Vermisste nicht von selbst auftauchen würde. Irene sah Hilfe suchend nach oben zu den Wachen, die dabei waren, an einen von ihnen die Riemen des Brustpanzers zu lösen. Da entschied das Mädchen, dass es zu lange dauerte. Kurzerhand zog sie den Dolch aus dem Stiefel der nächsten Wache und trennte ihr Oberkleid vom Hals bis zum Schritt auf. Dann ließ sie sich ins Wasser fallen. Die Kälte kroch ihr sofort in alle Glieder und nach nur wenigen Moment streifte der lockere, mit Wasser vollgesogene Stoff von ihren schmalen Körper. Sie tauchte unter und erspähte Hitomi leblos nur ein paar Meter entfernt auf dem Grund des Kanals. Einen Moment lang der Strömung folgend, schwamm sie zu ihr herab und nachdem sie sich einen Moment lang zu Ruhe gemahnt hatte, schnitt sie die Königin aus ihrem Kleid wie aus einen Kokon. Sie brauchte mehrere Versuche, so ungewohnt war die Handhabung des Dolchs im Wasser. Das zunehmende Ziehen in ihrer Lungen machte es ihr auch nicht leichter. Schließlich hatte sie es geschafft, und so konnte sie die bewusstlose Frau unter ihren Schultern packen und nach oben ziehen. Über Wasser wurde sie von Wachen und einer Menge Schaulustiger erwartet. Die Männer hoben sie und Hitomi aus dem Kanal. Irene durchflutete pure Erleichterung, als sie sah wie Hitomi auf ihrer Seite lag und das Wasser aus ihrer Lunge hustete. Da spürte sie plötzlich das Gewicht und die Wärme einer Wolldecke über ihren Schultern. Als sie sich umdrehte, blickte sie in die Augen eines Jungen, der sich zwischen die Wachen gedrängt hatte und ihr eine zweite Decke reichte. Erstaunt nahm sie das Geschenk entgegen, kurz bevor die Wachen reagierten und ihn zurückstießen. Fassungslos keifte sie die Männer an, die jedoch verzogen nicht eine Mine. Dann legte sie die Decke über Hitomis zitternden Leib. Bis die Kutsche kam, rieb sie den nassen Körper der Königin ab und lenkte sie mit einem belanglosem Gespräch ab. Siri und Ryu hatten schon seit geraumer Zeit die kleine Prozession um Hitomi herum beschattet, als sie aus sicherer Entfernung von einer Häuserschlucht aus, die im rechten Winkel zum Kanal verlief, das Leuchten beobachteten. Während Siri sich fragte, was gerade geschehen war, drehte Ryu sich sofort um und suchte die Fenster der Häuser ab. Nach einem kurzen Moment sprintete er los in die entgegen gesetzte Richtung seiner Schwester. Seine Meisterin ärgerte sich noch über die Menschen, die ihr die Sicht auf das Geschehen versperrten, da war ihr Schüler schon Getümmel der Massen verschwunden. Zähne knirschend vermied sie es, nach ihm zu rufen, und wog stattdessen ihre Pflichten ab. Im wagen Vertrauen darauf, dass Hitomi auf sich selbst aufpassen konnte, folgte sie Ryus Aura. Sie fand ihn vor der Tür eines mehrstöckigen Gebäudes, dessen Fenster einen Blick auf die T-Kreuzung und der zum Kanal führenden Straße gestattete. Er stand neben den Rahmen, doch kurz bevor sie bei ihm war, öffnete sich die Tür und er handelte. Blitzschnell packte er die Person, die gerade das Gebäude verlassen wollte, am Hals und trieb sie wieder hinein. Siri flucht im Stillen über diese leichtsinnige Aktion in aller Öffentlichkeit. Um Schadensbegrenzung bemüht ging sie ihm ohne zu Zögern nach und schloss hinter sich die Tür. Im Innern wurden bot sich ihr ein Anblick des Grauens. Ryu, dessen Gesicht fast schon dämonische Züge angenommen hatte, hielt mit nur einer Hand am Hals einen muskulösen, weißen Mann mit kurz geschorenen Haar und einer Narbe über dem linken Auge in der Luft. Der Blick ihres Schülers zeigten einen so tief sitzenden Hass und gebändigte Mordlust, wie Siri es noch nie gesehen hatte. Die Hand schloss sich immer fester um die lebenswichtige Verbindung zwischen Kopf und Körper, und drohte den Mann zu ersticken. „Aufhören!“, befahl sie fast panisch. Da er nicht reagierte, schob sie sich zwischen die beiden. „Loslassen!“ Sie brauchte alle Kraft um Ryu von seinem Opfer zu trennen. Fast beiläufig zog sie einen ihrer Dolche aus den Unterarmhalfter und hielt ihn dem hustenden Mann kurz vor den Hals. „Was ist in dich gefahren?“, fragte sie außer sich. „Er hat auf meine Schwester geschossen.“, behauptet Ryu. Als Beweis hob er einen Koffer auf, der Siri erst jetzt auffiel. Er riss ihn mit der ungeheuren Kraft seiner vom Virus der Gezeichneten verbesserten Armen auf und es purzelten verschiedene, längliche, schwarze Metallteile heraus. „Was ist das?“, erkundigte sich Siri, nahm dann aber hinter ihr eine Bewegung wahr. Ihr vermeintlich besiegte Gefangener stach mit einem Dolch nach ihr, dem sie nur knapp ausweichen konnte. Mit ihrer freien Hand packte sie die gegnerischen Waffenarm, die andere rammt ihre Klinge durch dessen Schulter bis in die Wand hinein. Der Mann schrie auf und ließ sein Waffe los, um mit beiden Händen ihren Dolch am Heft zu packen. „Also?“ „Es ist ein Scharfschützengewehr, das in seine Einzelteile zerlegt worden ist. Ich habe so etwas schon im Fernsehen gesehen.“, antwortete Ryu ungeduldig. „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.“, bescheinigte sie ihm ratlos. „Eine Fernkampfwaffe, die kleine Projektile aus Metall abfeuert.“, versuchte er es noch einmal. „Eine Waffe von der Erde.“ „Vom Mond der Illusionen?“ Ryu nickte. Siri wandte sich ihren Gefangenen zu. „Woher hast du diese Waffe?“ Der Attentäter grinste, schwieg aber. „Ich kann auch anders fragen.“, drohte sie und bewegte die Klinge in seiner Schulter ein wenig. Wieder brüllte der Mann vor lauter Pein und packte ihre Hand um den Dolchgriff noch fester. „Und wenn du mich umbringst, von mir wirst du gar nichts erfahren.“, keuchte der Gefangene. „Warum nicht?“, hakte Siri nach. „Bist du deinen Auftraggebern so verpflichtet? Sie können dir jetzt nicht helfen.“ „Wenn ich etwas sage, wird mich niemand mehr anheuern.“ „Das gilt auch, wenn du tot bist.“ „Mach doch!“, forderte der Mann sie auf. Siris Augen wurden stahlhart und verbargen so den Konflikt in ihrem Innern. Sie wollte niemanden töten, aber ihr Gefangener schien das Ende geradezu herbeizusehnen. Noch dazu hatte er versucht jemanden das Leben zu nehmen, und bei aller Zuversicht, sie konnte sich unmöglich sicher sein, dass er gescheitert war. Sicherlich war Hitomi auch nicht sein erstes Opfer. Ein Blick auf Ryu, der es ebenso wenig erwarten konnte, dass der Attentäter starb, ließ ihre Wage ausschlagen. Mit einer schnellen, sauberen Bewegung löste sie den Dolch aus der Wunde. Die Beine des Mannes versagten und er kippte nach vorn. Sie packte seinen Kopf, schloss die Augen, woraufhin er bewusstlos zusammensackte. „Wir gehen!“, verkündete sie entschlossen. „Aber er lebt noch!“, protestierte Ryu. Überrascht bemerkte Siri, dass er heute so viele Worte gesagt hatte, wie in manchen Monaten nicht. „Wenn du ihm ein Gefallen tun willst, kannst du ihn töten.“, bot sie ihn an. Ryu runzelte verwirrt die Stirn. „Oder ich sorge dafür, dass die Wachen ihn finden und er öffentlich für seine Verbrechen büßen muss. Was meinst du?“ Ryu grummelte, wandte sich jedoch der Tür zu. So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die beiden in der Masse. „Wo bringen sie uns hin?“, fragte Hitomi mit schwacher Stimme. Die Kutsche schüttelte sie ordentlich durch und sie begann sich zu fragen, wie es sein konnte, dass eine Zivilisation, die fliegende Maschinen bauen konnte, keine Stoßdämpfer kannte. „In den Palast.“, antwortete Irene mit einem Blick nach draußen. „Wie geht es dir?“ „Mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand mit einem Pickel darauf eingeschlagen, mir ist kalt und fühle mich etwas entblößt. Ansonsten geht es mir gut.“, antwortete sie bitter. „Bitte entschuldigt.“, sagte Irene eingeschüchtert. „Nein, ich muss mich entschuldigen.“, versicherte ihr Hitomi nach einer kurzen Pause. „Du hast mich gerettet und ich werfe es dir auch noch vor.“ „Ist schon gut.“, beruhigte das Mädchen. „Du musst schreckliches durchmachen.“ „Ja.“, gab Hitomi zu. „Aber ich lebe noch. Dafür sollte ich dankbar sein.“ Sie sah Irene mit festen Blick an und fing so den ihren ein. „Danke!“, sagte sie aus tiefsten Herzen. „Deinen Einsatz heute kann ich nie wieder gut machen.“ Irene wurde rot bis über beide Ohren und wusste einfach nicht was sie darauf erwidern sollte. Noch bevor sie sich entscheiden konnte, hielt die Kutsche an und das Wiehern eines gehetzten Pferdes war zu hören. „Was ist los?“, fragte das Mädchen verwirrt. „Mein Mann kommt um mich zu retten.“, scherzte Hitomi. „Obwohl ich ihm versichert habe, dass es dafür zu spät ist.“ Wie zur Bestätigung riss Van die Tür auf und betrat aufgeregt die Kutsche. Er trug sein kunstvolles Diplomatengewand, das durch den Wilden Ritt in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Den Drachen sei Dank, dass du lebst.“, keuchte er atemlos und nahm Hitomi fest in den Arm. „Idiot.“, schallte sie ihn sanft. „Ich hab dir gesagt, ich bin in Ordnung. Du hättest die Konferenz nicht verlassen müssen.“ Er ließ von ihr ab und rieb zärtlich ihre Wangen mit seinen Daumen. „Ich merke es doch, wenn du lügst.“ Beide kuschelten sich aneinander und tuschelten, so dass Irene nichts mehr verstand und sich völlig überflüssig fühlte. Schließlich brach die Königin sogar in Tränen aus und Van schmiegte sie so nah an sich, wie es ging. Das Mädchen fühlte nun richtig fehl am Platze, also starrte sie aus dem Fenster hinaus um den beiden wenigstens die Illusion einer Privatsphäre zu lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)