~One-Shot~
Vorsichtig nimmt der kleine Junge das bunt bemalte Blatt Papier auf und hält es in einiger Entfernung hoch.
Zufrieden grinst er und rutscht von dem viel zu hohen Küchenstuhl, jedoch immer noch darauf bedacht das Bild nicht zu verknittern.
Er läuft durch die Küche und außer dem Geräusch seiner gummibesohlten Strümpfe ist es absolut still.
Suchend bleibt er im Flur stehen und sieht sich um.
Nachdenklich legt er den Kopf schief und lauscht, dann beginnt er die Treppe hinunter zu laufen.
Immer wieder strauchelt er und in seinem kleinen, schmalen Gesichtchen liegt ein hochkonzentrierter Ausdruck, während er versucht mit beiden Händen das Bild immer noch von sich gestreckt fest genug zu halten, damit es ihm nicht aus der Hand fällt.
Endlich unten angekommen atmet er kurz erleichtert auf und sieht stolz auf das lila Haus mit den grünen Ziegeln.
Kein Knick.
Leises Scheppern und Lachen hallt plötzlich durch den Flur und er hebt den Kopf.
An der nächsten Tür legt er das Blatt auf den Boden, stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt die Klinke der schweren Tür mit seinen winzig erscheinenden Händen herunter.
Mit einem gedämpften Klacken springt die Tür auf und er beeilt sich, dass Bild wieder hochzuheben und hindurch zu schlüpfen.
Beim letzten Mal hat er sich die Finger geklemmt, als er zu langsam gewesen war und an seiner linken Hand ist der Daumen immer noch ein wenig grünlich-blau verfärbt.
Also beeilte er sich lieber.
Zögernd bleibt er stehen, sieht sich um und lauscht.
Wieder ein entfernt klingendes Lachen.
Lächelnd läuft er auf die Tür direkt vor ihm zu und legt wie schon zuvor das Bild auf den Boden und drückt die Tür auf.
Mehrere sich unterhaltende Stimmen schlagen ihm entgegen und der Geruch nach Kuchen und Kaffee zieht sich durch die Luft.
Er bleibt für einen kurzen Augenblick stehen, während seine blauen Augen suchend umherwandern.
Bis jetzt scheint ihn niemand bemerkt zu haben, aber das ist auch kein Wunder.
Die meisten stehen herum, unterhalten sich und haben gar nicht mitbekommen, dass die Tür einen Spalt breit aufgeschoben wurde und der kleine, schmale Junge jetzt mit dem Blatt Papier in den Händen mit großen, suchenden Augen im Raum steht.
Plötzlich jedoch leuchten seine Augen auf und er zwängt sich zwischen zwei Männern hindurch, die ihm verwirrt hinter sehen.
Mit einem kurzen Seitenblick stellt er fest, dass sein Bild immer noch keinen Knick hat und läuft schnell weiter.
Hinter einer schlanken Frau bleibt er stehen, wartet kurz, ob sie ihn nicht vielleicht doch bemerkt.
Nach einer Weile jedoch streckt er die Hand aus und greift nach ihrer Hand.
Erschrocken dreht sie sich um und sieht verwirrt auf ihn hinunter.
Lächelnd hält er ihr das Bild entgegen und versucht so groß wie möglich zu wirken.
Schließlich soll sie das Bild richtig sehen können.
„Hier, das ist für dich.“
Abwesend lächelnd dreht sie sich entschuldigend zu einer der anderen Frauen um, während sie ihm das Bild aus der Hand nimmt und zu den anderen Geschenken legt.
„Danke.“
„Aber…Du hast dir das doch gar nicht richtig angeguckt…“
Traurig sieht er auf sein Haus mit den grünen Ziegeln und senkt dann enttäuscht den Kopf, während er in sich hineinmurmelt.
Die Frau hat sich aber bereits wieder umgedreht und hört ihn gar nicht mehr.
Enttäuscht bleibt er noch eine Weile stehen.
Vielleicht ist sie ja nur grade sehr beschäftigt.
Irgendwann hebt er kurz den Kopf und eine dicke Träne kullert über seine Wange und tropft auf sein T-Shirt.
Schnell sieht er wieder auf den Boden vor seinen Füßen, zwängt er sich durch die Menschen die ihm den Weg versperren hindurch und rennt die Treppe wieder hoch.
Knick.