Hintergrundrauschen von Memphis ================================================================================ Kapitel 19: Konstituentenquarkmasse ----------------------------------- Als ich am nächsten Morgen aufwachte, pennte Pascal natürlich noch und ich stellte fest, dass ich eine Morgenlatte hatte. Jeah, Mutter Natur sagte mir, dass ich noch alles funktionierte und ich nach wie vor nicht impotent war. Super! Die Morgenlatte war mir ehrlich gesagt scheiß egal. Ich fühlte mich irgendwie gut und ausgeruht. Der Tag konnte kommen! Das wollte mal was heißen. Ich sammelte meine Klamotten zusammen, stellte fest, dass die Morgenlatte die Höflichkeit besessen hatte, sich wieder rar zu machen und ging dann ins Bad. Als ich fertig war, ging ich direkt nach unten. Ich wusste, dass Pascals Mutter schon wach war und beschloss, dass ich mit ihr frühstücken würde. Ich fand sie wirklich nett und sie schien sich immer über meine Anwesenheit zu freuen. Das kam nicht mehr häufig vor in den hiesigen Zeiten. Ich lächelte sie an, während ich mich an den kleinen Tisch in der Küche setzte. „Morgen, Johannes!“, sie strahlte mich an wie die aufgegangen Sonne höchstpersönlich und ich fühlte mich etwas von ihrer guten Laune angesteckt. Sie stellt mir auch gleich einen Kaffee vor die Nase. Ich hatte mittlerweile schon oft genug übernachtet, dass sie wusste, was ich für Vorlieben hatte. Sie setzte sich zu mir an den Tisch und schmierte sich ein Marmeladenbrötchen. „Übrigens, ich hab gestern noch deine Mutter angerufen.“ Ich zuckte erschrocken zusammen und starrte sie etwas ungläubig an. Sie hatte was?! Warum? Oh Gott, ich hoffte, meine Mutter hat nicht irgendeinen Schrott erzählt und ich dürfte nie wieder hier her kommen. „Ja, Pascal hat mich darum gebeten noch bei ihr anzurufen, dass sie weiß, dass es dir gut geht. Bei dem Wetter passiert ja allerhand. Ich hab ihr auch versichert, dass ich höchstpersönlich dafür sorgen werde, dass du heute brav in die Schule gehst.“ Sie zwinkerte mir dabei zu und sie kam mir im Moment nicht wie eine Mutter vor, sondern wie jemand, der übersorgliche Mütter so zu belächeln fand, wie ich. „Sie macht sich viele Sorgen, kann das sein?“ Jetzt wirkte sie aber ernst. Ich nickte nur zur Antwort. Meine Mutter macht sich wirklich über jeden möglichen Unsinn Sorgen, aber das war wohl ihre Art. War vielleicht besser, als eine Mutter, der man scheißegal war. „Naja, Mütter wollen halt immer wissen, was in ihren Sprösslingen vorgeht.“ Sie seufzte, lächelte aber dabei. Ich war etwas erleichtert, dass das Gespräch wohl in harmlosen Bahnen abgelaufen war und meine Mutter nicht irgendwelche komischen Verbote ausgesprochen hatte. Allerdings konnte sie in letzter Zeit nicht an viel meckern. Meine Noten hatten sich in den letzten Wochen stark verbessert, ich war nicht mehr die ganze Nacht wach und ich aß sogar wieder mit ihnen am Tisch, wenn ich denn mal da war. Und in die Schule ging ich auch wieder jeden Tag, dafür sorgte auch Pascal. Manchmal kam er mir ja vor, wie mein ganz persönlicher Betreuer in schweren Zeiten, aber es funktionierte. Ich fühlte mich in letzter Zeit wirklich besser und der Blick in den Spiegel morgens tat auch nicht mehr weh. „Morgen...“, nuschelte Pascal, der gerade total verpennt und mit verstruppelten Haaren in die Küche kam. Er war so ein krasser Morgenmuffel, wie ich sonst keinen kannte. Ich grinste ihn an und merkte, wie er mich noch verpeilter anschaute als sonst, um dann sofort den Blickkontakt abzurechen. Er war leicht rot im Gesicht. Uhm okay, was war das denn jetzt? Er wirkte den ganzen Morgen noch fahriger als sonst, erst kriegte er den Kühlschrank nicht auf, weil er nicht in der Lage war den Griff richtig zu fassen, dann wäre ihm beinahe die Milchtüte aus der Hand gerutscht und beim Brötchenschmieren, sah es eher so aus, als würde er ein Butter-Brötchen-Massaker anrichten. Ich hatte fast schon Mitleid mit der Teigware. „Schlecht geschalfen, Spatz?“, fragte seine Mutter schließlich besorgt, der natürlich aufgefallen war, wie neben der Spur er heute war. „Nee...“, murmelte er und ich bermerkte einen kurzen Seitenblick, mit dem ich nichts anzufangen wusste. „Da trink einen Tee, nicht das du mir krank wirst! Johannes, willst du auch einen?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich mochte Tee nicht sonderlich und schon gar keine Tees, die mich vor dem Krankwerden bewahrten. Am Ende würde ich ja noch was gesundes zu mir nehmen, das ging ja gar nicht. „Is Jonas bei Doro?“ „Die ganze Woche über, ihre Eltern sind gerade nicht da und sie machen Haussitting.“ Familiengespräche, ich schaute aus dem Fenster. Zum Glück schneite es nicht mehr, lag schon genug von dem Zeug rum. Ich war einfach ein Sommerkind, mit Winter konnte ich schlichtweg nichts anfangen. „Fuck, wir müssen los!“, fluchte Pascal beherzt und verschwand hastig aus der Küche. Ich hörte, wie er die Treppen hochrannte und schaute auf die Küchenuhr. Hm, normal fuhren wir erst in einer Viertelstunde los, aber bei dem Wetter war es wohl klüger, sich etwas früher auf den Weg zu machen. Ich lächelte seiner Mutter zu und wir saßen noch gemütlich am Tisch, während Pascal oben in seinem Zimmer wütete. Vermutlich auf der Suche nach seinem Schulzeug. Ich zog mir meine Schuhe und die Jacke an und Pascal stürmte an mir vorbei, wieder zurück und ich wusste, warum er in der Schule immer so wach war. Wer morgens soviel rannte, konnte gar nicht mehr müde sein. „Bist du fertig?“ Er schaute mich gehetzt an, während er noch in seinen Mantel schlüpfte, und ich nickte einfach nur. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, Pascal war morgens wirklicht nicht zu gebrauchen. „Ist klar, wenn man es eilig hat, sind nur Schleicher vor einem!“, maulte er und wir betrachten weiter die Rückansicht eines roten Toyotas. Ich musste aber sagen, bei den Strassenverhältnissen konnte man niemand dieses Schleichtempo wirklich übel nehmen. „Sag mal, wir machen an Heiligabend immer noch eine kleine Afterbescherungsparty. Hast du Bock zu kommen?“ Er schaute kurz in meine Richtung, aber wie vorher, brach er den Blickkonakt gleich wieder ab. Also hatte die Umarmung heute Nacht doch etwas zwischen uns geändert. Ich hatte mir nicht soviel dabei gedacht, aber vielleicht hätte ich das tun sollen. Es war idiotisch zu denken, dass da überhaupt nichts dabei war. Ich erinnerte mich an seinen schnellen Herzschlag, für ihn war das mehr gewesen, oder? „Also, ich weiß nicht, ob deine Eltern, das erlauben. Wir machen das seit drei Jahren immer, da kommen halt nach der Bescherung bei uns noch ein paar Freunde vorbei. Es ist mehr ein gemütliches Beisammensein, als eine Party. Kannst dir ja noch überlegen.“ Ich nickte nur, da musste ich wirklich erst meine Eltern fragen. Bei solchen Familienfeiertagen konnten sie heikel sein. Allerdings konnte ich ja argumentieren, dass es zur Zeit sehr gut in der Schule lief. Er schaute kurz in meine Richtung, ich lächelte ihn an, er schaute irritiert weg und ich grinste. Eigentlich war es lustig, Pascal mal ein bisschen foppen zu können. „Ich würd mich auf jeden Fall freuen.“, er räusperte sich und wir starrten wieder den Toyota vor uns an. Als ich das Klassenzimmer betrat, hatte es gerade zur Stunde gegongt, aber der Lehrer war noch nicht da. Ich ging an meinen Platz und mein Rucksack lag dort. Hm, da hatte wohl jemand mitgedacht. Ich schaute kurz in Victors Richtung, aber er blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Also hatte sich da soweit nichts geändert. Ich kramte meinen Block und mein Mäppchen raus und mir fiel ein kleiner Zettel entgegen. Oh, geheime Botschaften, cool. Hi, Bruderherz! Ich hab Mama und Papa nichts gesagt, wegen gestern. Fänd es gut, wenn das irgendwie unter uns bleiben würde. Vic tut es übrigens leid. Alles Liebe, deine Schwester Ich knüllte den Zettel zusammen und schnippste ihn in mein Mäppchen. Kurz schaute ich wieder zu Victor, den ich gerade noch erwischte, wie er den Blick von mir abwandte. Ich war etwas irritiert. Aber gut, wenn Jana Pascal und mich nicht bei unseren Eltern angeschwärzt hatte, könnte ich auch damit leben meine Klappe zu halten, im übertragenen Sinne. Der Lehrer betrat das Klassenzimmer und er hatte Plätzchen dabei. Es war die letzte Schulwoche vor den Ferien, in den meisten Fächern schauten wir Filme, zündeten Kerzen an oder aßen Plätzchen und Kuchen. Ich hoffte für den Lehrer es waren leckere Plätzchen. „Können wir noch Kaffee dazu machen?“, fragte jemand aus der Klasse. Also gab es die nächsten zwei Stunden keinen Unterricht, sondern Kaffeekränzchen. Sollte mir recht sein. Miguel neben mir stand auf und ging zu Raphael und Victor rüber. Der Lehrer reicht mir den Teller mit den Plätzchen und ich nahm mir zwei weg. Sahen ganz passabel aus. Ich nickte ihm zu und er ging weiter. Ich schaute aus dem Fenster und bemekte, dass es schon wieder schneite. Sollte ich heute wieder zu Pascal? Ich war mir nicht ganz sicher, ich würde einfach nicht übernachten. Ich wollte sowieso nochmal mit Jana reden, aber das ging auch heute Abend. Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken, Victor stand vor mir. Er konnte froh sein, dass ich heute so gut drauf war, sonst wäre ich sicher gleich wieder auf ihn los. Aber wie er jetzt so stand, etwas verlegen und mit einem unhübsch verpackten Geschenk in der Hand, konnte ich nicht mal richtig wütend sein. „Hier für dich, aber erst an Weihnachten aufmachen, okay?“ Er reichte es mir und ich sah, dass seine Hand leicht zitterte. Ich nahm es entgegen und nickte irritiert. Dann ging er wieder an seinen Platz. Ich schaute das Geschenk in meinen Händen an, ich hatte keine Ahnung was es war. Am liebsten würde ich es jetzt gleich aufmachen, aber das käme jetzt auch blöd. Ich schaute unsicher in seine Richtung, aber wurde wieder ignoriert. Ich wollte jetzt eine rauchen. Normal machte ich das, bevor ich in die Schule ging, aber ich vermied es bei Pascal daheim zu rauchen. Ich nickte kurz dem Lehrer zu, zeigte zur Tür und ging dann. Da er ja sowieso keinen Unterricht machte, war es wohl okay, dass ich nach draußen ging. Auf dem Gang lief ich auch noch meiner Englischlehrerin über den Weg, die mich erfreut anlächelte. „Johannes! Ich hab mir ihre Arbeit durchgesehen, sie waren ja hervorragend! Ich hab sie aber erst nach den Ferien fertig korrigiert. Aber ich freu mich, dass sie jetzt mehr Ambitionen zeigen.“ Mit diesen Worten rauschte sie wieder davon, ein Zimtgeruch hing ihr nach und ich grinste. Ich sagte doch, ich konnte Englisch! Tz... Ich zündete mir meine Kippe an und schaute nach oben. Alles weiß, der Himmel, die Schneeflocken, die Gebäude. Naja, alles sehr winterlich. Victor war wieder auf mich zugegangen. Vielleicht sogar wegen der Sache von gestern, der Moralpredigt von Pascal, oder hatte Jana da ihre Finger im Spiel? Ich musste definitiv mit ihr reden. Ich seufzte und fühlte mich irgendwie etwas freier. Wenn vor einigen Wochen alles den Ausguss meines Lebens runterging, so schien es tatsächlich richtig aufwärts gehen. Hey, jetzt müsste ich nur noch sprechen können und ich wäre richtig zufrieden. Als ich fertig geraucht hatte, ging ich in die Pausenhalle. In zwanzig Minuten war sowieso Pause, da lohnte es sich gar nicht mehr, nach oben ins Klassenzimmer zu gehen. Ich sah vereinzelt Schüler in der Halle rumstehen. War ich wenigstens nicht der einzige, der dem „Unterricht“ nicht beiwohnte. Ich beschloss mich auf die dimensionsverzerrte Treppe zu setzen. Eigentlich schon krass, dass es erst zwei Monate her ist, seit ich Pascal kannte. Mir kam es viel länger vor, aber es war ja auch viel passiert in letzter Zeit. War vielleicht ganz gut, nur Veränderung konnte im Endeffekt auch eine Verbesserung bringen. Späte Erkenntnis. „Hey, so im Gedanken?“ Ich zuckte erschrocken zusammen, ich hatte Pascal nicht bemerkt. Ich drehte mich zu ihm und lächelte kurz. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass er eigentlich auch noch im Unterricht sein müsste. „Hab gerade Freistunde und Julia hat mir gesagt, dass du hier unten alleine rumsitzt.“ Hatte er ein Stalkerimperium um mich herum aufgebaut? Kurz fühlte ich mich gegruselt, aber ich wusste, dass er es nicht auf eine verrückte Psychoart meinte. Ich holte meinen Block raus. ´Ich würde heute wieder kommen.´, setzte ich ihn in Kenntnis. Aber als Pascal es gelesen hatte, schüttelte er nur kurz den Kopf. „Das geht heute nicht...“ Er sagte selten „Nein“, aber ich hatte Pascals Zeit nicht allein für mich gepachtet. Sowas musste ich akzeptieren. Normal sagte er mir aber warum. Ich runzelte die Stirn, er wich meinem Blick aus. Ich knuffte ihn in die Seite, ich mochte einen Pascal, der mir auswich nicht. Er schaute irritiert in meine Richtung, dann seufzte er. „Du bist manchmal so... so...“ Pascal beendete den Satz nicht, sondern schüttelte nur wieder seinen Kopf. Ich grinste. ´So unglaublich?´, half ich nach. „Irritierend! Du bist manchmal so unglaublich irritierend!“ Er schaute mich an, als wäre es das erste Mal, dass er mich sehen würde, grinste dann aber zurück. Hatte er wirklich was vor, oder wollte er mich heute einfach nicht sehen? Ich seufzte und ließ mich gegen die Wand in meinem Rücken sinken. Wir schwiegen uns etwas an. Die Pausenhalle füllte sich gerade recht schnell und der Geräuschpegel stieg immens an. Ich würde nochmal gerne raus zum Rauchen. Ich steckte den Block wieder ein und holte im Gegenzug meine Zigarettenpackung raus. Ich tippte Pascal an, der gedankenverloren in die Menge vor uns schaute und hob ihm die Zigaretten vor die Nase. „Hm, ich könnte auch mal ein bisschen frische Luft vertragen.“ Draußen gesellten sich Doro und Julia zu uns. Da beide Raucher waren, standen sie öfter mit uns hier draußen. Anscheinend waren Raphael mittlerweile für die beiden uninteressant geworden, zumindest hingen sie nicht mehr miteinander rum. Ich hörte nur halb zu, während sich die drei unterhielten. Es war immer etwas komisch, wenn Leute dazu kamen. Dann war es für mich eigentlich unmöglich mich noch groß an Unterhaltungen zu beteiligen. Das konnte man vielleicht damit vergleichen, wenn man das erste Mal in einen vollen Chatraum kam. Die Gespräche gingen so schnell von statten, dass es einem unmöglich war, so schnell zu tippen. Ich konnte hier nicht schnell genug schreiben, als das ich mich sinnvoll mit einbringen konnte. Manchmal stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn ich wieder sprechen könnte. Hätte ich überhaupt viel zu sagen gehabt? „Was macht ihr beiden heute noch so?“, fragte Julia. Die Frage war indirekt an mich gerichtet und sorgte dafür, dass ich wieder zuhörte. Pascal warf mir kurz einen Blick zu. Was machst du heute noch so, Pascal? „Ich wollte heute noch zu Ben.“, erklärte er schließlich. Ben? Ben kannte ich nicht mal, aber das hieß nicht viel. Ich kannte vermutlich nicht mal die Hälfte von Pascals Freundeskreis, zumindest machte ich mir nicht die Mühe mir alle Namen zu merken. Aber Doro´s Grinsen fand ich suspekt. „Ben?“ Ihr Blick bei dieser Frage! Das war dieser Da-geht-doch-was-Blick, der mich im Bezug auf Pascal immer total irritierte. Noch immer fiel es mir schwer, mir vorzustellen, dass Pascal wirklich was mit Kerlen am Laufen hatte. „Benjamin, der Ex von Miriam.“ Pascal verdrehte nur die Augen. „Achso, der... wie langweilig.“ Doro wurde in die Seite geboxt und sie lachten. Die Pause war schließlich aus und ich beschloss, dass ich mich auch mal wieder im Klassenzimmer blicken lassen sollte. Immerhin hatten wir jetzt wieder einen anderen Lehrer und ich nahm nicht an, dass wir bei allen Kekse essen würde. Ich lag auf meinem Bett und schrieb. Das Schreiben hatte ich in den letzten Wochen vernachlässigt, aber man hatte auch nicht immer den Flow und die Zeit. Gerade hatte ich ihn. Es sollte eine Kurzgeschichte werden und ein Geschenk. Ich verschenkte zu Weihnachten eigentlich nie etwas, aber wie ich Pascal kannte, würde er mir etwas schenken und ich käme mir doof vor, wenn ich nichts für ihn hätte. Es klopfte zaghaft an der Türe und ich wusste, dass es Jana war. Sie hatte mir vorher beim Essen schon gesagt, dass sie nachher noch mit mir reden wollte. „Kann ich reinkommen?“, fragte sie vorsichtig. Ich nickte nur und räumte das Geschriebene bei Seite. Ich wollte nicht, dass sie es las. „Ich dachte, wir könnten ein bisschen reden.“ Sie schaute mich abwartend an und ich hatte wie so oft, wenn ich mit ihr redete, das Gefühl, als erwarte sie, dass ich etwas sagen würde. „Also, naja, du weißt schon, wegen Vic und mir.“ Jana wurde rot. Victor wäre ihr erster Freund, soweit ich wusste. „Das lief ja alles etwas doof gestern. Aber, ich weiß nicht, vielleicht könnt ihr euch ja wieder vertragen?“ Sie schaute mich hoffnungsvoll an und ich musste leicht schmunzeln. Sie führte wirklich als einzige eine Konversation mit mir, als dachte sie, ich würde ihr tatsächlich antworten können. „Ihr kennt euch doch schon so lange, ich mein, du kennst ihn schon länger als mich...“ Deswegen hatte der Streit mit ihm auch umso mehr weh getan. Ich schaute auf meine Bettdecke, weil ich ihren erwartungsvollen Blick gerade nicht ertragen konnte. Victor und ich hatten schon zusammen im Sandkasten gespielt, da konnten wir noch nicht mal richtig reden. „Ich hab auch mit Vic geredet, er meint, von ihm aus, wäre das kein Problem... Also weißt du, ich fänd es einfach schön, wenn ihr euch wieder verstehen würdet. Ich mag ihn nämlich wirklich...“ Bei dem letzten Satz nahm das Rot in ihrem Gesicht etwas zu. Ich fühlte mich, als wäre es ihr tatsächlich wichtig, dass ich ihr die Zustimmung für diese Beziehung gab. Ich dachte an das ungeöffnete Geschenk, dass mir Victor gegeben hat und ich sah meine Schwester, wie sie total verknallt vor mir saß. Ich seufzte. Was sollte man da sagen? ´Ich dachte immer, dass du auf hübschere Jungs stehst.´, schrieb ich ihr auf. Ich mein, Jana war wirklich ein hübsches Mädchen, das auf ihr Aussehen achtet und Victor war... naja, wie sein Name, er war nicht das, was sich Mädchen als ihren ersten Freund vorstellten. „Auf solche Jungs wie Pascal?“ Sie lachte und ich war irgendwie verstört. Pascal sollte hübsch sein? Gut, er war nicht häßlich, aber bei Weitem doch nicht gutaussehend, oder? Ich schüttelte den Kopf. Wenn Jana auf Typen wie Pascal stehen würde, würde sie nur einige Enttäuschungen in ihrem Liebesleben einheimsen. „Ich find Pascal ist nett.“, meinte sie schließlich. „Aber in Victor war ich schon verknallt, als ich noch ein kleines Mädchen war.“ Als wärst du jetzt kein kleines Mädchen mehr... Mir kam Jana noch viel zu jung vor, um sie so reden zu hören. Aber wenn ich mich zurück erinnerte, fiel mir tatsächlich auf, dass Jana oft um uns rumrannte, wenn Victor da war. Sie ständig Aufmerksamkeit von uns wollte und heulend zu meiner Mutter gerannt war, wenn ich gesagt hatte, dass sie doof wäre und sie nicht mit uns spielen dürfe. „Er ist mir wirklich wichtig.“ Sie schaut mich ernst an und ich wusste, dass ich ihr als Bruder nicht alles kaputt machen durfte. Vielleicht war ich im Moment sauer auf Victor, aber eigentlich wäre ich froh, wenn ich mich wieder mit ihm verstehen würde. Man möchte eine jahrelange Freundschaft nicht einfach wegwerfen. Ich lächelte sie an und sie umarmte mich. Etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)