Hintergrundrauschen von Memphis ================================================================================ Kapitel 2: Tscherenkow-Strahlung -------------------------------- Mein Zimmer war von grauem Herbstlicht erfüllt und ließ den Raum irgendwie ungemütlich und krankenhaussteril wirken, da meine ganze Einrichtungen recht hell war; weiß lasiertes Holz, heller Parkett und weiße, hohe Wände. Wenn nicht ein paar Poster und Fotos an den Wänden hängen würden und mein ganzes Schulzeug, Klamotten und CDs auf dem Boden verstreut wären, hätte man es vielleicht für ein Hotelzimmer halten können. Meine Eltern hatten mein Zimmer und das meiner Schwester von einem Innenarchitekten einrichten lassen und ich fand eigentlich, dass er seine Arbeit gut gemacht hatte. Allerdings nur, wenn das Zimmer von warmem Sommerlicht geflutet wird. Wer hätte das auch ahnen können. Aus dem Grund hatte ich mir letzten Herbst auch einfach einen quietschbunten, flauschigen Teppich gekauft und vor mein Bett gelegt. Ich fand, das gab dem Zimmer irgendwie das gewisse Etwas, das ihm davor fehlte, die persönliche Note. Meine Eltern fanden den Teppich ja scheußlich, mir war das recht egal. Mein Rucksack war gleich neben der Tür gelandet und würde da liegen bleiben bis morgen früh. Ich selber saß am PC, trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem hellen Holz des Schreibtisches und wartete, bis endlich mein PC hochgefahren war. Mir kam es immer vor, als würde es Ewigkeiten dauern und jedes Mal noch länger. Und manchmal hasste ich es einfach, zu warten. Ich klickte mehrere lästige Meldungen für neue Updates weg und beobachtete wie Trillian - mein bevorzugter Instant-Messenger - meine Kontaktliste lud, während ich auf meiner Lippe rumkaute. Neben dem Rauchen war wohl Internet meine größte Sucht. Ein paar Tage ohne Internet machten mich unruhig und unausgeglichen. Früher war es nicht so schlimm mit mir, aber seit ich das Gefühl hatte, dass ich mich nur noch darüber verständlich machen konnte, war es fast zum Zentrum meiner Welt geworden. Verständlich, oder? Als die Kontaktliste geladen war, bekam ich auch gleich eine Nachricht, dass ich doch bitte einen gewissen „Morty“ autorisieren solle. Das war dann vermutlich mal Pascal, wie auch immer er auf diesen Nick gekommen ist. Sonst war allerdings noch keiner meiner Freunde, mit denen ich mich viel unterhielt, online. Schade. Ich klickte OK und bekam dann auch gleich eine Nachricht. [13:40] Morty: Hui, das ging aber schnell bei dir. [13:40] Donnie: Hi! [13:40] Donnie: pascal? [13:41] Morty: klar, geht doch eindeutig aus meinem Nick hervor. XD [13:41] Donnie: Öh... jah... Ich lächelte etwas, mir war Pascal irgendwie sympathisch. Außerdem fand ich es angenehm, jetzt einfach so mit ihm... schreiben zu können. Das Schreiben ersetzte mir mittlerweile meine Stimme und so schlimm fand ich es nicht. [13:42] Morty: lol [13:42] Morty: bist du oft online? Ich stand kurz auf und ging zu meinem Rucksack, ich brauchte jetzt eine Kippe. Zum Glück machten meine Eltern keinen Terz mehr darum, wenn ich im Haus rauchte. Vermutlich wollten sie ihren armen, stummen Sohn nicht mit so etwas belasten. Aber ihnen zu liebe rauchte ich nur mit offenem Fenster. Etwas fröstelnd zog ich meinen Pulloverärmel so weit runter, dass nur noch die Fingerspitzen rausguckten. Reichte zum Tippen. Meine Kippe hing während ich tippte in meinem Mundwinkel. Ich hatte das Gefühl, dass ich so ziemlich abgefuckt aussah. Ich mochte es. [13:44] Donnie: Was denkst du? O_o“ [13:44] Morty: lol also ja [13:45] Donnie: schon... irgendwie muss ich mich ja verständlich machen. o_O Noch keine Antwort. Vermutlich war Pascal wie ich und tat nebenher immer wieder irgendetwas, oder schrieb mit anderen Leuten. Würde ich jetzt auch tun, wenn jemand online wäre. Aber die meisten würden erst gegen sieben on kommen, so war ich doch ganz froh über die „Gesellschaft“ von Pascal. [13:54] Morty: okay, is klar... [13:55] Morty: warum kannst du eigentlich keine zeichensprache? [13:55] Donnie: keinen bock... außerdem bin ich nur... temporär stumm. [13:55] Morty: wtf?! Oo“ [13:55] Donnie: meine Stimmbänder und so sind okay. Is mehr so ein psychologisches ding, sowas wie mutismus. Mehr wollte ich dazu auch nicht sagen. Ich hasste es, anderen ständig erklären zu müssen, dass ich nicht sprechen konnte, weil es psychologisch bedingt war. Das klang, als wäre ich verrückt, oder so. Was ich nicht war. Meine Psyche war topfit. [13:55] Morty: okay und woher kommts? [13:55] Donnie: keine ahnung [13:55] Morty: k, wie strange... klingt aber beschissen. [13:55] Donnie: es geht Wenn man wusste, wie man damit umging, war es wirklich nicht mehr ganz so schlimm. Immerhin hatte ich ja nie eine große Karriere mit meiner Stimme geplant, außerdem war ich mir immer noch recht sicher, dass ich meine Stimme wieder finden würde. Irgendwann demnächst mal. [13:55] Morty: Du bist echt cool. [13:56] Donnie: O_o“ [13:56] Morty: nee, wirklich... also ich könnte da glaub nich so gut mit umgehen. [13:57] Donnie: naja, deine Schwester is taubstumm, dass find ich schon recht heftig. Wirklich, ich mein, nicht sprechen zu können war ja irgendwo dumm, aber nichts hören zu können, wäre für mich der pure Horror. [13:57] Morty: -drop- ah... meine Schwester, also... die taubstumme is öh irgendwie... erfunden. [13:57] Morty: sorry >_< [13:57] Morty: ich dachte sonst findest du mich zu... uninteressant Ich lachte auf Grund des Geständnisses. Ich mochte die ehrliche Antwort und ein bisschen den Grund für seine Lüge. [13:58] Donnie: du musst mich ja echt geil finden. O_o“ [13:58] Morty: klar, wer täte das nich?! [13:58] Donnie: argh, sorry, meine mutter ruft zum essen. [13:58] Donnie: ich bin heute abend dann wieder on. [13:58] Donnie: bis dann Ich ging offline ohne auf eine Antwort zu warten. Meine Mutter mochte es nicht, wenn man nicht gleich kam, wenn sie gerufen hatte. Da konnte sie wirklich stinkig werden und vermutlich würde es Pascal überleben, so abgewürgt zu werden. Er schien mir doch so ein Mensch zu sein, der einem sowas nicht krumm nahm. Mein Vater war noch nicht daheim, deswegen saßen nur meine Schwester, meine Mutter und ich am Tisch. Es gab auch nur Kartoffelpüree mit Fischstäbchen und Spinat. Ich hasste Kartoffelpüree, weswegen ich etwas lustlos darin rumstocherte. Ich verstand gar nicht, wer so eine Pampe runterbrachte. Das schmeckte doch nicht einmal entfernt nach Kartoffeln. Aber der Rest meiner Familie mochte es und ich wurde leider Gottes so erzogen, dass man aß was auf den Tisch kam und wenn es nicht schmeckte, nahm man sich halt weniger davon und aß es schnell. Meine Schwester plapperte von dem Unterricht heute und schien nur vor sich hin zu sprudeln wie ein Wasserfall. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie durch ihr vieles Reden versuchte das Schweigen, dass ich verursachte, auszufüllen. Wenn sie nur nicht so schrecklich langweilige Dinge erzählen würde. Ich seufzte und schob das Püree auf dem Teller herum. Was ich an Kartoffelbrei mochte, war dass man sich darin fast verkünstelten konnte. Vielleicht kennt ihr ja diese Simpsons-Folge, in der Homer vom Leben als Clown träumt und aus seinem Kartoffelpüree ein Zirkuszelt zaubert. Sowas ähnliches tat ich auch gerade, nur hatte ich für ein ganzes Zirkuszelt doch zu wenig Kartoffelbrei und ich würde mir sicher nicht mehr auf den Teller tun! „Schatz, spiel nicht mit dem Essen.“, kam es dann kurz von meiner Mutter, während Jana immer noch weiter redete. Ich angelte nach dem Ketchup und goss ordentlich etwas über die gelbe Pampe. Damit sollte es doch einigermaßen genießbar sein. Ich hasste es, wenn meine Mutter mich ermahnte, aber ich fand es auch albern zu protestieren – das ging übrigens auch ohne Worte - aus dem Alter war ich immerhin raus. Der Raum in dem ich saß war modern, hell und farbenfroh eingerichtet. Es standen ein paar Pflanzen herum und hinter dem Schreibtisch, der fast mittig im Raum stand, war ein Regal vollgestopft mit dicken Wälzern, die mit irgendwelchen sehr theoretisch klingenden Titel prahlten. Es war das Behandlungszimmer meiner Psychologin, Frau Doktor Schwelstein. Eine sympathische Frau, die auf ihre fünfzig zusteuerte, was man den vereinzelten grauen Strähnen in ihrem sonst blonden und modern geschnitten Haar sah, und einen durch ihre unauffällige Brille mit wachen Augen musterte. Auf mich wirkte sie wie eine Frau, die wusste wie man mit der Zeit ging, was wichtig war als Psychologin für Jugendliche. Wen anders würde man doch gar nicht ernstnehmen. Alles an ihr wirkte allerdings seriös und kompetent. Was es auch sollte, sie war ziemlich teuer. Sie hatte ihr wissendes Psychologinnenlächeln aufgesetzt und drückte mir kurz die Hand, als ich eintrat. Ich setzte mich in den bequemen Sessel, der am Schreibtisch stand und sie nahm mir gegenüber Platz. Vor ihr lag meine Akte, die sie allerdings nie aufklappte, wenn ich anwesend war. Ich wusste sowieso was darin stand, das wurde mir immerhin oft genug mitgeteilt. Wir kannten das Problem, wir kannten die Lösung, aber wir kannten nicht die Ursache. Es war manchmal entnervend. Ich hatte zuweilen das Gefühl, als würden wir einfach auf der Stelle treten. Am Anfang war ich oft wütend geworden, hier. Ich wollte schreien, aber keine Stimme kam heraus, ich warf den Sessel um, schlug auf den Schreibtisch, heulte, tigerte unruhig im Zimmer auf und ab. Ich war so frustriert gewesen, bin es vielleicht manchmal immer noch. Frau Schwelstein war immer ruhig geblieben während meiner Anfälle, hatte stets gewartet, bis ich mich wieder abgeregt hatte und mich dann verabschiedet, nicht weiter mit Fragen gedrängt. Ich glaube, mittlerweile ging ich mit einer gewissen Resignation zu diesen Sitzungen. Ich wusste nicht, ob sie mir wirklich weiterhelfen konnten, aber vielleicht waren sie auch einfach besser, als nichts zu tun. Möglicherweise war auch Frau Schwelstein nur dafür da, dass ich nicht über mein Stummwerden verrückt werde und der Grund, das Problem zu finden, war nur ein Vorwand, dass ich immer wieder hinging und mich behandeln ließ, damit ich normal blieb. Solche Gedanken weckten eine gewisse Bitterkeit in mir. Es würde meinen Eltern aber ähnlich sehen, sie waren manchmal so... so um das Erscheinen nach außen hin bemüht. Frau Schwelstein legte einen Stift und Papier vor mich hin. Sie würde das, was ich ihr aufschrieb, nachher zu ihren Akten legen. Ob sie wohl auch Schriftanalyse damit anstellte? Ich könnte es mir bei ihr förmlich vorstellen. „Wie war die Schule diese Woche?“, fing sie an zu sprechen. Ihre Stimme hatte einen angenehmen, ruhigen Klang. Die Frage stellte sie mir jede Woche, es war eine von vielen Fragen, die jedes Mal kamen und bei denen ich nicht genau wusste, worauf sie abzielten, da ich meistens das Gleiche antwortete. Ich nahm den Kuli zur Hand und schrieb in meiner etwas krakeligen Handschrift ´okay´ hin. „Und wie läuft es mit deinen Freunden?“ Ich tippte kurz nochmal auf das Wort. Sie nickte. „Mit der Familie ist wohl auch alles okay.“, sie lächelte leicht ironisch. Ich zuckte nur mit den Schultern und grinste entschuldigend. Ich wusste nicht, ob es sie störte, dass ich nur immer okay schrieb, aber es war nun mal alles in Ordnung bei mir. Sie schrieb kurz etwas auf das Papier vor sich, für die Akte. „Wir waren bei dem Konzert stehen geblieben.“ Ich nickte. „Gehst du noch zu Konzerten?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis danach gehabt. Warum wusste ich leider nicht genau. Es war einfach... das erste an was ich mich erinnern konnte, als es darum ging, an den „schicksalhaften Tag“ - es klang so überzogen dramatisch – zurück zu denken, war mir das Konzert eingefallen. Viel mehr hatte ich davon geträumt, das war allerdings erst ein paar Wochen her. Der erste Erfolg seit Jahren, sozusagen. Aber ich wusste nicht, ob das Konzert wichtig war. „Gibt es einen Grund, möchtest du nicht mehr?“ Sie schaute mich ernst an, ihren teuren Mont-Blanc-Füller in der Hand, abwartend. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Schreib auf, was du meinst.“ War ja klar gewesen, sie mochte es nicht all zu sehr, wenn sie zu viel in meine Antworten interpretieren musste. `Keine Ahnung... hatte keine Lust mehr drauf.` Ich schob ihr das Papier zu, sie las es kurz, nickte und schob das Blatt wieder zu mir. „Okay, du mochtest Konzerte, oder?“ Ich nickte. „Denkst du, dass es mit etwas zusammenhing, was auf dem Konzert passiert ist?“ Die Frage hatte sie das letzte Mal schon gestellt, ich hatte ihr nur aufgeschrieben, dass ich mir noch nicht sicher war. Ich hatte darüber nachgedacht. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte mich an alles von dem Konzert erinnern, fast körperlich, das rasende Gefühl, das Adrenalin, das durch meine Adern geflossen war, die Begeisterung. Nach dem Traum wäre ich am liebsten auf das erste Konzert, das sich anbieten würde, gegangen. Ich hab den Gedanken allerdings schnell wieder aufgegeben. Wäre sowieso niemand mitgekommen, außerdem war trotzdem ein bisschen Angst da. Angst, dass das Konzert vielleicht doch wichtig war. Frau Schwelstein nickte, notierte sich kurz etwas. Dann schaute sie wieder zu mir auf und lächelte. „Das ist doch schon mal etwas.“ Ich wusste nicht viel mit den Worten anzufangen. Ich konnte immer noch nicht sprechen und ich erinnerte mich nur an dieses dumme Konzert, auf dem ganz offensichtlich nichts Schlimmes passiert war. Ich wusste nicht mal, warum ich es vergessen hatte. Dummer, traumatischer Schock. „Nun schau nicht so bockig, Johannes.“ Kurz spürte ich die alte Wut in mir hochkriechen. Aber ich schluckte sie runter. Ich war jetzt siebzehn, ich sollte mich doch wirklich mal unter Kontrolle haben. Allerdings hatte ich keine Lust mehr auf die Sitzung. Wir hatte noch gar nichts. Nichts! Sie hatte doch immer noch keinen Schimmer, was wir tun sollten. Seit Jahren nicht! „Sollen wir Schluss machen, für heute?“ Ich nickte nur wieder, stand auf und verließ komplett grußlos das Behandlungszimmer. Ich hörte Frau Schwelstein seufzen, als ich die Türe hinter mir zuschlug. Jetzt fühlte ich mich wieder wie fünfzehn und mitten in der Pubertät. Ach, Mist. Ich hatte mir einfach viele Hoffnungen gemacht, als ich von „damals“ geträumt hatte. Das war vielleicht mein Fehler gewesen. Ich schmiss mich zuhause auf mein Bett und ließ die Welt Welt sein. Ich starrte die Tapete vor mir an, sie war weiß und auf den ersten Blick gab es rein gar nichts auf ihr zu sehen. Auf den zweiten Blick auch nicht. Aber wenn man solange einen Punkt anstarrte, musste einem einfach etwas auffallen. Ich hatte eine leichte Unebenheit bemerkt, die je nach Blickwinkel ein bisschen die Form veränderte. Wobei ich nicht viele Blickwinkel ausprobierte, da ich mich nicht groß bewegen wollte. Ich starrte diese Unebenheit mit meiner vollen Konzentration an und irgendwie schienen meine ganzen Gedanken sich alle auf diesen Fleck zu fokussieren. Es fühlte sich an, als hätte man ein Vakuum im Kopf. Totale Leere. Ich merkte erst, dass ich heulte, als mein Blick von den Tränen verschwamm und diese dumme Unebenheit dadurch wieder ihr Aussehen veränderte. Ich hörte meine Mutter an meine Zimmertüre klopfen, sie sagte mir, dass ich heute nicht kochen müsste. Hätte ich sowieso nicht gemacht, ich würde dieses Bett heute nicht mehr verlassen. Manchmal tat es gut, zu weinen und manchmal fühlte man sich dann zum Kotzen. Ich fühlte mich zum Kotzen und war froh, als ich vom Heulen und unterdrückten Schluchzen müde endlich einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)