Ein Gedanke von abgemeldet (Vampirstory) ================================================================================ Kapitel 4: Ruhe? Von wegen! --------------------------- In den nächsten Tagen ging ich wieder zur Schule und alles nahm seinen geregelten Lauf. Ich redete mich auf eine Erkältung heraus, als mich einige fragten, weswegen ich gefehlt hätte. Es war schön, wieder einen normalen Tagesablauf zu haben. Trotzdem verließ mich nie das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Als würden mir die Vampirjäger auf Schritt und Tritt folgen. In der Schule ließ mich Kasper die meiste Zeit über in Ruhe, aber er redete mit mir so oft es ging. Darum versuchte ich, immer woanders zu sein als er. Und wenn er mal um die Ecke kommen sollte, konnte ich ihn schon von weitem riechen und mich noch rechtzeitig irgendwo verstecken. Auch wenn er nun mein „Freund“ war, wollte ich nicht unbedingt, dass das die anderen in der Schule mitbekamen. Kasper glaubte leider von diesem Tag an, er müsse mich vor diesen Wahnsinnigen beschützen, deswegen begleitete er mich immer bis vor die Wohnungstür. Wenn es wirklich hart auf hart kommen sollte, würden die Jäger dieses Opfer bringen, um mich zur Strecke zu bringen, da war ich mir sicher. Sie würden keine Mühe scheuen und nicht eine Sekunde zögern. „Du musst mich nicht immer begleiten!“, sagte ich ihm also einmal. „Ich will aber!“, entgegnete er, verschränkte dabei die Arme vor der Brust. „Falls sie wieder auftauchen sollten, würden sie nicht davor zurückschrecken, dich aus dem Weg zu räumen!“, meinte ich und fuchtelte demonstrativ mit den Händen. „Das soll mir mal einer von denen beweisen.“, erwiderte er wiederum trotzig und ballte eine Hand zur Faust. „Aber du musst doch auch nach Hause!“, warf ich ein. „Keine Sorge, meine Eltern machen sich so schnell keine Sorgen.“, antwortete er brüsk. „Das... das ist doch irrsinnig!“, sagte ich und sah ihn an. Er war wild entschlossen, das konnte man seinem Gesichtsausdruck nach einwandfrei ablesen. „Nein, ist es nicht.“, tat er ab und schüttelte den Kopf. Jedes Mal wenn ich ihn darauf ansprach, blieb er standhaft bei seiner Meinung. Er ließ sich nicht davon abbringen, mich zu begleiten. Dabei brachte er sich damit nur unnötig in Gefahr! Verstand er das nicht? Die Gespräche liefen immer vom selben Schema ab und er gewann jedes Mal. Seine Standhaftigkeit half ihm dabei. Bald hatte ich keine Kraft mehr dafür und ließ es bleiben. Unsere Mitschüler glaubten schon, wir wären zusammen, weil wir so oft gemeinsam zu sehen waren, wo ich doch gerade das nicht wollte. Zu allem Überfluss kam er auch jeden zweiten Tag zu mir, immer sein breites Grinsen auf den Lippen. „Kannst du nicht mal zu Hause bleiben?“, fragte ich ihn, als er mal wieder vor meiner Tür stand. „Das nervt. Ich will alleine sein.“ Dadurch wurde sein Grinsen nur noch breiter. „Na, na! Nicht frech werden! Außerdem hast du mir selbst gesagt, wenn ich ein Problem hätte, würdest du mir helfen würdest.“, entgegnete Kasper immer noch lächelnd. Wie von selbst trat er in die Wohnung ein. Alexej hatte sich noch immer nicht mit ihm abgefunden und sah es gar nicht gerne, wenn er da war. Kasper juckte das herzlich wenig. Er hatte mir sogar einmal gesagt, dass sein Verhalten gerechtfertigt und richtig wäre. Wie jedes Mal kletterte er die Leiter nach oben zu meinem kleinen Reich. Ich kam ihm schnellstmöglich nach. „Was für ein Problem könntest du denn schon haben?“, fragte ich ihn also sarkastisch. Genau heute hatte ich mir eine Menge alter Bücher aus der Stadtbibliothek geholt, die alle auf einem Haufen auf meinem äußerst niedrigen Schreibtisch lagen. Der Tisch stand mitten im Raum, da meine Matratze schon eine Seite an der Wand einnahm. „Das könnte ich dich genauso fragen. Ist das so ein Zwang mit den alten Büchern oder wieso hast du dir so viele davon besorgt?“, stellte er mir eine Gegenfrage und deutete auf den Bücherhaufen. „Wenn es dir nicht passt, dann geh halt.“, schnauzte ich zurück. „Kann ich leider nicht. Ich muss deine Dienste in Anspruch nehmen.“, antwortete Kasper darauf und setzte sich auf meinen Stuhl. Ich brauchte einen Moment, dann musste ich auflachen. „Meine Dienste? Was verstehst du darunter?“, hinterfragte ich immer noch lachend. Er ließ seinen Rucksack zu Boden plumpsen und fischte ein dünnes Buch heraus. „Mathe. Wir haben nächste Woche Test, wie du weißt, und ich kapier die Hälfte des Stoffs nicht.“, erklärte er mir und wedelte dabei mit unserem Lehrbuch in der Luft herum. „Und dazu brauchst du mich? Das können dir deine Kumpels genauso gut erklären.“, antwortete ich darauf, während er meine Bücher möglichst sorgfältig beiseite räumte. „Na hör mal, du bist die Klassenbeste.“, meinte er und legte nun die Schulbücher auf den Tisch. Ich setzte mich ihm gegenüber und sah ihm zu, wie er die jeweiligen Seiten aufschlug. Ich brauchte nicht hineinzusehen, ich kannte alles auswendig. Man mochte es nicht glauben, aber als Vampir hatte man im Kopf plötzlich viel mehr Raum. Es war wie mit dem Horizont, so ungreifbar wie er, schien meiner zu sein. Meine ganzen Schulhefte waren ebenfalls leer, es war alles in meinem Gehirn abgespeichert. Nur in den Büchern machte ich mir hin und wieder Notizen. „Kannst du mir deine Hefte zeigen? Meine kann ich vergessen.“, fragte er mich, nachdem er die richtige Seite gefunden hatte. Erwartungsvoll streckte er mir die Hand entgegen. „Sind sie so schlampig gehalten oder wie?“, neckte ich ihn, machte aber keine Anstalten, ihm meine Hefte zu geben. „Das auch, ja. Gibst du mir jetzt deine Mitschrift oder nicht?“, erwiderte Kasper und rutschte wieder ungeduldig hin und her. Ich zog eines der Bücher näher heran und sah mir kurz die Seite an, dann wusste ich auch schon, worum es ging. „Das wäre überflüssig.“, sagte ich nebenbei. Für den Test würde ich nur einmal kurz vor dem Test in die Bücher schauen müssen, da wäre wieder alles wie frisch gelernt. Das einzig gute am Vampirdasein. Kasper schaute verwirrt drein, er verstand den Sinn hinter meinem Satz nicht. „Bitte was?“, hinterfragte er noch mal und blinzelte. „Überflüssig. Alles hier in meinem Kopf.“, antwortete ich so locker wie möglich und tippte gegen meine Schläfe. Es sah aber nicht danach aus, als hätte er es kapiert. „Häh?“, entfuhr es ihm. Ich seufzte einmal und legte das Schulbuch zur Seite. „Ich bin ein verdammtes Monster, schon vergessen?“, erinnerte ich ihn höflich. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, wollte er wissen. War es wirklich so schwer zu verstehen? Es bereitete mir Unbehagen, mit ihm über mich zu sprechen. Noch immer war es in meinem Hirn vorprogrammiert, darüber den Mund zu halten. Wie eine schwarze Mauer legte es sich jedes Mal über meine Gedanken. „Wir werden sehr alt, da sammelt sich schon eine Menge Wissen und vor allem Geld an.“, erklärte ich in möglichst klaren Worten. Hoffentlich kapierte er es jetzt. Sofort leuchteten seine Augen auf und er beugte sich interessiert nach vorne. Eine Woge seines unwerfenden Geruchs vernebelte mir für kurze Zeit meine Gedanken. Der Tisch war gerade so breit wie mein sonstiger Sicherheitsabstand gegenüber fremden Menschen. Aber wenn er sich so vorbeugte, war es wieder wie beim ersten Mal, als er hier war. Sicherheitshalber rückte ich ein Stückchen weg. „Ach ja?“, sagte Kasper noch immer mit diesem Leuchten in den Augen. „Und wie alt bist du?“ „So etwas fragt man keine Frau.“, entgegnete ich. Es widerstrebte mir, ihm mein wahres Alter zu sagen. Dann fühlte ich mich irgendwie als Oma. Er war gerade mal siebzehn und ich schon gute 115. Außerdem würde ihn das sicher schockieren. „Ach, sei doch nicht so altmodisch. Komm schon, sag!“, drängelte er weiter und ruckelte noch mehr hin und her. Er sah aus wie ein kleines Kind, wenn er so ungeduldig war. Ich wollt es ihm nicht sagen. Alles stellte sich dagegen. „Nein!“, hielt ich also dagegen, verschränkte dabei demonstrativ die Hände vor der Brust. „Mann, das ist unfair.“, meinte er enttäuscht und ließ die Schultern hängen. „Hör auf damit, oder du kannst dir deine Mathenachhilfestunde sonst wohin schieben!“, drohte ich ihm an. Ich meinte es ernst, ich würde nicht zögern, ihn hinauszuwerfen. „Schon gut, schon gut. Tut mir ja leid.“, entschuldigte Kasper sich hastig und hob beschwichtigend die Hände. Danach zeigte er mir, was er vom Stoff nicht verstand. Es war mehr als die Hälfte des Stoffes, nur die wirklich einfachen Sachen schien er zu verstehen. Also bemühte ich mich, es für ihn so leicht wie möglich zu machen. Nur war das nicht einfach, wenn für einen selbst alles sonnenklar war und man nicht hinterfragen musste, wieso und warum. Kasper kämpfte wirklich hart, damit er endlich verstand. Für ihn waren Zahlen wie eine Fremdsprache. Nach einer Weile hatte er wenigstens etwas kapiert. Für mich war es noch schwerer, weil er mich mit seinen Fragen und andauernden wieso und häh aus dem Konzept brachte. Nach einer Weile machten wir eine Pause, da selbst ich nicht mehr konnte. Des Weiteren war ich schon leicht genervt. „Sag mal bist du so blöd oder tust du nur so?“, fragte ich also und ließ mich auf mein Bett fallen. „Hey, sei doch nicht so. Zahlen sind für mich so unverständlich, wie sonst nur die Frauen.“, antwortete er entrüstet. Ich schloss die Augen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, denn jetzt hatte sogar ich zu viel ins Hirn bekommen. „Frauen sind für dich also unverständlich? Sehr interessant.“, erwiderte ich sarkastisch und musste dabei grinsen. „Na sicher. Immer endlos telefonieren und für Stunden in einem Geschäft nach dem richtigen Top suchen, das ist doch Blödsinn. Frauen sind so kompliziert.“, antwortete Kasper dabei und zappelte schon wieder unruhig. Kasper war wirklich komisch. Einerseits ging er gern in eine Wohnung voller Vampire, andererseits fand er die Frauen kompliziert. „Du redest aber grad mit einer. Irgendwie widerspricht sich das, meinst du nicht?“, sagte ich. Darauf schwieg er für eine Weile. Obwohl ich hörte, wie er aufstand, rührte ich mich nicht. Trotzdem wartete ich gespannt auf seine Antwort, es interessierte mich, wie er darüber dachte. „Ich denke, du bist eine Ausnahme.“, flüsterte er plötzlich vor mir. Ich hatte ihn nicht kommen hören, nur, wie er aufgestanden war. Erschrocken wollte ich aufspringen, doch ich klatschte wie ein Fisch gegen seine Brust und drohte wieder nach hinten zu fallen. Noch bevor ich die Wand an meinem Hinterkopf spüren konnte, hatte Kasper blitzschnell reagiert und mich am Handgelenk zu fassen bekommen. Abermals tanzten Blitze über meine Haut, bis zu meiner Schulter. Das war in dieser Sekunde jedoch nur ein Hintergedanke. Wie selbstverständlich zog er mich zurück an seine Brust. Ich verharrte unter den plötzlichen Stromschlägen, die stärker wie nie zuvor meinen Körper durchzuckten. Es fühlte sich an, als würde auf einmal wieder mein Herz schlagen. Als würde ich wieder leben. Es tat einerseits gut, andererseits war es die Hölle schlechthin. Ein Zwiespalt wie er besser nicht hätte sein können. Ich glaubte, blaue Blitze über meine Arme zucken zu sehen. Es fühlte sich wirklich an, als würde mein Herz wieder pulsieren. Die Schläge kamen immer in gleichmäßigen, rhythmischen Abständen. Andererseits war mein Atem gestockt und ich atmete schon seit ungefähr einer Minute nicht mehr. Kasper drückte mich fest an sich, beugte sich ein wenig zu mir herunter und presste seine Wange sanft gegen meine. Sofort war dort die heißeste Stelle und die Blitze schienen nun dort ihr Zentrum zu haben. Seine Brust hob und senkte sich, sein Atem fuhr mir am Hals entlang. Einen Arm hatte er mir um die Taille gelegt, die andere um meine Schultern. Sein Duft, der in stetigen Wellen über mich herfiel, betäubte all meine Sinne. Ich fragte mich, wie lange ich das noch aushalten konnte. Mir kam es so vor, als hätte es eigentlich schon jegliche Grenzen überschreiten müssen. Noch nie zuvor war ich einem Menschen so nahe gekommen, ohne über ihn herzufallen. Entweder war das Raubtier in mir so überrascht wie ich, oder es schien genauso paralysiert zu sein. Weswegen auch immer, ich verspürte nicht direkt das Verlangen ihn zu beißen. Es war seltsam. So ungewohnt. Nun bewegte er sich von meiner Wang weg, weiter hinauf zu meiner Stirn. Ich war zur Statue erstarrt und konnte keinen Finger rühren. Ich stand einfach nur da. Innerlich ließen die Blitze jedoch meinen ganzen Körper vibrieren. Unerwartet nahm Kasper mit beiden Händen mein Gesicht und presste sachte seine Lippen gegen meine Stirn. Im ersten Moment registrierte ich gar nicht was er tat, weil die Stromschläge mein Gehirn langsamer arbeiten ließen. Dann traf es mich wie ein Schlag ins Gesicht. Man könnte sagen, der Stromschlag würde direkt mein Hirn angreifen. Als hätte ich einen Kurzschluss sackte ich auf einmal in Kaspers Armen zusammen. Das war zu viel gewesen. Damit hatte er die Schmerzgrenze deutlich überschritten. Zuerst sah ich Sterne vor meinen Augen aufblitzen, dann fiel ich in Ohnmacht. Kasper hatte mich wirklich in die Bewusstlosigkeit getrieben. Gerade er! Nur mit einfachen Berührungen! Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Wieso tat er das? Warum musste mir das passieren? Ich wollte doch nur in Frieden leben! Für lange Zeit blieb es Schwarz in meinem Kopf. Als würde ich in einem schwarzen Sud dahinschwimmen, durch den man nicht hindurchblicken konnte. Warum hab ich ihn nicht gleich weggestoßen, als er mich zurückgezogen hatte? Waren es wirklich nur die Stromschläge, die mich davon abhielten? Oder noch etwas anderes? Wieder einmal zog sich das Band zwischen uns noch enger. Ich konnte spüren, wie es mir langsam meine Bewegungsfreiheit nahm. Langsam begannen die hauchdünnen Faden sich in meine Haute zu schneiden. Wenn das so weiterging, würde ich Kasper nur noch mehr Gefahren aussetzen. Und das war das letzte, was ich wollte. Irgendeinen Menschen auf dem Gewissen zu haben ist ja eine Sache, aber bei einem nahestehenden Menschen wäre es am allerschlimmsten. Allmählich kam ich an die Oberfläche des schwarzen Suds. Ein Licht kam mir langsam entgegen und meine Lider begannen zu flattern. Zuerst konnte ich nur verschwommen sehen, dann wieder scharf. „Monica...“, murmelte Kasper neben mir. Ich lag zugedeckt auf meinem Bett. Kaspers Gesicht war von Schuldgefühlen gezeichnet und er sah sehr unglücklich aus. Blitzschnell rappelte ich mich auf und brachte den größtmöglichen Sicherheitsabstand zwischen uns. Ich seufzte erschöpft. Mir schwirrte noch immer etwas der Kopf von dem Ganzen. „Du bist der erste Mensch, der mich mit so was bewusstlos gemacht hat, wusstest du das?“, scherzte ich halbherzig und versuchte ein Lächeln, das jedoch misslang. Kaspers Mundwinkel zogen sich automatisch noch weiter nach unten. „Es tut mir leid. Ich bin zu weit gegangen, das hätte ich nicht tun dürfen.“, entschuldigte er sich, wobei er demütig den Kopf senkte. Da konnte ich nicht widersprechen. Er war wirklich zu weit gegangen. Sehr weit sogar. Aber ich konnte ihn nicht beruhigen, weil es die größte Lüge wäre, wenn ich jetzt sagen würde, dass es okay sei. Wie ein begossener Pudel saß er vor mir. Ich sah ihm an, dass er es gerne rückgängig machen würde, jetzt, nachdem er wusste, was dabei für mich raussprang. Hastig strampelte ich die Decke weg und stand auf, noch immer den doppelten Abstand wahrend. Er folgte mir mit seinen Augen, während ich mich wieder zum Tisch mit den Schulsachen setzte. „Na komm, machen wir weiter. Du kannst noch nicht alles.“, forderte ich ihn auf. Ein wenig verwirrt sah er mich an, folgte aber meiner Forderung. Es schien ihn zu überraschen, dass ich mich so schnell wieder gefasst hatte. Darauf versuchte ich, ihm den letzten Rest beizubringen. Dabei hielt Kasper sich ziemlich zurück, er legte nicht einmal seine Hände auf den Tisch. Er merkte, wie sehr er mich damit verletzt hatte. Wir erstarrten beide, wenn wir nur einander nur einen Zentimeter zu nahe kamen. „Monica...“, flüsterte auf einmal Alexejs Stimme von unten. Nur ich konnte sie hören. Ich bat Kasper, kurz zu warten und krabbelte zur Leiter hin. Alexej stand stirnrunzelnd und unschlüssig vor meiner Leiter. Er schaute zu mir herauf, als ich am oberen Ende auftauchte. „Was tut ihr da wenn ich fragen darf?“, fragte er mich. Er hatte anscheinend bemerkt, was wir hier oben gemacht hatten. „Lernen.“, antwortete ich kurz. Ich log nicht, wir hatten ja wirklich gelernt. Es war nur etwas Unvorhergesehenes dazwischen gekommen. Alexej musterte mich skeptisch, ihm gefiel das überhaupt nicht. „Ach ja? Da hab ich aber etwas ganz anderes mitbekommen.“, meinte er und verzog dabei den Mund. „Wir haben nur gelernt. Sonst nichts.“, erwiderte ich stur. Für einen kurzen Moment schwieg Alexej. Er schien Kasper abgrundtief zu hassen. „Du solltest aufpassen. Der Junge ist mir nicht ganz geheuer.“, warnte er mich noch einmal. Den letzten Satz sagte er extra laut, dass ihn sogar Kasper verstehen konnte. „Ja, ja.“, sagte ich noch, dann wandte ich mich wieder Kasper zu, der nicht wirklich verstand. „War das dein Vater?“, fragte er mich und blickte zur Leiter, als stünde Alexej dort. Ich nickte nur bestätigend. „Was wollte er?“, wollte er weiter wissen. „Er hat mich vor dir gewarnt.“, antwortete ich, schlug dabei die nächste Seite, die wir durchnehmen wollten auf. „Aha.“, war sein letztes Wort dazu. Wir büffelten weiter, oder besser gesagt er rackerte sich weiter ab, während ich versuchte es ihm möglichst verständlich zu erklären. Als es sechs Uhr war, bat Susan mich höflich, dass ich Kasper nach Hause schicken sollte, weil es schon dunkel wurde. Das war natürlich nicht der Grund dafür. Alexej wollte es so. Susan machte es nur für mich auf die freundliche Tour, außerdem war sie nicht der Typ, der grob mit anderen umging. Schnell packte Kasper seine Sachen zusammen und verabschiedete sich von mir. Er berührte mich nicht einmal. Auch nicht Susan.In der Stille wirkte das Klacken der Tür noch lauter als sonst. Ohne ihm nachzusehen oder dergleichen verkroch ich mich wieder auf mein Zimmer. Ich war noch immer ein bisschen benommen von dem vorigen Geschehen. So intensiv gefühlt hatte ich schon seit... ja seit wann eigentlich nicht mehr? Ich wusste es nicht. Das hatte wahrscheinlich schon vor meinem sechzehnten Geburtstag aufgehört. Durcheinander und verwirrt legte ich mich auf mein Bett und versuchte meine Gedanken zu ordnen, soweit das möglich war. Doch ich konnte nicht viel schlichten, weil da nur Fragen in meinem Kopf auftauchten und rasend schnell durch neue ersetzt wurden. Über all den Fragen stand eine ganz wichtige, und zwar wieso Kasper das getan hatte. Wollte er mich ärgern? Machte er sich einen Spaß daraus, mich zu foltern? Oder bemerkte er nicht einmal mein Leiden? Ich befürchtete stark, dass er gar von meinen supervampirischen Kräften irgendwie angezogen wurde. Für einen Vampir konnte es ein leichtes sein, einen einfachen Menschen zu beeinflussen. Ich hoffte wirklich inbrünstig, dass ich diese Wirkung nicht auf ihn hatte. Doch Kasper war ohnehin schon seltsam, also warum sollte er nicht auch seltsame Sachen tun? Das zweite, was mich extrem daran beschäftigte war, dass ich mich bei all diesen Berührungen wahrhaftig lebendig gefühlt hatte. Als wäre ich nicht mehr eine Untote, sondern ein lebender Mensch mit einem schlagenden Herz und funktionierenden Organen. Eben genau das, was ich seit jeher wollte. Doch dieser Impuls konnte auch genauso gut nur von den Blitzen, die jedes Mal meinen Körper durchzuckten, kommen. Trotz aller Gedanken darum, wieso und warum das so war, gab es eine Tatsache, an der man nichts rütteln konnte. Die Berührungen und das sonst ungreifbare Gefühl der Sterblichkeit taten gut. Zumindest meiner Seele. Diese Erkenntnis überraschte mich derart, dass ich mich aufsetzen und noch mal darüber nachdenken musste. Auch die Bestie war in mir verstummt und schien mich für irre erklärt zu haben. Sollte sie doch. Wenigstens war ich jetzt für mich allein in meinem Kopf und wurde nicht von ihr gestört. Aber es stimmte wirklich, Kaspers Nähe war vielleicht, nein, sogar sicher eine Folter für meinen Körper, jedoch war er derjenige der für wenige Momente meine sehnlichsten Wünsche befriedigte. Eine wirklich komische Feststellung. Vor wenigen Tagen noch wollte ich ihn in Stücke reißen und jetzt konnte er mir das geben, was ich wollte! Das kann noch was werden, seufzte ich innerlich. Zur Beruhigung griff ich mir ein Buch aus dem riesigen Stapel aus der Bibliothek und fing an zu lesen. Schon bald war ich darin vertieft und es schoben sich keine anderen Gedanken mehr in meinem Kopf, womit ich mich gänzlich auf das Buch konzentrieren konnte. Eigentlich hätte ich noch meine Hausübung erledigen sollen, für die ich auch die ganze Nacht Zeit gehabt hätte, doch ich ließ sie links liegen und las einfach weiter. Es war das erste Mal, dass ich sie nicht machte. Nächsten Morgen saß ich wieder pünktlich in der Schule, auch wenn ich fast meinen Bus verpasst hätte. In der Nacht hatte ich mich so in meine Bücher hineingelesen, dass ich gar nicht merkte, wie es dämmerte. Sobald ich das Buch zur Seite gelegt hatte und ich wieder in die Realität zurückkehren musste, brachen wieder Bilder von gestern auf mich ein. Rüde schob ich alles davon beiseite und konzentrierte mich auf anderes, wie zum Beispiel meine nicht gemachte Hausübung. Ich fragte Lisa, ob ich von ihr abschreiben könnte und sie gab mir auch bereitwillig ihr Heft. So oft schon hatte ich die zwei abschreiben lassen, wenn sie mal wieder durchgefeiert und auf schulische Arbeiten vergessen hatten. Der Tag verlief ziemlich normal. Zu normal meiner Meinung nach. Erst in der letzten Stunde bemerkte ich, dass Kasper fehlte. Als ich Zara fragte, wo er sei, sagte sie mir, dass er schon den ganzen Tag fehlen würde. Darum hatte ich immer das Gefühl, als würde etwas fehlen. Eigentlich hätte ich ja ganz froh darüber sein müssen, dass er einmal nicht da war und er mir nicht mit irgendwas in den Ohren lag. Doch das erste, was ich mir dachte, als Zara mir antwortete war, dass er wegen mir nicht hier war. Ich wusste es nicht, aber ich konnte mir vorstellen, dass Kasper sich irgendwelche Vorwürfe machte, auch wenn es nicht unbedingt seinem Typ entsprechen würde. Vielleicht glaubte er ja, ich wäre beleidigt, weil er mich gestern sprichwörtlich fertig gemacht hatte. Und zwar nur durch Berührungen, wohlgemerkt. Eigentlich hätte ich das ja auch sein sollen. Ich hätte wütend und verärgert werden sollen, ihn anschreien und ihn sofort in hohem Bogen rauswerfen sollen. Aber nichts von alledem war eingetroffen, obwohl ich es von mir selbst erwartet hätte. Das einzige was eingetreten war, war erst einmal große Verwirrung über die Erkenntnis, dass das vorangegangene Geschehen mir ein kleinen Teil meiner „Sterblichkeit“ zurückbrachte. Auch wenn ich versuchte, diese Tatsache beiseite zu schieben, fragte ich mich immer wieder, wieso gerade er das verursachte. Wie gesagt, große Verwirrung. Ich brachte den Tag stillschweigend hinter mich. Am Nachmittag fragte ich mich, ob ich Kasper vielleicht die Hausübungen bringen sollte, um diese Gelegenheit gleich dazu nutzen, um das Ganze aufzuklären. Kopfschüttelnd tat ich diesen Gedanken ab. Ich wusste ja nicht einmal, wo er wohnte. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wie ich diese Sache richtig anpacken sollte, ohne alles zu ruinieren. Was sollte ich denn ruinieren?, erklang plötzlich eine Stimme in meinem Kopf. Eine gute Frage, die andere Fragen aufwarf. Ich dachte eine Weile nach, obwohl ich die Antwort doch eigentlich schon wusste. Wollte ich ihn als Freund nicht verlieren? Wollte ich diese Freundschaft, die alles gefährdete, aufrechterhalten? Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit war es genau das. All das wollte ich nicht missen, aus meinen selbstsüchtigen und egoistischen Gründen. Vor diesem standhaften Grund konnte ich die Augen nicht verschließen. Nicht mehr. Seufzend ließ ich zu Hause meinen Kugelschreiber sinken. Ich saß gerade bei einem Aufsatz, den wir bis morgen fertig machen sollten. „So eine Scheiße.“, fluchte ich. Noch nie hatte mich jemand in meinem langen Leben so in Aufruhr versetzt. Diese ganze Situation schien mich total zu überfordern. „Probleme?“, ertönte Susans fürsorgliche Stimme von unten. Ihren Ohren entging aber auch nichts. Hier musste man Angst haben, dass selbst die eigenen Gedanken zu laut waren. „Zur Genüge.“, antwortete ich, schnappte mir meine Jacke und rauschte nach draußen. Ich hörte noch, wie Susan mich zurückrufen wollte, weil es ab jetzt ja angeblich zu „gefährlich“ für mich war. Aber wenn ich jetzt nicht bald frische Luft bekam und meinen Kopf klären konnte, würde ich noch durchdrehen. Es machte mich richtiggehend rasend, dass mich das, diese super einfache Sache, so dermaßen beschäftigte. Kaum war ich um die erste Ecke gebogen hatte ich ein beträchtliches Tempo erreicht. Ich rannte sozusagen fast. Als wollte ich davor wegrennen. Ein entnervtes Murren entfuhr mir und ich legte noch einen Zahn zu. Tief sog ich die Luft ein, die heute nicht so rein zu sein schien wie sonst. Das half mir natürlich nicht wirklich weiter. Ich ging noch eine Weile weiter und der Kampf zwischen meinen Grundsätzen und dem, was ich wollte, schien noch unendlich weiter gehen zu können. Zwei Fronten, die sich ständig aneinander rieben und keine von beiden würde nachgeben. Mittendrin stand ich und wurde von allem zerdrückt und zerquetscht. Ich stöhnte laut auf und fuhr mir mehrmals grob durch die Haare. „Ah! Monica, bist du das?“, erklang eine bekannte Stimme hinter mir. Schnell drehte ich mich um und erblickte Rosa hinter mir, die ihr typisches Lächeln auf den Lippen hatte. Augenblicklich musste ich auch lächeln, wohl eher wegen ihres Auftretens als wegen ihrer Ausstrahlung. Die alte Dame hatte wirklich eine Vorliebe für rosa Kleidungsstücke. „Oh, guten Tag! Wie geht es Ihnen?“, erkundigte ich mich höflich. Rosa war gerade aus einem Trödelladen herausgekommen und trug eine Holzfigur in Form einer Katze vor sich her. Sie lugte gerade mal über die Schulter der Statue. Hastig nahm ich ihr das Ding ab, worauf sie sich bedankte. „Sollte ich nicht eher dich fragen, wie es dir geht?“, fragte sie zurück, als sie ihre Hände endlich wieder frei hatte. „Wieso das?“, wollte ich wissen. Für mich war diese Holzkatze nichts mithilfe meiner supervampirischen Kräfte. Wieder ein Pluspunkt für das Vampirdasein. Leider. „Schätzchen.“, setzte sie an. Schätzchen?, dachte ich mir und musste innerlich grinsen. „Dir sieht man doch an, dass du etwas auf der Seele hast.“ Mit einem Mal verflog mein innerliches Grinsen. Schon fast geschockt fragte ich mich, ob es mir wirklich so leicht anzusehen war, dass ich Probleme hatte. Sehr schön, dass das jetzt auch schon wildfremde Menschen erkennen können. „Wieder Lust auf eine Tasse Kaffee?“, lud sie mich abermals ein. „Gerne, aber dieses Mal lade ich sie ein, okay?“, schlug ich vor und sie nickte nur. Gemeinsam steuerten wir das nächstgelegene Café an. Es war nicht wohlbekannt und Rosa wäre ja am liebsten wieder in ihr Lieblingscafé gegangen, doch das lag am anderen Ende der Stadt. „Und bitte sagen Sie mir, was sie mit diesem Monstrum wollen!“, verlangte ich von ihr zu wissen, worauf sie laut lachte. „Ach, das wird nur die neue Stütze für mein Regal sein.“, antwortete sie mir danach. Ich musste noch einmal nachfragen, da ich nicht verstand, was sie da gerade gesagt hatte. „Zu Hause habe ich ein kleines Bücherregal, das ohne eine Stütze zur Seite wegknicken würde. Meine letzte Stütze war auch so ein Ding, ist aber neulich zusammengebrochen. Und diesen netten Job wird jetzt das Kätzchen hier für mich übernehmen.“, erklärte Rosa mir bereitwillig und streichelte einmal über den Kopf der Holzkatze. Ich war so überrascht und baff von ihrer Erklärung, dass mir erst einmal der Mund offen stehen blieb. Sie war doch wirklich eine seltsame Frau. Statt das Holzding als Deko zu benutzen, war es für sie nur ein Mittel zum Zweck. Abermals musste Rosa über mich lachen. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster des Cafés. Ohne weiteres stellte ich die Holzkatze neben mir ab, während Rosa für sich einen Kaffee und für mich einen Tee bestellte. Ich konnte jetzt schon spüren wie der Tee mir das komische Gefühl von Sand im Mund zurückbringen würde. „So und jetzt erzähl mal.“, forderte sie mich auf. Ich brauchte einen Moment, um zu antworten. Sollte ich ihr schon wieder mit meinen Problemen in den Ohren liegen? Eigentlich ging es sie ja abermals nichts an. Es war auch eine Sache, die nicht nur mich und meine dummen Gefühle betraf. „Ich... äh... weiß nicht.“, stotterte ich blöd herum. „Ach komm schon, Monica. Ich seh doch, dass du darüber reden willst.“, meinte Rose hartnäckig. Keinen Moment später kam der Kellner und brachte die Bestellung, wodurch unser Gespräch kurzzeitig unterbrochen wurde. Eilig nahm ich ein paar Züge von meinem Tee, um das Ganze noch länger hinauszuziehen. „Also, fang an!“, ordnete sie an. „Wollen Sie jetzt mein persönlicher Seelenklempner werden, oder wie sehe ich das?“, fragte ich sie scherzeshalber und trank in einem Zug meine Tasse aus. Ernst schüttelte sie den Kopf. „Das habe ich nie gesagt, es interessiert mich nur, was in deinem jungen Leben so passiert.“, erwiderte sie. Mein Gott, wie konnte man nur auf so eine Weise antworten? So kannte ich es nur von Kasper. Kasper, hallte es in meinem Kopf wider. Automatisch verzog ich das Gesicht. Auf meine Reaktion schmunzelte Rosa nur und ich fragte mich, was sie sich jetzt schon wieder dachte. „Ein Junge?“, fragte sie sich. „Ein Junge.“, bestätigte ich. „Derselbe wie vom letzten Mal?“, hinterfragte sie weiter und ich nickte nur beschämt. „Ein anderes Problem oder noch immer dasselbe?“, hakte Rosa nach. „Ein anderes.“, antwortete ich knapp. „Oh, das ist ja interessant.“, meinte sie amüsiert und schlürfte an ihrem Kaffee. Ich hatte einfach kein anderes Wort als seltsam, um diese Frau passend zu beschreiben. „Und? Was ist jetzt? Erzählst du es mir?“, ließ sie nicht locker und ruckelte ungeduldig auf dem Sessel hin und her. Ergeben seufzte ich, lehnte mich nach vorne und stützte den Kopf auf meine Hände. „Es ist zum sterben.“, sagte ich entnervt. Man konnte diesen Satz wortwörtlich nehmen. „Und du willst lieber sterben, als dieses Problem aus der Welt zu schaffen?“, fragte sie, wobei ich mir denken konnte, dass sie die Antwort sowieso schon wusste. „Mehr oder weniger.“, antwortete ich trotzdem. „So schlimm kann es doch nicht sein.“, meinte Rosa darauf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Doch.“, hielt ich dagegen. „Mein Gott, erzählst du jetzt oder nicht?“, wollte sie wissen. Dabei hörte sie sich an wie ein ungeduldig Teenager. „Also gut, also gut! Sie sind ganz schön hartnäckig!“, warf ich ihr vor. „Ich weiß.“, erwiderte sie selbstsicher und lächelte. Ich sah sie noch einmal an, bevor ich anfing. Erwartungsvoll erwiderte sie meinen Blick. Wie konnte ich ihr nur davon erzählen? Sie war noch immer eine Fremde, oder etwa nicht? Doch bei unserem letzten Treffen hatte ich ihr auch mein Herz ausgeschüttet, ohne großartig nachzudenken. Ich stand sowieso schon knietief in der Scheiße, also brauchte ich mir um den Rest auch keine Sorgen mehr machen. „Ich... äh...“, versuchte ich einen Anfang, wusste aber nicht so recht, wo ich eben anfangen sollte. „Also, zwischen mir und dieser einen ganz bestimmten Person ist etwas vorgefallen, das nicht sein sollte.“, erklärte ich und gestikulierte dabei ein wenig mit den Händen. „Was ist denn zwischen euch passiert?“, hinterfragte sie, als ich gerade fortfahren wollte. Hierauf zögerte ich natürlich. Ich warf ihr einen finsteren Blick zu. „Das...“, wollte ich ansetzen, aber sie kam mir zuvor. „Schon gut, wieder etwas, worüber ich nichts wissen soll?“, sagte Rosa und ich nickte nur. Sie bat mich dann fortzufahren. „Und heute ist er nicht in die Schule gekommen. Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, dass er denkt, ich sei böse auf ihn wegen der Sache. Das stimmt aber nicht! Ganz im Gegenteil sogar!“, ich rang bei dieser Stelle geradezu nach Worten. Es verlangte mir viel ab, davon zu reden. „Und er ist so ein sturer Typ und reitet sich immer gleich in so was rein. Er denkt nicht einmal an andere Möglichkeiten! Jetzt weiß ich nicht, wie ich das alles wieder ausbaden soll, weil es für mich ja auch irgendwie unangenehm ist.“, endete ich und wenn ich sowieso nicht mehr amten müsste, wäre ich wohl außer Atem gewesen. Als würde sie mir bei etwas zustimmen nickte Rosa hier und da. Sie überlegte ziemlich lange, bevor sie etwas sagte. „So ist das also.“, ergriff sie nach einer endlosen Weil das Wort. „So schlimm wie beim letzten Mal hört es sich aber nicht an.“ „Es ist aber schlimm.“, beharrte ich trotzig. „Schlimmer als schlimm.“ „Okay, lassen wir’s dabei beruhen und widmen uns der Lösung deines Problemchens. Gut?“, schlug sie vor, worauf ich nur ein betretenes Ja herausbrachte. „Was hindert dich so sehr daran, dass du nicht einfach mit ihm redest?“, fragte Rosa ohne groß herumzureden. „Das... es... es ist mir in gewisser Maßen peinlich.“, antwortete ich darauf etwas lasch. „Nun gut, doch wenn du so weitermachst, wirst du das hier nie lösen.“, meinte sie entschlossen. „Ich weiß....“, entgegnete ich niedergeschlagen. Das wusste ich schon und sie musste es mir nicht noch einmal sagen. „Das ist so, als würdest du einen Ball immer wieder an wen anderen abgeben. Irgendwann kommt er dann zurück und dasselbe fängt von vorne an. Doch wenn du den Ball länger behältst und ihn nicht weitergibst, kann er auch nicht mehr zu dir zurückkommen. Besseren Gewissens kannst du ihn dann ablegen und musst ihn dann nicht an einen Anderen geben.“, gab sie wieder einer ihrer seltsamen Erklärungen ab, die für mich aber irgendwie sehr viel Sinn hatten. Diese Dame überraschte mich immer wieder. War sie überhaupt von dieser Welt? Ein wenig sprachlos starrte ich sie an und suchte nach einer guten Erwiderung. Doch was für eine Erwiderung wäre gut genug auf eine solche Erklärung? Ich zumindest wusste keine. Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Sie sind wirklich erstaunlich Rosa, wissen Sie das?“, sagte ich ihr, worauf Rosa breit zu grinsen begann. „Natürlich weiß ich das.“, antwortete sie selbstsicher und schlürfte den letzten Rest ihres Kaffees. „Nächstes Mal gehen wir wieder zum anderen Café.“, meinte sie, nachdem sie die Tasse abgestellt hatte. Ihr Gesicht ließ darauf schließen, dass Rosa der Kaffee nicht so gemundet hatte wie in ihrem Lieblingscafé. Was mich aber mehr beschäftigte war ihre Aussage. Seltsamerweise musste ich lachen, anstatt irgendwelche Angstgedanken zu bekommen. Anscheinend konnte man in der Nähe dieser Frau einfach nicht anders, als auch genauso wie sie seltsam zu sein. „Rechnen Sie schon so bald wieder damit, dass ich erneut ein Problem habe?“, wollte ich von ihr wissen. „Du bist interessant, Monica. Und interessante Leute haben eben Probleme, sonst wären sie ja nicht interessant.“, erklärte sie mir wieder auf ihre komische Weise. Abermals musste ich den Kopf schütteln und seufzte dabei. Erneut hatte mir Rosa auf ihre Weise weitergeholfen. Ich wusste nicht wieso, aber sie konnte das einfach. Nur noch einmal ließ ich die Situation mit Kasper vor meinem inneren Auge ablaufen. Blitze und Unbeweglichkeit waren an diese Erinnerungen geheftet. Und natürlich nicht zu vergessen das unbeschreibliche Gefühl der Sterblichkeit. Daraufhin fasste ich einen Entschluss. Ich würde mit Kasper reden und ihn in gewissermaßen aufklären, falls er die Situation falsch interpretiert hatte. Das einzige was ich danach tun konnte, war abwarten und auf eine positive Reaktion hoffen. „Nun gut, ich verabschiede mich dann.“, sagte plötzlich Rosa und stand schon auf. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen und brauchte ein paar Sekunden, um wieder in die Realität zu finden. „Äh... Brauchen Sie nicht noch Hilfe bei der Holzkatze?“, fragte ich sie hastig und warf einen Blick auf das Mörderding. Doch Rosa winkte ab und meinte nur, dass es nicht mehr weit zu ihr nach Hause sei und dass sie das schon schaffen würde. Ich war zwar skeptisch und wollte sie überreden, aber sie ließ sich einfach nicht umstimmen. Besorgt sah ich ihr nach, als sie die schwere Statue die Straße hinunterschleppte. Bevor ich ihr noch nachlaufen konnte, um ihr doch noch gezwungenermaßen zu helfen, hielt mich der Kellner auf, der mich bat, die Rechnung zu bezahlen. Aus meiner Jackentasche und Hosentaschen kratzte ich das nötige Geld zusammen. Wie immer hatte ich bei meiner Einladung zum Kaffee nicht bedacht, dass ich eigentlich gar nicht viel Bargeld bei mir hatte. Ohne sich zu verabschieden zog der Kellner endlich von dannen und ließ mich in Ruhe. Rosa war längst außer Sichtweite und somit musste ich ohne ihr zu helfen wieder nach Hause gehen. Auf meinem Nachhausweg war ich klugerweise etwas vorsichtiger als vorher und rannte nicht mehr blindlings durch die Straßen. Ich hatte jetzt, da ich mir wieder mal meine Probleme von der Seele geredet hatte, andere Gedanken und beachtete die ausdrückliche Warnung von Alexej hinsichtlich der Vampirjäger endlich. Ich hatte nämlich echt Angst vor diesen Leuten, auch weil ich mich nicht richtig verteidigen würde können. Mein Weg führte mich durch belebte Straßen, wo ich unter den vielen Menschen nicht auffiel und geschützt war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)