Ein Gedanke von abgemeldet (Vampirstory) ================================================================================ Kapitel 3: 3 Vampirjäger und nur ein Lebensretter ------------------------------------------------- Am späteren Nachmittag lag ich auf meiner Matratze, die als Bett diente und las ein uraltes Buch von einem französischen Dichter. Ich war wie sonst auch allein. Alexej war arbeiten. Er war Rechtsanwalt und verdiente dadurch mehr als genug für uns drei. Susan hatte sich mit einer Freundin verabredet und würde erst später zurückkommen. Ich mochte es, allein zu sein. Einsamkeit war wohl mein engster Freund. Wenn ich alleine war, konnte ich um so vieles besser denken und mich konzentrieren. Dann fühlte ich mich wohl und ich konnte mich meinen geliebten Büchern widmen. Ich hatte eine Vorliebe für alte Lektüren, die schon so vergilbt waren, dass man es nur schwer lesen konnte. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber es erinnerte mich jedes Mal an mein Leben als Mensch. Meine Erinnerungen daran waren blass, genauso vergilbt wie die Bücher, die ich las. Immer wenn ich sie durchlas, konnte ich mich besser erinnern. Es schien mir wie Magie, dass das so war. Ein Zauber, der mir dieses furchtbare Leben wenigstens etwas versüßte, wenn man das so sagen kann. Und es tat so gut. Man hatte mich nicht gefragt, ob ich ein Vampir werden wollte. Mein sehnlichster Wunsch war daher auch, wieder ein Mensch zu sein. Es gab nichts Anderes was ich mehr wollte. Sterblich zu sein, das war alles. Sicher war Unsterblichkeit auch nicht schlecht. Aber die Ewigkeit dauert lange und das ständige Verlangen und der Durst nach Blut ist wirklich nicht etwas, das man als Dauerzustand haben wollte. Zu meinem Leiden gab es kein Gegenmittel, das mich wieder menschlich machen würde. Als ich noch nicht lange bei Susan und Alexej wohnte, durchforstete ich alles, suchte verzweifelt nach etwas, das mir einen Hinweis darauf gab, wie man wieder ein Mensch werden konnte. Doch es gab nichts. Rein gar nichts. Das war so enttäuschend, dass ich mich in die dunkelste Ecke verdrückte und so lange nichts mehr trank, bis ich schon halbtot war. Die Enttäuschung war so groß, dass ich lieber sterben wollte, als ewig zu leben. Alexej musste mir dann regelrecht meinen Mund aufreißen, um mich Zwangs zu ernähren. Meine Gedanken wurden jäh durch ein Klopfen an der Haustür unterbrochen. Langsam setzte ich mich in Gang, stieg die Leiter hinunter und schaute durch den Späher. Was ich erblickte, ließ mir den Atem stocken. Kasper stand ungeduldig zappelnd vor der Tür. Als ich nicht öffnete, klopfte er noch einmal und schickte ein: „Monica, bist du da?“ hinterher. Woher zum Teufel hatte er meine Adresse? Konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich hatte heute schon genug von ihm gesehen. Er war wie eine nervige Fliege, die einen stetig umsummte. Er hatte mich wiedererkannt, da war ich mir schon länger sicher, sonst würde er mich nicht so nerven. Natürlich wollte er jetzt wissen, was ich denn da mit der Ziege gemacht hätte. Dieses Thema hatte er schon des öfteren angerissen, aber da biss er auf Granit bei mir! Trotz allem war da immer noch dieses Verlangen. Das Verlangen stärker als mein Durst. Seine Nähe war Folter und Befriedigung zugleich. Folter, weil ich wusste, dass er in ständiger Gefahr schwebte, weil er so nah dran war, unser Geheimnis zu enthüllen. Befriedigung, weil das Verlangen dann gestillt war. Es war ein regelrechter Zwiespalt, der sich in mir auftat, wenn ich auf ihn traf. Aber ich wollte so sehr bei ihm sein! Wie konnte ich nur so egoistisch und selbstsüchtig sein?! Ich musste an das Wohl meiner Familie denken! Also stapfte ich von der Tür weg und brüllte lautstark: „Geh weg!“ „Monica! Lass mich rein! Ich will mit dir reden!“, erwiderte er standhaft und klopfte weiter gegen die Tür. „Ich will aber nicht mit dir reden!“, sagte ich und warf mich auf das Sofa. „Okay, okay. Korrektur: Ich muss mit dir reden!“, meinte Kasper nun. Ich drückte mir die Sofakissen auf die Ohren, damit ich ihn nicht mehr hören konnte. „Lass mich in R-U-H-E!“, brüllte ich wütend. „Das kann ich nicht!“, antwortete er mir. Ich konnte ihn leider noch immer hören. Meine Vampirohren machten es möglich. „Wieso kannst du das nicht? Es ist ganz einfach! Du musst nur nach Hause gehen und mich aus deinem Gedächtnis streichen!“, erklärte ich ein wenig sarkastisch mit spöttischem Unterton. „Ich werde solange hier stehen, bis du mich reinlässt!“, entschloss er sich kurzerhand und ich konnte hören, wie er sich vor der Tür hinsetzte. „Da kannst du aber lange warten!“, meinte ich darauf. Diese Konversation erschien mir so sinnlos. Und doch freute ich mich so sehr, seine Stimme zu hören. Warum nur? Ich musste einfach den Verstand verloren haben. Stille legte sich über uns. Ich lauschte, ob er nicht vielleicht doch gegangen war. Seine ruhigen Atemzüge verrieten mir, dass dem nicht so war. Für einige Zeit blieb ich regungslos auf dem Sofa sitzen, die Kissen immer noch auf meine Ohren gedrückt. Ich hatte zwei Hoffnungen, die so gegensätzlich waren, dass sie eigentlich nebeneinander nicht existieren konnten. Die erste Hoffnung war, dass er verschwand und zwar für immer. Wenn er nicht bald damit aufhörte, konnte das Ganze tödlich ausgehen. Für ihn, für mich. Für uns alle. Meine zweite Hoffnung war, dass er wirklich dort sitzen blieb und weiter mit mir redete. Wieder stand es Verstand gegen Verlangen. Ein ewiger wie aussichtsloser Kampf. Keine fünf Minuten später scharrte es leise vor dem Eingang. Kasper war aufgestanden und trottete nun hin und her. Er konnte nie lange stillsitzen. Kasper war einer dieser Menschen, die immer etwas tun mussten und nie für längere Zeit still stehen konnten. Was seine Geduld betraf, war es genau dasselbe. Sein Geduldsfaden brauchte nur eine kleine Anspannung, um zu reißen. Es trieb ihn wirklich an seine Grenzen, nur vor meiner Tür auf und ab zu gehen. Der Gedanke an sein ungeduldiges Gesicht, die kraus gezogene Nase, trieben mir unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen. Schnell schüttelte ich den Kopf, um das Lächeln ungeschehen zu machen. Die Kissen legte ich erst mal wieder bei Seite. Es half ja sowieso nichts. Im Gegensatz zu Kasper konnte ich still sitzen, solange ich wollte. Wie eine Statue zu sein, fiel mir leicht. So oft schon hatte ich fast tagelang auf meiner Matratze gelegen, immer ein gutes Buch in meiner Hand. Die einzigen Bewegungen dienten zum umblättern der Seiten. Dabei war es immer schön leise gewesen, diesmal aber waren die lauten Schritte von Kasper zu hören. Ein stetiges Klackern auf dem Steinboden. Auch wenn es noch so nervtötend war, blieb ich steinern dort sitzen. Abrupt blieb Kasper plötzlich stehen. „Monica! Lass mich rein!“, fing er erneut an zu betteln. „Nein!“, sagte ich entschieden. „Geh. Weg.“ „Nein.“, verneinte nun er, worauf ich entnervt grummelte. „Wieso lässt du mich nicht rein?“, fragte Kasper mich in einem Ton, der sehr verzweifelt klang. Ich fühlte mich sofort schlecht und wollte schon aufstehen. Doch ich hielt mich selbst zurück und krallte mich am Sofa fest. „Man lässt keine Fremden in seine Wohnungen. Weißt du das denn nicht?“, antwortete ich ihm voller Sarkasmus. Jetzt war er es, der verärgert grummelte. „Ich bin kein Fremder.“, erwiderte er kraftlos. „Bist du wohl.“, entgegnete ich wie ein trotziges Kind. Erneutes Schweigen trat zwischen uns. Das Klackern vor der Tür begann von neuem. Diesmal hielt er es länger aus, bevor er die nächste Frage stellte. „Warum willst du es mir nicht erklären?“, wollte er von mir wissen. Schlechte Frage. Wieso musste er gerade dieses heikle Thema anschneiden? Ich konnte ihm nichts erzählen. Das war hier der Punkt. Es war nicht so, dass ich es ihm nicht erzählen wollte. Aber es würde alle in Gefahr bringen. Außerdem, wie sollte ich ihm halbwegs verständlich beibringen, was ich da mit der Ziege gemacht hatte? Sollte ich ihm etwa sagen: Hey, ich bin ein Vampir. Das war meine Mahlzeit gewesen. Das macht dir doch nichts aus, oder? „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“, antwortete ich ihm also, da mir gerade nichts Besseres einfiel. „Doch das weißt du.“, beharrte Kasper starrsinnig. Seine unglaubliche Beharrlichkeit überraschte mich immer wieder. „Nein, weiß ich nicht.“, sagte ich, erpicht darauf einen möglichst unschuldigen Ton hinzubekommen. Er seufzte einmal. Ein hohles Geräusch verriet mir, dass er sich nun gegen die Tür lehnte. „Was hast du da auf dem Berg mit dem Tier gemacht?“, fragte er unvermittelt direkt. Aber in seinem Ton konnte ich erkennen, dass er sich keine Hoffnungen machte, dass ich ihm wahrheitsgemäß antwortete. Ich gab mich geschlagen. Ich erlag meinem inneren Kampf und dem Kampf mit Kasper. Das einzige was ich jetzt noch tun konnte war beten. Beten, dass das alles ein möglichst gute Ende nahm. Die Chancen für ein halbwegs normales Ende standen aber so gut wie 1: unendlich. Seufzend stand ich auf, marschierte niedergeschlagen zur Tür und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss um. Klackend sprang die Eingangstür dann auf, als ich die Klinke hinunterdrückte und Kasper mir entgegenfiel, da er ja dagegen gelehnt hatte. Ich ließ ihn zu Boden plumpsen. Das letzte, was ich jetzt tun würde war, ihn anzugreifen. Das würde zu weit gehen. Das konnte ich mir nicht erlauben. Wer weiß, welche Seite dann in mir Überhand nahm. Des Weiteren war ich mir sicher, dass Kasper das schon aushalten würde. Er war ein robuster Kerl. Also lag er nun vor mir. „Komm rein.“, murmelte ich. Überrascht und überglücklich zugleich sah er mich an. Langsam breitete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht aus. Bevor er von einem Ohr zum anderen lächelte, wandte ich mich ab und ging in die Küche. Ich hörte, wie er sich hastig aufrappelte und die Tür zu machte. Mit wenigen Schritten war er bei mir in der Küche. „Möchtest du irgendwas?“, erkundigte ich mich. Eine gewisse Gastfreundschaft sollte ich wohl doch an den Tag legen. Er schüttelte den Kopf. Ich nahm mir trotzdem ein Glas aus dem Schrank und füllte es zur Hälfte mit Wasser. Das war eines der Dinge, die ich von Susan gelernt hatte. Wenn man Menschen um sich hatte, musste man sich auch so wie sie verhalten. Also man sollte eben nicht nichts trinken oder essen. Und man sollte auch nicht wie eine Statue in seiner Position verharren. Kasper sah sich neugierig um, während ich mir das Glas füllte. „Nett hier.“, meinte er nach seiner Inspektion. „Eher zu klein.“, sagte ich karg. Die Wohnung bestand insgesamt nur aus drei Räumen. Das Badezimmer, das Arbeitszimmer von Alexej, das gleichzeitig als Schlafzimmer für die beiden diente und das größte Zimmer war durch eine Trennwand in Küche und Wohnzimmer geteilt. Mein „Zimmer“ war über dem Badezimmer angebracht. Das Obst und die Brotkiste waren nur Requisite. Keiner von uns rührte es jemals an. Susan kümmerte sich darum, dass alles stets frisch blieb. Mit dem Glas in der Hand marschierte ich zu der Leiter und kletterte wieder hinauf. Kasper folgte mir und stand unschlüssig vor meiner Leiter. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er zu mir hochkommen sollte, oder lieber unten blieb. „Ich dachte, du beantwortest mir jetzt meine Fragen.“, rief er von unten herauf in einem fast klagenden Ton. „Ich hab gesagt, komm rein. Ich hab nicht gesagt, dass ich deine unsinnigen Fragen beantworte.“, antwortete ich kühl und schlug das Buch auf, das ich vorhin gelesen hatte. „Mein Fragen sind nicht unsinnig.“, antwortete Kasper entrüstet. Er sprang aber auch auf jedes Wort an, das man ihm hinwarf. Jetzt kletterte er entschlossen die Leiter zu mir herauf. Kurz blieb er noch auf der Leiter stehen, dann krabbelte er zu mir und hockte sich im Schneidersitz an meine Seite. Für wenige Minuten sah er mir zu, wie ich das Buch las. Er blickte immer wieder von dem Buch zu mir und zurück. „Französisch?“, stellte er in den Raum. „Genau. Richtig erkannt.“, sagte ich immer noch kühl. „Du kannst französisch?“, fragte er erneut. Ich wendete meinen Blick vom Buch ab und schaute ihn an. Wiederholte er seine Fragen immer auf diese Weise? „Sonst würde ich es nicht lesen.“, antwortete ich dann, als ich sah, dass er es ernst meinte. Es wäre komisch, wenn ich nicht Französisch konnte, wo ich doch dort fünf Jahre gelebt habe. „Um was geht’s da?“, erkundigte Kasper sich weiter. Wenn er so nah bei mir war, konnte ich mich kaum auf das Buch konzentrieren, geschweige denn auf unser Gespräch. Jedes Mal trat regelrecht eine Nebelwand auf, wenn er bei mir war, sodass mein Verstand es schwer hatte, zu mir durchzudringen. „Das sind Gedichte und kurze Geschichten von einem französischen Dichter.“, antwortete ich. Der kühle Ton ging mir am leichtesten von allen von den Lippen, deswegen behielt ich ihn bei. „Wieso liest du so etwas?“, wollte er von mir wissen. Seine Fragerei nervte mich nicht wirklich. Es war anstrengend, ich musste immer darauf achten, dass ich mich nicht verplapperte. Besonders jetzt musste ich auf der Hut sein, weswegen es mir schwer fiel, meine Antwort richtig zu formulieren. „Es...“, setzte ich an. „Wenn ich diese uralten Schinken lese, kann ich mich besser an meine Vergangenheit erinnern.“ Ich hoffte, nicht zu viel preisgegeben zu haben. „An deine Vergangenheit?“, wiederholte Kasper erneut und legte den Kopf schief. Seine Augenbrauen zogen sich wie automatisch zusammen. Ich nickte nur und versuchte weiter zu lesen. „Wieso kannst du dich nur damit erinnern?“, löcherte er mich weiter. Wieder zögerte ich kurz, damit ich meine Worte mit Bedacht wählen konnte. „Das weiß ich auch nicht so genau. Meine Erinnerungen an meine Vergangenheit sind sehr... löchrig, vernebelt, wie auch immer.“, antwortete ich leise. An mein menschliches Ich kann ich mich nur schwach erinnern. Doch ab da, wo ich ein Vampir geworden war, konnte ich mir alles in Erinnerungen rufen. „Was ist denn in der Vergangenheit passiert, damit du dich unbedingt daran erinnern willst?“, fragte Kasper noch weiter. Ich erstarrte zu Stein. Darauf konnte ich ihm nicht antworten. Wenn ich von meinem menschlichen Leben erzählen würde, lief ich Gefahr, dass er merkte, dass ich nicht vor 16 Jahren geboren wurde sondern schon vor circa 115. Die Unterschiede zwischen diesen Zeitaltern waren einfach zu groß. Kasper merkte, dass ich nicht antworten würde. Wieder verfielen wir in Schweigen. Mit gesenktem Kopf fuhr er unsichtbare Muster auf seiner Jeans nach. Seine schokoladenbraunen Locken hingen ihm wie immer ins Gesicht, diesmal vom tosenden Wind draußen noch zerzauster als sonst. Ich konnte nicht anders und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus. Noch immer war ich fasziniert von seinen Augen. Durch die zwei unterschiedlichen Farben seiner Iris war er in der Schule schon eine kleine Berühmtheit. Aber ihn berührte das nicht wirklich. Er schien das gewöhnt zu sein. „Von wem hast du deine seltsamen Augen?“, rutschte es mir plötzlich heraus. Im nächsten Moment, hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Den Schmerz, den es verursachte, hielt ich fast nicht aus. Ich wollte und konnte einfach nicht noch enger als sonst schon mit ihm werden. Kasper registrierte die Frage erst Sekunden später, als ich mich schon längst selbst beschimpft und in Gedanken ausgepeitscht hatte. „Meine Mutter. Sie und meine Großmutter hatten auch solche Augen. Alle in der Familie meiner Mutter haben sie.“, antwortete er mir geistesabwesend. Er schien die Frage eher automatisch als selbstständig beantwortet zu haben. Man musste ihn wohl schon oft darauf angesprochen haben. „Monica, erzähl mir doch bitte etwas über dich.“, verlangte Kasper plötzlich unerwartet von mir. In seinem Blick lag Verzweiflung und unheimliche Neugier zugleich. Ich erstarrte erneut darunter, wo ich doch gerade angefangen hatte, mich wieder zu entspannen. Sein Blick war so durchdringend, es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Langsam klappte ich das Buch zu, legte es weg und setzte mich ebenfalls in den Schneidersitz. „Was.. was willst du denn wissen?“, fragte ich in einem Atemzug, wobei Misstrauen und Skepsis mitschwang. Ging ich damit zu weit? Ließ ich ihn zu viel wissen? „Alles.“, war seine knappe aber bestimmte Antwort. Das Verlangen, ihm noch näher zu sein, als ich es ohnehin schon war, überschwappte mich plötzlich wieder. In diesem Moment wollte ich ihn ernsthaft berühren, wenn auch nur leicht. Eine richtige Welle riss mich in ihre Tiefen und ließ mich für einige Sekunden schweigen. Wie konnte er nur so etwas verlangen? War das normal? Erneutes Misstrauen tauchte in mir auf. Wieso tat er mir das an? „Okay, ich bin 1,77 m groß, wiege 62 Kilo. Meine Hobbys sind vor allem alte Bücher lesen, Schach, Volleyball und Eislaufen. Ich hasse Spinat, Tomaten und jegliche Meeresfrüchte.“, plauderte ich munter drauf los. Ein Versuch es mit Humor zu nehmen war es wert. Entgegen meiner Erwartungen blieben Kaspers Züge voller Ernst. Sonst lachte er bei jeder Gelegenheit, die sich bot. „Erzähl mir von deinen Erinnerungen.“, forderte er von mir. Natürlich wollte er von dem wissen. Wie konnte ich nur denken, dass ich ihn damit ablenken konnte? Halb verzweifelt biss ich mir auf die Lippen. Ich wusste wirklich nicht, was ich jetzt sagen sollte. Oder ob ich überhaupt etwas sagen sollte. „Bitte.“, legte er noch nach und beugte sich etwas vor. Sein Duft schlug mir entgegen und unwillkürlich sog ich ihn tief ein. Er konnte froh sein, dass ich momentan keinen großen Durst verspürte, denn sonst bestand noch zusätzliche Gefahr. Ohne dass ich es merkte, beugte ich mich ebenfalls vor, nur damit ich noch mehr von seinem Duft riechen konnte. „Ich..“, fing ich an. „Ich... weiß nicht wo ich anfangen soll.“ Das war die reine Wahrheit. Ich hatte wirklich keine Ahnung. Wenn er mir keine Fragen stellte, fühlte ich mich ein wenig hilflos. „Wo bist du geboren? Wo kommst du her?“, half mir Kasper sogleich auf die Sprünge, wobei sein Blick noch immer auf mir ruhte. Wieder hinderten mich Gewissensbisse, sofort zu antworten. War es wirklich gut so, dass ich ihm jetzt plötzlich doch etwas von mir erzählte? Konnte ich ihm trauen? Aber diese Zweifel wurden sofort mit dem nächsten Atemzug und somit mit dem nächsten Schub seines Duftes weggewischt. „Ich... wurde in Frankreich geboren, deshalb kann ich auch so gut französisch. Bis ich fünf war, lebten meine Mutter und meine großen Brüder dort. Meinen Vater hab ich nie kennen gelernt.“, fing ich an. „Was ist dann passiert? Wieso seid ihr weggegangen?“, fragte Kasper ein weiteres Mal. „Das weiß ich nicht mehr so genau. Das ist... eine meiner großen Lücken. Es ist, als hätte ich einen Filmriss für mehrere Jahre. Ich kann mich nur erinnern, dass wir dann hier in Österreich für einige Jahre gelebt haben.“, erzählte ich in stockenden Worten. Bis jetzt hatte ich keinen Anschein darauf gegeben, dass ich älter war als ich aussah. „Und weiter? Was habt ihr dann hier gemacht?“, sprang Kasper nun wieder ein. Er beugte sich noch weiter vor, sodass mich noch eine Woge seines Geruchs übermannte. Es war Folter. Kein anderes Wort würde es besser beschreiben. Aber ich hielt tapfer durch. „Meine Erinnerung daran ist auch nur teilweise vorhanden. Kurz vor meinem 16. Geburtstag fingen wir plötzlich an, in der Gegend umherzuwandern. Wir sind nie lange an einem Ort geblieben, das weiß ich noch. Immer wieder sind wir von einem Ort zum anderen gezogen. Den Grund dafür hab ich nicht verstanden. Es war total anstrengend. Sehr sogar.“, beantwortete ich seine Frage. Mit jedem Wort mehr fühlte ich mich schlechter. Zweifel drangen immer wieder an die Oberfläche, die jedoch sofort durch seinen Duft wieder eliminiert wurden. Kasper war ebenfalls angespannt, hörte konzentriert zu und nickte des öfteren. „Wie ist es weitergegangen?“, fragte er weiter. Es war nur noch ein Flüstern. Jetzt kam der schwierigste und zugleich gefährlichste Part; meine Verwandlung. Ich musste es so gut wie möglich umschreiben. „Eines Nachts, im Winter, als wir wieder durch die Gegend marschierten, wurden ....“, ich setzte ab. Diese Stelle war bis jetzt immer die lückenhafteste gewesen. Es war, als hielte ich ein altes Foto in den Händen, das überall schwarze Flecken hatte, sodass nur schwer zu erkennen war, wer darauf abgebildet war. „Wir wurden überfallen. Aber... ich kann mich nicht gut daran erinnern, überhaupt nicht gut. Das einzige woran ich mich noch erinnern kann, sind die Schreie meiner Mutter und das Gefühl der Eiseskälte.“, erzählte ich weiter, den Kopf gesenkt. Das stimmte vollkommen. Die Schreie meiner Mutter, die damals regelrecht die Luft zerrissen hatten und diese Kälte, so eisig und kalt. Immer wieder spielte es sich in meinem Kopf ab. Ein Endlosfilm. Wenn ich weinen könnte, wären wahrscheinlich schon längst Tränen geflossen. Kaspers Atemzüge gingen nur noch stockend, sie waren nicht mehr regelmäßig. Das Gespräch hatte eine Spannung erreicht, die selbst er nicht aushalten konnte. Auch ich fühlte mich, als würden hundert Tonnen auf mir lasten. Gleichzeitig war ich froh, nicht zu viel verraten zu haben. „Äh... und ja... irgendwann haben mich dann Susan und Alexej gefunden und adoptiert...“, sagte ich schnell, damit wenigstens etwas Positives hier hereinkam. Ich wollte schon weitersprechen, da durchfuhr meinen rechten Arm ein regelrechter Blitz. Kasper hatte unbemerkt seine Hand auf meinen Unterarm gelegt. Es fühlte sich an, als würden mindestens 1000 Volt durch meine toten Adern schießen. Ein Stromschlag nach dem anderen erschütterte mich. Mein Verstand prügelte mich schon halbtot, während mein Herz vor lauter Freude jubelte. Total verspannt starrte ich seine Hand an, die immer noch dort ruhte. Das war eindeutig zu viel. Zu viel für mich. Zu viel für meinen Körper und Verstand. Es überschritt die Grenzen bestimmt um das dreifache. Als ich zurückzuckte, nahm er sie weg. Ich stöhnte leise auf und ließ den Kopf hängen. Merkte er nicht, was er mir da gerade antat? Wie konnte er mich nur so foltern, ohne es zu merken? Ich griff mir an die Stirn und konnte spüren, dass sie glühte. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“, flüsterte ich und zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung Ausgang. „Wa..?“, wollte er fragen und beugte sich erneut weiter vor. Mit einem leisen Wimmer zuckte ich zurück und schüttelte heftig den Kopf. Unbeabsichtigt trat ich mit meinem Fuß gegen das Glas Wasser, sodass es umfiel und sich das Wasser langsam auf dem Boten ausbreitete. „Bitte geh!“, flehte ich ihn an, wobei ich weiter zurück zur Wand rutschte. Nun schien er meine Verzweiflung endlich zu sehen und entfernte sich ohne weiteres. Vor dem Eingang zögerte er noch kurz, machte dann aber die Tür auf und flüsterte ein „Es tut mir leid“ beim Hinausgehen. Mein Verstand sagte mir: Gut so! Schick ihn zum Teufel! Mein Herz heulte: Lauf ihm nach! Aber ich blieb standhaft. Ich war so dumm. So dumm und blind. Wieso hatte ich ihm das alles erzählt? Das ging ihn einen Scheißdreck an! Die Gefahr stand regelrecht im Raum und ich erzählte ihm trotzdem alles?! Mit jedem Wort waren wir mehr in die Schwärze hineingerutscht und ich hatte es nicht gemerkt. Jetzt war alles aus. Wenn er hinter unser Geheimnis kam, konnte ich mir sicher sein, dass wir alle dem Tod geweiht waren. Næhan kannte da keine Ausnahme und es würde keiner eine Träne vergießen, wenn ein einzelner Vampir und ein Mensch aus der Welt verschwanden. Doch das was mir am meisten wehtat war, dass ich damit meiner Familie unendlich wehtat. Sie vertrauten mir und ich hinterging sie einfach. Susan würde wahrscheinlich in tiefste Depressionen versinken. Und Alexej... er würde es ertragen, ohne Emotionen zu zeigen. Auch wenn er sehr schnell an die Decke ging, spielten sich seine Gefühle im Kopf ab. Um mich ein wenig abzulenken, wischte ich erst mal das ausgelaufene Wasser auf, das sich schon über die halbe Galerie verteilt hatte. Mit einem Lappen machte ich es so schnell wie möglich weg. Als ich dort stand, wo Kasper gesessen hatte, stieg mir erneut sein Duft in die Nase. Sein Geruch war noch immer so präsent, es war, als wäre er noch immer hier. Ich musste das Verlangen, seinen Geruch abermals einzuatmen unterdrücken. Hastig verzog ich mich nach unten und legte mich aufs Sofa. Wieder erstarrte ich zur Statue, wobei ich die Augen schloss. Am liebsten wollte ich jetzt schlafen, da ich mich noch nie so entkräftet gefühlt hatte wie jetzt. Aber das war natürlich nicht möglich, ich konnte höchstens mein Gehirn ausschalten. Das versuchte ich jetzt auch, dabei musste ich aber immer darauf achten, dass das vorige Geschehen nicht plötzlich vor meinem inneren Auge Revue passierte. Dann auf einmal erfasste mich unbändiger Durst. Überrascht riss ich die Augen auf und vergaß für einige Minuten zu atmen. Wie konnte ich jetzt durstig sein? Vor fünf Minuten hatte ich noch keinen einzigen Gedanken daran verschwenden müssen. Es war komisch. Jedes Mal, wenn Kasper bei mir war, spielten meine Sinne total verrückt. Anfangs versuchte ich, den Durst zu unterdrücken und ihn zu verdrängen. Es konnte doch nicht sein, dass ich nur wegen ihm durstig war. Doch er war so stark, als hätte ich eine Woche nichts zu mir genommen. Ich wollte jetzt aber nichts trinken. Leider handelte mein Überlebensinstinkt für mich, indem er mich zum aufstehen brachte. Eilig marschierte ich in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Dort kühlten wir die Blutkonserven. Nicht gerade klug, es so offensichtlich zu machen, aber in dieser Wohnung gab es sonst keinen besseren Platz. Ich schnappte mir irgendeine, nicht darauf bedacht, zu achten, ob diese zu Alexej oder Susan gehörte. Wir hatten da nämlich ein Ordnungssystem. Wie eine Irre schüttete ich die rote Flüssigkeit hinunter. Sie rann mir mit vollem Aroma den Rachen hinunter und sprengte all meine Sinne. Ich trank es vollkommen aus, bis zum letzten Tropfen. Dabei hätte ich normalerweise nicht einmal die Hälfte gebraucht. Danach fühlte sich mein Körper wohl, aber mein Gewissen schenkte mir jede Sekunde mehr Schuldgefühle. „Monica?“, ertönte plötzlich Susans Stimme hinter mir. Ich hatte sie nicht kommen hören. Keuchend stützte ich mich an der Anrichte ab und drehte ihr mein Gesicht zu. Mein Gesichtsausdruck musste ziemlich verwirrt aussehen, da sie mich plötzlich in die Arme nahm und mich besorgt fragte, was los sei. „Es tut mir leid... ich...“, setzte ich an, brach aber ab. Ich konnte ihr jetzt einfach nicht davon erzählen. Dafür wäre ich noch zu labil. Später vielleicht, dachte ich mir. Ich schwieg. „Schon gut. Du musst es nicht erzählen...“, flüsterte sie in mein Ohr und drückte mich noch fester. Susan war wirklich nett und ich mochte sie sehr. Sie war für mich eine Mutter. Nein, sie ist mein Mutter. Sie war die letzte, die ich verletzen wollte. Danach verdrückte ich mich wieder auf die Galerie und bat sie, die Sauerei, die ich in der Küche veranstaltet hatte, aufzuwischen. Die darauffolgenden Tage blieb ich zu Hause in meinem Bett. Kasper in der Schule sehen zu müssen, könnte ich nicht aushalten. Ich musste mich erst wieder sammeln, bevor ich dorthin zurückging. Susan rief in der Schule an und sagte, ich sei krank. Sie fragte nicht mehr nach, was ich hatte, sondern ließ mich glücklicherweise in Ruhe. Susan war einer der Typen, die sofort verstanden, wann man ihre Hilfe wollte oder nicht. Alexej tat so, als wäre alles okay. Er war es gewöhnt von mir, dass ich bei alles und jedem überreagieren konnte. Einer meiner großen Schwächen. Er bedachte mich nur mit einem mitleidigen Lächeln. Sein kindisches Verhalten von gestern hatte ich schon fast vergessen. In den Tagen meiner Abwesenheit wurde mir ziemlich fad und ich wusste nichts mit mir anzufangen. Meine Lektüren konnte ich nicht lesen, weil ich mich im Moment an nichts erinnern wollte, nicht einmal an meine Vergangenheit. Am vierten Tag machte ich also zur Abwechslung einen gedehnten Spaziergang durch den Park. Er war verlassen und ruhig. Nur die Vögel in den Baumwipfeln zwitscherten ihre Melodien. Meine Schritte durch den Kies und das Laub waren rhythmisch und leise. Gelegentlich kam ein Fußgänger oder ein Fahrradfahrer vorbei. An einem so kühlen Herbsttag, blieben die Menschen lieber in ihren Häusern. Aber ich mochte das. Denn wenn niemand hier war, war ich allein. Ich war für mich. Morgen wollte ich wieder in die Schule gehen, weil es nun schon ganze vier Tage waren, die ich fehlte. Ich konnte nicht ewig davor davonlaufen. Darum musste ich mich noch ein wenig vorbereiten. Kasper hatte mich Gott sei Dank nicht mehr belästigt, auch er schien darüber nachzudenken. Ich fragte mich, ob er mir sofort wieder auflauern würde, wenn ich wieder da war. Die kühle Luft tat gut und half mir wie sonst auch dabei, einen klaren Kopf zu bewahren. Meine Gedanken schienen sich nicht sofort wieder in sich selbst zu verstricken, sondern liefen parallel nebeneinander her. Eine Weile ging ich durch die verschiedenen Wege des Parks. Ein sehr groß angelegter Park in einer großen Stadt. Seine Routen und Straßen glichen einem Labyrinth und man musste wirklich aufpassen, wo man hinging. Ich wählte immer die verlassensten von allen, die, wo nur wenige entlangspazierten. Das lag an meiner blöden Paranoia, dass ich immer allein sein wollte. Ich dachte über mich nach. Nichts deutete äußerlich daraufhin, dass ich ein Vampir war. Meine hellen Haare, die dunklere Strähnen enthielten, hingen schnurgerade herunter bis zum Kinn, meine Augen waren so dunkel wie die Nacht. Selbst unsere Haut veränderte sich nach der Verwandlung nicht. Die blasse Haut, die ich zur Zeit meiner Verwandlung hatte, ist geblieben. Aber seitdem mich Kasper auf diesem Berg gesehen hatte, glaubte ich, dass mich plötzlich jeder als Vampir identifizierte. Kasper hatte bis jetzt nur mich belästigt, er hatte niemanden etwas verraten, was er gesehen hatte. Doch was wäre, wenn er endgültig hinter unser Geheimnis kommen würde? Würde er uns dann verraten? Steckten wir schon knietief in der Scheiße? Und was würden meine Eltern darüber denken, wenn ich es ihnen erzählen würde? Könnten sie meine verzwickte Situation verstehen? Oder würden sie mich sofort hinauswerfen? Ich bemerkte nicht, wie sich mir drei Männer näherten. Sie sahen ganz normal aus, weswegen ich sie nicht weiter beachtete. Doch als sich einer von ihnen direkt vor mich stellte und mir somit meinem Weg abschnitt, schaute ich ihn an. Ich schritt zur Seite, um weitergehen zu können, aber er tat genau dasselbe und verstellte mir wieder meinen Weg. „Lassen Sie mich bitte vorbei?“, fragte ich verärgert, wobei ich einen Schritt zurückmachte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem kantigen Gesicht aus. Der Mann war mindestens zwei Köpfe größer als ich und sah ziemlich bullig aus. „Nein, du Blutsauger.“, sagte er plötzlich mit tiefer Stimme. Wie vom Blitz getroffen schreckte ich zurück und funkelte ihn an. Wer waren diese Typen? Woher wussten sie, dass ich ein Vampir war? Nun traten seine zwei Gefährten in den Vordergrund. Sie waren nur einen Kopf kleiner als der bullige Mann und glichen sich ein Ei wie dem anderen. Zwillinge also. „Was wollt ihr von mir?“, fauchte ich verärgert. Ich wich noch ein Stück zurück vor ihnen. „Ach, Joe... Jetzt hast du die Kleine verängstigt.“, meinte einer von den Zwillingen schelmisch. Joe grinste nur noch breiter und griff unter seinen Mantel. „Wir wollen nur ein bisschen spielen, nicht wahr, Steve, Noah?“, meinte er nun und holte einen Holzpflock aus seinem Mantel hervor. Sie wollten mich umbringen, das war mir von dem Moment an klar. Warum, wusste ich nicht. Meine Instinkte übernahmen das Handeln für mich. Ich beugte mich leicht nach vorn, meine Hände zu Klauen geformt. Niemand hatte mir erzählt, wie man einen Vampir töten konnte. Also wusste ich auch nicht, ob ein Kreuz, Weihwasser oder ein Holzpflock mir etwas anhaben konnten. Aber ich wusste, dass es Vampirjäger gab, die uns schon seit jeher jagten und ausrotten wollten. Alexej hatte mir erzählt, dass sie einen oft wochenlang beobachteten, um sicherzugehen, dass man ein Vampir war. Sie schritten erst zur Tat, wenn sie sich ganz sicher waren. „Genau, nur ein bisschen spielen.“, stimmten die Zwillinge zu. Jetzt kamen auch sie näher und hatten plötzlich ebenfalls Waffen in der Hand. Einer hatte eine Art Armbrust der andere ein langes Schwert mit dünner Klinge. Die wollten mich ernsthaft im Park umlegen. Joe war mir am nächsten, also würde er mich wahrscheinlich als erstes angreifen. Drei gegen einen, das war unfair. Für die Jäger war das ganz natürlich, hatte mir Alexej erklärt. Das unfaire Spiel war ihr Merkmal. Somit gingen sie sicher, dass sie gewannen. „Woher wisst ihr von mir?“, wollte ich wissen. Sie mussten mich wirklich Wochen beobachtet haben. Doch statt einer Antwort kam ein gespucktes: „Klappe, Parasit.“ „Sie ist noch jung. Das wird ein Kinderspiel.“, freute sich der Zwilling mit der Armbrust. Das stimmte in der Tat. Mit 115 Jahren war man für einen Vampir noch nicht wirklich alt. „Genug der Vorrede. Jetzt geht’s zur Sache.“, meinte Joe entschlossen. Er stürzte auf mich zu, den Pflock fest in der Hand. Gehetzt sprang ich zwei Meter zur Seite, sodass er mich nur um ein paar Zentimeter verfehlte. Mit einem harten Ruck kam ich wieder zum Stehen. Joe war keine Sekunde später wieder auf den Beinen und drehte sich erneut zum Angriff in meine Richtung. Ich wollte ihn gerade anspringen, da packten mich plötzlich die beiden Zwillinge unwirsch an den Oberarmen. Die zwei hatte ich gar nicht kommen sehen. Ich war eine schlechte Kämpferin, was man jetzt sichtlich merkte. Alexej dagegen hätte sie in zwei Sekunden zur Strecke gebracht. Er war hier die Kämpfernatur. So schnell ich konnte riss ich mich mit einem Arm los, damit ich den anderen, der mich noch festhielt, wegstoßen konnte. Eilig versuchte ich mich noch weiter von ihnen zu entfernen. Das einzige woran ich jetzt denken konnte, war die Flucht. Der Kampf gegen die drei war aussichtslos. Ich würde sterben, wenn ich jetzt nicht fliehen würde. Also rannte ich los, hinein in den Wald. Ich konnte hören, wie die drei zu lachen anfingen und mir folgten. Vor lauter Angst stolpert ich öfter als gewollt. Es war, als würden sich die Steine und abgebrochenen Äste absichtlich in meinen Weg legen. Vor lauter Panik vergaß ich, dass ich eigentlich noch schneller laufen konnte. Der Abstand zwischen meinen Verfolgern und mir wurde immer kleiner, obwohl ich im Zickzack lief, um sie abzuhängen. Leider hatte ich komplett den Orientierungssinn verloren, deswegen war ich total überrascht, als ich wieder an unserem Ausgangspunkt angelangt war. Wenn man seine Vampirsinne brauchte, ließen sie einen im Stich. „Scheiße!“, fluchte ich und wollte weiterlaufen. Jetzt richteten sich meine Gedanken in Richtung Öffentlichkeit. Sobald ich aus dem Park war, konnten sie mich nicht unter so vielen Zeugen hinrichten. Ich kam aber nicht mehr dazu, da ich plötzlich gegen den nächstbesten Baum geschleudert wurde. Joe hatte mich an der Schulter zu fassen bekommen. Krachend splitterte ein wenig Holz weg und Blätter rieselten vom Baum auf meinen Kopf, blieben teilweise in meinem Haar hängen. Ich rutschte auf den Boden. Mein Kopf fing nach dem Aufprall lautstark zu dröhnen an. Es war, als würden tausend Nadeln in meinem Kopf stecken. Bewegen konnte ich mich auch nicht mehr. Hilflos lag ich im Gras und konnte keinen Finger rühren. „So, du kleines Monster... Jetzt ist es aus mit dir.“, flüsterte mir Joe ins Ohr, wobei ich sein mit Triumph gezeichnetes Gesicht sehen konnte. Er packte mich unsanft am Hals und zog mich am Baum hoch. Kraftlos zog ich an seinem Arm, doch sein Griff war selbst für mich zu fest. Ich bekam keine Luft mehr, sodass ich danach zu ringen anfing. Seine Finger krallten sich immer mehr in meinen Hals. Nicht einmal ein leises Wimmern brachte ich zu Stande. Er wird dich umbringen. Hier und jetzt., schallte es in meinem Kopf. Meine Gegenwehr war nichts gegen ihn. Ich konnte tun was ich wollte, es nützte nichts. Seine zwei Gefährten standen siegessicher neben ihn und betrachteten mich grinsend. Wie konnte er nur so stark sein? Ich müsste doch eigentlich viel mächtiger sein als er. Dieses Beispiel bewies leider nur das Gegenteil. „Gib mir den Pflock. Ich hab meinen unterwegs verloren.“, forderte Joe an und streckte sein Hand nach hinten aus, ohne eine der beiden anzusehen. Der Mann mit dem Schwert gab ihm bereitwillig einen seiner Holzpflöcke, die er ebenfalls unter seinem Mantel versteckt hielt. Wie ein Spielzeug spielte Joe noch ein wenig damit herum. So schnell, dass ich erst nach ein paar Sekunden realisierte, durchfuhr mich ein stechender Schmerz in der Brust. Joe hatte mir den Holzpflock mitten durchs Herz gerammt. Für einen kurzen Moment erstarrte ich, die Augen weit aufgerissen, dann erschlafften meine Muskeln vollkommen. Ich hatte keine Kraft mehr. Jetzt würde ich sterben. Der Pflock war durch mich hindurch gegangen und hatte sich im Holz des Baumes verkeilt. Wie ein Sandsack hing ich da und wartete auf den Tod. Joes Griff wurde lockerer und ließ schließlich gänzlich los. Wie ein Stück Beute von einer erfolgreichen Jagd musste ich für sie gerade aussehen. Der Pflock paralysierte mich und trieb mich zur Regungslosigkeit. „Wir müssen noch warten, bis sie zu Sand zerfallen ist.“, sagte einer der zwei Zwillinge und ich konnte einstimmiges Gemurmel hören. Mit jeder Sekunde mehr spürte ich, wie mich die Lebenskraft verließ. Sie zog sich ganz langsam aus meinen Finger- und Zehenspitzen zurück, kletterte meine Beine und Arme hinauf zu meinem durchbohrten Herz. Mein Herz schlug schon lange nicht mehr, aber ich spürte, dass es da war. Mit reiner Willenskraft versuchte ich, die Kräfte in meine leblosen Arme und Beine wieder zu treiben. Die ersten Versuche waren sogar erfolgreich, aber dann konnte ich selbst keine Willenskraft mehr aufbringen, um das zu tun. Mein Überlebenskampf schien Stunden zu dauern, vielleicht sogar Wochen. Nur noch für Gedanken konnte ich Kraft aufbringen, sonst nichts. Allein mein Gehirn schien noch zu arbeiten. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort hing, doch plötzlich sagte jemand, dass irgendwer käme und sie sofort verschwinden mussten. „Sie wird schon längst zu Sand zerfallen sein, wenn derjenige hier aufkreuzt.“, meinte Joe. Darauf verließen sie hastigen Schrittes das Gelände und ließen mich hier zurück. Es folgte Stille, nicht einmal den Wind konnte ich durch die Blätter rauschen hören. Oder war ich schon taub? Langsam versank ich in ein dunkles Loch, in tiefste Schwärze. Jetzt machte sogar schon mein Hirn schlapp. Ich konnte den Boden unter mir nur noch schwer ausmachen, alles verschwamm irgendwie und wurde immer blasser. Nun wusste ich, dass doch nicht so viel nötig war, um einen Vampir zur Strecke zu bringen. Ich wurde aber auch immer eines Besseren belehrt. Als ich schon längere Zeit in dem Sud des schwarzen Loches schwamm, gerade davor, gänzlich davon verschlungen zu werden, rüttelte auf einmal jemand an mir. Ich rührte mich nicht, ich konnte mich ja nicht bewegen. Das Rütteln hörte nicht auf. Ein kurzer Schmerz durchfuhr meinen tauben Körper, jemand hatte den Pflock entfernt. Irgendwer fing mich auf, als ich vom Baum fiel und trug mich weg. Meine Sinne kehrten nach einer Weile kriechend zu mir zurück. Reumütig und demütig begannen sie wieder zu arbeiten. Als erstes konnte ich wieder hören. Nicht so scharf wie sonst, aber immerhin. „Monica! Moncia! Gott, was ist denn mit dir passiert?“, fragte eine wohlbekannte Stimme, die mich regelrecht aus dem schwarzen Loch riss. Kasper, schoss es mir schlagartig durch den Kopf. Er war der letzte, den ich jetzt gebraucht hatte. Am liebsten wollte ich mich von ihm losmachen, aber ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Ein lebloser Körper hing in seinen Armen. Was hatte er hier zu suchen? Konnte er nicht einfach auch zu Hause bleiben wie die anderen? Warum gerade er? Wenn Alexej hier wäre, hätte ich vielleicht eine Chance zu überleben, aber bei Kasper bestand keine Möglichkeit. Wut stieg in mir auf und ich war überrascht, dass ich das überhaupt noch empfinden konnte. „Lass mich.“, flüsterte ich wütend, da ich neue Kraft aus der plötzlichen Wut geschöpft hatte. Meine Augen waren immer noch geschlossen, aber ich konnte geradezu hören, wie sich sein Gesicht verzog. „Nein, ich werde dich jetzt nicht gehen lassen.“, sagte Kasper entschieden. „Ich werde dich zu einem Arzt bringen.“ „Nein!“, keuchte ich sofort und riss erschrocken die Augen auf. Ein normaler Arzt würde mir nicht helfen können. „Bitte, alles nur nicht zu einem Arzt!“, setzte ich hinterher. „Was? Aber wieso...?“, wollte er fragen, doch ich schnitt ihm das Wort ab. „Nein, bitte, bitte nicht.“, flehte ich ihn an. Kasper seufzte ergeben. Er legte mich auf die nächste Parkbank, die er finden konnte. Er setzte sich so auf die Bank, dass mein Kopf auf seiner Brust ruhte. Seine Körperwärme durchströmte mich allmählich mehr und mehr. „Was ist passiert?“, fragte er mich, während er meine zerfetzten Kleider anschaute. Es floss kein Blut aus der Wunde, weil kein Blut durch meine Adern schoss. Kasper schien das nicht wirklich zu stören. „Geh weg, Kasper.“, sagte ich kraftlos und in dem Wissen, dass er das sicher nicht tun würde. Es war das erste Mal, dass ich ihn beim Namen nannte. „Nein.“, war seine knappe Antwort. Danach schwieg er. Er wusste nicht, was er jetzt genau tun sollte und ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Seine Nähe, erfüllte mich wieder mit diesem einzigartigen Verlangen. Es war absurd, jetzt daran zu denken oder es zu fühlen. Aber ich konnte es nicht unterdrücken. Mein Atem ging ziemlich schnell. Das einzige was mich jetzt noch retten konnte war Blut. Meine Selbstheilungskräfte konnten mich nur schleppend heilen, da ich seit dem letzten Treffen mit Kasper nichts mehr getrunken hatte. Als ich mein Gehirn wieder vollständig benutzen konnte, konzentrierte ich mich darauf, dass Loch in meiner Brust zu schließen. Gleichzeitig dachte ich nach, was jetzt passieren würde. Kasper ließ sicher nicht von mir ab, bis er wusste was genau geschehen war. „Ich weiß, was du bist.“, meinte er plötzlich und jagte mir damit einen riesigen Schrecken ein. Erschrocken fuhr ich leicht zusammen. „Oder ich glaube es zumindest.“, fügte er dann noch hinzu. Nur schwer konnte ich meinen Kopf so drehen, dass ich ihn ansehen konnte. Das was er gerade gesagt hatte, war sein totaler Ernst. Seine Miene ließ keinen Zweifel daran. Ungeduldig zappelnd wartete er auf eine Antwort von mir. Okay, jetzt wäre es wirklich besser zu sterben, wenn er es sowieso schon wusste. „Glaub, was du willst.“, keuchte ich entkräftet. In dem Moment war es mir wirklich egal, was er wusste und was nicht. Ich wollte nur nach Hause zu Susan und Alexej, sie würden wissen, was zu tun wäre. Für kurze Zeit hielt er seinen Mund, anscheinend überlegte er, was er tun sollte. Dann fasst er meinen Kopf und hielt mein Gesicht an seinen Hals. Die Verrenkung rief einen stechenden Schmerz in meinen Nacken hervor. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was diese blöde Aktion sollte, also verharrte ich verwirrt in der Position, bis er zu sprechen anfing. „Tu es.“, sagte er wild entschlossen. Ein weiterer Schock durchfuhr meine Glieder und ich verstand mit einem Mal, was er da von mir wollte. Er bot mir sein Blut an. Sein Blut. „Bist du blöd? Was tust du da?“, krächzte ich verärgert und versuchte mich vergeblich aus seinem Griff zu befreien. Er musste komplett den Verstand verloren haben. War er noch ganz bei Sinnen? „Monica, ich weiß, was du bist und was du jetzt brauchst. Also, tu es.“, meinte Kasper und drückte meine Lippen gegen seinen Hals. Ich konnte seinen beschleunigten Pulsschläge unter der Haut spüren. Der Geruch seines wohlriechendes Blutes stieg mir in die Nase. Ich war wirklich schon fast versucht es zu tun. „Nein!“, erwiderte ich, wobei ich versuchte den Kopf zu schütteln. Er folterte mich in Zeiten des Schmerzes. Ich hoffte inbrünstig, dass ich mich halbwegs beherrschen konnte. „Wieso nicht? Ich seh doch, wie schlecht es dir geht.“, entgegnete er trotzig. „Bitte hör auf.“, bettelte ich ihn an. Wenn er so weitermachte, stellte er mich wirklich auf die Probe. „Bitte.“ „Ich lasse nicht zu, dass du stirbst.“, meinte Kasper felsenfest und drückte meine Lippen nur noch mehr gegen seinen Hals. Ich konnte fühlen, dass meine Eckzähne schon wieder um einiges gewachsen waren und nur darauf warteten, seine weiche Haut durchstoßen zu dürfen. Ich wollte nicht sterben, andererseits wollte ich auch nicht sein Blut nehmen. Niemals. Einen mir bekannten Menschen würde ich, oder könnte ich nicht beißen. Außerdem wäre er sich dann erst recht sicher, was ich war. Ich fragte mich, woher er überhaupt ahnte, dass ich ein Vampir war. Es war in dem Moment egal. Er war im Begriff unser Geheimnis zu lüften. Aber wenn ich jetzt nicht sofort Blut bekam, würde ich mit Sicherheit sterben. Verenden an dem Loch in meiner Brust. Wie konnte ich nur so in eine missliche Lage geraten? Wieso hatte ich ihn nicht damals sofort zur Strecke gebracht um dem ganzen gleich ein Ende zu setzen bevor es überhaupt anfing? Wie töricht ich doch war. Mein inneres Tier dürstete immer mehr nach Blut und bald würde ich es nicht mehr zurückhalten können. Es kratzte an dem Schutzwall in meinem Kopf, den ich um es herum aufgebaut hatte. Entweder ich nahm sein Angebot an oder ich starb und brachte meinen Eltern somit das größte Unglück überhaupt. Unter seinen Lippen fing ich leise an zu Schluchzen. Es war kein weinen, weil ich ja nicht weinen konnte. Unregelmäßig sog ich die Luft ein und aus. Blitze durchzuckten mich und ließen mich wieder und wieder erschaudern. Kaspers Griff lockerte sich sofort. Besorgt blickte er mich an, während sich seine Brauen erneut zusammenzogen. „Monica...“, murmelte er, gefesselt von meinem gequälten Gesichtsausdruck. „Willst du wirklich sterben?“, wollte Kasper von mir wissen. Ich schüttelte den Kopf, soweit mir das möglich war. „Dann nimm mein Angebot an.“, sagte er, jetzt klang es fast schon bettelnd, verzweifelt sogar. Erneut drückte er meine Lippen an seinen Hals und ich musste ein Wimmern unterdrücken. Damit war meine Selbstbeherrschung endlich gebrochen. Ich konnte nicht mehr. Das Raubtier hatte den Wall mit einem Mal niedergerissen und deswegen fühlte ich mich noch dreckiger. „Deine Hand.“, sagte ich schließlich entkräftet. In den Hals würde ich ihn bestimmt nicht beißen, das wäre zu auffällig. Aber beim Handgelenk konnte man es besser verstecken, wenn Wunden bleiben sollten. Ich hatte mich also geschlagen gegeben. Sollte ich das jetzt selbstsüchtig oder normal nennen? Verwirrt ließ mich Kasper los und hielt mir bereitwillig seine Hand hin. Er war wirklich bereit, das Opfer zu spielen. Ich verstand nicht, wieso er das für mich tat. Wieso er dazu bereit war. Ekelte ihn das nicht an? Mit der letzten Kraft die ich aufbringen konnte, drehte ich sein Handgelenk so um, dass ich die Unterseite mit den sichtbaren Blutbahnen zu Gesicht bekam. Für einen kurzen Moment hielt ich noch inne, sah mich um und checkte, ob keiner da war. Aber dann konnte ich einfach nicht mehr anders und biss ihn in sein Handgelenk. Ich versuchte, es so sanft wie möglich zu machen. Kasper stöhnte leise auf und zuckte zusammen. Jahrzehnte war es her, dass ich das letzte Mal von einem Menschen Blut angenommen hatte. Aber diesmal war es nicht so abstoßend, wie ich es sonst immer empfand. Ich fühlte einfach nur Erleichterung. Sie füllte meinen Körper gänzlich aus und gab mir ein wohltuendes Gefühl. Sein Blut rann mir voll und süß den Rachen hinunter. Alle Sinne kehrten mit einer Geschwindigkeit zurück, die mich überraschte. Meine Augen konnten alles wieder mit unendlicher Schärfe sehen, mein Geruchssinn stand mir wieder mit einer großen Bandbreite zur Seite. Ich hörte wieder alles, was um mich geschah. So wie immer entstand ein lautloses Feuerwerk in meinen Kopf. Alle Farben sprangen hin und her, leuchteten auf, tanzten auf und ab, schienen alles zu sprengen. Es war stärker und intensiver als bei Tierblut. Das Loch in meiner Brust schloss sich binnen Sekunden. Nur eine Narbe blieb zurück. Sobald es sich geschlossen hatte, ließ ich sofort von ihm los. Ich würde nicht mehr von ihm nehmen als nötig. Meine überaus starke Selbstbeherrschung überraschte mich ein wenig. Vielleicht war es ja das Wissen, dass das hier Kasper war und nicht irgendwer, das mich davon abhielt, zuviel zu trinken. Mit einem resigniertem Seufzer ließ Kasper seinen Kopf auf meinen sinken, wobei seine Locken mich ein wenig an der Wange kitzelten. Ihm musste schwindlig sein, da er plötzlich zu wenig Blut im Körper hatte. Aus den zwei kleinen Löcher, die meine Zähne hinterlassen hatten, tröpfelte noch ein wenig Blut bevor sie sich langsam wieder schlossen. Das hatte ich noch nie gesehen, dass sich die Löcher so schnell wieder schließen können. Aber es war gut so, denn so hatte er keine bleibenden Narben. Dann drückte ich seine warme Hand gegen meine Wange und flüsterte ein kaum hörbares „Danke“ und dann noch ein „Entschuldigung“. Seine Nähe war diesmal Gott sei Dank keine solch eine Folter, ganz im Gegenteil, es war sogar gut. Ich ließ mich von einem warmen Fluss der Gefühle fortreiben. Es war, als würde ich das erste Mal seit 115 Jahren wieder schlafen. Und die Wärme von Kaspers Körper durchflutete mich stetig, sodass ich immer sicher war, dass er noch hier war. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass er ging. Somit trieb ich weiter im Wasser meiner eigenen Eindrücke und verlor mich in eine Art Schlaf. Verloren gegangene Erinnerungen drangen in mir hoch. Menschliche Erinnerungen, die eigentlich nicht mehr da sein sollten. „Schon wieder verloren?“, fragte Dominic überrascht. „Das gibt’s doch nicht!“, meinte er verärgert und checkte seine Karten und den Stapel vor sich noch einmal. Als er sich sicher war, dass alles stimmte, verfinsterte sich seine Miene. Er war eben ein schlechter Verlierer und nun musste er einsehen, dass ich schon zum neunten Mal hintereinander gewonnen hatte. „Das ist nicht fair!“, sagte er dann und warf die Spielkarten auf das Feldbett. Ein Mann mit grauen Haaren drehte sich zu uns um und schaute meinen Bruder verwirrt an. Obwohl wir alle deutsch konnten, sprachen wir französisch. Unser einziger Grund war wohl, dass uns nicht jeder verstehen sollte. „Jetzt motz nicht rum weil du verloren hast. Du wolltest doch spielen, nicht ich.“, entgegnete ich und musste ein Grinsen unterdrücken. Wie ein trotziges Kind verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich sehe, dass du verloren hast.“, stellte René fest, der nun zu uns stieß. Geschickt hielt er drei Teller voller Essen und überreichte sie uns sogleich. „Danke für die Information, Bruder!“, erwiderte Dominic sarkastisch und warf ihm einen wütenden Blick zu. René schenkte ihm im Gegenzug ein engelsgleiches Lächeln. Bevor ich mein Teller entgegennahm räumte ich noch schnell die Karten weg, sodass sich René zu uns setzen konnte. Unser Essen bestand eigentlich nur aus einer Menge Reis und drei Putenstreifen, die aber wie Gummi schmeckten. In so einem unheimlichen Obdachlosenheim musste man sich aber damit zufrieden geben. Das war nun schon der dritte Ort diese Woche. Wir wanderten seit Wochen durch das Land und blieben nie lange irgendwo. Obwohl meine Brüder und ich Mama dauernd fragten, wieso wir das täten, gab sie uns keine Antwort. Immer wieder vertröstete sie uns auf eine spätere Zeit und bat uns um Verständnis. Ich verstand das nicht. Es schien mir wie gestern, dass alles noch okay und im grünen Bereich war. In meinen Gedanken tauchte unser Haus, das idyllisch inmitten von mehreren Feldern stand, auf. Mein kleines Zimmer, das ich mir mit René teilen musste. Und nicht zu vergessen war die riesige Eiche, die hinterm Haus stand. Dort im Schatten verbrachte ich im Sommer die meiste Zeit. Doch nun schlichen wir wie Schwerverbrecher durch die Gegend und schienen uns vor irgendwem zu verstecken. An die neuen Umstände hatten wir uns schnell gewöhnt, aber trotzdem zehrte das Ganze an unseren Kräften. Gestern erst hatte ich bemerkt, dass sich meine Rippen unter der Haut schon abzeichneten. Auch René und Dominic ging es nicht besser. Obwohl sie gut gebaut waren und beide schwere Arbeit gewöhnt waren, sahen sie ziemlich fertig aus. Renés rabenschwarze Haare hatten längst ihren Glanz verloren und seine Augen wirkten trübe und ohne Leben. Sogar Dominic, der am vitalsten und lebhaftesten von uns war, hatte seine Reserven aufgebraucht. Sein goldiges Haar war ganz zerzaust und stand in alle Richtungen ab. Von seinen sonst so schönen Augen wollte ich gar nicht erst reden. „Wie fühlt man sich so als Verlierer?“, erkundigte sich René bei Dominic, der darauf genervt grummelte und ihm in die Seite boxte. Auch wenn René schon achtzehn und Dominic sogar schon einundzwanzig waren, konnten sie sich wie kleine kindische Jungs benehmen. Meinen sechzehnten Geburtstag hatte ich erst vor wenigen Tagen gefeiert. Ich kicherte leise, worauf mir Dominic einen strafenden Blick zuwarf. Während ich aß, suchte ich den Raum nach meiner Mutter um. Sie war ständig irgendwo unterwegs und blieb nie lange bei uns. Dabei brauchten wir sie doch so sehr. Unser jetziger Aufenthaltsort war das genaue Gegenteil von einem Luxushotel. Uralte, gebrechliche Feldbetten und zähes Essen inklusive Ungeziefer waren hier an der Tagesordnung. Des weiteren drängelten sich hier manchmal so viele Leute, dass man selbst in dem kleinen Raum den Überblick verlor. Eigentlich waren die Personen hier ja ganz okay, aber die meisten hatten nicht mehr alle Latten am Zaun. Die einzig Nette hier war die Köchin, die uns vom ersten Moment an gemocht hatte. „Nein, wie niedlich ihr doch nicht alle seid!“, hatte sie gleich zur Begrüßung gesagt. Dabei war Dominic unabsichtlich ein Würgelaut entkommen, worauf René und ich grinsen mussten. Auch nach längerem Suchen konnte ich Mama nirgends erblicken. Wir aßen alle brav bis zum letzten Rest auf. Dominic brachte die Teller zurück, weil er von uns zwei höchstwahrscheinlich die Schnauze voll hatte. „Weißt du, wo Mama ist?“, fragte ich René während ich noch immer meinen Blick über die Menschen schweifen ließ. „Da ganz hinten gleich neben der Klotür. Siehst du sie?“, erklärte er mir und nickte in eine Richtung. Sofort folgte ich seinem Blick und erkannte meine erschöpft aussehende Mutter. Sie redete mit einem Mann, der ganze zwei Köpfe größer war als sie. René musste eine Art Radar eingebaut haben, sonst wüsste er nicht immer, wo wir uns gerade aufhielten. Mama hatte sich in den wenigen Wochen so sehr verändert, das mochte man kaum glauben. Vorher war sie jederzeit gut gekleidet und sah meistens top aus. Doch jetzt glich sie mehr einer Amazone, als einer alleinerziehenden Mutter. Außerdem plauderte sie immer mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten, die sie früher nicht einmal angeschaut hätte. Ein Kloß machte sich in meinem Hals breit und ein ungutes Gefühl erfasste mich. Mir gefiel das gar nicht, so wie es momentan verlief. Wenn das so weiterging, würden wir drei das nicht mehr lange mitmachen. „Wie lange glaubst du, werden wir dieses Mal bleiben?“, wollte ich weiter wissen. Diese Frage stellte ich schon automatisch und jedes Mal kam die gleiche Antwort von meinen Brüdern. „Ich weiß es nicht.“, war die erwartete Antwort von René, der sich auf dem engen Bett ausbreitete und dabei die Schachtel mit den Karten zerdrückte. „Hey, aufpassen! Nicht die Karten kaputt machen, die brauch ich noch!“, mahnte ich hastig und zog sie unter seinem Bein hervor. „Wozu? Um Dominic noch wütender zu machen?“, wollte er von mir mit einem Grinsen wissen. Ich lachte auf. Ja, das stimmte wohl. Auch wenn die Zeiten nicht gerade gut standen, konnten wir dennoch miteinander lachen und unseren Spaß haben. Es fiel uns natürlich nicht unbedingt leicht, da wir jederzeit Gefahr laufen konnten, dass unser Lachen heuchlerisch klang. Und das wollten wir nicht. „Wer ist wütend?“, erkundigte sich Dominic, der wieder zurückgekehrt war. „Niemand.“, antwortete René ihm karg. Mit einem Seufzer ließ sich Dominic auf dem gegenüberliegenden Bett nieder. Uns standen insgesamt vier von diesen unbequemen Dingern zur Verfügung. Eine kratzige Decke gab’s auch dazu, denn sonst würde man hier erfrieren. Es war nämlich eisiger Winter, was die Sache nicht gerade erleichterte. Wir konnten unsere Hände und Füße oft nicht mehr spüren, wenn wir unsere nächste Unterkunft erreicht hatten. Ein grausiges Erlebnis. „Noch ’ne Runde?“, fragte ich Dominic mit einem Grinsen und schüttelte dabei demonstrativ die Spielkarten. „Aber klar, Schwesterherz. Diesmal mach ich dich fertig.“, meinte er daraufhin vergnügt und nahm mir die Karten aus der Hand. Seine Stimmung hatte sich sichtlich wieder gebessert. In meinem Rücken konnte ich spüren, wie Renés Brust von seinem unterdrückten Lachen bebte. Wir spielten solange, bis Dominic mit viel Schummeln und einer Menge Fehler meinerseits gewann. Danach verlangte Mama von uns, dass wir uns hinlegten. „Ihr müsst morgen ausgeruht sein.“, sagte sie zu uns. Wenn sie das sagte, konnten wir uns sicher sein, dass wir am nächsten Tag wieder aufbrechen würden. Bis jetzt war das zumindest so gewesen und ich dachte nicht, dass sich das ändern würde. Auf meine Frage hin, wer dieser Mann gewesen sei, lächelte sie mich nur an und meinte, ich solle jetzt schlafen. Nur widerwillig legte ich mich nieder und versuchte, so schnell wie möglich einzuschlafen. Wie erwartet weckte Mama uns in aller Herrgottsfrühe und forderte uns zum Packen unserer Sachen auf. Unser Gepäck bestand nur aus zwei Rucksäcken, die von meinen Brüdern getragen wurden. Die Prozedur des Packens war schon reine Routine und verlief ohne Komplikationen. Die Köchin gab uns noch ein wenig zu essen mit, bevor wir endgültig verschwanden. Danach wagten wir uns nach draußen und mussten feststellen, dass alles mit einer dreißig Zentimeter dicken Schneedecke bedeckt war. Nicht gerade optimal, aber dagegen konnte man auch nichts mehr machen. „So ’ne Scheiße.“, war Dominics Kommentar dazu. René grummelte genervt. Die Route, die wir gingen, legte einzig und allein unsere Mutter fest. Nur sie bestimmte den Weg. Wir landeten Gott sei Dank immer dort, wo sie hinwollte und verliefen uns nicht. Schweigend folgten wir ihr. Ich war direkt hinter ihr, dann war Dominic und als letzter René. Zuerst marschierten wir den Weg, der aus der Stadt führte, entlang um danach gleich in den erstbesten Wald zu stapfen. Wälder konnte ich nicht ausstehen. Sie gaben mir immer ein Gefühl von Unsicherheit und Angst. Die ganze Zeit über pfiff Dominic ein Lied vor sich hin. Es war immer dasselbe, die Melodie änderte sich nie. Zu meinem Glück kamen wir bald wieder aus dem unheimlichen Wäldchen heraus und marschierten dann über ein Feld oder eine Wiese. Ich konnte nicht sagen was es war, da ja der Schnee darüber lag. Kurze Zeit später fing es an zu schneien. Die Flocken fielen schon bald so dicht, dass man schwer damit zu tun hatte, die Umgebung zu erkennen. Wir konnten aber nicht Halt machen, da wir dann Gefahr liefen, uns den Arsch abzufrieren. Weitergehen war auch nicht wirklich die bessere Idee, da man sich jetzt verlaufen könnte, doch uns blieb nichts Anderes übrig. Wir liefen schon ziemlich lange über dieses Feld oder diese Wiese und weit und breit war noch kein Ende in Sicht. Nicht einmal ein kleiner Strauch oder so etwas ragte aus dem Boden. Alles war in die weißen Schneeflocken gehüllt. Ich seufzte gerade, als plötzlich René zu schreien anfing. Er brüllte wie am Spieß. Blitzartig drehten wir uns alle synchron um. Was ich erblickte war blanker Horror. Wenige Meter hinter uns lag René regungslos am Boden und die weiße Schneedecke um ihn herum färbte sich blutrot. Ich konnte erkennen, dass ihm jemand die Kehle wortwörtlich aufgeschlitzt hatte. Mit einem Mal wurde mir schlecht und ich fühlte, wie mein Frühstück im Anmarsch war. „Wer ist da?“, fragte Dominic mit fester Stimme in das weiße Gestöber hinein, doch ich konnte sehen, dass seine Augen voller Angst waren. Niemand antwortete ihm. Wir alle standen wie angewurzelt da und keiner von uns konnte sich auch nur einen Zentimeter rühren. Panik stieg in mir auf und ließ meinen Atem schneller gehen. Wer war uns gefolgt? Was wollten sie von uns? „Lauft weg!“, wollte Mama hinter mir schreien, doch sie konnte den Satz nicht mehr beenden, da sie auf einmal in meinem Rücken loskreischte. Ich erstarrte komplett und traute mich nicht, mich umzudrehen. Mein Herz hatte derweil einen Puls von 300 erreicht und pochte wie wild gegen meine Rippen. Was passierte hier gerade?! „Mama!“, rief Dominic entsetzt. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass er sich umgedreht hatte und somit sah, was man mit Mama angerichtet hatte. Ihre Schreie waren nun auch verstummt. Sie war auch tot. Wer tat so etwas? Warum passierte uns das? Ich verstand die Welt nicht mehr. Oh Gott. Wir werden sterben, war mein einziger Gedanke. Ich konnte nichts tun, mein Körper hätte nicht auf die Befehle meines Gehirns reagiert. Dominic rührte sich ebenfalls nicht vom Fleck, sondern schaute sich nach den Tätern um und rief immer irgendetwas. Für längere Zeit tat sich nichts und man konnte nur den tosenden Wind hören. Angestrengt lauschten wir auf irgendein Geräusch, doch ich konnte nichts vernehmen. Als wir uns schon in Sicherheit glaubten, tauchte vor mir ein dunkler Schatten auf. Er schien nur wenige Meter vor mir zu stehen. Schnell kam er näher und wollte sich schon über mich stürzen. Ich kreischte auf und kniff die Augen zusammen. Mein letztes Stündlein hatte geschlagen. Glaubte ich zumindest. Mein Herz hatte vorsorglich schon mal zum schlagen aufgehört und seinen letzten Schlag vor wenigen Sekunden gemacht. „Monica!“, brüllte Dominic neben mir, der den Schatten auch bemerkt haben musste. Im letzten Moment schubste er mich weg, sodass ich in den kalten Schnee fiel. Schon im nächsten Moment konnte ich seine Schreie aus nächster Nähe hören. Sie zerrissen die Luft für eine unscheinbar lange Zeit. Total verängstigt und geschockt hielt ich mir die Ohren zu und fing selbst an zu schreien. Ich konnte das nicht aushalten. Mein Bruder hatte mir das Leben gerettet und musste dafür mit seinem eigenen bezahlen. Wer zum Teufel waren diese Typen? Der kalte Schnee ließ meine linke Gesichtshälfte halb taub werden. Meine Zähne klapperten in der Eiseskälte und ich hatte von Zeit zu Zeit komische Zuckungen. Noch immer lag ich zusammengekrümmt da und wartete auf den Tod. Diese Typen würden mich wahrscheinlich auch gleich zur Strecke bringen, wenn sie schon mal meine Familie ermordet hatten. Ich hatte aufgehört zu schreien, da es mich zu viel Kraft kostete. Wieder passierte eine Weile nichts. Machten sie sich etwa einen Spaß daraus, mich so ausharren zu lassen? Konnten sie es nicht gleich hinter sich bringen? Das einzige, was ich hören konnte, waren meine lauten Herzschläge. Sie dröhnten mir regelrecht in den Ohren. Zuvor hatte mein Herz schon einen Aussetzer gehabt und nun schien es so, als ob sie die verloren gegangen Schläge wieder aufholen wollte. Tränen kullerten mir unbemerkt die Wangen hinunter. Ich machte keine Anstalten sie wegzuwischen. Wie eine Irre rang ich nach Luft und versuchte nicht an Atemnot zu sterben, was sowieso sinnlos war, weil ich ja gleich getötet werden sollte. Unerwartet packte mich jemand im Nacken und zog mich unwirsch aus dem Schnee. Ich kreischte auf und hielt mir automatisch schützend die Arme vors Gesicht. Mühelos brachte mich derjenige in eine sitzende Position. Nun bebte ich am ganzen Körper vor lauter Todesangst. In regelrechten Strömen liefen mir die Tränen mein Gesicht hinunter. „Mädchen.“, sagte eine tiefe Männerstimme. Kurz schrie ich auf und zuckte dabei zusammen. Wollte er mich vorher noch ein wenig foltern, bevor er mich endgültig kalt machte? Da ich nichts sagte, griff er nach meinen Armen und zog sie von meinem Gesicht weg. Obwohl ich mich mit den letzten Kräften dagegen wehrte, konnte er sie ganz leicht herunterziehen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in ein Gesicht von einem blassen Mann. Im ersten Moment war ich sogar überrascht, dass er so normal aussah. Ich hatte irgendwie etwas Anderes erwartet. Jemanden, der mehr furchteinflößender war. Keine wunderbar goldigen Augen und gepflegte brünette kurze Haare. Sein Gesicht ließ darauf schließen, dass er erst um die 25 sein musste. Wenn ich ihn in einer anderen Situation kennen gelernt hätte, hätte ich gesagt, dass er attraktiv wäre. Aber in diesem Moment war er für mich einfach nur der Mörder. Der Feind, der Täter. Was auch immer. Man konnte sagen, dass es ihm für mich geradezu auf der Stirn stand. „Mädchen.“, wiederholte er mit seiner rauchigen Stimme. Abermals zuckte ich zusammen. Ich schluchzte so heftig, dass es mich am ganzen Körper schüttelte. „W... wer sind Sie?“, heulte ich mit letzter Kraft. Hauptsache ich fange vor meinem Tod noch ein Gespräch mit dem Trottel an. Auf meine Frage antwortete er mir nicht, sondern starrte mich nur weiter an. Sein Blick war ziemlich durchdringend und kalt, auch wenn seine Augen noch so eine schöne Farbe hatten. „Name?“, wollte er von mir wissen. Warum wollte er jetzt auch noch meinen Namen wissen? Um ihn auf seiner Liste der letzten Opfer eintragen zu können? Wie krank war der Typ eigentlich? „M...Monica“, antwortete ich ihm weinend. Ich konnte mir sicher sein, dass er Gewalt anwenden würde, wenn ich ihm nicht sagte, wie ich hieß. Außerdem war es sowieso egal, weil ich gleich ins Gras beißen würde. „Monica.“, setzte der Mörder an und packte mich noch ein wenig fester im Nacken. „Ich mache dir jetzt ein Geschenk.“ Nun verstand ich gar nichts mehr. Was denn für ein Geschenk? Konnte ich nicht einfach sterben und aus? Warum es so kompliziert machen, wenn es auch einfach ging? Dafür hasste ich den Kerl schon mal. Ich brachte nur ein schwaches „Häh?“ zustande. Ohne zu zögern ließ er seinen Worten Taten folgen. Seine Hand wanderte von meinem Nacken zu meinen Haaren. Er krallte sich fest und zog meinen Kopf zurück. Wimmernd gab ich dem Schmerz nach. Seine andere Hand, mit der er meine Arme hielt, schlang er nun um meine Schultern und zog mich näher an sich heran. Ich kapierte überhaupt nichts und glaubte erst, dass das irgend so eine perverse Tour war, die er gerade mit mir abzog. Mein Hirn war völlig nutzlos zu diesem Zeitpunkt, als hätte man es einfach ausgeschaltet. Gegenwehr war somit nicht möglich und eigentlich auch völlig sinnlos. Ich stöhnte laut auf, als ich stechenden Schmerz in meinem Hals spürte. Es fühlte sich an, als würden sich zwei kleine Messer in meine Haut bohren. Ab da war ich mir sicher, dass mein Leben nun endete. Leider musste ich vorher noch diese Höllentour mitmachen. Da der Schmerz immer schlimmer wurde und sich in meinem ganzen Körper ausbreitete wie ein Lauffeuer, wollte ich sogar schnellstmöglich sterben. Doch anstatt aufzuhören, ging es einfach weiter. Das Seltsamste war, dass mich meine Lebenskräfte nach und nach verließen, aber das Leid gleich blieb. Nicht einmal schreien konnte ich, dass es aufhören sollte, so schnell verließ mich meine Energie. Ich dachte nicht darüber nach, was er da mit mir tat, sondern was mit mir passierte. Auch wenn ich schon fast zu schwach zum Denken war, ging es noch halbwegs. Meine Körpertemperatur schien langsam aber sicher zu sinken, obwohl ich mir mehrere Schichten übergezogen hatte. Es war, als würde ich mit dem Untergrund verschmelzen. Meine Tränen versiegten ebenfalls schlagartig und mein Herzschlag verlangsamte sich komischerweise auch stetig. Ich glaubte schon, die Grenze von Leben und Tod überschritten zu haben, da ließ dieser Irre endlich von mir ab. Komplett regungslos hing ich in seinen Armen, starrte ihn aber immer noch mit weit aufgerissenen Augen an. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten. Das Pokerface hatte er perfekt einstudiert. Nach wenigen Sekunden, in denen er mich ansah, ließ er mich in den kalten Schnee, der für mich jetzt keine Temperatur mehr hatte, zurücksinken. Sein Gesicht verschwamm vor meinen Augen, ich konnte nicht mehr klar sehen. Trotzdem konnte ich erkennen, dass sein Mund blutverschmiert war. Was zum Teufel hatte der da mit mir gemacht? Der Kerl hatte doch nicht etwa...? Jetzt stempelte ich ihn als völlig geisteskrank ab. Ab hier wollte ich nur noch sterben, auf der Stelle. Doch statt zu sterben, blieb ich am Leben und musste die Tortur weiter über mich ergehen lassen. Als nächstes verschwand er aus meinem Blickfeld. Für kurze Zeit keimte die blödsinnige Hoffnung in mir auf, doch noch zu überleben. Doch das konnte ich getrost streichen, da ich nun so oder so ins Jenseits wechseln würde. Die Verletzung an meinem Hals, die mir dieser Gestörte gemacht hatte, und die Kälte würden mich in wenigen Stunden zur Strecke bringen. Schon im nächsten Moment kam er erneut und zog mich abermals an sich, eine Hand wieder in meinen Haaren, der Arm um meine Schultern geschlungen. Aber anstatt erneut meinen Hals zu durchbohren, drückte er seine Lippen auf meine. Ein erschrockener Laut entkam mir und ich fragte mich sofort, woher ich die Kraft dazu hatte. Ich öffnete ein wenig die Lippen, um zu schreien, falls das überhaupt noch ging. Daraufhin spürte ich den salzigen Geschmack von Blut in meinem Mund. Blut, hallte es in meinem Kopf wider. Oh. Mein. Gott. Hatte er das alles geplant oder wie ging das hier ab? Ich fühlte mir wirklich, als wäre ich im falschen Film gelandet. Angewidert verzog ich das Gesicht und die Gewissheit, ihn nicht wegstoßen zu können, machte es auch nicht besser. Aus einem Reflex heraus, schluckte ich das Zeugs sogar unabsichtlich. Mein eigentlich ausgeschaltetes Hirn brauchte mehrere Sekunden, um das zu registrieren. Das allergestörteste war ja danach dann, dass es mir gefiel und ich mehr wollte. Ein fremdes Ich schien in mir erwacht zu sein. Jemand, der zu diesem Zeitpunkt stärker war als ich und somit die Kontrolle leicht über meinen verletzten Geist nehmen konnte. Was ging hier vor? Wieso gefiel mir das auf einmal? Jedenfalls gab mir der Fremde das, wonach ich für kurze Zeit verlangte. Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da gerade tat. Ich musste einfach nicht ganz dicht sein. Am besten sollte ich selbst mein Herz dazu bringen, aufhören zu schlagen. In derselben Sekunde, an der ich an mein Herz dachte, merkte ich, dass ich es gar nicht mehr pochen hören konnte. Das war jetzt aber nicht wahr, oder? Doch da war wirklich nichts mehr. Kein Schlagen. Kein Pochen. Nichts. Nicht einmal ein Flimmern. Auf diese Erkenntnis hin wurde ich komplett geschockt und erschöpft bewusstlos. Langsam drang ich wieder an die Oberfläche dieses seltsamen Wassers, ließ in der Tiefe davon auch die Erinnerungen zurück und erwachte aus meinem „Schlaf“. Kaspers Gesicht war das erste, was ich zu sehen bekam. Er musterte mich und wusste nicht so recht, welchen Gesichtsausdruck er beibehalten sollte. Seine Hand hielt ich immer noch festumklammert an meine Wange. Ich hatte mich richtig in ihn hineingekuschelt. Hastig suchte ich wieder Distanz. Wie vom Blitz getroffen rappelte ich mich auf und rutschte weg von ihm. Was würde er jetzt von mir denken? Wie würde es jetzt weitergehen? Überrascht von meiner überreagierenden Reaktion sah er mich an. Wir saßen noch immer auf derselben Parkbank. Ich bemerkte, dass er mir seinen Mantel als Decke gegeben hatte, der jetzt auf meinen Schoß rutschte. „Das eben ...“, wollte ich anfangen zu reden. „...ist nie passiert.“, beendete er den Satz. Ungläubig gaffte ich ihn an. Wie konnte er das nur sagen? Er hatte mich von seinem Blut trinken lassen! „Was?“, sagte ich. „Aber ich bist du nicht...?“ „...schockiert? Angeekelt?“, führte er den Satz weiter. Ich nickte und schluckte schwer. Für die Antwort brauchte er einen Moment. „Ich weiß nicht so recht. Vielleicht hab ich das Ganze noch nicht wirklich kapiert.“, antwortete Kasper mir. „Werde ich jetzt auch zu einem... äh... Vampir?“, fragte er mich und wusste nicht recht, ob er es ernst meinen sollte oder nicht. „Nein! Natürlich nicht! Ich könnte niemals...!“, empörte ich mich und schnappte nach Luft. „Schon gut, schon gut. Entschuldige.“, sagte Kasper schnell und hob beschwichtigend eine Hand. Es brauchte schon mehr als nur einen Biss, um einen Menschen in einen Vampir zu verwandeln. Das ganze war so wie ein blödes Ritual aufgebaut, wenn man ganz genau nach der „Tradition“ ging, aber es hat mich nie interessiert, deswegen konnte ich darüber keine Auskunft geben. Ich schwieg eine Weile, weil mir eine viel wichtigere Frage auf der Zunge lag. Noch nie war es mir so schwer gefallen, eine einfache Frage zu stellen. „U...und was wirst du jetzt tun?“, fragte ich ihn vorsichtig. Von Kaspers Antwort hing jetzt alles ab. Wie es weitergehen würde, was jetzt passieren würde. „Na ja, ich schätze, ich bringe dich nach Hause.“ Er hatte meine Frage falsch verstanden. Manchmal fragte ich mich, ob er das mit Absicht machte. Ich seufzte genervt. „Ich meinte, ob du uns jetzt verraten wirst...“, verbesserte ich mich und schaute in seine außerordentlichen Augen, die neutral auf mich wirkten. Keinerlei Anzeichen von Ekel oder Verachtung. Unerwartet nahm Kasper meine Hand und ich zuckte sofort zurück. So wie immer durchfuhren mich Stromschläge, stärker als alles andere. Er bemerkte meine Reaktion und ließ mich los. „Monica, ich hab dich nicht in Ruhe gelassen, weil ich wissen wollte, was du bist und nicht damit ich es dann irgendjemanden verrate.“, erwiderte er ernst. Ich konnte keinerlei Anzeichen dafür erkennen, dass er mich jetzt anlog. Die Erleichterung stand mir ins Gesicht geschrieben. Wenn er uns nicht verraten würde, war die Situation nur halb so schlimm. „Und was wirst du tun, jetzt, wo ich dein Geheimnis kenne?“, wollte er nun von mir wissen. Die Frage traf mich unerwartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich umgekehrt auf fragen würde. Gleichzeitig war es eine gute Frage, worüber ich mir schon Gedanken gemacht hatte, aber noch zu keinem Schluss gekommen war. „Ich... ich weiß nicht. Erst mal muss ich mit meinen Eltern reden.“, entgegnete ich kurzerhand. Das würde ich auf jeden Fall machen. Susan und Alexej konnte ich es nicht weiter verheimlichen. Schon allein, weil ich mich ihnen gegenüber dazu verpflichtet fühlte. „Sind sie auch...?“, erkundigte Kasper sich zaghaft. „Ja.“, bejahte ich mit einem gezwungenen Lächeln. Spaziergänger gingen mit knirschenden Schritten an uns vorüber und beäugten uns mit neugierigen Blicken. „Ich denke, wir sollten gehen.“, meinte Kasper und stand auf. Ich runzelte die Stirn. „Wir?“, wiederholte ich. Sein übliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er sprang auf und hielt mir seine Hand hin. „Hör zu, nur weil ich hinter dein Geheimnis gekommen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich dich ab jetzt in Ruhe lasse. Außerdem hab ich gesagt, dass ich alles von dir wissen will und ich weiß noch nicht alles.“, erklärte er mir seinen Standpunkt. Ohne seine Hand zu nehmen, stand ich auf. Unglücklicherweise knickten meine Beine weg. Anscheinend war die Menge Blut nicht genug gewesen, um mich gänzlich zu heilen. Kasper fing mich auf, noch bevor ich den Boden in meinem Gesicht spüren konnte. Er stützte mich vorsichtig ab. „Willst du noch mehr?“, fragte er mich und hielt mir erneut seine Handgelenk hin. Wie konnte er mir nur so bereitwillig sein Blut anbieten? „Sei nicht albern.“, meinte ich und schüttelte den Kopf. Wieso wollte er das Opfer spielen? „Ich bin nicht albern, ich mein es ernst.“, sagte Kasper fast schon beleidigt. „Nein.“, sagte ich entschlossen. „Bring mich einfach nur nach Hause.“ „Yes, Sir.“, erwiderte Kasper wieder mit seinem breiten Grinsen. Etwas benommen wankte ich durch die Straßen. Kasper hatte mir seinen Mantel geliehen, damit ich das auffällige Loch in meinen Kleidern verstecken konnte. Ich war heilfroh, dass unsere Wohnung nicht weit entfernt war. Während wir unserem Ziel näher kamen, unterhielten wir uns. Eigentlich war Kasper es, der anfing zu sprechen. „Sag mal, das, was du mir über deine Vergangenheit erzählt hast, stimmt das?“, wollte er von mir wissen. „Ja, alles entspricht der Wahrheit.“, flüsterte ich. Seine Frage überraschte mich nicht sehr. Bei so einem Geheimnis lag es nahe, dass man sich eine Geschichte ausdachte, um das Gesicht zu wahren. „Wieso hast du mich nicht angelogen?“, fragte Kasper mich als nächstes. Er sah ziemlich verwirrt aus. Obwohl ich die Frage erwartet hatte, hatte ich keine Antwort. Ich hatte es ihm einfach erzählt. „Ehrlich gesagt, ich hab keine Ahnung. Ich.... konnte dich einfach nicht anlügen.“, bastelte ich mir eine Antwort zusammen. Des Weiteren war ich eine schlechte Lügnerin, eine ziemlich schlechte sogar. „Wer hat dir das angetan?“, erkundigte er sich und verzog wütend das Gesicht. Unbemerkt zog er mich näher an sich, als wollte er mich vor einem erneuten Angriff schützen. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Meine Lippen drückte ich merklich zu einem Strich zusammen. „Das waren...“, ich brauchte eine Sekunde, um das Wort hervorzupressen, “Vampirjäger. Sie wollten mich umbringen.“ Beim letzten Satz entfuhr Kasper ein verärgertes Murren. „Ich will jetzt nicht darüber reden.“, fügte ich noch hinzu. „Was werden deine Eltern jetzt tun, wo ich dein Geheimnis kenne?“, fragte er nach wenigen Minuten des Schweigens. Ich konnte mir schon vorstellen, wie das ganze Szenario aussehen würde. Alexej würde toben wie sonst wer, während Susan sich erst einmal um mein leibliches Wohl kümmern würde. Sie müsste Alexej dann auch noch zusätzlich beruhigen und zusehen, dass nichts zu Bruch ging. „Wir werden sehen.“, meinte ich und dann ging mir schlagartig ein Licht auf. „Du willst doch nicht mit reingehen?“, fragte ich schockiert und starrte ihn an. „Natürlich.“, antwortete er entschlossen, als wäre es das normalste der Welt. „Bist du lebensmüde?“, fragte ich ihn fassungslos und rüttelte an seinem Hemdärmel. „Ich denke nicht.“, erwiderte er ernst. „Wieso...?“, setzte ich an führte die Frage aber nicht zu Ende. „Wenn du es deinen Eltern schon beichten muss, dann können sie gleich sehen, wer Schuld an dem Ganzen ist.“, erklärte Kasper. Darauf entgegnete ich nichts. Er würde sich wie immer nicht davon abhalten lassen. Er war sprichwörtlich ein Dickkopf. Vielleicht war er auch eine Hilfe, eine Stütze, während ich Susan und Alexej alles erklärte. Das würde sich dann noch herausstellen. Ich hoffte so sehr, dass mich die beiden verstehen würden. Um mich selbst von meinen quälerischen Gedanken zu entfernen stellte zur Abwechslung mal ich eine Frage. „Kasper?“, nannte ich ihn beim Namen. „Ja?“, sagte er und blickte mich an. „Wie... wie bist du darauf gekommen, dass ...“, ich konnte nicht weitersprechen. Mich selbst als Vampir zu bezeichnen würde mir wahrscheinlich nie über die Lippen kommen. Aus dem einzigen Grund, dass ich nie akzeptiert hatte, was ich bin. „...du ein Vampir bist?“, beendete Kasper für mich den Satz. Ihm schien es keine Schwierigkeiten zu bereiten, das Wort einfach so auszusprechen. Die Antwort kam ihm nicht so leicht über die Lippen. „Zuerst dachte ich ja, ich hätte den Verstand verloren, als ich dich da mit blutverschmierten Mund und der Ziege sah.“, als er das sagte, verzog ich automatisch den Mund; Kasper merkte es und fuhr mit etwas anderem fort, “Ich hab wirklich lange darüber nachgedacht. Mir fiel einfach keine plausible Erklärung ein. Ich war schon dabei, dich zu vergessen und das alles als Einbildung abzutun.“ Das hättest du auch lieber tun sollen, seufzte ich in meinem Kopf. „Dann bin ich an deine Schule gekommen und hab dich wiedergesehen. Alle Erinnerungen drangen wieder zu mir durch. Meine Neugier war ebenfalls geweckt worden. Ich war total überrascht, dich gerade hier zu sehen. Ich hab lange nachgedacht, bevor ...“, erklärte er weiter. „Bevor du angefangen hast, mich zu belästigen.“, setzte ich für ihn fort. Sein übliches Grinsen leuchtete in seinem Gesicht auf, seine Augen glänzten dabei. „Wenn du es so nennen willst...“, meint er dazu. „Jedenfalls hab ich dich beobachtet. Was mir als erstes auffiel war, dass du jeglichen Körperkontakt meidest, du hast zu den meisten immer einen Sicherheitsabstand gehalten.“ Das hat auch seinen guten Grund, dachte ich. Meine Selbstbeherrschung wurde jedes Mal auf die Probe gestellt, wenn ich unter so vielen Menschen war. Ich ging kein Risiko ein. „Zweitens hab ich nie gesehen, wie du etwas gegessen hast. Du hast nie mit deinen Leuten in der großen Pause irgendwas gegessen. Nur getrunken hast du. Irgendwann ist mir dann unterbewusst der Gedanke gekommen. Jede Sekunde hat er mehr festere Gestalt angenommen. Welches Wesen würde sonst schon Blut trinken? Okay, am Anfang wollte ich es selbst nicht glauben. Aber was ist heute schon unmöglich? So ungefähr war das.“, endete Kasper mit zufriedenem Gesicht. Ich nickte nur bestätigend. Er hatte also nicht von Anfang an Verdacht geschöpft. Nun fühlte ich mich irgendwie noch enger mit ihm verbunden. Ich hatte das Gefühl, dass ein dünnes aber sehr starkes Band entstand, das uns immer fester aneinander band. Ob es gut oder schlecht war, konnte ich nicht sagen. Im selben Moment standen wir vor der Eingangstür zu unserer Wohnung. Wir waren mit Müh und Not die Treppen hinaufgekommen, da ganz zufälligerweise der Fahrstuhl kaputt war. Mit zitternden Händen drehte ich den Schlüssel im Schloss herum, die Tür sprang klackend auf und trat ein. Vorher gab ich Kasper noch seinen Mantel zurück. „Halt dich zur Sicherheit hinter mir.“, ordnete ich an und er tat bereitwillig, was ich wollte. „Susan?“, fragte ich in den Raum hinein. „Alexej?“ Kopfreibend kam Alexej um die Ecke. Er war überrascht und dann schockiert, als er das Loch in meiner Kleidung entdeckte. Ich dagegen war ein bisschen verunsichert, weil nur er da war. Wenn Susan ebenfalls da gewesen wäre, wäre es besser gewesen. „Was ist passiert?“, fragte er ernst und bedeutete mir, mich auf das Sofa zu legen. Kasper blieb am Eingang zurück. „Vampirjäger haben mich angegriffen.“, antwortete ich. Alexejs Gesicht hat sich gerade entspannt, da sah er mich wieder geschockt an. Sein Blick wechselte schnell zu Kasper, da ich vor ihm so offen über Vampire geredet hatte. Nun war er verwirrt. Mitten im Raum war er zur Statue erstarrt. „Alexej... ich... er weiß es.“, beichtete ich schweren Herzens. In dem Moment hoffte ich wirklich, dass er mir nicht gleich den Kopf abreißen würde. „Was?“, presste er hervor. Sein Gesichtsaudruck war versteinert, trotzdem konnte ich sehen, dass er kurz davor war auszurasten. „Das... das kann doch nicht wahr sein!“, fuhr er mich an und machte einen Schritt nach vorn. Wie Messer durchstachen mich nun seine Blicke. Er rang geradezu nach Luft. Seine Schultern bebten vor Wut. „Es war meine Schuld.“, schritt nun Kasper ein. Er hatte sich nicht gerührt, ebenfalls verängstigt von Alexejs Art. Der bedachte ihn mit einem todbringendem Blick. „Ich habe sie... bedrängt. Bitte geben Sie ihr nicht die Schuld.“, fuhr er fort. Er war wirklich ein seltsamer Junge. Jeder normaler Mensch wäre schon längst geflohen. Doch er verteidigte mich sogar noch tapfer! Ich sah ihn verzweifelt an, sodass er merken musste, dass er gefälligst damit aufhören sollte. Er machte es nur schlimmer. Alexej würde als allerletztes auf einen Menschen hören. Ich sah uns beide jetzt schon in kleine Stücke zerfetzt am Boden liegen. Überraschenderweise hatte es trotzdem seine gewünschte Wirkung. Alexej beruhigte sich ein wenig und konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche. „Okay, das können wir später noch besprechen.“, meinte er und zog mir plötzlich meine Sachen aus, damit er sich die vernarbte Stelle ansehen konnte. Total überrascht gaffte ich Kasper an, als ob er das achte Weltwunder geschaffen hätte. In forschem Ton forderte mich Alexej auf, alles zu erzählen und das tat ich dann auch. Kasper trat vorsichtig an meine Seite und hörte ebenfalls zu. „Joe, Steve und Noah also. Sie müssen dich schon längere Zeit beobachtet haben, sonst hätten sie dich nicht angegriffen.“, meinte Alexej nachdem ich geendet hatte. Ich nickte schwach. „Ich werde mich, sobald ich kann, umhören. Das dürfen wir auf keinen Fall außer Augen lassen.“, entschloss er kurzerhand. Deswegen war ich froh, dass es Alexej gab. Er bewahrte bei solchen Sachen einen kühlen Kopf und reagierte nicht überhitzt, so wie sonst. Seine Pläne waren bis jetzt immer todsicher gewesen. „Glaubst du, dass sie von euch auch Bescheid wissen oder nur von mir?“, fragte ich ihn. „Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass sie nur von dir wissen, weil sie ja nur dich angegriffen haben. Aber bei denen kann man ja nie wissen.“, antwortete er mir ernst. Kasper schien nicht viel von unserem Gespräch zu verstehen. Danach widmete sich Alexej meinen Verletzungen. „Es ist ziemlich gut verheilt für so ein großes Loch. Aber von wem hast du das Blut genommen?“, fragte er mich nach seiner Analyse. Ich rührte mich nicht, sagen konnte ich es auch nicht. Unabsichtlich zuckte Kasper ein bisschen. Für Alexej war das schon Antwort genug. Mit einem Seufzen nahm er es zur Kenntnis. „Nun gut. Aber du brauchst noch mehr. Dein Körper hat sich noch nicht vollständig geheilt.“, sagte er noch. Kasper glaubte wohl, dass das eine verdeckte Aufforderung an ihn gewesen sei, denn er beugte sich schon vor, abermals bereit das Opfer zu spielen. Ich drückte mich gegen das Sofa. Ein weiteres Mal würde ich nicht Blut von ihm nehmen. Einmal reichte vollkommen. Außerdem war es diesmal kein Notfall mehr. Als Alexej kapierte, was Kasper da tat, lachte er auf. Kasper sah ihn verwirrt an. „Ich werde dein Blut nicht noch einmal nehmen.“, sagte ich und drehte ihm den Kopf zu. „Aber...“, wollte er erwidern. Alexej ging zum Kühlschrank, nahm eine Blutkonserve heraus und füllte ein Glas damit. Nicht gerade appetitlich, aber es ging im Moment nicht anders. Er reichte es mir und ich nahm es dankend. Danach drehte ich mich erneut zu Kasper, der noch immer verwirrt dastand. „Dreh dich um.“, befahl ich ihm. Ich wollte nicht, dass er zusah, wenn ich mich mit Blut beglückte. „Häh?“, sagte er. „Ich will nicht, dass du dabei zusiehst.“, erklärte ich. „Also dreh dich um.“ „Ach so.“, erwiderte er und drehte sich mit rotem Kopf um. Ich wusste, dass er mir irgendwann seine vielen Fragen aufdrängen würde. In einem Zug trank ich das Glas aus, wieder mit dem angewiderten Gefühl. Das Feuerwerk blieb aus, ich konnte nur spüren, wie sich mein Körper mit jedem Zug mehr besser fühlte. Ich fühlte mich wie vorher. Alexej nahm mir das Glas wieder ab und stellte es zum erledigenden Abwasch. Er setzte sich neben mich und atmete einmal tief durch, dabei sah er mich fast väterlich an. Ich sagte Kasper, dass er sich wieder umdrehen konnte. Im nächsten Moment stand er wieder mir gegen über. „So...“, setzte Alexej an, „Und jetzt erzählst du mir mal, wie es dazu gekommen ist.“ Demonstrativ zeigte er auf Kasper, der daraufhin ehrfürchtig zurückwich. „Ich...äh... also...“, stotterte ich erst Mal, riss mich dann aber zusammen. „Es fing alles an dem Tag an, an dem die Jagd stattgefunden hatte. Als ich...“, ich brach ab, weil ich nach eine passende Umschreibung suchen musste. Ich konnte schlecht vor Kasper sagen: Als ich die Beute gerissen hatte. „Als ich fertig war hörte ich Kasper hinter mir. Ich ergriff so schnell wie möglich die Flucht.“, erzählte ich weiter. Kasper trat wieder einen Schritt nach vorn, es schien ihn zu interessieren, dass ich alles aus meiner Sicht erzählte. Alexej hörte aufmerksam zu. „Das Risiko, dass er ausplaudert, ist zu groß. Warum hast du nicht...?“, fragte er mich plötzlich, ohne darauf zu achten, was Kasper sich dabei denken könnte. „Du weißt, was mein sehnlichster Wunsch ist und dass ich Menschen nie etwas tun könnte.“, erwiderte ich mit fester Stimme. Das war mein Grundsatz, den ich leider vorhin gerade gebrochen hatte. Aber Kasper hatte es mir immerhin angeboten, somit war es nicht so schlimm. „Und danach?“, wollte Alexej weiter wissen. „Ich glaubte, dass er das, was er gesehen hatte, nicht glauben würde und somit auch nichts sagen würde. Vor einer Woche kam dann Kasper zu uns an die Schule. Er hatte mich wiedererkannt. Natürlich war ich erst mal überrascht, dass ich ihn wiedersah. Jedenfalls hat er mich dann...“, ich wollte schon sagen belästigt, aber das würde in Alexejs Ohren bestimmt überhaupt nicht gut klingen. „...ausgefragt. Zuerst war ich ja noch standhaft. Aber irgendwie wusste er es schon unterbewusst, was ich war. Dieses... Ereignis vorhin hat die endgültige Bestätigung gebracht.“, endete ich und seufzte einmal. „Und wieso hast du ihn nicht nach eurem Wiedersehen zum Schweigen gebracht?“, erkundigte sich Alexej dann. Ich grummelte und legte eine finstere Miene auf. „Wieso bist du so erpicht darauf, dass er stirbt? Magst du das Jagen so sehr oder wie?“, knurrte ich. Zuerst war er überrascht in welchem Ton ich mit ihm sprach und wie respektlos ich war. „Wird ja nicht frech, mein Fräulein!“, warnte er mich. „Kasper ist mein Freund und das bleibt er auch. Und zwar lebendig.“, sagte ich entschlossen, ein wenig überrascht, welche Worte ich gerade gesagt hatte. Seit wann war Kasper mein Freund? Hatte ich das gerade wirklich von mir gegeben? Auch Kasper selbst konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Sein breites Grinsen breitete sich daraufhin wieder auf seinem Gesicht aus. Es schien ihm zu gefallen. „Dann solltest du lieber auf ihn aufpassen. Ich werde nicht zögern, sobald sich die Möglichkeit bietet.“, meinte Alexej ohne Kasper dabei anzusehen. Ich konnte nicht fassen, was er da sagte. Mit offenem Mund starrte ich ihn an und suchte nach Anzeichen, dass er einen sehr schlechten Witz machte. Doch es war sein Ernst. Ich kapierte, dass das mehr als nur Ernst war. Er würde es tun. Kasper war neben mir erstarrt. Er hatte aufgehört zu atmen. Sein Mund stand ebenfalls offen und seine Augen waren vor Schreck geweitet. „Das werde ich nicht zulassen.“, zischte ich entschlossen. „Wir werden ja sehen.“, entgegnete er und schenkte Kasper ein bittersüßes Lächeln. Ein Schauder lief Kasper den Rücken hinunter. Als wäre es das normalste der Welt, griff ich nach seiner Hand und drückte sie fest. Überrascht von meiner Aktion wich das Entsetzen aus seinem Gesicht. Stromschläge durchzuckten wie sonst meinen Körper. Daran würde sich in geraumer Zeit bestimmt nichts ändern. Meine Finger wollten sogleich wieder loslassen, aber diesmal musste ich dem standhalten. Kasper würde der letzte sein, den Alexej zu fassen bekam. „Ich bin wieder da!“, trällerte derweil Susan und tanzte durch die Tür. Als sie das Szenario sah, veränderte sich ihre Miene ebenfalls von fröhlich in besorgt und entsetzt. Zu meinen Gunsten über nahm Alexej für mich das Erklären. Ich hätte es wahrscheinlich nicht noch einmal erzählen können. Während er redete, drückte mich Susan immer fester an sich. „Oh Gott, wie schrecklich!“, sagte sie schließlich und küsste mich auf die Stirn. Kaspers Hand hielt ich derweil noch immer fest, was dazu führte, dass er sich ein wenig verrenken musste, um das mit Susans Umarmung zu vereinbaren. Die Stromschocke ließen nicht nach. Sie tanzten stetig über meine Hand bis hin zur Schulter und verteilten sich überall. Dann erzählte Alexej ihr noch die Sache mit Kasper. Sie nahm es nicht so verärgert auf wie er, sondern seufzte einmal resigniert. „Da haben wir wohl ein kleines Problem.“, meinte sie und schaute sich Kasper an, der etwas betreten dastand. „Klein!“, wiederholte Alexej verächtlich. „Was werden wir jetzt tun?“, fragte ich die beiden. „Wir?“, echote Alexej abermals. „Wir sollten eher fragen, was er jetzt tun wird.“ Erschrocken drückte ich Kaspers Hand noch fester. Ich wollte für ihn antworten, aber er fing an zureden, bevor ich es tun konnte. „Ich werde nichts sagen.“, sagte er mit fester Stimme. „Das sagen alle am Anfang.“, meinte Alexej finster. Jetzt durchlöcherte er Kasper mit seinen wütenden Blicken. „Sei nicht so misstrauisch!“, warf Susan ein. „Stellst du dich jetzt etwa auf seine Seite?“, fragte Alexej entrüstet. „Wieso hätte er mir dann das Leben gerettet? Nur um mich dann sowieso zu verraten? Das ist doch irrsinnig!“, verteidigte ich ihn nun. „Ich will nur nicht, dass er meine Familie zerstört.“, sagte Alexej und wechselte zwischen meinem zu Susans Gesicht hin und her. Darauf wurden wir zwei schwach. Dieser Grund war am schwerwiegendsten. „Ich versichere euch, dass ich nichts verraten werde. Wenn nicht, dann werde ich euch nicht daran hindern, mich umzubringen.“, meldete sich nun Kasper wieder. Jetzt starrten wir ihn alle an. Alexej seufzte einmal tief. „Okay, okay. Fürs erste glauben wir dir. Wir habe andere Probleme.“, beendete er die Diskussion. „Aber falls es auch nur danach aussieht, dass du plauderst, mach ich dich eigenhändig kalt“, warnte Alexej Kasper vor. Der blieb aber von der Drohung eher unberührt. Entweder war er sich der Situation nicht klar, oder er hatte einen ziemlich starken Charakter. Danach zerrte ich Kasper hinaus, da Susan und Alexej anfingen über die Vampirjäger zu besprechen. Vor der Tür atmete ich einmal tief durch und ließ ihn los. Meine Hand schien schon ganz taub von seinen Stromschlägen zu sein. Ich war so froh, dass ich das hinter mir hatte und es vorbei war. Nun fühlte ich mich nicht nur körperlich sondern vor allem auch seelisch besser. „Ich mag deinen Vater.“, meinte Kasper auf einmal. „Du bist seltsam.“, antwortete ich darauf. Nachdem ihm Alexej sämtliche Drohungen gemacht hatte, mochte er ihn auch noch? „Ich weiß.“, erwiderte er. „Er hat seinen eigenen Kopf, er weiß, was er will und was er tun wird.“, erklärte Kasper seine Aussage. Das waren dieselben Gründe, wie ich sie hatte. „Das... stimmt.“, stimmte ich ihm zu. Daran konnte man nicht viel rütteln. „Sag mal... ist das wahr? Bin ich wirklich dein Freund?“, fragte er mich nach wenigen Sekunden. Plötzlich glühten seine Augen und warteten gespannt auf meine Antwort. Der Strom, der sonst nur bei Berührung auf meiner Haut prickelte, entstand auf einmal nur durch seinen Blick. Es dauerte mehrere Sekunden, bis ich antworten konnte. Sprichwörtlich elektrisiert stand ich da. Es war mir vorhin zwar mehr oder weniger herausgerutscht, aber es war nicht gelogen. Auch wenn er noch so nervig sein konnte, mochte ich ihn. Es klang schon ein wenig verrückt, aber es war wirklich so. Darüber wurde ich mir in dem Moment klar. „Ich... denke schon... Ja.“, flüsterte ich, ohne seinem fesselnden Blick entweichen zu können. Noch immer glühten seine Augen, heller als vorher. Er war sichtlich erfreut über meine Antwort, denn er strahlte übers ganze Gesicht. Das Band zwischen uns zog sich noch fester, jede Sekunde einen Zentimeter mehr. „Kasper... ich... ich verdanke dir mein Leben.“, setzte ich an. „Ich stehe tief in deiner Schuld. Wenn ich etwas für dich tun kann, sag es mir.“ Sein Gesicht nahm sanfte Züge an. Er wollte mir über meine Wange streicheln, aber ich zuckte zurück. Die Stromschläge auf den Armen hielt ich schon aus, aber im Gesicht konnte ich noch nicht. Kasper bemerkte das und ließ seine Hand augenblicklich sinken. „Monica!“, ertönte Susans Stimme aus der Wohnung. „Ich komme!“, rief ich zurück. „Ich geh dann.“, verabschiedete sich Kasper dann schnell. „Tschüss.“, sagte ich und blickte ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. Erst jetzt bemerkte ich, wie breit seine Schultern eigentlich waren und wie groß er war. Das war mir vorher nie wirklich aufgefallen. Kasper war also jetzt ein Freund von mir. Der erste überhaupt seit meiner Verwandlung, soweit ich mich erinnern konnte. Tiefe Freude durchströmte mich bei diesem Gedanken. Lisa und Zara in der Schule waren meiner Meinung nach nur „bessere“ Schulkolleginnen, die mich gelegentlich zu einem Kaffee und in die Disco einluden. In der Wohnung teilten mir die beiden mit, dass sich Alexej umhören würde und wir ab jetzt vorsichtiger sein mussten. Wir konnten uns keine Fehler erlauben. Denn jetzt, wo ich entkommen war, würden sie noch mehr Jäger auf mich ansetzen. Das hieß, dass ich ab jetzt nicht mehr alleine mehr auf die Straße durfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)