Die Neuen
Kapitel 33 – Die Neuen
Sean's PoV
Ich fühlte mich sicherer, dass Picco hier blieb. Vorsichtig schmiegte ich mich an ihn, als er sich zu mir auf mein Bett legte. Ein bisschen schlafen sollte ich, hatte die beiden gesagt. Aber so recht konnte ich das nicht.
Jetzt drückte ich mich also viel lieber an den Italiener, der mir vorsichtig übers Haar strich. Jamie saß im Schneidersitz auf dem anderen Bett und blickte uns etwas prüfend an. Was passte ihm wohl weniger? Dass Picco mich angefasst hatte oder dass ich jetzt bei ihm lag?
Hätte er sich vielleicht etwas beeilt, wäre es anders. Aber jetzt lag der Italiener schon neben mir. Zu spät für Jamie.
Das Schweigen, das zwischen uns herrschte, war erdrückend und zog sich immer länger. Irgendwie musste man es doch brechen können. Aber da klopfte es auf einmal.
Sich streckend stand der Amerikaner auf und tapste lustlos zur Tür. Etwas enger schmiegte ich mich an Piccolo. Jetzt könnte es ja Jamie nicht mehr stören. Etwas zaghaft schloss ich auch die Augen und schlief eigentlich schon fast ein, als ich die Stimme des Amerikaners hörte.
„Picco ist hier“, meinte er und irgendwie schwamm da ein fröhlicher Unterton mit.
Der Italiener schob mich vorsichtig von sich weg und stand selbst auf. Ich blieb liegen und wartete. Sie würden beide schon wieder kommen. Doch schlussendlich war es nur Jamie, den ich wieder zu Gesicht bekam.
„Wo ist Picco?“, wollte ich wissen, als der Amerikaner aufs andere Bett sank. „Max wollte mit ihm seine Sachen ins andere Zimmer bringen“, erwiderte er. Mit einem durchdringenden Blick sah er mich an. Deswegen lief mir ein regelrechter Schauer über den Rücken. Was wollte er denn jetzt von mir?
„Willst du wieder etwas raus gehen und vielleicht sogar schwänzen?“, fragte der Dunkelhaarige schließlich um wohl irgendwie die wieder aufkommende Stille zu unterbinden.
Ich nickte langsam und setzte mich schlussendlich auf. Erst jetzt bemerkte ich richtig, wie weich meine Knie waren. Könnte es sein, dass ich langsam wirklich ein wenig Angst so ganz allein mit Jamie bekam.
Doch der Lächelte mich nur an. Wie ein kleiner Junge. Er könnte mir doch gar nichts tun. Immerhin versuchte er mich doch auch zu beschützen. So gut es eben ging.
„Kommst du jetzt?“
Er nahm meine Hand. Freiwillig. Und zog mich langsam hoch. Stocksteif blieb ich vor ihm stehen, bevor ich die Arme um seine Schultern schlang. Ohne Gegenwehr ließ er mich gewähren.
Ich schmiegte mich leicht an ihn und zog genüsslich seinen Duft in mir auf. Ganz leicht roch er nach Schweiß und irgendeinem Deo. Gemischt war das richtig angenehm für die Nase.
„Willst du mich noch weiter beschnüffeln?“, fragte da aber auf einmal Jamie und riss mich regelrecht aus meiner Trance. Gerade wurde es so schön.
Meine Finger glitten über seine Schultern bis auf seine Brust. Immer wieder hob und senkte sich sein Brustkorb. Etwas spürte ich auch seinen Herzschlag. Nur noch einen Moment länger wollte ich das genießen.
Zaghaft blickte ich zu ihm auf.
„Dann gehen wir mal“, meinte ich lächelnd und nahm seine Hand. Er zog sie nicht einmal zurück. Dabei hätte ich genau das erwartet. Er war doch kein Typ, der sich einfach so an der Hand nehmen ließ.
„Nur mal kurz raus oder wieder schwänzen?“, hauchte er mir da auf einmal ins Ohr. Durch seinen Atem lief mir kurz eine Gänsehaut auf. Meine Knie begannen auch leicht zu zittern. Verflucht!
„Nur mal kurz raus“, erwiderte ich schließlich. Es war kaum mehr, als ein Flüstern und wenn es wohl nicht so still gewesen wäre, auch gar nicht hörbar.
Da löste er seine Hand auf einmal aus meinen Griff und legte mir den Arm um die Schultern. Ich konnte nicht zu ihm sehen. Auch nicht, als er mich etwas zu sich zog.
„Wie Ihr wünscht, Meister.“
Ihm entfuhr ein Kichern. Musste er mich jetzt so verarschen? Aber das kurze Auflachen konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen. Irgendwie war er doch ein Idiot.
„Sammeln wir noch Picco ein?“, wollte ich wissen, als wir schon fast beim Haupteingang waren. Jamie verzog als Erwiderung nur das Gesicht. Also nein? Sollte es wahrscheinlich heißen.
Nur komisch, dass es ihm nicht passte. Sonst hatte er doch den Italiener so gerne an seiner Seite. Hatten sie nicht gestern sogar noch Sex? Und das eben unter der Duschen?
Ich ließ den Kopf hängen, als wir nach draußen treten und mir ein angenehmer, aber etwas warmer Wind entgegen wehte. An das Klima hier würde ich mich wohl nie richtig gewöhnen. Wales war wirklich etwas ganz anderes.
Heute verzogen wir uns nicht hinter das Hauptgebäude, sondern lieber wieder unter den Kirschbaum. Immer wieder brachte ein wohltuendes Lüftchen mein Haar in Bewegung, als ich ins Gras sank und mich an den Stamm lehnte. Der Amerikaner setzte sich auch gleich direkt neben mich. Ich sollte es genießen so lange ich konnte.
Zaghaft legte ich den Kopf an Jamies Schulter. So konnte ich sogar richtig gut entspannen. Ich wollte jetzt nur ihn und die Natur wahrnehmen. Alles andere einfach einmal vergessen. Vergangenheit und Zukunft für einen Moment als egal ansehen. Nur das hier und jetzt war wichtig.
Leise hörte ich Jamie seufzen.
„Ist was?“, wollte ich wissen. Vielleicht störte es ihn, dass ich mich so an ihn lehnte. Ihm würde deswegen sicherlich auch warm werden. Die Temperatur alleine war schon nicht angenehm, wenn man sie nicht gewohnt war.
Obwohl. Mir war es so auch ganz lieb. Im Schatten war es ja auch nicht so heiß.
„Beeilt euch einmal!“, keifte da auf einmal eine mir irgendwie bekannt vorkommende Stimme. Interessiert hob ich den Kopf und blickte zum Eingangstor. Dort standen drei Jungen. Zwei schwarzhaarige – einer hatte von den beiden hatte blonde Strähnen – und der dritte hatte fast so helles Haar wie Steve. Vielleicht nicht ganz so extrem.
„Sieht aus als wären das die Neuen von denen Tyler letztens geredet hat“, meinte Jamie und hatte seinen Kopf auf meine Schultern gelegt. Zaghaft schmiegte er seine Wange an die meinige. Störte ich ihn wohl doch nicht. Zumindest konnte ich mich so noch ganz gut fühlen.
„Wollen wir ihnen hallo sagen?“, fragte ich und schob ihn leicht von mir weg. „Lieber nicht, die sehen irgendwie nicht recht nett aus“, murmelte der Amerikaner nur als Erwiderung.
Jamie’s PoV
Die drei Jungen wirkten wirklich irgendwie seltsam. Der Blonde hatte ein seltsames fieses Grinsen aufgelegt, während der Schwarzhaarige so aussah, als ob er den mit den hellen Strähnen vor dem anderen beschützen wollte. Zumindest hatte er so einen Gesichtsausdruck aufgelegt.
„Hey ihr beiden, kommt mal her“, rief mir und Sean da auf einmal der Wachmann zu, der bei den drei Neuankömmlingen stand und sie dazu anspornen wollte weiter zu gehen.
Etwas irritiert sah ich zuerst den Waliser an, bevor der sich langsam erhob und zaghaft auf den Mann zutapste. Ich hinter ihm.
„Was ist?“, murrte ich. Lieber wäre ich jetzt noch etwas da im Gras gesessen. Wäre schöner gewesen. Und zumindest hätte ich mich noch etwas entspannen können.
„Könntet ihr Janis Noir“ – Die Wache deutete auf den Schwarzhaarigen. – „zu Mr. Franklin bringen?“
Ich blickte den Jungen erst etwas prüfend an, bevor ich bejahte.
„Er weiß schon, was mit ihm ist.“
„Ich werde Killian ganz bestimmt nicht mit diesem Irren alleine lassen!“, zeterte der Junge da aber auch schon los. Der andere, der wohl Killian war, klammerte sich auch gleich verängstigt an ihn. „Bruder“, flüsterte der.
Ich wusste gar nicht, dass Geschwister hier auch herkommen konnten. Sonst wurden die meistens getrennt. Martins älterer Bruder kam auch in ein anderes Internat.
„Besser als dein Kumpel bist du ja auch nicht!“ Der Wachmann trennte die beiden Geschwister voneinander und drückte den komplett Schwarzhaarigen von beiden zu uns. Etwas ruppig hielt ich ihn an der Schulter fest, während die Wache mit den anderen beiden einfach weiter ging.
„Lass mich los!“, keifte der Neue schließlich los und versuchte von mir los zu kommen. Aber das ließ ich mal nicht so weit kommen.
„Kumpel, beruhig' dich. Deinen kleinen Bruder wirst du schon wieder sehen“, meinte ich kühl und schob den Schwarzhaarigen etwas an. Franklin würde sich wohl freuen, wenn er so einen abbekam.
„Er ist nicht mein kleiner Bruder!“, knurrte der Janis. Etwas irritiert hob ich eine Augenbraue, eigentlich hatte Killian – oder wie er hieß – jünger ausgesehen. „Er ist zwei Minuten älter als ich!“
„Ihr seid Zwillinge? Zweieiige?“, wollte da Sean schon wissen. „Ja“, bekam er aber nur wütend zur Antwort.
„Sei nicht so zickig.“ Wieder gab ich dem Schwarzhaarigen einen Stoß weiter in Richtung Eingang. Mit der Zeit lief er dann auch freiwillig.
Schweigend marschierten wir durch die Gänge. Selbst Sean war auf einmal ruhig. Jemanden, der so mürrisch war, wollte er wohl auch nichts fragen. Recht hatte er.
Doch irgendwann traute er sich doch wieder. Oder auf ihn wirkte die Stille genauso erdrückend, wie auf mich.
„Was habt ihr angestellt?“, fragte der Blonde zaghaft. Erntete aber nur erst einen wütenden Blick und dann fauchte der Schwarzhaarige noch: „Geht dich gar nichts an! Blondie!“
Irgendwie meinte ich bei Janis einen französischen Akzent herauszuhören. Hoffentlich bildete ich mir das aber nur ein. Irgendwie mochte ich keine Franzosen, die hatten gelegentlich so etwas Tuntiges an sich.
„So, da wären wir. Mr. Franklins Gemächlichkeiten. Vielleicht hast du Glück und er ist hier“, meinte ich, als wir vor dem Zimmer des Lehrers angekommen waren. Sean war natürlich gleich so frei und klopfte an. Nur ein paar Minuten später wurde uns auch von dem jungen Pädagogen die Tür geöffnet. Er wirkte etwas verschlafen und nicht, so wie sonst, perfekt gestylt.
„Was wollt ihr denn?“, meinte Mr. Franklin gähnend. Der musste doch bis gerade eben noch geschlafen haben.
„Einen Schüler“, erwiderte Sean nur knapp und deutete auf Janis, der immer noch einen recht mürrischen Blick aufgelegt hatte. Der würde sich wohl auch noch ändern. Hoffen konnte man es. Denn sonst würde den hier lange niemand aushalten können.
„Oh. Janis … äh … Janis Noir. Richtig?“
Langsam nickte der angesprochene und zischte etwas mir Unverständliches. Etwas Französisches vielleicht? Irgendwie hätte ich das vielleicht auf der Middle-School doch als Wahlfach nehmen sollen. Dann hätte ich ihn verstanden. War aber jetzt auch zu spät.
„Ihr könnt gehen“, meinte der Lehrer noch zu uns und nach einer kurzen Verabschiedung stapften wir schon davon.
„Ich mag den nicht“, murmelte Sean, als wir außer Sicht- und Hörweite waren. „Ebenfalls“, erwiderte ich kühl. Dieser Janis nervte mich jetzt schon. Hoffentlich waren die anderen beide nicht auch so. Sonst Amen. Na ja, vielleicht würden wir ja nicht einmal in eine Klasse kommen. Aber so einen wollte ich wirklich nicht am Hals haben.