Schreibübungen von ChasingCars ================================================================================ Dünnes Stück Pappelholz ----------------------- Schreibübung 2 - Tagebucheintrag Liebes Tagebuch, Ich vertraue mich nicht Vielen an - eigentlich niemandem außer dir - doch wenn das Licht in dem Gebäude, das sie alle „Louvre“ nennen, ausgeht und die Dunkelheit hier drinnen mit der dort draußen verschwimmt, würde ich das oft gern tun. So wie jetzt. Aber alles was ich nun habe, bist du. Die anderen Gemälde verbringen ihre Zeit mit Schweigen. Manchmal tauschen sie verächtliche Blicke aus, wenn ein Museumsführer Lügen über sie verbreitet. Ich frage mich, ob sie zufrieden mit ihrem Leben hier sind. Natürlich, wir haben es um Einiges besser als die armen Schweine, die in einer schlecht besuchten Galerie hängen müssen, schon verstaubt und bewohnt von Käfern und Spinnen… Dagegen ist unser Leben hier wirklich luxuriös. Man achtet sehr auf uns. Damit wir hier noch Ewigkeiten hängen können. Aber da ist eine Sache, die mich wirklich beunruhigt. Schon seit Jahren. Ach, was sage ich? Seit Jahrhunderten! Es ist diese ständige Beobachtung, die genaue Studierung und Musterung, die ich jeden Tag ertragen muss. Warum werde ich so unter die Lupe genommen? Warum hängen sie mich nicht einfach von der Wand, nehmen meinen Rahmen ab und zerschneiden mich? Dann könnte ich einen ruhigen, unbeobachteten Tot erleiden. Aber nein, da ist ja noch dieses verdammt schwere Panzerglas über mir. Nach dem Idioten, der unbedingt seine selbstgemixte Säure an mir ausprobieren musste – hat gebrannt wie sonstwas -, und dem Bolivier, der mich rüpelhaft mit einem Stein beschmissen hat, eine gar nicht so schlechte Idee. Ich bin doch auch nur ein dünnes Stück Pappelholz! Und ich weiß verdammt noch mal nicht, was da dieser unverschämte da Vinci mit seinen Farben auf mich gebannt hat. Damals hat es sich fürchterlich feucht und ungemütlich angefühlt. Aber wie soll sich ein kleines Stückchen Pappel wehren? Ich war ihm ausgeliefert. Und nun wollen sie mich alle sehen. Sie reden immer von den „verfolgenden Augen“ und dem „geheimnisvollen Lächeln“. Ich kann es nicht ertragen, dass sie meine Hülle loben, diese Hülle aus Farben. Aber mich selbst wollen sie nicht sehen! Wahrscheinlich würden sie bei meinem Anblick sagen „Was soll denn das sein? Ach, das ist’n Stück Holz? Wie langweilig! Und gar nicht schön anzusehen!“. Ich halte das nicht aus. Auch ich habe ein Selbstwertgefühl und Tag für Tag wird es nur verletzt! Auch ich möchte einmal angesehen werden in meiner ganzen nackten Pracht und hören, wie wunderschön ich doch sei. Möchte das nicht jeder? Heute standen sie schon wieder da, gafften mich an und verletzten mich mit ihren Worten. Schade, dass Pappelhölzer nicht weinen können, sonst hätte ich sofort angefangen. Dann hätten sie vielleicht bemerkt, wie weh sie mir tun und was ich wirklich möchte. Denn ich möchte nicht hier hängen, angestarrt werden und nachts in Selbstmitleid versinken. Das ist doch kein Leben. Seit dem 16. Jahrhundert habe ich noch nie etwas erlebt, was mich erfreut hat. Davor war ich noch Teil einer großen, starken kanadischen Pappel. Und ich war so jung und glücklich. Doch dann kamen sie auf die dumme Idee, mich einfach zu einem kleinen, dünnen Stück zu schneiden. Und jetzt werde ich so langsam alt. Alt und zerbrechlich. Ohne die Pflege der Menschen, die immer zu mir kommen und mich verwöhnen, wäre ich schon längst zu einem Häufchen Staub zerfallen. Aber mein Leben ist ja auch schwierig und aufregend gewesen, da darf man schon mal etwas schwächeln. Diese vielen Reisen. Diese Besuche bei machthungrigen Anzugträgern. Nicht sehr lustig, wirklich nicht! Und nicht zuletzt mein ungewollter Besuch in Italien. Da hatte mich doch tatsächlich ein gelegenheitskrimineller Anstreicher von der Wand genommen und war mit mir unter dem Mantel aus dem Louvre spaziert?! Die Zeit, die ich in Italien verbringen musste, war grausam gewesen und nichts hatte mich mehr erleichtert, als endlich wieder auf meinen gewohnten Platz im Louvre zu kommen. Doch hier möchte ich auch nicht bleiben. Ich kann nirgendwo bleiben, denn jeder kennt mich. Wo soll ich bloß hin, was soll ich tun, damit ich wie ein ganz normales dünnes Pappelholz leben kann? Aber du kannst es mir nicht sagen. Leider. Deine Mona-Lisa Anm.: Vielen Dank an Wikipedia für die (geschichtlichen) Fakten. =D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)