Herzsprung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 26: Ballzauber ---------------------- Kapitel 26 Ballzauber Zuerst weit entfernt, jenseits ihrer Wahrnehmung, ein leises Dröhnen. Ganz sacht, fast unscheinbar nahm es zu, wurde lauter und lauter, kam näher, breitete sich aus, ganz wie ein gefährliches Tier sein Territorium erweitert. Das Dröhnen verwandelte sich in ein Pochen, schwoll weiterhin an, bis sie meinte, ihr Kopf müsse bald platzen, würde in Stücke bersten, angesichts des hämmernden Schmerzes. Ein raues Stöhnen entwich ihrem Mund, als sie die Hand hob, um ihre brennenden Schläfen zu berühren, hinter denen es unaufhörlich pochte. Sie rieb sich die beiden Partien, mit der Aussicht auf nicht die geringste Linderung. Unter sich spürte Lena einen weichen, nachgebenden Untergrund, eine samtige Decke lag über ihr ausgebreitet. Leuchtend helle Farbreflexe hinter den Lidern verrieten ihr, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Wärme ging von etwas neben ihr aus. Unter normalen Umständen hätte Lena diese als angenehm tröstlich empfunden, aber hier in diesen, von der Sonne aufgeheizten, Zimmer, glaubte sie in Kürze vor Hitze zu vergehen. Das leise Surren der Klimaanlage erfüllte das Zimmer. Dennoch kam es Lena derart drückend vor, dass sie meinte gleich verbrennen zu müssen. Überhaupt schwitzte sie aus jeder noch so kleinen Pore ihres Körpers, so dachte sie zumindest. Es war so erstickend heiß - das hatte die Karibik nun mal so an sich. Unvermittelt meldete sich die Erinnerung - unscharf, grell und seltsam unwirklich - inmitten des pochenden Hämmerns, untermalt von bunten, diffusen Schlieren. Wie ein Film zogen die vergangenen Ereignisse an Lenas innerem Auge vorbei. Eine steile Falte durchzog ihre Stirn. Die Bowle, das ausgelassene Lachen von Isa und Dai und der Pool. Oh nein…. Lena schlug die Augen auf, in Erwartung, dass sie ihr sogleich wieder zufallen würden. Doch das taten sie nicht. Sie wollte sich aufrichten, aber schon die kleinste Bewegung führte dazu, dass sich das Dröhnen verstärkte und als sie es einmal mehr probierte, hinderte sie etwas am Aufstehen. Als Lena sich zur Seite wandte, erkannte sie Mori. Er hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes an die geklammert. Seine starken Arme umfingen ihre Taille, während er noch schlief. Erst jetzt bemerkte Lena zu ihrer Überraschung, dass sie in einen flauschigen weißen Bademantel gehüllt war und darunter nur Unterwäsche trug. Sofort stieg ein Gedanke in ihr auf, der ihr vor Verlegenheit jäh das Blut in die Wangen trieb. Hätte Mori sie etwa aus den nassen Sachen gepellt und ihr dann den Bademantel übergezogen? Er lag da, auf die Seite gerollt. Die Decke war ihm bis zu den Hüften gerutscht und entblößte seinen nackten, gut gebauten Oberkörper. Die glatte, haarlose Brust, die perfekt definierten Bauchmuskeln, die golden glänzende Haut - all das übte eine unglaublich anziehende Wirkung auf sie aus. Selbst im Schlaf ging von dem friedlichen, entspannten Gesicht des Dunkelhaarigen etwas Wildes aus. Fasziniert betrachtete Lena sein Profil, zugleich versuchend das stetige Pochen in ihren Kopf zu ignorieren. Er war so anders als die anderen Hosts. Beim Schlafen haftete ihn weder eine kindliche Unschuld, die gewöhnlich Honey bei dieser Tätigkeit umgab, an, noch von Tamakis beim Schlafen in den Vordergrund tretender Niedlichkeit hatte er etwas. Und das konnte sie mit Sicherheit beurteilen, da sie die beiden anderen Host schon einmal bei einem Nickerchen gesehen hatte, während sie im Host Club ihrer Beschäftigung als „Mädchen für alles“ nachging. Bei Honey handelte es sich dahingegen um keine Seltenheit, weil er fast jeden Tag auf sein pauschales Mittagsschläfchen bestand, dem man ihm am besten nicht verwehrte, da er in diesen Fall dann nahezu unausstehlich werden konnte. Tamaki hatte sie damals eher zufällig entdeckt, als er im Musikzimmer 3 auf der Fensterbank sitzend, den Rücken an die Wand gelehnt, mit speerangelweit offenen Mund vor sich hin döste. Hätte sein Mund nicht regelrecht wie eine Scheunenklappe aufgestanden und seinen Rachenraum präsentiert, hätte er beinahe ausgesehen wie ein verlorener Engel – jeglicher Stress und alle Hibbeligkeit waren vom ihm abgefallen. Nach dem Anflug von Erstaunen hatte Lena taktvoller Weise Wert darauf gelegt, ihn nicht zu stören, geschweige denn allzu laute Geräusche beim Schließen der Tür zu verursachen. Vielleicht hätte sie doch die Initiative ergreifen sollen, in zu wecken, denn zu Tamakis Pech kamen fünf Minuten nachdem Lena das Musikzimmer verlassen hatte, die Zwillinge zur Tür herein, fanden den blonden Host in der Position vor und schossen prompt mit ihren Handys mindestens 10 Beweisfotos von diesen denkwürdigen Bild. Seitdem war nicht eine Woche vergangen in der sie ihn nicht mindestens zwei Mal voller Vergnügen mit dem Fotos zu piesacken und erpressen versucht hatten. Aber wenn man Kaoru und Hikaru hieß, ließ man solch so eine seltene Gelegenheit um nichts in der Welt verstreichen - wer wusste schon, wann sie sich wieder ergeben würde? Doch nun lag sie hier zusammen mit ihm - weit weg von der Ouran High und ihrem Zuhause in Deutschland. Zwar fühlte sich das alles noch sonderbar fremd an, hier direkt neben ihm zu sein. Er war so groß und seine Muskeln verrichten mehr über seine Kraft, als sie eigentlich wissen wollte, dennoch fühlte sie sich bei ihm sicher und ein seltsames Gefühl von Sicherheit erfüllte sie. Wie gewöhnlich fiel ihm das zerstrubbelte Haar in die Stirn und Lena konnte nicht sagen weshalb, aber aus irgendeinen Grund und trotz des Wissens seiner Stärke, wirkte er im Schlaf beinahe verletzlich. Es lag nicht in ihrer Absicht ihn zu wecken. Viel lieber hätte sie ihm länger beim Schlafen beobachten wollen, aber als sie begann, sich zu regen, um in eine bequemere Position zu wechseln, fingen seine Lider an, zu flattern. Just in diesen Moment kamen Lena Schmetterlingsflügel in den Sinn, aber als er die Augen öffnete, dachte sie, eine Tür würde aufschwingen, hinter der sich einer der herrlichsten Orte der Welt verbarg. Sein noch halbwegs verschlafener Blick wanderte durch das Zimmer und richtete sich plötzlich auf Lena. Vorsichtig lächelte sie, woraufhin ein sanftes Schimmern seine braunen Augen funkeln ließ. Er zog sie an sich und sie ließ es widerstandslos geschehen. Dann vergrub Mori das Gesicht in ihren zerzausten Haaren, rieb die Nase gegen ihren Hals und blies ihr sanft gegen den Nacken, was sie erschaudern ließ. Ein warmes Prickeln breitet sich in ihr aus. „Guten Morgen“, hörte sie ihn, sein Gesicht immer noch in ihrem Haar. „Guten Morgen“, erwiderte Lena und konnte ein Gähnen nicht ganz unterdrücken. „Hast du gut geschlafen?“ „Ging so… ich glaube, ich habe von Haien geträumt“, entgegnete sie und hielt sich abermals den schmerzenden Kopf. Mori tauchte wieder hinter ihr auf und löste die Umarmung. „Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern, was gestern passiert ist?“ „Hm.“ Sie nickte wie betäubt. Im Grunde genommen fühlte sich alles – jede noch so kleine Körperpartie – so an. Als trenne sie ein Dämpfschutz von dem Rest der Welt. Unvermittelt brach es aus ihr heraus: „Wie lange habe ich geschlafen? Wie spät ist es?“ „12 Uhr mittags“, antwortete er mit einem Blick zum auf den Beistelltisch stehenden Wecker. „Was?!“ Sofort fuhr sie hoch, bereute es jedoch noch im selben Moment, weil das Hämmern drohte, ihr den Kopf zu zersprengen. „Ah.“ Sie biss sich auf die Lippe, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen. „Vorsicht“, kam die Wahrung von ihm, nur leider ein wenig zu spät. Lena grummelte etwas von „Guten Morgen meine lieben Sorgen“, woraufhin ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen glitt, er sich ebenfalls zu ihr aufsetze, um ihr einen sanften Kuss zu geben, ehe er sie dann wieder an sich zog. In den folgenden Tagen des Karibikaufenthaltes verspürte Isa unsagbares Bereuen. Die Wut auf ihre Dummheit und Nachgiebigkeit nagte stetig an ihr. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit ging sie Tamaki aus dem Weg, mied strikt seine Anwesenheit, unfähig ihn gegenüber zu treten, geschweige denn ihn in die Augen zu sehen. Sie verhinderte jegliches Aufeinandertreffen mit den Halbfranzosen gekonnt, während Tamaki geradezu nach ihrer Anwesenheit und der daran gekoppelten Konfrontation mit ihr lechzte, welche Isa jedoch verhemmt abwerte. Seine Nähe führte dazu, dass in ihr, hatte sie ihn erst einmal erspäht, eine bedrückende Unruhe aufkeimte und sie so schnell wie nur möglich das Weite suchte. Was hätte sie bloß jetzt dafür gegeben, um den Kuss am Pool ungeschehen zu machen? Doch am Schlimmsten für Isa war, dass sie nicht mehr sie selbst war. Etwas hatte sie ins Wanken gebracht, ließ Isa an sich selbst zweifeln. Nein, nicht etwas - Tamaki. Wo war die unerschütterliche, selbstbewusste, schlagfertige Halbspanierin nur hin? Er hatte ihr Inneres aufgewühlt, und es unverzeihlicher Weise so zerrüttet zurückgelassen. Dabei hatte sie schon alles versucht, um wieder zu sich selbst zurückzufinden und die Alte zu werden. Isa hatte probiert den Kuss auszublenden, mehr als das, hatte sich dazu gezwungen, das plötzliche leidenschaftliche Spiel ihrer Zungen, die Sanftheit seiner Lippen, die unverkennbare Süße der verführerischen Bowle und die auf einmal in der flirrenden Luft liegende feurige Erregung zu vergessen. Aber dies alles stellte sich als aussichtsloses Unterfangen heraus, stieg doch immerzu das Bild von Tamaki und ihr in ihr Gedächtnis. Die ganze Szene hatte sich wohl zu ihrem frühzeitigen Verderben fest in ihre Netzhaut eingebrannt. Auf der einen Seite wollte Isa mit jemanden darüber reden, sich jemanden anvertrauen, andererseits hatte sie vor die Erinnerung in den hintersten entlegensten Winkel ihres Kopfes zu verbannen, dort zu verbarrikadieren, damit sie niemals mehr an die Oberfläche gelangen konnte. Für gewöhnlich war Isa mehr als nur gut der heilsamen Kunst des sich vor Dingen zu Verschließens, sich von Tatsachen abzuwenden, desto hart und eindeutig sie auch sein mochten; eine Meisterin des Verdrängens. Doch diesmal misslang es ihr. Zu stark haftete das Geschehen an ihr - es war ein Fluch. Tamaki hatte etwas in ihr zum Einsturz gebracht. Wenn sie sich endlich einmal durchgerungen hatte, etwas von dem freizulassen, schaffte sie es im nächsten Moment doch nicht mehr. Nicht einmal mit Lena sprach sie darüber - nicht einmal ihr gegenüber wagte sie sich zu öffnen, geschweige denn ihr diese Schmach anzuvertrauen. Das Lena so glücklich mit Mori war, erleichtere es ihr nicht gerade, denn sie wollte Lena lieber in dieser fröhlichen Stimmung lassen, anstatt das Glück ihrer Freundin mit ihren eigenen Sorgen und Problemen zu überschatten. Noch etwas anderes schreckte davor zurück, mit Lena darüber zu sprechen. Es war das Wissen, dass Lena ihr in solch einer Lage nicht helfen konnte. Sie musste alleine damit fertig werden, einen anderen Weg gab es nicht. Tatsächlich hatte sie Tamaki vor versammelter Mannschaft geküsst, und zwar richtig geküsst, bevor es überhaupt vollständig in ihr Bewusstsein gedrungen war und das dann auch noch unter den Augen des halben Host Clubs. Im Anbetracht dieser Tatsache war es daher recht verwunderlich, dass lediglich die Zwillinge ihr Kommentar zum Besten gegeben hatten: „Wow, ganz großes Kino.“ Und sofort begannen sie mit ihrer nieder stampfenden Kritik „Wir wussten selbstverständlich, dass das noch kommen würde und haben dem regelrecht entgegengefiebert. Schließlich ist es einer der wenigen verbliebenen Punkte, den sie noch nicht als Grundlage eines Streites verwendet haben. Tamakis Kusstechnik bedarf wirklich noch an Übung – ziemlich mies, wenn man bedenkt, dass er Franzose ist. Jede Wette, morgen liegen sie sich garantiert wieder gegenseitig in den Haaren und zanken sich über die richtige Kusskombination. Aber was soll’s. Vorhersehbar war das alles, weil sich Gegensätze bekanntlich anziehen“ So debattierten die beiden Rotschöpfe heiter weiter, während Honey nur mit großen Augen dastand, bis er sich zu einen raschen Abgang entschloss, die Wangen leuchtend rot, wie ein Signalfeuer und Kyoya - die Abgebrühtheit mit Löffeln gefressen - kein Wort darüber verlor. Zu der Zeit musste irgendetwas in meinem Oberstübchen durchgebrannt sein - ein klassischer Blackout, befand Isa. Noch immer völlig verschlafen, aber dennoch komplett angezogen für das Frühstück im Speisesaal, in den es gewöhnlich jedermann zwischen 8 bis 11 Uhr trieb, trat Lena auf den Hotelflur. Sie meinte bereits den köstlichen Duft frisch gebackener Brötchen, fruchtiger Marmelade, knusprig braun gebratener Kartoffel- und Schinkenscheiben sowie hart gekochter Eiern riechen zu können. Allein der bloße Gedanke daran ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Gerade wollte sie zum Fahrstuhl an der rechten Seite gehen, als eine Stimme unmittelbar gegenüber von ihr, sie zusammenzucken ließ. „Hallo Lena.“ Sie wirbelte herum und - entspannte sich augenblicklich. „Oh, hi Honey! Äh – was machst du denn hier? Ich wusste nicht, dass dein Zimmer auch auf diesen Gang liegt.“ „Tut es auch nicht“, meinte er fröhlich. „Ich bin einfach aus eigener Überzeugung hier.“ Eigentlich wollte sie sich schon wieder auf den Weg zu Essensaal machen, da ein forderndes Knurren ihres Magens sie an das anstehende Frühstück erinnerte und gegen eine längere Unterhaltung protestierte, dennoch siegte die Neugierde, daher fragte sie: „Ach so und weshalb?“ „Ich wollte mit dir reden“, lächelte er, aber in seinen großen, braunen Rehaugen spiegelte sich plötzlich purer Ernst. „Und worum geht’s?“, erkundigte sie sich, sich dabei gekonnt die Bemerkung verkneifend, er solle sich bitte um Himmelswillen kurz halten, weil die Auswirkungen einer zu langen Verzögerung böse für das Buffet im Speisesaal enden könnte. Honeys Blick war unverändert starr auf sie gerichtet, jedoch wohnte ihm nun eine gewisse Härte inne. Er fixierte, ja durchleuchtete sie geradezu, durchdrang jeden Zentimeter von ihr. Der Blick jagte ihr einen nicht ganz unbekannten Schauer über den Rücken. Er passt so ganz und gar nicht zum süßen kleinen Honey und die Stimme mit der er sprach, als er begann, konnte sie noch weniger mit ihm in Verbindung bringen. Es war ganz so, als wäre er innerhalb von Sekunden zu einer ganz anderen Person geworden. „Bislang habe ich selten bemerkt, das Takashi diese Art von Gefühle gegenüber jemanden entwickelt hat und das was er für dich empfindet ist zweifellos mehr als bloße Zuneigung und für eine kleine vorübergehende Verliebtheit ist Takashi kein Mensch. Wenn er jemanden in sein Herz schließt, dann oft aus reiner Intuition. Meist liegt er damit richtig.“ Honey legte eine gewichtige Pause ein, die er dazu nutzte Lena bedeutungsvoll anzusehen. „In deinem Fall war Takashi vom ersten Augenblick eurer aller ersten indirekten Begegnung von dir eingenommen.“ So als wäre es erst gerade gestern gewesen, flackerte in Lena die Erinnerung an den Tag auf, als Isa und sie sich auf der Suche nach dem Bandproberaum begeben hatten und dabei aus Versehen auf den Host Club gestoßen waren. „Das habe ich sofort erkannt, dass er etwas an dir fand.“, setzte Honey versichernd hinzu. Bei ihrer verblüfften Mine, bedachte er mit einem wissenden Lächeln. „Um das nicht zu bemerken, kenne ich ihn einfach zu lange. Ich freue mich, dass Takashi so glücklich ist, aber falls du jemals die Absicht haben solltest, Takashis Herz zu brechen, oder jetzt nach alledem weiter auf seine Gefühle einzugehen, ohne es wirklich ernst zu meinen, wäre das sehr ungerecht gegenüber ihn. Nach außen hin mag es zwar nicht den Anschein haben aber er ist weit verletzlicher als es oftmals wirkt – besonders was Gefühle angelangen. Würdest du also das tun, bekämst du es mit mir zu tun – und schneller als es dir lieb wäre, würdest du dein Vorgehen bereuen.“ Lange schien es Lena, er würde sie mit seinen von schattendurchwebten Augen durchbohren und sie konnte sich nicht anders helfen als lediglich zurückzustarren. Plötzlich hellte sich sein Gesicht im Zuge eines fröhlichen Lächelns wieder auf. „So viel dazu“, erklärte der Blonde auf einmal bei wieder bei so guter Laune, das Lena die Überlegung wagte, ob er eventuell unter Stimmungsschwankungen, bedingt durch seine Tage, litt (ja, auch das männliche Geschlecht wird nach eigenen Angaben gelegentlich von einer gewissen Zeitperiode heimgesucht, in der plötzliche, selbst für sie unerklärliche Gefühlsumschwünge vorherrschen und Frau nicht einmal ansatzweise weiß, was mit den Herren der Schöpfung anzufangen). Dennoch zwang sie sich diesen absurden Gedanken sogleich zu verwerfen. „Ich wollte nur, dass du das weißt - und Lena…“ Jetzt wirkte seine Mine aufrichtiger denn je. „Sollte es mit dir und Takashi weitergehen, könnt ihr in Zukunft jederzeit mit meiner Unterstützung rechnen.“ Danach drehte er sich um, ging zum Ende des Gangs, wo der Aufzug bereits auf ihn wartete. Indes stand Lena bewegungslos da mit dem dringenden Bedürfnis, schleunigst ihrer durcheinander purzelnden Gedanken Herr zu werden. Honeys Worte hallten noch immer als ein leises, beständiges Echo in ihren Kopf nach. Das eben - war das wirklich passiert? Ja, Honey war zu ihr gekommen und hatte ihr mehr oder weniger eine Warnung inklusive nicht gerade versteckter Drohung überbracht. Doch das war es nicht, was Lenas Herz mit einem Mal einen Hüpfer machen ließ. Honey hatte für Mori gesprochen. Er hatte vor ihr ausgebreitet, wie die Dinge lagen und klar gestellt, dass er alles in seiner Macht stehende tat, wenn sie mit Mori lediglich spielen würde und keine ehrenwerten Absichten verfolgte, in dem vollen Wissen, sie vielleicht infolgedessen durch seine eigene Person einzuschüchtern und sich bei ihr unbeliebt zu machen. Zugegeben Honeys, für ihn recht ungewöhnlicher Auftritt, war schon eine Schockklasse für sich gewesen. Dennoch ergriff sie plötzlich ein Gefühl der Wärme und Sympathie für den kleinen, blonden Host, der sich soeben für den Menschen, der ihm am wichtigsten im Leben war, geäußert hatte und zwar nachdrücklich. Unwillkürlich durchflutete Lena eine Woge der Zuneigung und des Respekts für Honey – und das gewiss nicht wegen seiner meisterhaften Kampfsporttechniken oder seines ausgeprägten, rekordverdächtigen Verschlingens von Süßspeisen aller Art und Größe. Nein, was bei ihr, mehr noch als das, Eindruck hinterlassen hatte, war seine unglaubliche Courage. Mit dieser Gewissheit ging auch die Erinnerung an die aus seinem Mund versprochene Unterstützung einher. Mehr ahnte es Lena bisher, als das sie es wusste. Aber eine Beziehung wie die ihre würde eine Menge Komplikationen hervorrufen. Auf kurz oder lang würden ihre Familien mit Sicherheit Wind von der Sache bekommen und gegen die waren die albernen Eifersüchteleien der Host Clubkundinnen so groß wie eine Maus verglichen mit einem Elefanten. Aber daran wollte sie jetzt keinen Gedanken vergeuden. Das hatte noch Zeit. Und dennoch… Honey… „Keine Sorge. So weit, dass ich es bereue, werde ich es nicht kommen lassen“, sagte sie, wenngleich der kleine, blonde Host schon mit den Aufzug nach unten gefahren und nur der verlassene Gang ihr stiller Zeuge war. Im Flugzeug setzte sich Isa mit Lena so weit wie möglich vom Host Club weg. Lena schien das nur recht zu sein, da sie auf eine ordentliche Distanz zu Mori achtete. Beiden war bewusst, dass sie immer noch von einigen Mädchen mit Adleraugen beobachtet wurden. So würde ein zu nahes Beieinandersitzen möglicherweise für erneute Gerüchte sorgen und alte nähren. Unvermittelt steckt Isa sich die Stöpsele ihres I-Pots in die Ohren. Die wummernden Bässe hämmerten gegen ihr Trommelfell. Doch nicht einmal die harten Beats oder die krassen Texte schafften es, sie ganz für sich einzunehmen, konnten ihn nicht aus ihren Kopf vertrieben. Alle ihre Gedanken kreisten einzig und allein um den blonden Host und nichts und niemanden war es möglich, sie abzulenken. Trotz der von ihr um ihn herum imaginär errichteten Mauern, bahnten sich ihre Gedanken still und heimlich immerzu einen Weg durch ein verborgenes Schlupfluch oder wandelten auf einen geheimen Pfad zu ihm. Noch immer glaubte Isa, dass der Geruch seines Aftershaves unmittelbar vor ihr in der Luft hing und ihre Sinne benebelte. Verdammt! Wenn das nicht bald aufhörte, wurde sie noch verrückt. Vielleicht war sie das auch schon längst. Ausschließen wollte sie es jedenfalls nicht, denn das würde so einiges erklären. Ein Stechen in ihrer linken Handfläche signalisierte Isa, dass sie bereits eine ganze Weile ihre Hand zur Faust geballt hatte. Unter dem Fleisch stachen die Knochen weiß hervor. Schmerzhaft schnitten ihre blutrot lackierten Nägel in das Fleisch. Rasch lockerte Isa sie. Im Stillen beglückwünschte sie sich selbst zur denkbar schlechtesten Situation, in die sie sich jemals reinmanövrieren hätte können. Toll Isa, lobte sie sich, du hast die ultimative Katastrophe schlechthin erschaffen, du Herrscherin der unkontrollierbaren Desasters. Denn diesmal musste sie sich, ohne weiteres eingestehen, dass sie sich mit dieser Leistung selbst übertroffen hatte und dass sie wohl nun am strahlenden Höhepunkt in ihrer Kariere als die „Königin des Chaos“ angelangt war. Worin sie sich nur wieder reinkatapultiert hatte. Der denkbar fürchterlichste Zustand war eingekehrt. Gleich nachdem sie der ganzen versammelten Terroristengemeinschaft der „El kaida“ und der „Taliban“ einen Kleinkrieg erklärt hätte, der zwangsläufig Europa und den nahen Osten in ein Blutbad versinken lassen würde oder gleich nach dem Massaker, das sie auslöste, weil sie aus Versehen im Rahmen eines Staatsbesuch beim US Militär den Schalter für die Abfeuerung von Atomwaffen betätigte (obwohl sie ursprünglich nur auf der Suche nach den Lichtschalter gewesen war) und Russland danach in einen einzigen Schutthaufen daläge. Aber längst war nichts mehr daran lustig. Rein gar nichts Witziges konnte Isa sich an der ganzen Sache abringen. Wie auch, wenn man die Gewissheit hatte, in Kürze von einer wild gewordenen, stocksaueren, vor Eifersucht rasenden Meute Host Clubkundinnen zermalmt zu werden. Angesichts dieser sicheren Tatsache würde es für sie eine Notwenigkeit darstellen, Vorkehrungen in Form von der Deponierung eines Revolvers unter ihren Kissen, zu treffen. Im Regelfall vertrat sie die Position der Heimartliebenden. Aber vielleicht war sie nun dazu gezwungen, dies noch einmal zu überdenken. Auswandern erschien ihr eine bessere Alternative, als von einer Bande bis aufs Blut wütender Hostclubfans zu Hackfleisch verarbeitet zu werden – bestimmt war sie auch viel schmerzfreier. Sie würde einfach ins Exil abgehen, irgendwo im Ausland untertauchen. Südafrika kam ihr als geeignet vor – na ja aber am Nordpool bei den Eskimos im Iglu sollte es bekanntlich auch ganz kuschelig sein. Auch wenn das zugleich bedeutete: eine neue Vergangenheit, ein neuer Name, ein neues Gesicht: Kurz ein neues Leben zu beginnen. Irgendetwas davon würde sich im 21. Jahrhundert schon machen lassen. Notfalls konnte man mit Bestechungsgeld nachhelfen – und das war ja weiß Gott nicht ihr Problem. Jeder Mensch schlug jemand einen Wunsch ab einen gewissen Grat einer Summe nicht mehr ab. Und wie so oft in den letzen Tagen stellte Isa sich die entscheidende Frage, auf die sie seither keine Antwort fand: Weshalb hatte sie das nur getan? Sie hatte doch um die Konsequenzen gewusst. Doch warum lag die Schuld eigentlich bei ihr? Schließlich war sie nicht über ihn hergefallen und hatte ihm einen Kuss aufgezwungen! Und dann hatte sie nun mal einen Kurzschluss erlebt, anders konnte sie sich das beim besten Willen nicht erklären… oder etwa doch? Erschrocken schüttelte Isa den Kopf, sich nun stärker auf die aus den Ohrstöpseln dröhnende Musik konzentrierend, verjagte sie schnell die kurz aufflackernde Ahnung aus ihren Kopf, ehe sie sich noch zu einem festen Verdacht verhärteten konnte. Mit wachsender Beunruhigung beobachtete Lena das Verhalten von Isa gegenüber Tamaki. Beim Verfolgen des Geschehens stieg ihre Besorgnis weiter an, denn sichtlich gab sich Tamaki einiges an Mühe, eine Gelegenheit für eine Unterhaltung mit Isa zu finden. Bei jedem sich bietenden oder in Aussicht stehenden Vorwand versuchte er sie anzutreffen, um mit ihr zu reden - bislang ohne Erfolg. Von Tag zu Tag bröckelte seine zuversichtliche Mine Stück für Stück, bis Lena schließlich mit einem mulmigen Gefühl der Bedrückung feststellte, dass ihm der Mut schwand. Das gewinnende Lächeln wich immer mehr aus seinem Gesicht und ließ eine aufgewühlte Ratlosigkeit zurück. Lena hatte von dem mehr oder weniger unfreiwilligen Vorfall am Pool gehört, da Mori ihr so einiges darüber erzählt hatte, was er wiederum von Honey hatte. Sogar als der Internatsalltag die Schüler der „Ouran“ erneut eingeholt hatte, vermied Isa jegliche Nähe zum Host Club – war buchstäblich auf der Flucht. Nach einer Woche machte Tamaki einen zunehmend niedergeschlagen Eindruck, ein trauriger Schimmer hatte sich in seine Augen geschlichen. Die mit ihm vorgehende Veränderung versetzte Lena einen Stich. Unweigerlich erweckte Tamakis derzeitiges Erscheinungsbild in ihr einen paradoxen Vergleich. Nunmehr erinnerte sie Tamaki an ein einsames, verlassenes Hundebaby, das man draußen auf der Straße unbarmherzig ausgesetzt hatte. Zusammengekrümmt zu einem kleinen Wollknäuel von einem Welpen im prasselnden kalten Regen, suchte er verzweifelt seinen Weg nach Hause ins Trockene. Hin und wieder aufjaulend und sich dann als nasses, frierendes Bündel in einer dunklen Ecke zusammengekauert und dort bibbernd auf jemanden wartend, der nie kommen würde. Mit jedem verstreichenden Tag ähnelte Tamaki zusehends einem Wrack. Er wirkte deutlich blasser. Dunkle Ringe beschatteten seine Augen und des Öfteren schien er bei der Arbeit im „Host Club“ nicht recht bei der Sache zu sein. Mehrmals bekam Lena mit wie er bei einer Unterhaltung mit einigen Kundinnen den Faden verlor, woraufhin sich diese ein wenig verunsichert bei ihm erkundigten, wie es denn um sein Befinden stehe. Lena fand das ungerecht. Tamaki mochte ja viele Fehler haben – und einige seiner Macken waren nicht gerade so übersehbar, trotzdem saß sein Herz zweifellos am rechten Fleck. Zudem hätte sie nicht gedacht, dass er unter Isas unausgesprochener Zurückweisung so leiden würde. Ganz gleich, ob er nun das Gründer eines Host Clubs war, Mädchen in Schwärmen anzog, nur so vor Eitelkeit sprühte oder zur übermäßigen Theatralik neigte, das hatte er bestimmt nicht verdient. Deshalb nahm sich Lena vor, mit Isa ein ernstes Wörtchen zu reden, aber diese wies selbst sie ab. Ja, wenn das Gespräch zum Thema „Host Club“ abschweifte, blockte sie konsequent ab. Letztendlich musste Lena einsehen, dass sie wohl nicht an den Umstand drehen konnte, dass Isa Tamaki weiterhin aus den Weg gehen und er stumm vor sich hin leiden würde. Doch an einer wirklichen Abfindung damit konnte sie keinerlei Gefallen finden. Aber was das betraf, lag das Zepter nicht in ihrer Hand – sie hatte keine Auswirkung auf den Verlauf des weiteren Geschehnes, wie sie sich verbissen klar zu machen, versuchte. Wehmütig ruhte Isas Blick auf Uschi, ihrer E-Gitarre, die in der Ecke des Zimmers an ihren angestammten Platz ruhte. Sie schreckte davor zurück sie anzurühren, geschweige denn auf ihr zu spielen, denn dann hätte sie die letzte Hürde zur Akzeptanz ihres neuen Ich und dem ihr bislang noch unglaublich fremd vorkommenden Gefühlsleben zu überwinden. Die Ketten, die sie hielten, zu sprengen, dagegen sträubte sich alles in ihr. Diesen letzten Schritt wagte sie nicht. Hätte ihr jemand noch vor zwei Monaten von ihrer Zukunft erzählt, so hätte Isa diesen für verrückt erklärt und eigenhändig ohne Umwege in die Klinik eingeliefert. Aber mittlerweile war sie wohl eher die jenige, die dringend einen Rat eines erfahrenen Therapeuten bedurfte. Am besten einen, der sich auf das Gebiet „Geisteskrankheiten“ spezialisiert hatte. Warum eigentlich nicht gleich einen, der sich mit Schizophrenie auskannte. Denn eines war sicher. Sie selbst war sie am wenigsten. Uschi war ein alter Teil aus ihren Leben, unvereinbar mit dem neuen. Es wäre, wie eine Barrikade zu überspringen und Uschi in die neue Welt mitzunehmen, was gleichzeitig auch bedeuten würde, dass Uschi nicht mehr zu ihren alten Leben gehörte, abgespalten von der Vergangenheit – und doch nicht zu der vor ihr stehenden Zeit gehörend - und wieder ein neuer Weg weniger für Isa zu ihrem alten Ich zurückzugelangen. Und wenn Uschi nicht mehr in die alten Zeiten passte, bröckelte die Erinnerung an ihr früheres Ich, Stück für Stück, bis nichts mehr von ihm übrig wäre. Ganz wie eine langsam verbleichende Schrift oder eine abbrennende Kerze, außerstande ihren Verfall aufzuhalten. Was war das bloß für ein Zwiespalt? Wenigstens äußerlich musste sie wieder die alte werden. Gefasst, kühl, unverletzbar. Ja, wenigstens nach außen hin durfte sie niemand das Chaos in ihrem Inneren erahnen lassen. Niemanden würde sie es offenbaren. Zu erniedrigend, zu beschämend wären die Folgen und Reaktionen ihrer Mitmenschen. Sie musste stark sein, auch wenn ihre Seele schrie. Um jeden Preis musste sie stark bleiben. Sich die Blöße geben – das konnte sie nicht – um nichts in der Welt. Der Ballsaal war hell erleuchtet. Unzählige mit rauten- und tropfenförmigen Kristallen verzierte Krohnleuchter ließen den Raum in einem gleißenden Licht erstrahlen. Im Glas brach es sich in tausende Facetten. Draußen hinter den hohen Fenstern war die Dämmerung herein gezogen und verschluckte die letzten abendlichen Sonnenstrahlen wie ein düsterer Schleier, der sich über die Welt legte und sie verdunkelte. Das Orchester stimmte auf Zeichen des Dirigenten einen Walzer an, woraufhin die Paare begannen sich im dreiviertel Takt auf der breitflächigen Tanzfläche zu drehen. Von überall her im Raum glitzerte und funkelte es nur so. Der Boden war von einer hauchdünnen Decke aus Kunstschnee bedeckt, unter den an manchen Stellen das glänzende Parkett hervorblitzte. Entlang der Wand schlängelten sich Lichterkettenbänder deren Leuchten von einem weißen, kleinen Schirm in Schneeflockenform umspannt wurde. Im Mittelpunkt der Tanzfläche ragte ein riesiger mit elektrischen Kerzen geschmückter Tannenbaum bis knapp unter die Decke der Kuppel. Von Treppengeländern, Stuhllehnen, Tischen und Wandbordüren schimmerte der mit Silberstaub versetzte Kunstschnee und verlieh dem Saal ein herrliches Winterambiente, vor dessen Zauber sich zu verschließen, es einiges an Abgestumpftheit bedurfte. Mit ausladend raschen Bewegungsabfolgen seines Dirigentenstabes führte der hoch gewachsene Mann - vor dem versammelten Orchester auf einen Podest stehend - die Streicher eine Oktave höher. Zeitgleich fielen die Blechbläser scheppernd ein. Die festliche Atmosphäre war überwältigend und nichts ließ darüber hinwegtäuschen, dass heute eines der absoluten Highlights der „Ouran High“ stattfand. Seit jeher hielt der Weihnachtsball einen sehr hohen traditionellen Veranstaltungswert inne und galt als eines der wichtigen, jährlichen Events. „Wunderschön nicht war?“ Lena war bereits gänzlich dem Schwärmen verfallen und strahlte Isa förmlich an, die sich zunehmend in eine Szene aus einer billigen Kitschfilmparodie versetzt fühlte. Doch beim prunkvollen Anblick des Saals verblasste ihre mürrische Mine á la „Ich hätte das Essen untersagt bekommen und wäre im Zuge dessen erbärmlich verhungert, wenn ich mich nicht auf diese Clownveranstaltung hätte mitschleifen lassen“ ein bisschen. „Ja“, kam es tonlos und ein wenig zu schwach aus Isas Mund. Dennoch entlockte dies Lena ein erleichtertes Seufzen. Schließlich war es ihrer Freundin grundsätzlich missfallen hier hin zu kommen. Erst nachdem Lena einige Anläufe gewagt, offenbar bei Isa einen Nerv getroffen hatte, hatte diese kleinlaut nachgegeben. Vielleicht hatte es etwas mit dem schicken neuen Kleid, das unberührt in Isas Schrank vor sich hin gammelte zu tun gehabt. Möglicherweise hatte jedoch sie selbst den entscheidenden Ausschlag dazu gegeben, denn als alles gutes Zureden nichts gefruchtet hatte, schlug dieses in jähzorniges Drohen um. Lena musste schon Eindruck geschunden haben, jedenfalls nach Isas erschütterten Gesichtausdruck zu schließen. Sie hatte lediglich Isa mit der Tatsache in die Ecke gedrängt, dass sie nicht ewig vor Tamaki weglaufen könne, und da eine Konfrontation mit ihn ganz gleich früher oder später sowieso stattfinden würde, könnte ihn ja ein kleines Vögelchen zuzwitschern, an welchen Ort sich Isa für gewöhnlich verkroch, um alleine zu sein und in ihrer Einsamkeit zu schmoren. Es war Zwangsverhalten in einer Notsituation gewesen, musste sich Lena im Nachhinein eingestehen. Mittlerweile verging kein Tag mehr, an dem Isa nach dem Unterricht nicht in ihre eigene kleine Welt flüchtete, abgeschirmt von allen Sorgen, Zweifeln, Herausforderungen und Ungewissheiten, isoliert von allem was ihr Kummer bereitete und auch zugleich von allem was ihr Freude schenkte. Sie so zu sehen, machte Lena fertig und war der Auslöser für diese Verzweiflungstat. Selbstverständlich hätte Lena Isa auch damit erpressen können, Uschi abzufackeln. Aber noch bevor sie die Drohung hätte vollenden können, wäre Uschi sicher hinter meterdicken Stahlwänden eines Sicherheitstresors mit eingebauter Selbstschussanlage verschwunden. Dennoch hatte Isa eingewilligt. Die Vorstellung Lena könne Tamaki sagen, Isa würde sich jedem Nachmittag pünktlich nach Schulschluss in einen kleinen Pavillon im Park abschotten und dort über die Welt und deren Probleme und Schwierigkeiten nachsinnen, war einfach zu entwürdigend. Noch in derselben Woche war ein Designer gekommen, um letzte Veränderungen an ihren Ballkleidern vorzunehmen. Die Ergebnisse dieser aufwendigen Prozedur ließen sich durchaus mehr als nur sehen. Beide Kleider waren. Isas Kleid – ein schwarzer Traum, gefertigt aus weicher Baumwolle, versehen mit edlem Satin und eleganter Spitze, passte perfekt zu ihrer gegenwärtigen Stimmung, während Lenas dazu den ruhigen, verträumten Gegenpool aus feinem Organza und edlem Satin in einem tiefgründigen türkis trug. Für den heutigen Abend hatten die zwei Mädchens eigens Visagisten und Friseure kommen lassen, um auch richtig aufgebretzelt auf dem Ball zu erscheinen. Bereits nach dem ersten Schritt in den Saal war den beiden längst klar geworden, dass sie nicht die einzigen gewesen waren, die diese Maßnahmen zu Register gezogen hatten. Ausschließlich jedes Mädchen hatte sich dieser Prozedur unterzogen, wovon die reihenweise makellosen, gepuderten Gesichtern und die voluminösen Haarprachten zeugten. Dennoch waren beide glücklich, dass sie im Gegensatz zu anderen Mädchen, den Visagisten nicht freie Hand gelassen hatten, denn einige sahen, um es noch harmlos auszudrücken, aus als hätten sie einen Sprung in den Farbtopf unternommen; selbst für Isas Geschmack wirkten ein paar Gesichter zu Make-up überladen. Manchmal war weniger bekanntlich mehr. Isa hatte lediglich in ein dezentes Make-up, das den silber-schwarzen Lidschatten als Blickfang auserkoren hatte, sowie in eine Haarverlängerung, die Isa in Wellen den Rücken hinunterfloss, ihr Vertrauen gesetzt. In sich selbst verdrehte Silberohrringe gaben dem Stil den letzten Schlief. Lena wiederum hatte sich eine leicht gelockte Hochsteckfrisur mit eingeflochtenen türkisen Perlen – passend zu ihrem Kleid - zaubern lassen. Dazu betonte ein silber-blaues Make-up ihre Augen. Zielsicher steuerte Lena auf einen der an der Seite des Raumes stehenden Tische zu, rückte sich einen Stuhl zurecht und ließ sich nieder, ihr Kleid nebenbei glatt streichend. Isa tat es ihr gleich. Gerade hoben die Bläser zu einem Tusch an, als plötzlich eine ihnen wohlbekannte Stimme sich über die Musik des Orchesters hinwegsetzte und zu den beiden herüberwehte. Lenas und Isas Blicke flogen zum Rand der Tanzfläche, wo sie Nara erfassten, in einen sonnengelben Kleid, an ihrer Seite einen kräftigen Jungen, der gelegentlich, wenn sie nicht hinsah, nervös an seinen schwarzen Frackärmel zupfte. Hin und wieder schenkte sie ihm ein verlegendes Lächeln. Kurz hob Nara die Hand in Isas und Lenas Richtung. Deutlich meinte Isa ein vergnügtes Funkeln in ihren Augen zu sehen. Die zwei Mädchen winkten zurück, ehe ihre Aufmerksamkeit zurück zur Tanzfläche schwankte, wo die bunten, ausladenden Kleiderröcke sich im Schwung der Drehungen flatternd aufblähten. Plötzlich stutzte Lena. Isa kam ihr noch zuvor: „Sind das dahinten nicht Honey und … Ayumi?“ Vorsichtshalber reckte sich Lena noch einmal, um einen besseren Blick auf den Blonden zu erhaschen. Beschwingt wirbelte er seine, nur um ein paar wenige Zentimeter größere, Tanzpartnerin über das Parkett. Bei jeder Wendung bauschte sich der zartrosa Stoff vom Kleid des Mädchens auf. Tatsächlich war es wirklich Ayumi, deren Augen so glücklich glitzerten, und wahrlich, zum Stahlen hatte sie auch allen Grund. Sie funkelte nahezu mit den Kronleuchtern um die Wette. Ein versunkenes Lächeln lag auf Honeys Lippen, während er nur Augen für seine Tanzpartnerin zu haben schien, die in dem gerüschten, bonbonrosa Ballkleid wirklich einem süßen Konfekt ernstzunehmende Konkurrenz machte. Kein Wunder, dass Honey solche Schwierigkeiten hatte, sie nicht gleich mit seinen hungrigen Augen zu verschlingen. Vor lauter Gerührtheit hatte sich eine kleine Träne in Lenas Augenwinkel gebildet und einmal mehr wünschte sich Isa, dass Ayumi endlich bei jemand, das gefunden hatte, wonach sie sich so sehr sehnte. Schrilles aufreizendes Gelächter ließ Isas Kopf herumfahren. Für einen kurzen Moment erstarrte sie, instinktiv den Atem anhaltend. Am Nachbartisch saßen Yvette, Fiona und Celin. Die intensiven Farben von Yvettes und Fionas Kleidern stachen in Isas Augen, bis sie schon fürchtete, bei zu langem Hinsehen zu erblinden. Feurig rote Stoffschichten raschelten glänzend im Kronleuchterlicht. Von Kopf bis Fuß hatten sich die beiden mit teuren Stoffen, Fellen und Schmuck eingedeckt. Um Fionas Hals lag ein seidiger Fellschal, der bei Isa jähe Übelkeit wachrief und zugleich in ihr den Gedanken weckte, Fiona hätte ebenso gut einen toten Waschbären als Halsbedeckung präsentieren können. Doch so sehr Yvettes und Fionas Aufmachung von der penetranten Masche „Auffallen um jeden Preis“ zeugte, den Titel der Ballkönigin würde keine der beiden erlangen; dafür war die Ausstrahlung des Albinomädchens neben ihnen zu schön - schon beinahe nicht mehr von dieser Welt - und dies wohl weniger gewollt, als absichtlich. An diesen Abend hatte Celin, die kleine, dumme Celin, oft herumgeschupst und im selben Moment schon wieder die andere Wange hinhaltend, sie alle überboten. Sie stellte sie in den Schatten und ließ Fiona und Yvette aussehen wie zwei übergroße, alberne Paradiesvögel, die sich in eine fremde Klimazone verirrt hatten, und das alles wohlgemerkt mit völliger Unwissenheit. Der Schnitt ihres Kleides war von einfacher Schlichtheit, doch der flamingofarbene Stoff entpuppte sich als eine wahre Augenweide. Celins langes, weißblondes Haar war zu einem Zopf geflochten und dann in einem eleganten Knoten an ihren Hinterkopf festgesteckt worden. Durchsichtige Diamanten schmückten ihr Dekolleté und ihre Ohrläppchen. Hätte Isa es nicht besser gewusst, so hätte sie Celin für eine Prinzessin eines europäischen Fürstentums gehalten. Beim Gedanken, dass sich die anderen beiden nun grün und blau ärgern würden, musste sie sich ein Grinsen verkneifen. Neben Celin wirkte sowohl Fiona als auch Yvette wie ein über und über mit Dekoration begangener Weihnachtsbaum. Die Ehrung der Ballkönigin, auf die beide sichtlich scharf gewesen waren, konnten sie sich jetzt getrost abschminken – zusammen mit der dicken Schicht Make-up, die sie im Gesicht mit sich herumtrugen. In diesem Moment erinnerte Celin Lena an Cinderella – atemberaubend schön durch den Zauber einer Fee – bis zum zwölften finalen Schlag der Turmuhr. Immerhin sah Yvette nicht allzu zufrieden aus mit dieser ausstechenden Konkurrenz von der wohl am unvorhersehbarsten Richtung. Zumindest blieb ihr ein schwacher Trost: Mittlerweile hatte sie es geschafft, ihren Eltern das herausragende Bild von Sandro zu entreißen und in tausend Stücke zu zerschmettern, wie Isa mehr oder weniger freiwillig aus einem lautstarken Gespräch zwischen Yvette und Haruhi im Klassenraum herausgehört hatte. Sichtlich bestürzt hatten sich Yvettes Eltern über den Vorfall in der Karibik gezeigt, hatten sie Sandro doch immer als offenherzig und großzügig wahrgenommen. Was wollte man auch anderes in einem zuvorkommenden, überdurchschnittlich gut aussehenden Sohn aus wohlhabendem Hause sehen, wenn man auf Bräutigamschau für seine Tochter war? Doch ihre vorsätzlichen Vorstellungen von Sandro waren nun deutlich ins Wanken gebracht worden und so hatten sie kurzerhand die Verlobung ihrer Tochter auflösen lassen. Doch allem Anschein nach hatte sich Yvette von dem Ereignis mit ihren Ex-Verlobten wieder erholt und bestens verkraftet, denn sie flirtete gerade munter Augen klimpernd mit einen Jungen aus dem dritten Jahrgang. Inzwischen wartete jedoch bereits der nächste potenzielle Verlobungskandidat vor ihrer Türschwelle. Vielleicht würde sie mit diesen mehr Glück haben. Auch Isa hatte ihr Mitleid mit Yvette nicht verleumden könnte – auch wenn es sich in Grenzen hielt - , so wünschte sie dem neuen Anwärter trotz dessen eine Menge starker Nerven, Geduld, die Fähigkeit der Kunst des Umschmeichelns und nicht derart hohe Ansprüche… Gerade überlegte Isa, ob derjenige eine Vorwarnung erhalten sollte, als Lena aufstand. Ihren Mund geöffnet, um zu einer Frage anzusetzen, folgte sie Lenas Blick und schloss ihn geschwind wieder. Dort hinten bei der Eingangstür des Saales stand Mori und schaute zu ihnen herüber. Plötzlich fühlte sich Lena innerlich zerrissen. Einerseits ließ sie Isa jetzt ungern allein, weil sie es ja gewesen war, die ihre Freundin zum Weihnachtsball überredet hatte und sie spürte bereits, wie sich auf Samtpfoten der leichte Sog eines schlechten Gewissens anschlich. Und mit einem Mal war sie überwältigt von den Anblick des Hosts und ihren Empfindungen, die wie ein Regenschauer auf sie niederprasselten. So viele Gefühle, dass es ihr im ersten Moment nicht gelang sie alle einzuordnen. Ein Feuerwerk aus Euphorie, Nervosität, Freude, Fassungslosigkeit, Unsicherheit, Triumph, Aufregung und Sehnsucht. Knisternde Unruhe befiel Lena. Sein Lächeln entfachte das nächste Feuerwerk in ihrem Inneren. „Na, geh schon“, ermutigte Isa ihre Freundin, als sie das verhaltene Zögern in deren Haltung wahrnahm. Lenas Augen drückten Dankbarkeit aus. Sie beugte sich zu Isa hinunter und küsste sie auf die Wange. „Danke, bis später“, sagte Lena leise, bevor sie sich aufmachte, um sich durch die Leute einen Weg zur Tür zu bahnen, an der Mori nach wie vor wartend stand, ihr entgegen blickend. Umgehend wandte Isa ihr Gesicht ab. So bitter es auch war, es zuzugeben, aber irgendwie wollte sie das erneute Aufeinandertreffen der beiden nicht verfolgen; den merkwürdig entrückte Blick in Lenas Augen, wenn sie allein schon Mori erwähnte, erzeugte derzeitig in Isas Magen einen Eisklotz. Eine verliebte Idiotin um sie herum reichte Isa momentan. Passender Weise musste sie sich, sogar nicht den Zwang unterwerfen, wegzuschauen, weil ihr die Sicht versperrt wurde, bedingt durch einen Kellner, der ihr einen Drink anbot. Doch nur das Wort „Drink“ führte dazu, dass Isas Magen einen Salto schlug und im hohen Bogen auf die Matte knallte. Nein, danke. Der letzte Drink hatte in ihrem Falle durchaus gereicht und dafür gesorgt, dass sie dem Alkohol seither auf ewig entsagte. So winkte sie ihn ungehalten hinfort. Ungewollt schweifte ihr Blick durch den Saal. Soeben war das Orchester in einen gewaltigen Tusch verstummt, um nun riesigen Boxen, einen Mischpult inklusive DJ Platz zu machen, und als hätte sich heute die gesamte Welt gegen sie verschworen, wurde dieser Teil des Abends ausgerechnet mit einem der schnulzigsten Vertretern der Poplovehymnen eingeleitet. Viel Vergnügen, dachte Isa lakonisch, indes dröhnte „Let me be your hero“ von Enrique Iglesias aus den Lautsprechern. Derweilen hatte sich die Paarlandschaft auf der Tanzfläche etwas gelichtet, sodass Isas Augen nun wohl oder übel an dem Zweiergespann Mori und Lena hängen blieben. Also wenn bei den Kundinnen jetzt vor lauter Neid nichts im Oberstübchen durchbrannte, dann wusste sie auch nicht mehr. Aber vermutlich war es auch besser wenn dieser Umstand nicht eintrat. Schließlich schwebten bei Amokläufen auch immer unschuldige Zivilisten in Gefahr – das stand außer Frage. Für die beiden eng aneinander tanzenden auf dem Parkett schien jedoch nichts mehr von Bedeutung zu sein, als der jeweils andere. In vertrauter Zweisamkeit, ließen sie sich vom Rhythmus der Musik treiben, während es augenscheinlich keinen Zweifel mehr daran gab, dass sich hinter den Bewegungen mehr verbarg als nur ein einfacher, harmloser Tanz. Etwas erschien in ihren Augenwinkel. Sekunde – was war das?, durchfuhr es Isa. Ihr Blick sprang zur gegenüberliegenden Seite der Tanzfläche und ihre Augen weiteten sich mit einem Schlag. Da direkt unter den Säulen, nahe der imposanten Fensterfassade, tanzte ein Wischmopp! Zuallererst hatte Isa zumindest diesen Eindruck. Ein Haufen zusammengeklaubter rot-weiß karierter Tischtücher banaler Weiser versehen mit edelster Seide. Isa konnte nicht umhin, als genauer hinzusehen. Die Fetzen aus Tüchern wischten mir nichts dir nichts übers Parkett, geführt von einem kleineren Jungen, in weißen Smoking mit rosaroter Fliege um den Hals. Bei der nächsten Drehung, in der die Tischtuchröcke nur so dahinfegten, erkannte Isa die merkwürdige Paarkonstellation. Vor Erstaunen klappte ihr der Mund auf. Der Junge im Smoking war gar kein Junge, und der Wischmopp gewiss kein Wischmopp, geschweige denn auch nur irgendeine Art von haushaltspflegenden Allzweckreiniger. Am meisten wurmte Isa es jedoch, dass sie, gerade sie, auf das reingefallen war, was sie vor gut drei Monaten auf den ersten Blick aufgedeckt hatte, ohne auf die niedlich verpackte Täuschung hereinzufallen. Natürlich – wie hätte sie auch jemals etwas anderes annehmen können - handelte es sich bei den brünetten Tanzpartner um Haruhi, und den Wischmopp na ja dazu musste man nicht viel sagen, außer dass Renge so einiges dafür getan hatte, um an diesen Abend aus der breiten Masse hervorzustechen. Zweifellos war die Host Clubmanagerin hoch motiviert in ihrem Vorhaben, ihrem Ruf als bunter Paradiesvogel gerecht zu werden, wovon zudem ihr energischer Tanzstil zeugte, mit dem sie so einiges an Stoffpartien durch die Gegend wirbelte. An Extravaganz mangelte es ihrem Kleid jedenfalls nicht. Bei diesem Blickfang hätte Isa um ein Haar, nicht das Paar bemerkt, welches in unmittelbarer Nähe von ihnen übers die Tanzfläche glitt, weit ruhiger und galanter als ihre wilden Nachbarn. Es waren Kurakano und Kazukiyo, die beiden Klassensprecher ihres Jahrgangs. In Kazukiyos Augen, mit denen er nicht imstande war, seinen Blick von seiner Tanzpartnerin zu lösen, lag gewichtiger Stolz, Verehrung und unfassbare Glückseligkeit. Mit kaum verborgener Vorsicht führte er sie, als sei sie etwas sehr Zerbrechliches, auf das man Acht geben müsse. Umwerfend hübsch sah Kurakano an diesen Abend aus. Ihr rot-orange funkelndes Kleid strahlte Anmut und Eleganz aus. Mit der Hochsteckfrisur und dem schattierten Make-up präsentierte sie sich ihrem Umfeld, das sie immer als süßes, gewissenhaftes Mädchen, das manchmal etwas durch den Wind sein konnte, erlebt hatte, von einer nie gekannten Seite. Denn nun kam Isa bei Kurakanos Anblick nichts anderes als eine junge, standhafte Dame in den Sinn. Währenddessen hatte Haruhi ihre liebe Not bei den vielen Wendungen mitzuhalten und den Führungspart nicht an ihre stürmische Tanzpartnerin zu verlieren. Soeben begann der Song „Fairytale“ von Alexander Rybak, den Isa sofort an dem teils melodischen, teils dudelnden Geigenspiel erkannte, das eine unbeschwerte Leichtigkeit und gleichzeitig eine traurige Sehnsucht mit sich brachte. Gerade erwog sie, ob das Wischmoppkleid wieder ein neues Costplay aus Renges heiß geliebter Sammlung war, als plötzlich ein Schatten auf sie fiel. Zum zweiten Mal an diesen Abend raubte ihr jemand die Sicht. „Na, Lust mit mir zu tanzen?“ Als Isa irritiert aufblickte, stand Gin vor ihr, ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Isa zog eine Augenbraue hoch. „Spricht man so etwa eine Dame an?“, bemerkte sie spitz, des Spaßes halber. Ein amüsiertes Glucksen entwich Gin. Dann jedoch setzte er eine zutiefst ernste Mine auf. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Mademoiselle. Wo sind nur meine Manieren geblieben?“ Er deutete eine demütige Verbeugung an. „Entschuldigen Sie meine unangebrachte Unhöflichkeit. Anscheinend bedarf es mir dahingehend noch ein wenig Übung. Aber würdet ihr mir, trotz meines Fehltrittes, diesen Tanz erlauben?“ Gegen ihren Willen musste Isa lächeln. Lena hatte Recht gehalten als sie argumentiert hatte, der Ball würde Isa auf andere Gedanken bringen und aus ihren Trott herausholen. Nur zu gut wusste sie, wie befremdend und erschreckend sie auf Lena wirken musste, die sie innerhalb den insgesamt 11 Jahren, welche sie sich bisher kannten, zwar schon mit der ein oder anderen Downphase erlebt hatte, aber noch nie so derart von sich selbst abgerückt und verschlossen. Natürlich ärgerte Isa sich darüber, doch was hätte sie schon tun können? „Selbstverständlich, Verehrtester“, bemühte sich Isa die hochgestochene Ausdrucksweise weiterzuführen, ohne in Gelächter über diese makabere Situation auszubrechen. Sie ergriff Gins dargebotene Hand und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche geleiten. „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, aber Ihr Kleid…“ Er ließ den Blick bewundernd über den schwarzen Seidenstoff gleiten. „…hebt sich in seiner Schnitt und Machart sehr von den gängigen Variationen dieses Anlasses ab. Dennoch eine sehr gelungene Abwechslung zu den Tonnen an Tüll und Samt, mit denen andere Mädchen bekleidet sind, und der beste Beweis für Euren ausgezeichneten Geschmack, Mylady“, sagte er und legte eine Hand an ihre Hüfte, während Isas seine Schulter fand. Gin verstand es bestens, wenn er wollte, den Leuten Honig um den Mund zu schmieren, doch dieser Tatsache war sich Isa schon lange bewusst. „Sie glauben also, auf diese Art mir schmeicheln zu können, Sie Charmeur. Man würde es nicht loben, wenn man Euch so über die Kleider der anderen Mädchen reden hören würde“, entgegnete Isa mit einen zuckersüßen Lächeln, „Maßen Sie sich nicht zu viel an, verehrte Herr.“ Mann, was laber ich eigentlich da? Hört sich fast so an, als hätte mich Oma zu einem ihrer adretten Banketts verdroschen, schoss es Isa durch den Kopf, derweilen begannen sie im Rhythmus der Musik zu tanzen. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Mademoiselle“, begann er abermals, „Aber Ihr Kleid erscheint mir unter den vielen bunten, extravaganten Kunstwerken in seiner Schlichtheit und Raffinesse hervorzustechen. Im Gegensatz zu den anderen erzeugt Ihr Kleid kein schmerzhaftes Brennen in meinen Augen, und die Gefahr auf einen Saum zu treten, besteht auch nicht. Durchaus sehr vorteilhaft.“ Entrüstet schnappte Isa nach Luft. Empört fixierte sie ihn, doch in ihren Augen leuchtete deutlich der Schalk. „Ach so, nur deshalb tanzen Sie mit mir, um nicht das Missgeschick einer Bruchlandung zu riskieren, sich vor aller Augen auf dem Parkett wieder zu finden und so Ihre schlechten Führungskünste nicht der Öffentlichkeit zu offenbaren.“ „Nicht annährend, Mademoiselle“, ereiferte Gin sich vergnügt, „Seien sie versichert, dass mein volles Interesse nicht nur ihrem Kleid gilt. Vielmehr frage ich mich, ob Ihre Neigung zum fatalen Schwarz wohl eine Bedeutung anhaftet. Hat die Bella etwas auf dem Herzen?“ Schlagartig verschwand das Lächeln von Isas Lippen. „Ja, Süße, dass sieht man dir wirklich an, wenn man nur genauer hinschaut“, flüsterte er einvernehmlich. Großartig, dachte Isa nicht minder gereizt, wenn man es mir so leicht ansieht, dann hätte ich mir genauso gut ein Schild mit der Aufschrift „Zynische Schizophrenie ausgelöst durch nachhaltige Nebenwirkungen eines Bowleunfalls am Pool“ an die Stirn pinnen können. „Bella, willst du drüber reden? Dieses Gesicht, was du da ziehst, steht dir so gar nicht“, wisperte ihr Gin vertrauensvoll ins Ohr. Das kam wie ein Schlag ins Gesicht. Sicher hatte Gin nicht beabsichtigt, sie in die Enge zu treiben. Dennoch ließ Isa rasch die Pein in ihren Blick verschwinden, ehe sie sich von ihm löste. „Nein, will ich nicht. Es ist nichts.“ Eine tiefe Falte hatte sich in Gins Stirn gegraben. „Was ist bloß los mit dir?“ Sie hielten mitten in Tanz inne und standen reglos da, um sie herum die sich im Takt der Musik drehenden Pärchen. „Nichts.“ Ihre Stimme klang seltsam brüchig und rau. Sie vermied es gründlich ihm in die Augen zu sehen, daher haftete ihr Blick ein wenig rechts von ihm an einen elegant dahin gleitenden Tanzpärchen. Schon hatte Isa sich von ihm abgewandt, als seine Hand sich noch auf ihre Schulter legte. „Hey, dass kannst du jemand anderen vormachen. Ich seh’ doch, dass was mit dir nicht stimmt.“ Nun schwankte echte Besorgnis in seiner Stimme mit. Mürrisch schlug sie seine Hand fort. „Nein, und wenn schon.“ In diesen Moment bereute sie ihren barschen Tonfall nicht, dafür war sie viel zu aufgewühlt. Schnellen Schrittes hastete sie von der Tanzfläche, einen Gin zurücklassend, der sich halb verwirrt, halb verstört durchs Haar strich und dann die Schultern zuckte, bemüht in dem Versuch eine gleichgültige Position anzunehmen. Isa wollte weg – nur noch weg – fort von hier. Weg aus diesem Saal, der von einer monotonen, pausenloser Endlosschleife übelster Schnulzenlieder vergiftet und von einer lachenden, sich amüsierenden Masse bevölkert wurde. Dieses ganze Ambiente setzte ihr zu, erdrückte sie beinahe. Die Luft im Saal flirrte unter der Spannung und sie meinte mit jeder vergehenden Sekunde weniger atmen zu können. Gehetzt blickte sich Isa um. Wo war der Ausgang? Es musste doch hier einen geben. Ihr Blick flog zur Balkontür. Hastig machte Isa sich auf, eine Meute Rüschenkleider ausweichend, um schließlich in die beruhend kühle Abendluft auf den Balkon hinauszutreten. Hier draußen waren die Musik und die vielen Stimmen nicht so gegenwärtig laut. Gedämpftes Licht fiel von den Laternen auf den gepflasterten Boden und tauchte die Umgebung in ein Netz aus Helligkeit und Schatten, das im Flackern der Kerzen stetig erzitterte. Erstaunlich mit was für einer angenehme Ruhe dieser Ort, trotz der herüberschwappenden Geräusche des Balls, erfüllt war. Bis zum Rand des Balkons schritt sie, lehnte sich an die Balustrade, stützte sich mit den Händen am obersten Rand des Geländers ab und blickte gedankenverloren auf die unter ihr liegende schneeweiße Fassade des Gebäudes. Eine frostige Windböe kam auf, strich durch ihre, extra für diesen Anlass, künstlich verlängerten Haare. Spätestens jetzt zahlte sich die schwere Kopfbedeckung aus – einen wurde weniger schnell kalt um Hals und Ohren herum. Fasziniert beobachtete Isa, wie ihr Atem in der Luft zu weißen Dampfwölkchen gefror. Sie nahm die Hände von der Brüstung und rieb ihre klamm gewordenen Finger aneinander – schon besser. „Hierhin hat es dich also verschlagen.“ Bei der altbekannten Stimme wirbelte Isa mit einen Satz herum. Im selben Moment dachte sie, jeder Zentimeter ihres Körpers würde gefrieren. Alles in ihr versteifte sich. Auf einmal schien ihr die Kälte wie tausend schmerzhafte Nadelstiche auf ihre Haut. Bewegungsunfähig stand sie da und es kam ihr vor, als hätte man sie soeben das letzte Stückchen zur Kante des Abhangs geschoben und ihr einen Stoß in die Schwindel erregende Tiefe versetzt. Sie fiel – aber nein, etwas hielt sie fest, oder besser: sie selbst hielt sich fest, klammerte sich mit aller Kraft an das letzte bisschen Standhaftigkeit, das sie davor bewahrte mit fliegenden Fahnen die Flucht zu ergreifen. Seine warme Hand auf ihrer nackten Schulter löste in ihr angenehme Schauer aus. Ein Flattern machte sich in ihrem Magen breit. In einen gleichmäßigen, sich schnell einfügenden Rhythmus geleitete er sie sicher über das Parkett. Seine Führungsqualitäten waren derart gut, dass Lena darüber hinweg ihre miserablen Tanzkünste sowie ihre ewige Angst vor dem Stolpern vergaß. Immer mehr trat die Musik in den Hintergrund, bis nur noch er da war – Mori mit seinen dunklen Augen, in denen ein Funkeln lag, das schöner war als jedes strahlende Licht der prunkvollen Kronleuchter an der Decke und dieses Funkeln und das warme Lächeln auf seinen Lippen galten ganz allein ihr. Noch immer konnte sie es kaum fassen und je mehr sie sich bemühte, es zu begreifen oder Gründe dafür zu finden, desto unglaublicher wurde es für sie. Mit äußerster Willenskraft widerstand sie der einladenden Versuchung, sich noch enger an ihn zu schmiegen. Doch ihre tapfere Enthaltsamkeit wurde weiterhin auf die Probe gestellt, als ihr sein maskuliner Duft in die Nase stieg. Die Verlockung wäre sowieso zu groß gewesen, doch noch bevor sie ihrem Aufbegehren ein Ende setzten konnte, nahm Mori die Sache selbst in die Hand und zog Lena näher an sich heran. Seine Nähe und sein sinnlicher Duft waren nun übermächtig und so gegenwärtig. Eine herbe, dennoch frische Note. Die einzelnen Geruchsfassetten waren durchsetzt von einer Spur aus Minze. Ein Geräusch ließ ihren Blick kurz zur Seite kippen. Eine kleine Schlange von Mädchen hatte sich am Rand der Tanzfläche gebildet, die ausnahmslos alle mit sehnsüchtigen Augen zu Mori hinüberspähten. Ein Mädchen war hingefallen, wobei ihr Absatz auf den Boden ein klackendes Geräusch von sich gegeben hatte. Jetzt war sie dabei, sich hastig aufzurichten und mit fahrigen Handbewegungen ihre Frisur zu richten. „Ähm, ich glaube da sind noch andere, die mit dir tanzen wollen.“ Kaum hatte Lena es ausgesprochen, war ihr ein sanftes Rosa in die Wangen gekrochen. „Ach, ja“, war das einzige, was er darauf sagte, während Lena schon darauf wartete, dass er von ihr ablassen würde, um sich zu seinen Bewunderinnen zu gesellen – wenngleich sie dabei, wie kindisch es auch war, einen kleinen Funken Wehmut und Bitterkeit verspürte. Doch er bewegte sich unverändert weiterhin mit ihr im Takt der Musik. "Willst du nicht einmal nach ihnen sehen?" Keine Antwort. Lena startete einen erneuten Anlauf. "Du wirst sie enttäuschen, wenn du nicht mit ihnen tanzt." Mori sah sie einfach nur an, erwiderte aber nichts darauf. Irgendetwas stimmt nicht, schoss es Lena durch den Kopf. Kann es womöglich sein, dass er gar nicht will? Er wird doch nicht ernsthaft vorhaben seine Pflichten als Host zu missachten. "Na, los geh schon. Werde deiner Aufgabe als Host gerecht", forderte ihn Lena dazu auf dem Anliegen der Mädchen Folge zu leisten, gleichzeitig darum bemüht eine gleichgültige Mine zur Schau zu tragen. In solch einen Moment wäre Kyoya sicherlich stolz auf sie gewesen... "Es macht mir wirklich nichts aus", ermutigte sie den Dunkelhaarigen. Doch sie traf damit nur auf harten Granit. Unverschämter Weise ignorierte er sie. Ja, er überging sie. Unfassbar. Nichts mehr mit Gentleman durch und durch. Tatsächlich stellte er sich taub! Ok, wenn nicht so dann eben anders, entschloss sich Lena kurzerhand zu einer Strategieänderung, nicht einmal selbst so recht wissend, warum sie überhaupt so viel Ambition aufbrachte. "Sag mal, wenn du nicht mit ihnen tanzt, bekommst du dann kein schlechtes Gewissen? Schließlich mühen sich alle anderen Hosts auf den Ball auch mit ihren Kundinnen ab.“ Anscheinend hatte sie etwas in ihm wachrütteln können, da er den Mund öffnete - leider jedoch nicht um die mehr oder weniger erhoffte Einlenkung von sich zu geben. "Kyoya macht das nicht", kam es ungerührt von ihm. Schaft zog Lena die Luft ein. "Was!? Kyoya?" "Er ist mit Mai hier." "Oh... ja dann, geht das wohl in Ordnung." "Na, siehst du." Er vollführte mit ihr eine Drehung und sah ihr tief in die Augen. Lena bis sich auf die Lippen. Mist, er war auf den besten Weg, sie um den Finger zu wickeln, sie willenlos zu machen, und wie er das anstellte, schien er wirklich gut zu wissen. Kurz schloss Lena die Augen, um sich wieder zu ordnen. "Das mit Mai und Kyoya ist aber etwas anderes." Fragend hob Mori eine Augenbraue. "Na, ja die beiden sind schließlich verlobt", setzte Lena an. "Ich wüsste nicht, was das für einen Unterschied macht." Seine Stimme war tief, melodisch und ruhig. Kombiniert mit diesem intensiven, aber zugleich sanften Blick war es eine der wohl stärksten Geschütze, die er gegen sie hätte auffahren können. "D- Das macht es aber", blieb sie dabei, jedoch plötzlich völlig aus dem Konzept geraten. Mit einem Mal wandelte sich etwas in Moris Blick. Eine Veränderung, die Lena im ersten Moment nicht einzusortieren wusste. Doch als sie die blanke Enttäuschung in seinen Augen erkannte, wäre es ihr lieber gewesen, sie hätte das Sticheln sein lassen. Seine Stimme war unergründlich, doch seine dunklen Augen sprachen Bände. "Du wärst also nicht wütend, wenn ich dich jetzt hier stehen lassen würde, um den anderen Mädchen einen Tanz zu schenken?" Nun hatte Lena komplett den Faden verloren, man hatte sie rücksichtslos aus der Bahn geworfen. Ein beständiges Schweigen trat zwischen ihnen ein. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen, und begnügte sich deshalb damit, unaufhörlich eine Säule an der Seite zu taxieren. Konnte sie es ihn wirklich sagen? Diese Neigung war so kindisch und ungerechtfertigt - zumal sie Mori weit näher gekommen war als seine ganzen Kundinnen. Trotzdem... Sie lief rot an. Feuerrot - und hätte sicherlich einer Tomate Konkurrenz gemacht. Wenn das so weiter von statten ging, würde es sie bald nicht mehr wundern, wenn man eine Ketchupmarke nach ihr benannte. Die erste Ketchupmarke mit einer lebenden Reklametafel. Bestimmt eine internationale Sensation, um die sich die Medien nur so reißen wurden. "Ich... ich..." Lediglich ein heiseres Stammeln. Sie versuchte sich zu sammeln, aber plötzlich war es so, als wäre eine Sicherung in ihr durchgebrannt - eine Barriere gefallen. Die Folge war, dass es unaufhaltsam nur so aus ihr herhausbrach, was sie unter allen Umständen und jedweder Bedingung vorgehabt hatte, für sich zu behalten und niemals Mori wissen zu lassen. "Natürlich bin ich eifersüchtig! Was dachtest du denn? Dass ich vor Freude darüber in die Luft springe, wenn ich dich mit einer anderen tanzen sehe?" Ihre Tonhöhe erreichte einen hysterischen Level. "Dass ich denken würde, dass sie "nur" Kundinnen wären?!" Schnell atmete sie zwei Mal durch, bevor sie mit gefassterer Stimme fortfuhr: "Ich habe mich darauf eingestellt, dass ich nicht die einzige bin, dass ich dich teilen muss und ich respektiere das, klar?" Großer Gott, sie hatte es wirklich gesagt. Nunmehr gab es kein Zurück. Es war draußen. Mit übeler Vorahnung und einem einzigen Gedankenchaos, in dem sich in rascher Geschwindigkeit ein schwarzes, überdimensionales Loch ausbreitete, ungehindert alles in sich aufsog und eine weiße Leere hinterließ, überwand sie sich angespannt, Mori ins Gesicht zu schauen. Seine Mine war unverändert, nur der Ausdruck seiner Augen hatte einen Wandel vollzogen. Abermals zog er Lena zu sich heran, um sich diesmal zu ihr herunter zu beugen und etwas in ihr Ohr zu flüstern. Verwundert und überrascht gleichermaßen, weiteten sich ihre blau-grünen Augen, dabei verstärkte sich die Röte ihrer Wangen um ein Vielfaches. Ihr Herz vollführte einen aufgeregten Sprung. Lächelnd blickte Lena zu ihm hoch, während er das ihre erwiderte, derweilen hallten seine Worte stetig in ihrem Kopf nach. "Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn du nicht Neid gegenüber andere empfinden würdest, weil es mir umgekehrt genauso ergehen würde." Beinahe klang es wie Musik in ihren Ohren und als Mori seinen Griff ein wenig verstärke, war ihr sie, als würde sich eine Woge des Glücks über sie ergießen. Die Welt hatte aufgehört sich zu drehen, war aus den sie haltenden Angeln gekippt. Eine unnatürliche Starre hatte Isa befallen. Sie stand da wie angewurzelt, bewegungsunfähig. Jeder noch so kleine Eissplitter reizte sie von Innen heraus und schaffte es dennoch jegliche Regung ihrerseits zu unterbinden. Nur er - er kam ungehindert auf sie zu, wenn auch beinahe zögerlich, als hätte er Angst, sie mit seiner Anwesenheit zu verschrecken. In der Tat hatte diese Befürchtung ihren Ursprung nicht aus heiterem Himmel erlangt, weil sich Isa in diesen Moment am liebsten weggebeamt hätte. Aber mal ganz davon abgesehen, dass sie im 21. Jahrhundert ihr Leben fristeten und nicht in einen Science – Fiktionfilm mit fliegenden Raketenautos und grünen Marsmännchen, so hätte es Isa jetzt wohl nicht zustande gebracht, das Gerät richtig zu bedienen und sich mit samt Uschi auf den Saturn zu teleportieren. Dafür war das plötzliche Aufeinandertreffen zu unvorbereitet, zu unerwartet, und pustete soeben jeden noch halbwegs strukturierten Gedanken aus ihrem Hirn, obgleich sie sich die ganze Zeit eingeredet hatte, es wäre nicht so, dass sie Tamaki nicht auf kurz oder lang aus den Weg gehen könne. Doch nun saß sie geradewegs in der Falle - mit einem Kopf, der nicht mal mehr annährend denkfähig schien. Er schritt weiterhin auf sie zu und verringerte die Distanz des Balkons zwischen ihnen zunehmend. Die Silhouette seines Körpers durchschnitt das Netz aus Lichtfäden auf den Marmorboden und warf einen hoch aufragenden Schatten an die Fassade des Gebäudes. Seicht ließ eine erneute Windböe die hellen Strähnen seines Haares flattern. Die Kerzenflammen in den Laternen flackerten und Isa war unfähig ein jähes Frösteln zu unterdrücken. Leicht bibbernd verschränkte sie die Arme vor ihren Körper - eine Abwehhaltung gegen die Kälte und das jetzige und noch folgende Geschehen. Unter allen Umständen wollte sie fort. Doch irgendetwas hielt sie fest, an Ort und Stelle. Zwar hatte Isa zum einen den starken Drang, so schnell wie nur möglich das Weite zu suchen, auf der anderen Seite übte dieses Bild von Tamaki auf dem windigen Balkon, durchzogen von Licht und Schatten, eine äußerst fesselnde Faszination auf sie aus und als er dann vor ihr stand, stockte ihr der Atem, beim Anblick seiner Augen, die in tiefen, dunkelblauen Seen zu liegen schienen. "Ja, hab ich. Ein Problem damit?", raunzte sie ihn an. "Nein, eigentlich nicht", sagte er ruhig, unterließ es aber die letzten zwei Meter zwischen ihnen zu überbrücken. "Aber du scheinst da -" Ungehalten fiel ihm Isa ins Wort. "Fein, dann kannst du ja wieder reingehen und verschwinden." Ihre Hände schlossen sich krampfhaft um das Geländer hinter ihr, als sie sie zu Fäusten ballte. Isa unentwegt anschauend trat er ebenfalls an die Balustrade, achtete dabei aber tunlichst darauf, von ihr Abstand zu halten. Dann blickte Tamaki hinunter in die Schwärze des Gartens, die nur von einigen fernen Laternen durchbrochen wurde. Vage konnte man die kahlen Kronen der Bäume erkennen, welche sich im Flüstern des Windes wiegten. Irgendwo schrie ein Vogel. Sein Ruf hallte durch die Nacht wie ein tröstender Laut. Zur Tür gewandt wagte es Isa nicht, sich an die Brüstung zu lehnen. "Ich frage mich,…", vernahm sie ihn nach einer Weile, "…ob dir überhaupt bewusst ist, dass dein jetziger Zustand dir alles andere als gut tut." "Wovon redest du?", schnappte sie, schmerzhaft gruben sich ihre Fingernägel in die Handflächen. "Ich denke, das weißt du genau. Du weist jeden ab, lässt niemanden an dich ran, sperrst dich gegen alles und jeden. Denk nicht, das hätte ich nicht bemerkt. Lena macht sich Sorgen. Das sieht man ihr an." "Ach ja?" Isa hob kritisch eine Augenbraue. "Dafür amüsiert sie sich auf den Ball mit eurem lieben Wild-senpai aber prächtig." Das Wild-senpai betonte sie absichtlich albern, um der Version der ihn anhimmelnden Mädchen eine lächerliche Note zu verpassen. Ungerührt fuhr er fort: "Es ist eine Sache eine Maske entsprechend einer Situation anzulegen, aber eine ganz andere diese Maske nicht mehr abzusetzen und daraufhin das wahre Gesicht hinter den Schichten der Maskerade zu vergessen." "Was laberst du da eigentlich?" Ihre Stimme klang kalt und abweisend. "Wenn du ein Studium als Psychologie anstrebst, dann nerv jemand anderen mit deinen komischen Amateuranalysierungsversuchen und lass mich gefälligst in Ruhe!" Für eine Zeitspanne herrschte abermals Schweigen, das nur von der gedämpften Musik aus dem Saal durchdrungen wurde. Schließlich durchbrach Tamakis Stimme die Stille. "Und wenn ich das nicht könnte? Und wenn ich das auch gar nicht wolle?" Erschrocken, über die plötzliche Nähe der Stimme, drehte sich Isa um. Ohne dass sie es bemerkt hatte, hatte Tamaki die letzten paar Schritte gemacht. Nun stand er unmittelbar vor ihr. Jedes Nackenhaar richtete sich bei ihr auf. Alles in Isa sträubte sich, ihm so nahe zu sein und auch ihre Erwiderung sprühte nur so vor Gereiztheit. "Dann würde dein Verhalten unter allgemeine Belästigung fallen." "Ich denke nicht dass, das zu Belästigung zählt", entgegnete er ruhig, in seinen Augen jedoch brannte ein ernster Schimmer. "Und was lässt dich da so sicher sein?", wollte sie betont gelassen wissen, wenngleich jeder Muskel in ihren Körper vor Anspannung zu zerreißen drohte. "Weil ich dir etwas Gutes tun will." Empört über so viel angebliche Arroganz schnappte Isa nach Luft, bevor sie mit deutlichen Sarkasmus schnarrte: "In anderen Worten: Du willst es so wenden, dass ich mich hinterher noch schlechter fühle, als ich es jetzt schon tue." Von ihrem boshaften Zynismus ließ sich Tamaki nicht im Geringsten aus dem Konzept bringen. "Also gibst du sogar zu, dass es dir nicht gut geht." "Nein, mir geht’s wunderbar. Einfach wunderbar", sagte sie verärgert, "Mir könnte es gar nicht besser gehen. Und das ist allein deine Schuld! Danke der Nachfrage." Sich nachdenklich durch die Haare streichend, warf er Isa ein mitleidiges Lächeln zu, das sie ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. Allmählich verwandelte sich ihre zögernde Unsicherheit in Wut. Was bildete er sich eigentlich ein? Der Zorn brodelte in ihr hoch, bis er jede Faser ihres Körpers erfüllte und Tamakis nächste Aussage linderte diese aufsteigende Empfindung nicht im Mindesten. "Nein, daran bin ich nicht Schuld. Du bist die, die dir selbst im Weg steht." Isa hielt die Luft an, nahe dran die Fassung zu verlieren. Wie konnte er bloß, so etwas Respektloses sagen? "Ich habe keinen Bock auf dein Psychogelaber. Habe ich das nicht schon klar gestellt?" schnauzte sie. Ihr Blick warf Funken der Wut. Sie rang um Beherrschung. Doch das Mitleid in seinen Augen schwand nicht, was Isa noch rasender machte. "In Ordnung. Obwohl ich eigentlich vor gehabt hatte mich vorsichtig ranzutasten, aber wenn du es so willst, bringe ich es wohl besser schnell auf den Punkt. Doch wenn du ehrlich zu dir bist, weißt du es schon die ganze Zeit über, bist jedoch zu stolz um es dir einzugestehen." meinte er reserviert. Sie bemühte sich, die Augen nicht zu misstrauischen Schlitzen zu verengen, obgleich sie aus ihrer Sicht jeden Grund dafür gehabt hätte. Plötzlich machte er einen zerknirschten, mitgenommenen Eindruck, als würde ihn das nun Folgende große Kraft abverlangen. "Ja, du willst es nicht wahrhaben." So langsam reichte es. Was wollte er eigentlich? Was dacht er sich, wer er war? Ihr Vormund oder ein sonstiger Erziehungsbeauftragter, der berechtigt dazu war, ihr altkluge Reden zu halten? Siedend heiß, kochte der Ärger in ihr hoch, rot und schäumend. "Was will ich nicht wahrhaben?!", fuhr Isa ihn an. Ihr Blick brannte sich in den seinen. "Dass du nicht du selbst bist", sagte er sanft. "Wie bitte!", herrschte sie, "Wer gibt dir das Recht, so etwas zu behaupten?" "Das Recht nehme ich mir mal einfach so raus. Ich wüsste nicht, dass es dafür eine Lizenz bedürfen würde. Du hättest - " Abrupt unterbrach sie ihn. "Machst du dich über mich lustig? Geht’s noch?!" Brüllend nahm das wutentbrannte Gefühl zu, wuchs ins Unermessliche. Bald würde das Fass überlaufen und wehe den, der sich dann noch in Isas Nähe befand. "Nein, nicht wirklich", entgegnete er beschwichtigend. Aber Isa glaubte ihn keineswegs. Sie drückte die Hände so fest gegen das Geländer, dass ihre Knöchel weiß hervorstachen. "Als wenn ich dir das abkaufen würde. Wenn du gekommen bist, um dich auf meine Kosten zu amüsieren, dann verpiss dich!" Eine Sekunde später hätte sich Isa selbst auf die Zunge beißen können. Shit, sie hatte geschrieen und ihm somit gezeigt, dass diese Unterhaltung, doch etwas in ihr lostrat, sie nicht so unberührt und kalt ließ, wie sie vorgab. Ein unkontrolliertes Beben erfasste ihre Unterlippe. Auf einmal sah Tamaki gekränkt aus. "Du glaubst also, ich würde Spaß daran haben, dich so zu sehen?" Etwas für Isa Undefinierbares schwang in seiner Stimme mit, doch sie kümmerte sich nicht darum, sondern spiee ihm giftig entgegen "Scheint ja zumindest so!" Geschockt taumelte sie ein Stück zur Seite, beim Anblick von der Verletztheit, die kurz über Tamakis Gesicht huschte. Aber dann war sie fort und Isa verurteilte sich im Stillen für ihr unwillkürliches Zurückweichen. "Tut mir leid, das wollte ich nicht." Auf einmal war seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern. "Was wolltest du nicht?" Irritiert bemerkte sie, dass sie ebenfalls leiser geworden war. "Dir das Gefühl geben, dass ich derart unsensibel wäre. Im Grunde genommen", er räusperte sich kurz, "habe ich dich gesucht, um dir etwas zu sagen, worüber ich schon viel früher hätte mit dir reden sollen. Aber immer wenn ich dich gefunden hatte, warst du schon weg. Eigentlich verständlich. Es muss für dich ja sehr verstörend gewesen sein. Aber für mich war es auch nicht so einfach, musst du wissen." "Aha, und genau das ist es, was ich an euch so hasse. Ihr versucht immer eine Entschuldigung zu finden, auch wenn es nichts zu entschuldigen gibt!" warf Isa ihm vor. "Daher sag bitte nicht, dass es für dich nicht einfach war, nachdem du sogar angefangen hast, mit mir rum zumachen! Damit brauchst du mir erst gar nicht anzukommen!" "Es wäre für dich, trotz alle dem, nicht schwer gewesen, mich zurückzustoßen", hielt er dagegen. "Ja, bestimmt!", fauchte Isa, "Nach 7 Gläsern hochprozentiger Bowle ist ein schnelles Reaktionsvermögen auch so was von selbstverständlich!" "Was wäre, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich nichts bereue. Dass ich nichts davon, was in der Karibik passiert ist, bereue. Mir rein gar nichts davon leid tun würde, sogar froh darüber bin, dass es so gekommen ist." "Ich würde dich verrückt erklären!", schnauzte Isa. "Das ist aber die Wahrheit." Ein zartes Funkeln lag in den tiefblauen Seen. Unvermittelt weiteten sich ihre Augen. Isas Stimme bebte. "Was... du... aber das... das ist doch absurd... völlig verrückt." Tamaki trat näher an sie heran. Nun sah sie, dass nicht nur dieser sanfte Glanz in seinen Augen lag, sondern auch etwas Hoffnungsvolles, gleichzeitig Mitleidiges, und zu ihren blanken Erstaunen auch Angst. "Ist die Wahrheit wirklich so verrückt?" "Aber...", hob sie einmal mehr an, plötzlich hilflos nach Worten suchend, "Das ist irrsinnig. Total - ." Ihre Stimme brach weg. Wieder Schweigen, und diesmal war es so undurchdringlich, dass Isa meinte jemand habe mit einen Staubsauger den Sauerstoff aus der Luft gesaugt. Spielte die Musik aus dem Saal überhaupt noch? Sie wusste es nicht. Ohne Unterlass hallte in ihren Ohren ein merkwürdiges fernes Piepen wieder. Ein schmerzhaftes Ziehen breitete sich von ihrer Lunge her aus. Es bedurfte einige Sekunde, ehe Isa die Ursache des stechenden Pochens registrierte und endlich wieder Atem holte, den sie die ganze Zeit über angehalten hatte. Sie meinte, sich in den Tiefen seiner azurblauen Seelenspiegel zu verlieren. Sie waren so wunderschön... Diese Erkenntnis traf sie so unvermittelt und unvorbereitet aus dem Nichts, dass es ihr abermals den Atem raubte, ihr glatt den Boden unter den Füßen wegzureißen drohte. Aber sie stand, reglos, fasziniert von diesen Augen und den gewaltigen Gefühlsspektrum in ihnen, das sich vor ihr auftat. "Ja, ganz recht, das ist es wohl", riss Tamakis Stimme sie aus dem plötzlichen Bann. Verwundert blinzelte sie. Erneut hob er an und seine Stimme war jetzt das einzige, was Isa in der frostigen Winternacht vernahm. "Doch ich bereue nichts, weil ich mich in das Mädchen hinter der Fassade verliebt habe. Ich mag das warmherzige Mädchen, dessen weiche Seite man erst entdeckt, wenn man einen Blick unter die ruppige Haut riskiert. Warum setzt du immer eine Maske auf, um eine andere zu sein oder um dich stärker zu machen? Hasst du es denn so sehr, schwach und verletzlich zu sein? Ich habe vom ersten Moment an erkannt, dass du nicht die bist, die du vorgibst zu sein, dass hatte dann erst einmal mein Interesse geweckt. Wie kann sich jemand derart gegen sich selbst zu Wehr setzten?" Stumm schüttelte er den Kopf. Inzwischen hatte Isa das bohrende Gefühl des Unbehagens beschlichen. „Trotzdem machte dich das in meinen Augen aufregend. Ich wollte mehr über dich erfahren, wollte wissen, wie es unter deiner Maske aussieht, und dann als wir während der Gesundheitsinspektion in dieser Abstellkammer eingeschlossen waren, habe ich zum ersten Mal etwas von deinen wahren Charakter unter der Fassade hervorblitzen sehen und dann an Halloween…“ Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Ist es um mich geschehen.“ Noch allzu gut erinnerte sich Isa an den Teeabend Ende Oktober mit dem darauf folgenden Krawall. Am Schluss hatte das ganze Fiasko für sie nirgendwo anders als im Wandschrank von Musikzimmer 3, gefangen mit Tamaki, – auf engsten Raum eingesperrt - geendet. Doch irgendwie erschien ihr diese Szene wie eine Erinnerung eines Erlebnisses aus einem zweiten Leben. „Wie meinst du das?“, stammelte Isa, obgleich sie schon wusste, wovon er sprach, es jedoch noch nicht recht fassen konnte. Sie lehnte sich mit allen, was sie hatte, gegen diese absurde Option auf. Ja, richtete sich sogar stur darauf ein, dass es diese Möglichkeit nicht einmal gab und sie auch niemals zur Debatte stehen würde – eher würde Kolumbus von den Toten auferstehen, um seine Fehleinschätzung bei der damaligen Entdeckung des angeblichen Indiens zu beheben, ja es war sogar wahrscheinlicher, dass Kurt Cobain sich eines Tages der Presse outen würde, mit dem Geständnis, er habe seinen Selbstmord nur vorgetäuscht, um sich irgendwo still und heimlich in einer hübschen Villa niederzulassen und ein schönes Leben – weit weg von all dem Stress und der ganzen Publicity - zu führen. „Habe ich das nicht zu Anfang schon gesagt?“ Die halbherzige Härte in seinen Augen schmolz dahin und ließ nur noch dem eigentümlichen warmen Funkeln Platz, jedoch schien es Isa, als würde sich in diesen Schimmer immer noch ein Hauch Angst mischen. „Du bist zu durchschaubar. Nicht für jeden, aber gewiss für die Leute, die genauer hinschauen und nicht nur deine Maske sehen wolle, sondern auch das, was sich dahinter verbirgt.“ Wahrlich, Isa war drauf und dran, ihn etwas wie „Machst du jetzt einen auf Sherlock Holmes?“ entgegen zu schleudern, besann sich aber dann in letzter Sekunde, den Mund zu halten, denn gleichwohl hinderte sie etwas daran, überhaupt einen Laut über die auf einmal staubtrockenen Lippen zu bekommen. Zu unwirklich erschien Isa alles. Das, was er sagte, war ihr zuerst paradox vorgekommen, aber jetzt ergab es erst recht keinerlei Sinn mehr für sie – wenngleich in ihrem Inneren eine leise Ahnung erblühte, die Isa zwar immer wieder auszureißen versuchte, diese sich jedoch nicht so leicht unterkriegen ließ, und ständig auferstand, um ihre grünen Dornenranken nach ihr auszustrecken. „Ich mag das Mädchen hinter der kalten, abgebrühten Fassade, das echte Freude und Humor ausstrahlt – nicht die unnahbare Maske. Denn dieses Mädchen ist auch ohne diesen Schutzwall etwas ganz Besonderes, Einzigartiges. Warum hast du nur wieder diese Mauer um dich herum errichtet? Dabei war ich überglücklich, als ich dachte, endlich zu dir durchgedrungen zu sein.“ Jetzt stand echter Schmerz in seinen Augen geschrieben. „Schlimmer noch – du hast dich vor allem verschlossen und jeden zurückgewiesen, viel mehr als noch davor.“ Damit hatte er bei ihr einen Nerv getroffen. Plötzlich war es so, als wäre in Isa der mühsam den reißenden Fluss standhaltende Damm gebrochen – hatte der gewaltigen Wucht der Wassermassen nicht mehr weiter Stand halten können. „Hör auf damit! Hör endlich auf damit! Du verstehst gar nichts!“ Nur am Rande nahm Isa wahr, dass sie schrie. Am ganzen Körper zitternd vor Wut, klammerte sie sich an dem Geländer fest, als wäre es der einzige rettende Strohhalm im Meer der Ungewissheit. Ihr Blick sprühte vor Zorn und Verzweiflung. „Was willst du, verdammt?! Hast du nicht schon genug angerichtet?! Reicht dir das etwas noch nicht?! Willst du mir jetzt auch noch den Rest geben?! Weißt du eigentlich was du gemacht hast?! Mein Leben war super, bevor du gekommen bist! Und dann… und dann“, presste sie durchsetzt von hilflosen Schluchzern hervor. Vor Ärger über ihre eigene sentimentale Gefühlsregung verstärkte sich ihr Beben. Tief durchatmend, den Bedürfnis nachkommend, ein, zwei Mal hart zu schlucken, verfolgte sie das Vorhaben, sich wieder in den Griff zu bekommen, doch das scheiterte, desto sehr sie versuchte sich zu beruhigen, umso mehr misslang es ihr, da ohne Unterlass seine Worte durch ihren Kopf flogen und dort eine Qual auslösten, die ihr durch Mark und Knochen ging. Zwischen den sie schüttelnden Weinkrämpfen hindurch vernahm sie Tamaki. „Mir fiel es auch nicht gerade leicht, dir das alles zu sagen. Aber ich sah und sehe nun auch noch keinen anderen Weg, als diesen, denn wenn ich es nicht getan hätte, hätte ich dich nicht nur verloren, sondern das auch kampflos.“ Sie wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen, aus Furcht, vor dem, was sich in seinen Augen spiegeln würde. Bereits aus seiner Stimme, hörte sie den unverkennbaren Schmerz, die tiefe Traurigkeit und die leise Sorge heraus. „Ich sagte doch: Hör auf!“ Sie spürte schon wie ihr die erste Träne die Wange hinunterrollt, und ihre Lippen benetzt, es jedoch nicht vermochte sie vom Zittern zu erlösen. Auf einmal war Isas Kehle wie zugeschnürt. Mit einem Mal war sie all ihrer Wut beraubt – zurück blieben lediglich das Unbehagen und die Verzweiflung. „Bitte, hör einfach auf.“ Jetzt war es nur noch ein leises, kaum vernehmbares Flehen, das aus ihren Mund kam, zu mehr war sie nicht mehr fähig. Dann tat sie das, was ihr in diesem Moment wohl am meisten Kraft abverlangte: Sich am Riemen reißend, sah Isa zu ihm hoch; ganz gleich der brennenden Scham, die sie sich dabei, aufgrund ihres tränennassen, verheulten Gesichts, eingestand. Sie erstarrte. Seine Augen waren feucht. Ein besorgter, trauriger Schatten durchzog seine blauen Tiefen. Das war zu viel für Isa. Viel zu viel. Sie stütze sich von der Brüstung ab, machte kehrt und taumelte zurück zur Balkontür. Vor ihren tränenden Augen verschwamm die Sicht. Die Steinfassade verdichtete sich zu einer großen weißen Masse, durchzogen von rauchigen, schwarzen Schlieren. Wo war noch mal die Tür gewesen? In dem Moment, als Isa sie endlich als verwischten dunklen Flecken ausmachte, wurde sie am Arm gepackt, herumgerissen und behutsam, aber dennoch bestimmt gegen die Wand gedrückt. Erschocken riss sie die Augen bis zum Anschlag auf, wobei sich eine winzige Träne aus ihrem Lid löste und über ihre Wange perlte. Sie mit den Händen an der Mauer recht und links neben ihren Kopf abstützend, hielt Tamaki sie zwischen seinen Körper und der Gebäudefassade fest. Ein leises Wimmern löste sich von ihren Lippen, während sie zu ihm hoch sah. Ihre Blicke fanden sich und der Ausdruck seiner Augen brannte sich mit solcher Intensität in ihre dass, sie beinahe versucht war, ihre Augen zu schließen. Aber das tat sie nicht. „Ich habe gesagt, dass ich dich nicht einfach kampflos ziehen lassen werde, weil ich nicht will, das das Mädchen hinter der Maske in Vergessenheit gerät, dass es mit der Zeit verkümmert und sich dann von Tag zu Tag ein Stückchen mehr auflöst, bis es schließlich gänzlich verwunden ist. Du könntest dir es so viel einfacher machen, indem du dich nicht vor die selber versperrst.“ Da wich Isa seinem Blick aus. „Verdammt, du verwirrst mich.“ Geräuschvoll zog sie die Nase hoch. „Wirklich alles an dir, ist so verwirrend. Du bringst wirklich alles in meinen Leben durcheinander - stellst es auf den Kopf wie es dir passt. Und dann tust du auch noch so als würdest du es nicht merken!“, rief sie „Dabei sollte es mich eigentlich nicht scheren, aber nach der Sache in der Karibik, ist alles ein einziges Chaos. Dabei… dabei kann ich an nichts anderes mehr denken als an dich, verdammt. Warum bloß, kann ich diese dummen Gedanken nicht abstellen, hä? Sag mir das, wenn du doch ach so schlau bist, wie du die ganze Zeit versuchst mir weiß zu machen.“ „Stell, dich nicht gegen, das was du empfindest. Wehr dich nicht gegen deine Gefühle. Denn verleumdet man sie, tut man sich nur selber weh. Es mag ja tapfer und willensstark erscheinen, aber dahinter steckt meist eine viel größere Angst. Eine Angst davor schwach zu wirken, weil man zu seinen eigenen Gefühlen steht. Manchmal erfordert es deutlich mehr Mut seine Gefühle zu akzeptieren. Anstatt sie zu unterdrücken.“ Seine Stimme war sanft aber zugleich auch eindringlich. Erstickt unter Tränen brachte sie hervor: "Und was, wenn ich nicht einmal weiß, was ich fühlen soll? Und was wenn…" Kläglich versagte ihre Stimme. Es war fast nur ein Hauch, als er wisperte: "Dann vertrau deinem Herzen." Die blauen Seen wurden größer und größer, bis Isa dachte, sie würden sie umgeben und dann als seine Lippen die ihren berührten, zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, bedurfte es sie nur noch einer einzigen Entscheidung. Sollte sie erbittert aufbegehren oder sich in das azurne Blau fallen lasen. Zunächst erfasste Isa der Impuls, ihn wegzudrücken, doch dann bröckelte etwas ihn ihr dahin. All ihr Widerstand legte sich, gleich einer niederfallenden Mauer und sie spürte, dass es richtig war. Als sie denn Kuss erwiderte, war es als würden zwei grundverschiedene Elemente, deren Gegensätzlichkeit nicht größer hätte sein können, aufeinanderprallen, sich im ersten Moment unter Funken abstoßen, dann aber mit solch einer intensiven Wucht anziehend - so als könnte keines ohne das andere existieren, als stelle das jeweils andere die lebensnotwenige Luft zum Atmen dar. Eine Wärme kroch in Isa hinauf und mit einem Mal fror es sie nicht mehr, trotz der draußen herrschenden, kalten Dezembertemperaturen. Von Fern meinte sie die Melodie von Keri Hilsons Song, "I like", zu hören. Aber nicht einmal das konnte richtig zu Isa durchdringen. Das rauschende Blut in ihren Ohren und das stetige Pochen ihres Herzens übertönten jegliche Geräusche. Zudem raubte ihr Tamakis Duft den Verstand. Der Kuss war voller Zärtlichkeit, doch war gleichzeitig auch etwas Rettendes, Haltendes. Kurz löste er sich von Isa, um ihr in die Augen zu sehen. In den beiden sturmgrauen Perlen fand er ein Glitzern, heller als jeder sich nun hinter den schwarzen Wolkenschleier zeigende Stern am Himmelszelt - und dennoch lag eine scheue Unsicherheit, ein stummer Hilferuf in ihnen. Als Isa abermals ein Zittern erfasste, wusste Tamaki, dass dies nicht von der Kälte herrührte. Umgehend nahm er den bebenden Körper des Mädchens in die Arme. "Hab keine Angst. Ich werde dich nicht allein lassen.", flüsterte er rau. Daraufhin ließ das Zittern ein wenig nach, trotzdem blieb noch eine kleine Versteifung bestehen. Sein Ton war angenehm beruhigend, auch wenn eine kaum verborgene Sorge in ihm mitschwang. "Hey, komm, sieh mich an." Sanft umfasste er mit einer Hand ihr Kinn und hob es an. Just in dem Moment, in dem sie bewusst in sein Gesicht blickte, verriet ihr ein seltsam flaues, aufgeregtes Flattern in ihrer Magengrube, dass ihre Knie kurz davor standen, einzuknicken. Die Wärme in seinen Augen und der abwartende Ausdruck um seine Lippen. Plötzlich wandelten sich das zurückgebliebene Zittern und die Anspannung in heißkalte Schauer, die ihren Rücken hinabjagten. Um Isa herum verblasste alles, als er ihr abermals näher kam, sie an sich drückte und zu küssen begann. Intuitiv legte ihm Isa die Arme um den Hals. Auf einmal verlor alles seine Bedeutung. Ort, Zeit, Anlass - wurden zur Nichtigkeit. Von Belang war nichts mehr, außer er. Die Farben verloren ihren Glanz und verwelkten, wie alte Blumen im Spätsommer. Einzig er erstrahlte in dem kahlen Grau der Umgebung, als ein von Licht und Farben durchtränkter Körper. Seltsamer Weise trieb es Isa nicht in Verlegenheit, sich schwach zu geben. In seinen Armen gab es keinen Zwang mehr, stark sein zu müssen, unumstößlich und standhaft wie ein Fels in der Brandung. Diese Notwenigkeit bestand hier nicht und auch der Drang danach war gänzlich von ihr abgefallen. Und da spürte sie etwas, was sie noch nie auf irgendeine Art gefühlt hatte. Sie war glücklich und das aus den schier banalsten Grund der Welt: Sie war froh schwach zu sein. Eine Last, die sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte, und die damit einhergehende Anstrengung waren von ihr genommen. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. "Danke." Es war nicht mehr als ein leises, kaum vernehmbares Flüstern gewesen, genauso gut hätte es ein Windhauch gewesen sein können. Aber sie war sich sicher, dass Tamaki es gehört hatte. Nach einigen Sekunden des Schweigens bestätigte er dies sogar, indem er antwortete: "Ich habe doch gesagt, dass ich dich nicht kampflos aufgeben würde." Woraufhin wieder Stille einkehrte. Doch diesmal genoss Isa sie. Sie hätte ewig so da stehen können, an ihn gelehnt, seine Arme um sich spürend, jedes gleichmäßige Heben und Senken seiner Brust fühlend, von seiner Wärme seines Körpers umgeben, die sie vor der Kälte schütze. Doch just in diesen Moment, als Isa sich dazu entschied, die Augen zu schließen und sich ganz der eigentümlichen Situation hinzugeben, drang eine helle Stimme an ihre Ohren und ließ sie jäh zusammenzucken. Auch Tamaki hatte sie bemerkt und den Kopf gehoben, tat jedoch keine Anstalten, den Griff um ihre Taille zu lockern, um sie freizugeben. "Hier geht's zum Balkon!" Isa brauchte nicht erst den Kopf zu wenden, um die Stimme als Honeys zu identifizieren. Hinter ihm klackerten die Metallabsätze von hohen Schuhen auf den Steinboden. "Brr, ist das kalt." Eine zweite Stimme. Noch mehr Schritte halten an der Gebäudefassade wieder. Nun war Isas Neugierde mehr als geweckt und siegte über die Scheu, sich zu zeigen. Unvermittelt drehte sie den Kopf und erkannte, wie Honey und Ayumi bei dem Anblick von Tamaki und ihr - aneinandergelehnt, sich gegenseitig halb umschlungen – mitten im Gehen innehielten und erstarrten. Sogleich lief Ayumi hochrosa an, was die offensichtliche Ähnlichkeit mit einen Konfekt grandioser Weise noch übertraf. Hinter den beiden waren Lena, Mori sowie die Zwillinge ebenfalls durch die Tür, nach draußen auf den Balkon gekommen. Ein peinlich berührtes Stammeln löste sich aus Ayumis Mund. "T-tschuldigung, wir wollten nicht stören..." Auch Honey machte einen ebenso zutiefst verschämten Eindruck, doch ohne eine Mine zu verziehen, nahm er Ayumi bei der Hand, um sie wieder zurück in den Ballsaal zu geleiten. Während Lena ihnen noch etwas irritiert nachsah, waren die Zwillinge schon maulend an die Brüstung getreten. "Schön, dass du dich so gut hier bei Laune halten kannst Chef, obwohl du wirklich eine äußerst unerwartete Gesellschaft hast", sagten sie im Gehen missmutig. "Ja, ihr seit wirklich eine sehr unerwartete Gesellschaft und nicht gerade feinfühlig, was die Situation anbelangt", gab Tamaki zurück. Zur selben Zeit hoben beide die Augenbrauen, ihn und Isa genau fixierend. Regelrecht konnte Isa sehen, wie die beiden überlegten, interpretierten, abwogen und sich dann gegenseitig ein feixendes Grinsen zuwarfen, bevor der eine herausfordernd fragte: "So willst du uns nicht sagen, wie die Dinge stehen, Chef?" Tamaki schien einige Sekunden nachzudenken, während er auf Isa hinabblickte, die ihm nur ein paar verwirrte Blicke entgegenbrachte, dann entschloss er sich und beugte sich ohne Vorwarnung zu ihr runter und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen - direkt vor den Augen der Zwillinge. Isas Wangen verfärbten sich und leisteten denen von Ayumi in ihrer Farbkonstellation große Konkurrenz. Sie blinzelt, immer noch unfähig zu glauben, dass das eben passiert war. In der Tat brauchten die beiden Rotschöpfe eine Weile, um wieder die Fassung zu erlangen. Die Überraschung stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben, dennoch schafften sie es binnen einer Minute wieder zu ihrer alten Verhaltensweise zurück zu finden, was sie sogar sofort demonstrierten, indem sie witzelten: "Also wurde aus dem Bowleausrutscher doch noch was!" "Ohohoh, böser King. Was wird bloß unsere liebe Haruhi davon halten?" Hart zog Tamaki die Luft ein. Mit einem gewichtigen Ausdruck auf dem Gesicht, bei dem die Zwillinge losprusteten und selbst Isa sich ein Lachen verkneifen musste, sagte er: "Haruhi ist meine Tochter. Sie muss verstehen, dass ihr Vater bestimmte Prioritäten setzten muss und nicht immer nur für sie da sein kann." "Ich glaube, darüber würde sich Haruhi freuen", neckte ihn einer der Zwillinge, aber Tamaki ließ sie nicht aufziehen. Diesmal nicht. "Übrigens wird deine verehrte Tochter gerade zum Ballkönig gekrönt", erzählte der eine Rotschopf nebenbei, während der andere dazu heftig nickte. "Sie und Renge geben ein, na ja sehr ulkiges Ballkönigspaar ab." "Würde mich nicht wundern, wenn das diesjährige Prinzip, nach dem man das Königspaar auserkören hat, "Extravagantes Aschenputtel" gelautet hätte" fing der andere Rotschopf gleich an über, das nach seiner Meinung völlig, indiskutable Ergebnis der Wahl zu lästern. "Wirklich dieses Kleid, ist eine Schande in den Augen jedes Modeliebhabers. Zu schade." Isa erinnerte sich an Renges Kleid, dass sie im ersten Moment wahrhaftig für einen Wischmopp gehalten hatte, weswegen sie die Unzufriedenheit der Zwillinge ein Stück weit nachvollziehen konnte, aber dennoch nicht begriff, wo an der Sache diese ganze Dramatik haften sollte, bis es ihr endlich die Schuppen von den Augen viel. Die Zwillinge hätten es viel lieber gesehen, wenn Haruhi mit einem von ihnen zum Königspaar ernannt worden wäre, denn wie es jetzt war, stellte des Pärchen einen einzigen Fake dar. Ein König, der kein König war und die Königin mit einer Schwäche für Putzlappen. Besser hätte es nicht kommen können, auch wenn das ganze eine umwerfend komische Skurrilität mit sich zog, die es durchaus verstand, zumindest den Eingeweihten eine gewisse Unterhaltung zu bescheren. "Bist du dir sicher, dass du ihr in deiner Vaterrolle jetzt keinen Beistand leisten solltest? Zumal sie dazu gezwungen ist, als König eine Rede zu halten und, wie wir Haruhi kennen, wird sie die unter absoluter Garantie mit feinster monotoner Monotonie über die Bühne bringen." "Haruhi wird wissen, wie sie mit der Situation umzugehen hat", versicherte er mit Bestimmtheit, "Schließlich hat sie mein Spezialtraining für den Extremfall absolviert." Spätestens jetzt keimte auch in Isa Sorge auf. "Also hast du sie in der Disziplin abrichten lassen, was sie machen soll, wenn wirklich alles kurz vorm Aus steht. Und die Übungen, die sie sich unterziehen musste, waren im Notfall: Hände über den Kopf schlagen und schreiend im Kreis laufen", rieten die Zwillinge spontan. "So ähnlich - aber nicht ganz", lachte Tamaki geheimnisvoll, "Aber ihr könnt euch darauf verlassen, sie weiß was sie tut. Überzeugt euch selbst." Hikaru und Kaoru wechselten viel sagende, wenig überzeugte Blicke. "Heute ist der Chef wirklich ein anderer." "Ach, ja!" Ein Leuchten flackerte über das Gesicht der beiden - ein Zeichen für einen Geistesblitz aus heiterem Himmel. Ein schelmisches Grinsen machte sich auf ihren Lippen breit. "Uns ist gerade eingefallen, dass du deinen Titel verloren hast, und zwar an Haruhi. Na, wie gefällt dir das?" Immer noch hämisch lachend rauschten sie ab. Kurz nachdem die Balkontür ins Schloss fiel, hing Tamakis Kopf plötzlich über Isas Schulter "Mein schöner Titel. Wie werden sie mich wohl jetzt nennen?", jammerte er und sah dabei kläglicher aus, als ein Kind, dass kein Weihnachtsgeschenk erhalten hatte. Doch da erhellte sich seine Mine. "Ah, ich muss mir schnellstens einen neuen Titel überlegen. Klingt „Ihre Durchlauft“, „Euer Gnaden“ oder „Eure Eminenz“ zu überholt? Oder vielleicht kommt das ja bald noch in Mode, sie könnten mich „Kaiser“ nennen, obwohl das zu angestaubt klingt", überlegte er schon ganz in die Thematik vertieft. Isa brach in schallendes Gelächter aus. Zu albern waren Tamakis Fachsimpeleien, dass es sie nicht erheitert hätte. Verwundert hielt Tamaki inne und sah Isa ins lachende Gesicht. "Wahnsinn", staunte er. "Was?" Isa wischte sich eine Träne aus dem Auge. "Das ist das erste Mal, das ich dich richtig zum Lachen gebracht habe", meinte er und lächelte überglücklich mit solche einen Stolz, das Isa meinte, er hätte soeben eine irrsinnig tolle Leistung vollbracht. In gewisser Weise stimmte das ja auch. "Ja, endlich", seufzte Lena unverhohlen erleichtert auf, als sie und Mori zu den beiden anderen gekommen waren. Ein wissendes Lächeln zierte ihre Lippen, dennoch behielt sie es stillschweigend für sich, dass sie es gewesen war, die Tamaki den Tipp mit den Balkon gesteckt hatte. Fröstelnd rieb sie sich die Unterarme, hielt jäh inne als sich der seidige Stoff eines Sakkos über ihre Schultern legte und sich zwei starke Arme von hinten um sie schlangen. "Wenn dir kalt ist, können wir auch wieder rein", brummte Mori ihr ins Ohr. Lenas Lächeln wurde breiter. "Danke", hauchte sie und wandte mit glitzernden Augen den Kopf zu ihm. "Aber ein bisschen frische Luft hat bekanntlich noch niemanden geschadet. Und es ist doch ziemlich schön hier draußen." Beide sahen hinunter in den Park und ließen das Panorama auf sich wirken, während Isa und Tamaki die Szene aufmerksam verfolgten. "Möchtest du rein", wollte Tamaki schließlich leise von ihr wissen. Verhalten schüttelte Isa den Kopf, setzte aber gleich hinzu "Sag nicht, dir ist jetzt plötzlich auch kalt geworden." "Mit dir bestimmt nicht", entgegnete er lachend. "Was für eine..." Sie stockte. Die Balkontür flog mit einem Schlag fast aus den Angeln. Noch vom Schwung getragen krachte sie scheppernd gegen die Wand. "So geht das nicht mehr weiter! Was denkst du dir überhaupt!?" Niemand anderes als Kyoya kam herausgestürmt, Mai an der Hand hinter sich her schleifend. "Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es mir leid tut!" fuhr sie ihn schroff an. "Das es dir leid tut!" Ungeduldig schnaubte er auf. "Und danach machst du es wieder. Dann begehst du wieder so eine Dummheit, die dich wer weiß wo hin bringt! Lernst du denn überhaupt nichts daraus?" "Natürlich tu ich das!" "Offensichtlich nicht! Sonst würde so etwas ja nicht passieren!", entgegnete er scharf. Zorn kochte in seinen Augen - heiß und furchteinflößend. Mit einem Ruck riss sich Mai von ihm los. "Ach ja. Was würde nicht passieren? Das ich von meinen normalen Recht als Bürger Gebrauch mache und Straßenbahn fahre?!" rief sie erbost. Auch Mai sah man an, dass in ihr ein Vulkan brodelte und bald der Ausbruch des heißen feuerroten Magmas bevorstand. "Warum kann ich es nicht machen, wenn du es doch auch tust!? Weil es dir niemand verbietet, deshalb!" Woraufhin Kyoya wütend zurückgab "Das hat damit ja wohl gar nichts zu tun!" Was für ein erschreckender Disput. Lena bildetet sich bereits ein, die Fetzten durch die Luft fliegen zu sehen. "Ach so? Ich sag dir jetzt mal was, verehrter Otori!" Mai bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust und kam mit ihrem Gesicht dem von Kyoya gefährlich nahe. "Ich kann selbst über mich bestimmen und bin schon gar kein verängstigtes, wehloses Mädchen, das weißt du gut genug. Und über meinen Kopf hinweg bestimmen, lasse ich niemanden, ganz gleich ob du nun mein Verlobter bist oder nicht!" "Und wohin führt das? Wie deine kleine Straßenbahnfahrt im Ballkleid mit keinem einzigen Bodyguard im Gepäck geendet ist, hat man ja gesehen. Du wurdest angegrabscht und dein ach so vortrefflicher Abwehrversuch scheiterte!", konterte Kyoya scharf und fixierte sie aus brennenden Augen. "Hey, der ist nicht gescheitert!", verteidigte sich Mai mit sichtlicher Empörung und unverhohlenen Ärger. "Zwar hat mein Tritt den Typen verfehlt, aber mein Schuh hat sich dabei gelöst und ihn an einer ganz bestimmten, sehr empfindlichen Stelle getroffen. Danach hatte er so einiges an Schwierigkeiten mit dem Gehen und das alles noch bevor deine Privatpolizei auf den Plan gerufen wurde, um mich einzusammeln! Absatzschuhe sind nun mal die gefährlichsten, schmerzhaftesten Waffen überhaupt! Und sie sind sehr effizient, was die Nachwirkungen betrifft", beteuerte Mai stur, in den Versuch Kyoya in den festen Glauben daran zu bringen, dass diese ganze Verteidigungsaktion bis ins kleinste Detail im Vorhaus von ihr geplant worden war. Doch Mais Vorhaben durchschaute Kyoya natürlich gekonnt und allein die Tatsache, dass sie es gewagt hatte, ihm diese Lüge aufzutischen, steigerte seine Wut noch. Kyoyas Blick war härter als Stahl. "Was geht nur in seinen Kopf vor, dass du dich ständig in solch gewagte Lagen begibst? Du hast so viel Verstand, dass du es eigentlich besser wissen müsstest!" schrie er sie an. "Ja, ich habe genug Verstand, um mich nicht wie einen Vogel im behüteten Käfig halten zu lassen", brüllte sie zurück, und kam ihm mit ihren Gesicht so nahe, dass sich ihre beiden Nasenspitzen fast berührten. "Ich kenne niemanden, der solch einen Freiheitsdrang hat wie du und dann auch noch zum Weihnachtsball die Transportmittel unter unserer Klasse benutzt!" Kyoyas Gesicht war vor Rage hochrot angelaufen. "Ach ja, aber du.. aber du" plötzlich schien Mai nicht mehr weiter zu wissen, die Worte waren ihr abhanden gekommen. "Was? Aber ich?" fragt er gereizt. Kyoya sah es wohl auf sich zukommen. Unvermittelt überbrückte Mai die letzten Zentimeter zwischen ihnen und drückte ihm stürmischen ihre Lippen auf den Mund. Ganz intuitiv erwiderte er den Kuss dann mit ebensolcher impulsiven Leidenschaft. Die Spannung zwischen ihnen schien von Sekunde zu Sekunde nachzulassen - sich in den Kuss zu entladen. Beide atmeten heftig, als sie sich schließlich von einander lösten. "Das ist alles nur deine Schuld", wetterte Mai sofort wieder los, jedoch wirkte es, als wäre ein Großteil ihrer Wut verpufft. "Das du Straßenbahn fährst?" Kyoya schien sich wieder einigermaßen gefasst zu haben. Die Hände zu beiden Seiten neben Mai auf die Brüstung abgelegt, stand er vor ihr. "Nein, dass ich mich nie richtig mit dir streiten kann!" ereiferte sie sich energisch und dann fügte sie ein wenig ruhiger hinzu: „Und weil ich genau weiß, dass du es nicht so meinst, weil du dir eigentlich nur Sorgen machst. Aber leider viel zu viele.“ Langsam lehnte sie ihren Oberkörper an den seinen. Innerhalb nur eines Sekundenbruchteils verflüchtigte sich die Härte aus seinem Blick. Als er ihr sanft übers Haar strich, seufzte Mai auf. „Dabei könnte doch alles viel einfacher sein“, murmelte er. „Ok, ich verspreche dir, an mir zu arbeiten. Das nächste Mal informiere ich dich, wenn ich wieder Straßenbahn fahren will“, gab Mai sich widerwillig geschlagen und schloss, den Kopf an seiner Brust, die Augen, was Kyoya ein kleines Schmunzeln entlockte. „Hm, habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie schön, du in diesem Kleid aussiehst?“, sagte er. „Hm“, murmelte sie. Isa und Tamaki tauschten einen Blick aus, als Lena plötzlich nach Luft schnappte, den Blick gegen Himmel gerichtet. "Schaut mal! Es schneit!" jauchzte sie. Eine weiße, zarte Flocke hatte sich bereits auf ihrer ausgestreckten Handfläche niedergelassen. Isa folgte Lenas Blick. Ein Herr aus Schneeflocken schwebte vom Wind getragen aus dem, nun gänzlich von Schwärze bedeckten, Himmel hinab. In der Luft trudelten sie, vollführten einen eleganten Tanz, bis ihre Körper von Mutter Erde aufgefangen wurden. "Wie schön", seufzte Tamaki entzückt über die Schönheit der weißen Winterboten. "Ja, nicht wahr", stimmte Isa ihm zu. Zusammen sahen sie alle in den Himmel und beobachten jeder für sich, wie die Flocken, einige schneller, einige langsamer, ihren Weg zum Boden fanden, um dort die Welt in ein weißes Gewand zu hüllen. Vom Inneren des Ballsaals her trieb die Melodie von "I swear" zu ihnen herüber. Und auch wenn es den Kitschigkeitsgrad aller bislang gespielten Lieder um ein Weites übertraf, fand es Isa in diesem Moment sehr originell und wunderschön. So standen da auf dem Balkon in der verschneiten Dezembernacht, jeder mit der Gewissheit, dass er das schon immer Gesuchte, nun endlich gefunden hatte. HAPPY END! Ich glaube, es ist jetzt Zeit für ein kleines Nachwort. Zuallererst möchte ich ein Danke an diejenigen aussprechen, die diese FF bis zum Schluss verfolgt haben. Es ist für einen Autor schon eine Besonderheit, einen Schlussstrich unter eine Geschichte zu ziehen und auch für mich war das nicht unbedingt leicht. Desto trotz bin ich froh, dass es so gekommen ist und die FF nach zwei Jahren ihr wohlverdientes Ende erhalten hat, in der Hoffnung mit diesen letzten Kapitel ein paar Erwartungen erfüllt zu haben. In unmittelbarer Zukunft werde ich an dem Projekt „Eisfeuer“, der Vampire Knight Partner FF, anknüpfen und diese vielleicht bis zum Ende des Jahres ebenfalls abharken können. Und danach na ja…. ein paar Ideen schweben mir schon seit einen Jahr im Kopf herum. Leider bin ich bislang noch nicht dazu gekommen, sie aufs Papier zu bringen, möglicherweise aus Scheu davor, dass bekanntlicher Weise anfangs stets viele Bäume sterben müssen. So aber nun zurück zu OHSHC. Ich will eine zweite Animestaffel!!!!!! Irgendwie scheint’s noch immer nicht bis zum anderen Ende der Welt durchgedrungen zu sein, dass die Fangemeinde kurz davor steht, Amok zu laufen, wenn sich da bald nicht mal was tut. *seufzt* Alle Arten von OHSHC Sachen meinen sie auf den Markt bringen zu müssen, vom Stofftier bis hin zum Portemonnaie, aber wo bleibt die zweite Staffel? Aber nun genug von dem…. tja was wollte ich noch? Ach ja, wenn jemand neugierig auf die Kleider geworden ist, welche Isa, Lena, Mai, Yvette & CO. auf den Abschlussball tragen, kann derjenige auf der Steckbriefseite nach unten scrollen und tada…. Gut, dann sag ich hier jetzt mal chuchu^.^ *Cocktails und Schale mit Tortilla-Chips dalässt* xD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)