Like rain on your wedding day von Zimtstern (The ironic way of life) ================================================================================ Kapitel 1: It's like rain on your wedding day --------------------------------------------- Titel: Like rain on your wedding day Untertitel: The ironic way of life Thema: Shônen-Ai; Emo; Wettbewerb Genre: Eigene Serie; Shônen-Ai; Romantik; Humor Kapitel: 1/1 – It’s Like rain on your wedding day Disclaimer: Alle Charaktere habe ich selbst erfunden, die Bilder in der Charakterbeschreibung sind jedoch nicht von mir, ich habe sie auch nicht gemacht und ich kenne die Leute darauf auch nicht. Die Überschrift ist im Übrigen eine Textzeile aus dem Lied „Ironic“ von Alanis Morissette Note: Ich habe mich aufgerafft, und eine „kleine“ One-Short verfasst. xD Ich hoffe, sie gefällt euch wenigstens irgendwie, und ihr lasst mir Rückmeldung in Form eines winzigen Kommentars da! ;) ~*~ Darius war kein Philosoph, noch nie einer gewesen. Er war kein Mensch, der lange über den Sinn des Lebens nachgrübelte, kein Mensch, der über Gott und die Welt nachdachte und erst Recht kein Mensch, der dazu geboren worden war, Reden zu halten und Sätze zu sagen, die in die Geschichte eingehen würden oder maßgeblich die Welt beeinflussen sollten. Nein, das alles waren Dinge, die er mit großer Freude anderen überließ, seiner Schwester Kati zum Beispiel, die für jede Lebenslage einen schlauen Spruch auf der Zunge hatte, den sie einem dann mitteilte. Oder Moreno, Moreno, der viel dachte, viel grübelte, der Gedichte verfasste und Reden analysieren konnte und der später einmal Germanistik studieren wollte. Das waren die Leute, die nun an seiner Stelle hier hätten sitzen sollen, mit dem Satz im Kopf, der ihn schon die ganze Zeit über quälte. „Das Leben ist so verdammt ironisch.“ Darius hätte sich am liebsten geohrfeigt dafür, weil der Satz nicht passte. Nicht zu ihm und zu seinem Charakter, nicht zu seiner Lebenseinstellung. Er hätte grinsen müssen, schief grinsen, so wie er es in solchen Situationen bisher immer getan hatte. Dann hätte er aufstehen müssen von diesem Tisch, hätte das Glas Bier austrinken müssen und die Bar schließen verlassen müssen, um entweder einen Ort zu finden, an dem wirklich etwas los war, oder, um sich zu Hause vor den Fernseher zu hauen. Aber nein, stattdessen saß er hier bei schummerigen Licht an seinem Tisch in der Ecke der leicht heruntergekommenen Bar und wippte auf einem knarrenden Stuhl, während er das Bierglas vor sich auf dem Tisch drehte und dabei hinein auf die gelbliche Flüssigkeit starrte. Und als sei das noch nicht schlimm genug, begann er nun auch noch über das Leben zu philosophieren. Ob nicht ironisch oder verdammt ironisch…. Aber war es nicht einfach schon ironisch, dass er es war, der nun hier so saß, während alle anderen Grübler ein Stockwerk tiefer waren und im Keller so laut feierten, dass er die Musik noch hier oben hören konnte? „Argh!“, frustriert über seinen eigenen Gedanken unterbrach der Schwarzhaarige das Drehen seines Bierglases, griff stattdessen mit beiden Händen danach und nahm einen kräftigen Schluck daraus. Er sollte endlich aufhören, sich über so einen Schwachsinn Gedanken zu machen! Das Glas wurde steiler geneigt und die alkoholische Flüssigkeit schwappte seine Kehle hinab. Aber es war wirklich einfach nur...immerhin hatte er es sich doch selbst verdient. Hätte er nicht dieses blöde Spiel gespielt…hätte er früher darüber gesprochen, hätte er nicht so lange gewartet, bis es zu spät gewesen war…! Weißlicher Schaum lagerte sich an seiner Oberlippe ab, ohne, dass er es spürte. So gesehen hatte er es sich wirklich selbst zuzuschreiben. Er hätte sich in den Arsch beißen können, hätte das etwas geholfen! All die Jahre war er ihm hinterher gerannt, und Darius hatte immer wieder verneint, weil…wusste Gott, wieso er es getan hatte, er selbst jedenfalls nicht! Vielleicht aus Dummheit, vielleicht aus Stolz, vielleicht einfach nur deswegen, weil er die Aufmerksamkeit genossen hatte, und vielleicht…weil es eine Mischung aus allem war! Eine verdammte Mischung, die ihn schon so oft zum Verhängnis geworden war, doch er lernte anscheinend nie daraus! Der größte Teil des Bieres war bereits seine Kehle hinab gejagt und gesellte sich zu dem vorangegangenen Alkohol, um seiner Leber viel Freude zu berieten. Also brauchte er nun auch gar nicht mehr darüber jammern. Er sollte ein guter Verlierer und ein guter bester Freund sein, sollte da runter gehen und den ganzen anderen Kerlen, diesen ganzen Gewinnern, die Hand schütteln und sie beglückwünschen, weil sie geschafften, was er nicht geschafft hatte. Weil sie zu dem im Stande waren, was er nicht vollbringen konnten. Wenn er schon der einzige Loser an diesem Tag war, der einzige Verlierer, dann sollte er doch wenigstens ein guter sein. Oder?! Der letzte Tropfen kullerte langsam an der feuchten Innenseite des Glases hinab, gemeinsam mit dem letzten Rest weißen Schmaus, doch Darius ließ geduldig den Mund geöffnet, so lange, bis er schließlich darin verschwunden war, und er sich über die Lippen leckte. Der Nachgeschmack des Alkohols war beinahe so bitter, wie seine Situation, dachte er bei sich, während er das Glas mit einem halblauten Klirren, das der Bedienung verständlich machen sollte, dass er nachbestellen wollte, wieder auf der Tischplatte absetzte. Der junge Mann ließ sich mitsamt seinem Stuhl nach hinten kippen, so dass sein Rücken an der kühlen, rau verputzten Wand lehnte, und er die Füße baumeln lassen konnte. Die Arme vor der Brust verschränkt saß er da und starrte in den erhellten Teil der Kneipe, sah dem Wirt beim Putzen seiner ohnehin schon blitzenden Gläser zu und zählte, wie lange es dauerte, bis die Bedienung, eine magere junge Frau mir Augenringen und faltigem Gesicht vom vielen Rauchen, sich erhob, um zu ihm hinüber zu schlurfen und sein Glas und den vollen Aschenbecher wieder mitzunehmen. Irgendwann, so dachte er bei sich, würde er auch so aussehen. Alt, vom vielen Grübeln und runzelig, vom vielen Rauchen. Nur mager nicht, denn seit der Wirt beschlossen hatte, dass er genug getrunken Hochprozentiges getrunken hatte, trank er Bier, und das würde sich alles an seinem Bauch ansetzen. Darius dunkle Augen ruhten konzentriert auf der Bedienung, als könnte er sie somit zum Aufstehen beschwören, und als sie es nicht tat, streckte er seine Hand abermals nach dem Glas aus, fasste es und ließ es nun etwas lauter wieder aufsetzen, um seinem Wunsch mehr Nachdruck zu verleihen. Sich lautstark äußern tat er nicht, das könnte den Eindruck entstehen lassen, er wäre besoffen, und dann würde er nicht einmal mehr Bier mehr sein Bier kriegen. So beschäftigt er also war, merkte er nicht einmal, wie die Musik von unten aus dem Keller für einen kleinen Moment etwas lauter wurde, da sich gerade in diesem Moment zwei Personen zur Türe hinaus schoben. Auch von den anschließenden Schritten auf der Treppe bekam er nichts mit, was verwunderlich war, denn ansonsten witzelte er stets, seine Schwester würde Trampeln wie ein Elefant. Alles in Allem bemerkte er die beiden Personen also erst, als sie zwei der drei anderen Stühle an seinem Tisch zurück rückten. Darius sah auf, ohne sich zu rühren, und als er das fröhliche Gesicht neben dem sorgenvollen von Moreno erblickte, verzog er seine Mundwinkel zu einer leichten Grimasse. Er hätte sich an einen Tisch für zwei Personen setzen sollen, denn dann hätte sich nicht beide auf einmal zu ihm gesellen können. Wirklich, Gesellschaft war gerade das Letzte, was er wollte und gebrauchen konnte! Stille herrschte, nachdem die beiden auf den Stühlen Platz genommen hatten und Darius versuchte so zu tun, als würde er nicht bemerken, dass die beiden sich lange Blicke quer über den Tisch hinweg zu warfen, überhaupt, als hätte er nicht einmal wahrgenommen, dass sie sich zu ihm gesetzt hatten. Und es hätte vielleicht auch funktioniert, wäre es nur Moreno gewesen. Der schüchterne Moreno, welcher wirklich dazu im Stande gewesen wäre, hier stundenlang neben ihm zu sitzen, ohne einen Mucks zu machen, und dabei nur sorgenvoll über den Rand seiner Brille zu sehen. Aber es war eben nicht nur Moreno, es waren Moreno und Katrin, seine ältere Schwester. Und jeder, wirklich jeder, der eine ältere Schwester hatten musste wissen, dass besagte nicht einfach den Mund halten konnten, schon gar nicht dann, wenn man es sich so sehr wünschte, und sie es besser getan hätten! Nein, sie mussten natürlich alles kaputt machen, und anfangen, nachzubohren…. „Sag mal, Dari, was machst du so alleine hier oben?“ Es war nicht immer gut, ehrlich zu seiner älteren Schwester zu sein, schon gar nicht, wenn man in bestimmten Augenblicken seine Ruhe haben wollte, aber Alkohol löste bekanntlich die Zunge, und Darius loses Mundwerk drängte ihn praktisch dazu, eine patzige Antwort zu geben. „Ich versuche mich mit Bier zu betrinken. Wenn ich denn welches kriegen würde!“ Er hatte einfach nicht umhin gekonnt, den letzten Satz seiner Antwort extra laut zu betonen, als Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der Bedienung. Moreno zuckte unter seinen lauten Worten leicht zusammen, und sah entschuldigend zu der Kellnerin hinüber, welche zu Darius Zufriedenheit von ihrem Platz aufgestanden war und nun zu dem Wirt hinter den Tresen schlurfte. „Und warum?“ Unbeeindruckt von den Worten ihres älteren Bruders fragte Katrin weiter, entlockte Darius damit ein halblautes, hörbar gequältes, Stöhnen. Musste sie jetzt wirklich auch noch Salz in die Wunde streuen? „Weil ich keinen Schnaps mehr bekomme.“ „Nein, warum du versuchst, dich zu betrinken, meine ich.“ Sie verstand es also wirklich nicht, ja? Sie verstand also wirklich nicht, dass er nicht darüber reden wollte? Abermals seufzte Darius leise. Das waren immer wieder solche Momente, in denen er sich wünschte, er hätte einfach einen großen Bruder gehabt, der hätte ihn nämlich gerade mit Sicherheit in Frieden gelassen…oder mit gesoffen! „Eine große Fanta, bitte.“ „Und für mich ein kleines Wasser.“ Darius, welcher seinen Blick wieder auf die Tischplatte geheftet hatte und versuchte, die eingeritzten Rillen darin zu zählen, sah nicht auf, als ein großes Bierglas vor ihn auf den Tisch gestellt wurde. Er hörte schlurfende Schritte, die sich wieder entfernten, und…verdammt, jetzt hatte er sich verzählt! Das Bier war kein Bier, es war einfach nur gelbliche Flüssigkeit in einem großen Glas, dessen es nicht würdig war. Es war zu dunkel, und es hatte keinen weißen Gipfel, keinen Schaum. Als er den ersten Schluck genommen hatte, wusste er auch, was es war. Apfelsaft. Apfelsaft in einem großen Bierglas! Sah er wirklich schon so fertig aus, dass man ihm zutrauen konnte, er würde den Unterschied nicht mehr ausmachen können?! Oder war es nicht mehr, als eine stumme aber unverschämte Aufforderung, ihn zum Gehen zu bewegen?! Er hätte heulen können. Heulen, aus Frust, aus Wut und Verzweiflung über die ganze beschissene Situation, die er nun nicht einmal mehr im Alkohol ertränken konnte! Doch er verzog keine Miene, tat so, als hätte er es wirklich nicht bemerkt, und trank den Apfelsaft, als wäre es Bier. Er würde jetzt nicht meckern, er selbst hasste meckernde Kundschaft. Und er würde jetzt auch nicht heulen, egal ob aus Frust und Wut oder aus Verzweiflung, denn sonst hätte man ihn für betrunken gehalten. Außerdem verbot es ihm sein Stolz. „Darf ich mal einen Schluck von dir haben?“ Zu Darius blankem Entsetzen langte seine Schwester nach dem Glas und setzte es an die Lippen. Er hatte es verhindern wollen, doch er war zu langsam gewesen, um zu reagieren, zu langsam, um überhaupt etwas zu sagen, geschweige denn dazu, um ihre Hand weg zuschlagen. Und jetzt trank sie das Bier, das gar kein Bier war, sondern Apfelsaft, und merkte, dass ihr kleiner Bruder sich hatte verarschen lassen, würde annehmen, dass er es nicht einmal wahrgenommen hatte, und würde denken, dass er einfach nur betrunken und hilflos war. Betrunken, wie ein Säufer, und hilflos, wie ein kleines Kind. Und das alles nur wegen seinem beschissenem Stolz und seiner Dummheit. Und das war nun wirklich zum heulen! Das war so sehr zum Heulen, dass er ein leises, bitterliches Schluchzen tatsächlich nicht mehr unterdrücken konnte. Der Stuhl kippte nach vorne, er setzte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab, ließ seinen Kopf hängen und krallte seine Finger in das pechschwarze Haar, während er leise weiter schluchzte, spürte, wie seine Augen feucht wurden, und sich einige Tränen aus den Winkeln herauslösten, um über seine gebräunte Wange hinunter zu kullern. Wie sie ihn jetzt alle ansehen mussten…wie sie über ihn den Kopf schütteln würden, weil er sich doch besoffen hatte und deswegen jetzt heulte. Dabei war es doch das Apfselsaft-Bier das, ihn so weit gebracht hatte, und die Frage seiner Schwester, die das Fass hatte überlaufen lassen! „Ich bin nicht besoffen!“, schluchzte er trotzig, als er Katrins Hand auf seinem Rücken spürte, wie sie dort sanft auf und ab fuhr. Doch anstatt einer Antwort erhielt er nur ein amüsiertes Auflachen seitens seiner Schwester, das ihn gleich noch mehr zum Heulen brachte. Sie glaubte ihm also nicht! Nicht einmal sie nahm ihn mehr ernst! Er hoffte gerade, dass Moreno ihr dafür so einen richtig vorwurfsvollen Blick entgegen schmettern würde, als das Lachen noch ein wenig lauter wurde. Nicht einmal auf den konnte man sich noch verlassen…. Der Druck der Hand auf seinen Schultern verstärkte sich etwas und das Lachen verebbte. „Hier, nimm noch mal einen Schluck.“ Katrin hatte sich etwas vorgebeugt und ihre Hand unter Darius Kinn geschoben, um dieses nun ein Stückchen anzuheben. „Ich mag das Bier nicht!“ Darius wusste nicht, warum er dieses Spiel immer noch mitspielte, aber jetzt war es ja auch egal, und so wischte er sich einfach nur trotzig über seine verheulten Augen. Einen Moment später begann Katrin erneut zu lachen, presste sich dabei die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken, auch wenn es nichts brachte, und als er ärgerlich und hilfesuchend zu Moreno hinüber sah, realisierte er, dass auch auf dessen Lippen ein leichtes Grinsen lag. „Ich weiß doch, dass es Apfelsaft ist.“, murmelte er schließlich deprimiert, nicht einmal mehr ärgerlich darüber, ausgelacht zu werden, doch Katrin schüttelte nur weiterhin lachend den Kopf. „Weißt du nicht mehr?“, schmunzelte nun auch Moreno, und zwirbelte dabei die Haare seiner rot gefärbten Strähne um den Finger. „Was?“, blinzelte Darius verwirrt. „Na ja, Tommy damals.“ Tommy. Der Schwarzhaarige runzelte leicht die Stirn, seufzte dann. Das hatte nun sein müssen, nicht wahr? Seinen Namen nennen…hier, jetzt. Doch bereits einen Moment später überkam ihn die Erinnerung, und er konnte gar nicht mehr anders, als leicht dabei zu lächeln, egal, wie sehr er versuchte, sie dagegen zu wehren, weil diese Situation doch gar nicht zum Lächeln gemacht worden war. *~* Die Luft in der Diskothek stand vor Hitze, war angefüllt von den Schwingungen lauter Musik und dem unangenehmen Geruchsgemisch aus Deo und verschwitzten Besuchern. Grelles Licht durchzuckte immer wieder wie zahlreiche Blitze die Tanzfläche, und ermüdete Menschen drängten sich um ihn, um nach Erfrischung zu verlangen. Darius befand sich in Höchstform. Er hatte wahrlich gute Laune, auch wenn es ihm nicht erlaubt war, sich ins Gemenge auf die Tanzfläche zu stürzen und mitzufeiern. Trotzdem ließ er sich mitreißen, sang halblaut zu der Musik, obwohl sie nicht gerade seinen Geschmacksnerv traf und mixte dabei einen Cocktail nach dem anderen. Einmal Blue Moon für die hübsche Blondine, einmal Krakataua für den attraktiven Brünetten…Moment mal, hatte er ihm gerade zugelächelt? Darius schob das Cocktailglas über den Tresen, nahm das Geld an sich, und legte es in die Kasse, während er das Zettelchen mit einer drauf gekritzelten Handynummer in der Tasche seiner eigenen Jeans verschwinden ließ. „Ein Bier, bitte!“ Darius war gerade noch damit beschäftigt gewesen, dem Unbekannten hinterher zu sehen und dabei seinen Hintern auf die Ferne hin zu inspizieren, als diese bestimmenden Worte an seine Ohren drangen, und einige Münzen lautstark auf den Tresen geknallt wurden. Als er sich also wieder dem Geschehen seines unmittelbaren Umfeldes widmete, musste er erst einmal hinunter blicken. Vor ihm auf dem Barhocker saß ein kleiner Blondschopf, gerade Mal dreizehn Jahre alt, und sah ihn auffordernd an. Graziös wanderte Darius’ Augenbraue nach oben, dann grinste er leicht. „Wie um alles in der Welt bist du heute schon wieder rein gekommen?“ Der Knirps war kein Unbekannter hier drinnen, nein, ganz im Gegenteil, er kam immer freitags, und das jede Woche. Keiner wusste, wie er es immer wieder schaffte, sich an Bobby, dem massiven Türsteher, vorbei zu schmuggeln, aber wie man sah, war er sehr erfolgreich. Und jedes Mal bestellte er sich ein Bier…jedes Mal. Oder…versuchte es zumindest, denn hier war er weit weniger erfolgreich. „Komm schon, gib mir ein Bier.“, forderte der Kleine erneut, dieses Mal mit einem grinsen, wobei er sich durch sein hellblondes Haar fuhr, welches ihm vorwitzig in die Stirn fiel. „Du kennst doch meine Antwort schon, oder? Nein. Nei-in. N.E.I.N.“, antwortete Darius Augen rollend, allerdings war er dabei nur halb so genervt, wie er tat. Viel mehr amüsierte ihn die hartnäckige und unnachgiebige Art des Jüngeren. „Aber wieso denn nicht?“ „Du bist zu jung.“ „Bitte~!“ Wie jeden Freitag seufzte Darius schließlich, griff nach einem Bierglas, allerdings eines von den extra großen, und drehte sich zu den Zapfsäulen um. Es war beinahe schon zu einer Art Ritual geworden, und er konnte sich nicht erklären, warum sie sich beide daran hielten, obwohl sie sich doch kaum kannten, aber es war eben so. Als er sich wieder umdrehte, war das Glas angefüllt mit einer dunkelgelben Flüssigkeit, zu dunkel, für jedes Bier, und ohne Schaum. „Warum ist auf meinem Bier kein Schaum?“, fragte er Kleine, als er sein Getränk entgegen nahm und dafür das Geld für einen Apfelsaft über den Tresen schob. „Weil du nie genug bezahlst. Der Schaum kostet extra. Außerdem sehen Schaumschnurbärte bei kleinen Jungen scheiße aus.“, antwortete Darius ihm trocken und stellte das Glas vor den Blondschopf ab. „Stimmt doch gar nicht, das sieht süß aus!“, lachte dieser, und hob das große Glas mit beiden Händen an, nahm den ersten Schluck. Als er es schließlich geleert hatte, verzog er leicht das Gesicht. „Das Bier schmeckt nicht!“ „Tja, dann geh irgendwo anders hin, wo es besser schmeckt!“, lachte Darius, der gerade das Geld eines anderen Kunden in seine Kasse legte, sich dann mit den Unterarmen auf den Tresen abstützte und den Kleinen frech angrinste. „Wann wirst du mir endlich ein Bier ausschenken, das mir schmeckt?“, grinste sein Gegenüber ebenfalls kess. „Wenn du sechzehn bist.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“, bestätigte Darius zur Zufriedenheit des Anderen. „Und wann wirst du endlich mit mir schlafen?“ Darius wusste nicht, wieso der Kleine ihn das jedes Mal fragte, wenn er vorbei kam, obwohl er ihn doch gar nicht richtig kannte, doch auch das war inzwischen ein fester Bestandteil ihres Rituals geworden. Wahrscheinlich meinte er das gar nicht ernst, er war viel zu jung, er wusste bestimmt nicht einmal, was das bedeutete, nachdem er Darius da gerade wieder gefragt hatte. „Niemals.“, antwortete der Gefragte also wie jedes Mal. „Wieso denn nicht?“ „Weil du zu jung bist.“, entgegnete der Schwarzhaarige, schnappte sich das geleerte Bierglas und stellte es zu dem anderen schmutzigen Geschirr, das gleich in der Küche verschwinden würde. „Und wenn ich älter bin?“ Grinsend verdrehte Darius die Augen daraufhin, streckte die Hand aus, um dem Kleinen durch das hellblonde Haar zu wuscheln. „Wenn du achtzehn bist.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ Abermals blickte der Kleine sehr zufrieden drein, rutschte dann von seinem Stuhl. „Wo ist denn hier die Toilette?“, fragte er, wie jede Woche. „Einfach geradeaus.“, gab Darius seine Standartantwort, deutete direkt auf die andere Seite des Raumes, welcher zum Bersten angefüllt mit Menschen war. „Mmmh…und wann wirst du mir endlich sagen, wo die Toiletten wirklich sind?“ „Auch wenn du achtzehn bist.“, grinste Darius abermals, sah dem Kleinen dann hinterher, wie er ohne ein weiteres Wort, sondern nur mit einem selbstgefälligen Blick, davon ging, ihm ein letztes Mal zu winkte und schließlich doch noch ein „Bis dann!“, rief. *~* Noch immer lag ein Schmunzeln auf seinen Lippen, als er daran zurück dachte. Wäre es so weiter gegangen, wie damals, ganz genau so, er wäre heute sicherlich nicht hier gesessen, mit geröteten Augen und einem ungewohnten Gefühl von Schwere, die auf seinem Herzen zu liegen schien. Wie auch immer sie dahin gekommen war…. Aber es war nicht so weiter gegangen, und daran war, wie so oft, seine Schwester schuld. Katrin war einmal gleichzeitig mit dem Knirps in der Diskothek aufgetaucht, und es kam, wie es kommen musste…ein Gespräch war entstanden. An diesem Abend hatte der kleine Blondschopf an Darius Bier genippt, irgendwann gegen vier Uhr morgens, weil sie es verpasst hatten, ihn hinaus zu schmeißen. Keiner wusste, warum er da war, keiner wusste, warum er nicht nach Hause ging, oder warum niemand nach ihm suchte. Er war einfach da, und er setzte sich über die erste Vereinbarung, das Bier mit sechzehn, hinweg, indem er einfach nach Darius seinem griff, als dieser nicht aufgepasst hatte. Und so, wie er es geschafft hatte, diesen Deals auszuhebeln, so versuchte er es auch mit dem zweiten. Aber nicht mit Darius, nie im Leben! Achtzehn hatte er gesagt, und bei achtzehn sollte es bleiben. An diesem Abend hatte der Kleine, Tommy hieß er, wie er erfahren hatte, zum ersten Mal ein enttäuschtes Gesicht auf Darius Zurückweisung hin gezogen. „Er war schon damals verknallt in dich, bis über beide Ohren.“, Katrins Worte ließen Darius aus seinen Erinnerungen aufschrecken. Ja, zurückblickend hatte sie wohl Recht. Auch, wenn er bis heute noch keine Ahnung davon hatte, woher Tommy damals so viel über ihn in Erfahrung hatte bringen können, und wie er immer wieder in die Disco gekommen war. Aber jetzt war es offensichtlich, auch, wenn er sich damals keine Gedanken darüber gemacht hatte, nicht einmal ansatzweise! „Und ich war so dumm.“, murmelte der Schwarzhaarige leise, woraufhin keiner der anderen beiden etwas erwiderte. Dies als stumme Zustimmung deutend, griff er nach seinem Gras, nippte an dem Apfelsaft. Dabei war der Kleine doch an ihm gehangen, wie eine Klette. Zu dem Freitagabend sollten sich plötzlich viele weiter Abende und Nachmittage gesellen, an denen Darius nicht arbeiten musste. Er wusste nicht mehr genau, ob es mit der Nachhilfe angefangen hatte, oder ob die Nachhilfe erst später dazu gekommen war, aber das war doch auch egal. Sie trug jedenfalls dazu bei, dass sie Zeit miteinander verbrachten, wie gesagt, viel Zeit. Immer mehr und mehr Zeit. *~* „Also, was hast du auf?“, Darius lag auf seiner Matratze ausgebreitet im Boden des Schlafzimmers seiner unordentlichen Dachwohnung und sah an die Decke, während er darauf wartete, dass Tommy seine Schulbücher heraus kramte. Der Jüngere schob auf die Frage hin den Ärmel seiner Sweatjacke ein Stückchen hoch und sah auf seinen Arm hinab, auf den er die Hausaufgaben mit Kugelschreibe gekrakelt hatte. „Seite 12, das Zitat lesen und interpretieren.“, antwortete er schließlich und suchte nach seinem Deutschbuch. „Was für ein Zitat?“, Draius hatte sich auf den Bauch gerollt und stützte sich auf seine Ellenbogen auf. „Eins vom Friedl.“ „Vom Friedl?“, wiederholte der Ältere lachend und hob dabei eine Augenbraue. „Ja, man, der Typ heißt halt so!“, murrte Tommy leicht beleidigt, da er ausgelacht worden war, klappte sein Buch auf und deutete schließlich auf ein Zitat von Friedl Beutelrock. „Da, siehst du!“ „Na dann ließ mal vor.“, forderte Darius ihn auf, welcher kurz besagtes Zitat und die dazugehörige Aufgabe überflogen hatte. Allgemein ließ er Tommy fiel laut vorlesen, das gehörte zu der wöchentlichen Nachhilfestunde einfach dazu. Er hatte gleich beim ersten Mal bemerkt, dass der Blonde große Schwierigkeiten damit hatte, laut vorzulesen oder orthographisch korrekt zu schreiben. „Am…am meisten fü-h-lt man sich von der Wa-h-rh-eit getroffen, die man sich selbst...ver-ver-h-eiml-ichen wollte.“, kam Tommy stockend der Aufforderung nach. „Am meisten fühlt man sich von der Wahrheit getroffen, die man sich selbst verheimlichen wollte. Gut.“, nickte Darius, wobei er das Zitat noch einmal laut vorgelesen hatte, da er bezweifelte, dass Tommy selbst zuvor etwas davon verstanden hatte, was er ihm laut vorgelesen hatte. „Und…was heißt das jetzt genau?“, fragend blinzelte der Blondschopf zu ihm hinüber, woraufhin der Ältere leise auflachte. „Sind das meine Hausaufgaben, oder deine?“, fragte er grinsend. Tommy zog eine krause Nase, grinste dann allerdings ebenfalls. „Meine, schätze ich mal. Aber du sollst mir dabei helfen!“ „Na ja…das ist irgend so etwas philosophisches….“, kratzte sich der Ältere schließlich leicht ratlos am Kopf. „Weißt du, ich glaube, es geht darum…oder nein, sagen wir mal als Beispiel du…hast dein ganzes Taschengeld für…ich weiß nicht, für was geben Vierzehnjährige denn ihr Geld aus?“, bemühte sich Darius um eine mundgerechte Erklärung. „Für einen Bierkrug voll Apfelsaft in überteuerten Diskotheken, schätze ich mal.“, warf Tommy trocken ein, worüber Darius leicht grinsen musste. „Gut, also, stell dir vor, du hast dein ganzes Taschengeld für einen Bierkrug voll Apfelsaft in einer überteuerten Diskothek ausgegeben…“ „Das muss ich mir nicht einmal vorstellen.“ „…und versuchst, nicht daran zu denken, weil du Schuldgefühle hast. Und das klappt so gut, dass du echt denkst, du hättest noch Taschengeld übrig. Und dann willst du dir was anderes tolles kaufen…was wünscht man sich denn mit vierzehn?“ „Bier und Sex, nehme ich an.“ „…Sagen wir, du willst dir einen großen Milchshake kaufen, und als du bezahlen willst, merkst du, dass du kein Geld mehr hast. Dann…hat dich die Wahrheit, die du verdrängen wolltest am meisten getroffen! Denke ich zumindest….“, fuhr Darius ungerührt von Tommys Unterbrechungen mit seiner Erklärung fort. „Mhm.“ „Hast du das verstanden?“, hakte der Ältere nochmals nach, bekam jedoch enttäuschender Weiser nur ein Kopfschüttelnd als Antwort. „Nö.“, lachte der Gefragte schließlich, woraufhin Darius leise seufzte, „Aber egal, ich schreib’s morgen von Mori ab! Also, was ist, möchtest du mir jetzt einen Milchshake machen?!“ *~* Abermals wurde die herrschende Stille durchbrochen, dieses Mal von der Kellnerin, welche mir den Getränken für die beiden anderen zurückgekehrt war. Als sie die Gläser auf dem Tisch abstellte, warf sie Darius einen prüfenden Blick zu, ehe sich ihre Mundwinkel in einem angedeuteten Lächeln nach oben verzogen. „Hast sie mich gerade wirklich angelächelt?!“, kaum hatte sich die Bedienung von ihrem Tisch abgewandt, hatte Darius sich über den Tisch zu seiner Schwester gelehnt, sah sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung zugleich an. „Ja, hat sie.“, antwortete Katrin mit gerunzelter Stirn, da sie sich wohl denken konnte, was gleich folgen würde. „Oh mein Gott, so eine alte Schrulle! Tut mir leid, aber nicht einmal wenn ich besoffen wäre, bräuchte die sich Hoffnung machen.“, in gespieltem Ekel, schüttelte der Dunkelhaarige sich und lehnte sich mit seinem Stuhl wieder nach hinten, so dass er abermals gegen die Wand kippte. Seine Schwester unterdessen rollte mit den Augen, während sie das Zopfgummi aus ihren dunkelblonden Haaren löste. „Weißt du, Dari, das war schon immer dein Problem.“, meinte sie, schüttelte den Kopf, so dass die Haare um sie herum flogen, nahm dann das dunkelbraune Haargummi zwischen die Zähne und fasste ihre wilden Locken zu einem neuen Pferdeschwanz zusammen. „Du denkst immer, jeder hätte nur Augen für dich. Ich könnte fast Wetten, sie hat dir nur aus Mitleid zugelächelt, aber du denkst natürlich gleich wieder, sie würde auf dich stehen. Die Welt dreht sich nicht nur um dich…manchmal musst du dich auch um die anderen drehen, und dir eingestehen, wie wichtig sie dir sind.“, fuhr sie fort, ohne, dass Darius sie darum gebeten hatte, ohne, dass er sie dazu aufgefordert hätte, ihm ihre Worte näher zu erklären. Er wusste doch selbst, wie es mit ihm stand, wie er war. Aber so war er nun mal. Selbstbewusst und stolz. Manchmal einfach zu selbstbewusst und zu stolz, manchmal, aus den Augen anderer gesehen, einfach nur noch schrecklich eingebildet. Und das, ganz genau das kostete ihn so viel, er konnte es gar nicht oft genug betonen. Trotzdem…auch wenn er das wusste…es von jemand anderem, von seiner eigenen Schwester, gesagt zu bekommen, war doch etwas vollkommen anderes. Es tat weh, brannte in der Seele und war wie ein dünner Salzfilm auf seinen Wunden. Egal, ob er auf die Worte vorbereitet gewesen war, oder nicht. Das Schlimmste allerdings war noch immer das Wissen der Eigenverschuldung. Wenn er nicht hunderte, ja gar tausende Möglichkeiten gehabt hätte, wenn er nicht eine nach der anderen achtlos vergeben und verschenkt hätte…wenn er nicht so eingebildet gewesen wäre, wenn er nicht so stolz gewesen wäre…wenn er die Aufmerksamkeit nicht mehr genossen hätte, als traute Zweisamkeit, ja, wenn er einfach nur hässlich und attraktiv oder nur nicht sein Typ gewesen wäre…wenn Tommy ihm nicht fünf Jahre lang wie ein williges Hündchen hinterher gerannt wäre…dann hätte es jetzt alles nicht so weg getan. Dann wäre es erträglicher gewesen. Aber so…so war es zum Verrückt werden. Seufzend hob Darius seine Hüfte etwas an, griff mit einer Hand in die Gesäßtasche seiner Jeans und holte eine platt gesessene Schachtel Zigaretten heraus. Langsam glitten seine Finger über die schlichte Verpackung mitsamt dem Warnhinweis. Fünf Jahre…fünf Jahre, in denen Tommy wirklich keine einzige Chance ausgelassen hatte, ihm zu zeigen, wie wichtig er für ihn war. Und Darius hatte es in keinem dieser zahlreichen Moment zustande gebracht, angemessen zu reagieren…. *~* „Ich habe gehört, du hast mit ihm geschlafen.“ Darius dunkle Augen, welche auf einen der Skater, wenige Meter von ihnen entfernt, fixiert gewesen waren, wanderten nach rechts zu Tommy hinüber, dessen Stimme er gerade vernommen hatte. „Mh?“, machte er nur, nahm dabei einen Zug von seiner Zigarette und inhalierten den Rauch tief ein. „Ich habe gehört, du hast mit ihm geschlafen.“, wiederholte Tommy seine Worte hartnäckig, ließ dabei seine Füße von der Rampe baumeln, auf deren Rand sie Platz genommen hatten, um die skatenden Jugendlichen zu beobachten. Neben ihm lag ebenfalls ein Board, ein Geschenk von Darius und Moreno zu seinem fünfzehnten Geburtstag. Der Schwarzhaarige unterdessen bleib weiterhin stumm, legte den Kopf im Nacken und blies den Zigarettenrauch durch Mund und Nase wieder hinaus. „Und?“ „Was, und?“, Darius gab sich wirklich Mühe, genervter zu klingen, als er eigentlich war, auch wenn er wusste, dass der Jüngere niemals Ruhe geben würde, bis er seine Antwort nicht hatte. „Hast du mit ihm geschlafen?“ „Abgesehen davon, dass es dich nichts angeht…wer hat es dir erzählt?“, Darius hatte sich wieder dem Skater zu gewandt, auf den Tommy zuvor gezeigt hatte. Ein Twentysomething, braun gebrannt, mit strahlend weißen Zähnen und dunkelblonden Dreadlocks, welcher ihm gerade im Vorüberfahren zu nickte, was Darius selbst mit einem leichten Grinsen auf den Lippen erwiderte. „Niemand.“, antwortete Tommy unterdessen, beobachtete ebenfalls den jungen Mann, allerdings mit einer gehörigen Portion Misstrauen in seinem Blick. „Woher weißt du es dann?“, überrascht hatte sich der Ältere wieder seinem Freund zugewandt, war nun derjenige, der auf eine Antwort drängte. „Wie gesagt, ich habe es gehört. Du weißt schon, letzte Woche, als du mit ihm auf die Herrentoilette bist, und-“ „Du hast mir nachspioniert? Letzte Woche? Als du schon längst hättest zu Hause im Bett liegen müssen?!“, Darius klang eher belustigt, als vorwurfsvoll. Es war nicht seine Aufgabe, seinen jüngeren Freund zu erziehen, dafür hatte dieser ein Elternpaar zu Hause sitzen. Anstatt zu antworten hob Tommy nur grinsend die Schultern. „Du hast also mit ihm geschlafen, ja? Das gibst du damit zu?“ „Nein, das habe ich nie gesagt.“, der Dunkelhaarige fasst sich mit seiner freien Hand in den Nacken, massierte sich selbst leicht, eher er ein Stückchen auf der Rampe zurückrutschte, um sich anlehnen zu können. „Wir wollten, aber alles, was geschlafen hat, war sein Schwanz.“, erklärte er, als er Tommys fragenden Blick sah. Der Jüngere presste auf diese Worte hin seine Lippen aufeinander, sah fast schon verschämt beiseite, auch wenn er sich sichtlich Mühe gab, es zu kaschieren, was Darius ein leises Lachen entlockte. Er wusste, wie sehr Tommy es hasste, wenn er die Dinge direkt beim Namen nannte, allerdings…er war selbst schuld, er hatte mit dem Thema angefangen! „Das kommt davon.“, der Blonde hatte sich inzwischen wieder gefasst, grinste beinahe schon schadenfroh. „Kommt von was?“ „Kommt davon, wenn man so viel säuft und raucht.“, bei diesen Worten nickte Tommy zu besagtem Skater hinüber, welcher sich inzwischen gesetzt hatte, und sich einen Schluck aus einer Bierflasche genehmigte. „Ach so ein Quatsch, das hat doch gar nichts damit zu tun! Außerdem passt das zu ihm, er sieht einfach nur geil aus, wenn er raucht.“, winkte Darius daraufhin ab, nahm erneut einen Zug von seiner Kippe. „Du auch.“ „Hm?“ „Na ja…du auch.“, wiederholte Tommy seine Worte, sah dabei allerdings nicht zu seinem Gesprächspartner, sondern auf die dreckigen Spitzen seiner ausgetretenen Chucks. Ein breites Grinsen erschien auf Darius Lippen und seine Hand streckte sich aus, um durch das blonde Haar seines Freundes zu wuscheln. „Danke, ich weiß.“, lachte er schließlich. Eine Weile verebbte der Wortwechsel zwischen ihnen, und beide lauschten nur dem lauten, ratternden Geräusch, das die Rollen der Boards auf der Rampe verursachten, ebenso wie der leisen Musik, die von dem lauen Sommernachtswind zu ihnen hinüber getragen wurde. Schließlich war es Tommy, der die Stille auf überraschender Weise wieder brach. „Ich rauche jetzt auch!“ Und wie zum Beweisen griff er in seine Hosentasche und holte ein Päcken Zigaretten heraus, als Darius mit gehobener Augenbraue zu ihm hinüber sah. Es war die gleiche Marke, wie die des Älteren. „Du und rauchen? Komm, mach mir nichts vor, das kannst du doch gar nicht.“, lachte der Andere spöttisch. „Und wie ich das kann!“ „Vergiss es, Kinder sollten nicht rauchen. Überlass das richtigen Männern.“ „Ich bin ein richtiger Mann.“ „Tommy, ich mein’s ernst, gib mir die Schachtel Kippen und lass den Scheiß.“, rollte Darius mit den Augen, als er den Trotz in der Stimme des Anderen hörte. „Nein, das sind meine, die habe ich mir gekauft!“ „Okay…gut. Dann zeig mir, wie du rauchen kannst, und wenn du’s wirklich drauf hast, werde ich nie wieder etwas sagen.“, zuckte der Dunkelhaarige mit den Schultern, stellte zufrieden fest, wie ein unsicherer Ausdruck auf dem Gesicht des Jüngeren erschien. „Und wenn nicht?“, alleine diese Frage zeigte schon, dass Tommy in seinem ganzen Leben wohl noch nicht eine einzige Zigarette an die Lippen genommen hatte. „Wenn nicht gibst du mir die Schachtel, und gut ist’s.“ Es war dem Blonden nur allzu gut anzusehen, dass dieser nun am Liebsten einen Rückzieher gemacht hätte, doch wider aller Vernunft riss er schließlich die Verpackung auf und fingerte schließlich auf höchst umständliche Weise und alles andere als routiniert, eine Zigarette heraus. „Komm her.“, forderte Darius grinsend, ließ sein Feuerzeug aufschnappen, und hielt es Tommy entgegen. Dieser wiederum streckte die Zigarette in die Flamme, sah anschließend mit skeptischem Blick auf den Glimmstängel in seiner Hand hinab. Darius wollte ihn gerade erneut dazu auffordern, nun doch endlich zu probieren, als er sie ganz von selbst zu seinem Mund führte, einmal kräftig daran zog. Einen Augenblick gesellte sich lautes Husten, begleitet von einem belustigten Lachen, zu dem Rattern der Skateboards. „Du bist so ein Idiot.“, grinste Darius, als er, mit einem leichten Gefühl von Triumph, die angebrochene Zigarettenpackung entgegen nahm und in seiner Gesäßtasche verschwinden ließ. „Dari?“ „Huh?“ „Wann wirst du endlich mit mir schlafen?“ Die dunklen Augen des Älteren wandten sich zum wiederholten Male an diesem Abend seinem Freund zu, musterten den Jungen von oben, bis unten. Tommy ließ alles stumm über sich ergehen, sah ihn aus blauen Augen erwartungsvoll an, während Darius Blick über sein verstrubbeltes, strohblondes Haar und seine schlanke, beinahe schon schlaksige Statur glitt. In den letzten Monaten war Tommy in die Höhe geschossen, dass es nicht zu glauben war. Der Knirps von damals reichte nun schon bald an ihn heran, was die Körpergröße anbelangte. Die Sommersprossen auf seinen blassen Wangen wurden weniger und weniger, dafür aber hatten kleine, kaum wahrnehmbare, Stoppeln begonnen, an dem schmalen Kinn zu sprießen. Abermals grinste Darius. „Wenn du achtzehn bist.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ „Weißt du…eigentlich ist es jetzt auch gar nicht mehr so schlimm, dass du mit ihm schlafen wolltest….“ *~* Es machte ein lautes Geräusch, als Darius Stuhl wieder nach vorne kippte, so laut, dass sogar der Wirt wieder zu ihnen hinüber blickte und ganz kurz in seiner Arbeit, dem weiter andauernden Auswischen der Gläser, Inne hielt. Die Bedienung hatte den Raum gerade in Richtung Toiletten verlassen, sonst hätte sie sich auch einen Blick über die Schulter riskiert. Wie schon einmal an diesem Abend stützte er seine Ellenbogen auf das Holz auf, krallte seine Finger tief in das schwarze Haar. Wie hatte er nur so blöd sein können?! Schon damals hatte er gesehen, wie sich Tommy vor seinen Augen verwandelt hatte. Er war nicht mehr der kleine Junge gewesen, und von Jahr zu Jahr war er begehrenswerter geworden. Es war ja nicht so, dass er es nicht gesehen hätte…. Als hätte er es nicht bemerkt…. Bereits vor zwei Jahren hatte er die brüderliche Brille, durch die er den Jüngeren bis dahin stets gesehen hatte, vollkommen abgelegt, wusste, dass er es nicht nur mit eine jugendlichen Großmaul, sondern mit einem zunehmend selbstbewussten, jungen Mann zu tun hatte. Und es hatte ihm gefallen, dass besagter, attraktiver junger Mann nur Augen für ihn gehabt hatte. Es hatte ihm gefallen, dass er gewartet hatte, ganz geduldig. Jahre lang gewartet, auf seinen Geburtstag, auf das Erreichen seines achtzehnten Lebensjahres und auf das Einlösen von Darius Versprechen. Und Darius hatte ihn warten lassen…zu lange, wie ihm jetzt bewusst wurde. Es war doch von Anfang an klar gewesen, dass er nicht ewig auf ihn warten würde, nicht ewig mit dieser aussichtslosen Situation weiter machen würde. Ein Seufzen glitt über seine Lippen, als er nach dem Glas langte und es an die Lippen setzte, sich vorstellte, es wäre Bier. Würde wie Bier riechen, herb und männlich, so wie er roch, wenn sich arbeitete, und sich der Geruch seines Parfums mit dem von Bier und Zigarettenrauch vermengte. Würde wie Bier schmecken, bitter, so wie es sich gerade in seiner Brust anfühlt. Würde wie Bier wirken, aufheiternd, benebelnd, so wie er einst auf Tommy gewirkt haben musste. Aber es war Apfelsaft. Roch wie Apfelsaft, erfrischend und anziehend, so wie Tommy, wenn er ihn zur Begrüßung umarmt hatte. Schmeckte wie Apfelsaft, süßlich und klebrig, so wie Tommys Lippen, als er sie einmal zum Abschied vor einem Jahr geküsst hatte. Wirkte wie Apfelsaft, verführerisch und verspielt, so wie Tommy, wenn er einem etwas erzählte, dabei aufgeregt nach der Hand des Anderen griff. Dieses Mal waren es zwei verschiedene Hände, die seine Schulterblätter zeitgleich berührten, leicht und Trost spendend zudrückten. Sie schwiegen, sie wussten nichts zu sagen. Einerseits war er selber Schuld, das war jedem von ihnen klar, aber andererseits…hätte es ein ganz besonderer Abend werden sollen. *~* Alles war so schnell gegangen. Viel zu schnell. Schlag auf Schlag, von einen Tag auf den anderen. Niemand hatte ihm etwas erzählt, er hatte es erst im letzten Moment erfahren. Am letzten Wochenende in den Sommerferien. „Eine andere Schule also, ja?“ „Ja.“ „Ein Internat, so?“ „Mhm.“ „Schauspielerschule. Das gefällt dir?“ „Schon immer, weißt du doch.“ Tommy war nie ein guter Schüler gewesen, nie. Er war Durchschnitt. Und schlecht in Sprachen. Er liebte Theater und Schauspielerei. Darius war jedes Jahr eingeladen gewesen, zur Aufführung der Theater-AG. Er wusste, es war etwas, das Tommy lag, und ihn glücklich machte. Aber er hatte nicht gewusst, dass es etwas war, das ihn noch glücklicher machte, als ihre Freundschaft. Und das tat weh. Er war aufgeregt gewesen, sehr aufgeregt. Er hatte beim gemeinsamen Abendessen ständig herum gehibbelt, mit dem Fuß unter dem Tisch gewippt. Tommy hatte noch nie stillt sitzen können, aber an dem Abend war es schlimm gewesen. Und er hatte sich die Haare färben wollen…zu Darius Entsetzen. Schwarz. Rabenschwarz. Pechschwarz. So schwarz, wie das Haar von Darius selbst. Er hatte ihm einen Vogel gezeigt, doch Tommy hatte den Friseurtermin trotzdem vereinbart. Und wieder abgesagt. „Ich vertraue dem nicht, der macht mit dir Haare sicher kaputt.“ „Ach was…das ist sein Beruf, der kann das.“ „Nein wirklich. Mach du das.“ „Ich? Wieso ich? Ich werde es noch viel mehr versauen, ich bin Kellner, kein Friseur.“ „Die Bezahlung ist aber gleich schlecht.“ „Okay, jetzt erst Recht nicht.“ „Nein, bitte, Dari. Wenn du es versaust, tut’s mir wenigstens nicht leid drum.“ Er hätte Tommy damals fragen können, warum es ihm dann nicht leid tun würde. Er hätte ihn fragen können, warum er ihm so vertraute, mehr, als einem gelernten Fachmann. Aber er hatte es nicht getan. Stattdessen hatte er nach der Tönung gegriffen und Tommy in Bad dirigiert. Die Haare hatten schrecklich ausgesehen. Wirklich, einfach nur schrecklich. Keine Spur mehr, von dem Strohblond, stattdessen gab es nur noch schwatze Flecken und graue Flecken auf Tommys Kopf. Aber er hatte nichts gesagt, hatte es locker genommen, vielleicht auch, wegen der Aufgeregtheit vor der Abreise. In der Nacht hatte er neben Darius gelegen, und nicht schlafen können. Es war eine schwüle, heiße Nacht gewesen, in der Dachwohnung sowieso. Und trotzdem hatte er ihn im Arm gehalten, weil er gezittert hatte, vor Aufregung. Und er hatte ihm gesagt, er solle atmen, tief durchatmen. Versuchen, sich und sein Inneres selbst auszuatmen, in der Hoffnung, die verlangte Konzentration würde ihn müden machen. Und so waren sie da gelegen, beide unbeweglich, konzentriert auf ihren gleichmäßigen Atem, mit schweren Gliedern. „Wann wirst du endlich mit mir schlafen?“ „Wenn du achtzehn bist.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ Der Wortwechsel war so routiniert wie eh und je abgelaufen, wie schon immer eben, und Darius hatte schon geglaubt, Tommy wäre endlich eingeschlafen gewesen, bis, ja, bis… „Ich weiß, dass es nicht so ist.“ „Mh?“ Er war müde gewesen, fast am Einschlafen, und es hatte ihn gewundert, wie wach Tommys Stimme noch geklungen hatte. „Ich weiß, dass du nicht mit mir schlafen wirst.“ „Doch, sicher, ich hab’s doch versprochen.“, hatte er gemurmelt, doch Tommy hatte nur den Kopf geschüttelt. „Nein, wirst du nicht. Ich weiß es ganz einfach. Das haben wir uns nur so eingeredet…. Aber ich weiß es besser.“, hatte er bestimmt gesagt, und danach noch angefügt: „Und das ist scheiße.“ Und sie waren eingeschlafen, beide, ohne ein weiteres Wort. *~* Darius hatte sich in den Wochen danach noch oft gefragt, ob diese Erkenntnis Tommy genauso wehgetan hatte, wie die, die er für sich selbst gezogen hatte. Er konnte nicht ohne Tommy. Es ging einfach nicht. Tommy fehlte. Überall. Immer. In jedem Bereich, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Sein Lachen, seine frechen Kommentare, sein Gehibbel, sein Gestammel…er fehlte ganz, von Kopf bis Fuß. Er hatte es sich nicht eingestehen wollen, hatte es einfach nicht wahrhaben wollen, dass es so war. Es fehlte etwas, ja, seinetwegen auch sein bester Kumpel, aber doch nicht…oder doch? Es fehlten süße, klebrige Lippen auf seinen. Es fehlte ruhiger, gleichmäßiger Herzschlag unter seinen Fingern. Es fehlte, es fehlte, es fehlte, es fehlte so verdammt vieles in diesem Jahr. Aber er hatte es rumgekriegt, das Jahr. Irgendwie hatte er es rumgekriegt. Er hatte nur noch ein Datum im Blick gehabt, rot markiert im Kalender. Er hatte Vorbereitungen getroffen, hatte Girlanden aufgehängt, war einkaufen gegangen. Bier. Seit er sechzehn war, trank Tommy gerne Bier. Und er hatte ihn abgeholt, vom Bahnhof. Einen schwarzhaarigen Tommy, komplett schwarz. Rabenschwarz. Pechschwarz. So schwarz, wie Darius Haar. Ohne graue Flecken. Bereits vom ersten Moment an war ihm klar gewesen, dass sich etwas Grundlegendes zwischen ihnen verändert hatte, auch wenn er noch nicht so genau bestimmen konnte, was es war, als er gesehen hatte, wie Tommy ihm grinsend und mit dem Arm winkend entgegen gelaufen war. Er hatte so…glücklich ausgesehen. So…befreit. Und Darius hatte einen befremdlichen Schmerz in seiner Brust verspürt. Das Jahr ohne ihn hatte seinen Freund reifer gemacht, selbstbewusster und schöner. Aber nicht nur das, sondern auch…glücklicher. Glücklich, ohne Darius. Die Party zu Tommys Rückkehr hatte Darius ersten Eindruck nur noch weiter unterstrichen, denn der Jüngere war gefragt, überall. Jeder wollte ein Stückchen Tommy haben, auch Darius. Und alles bekam eines, nur er nicht. Zumindest schien es ihm so. Aber er hatte sich Mühe gegeben, sich nichts davon anmerken zu lassen. Weder, wie enttäuscht er von der geringen Aufmerksamkeit war, noch, wie sehr er ihn vermisst hatte oder dass er ihn brauchte. Es zu wissen allerdings, es selbst zu wissen, auch wenn es kein anderer wusste, war schwer, war erniedrigend, schmerzte. Fünf Jahre waren mühelos vergangen, ohne, dass er sich dessen wirklich bewusst geworden war, fünf Jahre, die nun rücksichtslos und mit aller Härte zurückschlugen, wie eine vor Wut geballte Faust, die sich für alles rächen wollte. Und letzten Endes hatte er es ja verdient…. Ja, er hatte es wirklich verdient, denn er war selber schuld, und so brauchte er sich nun auch gar nicht mehr darüber zu beklagen, dass Tommy nicht einmal bemerkt zu haben schien, dass er sich nach hier oben verdrückt hatte. Die Stunden schlichen dahin, die Zeiger drehten stetige Runden um die große Uhr über dem glatzigen Kopf des alten Wirts. Darius saß noch immer bewegungslos da, wie aufgestütztem Kopf. Die beiden Hände waren inzwischen von seinen Schultern gerutscht, die Stühle waren wieder unbesetzt, die Gläser standen leer auf dem Tisch. Die Bedienung hatte ihm ein letztes Mal zugelächelt, ehe sie vor eine Stunde mit einem etwas größeren Grüppchen von Tommys Freunden die Kneipe verlassen hatte, nichts weiter, als ihre Schürze dagelassen hatte. Auch der Kellerraum hatte begonnen, sich zu leeren, das merkte er deutlich an dem immer geringer werdenden Geräuschepegel, welcher hier zu ihm nach oben drang. Allerdings musste man anmerken, dass kaum ein Gast durch die Türe im Erdgeschoss den die Bar verließ, was wohl nicht zuletzt daran lag, dass es die meisten nicht einmal mehr die Treppe hoch schafften. „Jetzt waren’s alle.“ Im Gegensatz zu den Malen zuvor hatte Darius gemerkt, wie sich eine Person ihm genähert hatte, obgleich er nicht hinaufgeblickt hatte. Er wusste sowieso, wer es war, er hatte ihn an seiner Art zu gehen erkannt. Dem leisen Schlurfen, das seine Schuhe verursachten, weil sie nie richtig gebunden waren und er sie beim Gehen ansonsten stets zu verlieren drohte. Als Darius nicht antwortete, stupste Tommy ihn leicht in den linken Oberarm, bohrte mit seinem spitzen Finger hinein, wie er es schon früher immer getan hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. „Mhm?“, als Darius schon befürchtete, sein Arm könnte womöglich noch dunkelblaue Flecken davon tragen, räusperte er sich schließlich doch noch, woraufhin der Finger plötzlich vollkommen ruhig auf seinem Arm zu Liegen kam. „Gehen wir?“ Sollte Tommy bis dahin wirklich nicht registriert haben, dass etwas mit Darius nicht stimmte - er überspielte es wirklich mit der Meisterlichkeit die man von ihm mit Schauspielerei als Profilfach erwartete. „Wohin denn?“, Darius griff rasch nach seinem Bierglas, als er sah, dass Tommy seine Hand danach ausstreckte, um sich einen Schluck davon zu genehmigen, und trank es in einem Zuge leer. „Zu dir nach Hause, wohin den auch sonst?!“, der Gefragte zuckte belanglos mit den Schultern und richtete seinen Blick auf Darius Hals, musterte den Kehlkopf, welcher sich beim Schlucken immer wieder auf und ab bewegte. Als Darius abermals nichts darauf erwiderte, seufzte er schließlich genervt. „Man, was ist denn los mit dir? Du bist doch schon den ganzen Abend so komisch!“ „Ich glaub’, ich bin besoffen.“ „Ja klar, von Apfelsaft!“ Eine peinlich Stille breitete sich zwischen den beiden aus, Darius Wangen begannen zu glühen, während er den Blick senkte und abwesend auf seinem Piercing herum zu kauen begann. Woher…? „Es hatte keinen Schaum.“, antwortete Tommy schließlich, ganz so, als habe er die Gedanken des Älteren mühelos lesen können, neigte dann den Kopf leicht zur Seite und blickte abwartend auf diesen hinab. Darius unterdessen presste sich die Finger beider Hände kraftvoll auf seine Augenlider. So sehr, dass es schon schmerzte. Nein, er würde nicht wieder anfangen zu heulen, er würde die Tränen dahin zurück drücken, wo sie hergekommen waren, ganz nach hinten, in die Tränenkanäle zurück, und dort konnten sie dann bleiben, wenigstens so lange, bis er alleine zu Hause in seinem Bett lag und schlief. Ohne Tommy. Ganz sicher ohne Tommy! „Weißt du, ich finde das wirklich sehr süß von dir.“ Darius Kopf raste in die Höhe, als dieser Worte an sein Ohr drangen. Wahrscheinlich hatte er den ganzen Abend nicht so schnell reagiert, nicht einmal, als ihm auf dem Weg zum Bahnhof die alte Oma vors Auto gekrükelt war, und er sie beinahe über den Haufen gefahren hätte…. „Süß.“, wiederholte er, und blinzelte dabei heftig, da seine Hände sich um das leere Glas geschlossen hatten und nun nicht mehr weiter auf seine Lider einpressen konnten. „Ja, sehr süß.“ „Wieso?“ Dass er nicht den ganzen Abend nur alkohollose Getränke zu sich genommen hatte, hörte man nun deutlich an seiner Stimme, die nicht mehr nur eine angenehme Rauheit besaß, sondern ein Reibeisenähnliches Krächzen. „Na ja, dass du dich so verrückt machst, eben. Dass du mir ausweichst und dir Vorwürfe machst. Dabei ist alles gar nicht so schlimm.“ In diesem Moment fragte sich der Ältere wirklich, ob er einfach nur auf dem Schlauch stand, oder der Saft in seinem Glas vielleicht gegoren hatte. Jedenfalls konnte er nicht nachvollziehen, was Tommy da gerade von sich gegeben hatte, egal wie oft er die Aussage in seinem Kopf widerhallen ließ. Natürlich wich er ihm aus, natürlich machte er sich Vorwürfe…aber woher wusste er das? Und vor allem, was sollte daran bitte schön nicht schlimm sein?! „Wenn du mir jetzt sagst, ich finde sicherlich einen anderen dafür…ich will’s nicht hören.“, brummelte er schließlich vor sich hin, stützte seine Hände flach auf dem Tisch ab und stemmte sich somit ächzend nach oben. Den ganzen Abend lang war er hier unbeweglich auf diesem Stuhl gesessen und nun fühlten sich seine Glieder so steif an, als wären sie eingerostet. Ein deutliches Zeichen also, nach Hause zu gehen…. „Nein, das will ich dir nicht sagen.“, hörte er Tommy neben sich lachen, während er zu dem Wirt hinüber sah, auf dessen Gesicht sich zum ersten Mal an diesem Abend eine glückliche Gefühlsregung widerspiegelte, angesichts der Tatsache, dass die letzte Kundschaft wohl bald gehen würde. „Ich meine…ich nehme mein Geschenk auch noch nachträglich an, so ist’s ja nicht.“ Moment. Das ging jetzt alles ein Bisschen chaotisch zu. Was für ein Geschenk? Verwirrt kratzte Darius sich am Kopf, schenkte Tommy einen verständnislosen Blick und seufzte schließlich, als dieser nicht darauf einging. „Ich habe dir doch gesagt, ich bin besoffen.“, rollte er mit den Augen, während er auf eine sich selbst erklärende Antwort hoffte. „Gott, ich wusste, du würdest es vergessen. Ich wusste es! Gut, ich hab deinen auch vergessen, ich geb’s ja zu, aber…ach egal. Ich bin dir nicht böse, wirklich, ich nehm’s auch morgen noch.“, der Kleiner fuhr sich einmal durch sein schwarzes Haar, grinste dabei leicht. Macht ihm das eigentlich Spaß? Machte es ihm Spaß, seinen unzurechungsfähigen, verblödeten Zustand auch noch so dreist auszunutzen und mit ihm Späße zu treiben? Oder warum sprach er nicht endlich Klartext mit ihm?! „Sag mal, Tommy, von was zum Kuckuck redest du eigentlich?!“, langsam platze ihm wirklich der Kragen, und hätte er nicht so viel getrunken, es wäre wahrscheinlich noch viel früher passiert, konnte sich der Kleine also glücklich schätzen! „Na, von meinem Geschenk! Von meinem Geschenk, das du mir versprochen hast, und das du mir noch schuldest!“ Das Fragezeichen in Darius Gesicht war unübersehbar und ließ Tommy leise kichern, was der Ältere mit gerunzelter Stirn wahrnahm. Erst, als er die Information mehrere Male verarbeitet zu haben schien, reagierte er, biss sich nun wirklich schuldbewusst auf die Unterlippe. Er hatte Tommys Geburtstag vergessen. Vor lauter Heimkehrfeier und Tommy-Hier, Tommy-Da, hatte er den eigentlichen Festakt total vergessen. Einfach so…vergessen eben, nicht mehr daran gedacht. Normalerweise hätte er vielleicht nur darüber gegrinst, und etwas Freches erwidert, aber heute war ihm nicht zum Grinsen zumute. Ihm wollte auch partout nichts Freches einfallen, wenn gleich er nicht einmal darüber nachdachte. Es setzte dem ganzen einfach nur noch die Krone auf, war ein gelungener Abschluss für eine schreckliche Nacht. „Hey, jetzt zieh halt nicht so ein Gesicht, wie gesagt, es ist doch noch nicht zu spät.“, Tommy war näher getreten, und hatte seinen Arm um die Schultern der Älteren gelegt, ganz so, als wäre ihm zum ersten Mal in dieser Nacht aufgefallen, wie am Ende Darius mit seiner Welt zu sein schien. „Aber ich hab doch nicht einmal etwas für dich!“ „Doch, das hast du….“ „Nein, ich habe es vergessen. Es tut mir ja auch leid!“, erwiderte Darius kopfschüttelnd. Wollte er es einfach nicht wahr haben? War er noch immer so verdammt naiv? „Darius.“ Der Ältere zuckte beinahe zusammen, bei dem Klang der ruhigen, sanften Stimme, welche sich anfühlte, wie ein lauwarmer Wind, der einem über die Haut strich, die gleiche Gänsehaut dabei erzeugt. „Darius, wann wirst du endlich mit mir schlafen?“ Eindringlich starrten die blauen Augen zu ihm hinauf, ernst und auffordernd. Die Antwort kam spontan, ließ nicht lange auf sich warten, obwohl es eine ganz andere war, als sie fünf Jahre lang über seine Lippen gekommen war. „Jetzt.“ Später dann lagen die nackten Körper der beiden jungen Männer eng aneinander geschmiegt, obwohl es heiß war. In der Dachwohnung ja sowieso…. Der Ältere von beiden musste unweigerlich grinsen, als er daran dachte, welches Bild sie auf andere gerade ausstrahlen mochten. Nein, sie hatten nicht miteinander geschlafen, wirklich nicht. Obwohl Tommy fünf Jahre lang hartnäckig darauf gewartet hatte, gequengelt hatte. Fünf Jahre, nur für Darius. Aber wenigstens war es jetzt nicht seine Schuld gewesen, wenigstens hatte er Tommy nicht wieder zurück gewiesen. Er hätte es getan und sein Versprechen gehalten, hätte der Jüngere sich nicht lieber mit süßer Rache zufrieden gegeben. Zumindest behauptete er das, auch wenn Darius sich sicher war, dass fünf Jahre Vorbereitung und Hinarbeiten auf das Ziel einfach noch nicht ausgereicht hatten. Aber das war egal, denn ganz plötzlich hatten sie Zeit. Unmengen an Zeit. Langsam glitten seine dunklen Augen über das entspannte Gesicht des Jüngeren, zählten unweigerlich jede einzelne der verblassten Sommersprossen auf Tommys heller Haut, wanderten die kleine Stupsnase entlang und landeten schließlich bei den vollen Lippen, welche leicht gespalten waren und dahinter die weißen Zähne aufblitzen ließen. „Weißt du, was mir gerade einfällt?“, flüsterte er plötzlich, während er beobachtete, wie sich die Lider des anderen flatternd öffneten. „Huh?“, machte Tommy, und sah mit verschlafenem Blick zu ihm hinauf. „Du hast meinen Geburtstag doch auch vergessen!“ ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)