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Wächter der Drachenherzquelle

Geschenkte Phantasie
von

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Prolog

An einer solchen Geschichte hatte sich „Nur ein Spiel“ ein wenig orientiert, an Phantasie und Hoffnung. Ich wünsche jedem, der diese Story liest Freude daran, auch wenn ich vielleicht nicht dazukomme, diese Geschichte so schnell wie möglich fortzuführen, und möchte die Story einem lieben Menschen widmen. Ein liebes Danke ^-^

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Prolog
 

„Elyan!“, brüllte es hetzend im Unterholz eines Waldes, der so verdunkelt schien, als würde kein Sonnenstrahl jemals durch die dichten, gesunden Baumkronen dringen dürfen. Eine Männerstimme ertönte. Dumpf und kampfbetont, bewahrte sie protzende Schritte, die von klapperndem Metall und peitschenden Ledergeräuschen sangen.

„Sie kommen!“, rief die starke Kriegerstimme erneut. Und die Schritte wurden schneller und lauter, in Begleitung von Gewalt, Kampfesmut und Ruhm. Ein Schwert blitzte golden auf, tönte in einem heiligen Schrei durch die Nacht, als es die Luft teilte und sendete ein Zeichen. Und auf einer verborgenen Lichtung, wo sich magische Gewässer trafen und das Herz der Zeit einen Schlag aussetzte, tauchte eine große Gestalt auf, die, so schien es, fünfzig Schatten besaß, die hinter ihr herschlichen. Ein stattlicher hochgewachsener Mann war es. Langes, schwarzes Haar fiel dünn und unsauber an seinem braungebrannten Gesicht hinab. Er trug eine Rüstung, die ein Mensch noch nie gesehen hatte. Auf vergoldetem Brustpanzer stach ein gemalter glühender Drachenkopf mit pechschwarzen Augen hervor. Unheimlich, aber verlockend bewegte sich dieser, und eine helllodernde Mähne flatterte wie lebendiges Feuer um das schuppenbekleidete Antlitz.

Die Augen des Mannes, oh ja, kühne, unberechenbare Augen leuchteten durchdringend durch die Nacht und die Schatten, die sich jenem Ort bemächtigten. Rasch zog er das scharfe Schwert, um dessen blankpolierte Klinge sich der Tod wie ein seidener Faden wand. Er tötete oft und grausam, aber er tötete, weil er es musste, nicht um innere, kranke Begierden zu erfüllen.

Und er tötete seiner Bestimmung wegen.

Er ließ das Schwert wieder zu Boden sinken, seine Umgebung genau beobachtend, hörte das Plätschern des Wassers einer alten Quelle, und dann das Summen der Bestien in der kühlen Dunkelheit. Er war bereit wie jede Nacht zu morden für einen alten Glauben, und zum Schutze der Kraft, die hier im Erdboden sickerte.
 

Mit einer unvorhersehbaren, raschen Bewegung bohrte er die Klinge jauchzend und genießend hinein in den geweihten Boden, saugte ein Stück der alten Macht in den teuren Stahl. Gesegnet und doch vergessen schlüpften sogleich tausende regenbogenfarbene Punkte wie kleine Fliegen heraus, beschworen und tänzelten im Schauer vergessener Grausamkeiten umher, gaben Herzlosigkeit und Schande einen Weg zur Erlösung und verflogen schließlich in alle Himmelsrichtungen. Die Boten der Magie sollten ein Zeichen für ihn sein, ob diese Nacht ein Feuer wüten musste oder nicht.

Feuer, ein teuflisches Element. Knackend, lodernd, alt und gefährlich, aber reinigend, war es ein Schrecken vieler Menschen und dunkler Kreaturen überhaupt.

Es war eine Gabe, auch heute noch, die Macht des Feuers zu nutzen um zu verbrennen und zu vernichten, was nicht rechtmäßig lebte.

Dennoch… der Krieger, dessen Füße, umhüllt von schwarzen Lederstiefeln, auf geweihtem Boden standen, nutzte die Macht des Feuers nicht immer zweifellos. In der Welt der Menschen, die in ihrer Scheinheiligkeit und Scheinsinnhaftigkeit ein Leben lebten, was seine Lachmuskeln in Gang setzte, war Feuer, besonders jenes, welches die Alten noch heraufbeschwören konnten, ein Martyrium, ein Wesen in Gestalt von Angst und Tod. Und gerade das ließ den Krieger nachdenklich werden.

Es war ein Spiel, ein verwunschenes, herzloses Spiel, welches er gezwungen war zu treiben, wenn die Alten ihm den Weg wiesen. Reinigung geschah an vielen Orten, wo das eine Feuer ausbrach, durch sein Zutun und das Können eines alten Geschlechtes, dem er angehörte.

Das eine Feuer, geboren und genährt aus Gutem und weiser Magie.

Und er brachte es zum Auflodern dann, wenn die Zeit gekommen war, ohne Rücksicht auf mögliche Menschen, die in das Unglück hineingerieten, die die Seelensauger nicht einmal sehen konnte, wenn sie direkt vor ihnen standen. Seelensauger, Giftbringer und der andere Dreck, der von den Gevattern der Dunkelheit immer wieder geschickt wurde um etwas sehr kostbares zu vernichten…
 

Die, die seine Aufgabe irgendwann erfüllen mussten, denn auch er lebte schon Jahrhunderte, würden diese auf dem rechten Weg bleiben im Beisein von etwas so mächtigen, welches die Drachen aus vergangenen Zeiten meisterhaft und todbringend beherrschten? Er bezweifelte es, auch wenn er einen guten Schüler hatte, aus dem vielleicht irgendwann einer der Wächter werden konnte.

„Elyan!“, rief der Kämpfer, diesmal erhabener und mit einem Hauch silbernen Dampfes, der aus seinen Augen blitzte. Wie Schlangen glitten fadenförmige Nebel aus seinen Augen umher und wanderten dann in das Dickicht des Waldes, um seinen Lehrling zu rufen.

,Wo steckt dieser Bengel nur wieder?‘, grummelte der Krieger vor sich hin. Er sollte diesen Kampf begleiten, wenngleich er erst acht Jahre alt war. Er sollte sehen, erfahren und verstehen, was es hieß ein Wächter der Drachenherzquelle zu sein. Aber Elyan, der Name des Jungen, schien im Moment wie vom Erdboden verschluckt. Er war eben noch ein Kind, zu einfältig und naiv um die Welt, die ihn umgab, nur ansatzweise zu verstehen. Eine Welt, die zerbrechen würde, wenn diese Aufgabe nicht erfüllt wurde.
 

In dem Augenblick kamen die Boten zurück, jene blassen Schwaden der Magie umschwebten den Mann und flüsterten, sangen, erzählten von ihrem Wissen, bis sie vergingen. Daraufhin schmunzelte er und schüttelte den Kopf.

Elyan war einmal mehr auf einem Ast der uralten Bäume in den Schlaf gesunken. Es genügte ein Schnippen mit den Fingern und sein Schlafplatz würde unter ihm zerbrechen. Der Kämpfer hatte schon die Finger aneinander platziert, überlegte es sich aber wieder anders. So lange der Junge noch so wenig vom Leben gesehen und erfahren hatte, war es vielleicht besser, die Alten und sein Meister gönnten ihm den Schlaf.
 

Indes waren die Feinde auf dem alten Heiligtum angekommen, bewegten sich schlürfend, durstend nach Macht und Magie. Der Krieger sah nur ihre spitzen, ausgetrockneten Krallen, die lange schon kein Fleisch mehr zerreißen hatten dürfen im Licht der Mondin aufblitzten. Er roch das Gift aus dem Maul der Geschöpfe, wo an verrotteten Zähnen blutroter Speichel durstend hinab tropfte. Wie viele von ihnen hatte er schon erledigt? Wie vielen von ihnen war er schon gefolgt, hinein in die moderne Menschenwelt, wo jene Wesen nichts ahnten von dem Gemetzel und der Magie, die hier an einem wohlbehüteten Ort noch selbstverständlich war.
 

Sein getreues Schwert, reich an Tötungskraft und Ausdauer, prallte mit zerfetzender Wucht, als Warnung hinab auf den dicht mit Gras bewachsenen Waldboden und schickte den Zorn einer Armee von rechtschaffenen Seelen umher. Ein Beben folgte, ein rasches, düsteres Aufreißen der Erde und die meisten der Geschöpfe schienen von unsichtbaren Händen hinein gezogen zu werden in die geweihte Erde, um zu reinigen, um zu heilen. Und irgendwo… hörte man das Feuer lodern, es brutzelte die Schlechtigkeit und das Verderben aus jenen Geschöpfen, erstickte ihre Schreie und versiegelte ihre Existenz.

Der Mann, sein Gesicht angespannt und bereit, orientierte sich, hörte einige der Wesen davon hasten, sich vergreifend an der Menschenwelt, die sich von hier aus durch ein geschicktes Auge finden ließ.

Noch während er seinen Schritt beschleunigte, sein Herz pumpend mehr edles Kämpferblut in seinen gealterten Körper, steckte er das Schwert zurück und rannte hinter den Kreaturen her, die zischend durch das Unterholz eilten.

Er hatte keine Wahl als ihnen zu folgen. Er wusste, dass er das Feuer wüten lassen musste über das er verfügte um jene Kreaturen auszulöschen, auch wenn deswegen andere, harmlose Menschen zum Opfer fielen.
 

Es dauerte nicht lange und der Mann trat aus dem Wald hervor, hatte er einen der sieben Pfade genutzt, die ihn in die Menschenwelt führten. Pfade, die ein Mensch niemals beschreiten konnte, selbst wenn er wollte. Es würde einem Menschen den Schatten, ein Teil Lebenskraft, die wichtigste Erinnerung, das Spiegelbild, Wärme, ein Teil Augenlicht oder die Stimme kosten, selbst wenn er es schaffte einen solchen Weg zu finden.
 

So am Waldrand stehend, mit kühlen Augen umherblickend, sein wildes Haar im Wind wehend, wirkte der Krieger wie ein Gespenst, das die Welt der Menschen zum ersten Mal sah. Die Kreaturen des Hasses, die er verfolgte, waren nicht mehr sichtbar hier an diesen Orten, wo Menschen nichts ahnten von einem anderen Gleichgewicht der Mächte. Und da sie nicht sichtbar waren, konnte er sie nicht mit diesem geheiligten Schwert verfolgen, welches in seiner rechten Hand Bestimmung und Entsetzen fand. Er konnte nur das eine nutzen, welches seit Generationen überliefert wurde, alles nur durch das Schicksal der Drachen und ihrer Beschützer. Er würde das Feuer nutzen, welches verführerisch brannte, grausam vernichtete und sich nicht mit einfachem Wasser stillen ließ. Und das Gespenst, für welches entgegenkommende Menschen den Krieger hielten, lief hinein in die Stadt, umwand seine Gestalt noch mit einem dunklen Mantel und zündete in seinem Inneren die Wurzeln, die ihn für seine Aufgabe befähigten.
 

Er schritt mit schwerem Gang in eine verregnete Innenstadt, vorbei an vielen Modegeschäften und einem Lebensmittelmarkt, und spürte plötzlich noch eine andere Aura als jene der schwachen Menschen und jene der Kreaturen des Hasses. Da war ein Licht irgendwo unter den Menschen, welches ihn erstaunte, ja mitriss und auf eine Weise faszinierte, das sein kühles Kämpferherz von Schuld und Demut gebannt wurde. Er blieb stehen, direkt neben einem Kiosk und dem Eingang in ein riesiges Einkaufszentrum, wo sich viele stressige Gemüter tummelten. Einige Menschen stießen ihn an, achteten aber nicht auf seine außergewöhnliche Kleidung, sondern folgten nur dem Trott ihres Lebens, folgten einem unberechenbaren Wahnsinn, von dem sie glaubten, es wäre ihr Lebenssinn. Alle hatten sie Regenschirme, außer ihm. Es schien als würde der Regen ihn verschonen, oder sich vor ihm fürchten.
 

„Ihr spürt das auch, nicht wahr?“, sprach dann jemand direkt hinter ihm. Ein kleiner Junge, mit warmer, verträumter Stimme, welcher ebenso von einem Mantel umhüllt wurde. Nur einige hellbraune Strähnen seines Haares schauten aus der engen Kapuze hervor.

„Warst du neugierig, Elyan?“ Der Schwertfechter drehte sich nicht um, sondern blitzte mit seinen scharfen Augen hinein in das Einkaufszentrum, welches überfüllt von Menschen einem Insektenkäfig ähnelte.

„Es wundert mich schon, dass du nun doch aus deinem Schlaf hierhergefunden hast“, setzte der Mann mit tiefer, ironisch klingender Stimme hinzu, während überall der Regen heftig trommelte.

„Entschuldigung, Meister Omneyon“, murmelte er und schaute betreten zu seinen Füßen. Er kannte genau den Unterton in den Worten seines Lehrers und ärgerte sich über sich selbst. Er hatte verschlafen, die wohl interessanteste Übungsstunde überhaupt verpennt!

„Schon gut“, sprach er ruhig und drehte sich um, schaute befehlsgewaltig von oben herab in ein paar blaue, unschuldig wirkende Augen.

„Nun bist du ja hier, aber vergiss nicht. In kommenden Zeiten wird jede noch so kleine Nachlässigkeit bestraft werden, nicht unbedingt von mir, sondern von dem, was auf dich wartet. Also halte dich immer bereit und wachsam.“

Der Junge nickte bloß.

„Hast du deinen Bogen mitgebracht, Elyan?“ Wieder nickte er, unterband das Gefühl von Aufregung und leichtem Entsetzen in seinem Gemüt.

„Gut, du wirst ihn diesmal benötigen“, sprach Omneyon und öffnete mit einem Wimpernschlag die großen Türen in das Gebäude, welche den Regen zurückhielten.
 

Kein Mensch schien die beiden wundersamen Geschöpfe zu beachten, die hier ihrer Mission nachgingen. Und niemand schien sie überhaupt zu sehen, als wären sie gar nicht am Leben. Nachdenklich tapste Omneyon voran, dicht gefolgt von dem acht Jahre alten Elyan, der nicht wusste, auf welch düstere Zukunft er sich einließ.

Erstaunt betrachtete sich der Junge die vielen Modegeschäfte, Schmuckläden, Restaurants und die unterschiedlichen Menschen, die hier umher wandelten. Ihre Gesichter waren gestresst und bleich. Wie Zombies liefen die Menschen von einem Verderben ins nächste. Und irgendwie stimmte ihn das traurig.
 

Gerade da riss ihn Omneyon aus den Gedanken. Seine tiefe Stimme, war einschneidend genug um Tote aus dem Schlaf zu erwecken.

„Und du sagtest, du fühlst etwas Andersartiges in diesem Gebäude?“, meinte der Krieger.

„Genau“, murmelte der Junge und schloss kurz die Augen. „Irgendwie vertraut oder so…“ setzte er hinzu und öffnete die Augen dann wieder.

Omneyon reagierte nicht weiter darauf, sondern stiefelte mit groben Schritten weiter. Wie auch immer, die Kreaturen des Bösen zu beseitigen hatte im Augenblick Priorität. Um das ungewöhnliche Licht konnte man sich später auch noch kümmern. Wenn es was Besonderes war, würde es warten müssen.

„Interessiert Euch das nicht?“, fragte Elyan und tapste mit gesenktem Blick hinter seinem Meister her.

„Nein, tut es nicht. Du weißt genau, dass wir uns um Nebensächlichkeiten nicht kümmern sollten, wenn Seelensauger in der Menschenwelt umherirren.“

Der Junge presste seine rosa Lippen aneinander und schwieg. Irgendwie… aus irgendeinem Grund war ihm deswegen mulmig zumute. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, aber auf Kinder hörten die meisten Wächter eben nicht.
 

Sein Ziel im Visier tapste der umhüllte, ungesehene Kämpfer weiter, würde den Tod bringen und unbemerkt verschwinden wie an anderen Orten vorher. Er war ein Feuerteufel, gewiss, aber er war nicht bösartig. Das war seine Rechtfertigung vor sich selbst und das reichte ihm.
 

Gemeinsam tapsten sie eine Treppe hinunter in eine Tiefgarage, Elyan immer hinter seinem Lehrer, versteckt hinter dessen breitem Rückgrat schien es, als wäre er gar nicht anwesend.

„Sobald etwas nicht stimmt, hältst du dich zurück und bekämpfst die Seelensauger von weitem. Hast du verstanden?“ Der Junge nickte. Er war aufgeregt, natürlich war er das. Er hatte zwar seit er denken konnte den Umgang mit dem Bogen geübt und gelegentlich erlaubte ihm Omneyon sich an einem Holzschwert auszuprobieren, aber er hatte noch nie einem richtigen Kampf beigewohnt und er hatte die Seelensauger, wie man sie nannte, noch nie mit den eigenen Augen sehen können. Die Alten, die ihn den Bücherunterricht gaben, erzählten gelegentlich etwas von diesen abartigen Geschöpfen, die unterschiedliche Formen haben konnten. Man erzählte sich, sie wären so etwas wie verfluchte Wesen, die keine Seele besaßen und sich diese aus Sehnsucht von den Menschen holten. Aber eine Seele würde niemals genügen, so hieß es.

„Und nutze deine Magie nicht so verschwenderisch wie gelegentlich, so lange du mit körperlicher Kraft arbeiten kannst, ist das sicherer.“

Elyan nickte erneut, hatte es eh keinen Sinn seinem Lehrer zu widersprechen. Er hatte es einmal versucht und das hatte ihm einen finsteren Blick und noch finsterere Worte eingebrockt.
 

Endlich erreichten sie die veraltete Tiefgarage. In dumpfem Licht gehalten wirkte sie wie ein Verließ. Und hier und da flackerte eine der modernen Beleuchtungen, trugen nur noch mehr zu der Atmosphäre bei, die jenem Ort innewohnte. Elyan fröstelte, nicht wegen dem Regen seines kleinen Mantels, sondern wegen dem Bösen, welches er hier spüren konnte.

Sorgsam und ihre Waffen bereithaltend schlichen die beiden weiter, bis sie umzingelt von Lastkraftwagen, beide etwas spürten. Eine Tür fiel zu und zwei Menschen tapsten unbesorgt und fröhlich an den Kämpfern vorbei, musterten beide noch mit obskuren Blicken, aber stiegen in ihren Wagen und fuhren davon. Weitere Türen fielen zu, doch diesmal war es Omneyon, der jene steuerte und jene sogleich unpassierbar machte. Und nur ein Gedanke, ein Gedanke und sein Vorhaben erledigten diese Aufgabe.

Es folgte ein Zischen, eine Absonderlichkeit, die Elyan und Omneyon anwiderte und belehrte auf der Hut zu sein. Noch ein Zischen und etwas, was sie beide nur fühlen konnten, raste an ihnen vorbei, hiterließ einen Geruch nach Salpetersäure. Ein Gewürz des Todes…
 

„Geh!“, rief Omneyon in einem Anfall von Wahn und Einsatz seinem Lehrling zu, worauf jener die Beine unter die Arme nahm, irgendwo hin rannte, sich in einer Ecke versteckend, seinen Bogen bereithaltend. Ihm lief der Schweiß in die Augen, weil er noch nie eine solch packende Angst und Aufregung gefühlt hatte wie heute. Aber er fühlte noch mehr, er kam sich so unkonzentriert vor. Er war hier sicher versteckt und doch besorgte ihn etwas, tief drin. Er hatte dieses Gefühl schon mal erfahren, als er ein verletztes Tier zu Omneyon trug, in der Bitte, es zu heilen. Aber anstatt es zu heilen, hatte der Lehrer dem jungen Fuchs den Kopf abgeschlagen. Da entstand dieses Gefühl von Schmerz und Wut. Später hatte Omneyon gesagt, der Fuchs hätte keine Chance gehabt um zu überleben und zum anderen meinte er, die Erfahrung eines solchen Gefühls hätte seinem Schüler gut getan.

Nun aber hatte Elyan das Gefühl erneut, er wusste nicht wieso, aber es war da und es war so ähnlich wie damals, nur stärker. Er kniff die Augen zusammen, hielt den Kinderbogen, der mit ihm altern und wachsen würde, in den Händen und sprach ein paar Worte in der alten Sprache seines Volkes.
 

Die Geschöpfe waren hier irgendwo, versteckten sich zwischen den verschiedenen modernen Fahrzeugen und hinter riesigen Säulen. Und auch wenn man sie nicht sehen konnte, ihr Geruch, ihr Willen und ihre Blicke waren für den Krieger spürbar. Es waren etliche, die sich hier aufhielten, einige schlichen bereits auf Beutejagd in dem ganzen Gebäude umher, wo Hunderte Menschen nichts Böses ahnten.

Aber warum waren es nun so viele? Spürten die Biester etwas anderes, was sie anzog? Und wenn Omneyon Pech hatte, würde er auf die stärkste Sorte Seelensauger treffen, die es in ganz Allanja- seinem Heimatland- gab.
 

Es zischte nun ständig um Omneyons stattlicher Gestalt. Mit einer eleganten Bewegung entledigte er sich seines Mantels, zog das Schwert, welches er sonst immer an einem Gürtel, festgeschnallt an seiner Hüfte trug.

Das Schwert summte bereits, noch bevor Omneyon daran dachte es zu benutzen, es sang so hell und klar wie eine sterbende Fee, die ihr Letztes der Welt schenkte. Er schwang es einmal, testete die Gefahr, entlockte den unsichtbaren Biestern ein Brüllen und Fauchen und er schwang es immer wieder. Wie in einem wunderbaren Fest der Auferstehung von Magie und Erlösen tanzte die Waffe mit ihrem Meister und wenn man gute Augen besaß, konnte man bereits jetzt schon dünne glutrote Fäden sehen, die die Luft erfüllten. Und wenn man mit guten Ohren lauschte, hörte man es knistern und knacken wie Feuer, welches in einem Kamin brannte.

Etwas kam auf Omneyon zu, näherte sich ihm hautnah. Einer der Wesen überschritt die Grenze und alles, was geschah, war ein Zünden, ein Funken, der seinen Nährsaft gefunden hatte. Eine Stichflamme erstrahlte, augenscheinlich aus dem Nirgendwo, augenscheinlich gewöhnlich. Und in einem Augenblick war der Seelensauger sichtbar, den Omneyon nun vernichtete. Es waren froschähnliche Wesen, groß gewachsen, mit Fell, und aufrecht gehend.

Und der Schwertfechter kannte jene. Sie waren die Schlimmste Sorte der Seelensauger überhaupt und die gefährlichste. Sie wuchsen schnell, hatten übermenschliche Kräfte und erst einmal voll ausgewachsen war das alte Feuer der Drachen die einzige Quelle, sie noch zu vernichten.

,Die Fesselnden!‘, erklang es warnend in Omneyons Kopf. Ausgerechnet diese! Zum Teufel! Weitere der Wesen spürte er in seinem Genick und in einem Anflug von Wissen und Vorsorge wirbelte der Kämpfer sein Schwert einmal umher und entfachte weitere Flammen.

Weitere Wesen erkannte er, fühlte ein ganzes Nest von ihnen ausbrechen und konnte schon nicht mehr alle jener Geschöpfe orten.
 

Mit leichtem Entsetzen in den Augen sah er um sich. Ein einziger Wächter würde nicht ausreichen um diese Armee von Fesselnden zu besiegen. Es waren zu viele, es schien fast so, als würden sie sich hier versammeln. Und die wenigen, die sich nun in der Tiefgarage tummelten waren nichts um Vergleich zu den größeren, ausgewachseneren, die sich oberhalb des Gebäudes näherten.

„Bei den alten Drachen, hier stimmt etwas nicht“, brüllte Omneyon, schwang das Schwert um sich als wäre es lebendiges Feuer, welches er in seinen Händen hielt. War es das, was sein Schüler vorhin gemeint hatte. Zum Teufel!

Er hetzte umher, vernichtete die Seelensauger mit einem Schwarm seines geheiligten Feuers, welches wie von Geisterhand umher loderte und folterte und dann ließ der Krieger, in einer Minute der Ruhe, die dampfenden weißen Schwaden aus seinen Augen quellen, ließ jene Elyan orten, und entdeckte ihn sogleich.
 

Weitere der Seelensauger fielen dem Feuer zum Opfer, doch nun war das Feuer in der Tiefgarage am Eingehen. Und die Tiefgarage schien gereinigt.
 

„Elyan?“, donnerte die starke Stimme des Kriegers umher. Trübsinnig kam der Junge angestapft und hatte mehr als Kummer in seinen blauen Augen. Er hatte das Feuer und die wahnsinnigen Bestien gesehen, und hatte Angst empfunden. Dabei wusste er, dass er nicht ohne Grund erwählt wurde, einer der Wächter zu sein, die diese Wesen bekämpften und die die alte Quelle der Drachen beschützten.

Er würde mächtig genug sein, um die Aufgabe zu erfüllen, aber… war das alles überhaupt richtig?
 

„Ich bin da, Meister Omneyon“, murmelte er und schaute dann auf. Es war eines der ersten Mal, dass er seinen Meister so gehetzt und außer Atem erlebte.

„Wir müssen nach draußen. Dieses Gebäude der Menschen ist verseucht. Es hat keinen Sinn die Fesselnden einzeln zu vernichten!“ Der Krieger hob sein Haupt und begann etwas zu flüstern, was der Junge als magischen Spruch erkannte und plötzlich standen sie beide wieder in dem kühlen Regen außerhalb. Der Regen brachte eine ungeahnte Heilung und ein sanftes Wohltun über Elyan. Er war kühl und angenehm im Vergleich zu den wütenden Flammen und der Vernichtungsgier seines Lehrers.

„Was habt ihr nun vor?“, sprach der Junge und schaute mit großen Augen in die eisigen Omneyons. Unberechenbar kalt wirkten sie nun und doch glühte etwas darin, was noch schlimmer schien.

„Vernichten…“, sprach er ruhig und musterte seinen Schüler.

„Nein, das könnt Ihr nicht. Es muss einen Grund geben, dass diese Bestien hier sind. Hier ist irgendetwas, was auch für uns von Interesse sein könnte!“

„Du sollst deinem Lehrer nicht widersprechen!“, fuhr der Kämpfer den Jungen an und schnipste mit den Fingern und es war da, dass der Achtjährige wie von Geisterhand nach hinten gestupst wurde, sei es um ihn zu schützen, sei es um ihn von dem Ort fern zu halten. Es war unwichtig. Er würde im Moment im Weg stehen. Wie erstarrt saß Elyan viele Meter weit weg. Die Kapuze war von seinem Kopf gerutscht. Und sein ansehnliches Kindergesicht leer und ausdruckslos…
 

Der Krieger jedoch mit dem pechschwarzen Haar, der in einer Menschenmenge unter zu gehen schien, schloss die Augen und konzentrierte sich. Ein Wind umhüllte ihn, ließ den Regen verdampfen, der sich um ihn sammelte und machte die Luft beißend.
 

Und als die ersten Menschenschreie ertönten, Schreie des Entsetzens und der Qual, war die Welt verändert. Etwas Böses und Gutes wurde geschändet. Alles blieb im Gleichgewicht, so wie die Altes es bestimmten.
 

Und alles, was blieb war ein Meer aus Flammen. Eine wahnsinnige Symphonie bestehend aus menschlichen Schreien hallte umher und hallte aus dem Gebäude, wo das Feuer der alten Drachen wütete…

Kapitel 1

Arianas Welt war nie im Gleichgewicht. Jene war nie einfach…

Umgeben von ihren eigenen Monstern, absurden Vorstellungen vom Diesseits und den Welten fern abseits, hatte sie geleugnet, was im Leben Wahrheit sein sollte, was Leben an sinnerfüllten Genuss und auch tieferen, sehnsüchtigeren Gefühlen mit sich bringen konnte. Sie war nur ein verwünschtes, hässliches Kind in der einen großen Welt, die aus vielen Greisen bestand.

Manchmal fühlte sie sich so reich wie die Natur, die sie umgab. Die Erde mit ihren natürlichen Gesetzen, ihrer Grenzenlosigkeit, die doch so abrupt enden konnte, dass es sie schmerzte. Und manchmal war die Welt klein und unbedeutend, einsam und leer…

Sie liebte die Phantasie, verehrte die Feen, geboren und gestorben in alten Wäldern, konnte sie jene spüren, wollte jene singen hören und deren Glückseligkeit mit ihnen teilen. Sie liebte den kristallenen Regen, schmolz an reinen Sonnenstrahlen, die der feurige Himmelskörper niederschickte. Und mehr als dies erfreute sie sich an dem farbigen Regenbogen, wo Kobolde ihre Goldtöpfe versteckten. Und es war mehr als einmal, dass sie versuchte an einem Regenbogen hinaufzuklettern.

Mit einer tiefen Freude, die selten ein menschliches Wesen empfinden, hauchsanft an sich kommen lassen würde, genoss sie die Blütenblätter, die im Frühling von den Laubgeschöpfen fielen. Dort in ihrer Heimat, der geheimen, unschuldigen Welt am Ende der jetzigen, sterblichen.

Ihre ganze Zuneigung, bodenlos tiefe Liebe, galt dem Meer der Fantasie, dem zauberhaften Erinnern an etwas so Geheimes, so Stolzes. Nicht fassbar in Worte, nur fühlbar mit einem Antlitz, welches sich von der Menschenwelt unterschied. Sie war ungewöhnlich, sicherlich, aber sie war sie selbst. Frei und sehnsüchtig. Unschuldig und gewiss, für einen liebenden Menschen, nicht einfach…

Wenn ihre Seele lachte, wenn sie strahlte mit einem so unschuldigen Gesicht, würden vielleicht auch die Elfen tanzen und der Wind seine Magie verkünden. Sie lebte. Sie genoss. Sie war die eine… Besitzerin tiefer, unverständlicher Lebensfreude…
 

Doch, so wie die Zeit dahinschwand, starb mit jeder Sekunde etwas anderes in ihrem Inneren. Ein buntes Laubblatt, welches in Asche zu Boden fiel, würde niemals genug sein, um ihre sehnsüchtige Welt am Leben zu halten. Die Engel in den Lüften, silbrig schimmernd, freundlich lächelnd, würden vielleicht niemals eine Hand nach dem menschlichen Wesen ausstrecken, welches sie war. Und dieser Gedanke schmerzte…

Menschlichkeit schmerzte…

Ihre geheime Welt war so kompliziert gestrickt, dass sich niemand bemühte jene Welt nur ansatzweise zu verstehen.

Und an einem Tag… schlief diese Welt endgültig ein… sie endete und sie selbst, das Mädchen ohne Gefühl, ohne Herz aber mit Sinn für ein größeres Verständnis vom gewöhnlichen Leben, bemerkte es nicht einmal…

Sie spürte nicht ihre Kälte, die sich in Form von dunklen Gedanken über sie legte. Sie bemerkte nicht, dass sie sich veränderte, dass sie diese eine Welt vermissen würde…

Sie vergaß. Und sie fürchtete sich mehr als alles andere… vor dem Erinnern…

Ihr Gesicht war nicht mehr dasselbe. Die Besitzerin von tiefsinniger Lebensfreude hatte ihren eigenen Glauben, ihr Licht und was am sichtbarsten war, ihr Lächeln vergessen…

Sie hatte noch ihre Träume, aber tief darin verankert sah sie das eine nicht mehr. Das eine winzige Stückchen Glück, leise und wunderschön war es, versunken und heilig. Ein Stückchen Glück in Form von Nähe, Wärme, Zuneigung und unstillbaren Gedanken an Genuss und Ehrfurcht.
 

Wenn sie durch den goldenen Wald wandelte, der sie erinnern wollte an ihr wahres Gesicht, ignorierte sie den Ruf ihres eigenen Herzens, weil sie sich fürchtete. Und wie oft war es in den Wäldern, dass man sie rief, dass dort eine Stimme wartete, die ihr sagen wollte, finde zurück, finde mich und lass dich finden…
 

,Lass’ dich finden…‘
 

Ein Gedanke an Zuhause und eine Welt in Tränen. Drei Worte begleitet mit einem Gefühl bestehend aus verlorener Harmonie und trauriger Aufrichtigkeit.
 

,Lass‘ dich finden…‘
 

Und manchmal im Geheimen, in den stillen Kämmerchen ihres Heimes, in der Einöde der sterblichen Menschenwelt wollte sie glauben, dass jene Worte wahr wären. Gesprochen von dem ihren Verlangen wünschte sie sich deren Existenz.

Es würde der Tag kommen, an dem sie gefunden wurde. Von geheimen Zauberern, von Kindern, die noch lachen konnten, von einem Wesen, welches ihrem glich, von dem Märchen, welches sie auf ewig band. Sie würde gefunden werden, auf eine Weise wie niemand sonst gefunden wurde. Und ihre reine Seele, das strahlende Kind in ihrem Inneren, das goldene Wesen mit gerissenen Engelsflügeln sollte wieder lächeln und fliegen können…
 

Aus dieser Hoffnung bestand ihr Leben Tag ein Tag aus. Sie war so reich, so wunderbar und einzigartig. Eine Hoffnung, die niemals starb, aber ewig auf Erfüllung wartete.

Das Mädchen alterte, wenn nicht äußerlich, dann innerlich. Das Mädchen vergaß immer mehr und behielt doch irgendwo in ihrem traurigen Herzen diese schier unbegreifliche Hoffnung auf unendlich Gutes, auf vergebenes Glück.
 

Sie würde nicht vergessen werden, jene Welt im Geheimen. Sie würde niemals vergessen werden, aber ruhte, um erneut zu erwachen…
 

,Erwache… auch… für mich…‘, summte es in ihren Träumen, die nicht blieben.
 

,Erwache…‘
 

Und wie bei jedem Erwachen schlug das Mädchen hastig, ja ruckartig ihre Augen auf…
 

Das Erwachen am Morgen war immer dasselbe…

Die wärmenden Morgenstrahlen würden über das winzige Dachfenster in das spärlich eingerichtete Zimmer dringen, in welchem sie ihr Dasein fristete.

Dann würde wie an jedem gewöhnlichen Morgen ihr Wecker quietschend klingeln und ein unsägliches Geräusch sollte die angenehme Stille vertreiben, die das Zimmer so friedvoll machte. Sie würde ihre trüben Augen ein weiteres Mal öffnen, sich an eine fast schlaflose Nacht erinnern, in der leidenschaftliche Geschichten eines alten Zeitalters durch ihren Kopf geisterten und sie nicht schlafen ließen. Bilder von blutrünstigen Wesen mit Fell und froschartigem Körperbau, Klauen, an denen getrocknetes Blut hing. Schlachtfelder, wo stattliche Krieger kämpften, deren Edelmut und Kühnheit wie wilde Flammen in ihren Augen loderten.

Dann sah sie jede Nacht Welten fern abseits, sah stolze Berge, die wie eine gewaltige, einrahmende Kette ein golden schimmerndes Tal umrahmten. Und in diesem Tal fiel der Regen… blau war er… so blau wie das weite Meer.

Eine Welt, die sie zu Tränen rührte, wann immer sie ihr begegnete. Sie war heilig…

Sie war bedeutsam, wenn auch nur eine Phantasie…
 

Da war soviel Wahnsinn in diesen Vorstellungen; soviel Erstaunen und Fassungslosigkeit weckten diese aufregenden, wenn auch grauenhaften Vorstellungen in ihr, dass sie sich selbst fürchtete. Aber es war ihr Lebenselixier…

Es war ein Saft, der sie hinderte auszutrocknen, in einer grausamen Menschenwelt, wo viele Bedürfnisse totgeschwiegen werden mussten.
 

Und dennoch…

wenn der Tag anbrach, schwiegen diese Bilder wieder, sie wurden nebensächlich, wenngleich sie ständig in ihrem Hinterkopf herumgeisterten.
 

Und wie jeden Tag würde sie sich aus den warmen Bettlaken erheben, sich strecken, sich mit dem Morgen herumquälen, weil es- wie es für einen depressiven Menschen gehörte- nichts gab, das motivierte und Freude bereitete…

Obwohl… War sie wirklich depressiv? Vermisste sie nicht nur etwas Sinnhaftigkeit?

Und mit diesem hoffnungsvollen Gedanken, tapste sie in das veraltete, häufig unsaubere Badezimmer, welches in dem Korridor lag.

Als sie in das Zimmerchen trat, welches neben einer engen Dusche, nur ein abgenutztes Waschbecken und eine klappernde Toilette besaß, wurde sie sofort an das Umfeld erinnert, in dem sie wohnte. Es war ein kleines Umfeld, schon fast an der Armutsgrenze…

In diesem riesigen Haus wohnten nur ihr Onkel und sie…

Und sie war die einzige, die sich um die Ordnung kümmern konnte und sie schaffte in dem dreistöckigen Mehrfamilienhaus- ihr Onkel hatte es geerbt- nun wirklich nicht alles allein.
 

Und die spärliche Hygiene, der Mangel an neuen Dingen in jenem Haus belehrten sie einmal mehr darüber, was sie war, wie sie von anderen jungen Menschen gesehen wurde.

Altmodisch.

Dumm.

Unwichtig…
 

,Unwichtig‘, dachte sie. ,Genau.‘
 

Sie bereitete sich auf den Tag vor, duschte, putzte Zähne und grübelte über ein paar alberne Schularbeiten nach, die jedoch innerhalb von Sekunden nicht mehr in ihrem Interesse lagen.

Ihre blauen Augen, trübsinnig und leer, wanderten zu dem Spiegel, der etwas wiedergab, was sie erschreckte.

Versteckt liegende Augen, die nicht mehr richtig sahen.

Ein blasses ausdrucksloses Gesicht, kühl und bedrohlich wie der Tod. Verziert von vergangenen Grausamkeiten gestattete ihre Haut keinen lieblichen Anblick.

Und umgeben von dieser Kühle und Trauer, die aus ihrem Gesicht wühlte, hing kastanienbraunes Haar, ungepflegt, zerzaust, fettig- weil es sich für sie nicht lohnte es zu waschen. Sie sah so oder so unwichtig und hässlich aus…

Sie kämmte es kurz, und begann die hüftlangen Haare einfach und unordentlich zu einem Zopf zu flechten, klemmte jenen ab, zog sich ausgewachsene Jeans und weithängenden Pullover über ihren ohnehin dürren, siebzehnjährigen Körper und nahm dann den nächsten Schritt dieses morgendlichen Rituals auf sich.
 

Sie gähnte, ließ ihre Schultern hängen und setzte die Brille auf, die sie von ihrem Onkel geschenkt bekommen hatte. Sie sah zwar nicht viel besser mit diesen Gläsern, aber immerhin ein wenig, sodass es reichte…

Sei seufzte… einmal mehr… und zwang sich dazu ihr entstelltes Gesicht anzuschauen, betrachtete sich einige breite Narben, die von einem Unfall geblieben waren. Sie konnte sich an die Katastrophe nicht mehr genau erinnern, in welcher sie verwickelt war, und sie wollte es auch nicht. Es lag viele Jahre zurück, das Feuer, der Alptraum.

Ein paar Bilder waren da aber noch, die manchmal wiederkehrten, die sich gelegentlich nicht abstellen ließen.

Hellloderndes Feuer. Gefährlich und fressgierig, als hätte es ein Maul.

Schreiende Menschen, die nichts tun konnten um sich zu retten.

Und ein Licht… ein kühles Licht in der Hitze und der Asche war da gewesen. Es strahlte sehr hell, und es beruhigte sie, ließ sie in jenem Feuerkessel die Ruhe bewahren.
 

Sie war umhergeirrt zwischen verbrannten und bewusstlosen Menschen in einer öffentlichen Einkaufspassage. So lange, wie sie konnte, hielt sie damals die Augen geöffnet, folgte jenem kühlen Licht und es dauert nicht lange, da hatte sie das Licht weggetragen, irgendwohin geführt und dann erinnerte sie sich an nichts mehr, nur daran, dass sie in einem Krankenhaus mit Verbrennungen leichten bis schweren Grades aufgewacht war.

Aber sie lebte und das war ein Wunder für einige.

Und ein Wunder für sie…

Das Licht, still und geheimnisvoll in dem Feuer, hatte sie gerettet. Und seitdem war ihr Leben nicht mehr dasselbe. Sie war reifer geworden, wusste mit Ereignissen in der Welt anders umzugehen, schaute zwei oder dreimal hin, wenn etwas für sie neu war, und hörte zwei oder dreimal mehr zu…

Und gelegentlich sah sie dieses Licht in ihren Träumen, spürte einen leichten Zorn, Wagemut, aber auch wahnsinnige Zuversicht an diesem Licht…
 

Es war für sie ein Grund an Außergewöhnliches zu glauben. Und die Erinnerung an jenes Licht würde nie vergessen werden…
 

Man hatte damals von Brandstiftung gesprochen und später hieß es, es wäre ein Attentat gewesen. Die Leute hatten sich das Maul zerrupft um dieses Ereignis und bis heute war es nicht vollkommen geklärt. Bis heute wusste man nicht, wo der Brandherd lag. Bis heute gab es keine Verdächtigen, keine Schuldigen. Es gab nur die Erinnerung an die vielen Toten und dieses Mädchen, welches überlebt hatte.
 

Aber sie wusste, dass dieses Ereignis ihr Leben kaputt gemacht hatte.
 

Sie war die einzige Überlebende gewesen, und vielleicht schauten sie deshalb einige Leute in der Stadt so seltsam an, mieden den Blick zu ihr, wenn sie sie direkt anschauen wollte, wechselten die Straßenseite, oder sahen mit Mitleid in den Menschenaugen in ihr entstelltes Gesicht.
 

Einmal mehr sah sie in den Spiegel und hielt plötzlich nicht länger an sich.

Sie schlug mit der blanken Faust an den Spiegel. Sicherlich, sie hatte überlebt und sie hatte etwas Mystisches erfahren, etwas, was sie mit niemandem teilen konnte. Aber was hatte sie davon, dass sie überlebte? Sie war entstellt, ein Kind, ein lächerliches Kind…
 

Es war jeden Morgen so, sie war den Tränen nahe. Konnte sie sich nicht einfach mit ihrem Schicksal abfinden? Damit abfinden, wer sie war…
 

Und so trampelte sie aus dem Badezimmer hinaus, auf direktem Weg in die Küche, wo ihr Onkel- eigentlich nicht ihr richtiger Onkel- wie immer das Toastbrot verkohlen ließ. Er war ein einfacher Mann, Mitte vierzig, und dennoch einer der wenigen herzensguten Menschen, die sie kannte. Es war ewig her, dass er sie zu sich genommen hatte, da er ein Freund ihrer Mutter war. Ihre Mutter, die sich nie um sie gekümmert hatte, von der sie nichts wusste.
 

Ihr Onkel las gerade die Morgenzeitung und saß wie an jedem gewöhnlichen Morgen in seinem Lieblingssessel, der sogar einen Ehrenplatz in der Küche des Hauses hatte.

Ein zaghafter Versuch eines Lächelns huschte dem Mädchen über das Gesicht, als sie in die unaufgeräumte Küche trat und als erste Amtshandlung das verkohlte Toastbrot in den Mülleimer warf. Gerade da lugte der ältere, stämmige Mann mit seiner Halbglatze über den Zeitungsrand und musterte sie mit seinen schokoladenbraunen Augen. Verwunderung stand in seinem Gesicht und wie auf der Suche nach des Rätsels Lösung blickte er hinüber zu dem alten Toaster, dessen Tasten häufig klemmten.

„Du hast das Weißbrot wieder vergessen, Onkel Lyssardt…“, sprach das Mädchen und hob ihre beiden braunen Augenbrauen.

Er grinste wie immer. Die vielen Falten in seinem runden Gesicht gaben sich preis, wenn er so grinste, aber es war ein herzliches Grinsen. Er hob eine Hand und fuhr sich damit durch das wenige Haar seines Hinterkopfes. Dann kniff er die Augen verspielt zusammen.

„Oh, ich weiß wohl, dass du immer darauf achtest“, lachte er und deutete auf den freien Platz ihm gegenüber, wo eine Tasse warme Milch stand. Wie auf Befehl setzte sie sich und versuchte zu lächeln. Ihr Onkel war der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte, der einzige vernünftige, wie sie manchmal dachte.

„Ich hab gestern sogar Honig von der Nachbarin bekommen“, riss er sie aus ihren Gedanken. „Ihr Mann hat noch Unmengen von Gläsern übrig, die sie nicht verbrauchen.“ Dann lächelte er und zeigte mit der Hand auf das unbeschriftete Glas. Es freute sie ein wenig; und so belud sie eine Scheibe ungetoastetes Weißbrot mit dem Honig und biss genüsslich hinein.

Derweil erhob sich Lyssardt und kramte zwischen den Briefen umher und zog einen bestimmten heraus, der an das Mädchen ihm gegenüber andressiert war.

„Heute ist ein Brief für dich gekommen, aber es steht kein richtiger Absender darauf. Hier!“ Und damit schob er das Schriftstück über die Tischplatte.

Merkwürdig, dachte sie. Sie bekam doch nie Post. Wer sollte ihr überhaupt schreiben?

Dann las sie die unsinnigen Worte auf dem Absender. ,An mich selbst…‘ Sie wischte sich den restlichen Schlafsand aus den Augen und las das Geschriebene noch einmal. Aber der Brief war tatsächlich an sie adressiert.

,Was war das für ein dummer Streich?‘, fragte sie sich, öffnete den Brief verärgert, aber fand darin nur ein leeres, weißes Blatt Papier. Was sollte das? Verärgert knüllte sie den Brief zusammen und dachte ungewollt an einige Jugendliche, die gelegentlich solche Dummheiten ausheckten. Warum war bloß immer sie diejenige, die solche Verwirrung stiftenden Dinge abbekommen musste? Dann sah sie auf, verwundert, weshalb ihr Onkel angesichts des merkwürdigen Absenders kein Zeichen Überraschung zeigte.

,An mich selbst.‘
 

Sie schüttelte den Kopf und ließ den Brief auf dem Tisch liegen. Dann tapste sie zu ihrem Rucksack, der in der Küche stand.

„Das war wieder nur… ein dummer Scherz, nichts wichtiges…“, sprach sie finster und nahm den Rucksack auf ihren schmalen Rücken. Sie stand mit dem Rücken zu dem Mann, der sie aufgezogen hatte und ahnte, dass er noch etwas sagen wollte. Eine unangenehme Pause entstand.
 

„Ariana…“, meinte Lyssardt dann. „Wie lange willst du dich denn noch verkriechen?“

Sie hatte es geahnt. Seit Wochen und Monaten hatte der ältere Mann gemerkt, dass es ihr nicht sonderlich gut ging, dass sie sich verkapselte, in ihre eigene kleine Scheinwelt zurückzog.

„So lange…“ Sie hielt kurz die Luft an, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte. „… es nötig ist…“ Dann biss sie sich auf die Unterlippe.

„Du bist siebzehn Jahre alt, bald erwachsen…“, meinte er dann und trat auf seine schweren, abgenutzten Beine.

„Ja, Onkel…“, erwiderte sie verärgert, aber drehte sich nicht um.

„Geh‘ hinaus… entdecke das Leben…“ Er konnte leicht reden, dachte sie. Wohin sollte sie gehen, wenn sie von den meisten Menschen merkwürdig gemustert wurde, als ob sie ein Alien wäre.

Sie ballte unbewusst die Fäuste. „Dann sag‘ mir… sag‘ mir, wohin ich gehen soll!“ Ihre Stimme erhob sich, ihre kleinliche, zarte Stimme, auch nur um wieder zu verstummen.
 

Sie hatte keine Freunde, nur solche, die die Hausaufgaben von ihr abschrieben, solche, die hinter ihrem Rücken sehr gern lästerten. Einst dachte sie, sie hätte so etwas wie eine Freundin. Jemand, dem man alles erzählen konnte. Jemand, mit dem man etwas teilte, was verband. Aber je älter sie wurde, umso mehr verstand sie von den gefährlichen Persönlichkeiten und den Intrigen, die manchen Menschen innewohnte. Menschen veränderten sich, manchmal nicht zum Guten…
 

Ihr Onkel stand plötzlich hinter ihr und legte eine Hand auf ihre magere Schulter. „Ariana, du bist etwas besonderes, vergiss‘ das nicht. In dir schlummern so viele Talente.“

Sie nickte, aber der skeptische Ausdruck in ihren Augen blieb bestehen. Sie wollte es wirklich glauben… nur war es nie so einfach. Ja, sie hatte Talente. Sie war eine Träumerin, deren Herz über eine Phantasie verfügte, die viele Menschen gerne teilen würden. Und sie hatte ihre Wege jene Phantasie um zusetzten. Manchmal malte sie Bilder… manchmal schrieb sie Geschichten.

„Diese Welt vergisst so viel, Ariana. Ich glaube daran, dass es Wege gibt, die niemand mehr beschritten hat. Ich glaube, dass es hinter dieser Welt Geheimnisse gibt, die nur bestimmten Menschen bestimmt sind. Und ich glaube noch immer… dass wir Menschen vergessen haben, dass es andere Dinge gibt, wofür es sich lohnt zu leben…“ Ariana lächelte mit Traurigkeit in ihren Augen. Dann drehte sie sich zu ihrem Onkel um.

„Du bist so ein herzensguter Mensch, danke, Onkel“, sagte sie, schnappte sich ihren und war aus der gemütlichen Küchenstube verschwunden. Ihr Onkel sah aus dem Fenster und beobachtete das Mädchen die Straße hinunter laufen. Eine große Tasse Kaffee in der Hand, murmelte er: „Ja… du besitzt mehr Macht, als du dir jemals vorstellen kannst…“

Dann zog er die Vorhänge zu, und der stämmige Mann war vom Fenster verschwunden…



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  influenza
2009-10-09T14:41:02+00:00 09.10.2009 16:41
So einfülsam, wie du schreiben kannst! Verrückt, man könnte meinen, du kennst diese Person wirklich ;)
Ich bleib dran und freu mich auf das nächste Kapitel!

P.S. ganz zu Schluß hast du im vorletzten Absatz (nach Arianas gespräch mit ihrem Onkel) ein Wort vergessen: "„Du bist so ein herzensguter Mensch, danke, Onkel“, sagte sie, schnappte sich ihren und war aus der gemütlichen Küchenstube verschwunden.".
lg
Von:  Silver_Eye
2009-03-23T17:48:16+00:00 23.03.2009 18:48
Was für ne spannende Geschichte. Richtig gut in einem für mich epischen Stil geschrieben. Du hast dafür wirklich ein Talent. Tja wer hat, der hat was?^^
Von:  _Fujiwara_No_Sai_
2008-10-09T20:20:43+00:00 09.10.2008 22:20
oha...na das geht ja mal ab...
*staun*
weiter so!
Lg Fuji


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