FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 54: Nibelheim --------------------- Kaum etwas auf ganz Gaia wurden so viele Beschreibungen zugeordnet wie dem Begriff „Zeit“. Für manche war sie `tröstend´, wieder andere hätten eher `unbarmherzig´ gewählt. `Unaufhaltsam´, `allgegenwärtig´, `ungreifbar´ ... Sie verging und niemand, nicht einmal die mächtige Electric Power Company, konnte etwas dagegen tun. Die verstreichende Zeit zog die Welt mit sich wie ein Entwicklungen vorantreibender Motor. Ereignisse fanden statt. Manche waren nachvollziehbar, andere gaben Rätsel auf, manche betrafen andere Personen, viele wurden zu ganz persönlichen Angelegenheiten. Sephiroth sah sich mit einer wilden Mischung konfrontiert. Eigentlich hätte er arbeiten müssen, aber seine Gedanken beschäftigten sich mit allem außer den Papieren auf seinem Schreibtisch. Seit Hiwakos Tod waren Tage vergangen und Rufus hatte die ausgesprochene Prophezeiung wahr gemacht: Die Ausgangssperre für die Bevölkerung Midgars war nach wie vor gültig, gleichzeitig waren S-1 Einheiten dabei, die Solaranlagen zu entfernen – natürlich nicht mit der angebrachten Vorsicht. Sie hinterließen pure Verwüstung und somit zusätzliche Kosten, mit denen die betroffenen Haushalte irgendwie klarkommen mussten. Außerdem erledigten die S-1 Einheiten auch den Wiederanschluss an die Makoenergie. Gegenwehr gab es kaum. Die seit Tagen in ihren Häusern festgehaltenen Menschen wussten um die Sinnlosigkeit eines jeden Protestes und legten eine selbst für Sephiroth nachvollziehbare Mischung aus Angst und Ergebenheit an den Tag. Gleichzeitig hatte der Bau von neuen Makoreaktoren begonnen, die an exakt denselben Stellen wie die verschwundenen Exemplare errichtet wurden. Hier arbeiteten ausschließlich S-1 Einheiten. Sephiroth behielt sie und ihre Fortschritte mit Hilfe der über ShinRa Satelliten gelieferten Bilder im Auge. Die S-1 Einheiten legten ein mörderisches Tempo an den Tag. Sie schliefen nicht, sie aßen nicht, sie machten keine Pausen, sie ließen sich nicht einmal von den Witterungsverhältnissen oder dem Wechsel von Tag und Nacht beeinflussen. Sie arbeiteten. Ihr Verhalten hatte einen ganz bestimmten Verdacht in Sephiroth keimen lassen. Der General war sich noch nicht zu 100 % sicher, brauchte weitere Informationen - aber vielleicht war die eigentliche Schwachstelle dieser Monster doch größer, als erwartet. Parallel zu den neuen Reaktoren arbeiteten ShinRa Techniker und S-1 Einheiten an Verbindungen zu bereits bestehenden, weiter auseinanderliegenden Reaktoren zueinander, eine Taktik, die bisher nur in großen Städten eingesetzt worden war, beim Ausgleich eventueller Energieengpässe greifen und ab demnächst überall einsetzbar sein sollte. Insgesamt machten sich die Arbeiten bereits in stetig ansteigenden Makoverbrauchszahlen bemerkbar – und dem Herbst. Er kam praktisch über Nacht. Sicheres Zeichen für die neuen, bereits arbeitenden Reaktoren, oder war es nur die Stille vor dem Sturm? Aber Gaia hatte so viel Kraft gesammelt, weshalb unternahm sie nicht sofort etwas? Wartete sie auf etwas? Wenn ja – worauf? Oder war sie durch das Auftauchen der S-1 Einheiten verwirrt worden und entwickelte eine neue Strategie, die zu komplex war, um sich zeitgleich um die Makoreaktoren zu kümmern? Sephiroth wusste es nicht und es gab niemanden, den er hätte fragen können. Nicht einmal Aerith konnte Neuigkeiten berichten. Die Situation hätte sich jederzeit in jede nur erdenkliche Richtung entwickeln können und blieb somit ungreifbar und nebelhaft. Sephiroth schätzte diesen Zustand nicht, musste ihn aber vorübergehend akzeptieren. Was er weder akzeptieren konnte, noch wollte, war das Verhältnis zwischen sich und Cutter. Es hatte sich seit Hiwakos Tod verändert, und das auf eine Art und Weise, die Sephiroth nicht gefiel. Auch jetzt ging er die einzelnen Punkte gedanklich durch. Da gab es Cutters `Ich hasse dich!´. Niemals zuvor hatte sie etwas Ähnliches zu ihm gesagt. Sephiroth zweifelte nicht an der Ernsthaftigkeit ihrer Aussage, aber er kannte seine Freundin gut genug um zu wissen, dass diese Wortwohl nicht ihm als Person, sondern `nur´ seinen Vorgehensweisen galt. Im Grunde war es keine Überraschung. Cutter hasste alle Formen der Gewalt und versuchte immer, sie zu umgehen, indem sie Alternativlösungen lieferte – diesmal allerdings hatte er nicht darauf eingehen können und den Willen seiner Freundin übergehen müssen. Die Gründe, dessen war sich Sephiroth völlig sicher, hatte Cutter verstanden, aber es war ihr unmöglich, diese auch zu akzeptieren, und letztendlich lag in genau dieser unerreichbaren Akzeptanz ein Bruchstück des Schlüssels der nötig war, um mit der aktuellen Situation wenigstens einen Teilfrieden zu schließen. Was stattdessen existierte, war ein seelisches Trümmerfeld und etwas, das ... es fühlte sich an wie ein tiefer, dunkler Schacht irgendwo in Cutters Seele, der sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Er vermittelte Chaos und gleichzeitig pures Nichts. Niemals zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches bei seiner Freundin festgestellt – und er konnte es nicht definieren, denn alle ihre sonst problemlos auf ihn übergehenden Gefühle waren verstummt. Blockiert oder erloschen? Der General wusste es nicht. Was ihm blieb, waren die erneut durch das intensive Nachdenken über seine Freundin ausgelösten, intensiven Kopfschmerzen – und die dennoch klar vor ihm liegenden Fakten. Cutter hielt ihn auf Distanz und antwortete nicht einmal auf seine SMS oder e-mails. Sie besuchte ihn nicht mehr – und sie schlief nicht mehr bei ihm. Stattdessen hatte sie darum gebeten, vorerst auf keine Missionen mehr geschickt zu werden, sondern stattdessen an den aktuellen Schulungen teilnehmen zu dürfen. Cutter! Freiwillig! Mit dem eigens dafür vorgesehenen Dokument, und sie hatte es perfekt ausgefüllt! Mehr noch. Sie war bisher zu jeder Schulung pünktlich! Und als sei all das nicht schon seltsam genug, so gab es Punkte, die mindestens genauso beunruhigend waren: Die ihre beiden Flügel symbolisierenden Lichtpunkte an ihrem Rücken waren verschwunden. Dasselbe galt für das Licht in der Luna Lance. Sephiroth hatte intensiv darüber nachgedacht, ob dieses mittlerweile so vertraute Leuchten wirklich verschwunden war, oder sich auch für ihn unsichtbar gemacht hatte, war aber hinsichtlich Cutters restlichem Verhalten zu der Überzeugung gelangt, dass die erste Variante wesentlich wahrscheinlicher war. Im Großen und Ganzen deutete alles auf eine erschreckende Wahrheit hin. Aber doch nicht bei Cutter!, sträubte sich Sephiroth gedanklich. Jeder andere, aber doch nicht sie ... Andererseits ... vielleicht gerade sie. Aber wenn es so ist, warum redet sie nicht mit mir? Sie weiß doch, dass ich für sie da bin! Ich vermisse sie so sehr! Ich möchte ihr helfen! Aber vielleicht hat sie mit jemand anderem gesprochen? Jemandem wie ... Er griff zum PHS drückte die Schnellwahltaste Nr. 2, lauschte dem Klingeln befahl: „Zack, komm in mein Büro! Jetzt!“, und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, griff in die Innentasche seiner Uniform, nahm den Gegenstand heraus, öffnete den Deckel und betrachtete schweigend den Inhalt. Sephiroth hatte dieses einzigartige Objekt schon vor Wochen anfertigen lassen, aber noch hatte sich keine Möglichkeit ergeben, es zu überreichen. Er konnte nur hoffen, dass es nicht zu spät war. Der General seufzte leise verstaute das vorsichtig geschlossene Kästchen wieder in seiner Uniform – keine Sekunde zu früh, denn eben öffnete sich die Tür seines Büros. „Du hast nicht getrödelt“, kommentierte der General. „Du warst ziemlich deutlich. Dein Timing gehört trotzdem echt in den Papierkorb, Seph, ich stand gerade unter Dusche und bin noch ganz nass, guck!“ Er schüttelte den Kopf, dass die Tropfen in alle Richtungen flogen, konnte seinen General aber nur zu einem gänzlich desinteressierten: „Mach die Tür zu und setz dich!“ bewegen. „In exakt dieser Reihenfolge, oder darf ich mich auch erst setzen und dann versuchen, die Tür zuzumachen?“ Der General sandte ein warnendes Funkeln in Richtung des immer noch in der geöffneten Tür stehenden SOLDIERs und dieser beschloss, der Aufforderung einfach nur Folge zu leisten. Gleichzeitig fragte er sich, ob diesem Treffen ein offizieller oder inoffizieller Grund zuzuordnen war (der 1st war sich nämlich ziemlich sicher, in letzter Zeit nichts wirklich Absurdes angestellt zu haben – was mit ebenso großer oder größerer Sicherheit zeigte, dass es mal wieder höchste Zeit dafür war!), ließ sich betont entspannt in einen der vor dem Schreibtisch stehenden Sessel fallen, warf seinem besten Freund einen zu gleichen Teilen abwartenden, wie auffordernden Blick zu, und erhielt augenblicklich eine Antwort. „Zack, ich werde dir diese Frage nur ein einziges Mal stellen, und ich erwarte, dass du mir die Wahrheit sagst. Wenn du diesbezüglich ein Versprechen gegeben hast, das sich nicht mit meinen Wünschen deckt, verlange ich von dir, dass du es brichst! Das hast du verstanden! Gut. Hat Cutter in letzter Zeit mit dir gesprochen?“ „Nein.“ Zacks Stimme klang völlig ruhig, aber auf deren Grund brodelte Besorgnis. „Nicht ein Wort. Aber ... sie verhält sich seltsam.“ „Definiere seltsam!“ „Sie ist so distanziert. Sie antwortet nicht auf meine SMS oder e-mails, sie vermeidet einfach jeden Kontakt.“ Sephiroth nickte sachte. Er hatte so sehr auf eine andere Antwort gehofft, aber einmal mehr erwies sich sein Instinkt als richtig. Das einsetzende Schweigen ließ eine gewisse Ahnung in Zack aufsteigen. „Sie hat mit dir auch nicht gesprochen, oder?“ „Sie verhält sich mir gegenüber genau so, wie dir.“ „Ist sie sauer auf uns? Wenn `Ja´, wieso redet sie nicht mit uns?“ „Ich denke nicht, dass es so einfach ist“, antwortete Sephiroth fast sanft. „Deshalb wollte ich zuerst mit dir sprechen. Ich hoffte, sie hätte dir etwas gesagt.“ „Kein Wort“, versicherte Zack ernsthaft. Dann schüttelte er heftig den Kopf. „Da stimmt doch was nicht, Seph. Cuttie brütet nicht über ihren Problemen, Cuttie stürmt los, oft ohne Plan, aber das macht sie durch Begeisterung und Improvisation wieder wett. Die jetzige Version ... ist nicht sie selbst.“ Er schwieg einen Moment und fuhr dann leise fort: „Die Gesamtsituation wird sie bedrücken. Es war aber auch erschreckend viel in kurzer Zeit. Das G-Mako, dann dieser für sie so entsetzliche Tag in Midgar, Hiwako ... Ihre Psyche hatte kaum Zeit, sich zu erholen.“ „Du denkst, sie braucht nur etwas mehr Zeit?“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. „Wir laufen Gefahr, sie zu verlieren, Zack. An Hojo und Rufus und ShinRa - und an irgendetwas in ihr selbst. Sie spricht nicht mit uns darüber, aber irgendetwas gibt es da, ich kann es spüren. Was immer es ist, Cutter kämpft nicht dagegen. Sie hat sich damit abgefunden. Und“, fügte er mit wesentlich härterer Stimme hinzu, „ich werde rauskriegen, was es ist.“ „Kann ich helfen?“ „Ja. Komm mir nicht in die Quere!“ Gleichzeitig erhob er sich, griff nach Masamune und war nur Sekunden später auf den Gängen des HQ´s unterwegs, einmal mehr blind auf die Verbindung zwischen sich und Cutter lauschend. Sie fühlte sich bei Weitem nicht mehr so stark an, wie früher, aber noch existierte sie – und sie zeigte ihm den Weg. Der General wusste noch nicht genau, was er tun oder sagen würde, er wusste nur, dass er seine Freundin davon abhalten musste, weiter wegzulaufen. Der erste Schritt zur Heilung bestand in der Akzeptanz des Geschehenen, und das musste er ihr irgendwie klar machen, auf eine Art und Weise, die sie nicht noch weiter verletzte. Möglicherweise war der Gegenstand in der Innentasche seiner Uniform die letzte Chance. Zwei Sekunden später erreichte Sephiroth die beiden großen Schwingtüren, hinter denen sich Cutter aufhielt. Für gewöhnlich legte der General beim Betreten eines Raumes völlige Lautlosigkeit an den Tag, aber diesmal ging es ihm um das genaue Gegenteil. Die Türen hatten seinem kraftvollen Stoß nichts entgegenzusetzen und schwangen mit einer Wucht auf, die sie lautstark mit den Wänden zu ihren Seiten kollidieren ließ. Sämtliche zu diesem Zeitpunkt in der Caféteria befindlichen Personen zuckten erschrocken zusammen, und nur eine Sekunde später lagen alle Blicke auf dem General, der eben mit der Gelassenheit eines Jahrtausendgewitters eintrat, das Schwert zog, der neben sich liegenden Wand mit einem einzigen, entschlossenen Schlag einen gezielten Riss an einer ganz bestimmten Stelle zufügte (woraufhin die grünen Lichter sämtlicher Überwachungskameras erloschen), schließlich wieder den Kopf in Richtung der wie gelähmt zusehenden Personen wandte und mit einer Stimme, die nicht laut aber dennoch absolut beherrschend war, befahl: „Raus! Alle!“ Sämtliche Anwesenden sprangen sofort auf und setzten sich zügig in Bewegung. Sephiroth ließ sie scheinbar völlig teilnahmslos an sich vorbeiziehen. Er griff nur ein einziges Mal, als das Gedränge am dichtesten war, zu, fischte eine ganz bestimmte Person aus der Menge, zog sie zu sich und hielt sie am Kragen gepackt, bis auch der letzte Gast fluchtartig den Raum verlassen hatte. Insgesamt waren seit Aussprache des Befehls weniger als 7 Sekunden vergangen. Sephiroth schob Masamune zurück in die Schutzhülle und ließ den Kragen los. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“ „Nichts“, murmelte Cutter. „Das ist zuviel für `Nichts´!“ Er atmete tief durch und fügte wesentlich sanfter hinzu: „Cutter, ich bin dein Freund. Rede mit mir. Hilf mir, dich zu verstehen!“ „Ich bin ok“, lautete die leise Antwort. „Ich brauche nur ...“ „Nein“, unterbrach Sephiroth ebenso leise, aber wesentlich fester. „Das bist du nicht.“ Und dann sprach er es aus. Jene zur Gewissheit gewordene Befürchtung. „Du hast den Glauben verloren, nicht wahr? An eine bessere Zukunft, an die Lines ... und an dich selbst.“ Jäher Schrecken raste durch den Blick der jungen Frau. Dann verdunkelte sich dieser, bis jeglicher Glanz verschwunden war. Cutter hatte nie viel besessen. Was im Laufe der Zeit zu ihr gekommen war, Sephiroth, Zack, die Luna Lance, die Lines, waren Geschenke. Mit ihr verwoben, ja, aber keinesfalls ihr Eigentum. Sie gehörten ausschließlich sich selbst und teilten sich lediglich mit ihr. Mit Cutters Glauben allerdings verhielt es sich anders. Er war mit ihr gewachsen und somit ein Teil ihres Selbst, eine Stütze, die ihr letztendlich geholfen hatte, zu erkennen, wer sie war und was sie bewirken konnte. Ihr Glaube hatte sie stark und mutig werden lassen und eine gewisse Schutzschildfunktion übernommen. Viele Dinge ließen sich leichter ertragen, wenn man nur etwas besaß, an das man glauben konnte, ein Ziel, das all die Bemühungen und den Schmerz wert war. Glaube konnte Flügel verleihen. Er brachte einen dazu, durchzuhalten, wo andere aufgaben. Er konnte der Motor einer ganzen Existenz sein. Ohne den Glauben an irgendetwas, und sei es noch so klein, war man nicht mehr als ein leeres Gefäß, dem die Standhaftigkeit fehlte. Man lief leichter Gefahr, umzufallen und zerstört zu werden. Man traf seine Entscheidungen unschlüssig, war sich über die Konsequenzen nicht im Klaren und war gefährdeter an sich selbst, den anderen und dem Leben allgemein zu verzweifeln. Deshalb war Glaube so wichtig. Weil er retten und leuchten und beschützen und helfen konnte - solange er nicht durch eigene Taten oder die anderer zerstört wurde, denn selbst der stärkste Glaube konnte zerbrechen, wenn die mit ihm kollidierenden Kräfte mächtiger waren. Wie in den vergangenen Tagen. Was früher ein gewaltiger Ozean gewesen war, hatte sich in eine endlose Wüste verwandelt - und ließ sich nicht mehr verbergen. „Ja.“ Nur ein Flüstern. Ich wusste es, dachte Sephiroth. Oh Gaia ... selbst ich möchte mich hin und wieder irren. „Und infolge dessen“, ergänzte er, „kannst du auch die Lines nicht mehr sehen. Deshalb hast du dich freiwillig für alle die Schulungen eintragen lassen.“ Cutter nickte. Gleichzeitig gaben die Beine unter ihr nach, als sei das getragene Gewicht endgültig zu schwer geworden. Die junge Frau sank, am absoluten Ende ihrer körperlichen und mentalen Kräfte angekommen, in die Knie. „Ich wollte nicht, dass er verschwindet.“ Ihre Stimme klang völlig tonlos. „Aber ich konnte ihn weder beschützen, noch festhalten ... und jetzt ist er weg.“ „Und das“, sagte Sephiroth nach einem kurzen Moment des Schweigens leise, „wolltest du ganz alleine überstehen. Wir kennen uns so gut, hast du wirklich gedacht, ich würde nichts merken?“ „Das spielt überhaupt keine Rolle mehr“, wisperte Cutter. „Er ist weg, und ich habe verloren. Es wird nie wieder so, wie früher. Du solltest Rufus und Hojo endlich töten. Kümmer´ dich nicht mehr um mich, ich bin nur noch Ballast.“ Es war, das verstand Sephiroth sofort, kein Test, der klarstellen sollte, ob sich seine Gefühle für sie hinsichtlich der aktuellen Situation verändert hatten. Cutter meinte jedes Wort ernst und war fest von dem eben Gesagten überzeugt. Die Ansichten des Generals allerdings ... „Das sehe ich anders.“ „HÖR AUF, SEPHIROTH!“ Diesmal hallte Cutters Stimme durch den ganzen Raum. „Ich kann nicht länger ausblenden, wie sehr ich Rufus bei der Verwirklichung seiner finsteren Pläne geholfen habe! Das hier ist meine Strafe dafür, die Lines im Namen ShinRa´s benutzt und ausgebeutet und missbraucht zu haben, und ich habe diesen Zustand, der bis zum Rest meines Lebens andauern wird, verdient! Zu 100 %!“ Ihre Stimme wurde erneut zu einem Flüstern. „So ist es am Besten. Wenn ich die Lines nicht mehr sehen kann, hat auch Rufus diesbezüglich keine Macht mehr über mich.“ „Rufus“, antwortete Sephiroth sanft, „wird Macht über dich haben, solange du lebst, und sei es nur in deinen Erinnerungen und Albträumen. Er und die Electric Power Company sind Teil von dir, und du bist Teil von ihnen, daran kannst du nichts ändern, so sehr du es dir auch wünschst. Aber vor dieser Tatsache zu kapitulieren, macht die Situation für dich nur noch schwieriger. Du darfst jetzt nicht aufgeben, Cutter! Auch, wenn du dich im Moment nicht erinnern kannst, du hast viel Gutes bewirkt. Um dich herum war es immer ein klein wenig heller. Gib dieses Licht nicht her. Nicht wegen ShinRa!“ „Sephiroth“, wisperte Cutter, „begreif es doch. Es ist vorbei. Dieses Licht existiert nicht mehr.“ „Du irrst dich“, widersprach Sephiroth ruhig. „Ich kann es tief in dir noch glühen sehen. Nicht mehr stark, das ist wahr – aber es existiert. Und wir werden es vorsichtig füttern.“ Cutter schwieg. Sie konnte spüren, wie Sephiroths Worte versuchten, sich wie Bandagen um ihre verletzte Seele zu legen ... aber sie rutschten immer wieder ab. „Ich weiß nicht mehr, wie man so einen Funken füttert.“ „Aber ich. Wir ...“ Er verstummte. Es gab Momente, in denen Worte gefragt waren, und es gab Situationen, in denen man schweigend handeln musste. Jetzt, das spürte Sephiroth ganz deutlich, war die Zeit für Worte vorbei. Und so schüttelte er den Kopf, ließ sich in die Hocke gleiten und griff in eine der Innentaschen seiner Uniform. Als er die Hand wieder herauszog, enthielt sie ein kleines, rechteckiges, schwarzes Kästchen, an dessen Vorderseite ein rotes Licht glühte. Ein Minisafe. Neueste ShinRa Technologie. Sprachgesteuert. Bei dreimaliger falscher Eingabe des Passwortes oder gewaltsamer Öffnung würde Säure den Inhalt zerstören. Diesen Inhalt hatte Sephiroth in den vergangenen Tagen immer wieder betrachtet. Was dieser symbolisierte, traf zu, bedingungslos. Aber erst jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, ihn zu überreichen. „Was du für mich bist und immer sein wirst, befindet sich in diesem Kästchen. Das Passwort ist unsere erste gemeinsame Erinnerung. Du musst es dreimal sagen.“ Cutter hatte nicht mehr die Kraft, um nach dem Kästchen zu greifen – aber sie sah es an. Sephiroths Worte ... Die erste gemeinsame Erinnerung ... Es war schon so lange her ... dennoch würde die junge Frau diesen Moment niemals vergessen. Das Ereignis, mit der vor über 4 Jahren alles angefangen hatte, ließ sich tatsächlich mit nur einem einzigen Wort beschreiben. „ ... Bruchlandung ...“ Nach der dritten Wiederholung sprang das Lämpchen augenblicklich von rot auf grün. Der Deckel öffnete sich klickend um einen Millimeter. Cutter klappte ihn vorsichtig ganz auf. Ein schwarzes Samttuch begrüßte ihren Blick, ließ sich aber problemlos anheben. Und darunter ... Cutter konnte nicht sofort reagieren. Sie starrte den Gegenstand an ohne zu atmen und ohne zu blinzeln. Unter dem schwarzen Samttuch befand sich eine passgenaue Vertiefung, und in dieser, ebenso detailliert wie das Original, nur wesentlich kleiner und von einer passenden Kette gehalten, der andere, der fehlende Flügel Sephiroths, gefertigt aus Schwarzem Silber, dem mit Abstand teuersten und am schwierigsten zu beschaffendsten Materials ganz Gaias. „Das wirst du immer bleiben.“ Die dunkle Stimme synchronisierte sich völlig problemlos mit dem Anblick des Flügels. „Ganz egal, wofür du dich hältst, oder was geschieht.“ Cutter holte tief Luft, blinzelte – dann fiel sie ihrem Freund um den Hals und begann haltlos zu schluchzen. Sephiroth legte die Arme um ihren Körper, hielt sie fest. „Lauf nicht weg, Phoenix.“ Seine Stimme klang leise, aber sehr fest. „Sieh dich an. Du hast so lange so großartig gekämpft, und ich bin stolz auf dich. Deine jetzige Müdigkeit ist absolut nachvollziehbar. Deshalb, ruh dich aus. Gib deinen Verletzungen Zeit zum Heilen. Bis sie verschwunden sind, passe ich auf dich auf und halte dir den Rücken frei, bis du es eines Tages wieder selbst tun kannst. Zusammen reparieren wir deinen Glauben und dein Selbstvertrauen, und dann werden alle deine Fähigkeiten zu dir zurückkommen. Einverstanden?“ Cutter sagte nichts, aber sie verstärkte ihre Umarmung und krallte ihre freie Hand fest in die dunkle Uniform, eine Antwort, die völlig ausreichte. Gleichzeitig schloss die junge Frau die Augen. Die Leere in ihr war immer noch existent, aber jetzt schien diese sich schlagartig vor Grenzen wiederzufinden, die Sephiroths Nähe und seine Worte gesetzt hatten, und Cutter hielt sich daran fest, gefunden und geborgen. Die Ruhe des anderen, so vertrauten Wesens ging mehr und mehr auf sie über, wie ein Zauberspruch, der einmal mehr seine volle Wirkung entfaltete. Auch Sephiroth konnte spüren, wie seine Freundin langsam ruhiger wurde, und es erfüllte ihn mit großer Erleichterung. Gleichzeitig beschloss er, dass es wesentlich bessere Plätze zum Ausruhen als die Caféteria gab. Eigentlich hatte er vorgehabt, Cutter auf die Beine zu ziehen, aber als er spürte, wie seine Freundin ihren Griff weiter verstärkte, wurde ihm klar, was sie jetzt wirklich brauchte, und so stabilisierte er ihren Halt mit seinen Armen, richtete sich wortlos auf und verließ, Cutter tragend, die Caféteria. Die junge Frau nahm kaum wahr, dass sie sich bewegten, so groß waren Erschöpfung und Müdigkeit. Aber welche Rolle spielte das schon? Sephiroth war hier, und er hielt sie fest. Mehr war momentan nicht wichtig. Er ließ sie erst los, nachdem er sie vorsichtig auf dem Bett in seinem Appartement abgesetzt hatte. „Versuch zu schlafen“, bat der General leise. „Morgen wird es dir etwas besser gehen.“ Cutter nickte, streifte die Schuhe von den Füßen, ließ die verhasste ShinRa Uniform zu Boden fallen, nahm die Flügelkette aus dem Minisafe und zog die Bettdecke über sich. Sephiroth betrachtete den sich ihm bietenden Anblick – und traute dem Frieden nicht. Jetzt, wo er mit Sicherheit wusste, worum es ging, war ihm auch klar, dass Cutter ihn dringender brauchte als jemals zuvor, und so dauerte es nicht lange, ehe er ebenfalls die Bettdecke über sich zog, den Arm um seine Freundin legte und nur eine Sekunde später spürte, wie sie sich auf die andere Seite drehte und an ihn schmiegte. Mittlerweile hielt sie die Flügelkette in der rechten Hand wie eine Erinnerung, die eine materielle Form angenommen hatte, um sich greif- und fühlbar zu machen, und Sephiroth wusste, dass es noch einige Zeit dauern würde, ehe er seiner Phoenix die Kette um den Hals legen konnte ... aber im Grunde war es auch gar nicht wichtig. Cutter hatte verstanden, was er ihr sagen wollte, jetzt war sie wieder bei ihm, und er würde sein Versprechen halten! Irgendwann verrieten ruhige, gleichmäßige Atemzüge, dass die junge Frau eingeschlafen war. Sephiroth selbst schlief nicht. Er behielt sie im Auge, in der Hoffnung, seine Gegenwart möge sich auch auf ihre Träume auswirken und die Dämonen dort auf Distanz halten. Der Plan ging auf. Es wurde Morgen, ehe Cutter zum nächsten Mal blinzelte, und die ersten bewussten Wahrnehmungen bestanden in Wärme und dem Gefühl, gestreichelt zu werden, langsame, ruhige Bewegungen, die das Fehlen jeglicher Gefahr versicherten. Cutter seufzte leise und schloss abermals die Augen. Es tat so gut, zu wissen, dass sie hier trotz aller Schutzlosigkeit nicht gefährdet, sondern geborgen war. „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Sephiroth leise. Cutter öffnete die Augen und lauschte in sich hinein. Die mentale Erschöpfung befand sich noch auf demselben Level wie am gestrigen Abend, aber das Gefühl, hilflos und ausgeliefert zu sein, war fast völlig verschwunden. Der General lauschte der Beschreibung und nickte. „Ich besorge dir ein Materiaset, für den Fall, dass sich neues Unheil zusammenbraut und du diesem allein begegnest.“ Cutter nickte und sagte dann leise: „Ich hätte dir gleich Bescheid sagen sollen, aber ich war so ... Es tut mir leid.“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. „Als dein kommandierender Offizier trage ich an deinem jetzigen Zustand eine Teilschuld, der ich mich nicht entziehen kann. Um ehrlich zu sein, ich ... hätte nicht gedacht, dass die Auswirkungen meiner dir geltenden Befehle so drastisch sein würden.“ „Es waren nicht nur deine Befehle. ShinRa und ich das war ... einfach zu gegensätzlich. Früher oder später musste es schief gehen. Eigentlich bin ich verblüfft, dass ich so lange durchgehalten habe.“ „Ganz kaputt bist du noch nicht“, erinnerte Sephiroth leise. „Wir nehmen, was noch ganz ist, und reparieren mit Hilfe dessen den Rest.“ „Wir füttern den Funken.“ Gleichzeitig kuschelte sie sich enger an ihn und murmelte: „Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden ... Musst du heute auf eine Mission?“ Und als Sephiroth nickte: „Nimmst du mich mit? Ich werde dir keine große Hilfe sein, aber ...“ „Du“, unterbrach der General, „bist mir immer eine Hilfe. Stell bitte trotzdem keinen Unsinn mit dem Materiaset an.“ Cutter fand die Kraft, zum ersten Mal seit Tagen wieder zu schmunzeln, und der General erwiderte das Lächeln, dann löste er die Umarmung und verließ nur wenige Minuten später in der üblichen Uniform das Appartement, stellte das Materiaset zusammen und kehrte anschließend zurück, um mit seiner Freundin zu frühstücken und sich anschließend gemeinsam mit ihr auf den Weg zum Sammelpunkt für die heutige Mission zu machen. Es stimmt, dachte Cutter während sie neben ihrem Freund herging, solange du da bist, bin ich noch nicht ganz verloren. Ich darf das nie wieder übersehen! „Wohin wollen wir eigentlich heute, Sephy?“ „Der Ort heißt `Nibelheim´. Der dortige Reaktor macht Probleme, und da alle Techniker hier beschäftigt sind ...“ „Hast du die Ehre.“ Sephiroth nickte. Er interessierte sich seit jeher für die Reaktoren, und viele der Bücher in seinem Appartement handelten von der komplizierten Technik. Bei personellen Engpässen war es üblich, auf sein Wissen zurückzugreifen. So gesehen war an dieser Mission nichts außergewöhnlich – aber dennoch war irgendetwas anders als sonst. Der Instinkt des Generals war in Aufruhr. Sein Wispern und Flüstern glich dem Kontakt von Besteck und einem Teller kurz vor dem schrillen Quietschen. Eine nicht greifbare, aber dennoch deutlich spürbare Bedrohung. Und Sephiroth war nicht sicher, ob er sich ihr, oder sie sich ihm näherte. Er wusste nur, dass es irgendetwas mit der heutigen Mission zu tun hatte, und alle diesbezüglichen Nachforschungen zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt hatten. Um sich abzulenken, warf der General seiner neben ihm gehenden Freundin einen unauffälligen Blick zu. Cutter trug die Luna Lance wie gewöhnlich auf dem Rücken, hatte aber auch Materia bei sich und war somit nicht länger schutzlos. Eben streichelten ihre Fingerspitzen zum wiederholten Mal über die jetzt um ihren Hals liegende Flügelkette. „Sie steht dir“, kommentierte Sephiroth leise, und Cutter sah zu ihm auf und lächelte. „Ich werde sie, solange ich lebe, nicht wieder ablegen, versprochen!“ Sephiroth erwiderte das Lächeln. Er wusste, dass sich seine Freundin bis auf Weiteres an ihm festhalten würde, bis sie genug Kraft gesammelt hatte, um den Weg aus eigener Kraft fortzusetzen – ein Plan, den beide akzeptieren konnten. Sie bogen um die letzte Kurve, der Sammelpunkt kam in Sicht, und nur eine Sekunde später löste sich eine vertraute Gestalt aus der dort stehenden Gruppe und kam ihnen entgegen. „Euretwegen“, grollte Zack, als er in Hörweite kam, „habe ich die ganze Nacht kein Auge zugetan!“ „Sieht man dir an“, antwortete Sephiroth mitleidslos und ignorierte geflissentlich die ihm geltende Grimasse. „Ich sehe euch zum ersten Mal seit Tagen wieder zusammen“, fuhr Zack fort, „und deute das eigentlich als gutes Zeichen, aber, Cuttie, bitte sag mir trotzdem, was los ist und ob ich dir irgendwie helfen kann!“ Cutter holte tief Luft ... und begann zu erzählen. Leicht fiel es ihr nicht, aber das Bewusstsein, auch von Zack keine Vorwürfe erwarten zu müssen, half ihr. Letztendlich schüttelte sie den Kopf. „Ich hätte euch beiden gleich Bescheid sagen müssen. Tut mir leid! Das war wirklich eine totale Katastrophe.“ „Wohl eher eine Cutter-Strophe“, antwortete Zack und wuschelte der jungen Frau mit beiden Händen durch die Haare. Dann allerdings wurde er schlagartig sehr ernst. „Cuttie, ich und der trotz allem oft noch so schlecht gelaunte General da drüben sind deine Freunde. Nicht nur beim Rumalbern, sondern auch, wenn du Probleme hast. Komm zu uns, wenn du uns brauchst, denn ansonsten kommen wir zu dir. Benutz uns. Stütz dich auf uns. Wir verkraften das schon, und helfen dir, wo es nur geht.“ Dann schüttelte er entrüstet den Kopf. „Dass ich dir das noch extra sagen muss! Du weißt es doch!“ Cutter seufzte leise und brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln – eine Reaktion, die ein breites Grinsen auf Zacks Gesicht zauberte. „Na ja, mach dir keine Sorgen, Seph und ich passen auf dich auf – wie früher! Oh, das wird Spaß machen!“ Cutter schaffte es, das Grinsen halbwegs zu erwidern, Sephiroth stöhnte nur leise und setzte sich wieder in Bewegung, auf den Rest der kleinen ShinRa Truppe zu. Die Mission versprach, interessant zu werden – so oder so. Er konnte nicht ahnen, wie richtig er mit dieser Ansicht lag und was die Mission alles auslösen würde, aber als die Helikopter letztendlich abhoben, sah der General aus dem Fenster und nahm wahr, wie in seinem Herzen hinsichtlich des immer kleiner werdenden ShinRa HQ´s ein neues Gefühl erwachte. Es fühlte sich an wie ein endgültiger Abschied, und für einen Moment war sich Sephiroth völlig sicher, die Machtzentrale der Electric Power Company zum letzten Mal auf diese Art und Weise zu sehen ... Dann schob er den Gedanken energisch beiseite und konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Mission. Ganz egal, was in deren Rahmen auf ihn wartete – er würde es zurückschlagen und siegen! Er siegte immer ... Eigentlich hätte die kleine ShinRa Truppe bequem in Nibelheim landen können, aber der General zog es vor, einen Teil der Strecke zu Fuß zu bewältigen, und seine Leute waren schlau genug, nicht zu protestieren und sich ihre Kraft stattdessen für den relativ beschwerlichen Weg durch die Berge aufzusparen. Nibelheim entpuppte sich als winziges Dorf mitten im Nirgendwo, umgeben von karger Vegetation und Felswänden. Der Anblick hätte friedlich und langweilig wirken können – aber Sephiroth war, als läge unterhalb des Offensichtlichen noch etwas Anderes, etwas Ungreifbares ... aber er konnte es nicht näher definieren. Vorerst! Da es bei der aktuellen Mission nicht nur um die Lokalisierung des Fehlers im Makoreaktor, sondern auch um das Training der Kadetten im Kampf gegen Monster ging, war es hinsichtlich der einsetzenden Dämmerung klüger, die Mission erst mit der Helligkeit des kommenden Morgens fortzuführen. Sephiroth erteilte entsprechende Befehle und begann allein mit einem Rundgang durch das Dorf, um das seltsame Gefühl tief in sich näher zu bestimmen. Letztendlich blieb er vor einem ganz bestimmten Objekt stehen. So klein und bescheiden die restlichen Häuser wirkten, so protzig und fehlplatziert wirkte dieses Gebäude, außerdem war es durch einen hohen, stabil aussehenden Zaun vor unerwünschten Besuchern geschützt. Was auch immer sich im Inneren des Bauwerkes befand, es sollte unangetastet bleiben. Sephiroth starrte durch den Zaun hindurch und lauschte nach innen. Irgendetwas dort reagierte auf dieses Gebäude, konnte sich aber für keine klare Richtung entscheiden ... Der General war so konzentriert, dass er fast zusammengezuckt wäre, als Zacks Stimme völlig unvermittelt neben ihm erklang. „Hier bist du, ich such dich schon überall. Äh, was ist das?“ „Die alte ShinRa Mansion.“ Zacks Blick war fest auf das Gebäude gerichtet und er hatte sich längst entschieden, es nicht zu mögen. Irgendetwas Merkwürdiges ging davon aus. Es wirkte bedrohlich – aber noch nicht bedrohlich genug für Zackary Fair! „Oh, von dem Ding sollen wir uns fern halten, hat man mir vorhin gesagt. Es spuckt dort.“ „Wenn überhaupt, dann `spukt´ es dort, Zackary“, grollte der General. „Mit `k´, nicht mit `ck´.“ „Natürlich“, grinste der 1st, „was anderes würde wohl kaum Sinn ergeben, oder?“ „Und weshalb“, erkundigte sich die mittlerweile neben Sephiroth stehende Cutter, „stellt ShinRa so ein protziges Gebäude an so eine einsamen Ort?“ „Auch Geister brauchen ein Zuhause?“, spekulierte Zack. Gleichzeitig hob er die Arme und fuchtelte damit durch die Luft. „Huhuuuuuu!“ Ergänzend zu Sephiroths Blick fügte er hinzu: „Was? Gefallen dir die Vokale nicht? Die kann ich variieren. Pass auf: Hohooooo ... hiiihiiii ...“ „Schalte jetzt in den SOLDIER Modus, ansonsten werden die einzigen beiden Vokale, die noch über deine Lippen kommen, `a´ und `u´ sein, und zwar genau in dieser Reihenfolge!“ Stille. Und dann, äußerst entrüstet: „`Hauauauau´ klingt aber blöd, Seph! Und kein bisschen grusel ... au!“ Sephiroth ließ die Hand, mit der er dem Pseudogespenst einen Schlag gegen den Hinterkopf verpasst hatte, wieder sinken, und dieses verzog das Gesicht, rieb sich über die schmerzende Stelle und maulte: „Mit dir macht aber auch wirklich gar nichts Spaß! Du kaltherziger General! Mögen die Spuckgeister dieses Ortes über dich kommen, huhu, haha, hihi, hoho, hehe und hauhau.“ „Ich bring dich um!“, grollte Sephiroth. „Eines Tages bring ich dich um!“ Zack konterte mit seinem breitesten und frechsten Grinsen, und auch Cutter musste unwillkürlich lachen. Sie wusste, wie sehr Sephiroth an Zack hing, und dass er eine derartige Tat niemals würde über sich bringen können, ganz egal welchen Blödsinn sich der 1st auch ausdenken mochte – jetzt allerdings veränderte sich sein Gesichtsausdruck, wurde wieder ernsthaft. „Der Bau des Makoreaktors kann nicht Grund für die Errichtung dieses Gebäudes gewesen sein, dafür errichtet man Camps. Bestenfalls. Und für ein Ferienhaus ist es zu weit weg von Vergnügungen jeglicher Art.“ Und dann, unüberhörbar misstrauisch: „Es passt nicht hierher!“ „Möglicherweise“, überlegte Sephiroth, „hat es etwas damit zu tun, dass der Reaktor, den wir morgen sehen werden, das erste jemals von ShinRa gebaute Exemplar ist – sag jetzt nicht `Ehrlich?!´, Zackary!“ „Sowas käme mir nie in den Sinn!“, beteuerte Zack betont unschuldig – sein Blick allerdings lag immer noch auf der ShinRa Mansion und verriet großes Misstrauen. „Seht euch die Sicherheitsvorkehrungen an, da kommt nicht mal eine Fliege unbemerkt rein. Soll ich euch was sagen? Ganz egal, warum dieses Haus hier ist, die Sache gefällt mir nicht.“ „Mir auch nicht“, murmelte Cutter. Irgendetwas Düsteres ging von dem Gebäude aus, und die junge Frau konnte einfach nicht definieren, worum es sich dabei handelte. Sie wünschte sich, die Lines sehen zu können, aber all die bunten Helfer entzogen sich ihr nach wie vor. „Sie kommen zurück“, erklang Sephiroths leise Stimme genau neben ihr. Einmal mehr wusste der General ganz genau, was in seiner Freundin vorging. „Setz dich nicht unter Druck.“ Cutter nickte, konnte ihre Trauer aber nicht ganz ausmerzen. Mit den Lines wären so viele Dinge wesentlich einfacher gewesen, und ihr Fehlen ... schmerzte. Momentan allerdings konnte die junge Frau den aktuellen Zustand nur akzeptieren und versuchen, sich trotzdem zu entspannen, und so folgte sie ihren beiden besten Freunden, als diese schweigend zum Dorf zurückkehrten, um in der einzigen Wirtschaft zu Abend zu essen. Das Essen war besser als erwartet. Vor allen Dingen tat es Sephiroth gut, der neben ihm sitzenden Cutter von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Es war so schön, sie wieder so nahe bei sich zu haben, (nicht zuletzt, weil er sie so viel besser beschützen konnte) und sie blieb sogar bei ihm, als die Teller weggeräumt wurden und der freie Platz die Entstehung/Aufarbeitung einiger mitgebrachter Berichte gestattete – jedenfalls bis Cutter sich lang auf der Bank ausstreckte, ihren Kopf auf seinen Oberschenkel legte und die Augen schloss. Eine überdeutliche Information. Sie bewog Sephiroth den Bericht zu beenden, sicher zu verstauen und seiner Freundin vorsichtig klar zu machen, dass die Botschaft angekommen war. Wenige Minuten später betraten sie eines der kleinen Schlafzimmer. Cutter ließ ihre ShinRa Uniform auf dem Weg ins Bett einfach fallen, lehnte die Luna Lance an die Wand neben dem Bett, zog die Decke über sich und schloss die Augen. Sephiroth warf der Wölbung unter der Bettdecke einen zu gleichen Teilen strafenden wie erheiterten Blick zu, seufzt leise, sammelte die Uniform ein, legte sie ordentlich zusammen, tat letzteres auch mit seiner eigenen Uniform, lehnte Masamune neben die Luna Lance, zog die Decke ebenfalls über sich und konnte nur einen Sekundenbruchteil spüren, wie sich Cutter an ihn schmiegte. Sephiroth hätte auch die Augen schließen können ... aber gewisse Vorgänge hielten ihn davon ab. Sie waren so seltsam, dass er Cutter einfach darauf hinweisen musste. „Sieh dir die beiden an.“ Cutter blinzelte, drehte sich auf die andere Seite und runzelte die Stirn. Jetzt lagen ihr Blick und der Sephiroths auf denselben beiden Gegenständen: Masamune und der Luna Lance. Wie üblich befanden sie sich in Griffnähe, diesmal allerdings genau nebeneinander. Und als hätten sie nur darauf gewartet ... Die seit etlichen Tagen erloschene Luna Lance strahlte ein neues, seltsam fremdes, aber sehr sanftes Licht aus. Es pulsierte wie Herzschlag. Masamune hingegen schien trotz der Schutzhülle genau dieses Licht zu absorbieren und in jeder Pause in einer neuen, wie flüssiges Silber wirkenden Helligkeit erneut auszustrahlen. Es erweckte unweigerlich den Anschein, als kommunizierten die beiden einzigartigen Objekte miteinander. Niemals zuvor hatten Sephiroth und Cutter sie so gesehen, und so konnten sie einander nur fragende Blicke zuwerfen. Beide wussten, Masamune besaß keine eigene Line und konnte somit unmöglich von der Luna Lance beeinflusst werden - und dennoch, daran gab es nicht den geringsten Zweifel, geschah gerade ... irgendetwas. Lautlos und in völligem Frieden. „Denkst du“, wisperte Cutter, „das ist ein gutes Zeichen?“ Sephiroth hätte gerne eine klare Antwort gegeben, aber selbst ihm war das aktuelle Verhalten Masamunes völlig fremd, und so blieb ihm nur ein für ihn völlig untypisches: „Wir werden sehen“. Cutter nickte und sah schweigend zu der Luna Lance und Masamune hinüber bis ihr die Augen zufielen. Sephiroth hingegen beobachtete die beiden Waffen weiterhin. Irgendwann verblasste das Leuchten. Was auch immer geschehen war, es hatte ein Ende gefunden. Der General griff nach dem legendären Katana, lauschte in es und sich selbst hinein, auf der Suche nach Hinweisen. Aber alles fühlte sich an, wie immer. Letztendlich legte er das Schwert wieder beiseite, schob den Arm über seine schlafende Freundin und sah aus dem Fenster. Er konnte den Reaktor nicht sehen, aber auf seltsame Art und Weise spüren. So klein das Exemplar laut allen vorliegenden Informationen sein mochte, es fühlte sich nicht so an. Sondern, auf eine nahezu unheimliche Art und Weise, größer. Oder doch ... tiefer? Nie zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches bezüglich eines Makoreaktors empfunden, und es ärgerte ihn. Es war nur ein ShinRa Bauwerk! Nicht mehr, nicht weniger. Und es war defekt. Irgendwo. Eine Standardsituation. Absolut kein Grund zur Besorgnis. Trotzdem gelang es dem General in dieser Nacht nicht, auch nur eine Sekunde zu schlafen. Irgendetwas tief in ihm war in Bewegung geraten. Es ließ sich nicht definieren, aber es fühlte sich an, als werfe es sich immer wieder und wieder gegen eine innere Wand in dem Bestreben, sie zu durchbrechen, und Sephiroth war es unmöglich zu sagen, ob die eigene Sympathie der Wand oder den unermüdlichen Ausbruchsversuchen galt. Es vergingen einige Stunden, ehe Cutter zum nächsten Mal blinzelte. Morgendämmerung begrüßte sie. Und sanfte, ihrem Nacken geltende Küsse, untermalt von warmem Atem. Die junge Frau lächelte zu gleichen Teil wach wie noch verschlafen und drehte sich auf die andere Seite, wisperte: „Hey“, und erwiderte die Küsse auf eine Art und Weise, die überdeutlich mitteilten, wie sehr sie es genoss, auf diese Art und Weise geweckt zu werden und, dass sie sich heute wesentlich besser als in den vergangenen Tagen fühlte. Gute Voraussetzungen, um die heutige Mission erfolgreich zu beenden. Es dauerte nicht lange, ehe sich die kleine ShinRa Truppe vor dem Gasthaus versammelte. Zack trat als letzter aus der Tür – und Cutter fiel sofort auf, dass der 1st seltsam wirkte. Sie trat neben ihn und erkundigte sich leise: „Was ist los?“ Zack schüttelte den Kopf und wirkte sehr verlegen. „Aerith hat mich vorhin angerufen. Sie sagte, dass ...“ Er verstummte und schüttelte abermals den Kopf. „Es ist so – sie hat manchmal Visionen. Letzte Nacht auch, deshalb hat sie mich vorhin angerufen. Sie sagte, wir zwei sollten Nibelheim sofort verlassen, weil etwas Schreckliches geschehen wird. Sie hat Feuer gesehen und jede Menge Tote. Ein wahres Inferno aus Blut und Gewalt. Und sie ... sie meint, Seph wäre der Auslöser gewesen.“ Cutter warf einen Blick zu Sephiroth hinüber. Er stand ganz ruhig da und lauschte den Worten des Scouts, der ihnen den kürzesten Weg zum Reaktor zeigen würde. „Zack“, sagte Cutter leise, „du weißt, ich mag und respektiere Aerith. Aber ich glaube nicht, dass ...“ „Genau da“, unterbrach Zack, „liegt das Problem. Sie hatte bisher immer Recht! Behalten wir unseren General einfach gut im Auge.“ Er wartete das zögerliche Nicken Cutters ab, ehe er den Blick wieder auf Sephiroth richtete. Aerith hatte sich noch nie geirrt. Aber Sephiroth war stärker als jemals zuvor – besonders auf der mentalen Ebene. Aerith musste sich irren. Sie musste einfach! Aber so gerne Zack es geleugnet hätte, sein Instinkt versicherte ihm, dass hier irgendetwas ... wartete. Auf die richtige Person oder den richtigen Moment. Und im schlimmsten Fall würde dieses `irgendetwas´ beides bekommen. Aber nicht, wenn es dabei um Seph geht, dachte Zack grimmig. Das werde ich zu verhindern wissen! Dann folgten er, Cutter und der Rest der kleinen Truppe ihrem General. Als sie an der ShinRa Mansion vorbeikamen, versuchte Cutter erneut, in die Lines zu gehen, konnte aber immer noch keine Besserung feststellen. Wirklich, dachte sie, es ist wie ganz am Anfang. Ich kann die Lines nicht sehen und vertraue ganz auf eure Führung. Die Dinge drehen sich im Kreis. Ob das wohl heißt, dass ich den Lines jemals wieder begegnen werde? Sephy würde bestimmt sagen: `Das hängt von der Größe des Kreises und deiner restlichen Lebenszeit ab.´ Sie seufzte leise. Sinnlos, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. Momentan blieb ihr nur, sich auf die Ereignisse in der Gegenwart zu konzentrieren – und auf den vor ihr liegenden Fußmarsch. Es wurde ein kleiner Gewaltakt. Besonders auffällig waren die vielen Monster. Dass in der Umgebung von Makoreaktoren häufiger Angriffe stattfanden war nichts Neues, aber dieses Mal vergingen immer nur wenige Minuten, ehe die Kadetten und die beiden 1st Class SOLDIER sich einem neuen Kampf stellen mussten. Früher hätte Cutter helfen können. Jetzt blieb ihr nur, in Deckung zu gehen und sich trotz Materia nicht zu nutzlos vorzukommen. Es dauerte wesentlich länger als geplant, aber letztendlich erreichte die kleine Truppe den Reaktor. Da dem Scout und den Kadetten als nicht autorisiertem Personal der Zutritt verboten war, endete ihre Reise vorübergehend hier. Sephiroth, Zack und Cutter hingegen setzten den Weg fort. Der General hatte Makoreaktoren schon oft betreten. Die in ihnen herrschende Atmosphäre war ihm vertraut – und so spürte er schon nach den ersten Schritten, dass die in diesem Reaktor herrschende Atmosphäre ... anders war. Wie die Bewegungen von Wasser unterhalb einer Eisschicht, die bereits zu knistern schien. Das Gefühl übertrug sich völlig problemlos auf Sephiroths Sinne und ließ sie noch schärfer arbeiten als sonst, aber vorerst offenbarte sich kein offensichtlicher Grund dafür. Es erreichte lediglich einen neuen Höchststand, als die kleine Gruppe den Raum, in dem der Defekt vermutet wurde, betrat. Der Raum war nicht sehr groß. Viele, auf drei unterschiedlich hohen Ebenen aufgebaute, etwa 2 Meter große und durch dicke Schläuche mit der Wand des Reaktors verbundene Kapseln prägten das Bild. Die Kapseln waren undurchsichtig, besaßen aber im oberen Bereich eine Öffnung, aus der das für Mako typische Licht strahlte und somit nur einen Schluss über den wahren Verwendungszweck zuließ. Dennoch mussten die beiden SOLDIER und Cutter nachsehen. „Noch eine von Hojos Spielwiesen!“, grollte Zack angewidert hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblickes eines halb menschlichen, halb monsterhaften Körpers. Cutter stimmte mit lautlosem Nicken zu, Sephiroth ließ sich zu keinem Kommentar herab. Längst war sein Blick die breite, zwischen den Tanks hinaufführende Treppe hinaufgeglitten und fixierte jetzt die große, zweigeteilte und fest versiegelte Tür am Ende der Stufen. Höchster ShinRa Sicherheitsstandart. Aber der Blick des Generals hatte sich nicht daran festgekrallt, sondern an den 6 darüber angebrachten Buchstaben in beeindruckender Größe. Sie formten einen Namen. `JENOVA´ Sephiroth konnte spüren, wie sein ganzer Körper zu prickeln begann. Das Gefühl kam von innen und drang mühelos bis zur obersten Hautschicht vor. Sogar in den Gedanken des Generals entfachte es ein Gefühl wie Schmirgelpapier, ließ sie rau und fast rissig werden – hielt sie jedoch nicht davon ab, nach einer Erklärung zu suchen. Aber es schien keine zu geben. Makoreaktoren hatten Nummern, keine Namen. Und gerade diese Buchstabenreihenfolge ... Warum prangt der Name meiner Mutter über der inneren Tür eines Makoreaktors?! „Tss“, ließ sich der jetzt neben ihm stehende Zack halblaut vernehmen. „Normale Männer schenken ihren Frauen Blumen und Pralinen. Verrückte Wissenschaftler benennen einen Makoreaktor nach ihrer Frau. Gut, dass wir das klären konnten.“ Sephiroth hätte gerne protestiert, aber ihm fiel nicht ein einziges gutes Argument ein. Zacks Worte waren nachvollziehbar. Zumal dies der erste Makoreaktor gewesen war, den ShinRa jemals gebaut hatte. Neben ihm starrte Zack auf die gemeißelten Buchstaben und spürte eine Gänsehaut über seinen Rücken kriechen. Irgendetwas hier ... es begann nicht, merkwürdig zu werden. Es blieb merkwürdig. Die riesige Villa in dem von allen Göttern verlassenen Nibelheim. Und jetzt das hier ... Der 1st schüttelte sich heftig. „Wenn Hojo schon seine verdammten Finger mit im Spiel hat, ist Rufus nicht fern. Und wenn die beiden zusammen an was arbeiten ...“ „Leute?“ Cutters Stimme hatte einen seltsam drängenden Klang. „Können wir bitte einfach nur versuchen, den Defekt aufzuspüren und dann so schnell wie möglich verschwinden? Ich kann die Lines nicht sehen, aber irgendetwas Seltsames ist hier, und um ehrlich zu sein: Es macht mir Angst!“ Sephiroth löste den Blick fast widerwillig von dem Schriftzug, der eine magnetische Anziehungskraft auf ihn auszuüben schien, und wandte die Aufmerksamkeit wieder den Kapseln zu. Er rechnete nicht ernsthaft damit, auf Anhieb irgendetwas zu finden ... und wurde überrascht. Der Defekt war so offensichtlich, dass ihn ein Anfänger hätte aufspüren können, eine relativ effektive Notlösung schnell gefunden, und so hatte der General abermals Gelegenheit, zu dem Schriftzug mit dem vertrauten Namen zu sehen. Er konnte es sich einfach nicht erklären. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, einen Blick hinter diese Tür zu ... „Hey.“ Zack ließ seine Stimme ganz bewusst fast ein wenig zu laut erklingen. Erinnerungen an das Telefonat mit Aerith tobten in seinem Kopf, vereinten sich mit allen Empfindungen zu einem Gefühl, ähnlich der Stimmung kurz vor dem Losbrechen eines gewaltigen Gewitters. Irgendetwas hier war ... nicht in Ordnung. Und Sephiroth musste Distanz dazu gewinnen. Sofort! „Mission beendet. Lasst uns abhauen!“ Eine endlos scheinende Sekunde geschah gar nichts. Dann, zur großen Erleichterung des 1st, nickte sein bester Freund und setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit später war die kleine ShinRa Truppe wieder auf dem Rückweg, der sich `dank´ erneuter zahlreicher Monsterbegegnungen ebenso in die Länge zog, wie die zuvor gemeisterte Strecke. Sephiroth verhielt sich wie gewohnt, aber Cutter konnte spüren, dass er intensiv nachdachte. Ganz offensichtlich war ein Teil seiner Gedanken im Reaktor geblieben, und bis sie Nibelheim wieder erreichten, hatte sich daran nichts geändert. Seinen Befehlen allerdings war nichts anzumerken. Zack befolgte sie brav, bestellte einen Helikopter und gab den Kadetten bis zu dessen Eintreffen Freizeit, dann wandte er sich wieder seinem besten Freund zu, öffnete den Mund um eine Frage zu stellen ... aber das Klingeln eines PHS hielt ihn davon ab. Sephiroth griff nach seinem PHS, drückte gleichzeitig mit der freien Hand Zacks Unterkiefer wieder nach oben, und nahm das Gespräch trotz des auf dem Display angezeigten Hinweises `Unterdrückte Rufnummer´ an. Einige Sekunden lang blieb es völlig still am anderen Ende der Leitung. Dann jedoch ... „Hallo, mein kleiner Sephiroth.“ Sephiroth gestattete es sich, mit den Augen zu rollen. Hojo. Großartig. „Was willst du?“ „Die Frage ist nicht, was ich will. Sondern, was du willst.“ Sephiroth schmunzelte. „Hast du immer noch nicht begriffen, dass du verloren hast?“ Leises Kichern antwortete ihm. „Hat dir das Innere des Reaktors gefallen? Die Idee mit dem Schriftzug ist von mir. Hübsch, nicht wahr?“ „Werde von mir aus im nächsten Leben Schriftsteller oder Designer. Was willst du, Hojo?!“ Beim Klang des so verhassten Namens fletschte Cutter unwillkürlich die Zähne. Zack hingegen nickte nur sehr ernst, eine Bewegung, die überdeutlich `Wusste ich es doch!´ sagte. „Ich möchte dir etwas geben“, antwortete der Wissenschaftler eben nur für Sephiroth hörbar. „Verzichte.“ „Etwas ganz Besonderes“, fuhr Hojo unbeeindruckt fort. „Einen Schlüssel. Zu deiner Vergangenheit. Ist dir aufgefallen, dass die ShinRa Villa in Nibelheim ein wenig zu ... groß geraten ist? Das liegt an dem durch sie behüteten Geheimnis. Es befindet sich im Keller. Es war so lange allein ... Über deinen Besuch würde es sich ganz besonders freuen, ich bin mir sicher. Du wirst es lieben. Du bist doch ...“ Sephiroth beendete das Telefonat, schaltete das PHS aus und schob es zurück in eine der Innentaschen seiner Uniform. „Was hat er gesagt?“, grollte Zack. Am liebsten hätte Sephiroth eine ausweichende Antwort gegeben und sich entfernt. Aber er wusste, dass Zack eine solche Behandlung nicht hinnehmen würde. Für Cutter galt dasselbe. Und so fasste er die eigentliche Aussage des Wissenschaftlers in einem einzigen Satz zusammen. Die letzte Silbe war noch nicht verklungen, als Zack schon begann, heftig mit dem Kopf zu schütteln. „Falle!“ Gleichzeitig wünschte er, der verdammte Helikopter wäre schon hier. Aber bis zu dessen Eintreffen würden noch Stunden vergehen. Genug Zeit, um Aerith schreckliche Vision wahr werden zu lassen. Der General selbst antwortete nicht. Er sah zu der ShinRa Villa hinüber, die im Schattenspiel der vor dem Mond ziehenden Wolken lag. Die Wechsel von Dunkelheit und Licht wirkten wie Morsezeichen, und Sephiroth konnte spüren, wie tief in ihm etwas darauf reagierte. Erst Cutters leises: „Hey?“ brachte ihn dazu, den Blick abzuwenden. „Geh nicht hin. Ich habe leider keine Ahnung, was in diesem Keller sein könnte, aber es kann nichts Gutes sein, wenn Hojo will, dass du es siehst.“ „Genau!“, schaltete sich Zack ein. „Du solltest ...“ „Ich kann mich nicht erinnern, euch als meine Aufpasser angestellt zu haben!“ „Sieh es positiv, Seph, deine Freunde sind multifunktional einsetzbar.“ Richtig, ergänzte der General in Gedanken. Und momentan empfinde ich ihre Gegenwart als äußerst störend! Aber er hatte im Laufe der Zeit zuviel über den Begriff `Freundschaft´ gelernt, um auch nur einen Sekundenbruchteil lang ernsthaft zu glauben, Zack und Cutter würden sich abschütteln oder gar dauerhaft verjagen zu lassen. Auch dies war ein Aspekt von `Freundschaft´ und war letztendlich von ihm begriffen und akzeptiert worden. Manchmal war es nur sehr schwierig, dieses Wissen in geplante Taten mit einzubinden. Wie jetzt. Abermals sah er zu der ShinRa Villa hinüber. Worin auch immer ihr Geheimnis bestand, Hojo wollte, dass er es fand. Er hat, dachte Sephiroth, den Wunsch, mich wieder zu beherrschen, immer noch nicht aufgegeben. Genauso wenig wie ich mein Bestreben, ihn zu töten. Wenn er ernsthaft glaubt, die Kontrolle über mich durch den Inhalt dieses Kellers zurückzugewinnen, muss es sich dabei wirklich um einen äußerst wichtigen, mich betreffenden Punkt handeln. Mit anderen Worten: Es kann so gut wie alles sein, vielleicht sogar etwas absolut Lächerliches ... Langsam setzte er sich in Bewegung und nahm nur eine Sekunde später wahr, dass Zack und Cutter ihm folgten. „Ich hätte ja mit vielem gerechnet“, murrte Zack wenige Minuten später, „aber dass ausgerechnet dein Name das Passwort zum Öffnen der Haupttür war ...“ „Hojo-Humor“, konstatierte Sephiroth trocken. „Ja. Bin ich froh, dass deiner besser ist!“ Der General schmunzelte verhalten, sagte aber nichts sondern zog es vor, die nähere Umgebung zu studieren. Große Häuser wirkten äußerst lebendig, solange sich viele Personen darin aufhielten, aber leer schien sich das Innere eines solchen Gebäudes auf seltsame Art und Weise zu verdoppeln. Dazu kamen die tiefe Grabesstille und das kalte Licht des Vollmondes, das durch die Fenster fiel und geisterhafte Helligkeit schuf. Schon der großzügig angelegte Eingangsbereich der Villa ließ darauf schließen, wie prunkvoll diese einst eingerichtet gewesen sein musste. Jetzt war davon nicht mehr viel zu sehen. Das Mondlicht offenbarte überall renovierungsbedürftige Stellen, die aber ausschließlich auf mangelnde Pflege und den Zahn der Zeit zurückzuführen waren. Ganz offensichtlich hatte der Scout die Wahrheit gesagt: Niemand traute sich, das Haus zu betreten. Bis heute Nacht. „Was für ein unheimlicher Ort“, wisperte Cutter. Sie hatte nie an Geister und dergleichen geglaubt, begann sich aber hinsichtlich des vor ihr liegenden Szenarios unwillkürlich zu fragen, ob diese Ansicht nicht ein bisschen zu ... voreilig gewesen war. Und so rückte sie ein klein wenig näher an Sephiroth heran, konnte spüren, wie die Furcht in ihrem Herzen zurückwich – und durch Zacks Worte erneut angefacht wurde. „Irgendetwas ist hier.“ Die Stimme des 1st klang ernst und wachsam. „Könnt ihr es spüren?“ „Ja“, antwortete Sephiroth leise. „Und es gilt mir.“ Schon seit Betreten des Hauses war ihm, als griffe eine auf rein mentaler Ebene existierende Macht nach seinem Bewusstsein in dem Bestreben, es mit sich zu ziehen. Es war überall. Drang aus den Wänden, dem Boden, kam über die Treppe zum ersten Stock geglitten, aus jedem Zimmer, sogar aus dem Mondlicht und den Fenstern. „Weißt du“, erwiderte Zack fest, „wir müssen nicht in diesen Keller gehen. Wir können uns jetzt umdrehen, in ein paar Stunden mit dem Helikopter zurück ins HQ fliegen, du kannst Hojo zusammenstauchen, weil er es gewagt hat, deine Zeit zu stehlen, und alles dich betreffende würde bleiben, wie es ist. Meines Erachtens nach warst du mit dir selbst noch nie so sehr im Reinen, wie jetzt. Mach dir das nicht kaputt.“ Eine Moment lang blieb es ganz still. Dann aber ... „Wenn du logisch und vorausschauend denkst, Zackary Fair, bist du mir unheimlich. Lass das!“ „Nicht, wenn es dich davon abhält, eine Dummheit zu begehen. Wer sich in Gefahr begibt, hat eine Menge Spaß – oder kommt darin um. Hier ist absolut nichts Spaßiges.“ „Wo bleibt deine Neugier, SOLDIER?“ „Wartet am Eingang auf mich und will zurück nach Midgar.“ „Und ich will wissen, was in diesem Keller ist.“ „Worauf tippst du?“, schaltete sich Cutter leise ein. „Ich meine, was wenn ...“ Sie verstummte. „Was auch immer da unten ist“, antwortete Sephiroth ruhig, „es spielt keine Rolle.“ „Wenn es sowieso keine Rolle spielt“, knurrte Zack, „lass uns abhauen!“ „Hojo kann mir nichts mehr anhaben“, beharrte Sephiroth. „Ich habe ihn besiegt. Er wird das niemals einsehen, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Er hat verloren. Er wird mich nie wieder anrühren, weder mental, noch körperlich. Weil ich jetzt ganz genau weiß, was und wer ich bin.“ Er streckte die Hand aus und streichelte über die Wange seiner Freundin. „Das habt ihr mich gelehrt. Du und Zack. Dagegen ist Hojo machtlos, ganz egal was er versucht. Also mach dir keine Sorgen um mich.“ Aber Cutter schüttelte heftig den Kopf. Sie wusste, Sephiroth war sich absolut sicher, aber diesmal ... „Sephy, momentan bist du nur hier, weil Hojo dir gesagt hat, dass du hergehen sollst! Er macht sich deine Neugier und dein Selbstvertrauen zunutze! Er ist sich absolut sicher!“ „Genau“, schaltete sich Zack sehr ernst ein. „Versteh mich nicht falsch, Seph, ich glaube dir, aber diesmal wäre es mir lieber, du würdest auf uns hören und den Rückzug antreten.“ „Ihr glaubt also“, fasste Sephiroth ruhig zusammen, „ich bin mir zu sicher?“ Und als seine beiden besten Freunde heftig nickten: „Es steht euch frei, zu gehen oder zu bleiben, aber ich will wissen, wovon Hojo redet.“ Zack und Cutter mussten einander nicht einmal fragend ansehen. Ihr General schmunzelte. „Wisst ihr, eigentlich bin ich froh, dass ihr so multifunktional einsetzbar seid.“ „Suchen wir den verdammten Eingang zum Keller!“, knurrte Zack. Sephiroth nickte. Das Trio wurde im ersten Stock fündig. Die Geheimtür war nicht sonderlich gut getarnt und ließ sich so widerstandslos öffnen, als habe sie nur auf diesen Moment gewartet. Ruhe und Finsternis begrüßten die drei neugierigen, aber dennoch sehr wachsamen Blicke, die sich schließlich auf der ersten nach unten führenden und gerade noch sichtbaren Treppenstufe trafen. „Ich gehe vor. Cutter, du folgst mir. Zack übernimmt die Nachhut.“ Wenige Sekunden später waren sie auf der kreisförmig absteigenden und zur linken Seite hin äußerst steil abfallenden Treppe unterwegs. Cutter fand sich schlagartig in einer ganz neuen Herausforderung wieder. Mit Hilfe der Lines hätte sie die gesamte Umgebung völlig problemlos erfassen können. Aber so war sie wie erblindet und musste sich voll und ganz auf ihre noch nützlichen Sinne verlassen. Glücklicherweise befand sich die Treppe in einem guten Zustand und die Stufen führten in regelmäßigen Abständen nach unten. Ein gewisser Rhythmus stellte sich ein. Aber in der trügerischen Sicherheit wuchs das Gefühl, sich etwas Entsetzlichem zu nähern. Zack war niemand, der leicht in Panik geriet. Aber das hier war anders. Auf eine Art und Weise, die er einfach nicht beschreiben konnte. Nur, dass `es´ stark war. Erschreckend stark. Und es steigerte sich mit jedem Schritt. Irgendwann endete die Treppe in künstlichem Dämmerlicht. Jetzt erstreckte sich ein weiter Gang vor dem ShinRa Trio. Cutter und Zack warfen Sephiroth einen zu gleichen Teilen besorgten wie fragenden Blick zu. Ihr General stand ganz still und sah in den vor sich liegenden Gang. „Die Luft hier unten“, murmelte er irgendwann, „ich könnte schwören, sie zu kennen. Als ... wäre ich schon einmal hier gewesen. Aber dem ist nicht so, ich bin ganz sicher!“ Er schüttelte den Kopf und setzte sich erneut in Bewegung. Cutter und Zack wechselten einen zu gleichen Teilen überraschten, wie auch besorgten Blick. Eigene Verwirrung war ihnen nicht fremd, aber diese auch bei Sephiroth zu sehen, mehr als seltsam und beunruhigend. Und so folgten sie ihm mit äußerster Aufmerksamkeit, auf der Suche nach dem Detail, das die Verwirrung beseitigen konnte. So unspektakulär der Gang an sich wirkte, so unauffällig war auch die Tür, die irgendwann seitlich gelegen auftauchte. Sie schien aus Holz zu bestehen, entpuppte sich aber bei näherer Begutachtung als geschickt getarnte ShinRa Sicherheitstür der Stufe Z-25 G – und steigerte Sephiroths Verwirrung. Er kannte diese Sorte Türen. Sie wurden ausschließlich im Laborbereich eingesetzt. Weshalb existierte eine solche Variante ausgerechnet hier? Es ergab absolut keinen Sinn! Es sei denn ... Eine furchtbare Ahnung begann in dem General aufzusteigen, zu klar, zu tief um sich als Irrtum herauszustellen. Die Tür hatte Masamune nicht das Geringste entgegenzusetzen. Sie landete scheppernd in einem Raum, dessen Deckenbeleuchtung sofort reagierte, sich einschaltete und der Dunkelheit ihren jahrelang friedlich schlafenden Inhalt entriss. „Was zum ...“, wisperte Zack und ließ das Busterschwert zögerlich sinken. Der sich ihm bietende Anblick war zu grotesk, um wahr zu sein, kümmerte sich aber nicht im Geringsten um die Ansichten des 1st, sondern bleib weiterhin bestehen. Nicht gerade sauber. Renovierungsbedürftig. Veraltet. Aber dennoch ein Labor unter der Erde. Es gab Schränke, in denen sich früher einmal große und kleine Wichtigkeiten befunden haben mochten. Makotanks mit einladend weit geöffneten Türen, weitere ShinRa Technologie ... und in der Mitte des Raumes einen großen Tisch, einen Untersuchungstisch, mit eisernen Hand- und Fußfesseln, über dem eine kreisförmige Metallplatte mit eingelassenen, ebenfalls runden Lampen angebracht war. Der Anblick jagte eisige Schauer über Sephiroths Körper. Dann realisierte er, dass es nicht nur der Tisch an sich war. Der gesamte Raum schien das Gefühl zu verursachen. Dazu kam dieser seltsam dumpfe Druck der Vertrautheit. Ich kenne diesen Raum!, dachte der General irgendwann. So sah Hojos Labor vor der Modernisierung aus. Er hat mich damals schlafen gelegt, damit ich für die Dauer des Umbaus nicht im Weg bin. Und als ich wieder aufwachte, war ... alles anders. Wie kann dieser alte Raum immer noch existieren?! Dieser verdammte Bastard hat mich angelogen! Aber warum wollte er, dass ich die Wahrheit erfahre? Was ist hier los? „Wir sehen hier mehr als ein ausrangiertes Labor vor uns“, ließ sich der neben ihm stehende Zack leise vernehmen. „Oder?“ Sephiroth hätte gerne geschwiegen. Aber dafür war Zack nicht mitgekommen. Und so fasste er die Kernaussage dieses Raumes in wenigen Sätzen zusammen. „Aber“, murmelte Cutter, die ebenfalls gut zugehört hatte, „wenn das alles noch hier ist ...“ „Genau!“, knurrte Sephiroth. „Es gab nie eine Modernisierung. Man hat mich von hier nach Midgar gebracht. Die Frage lautet: `Warum?´ und `Wozu?´!“ Er verhielt einen Augenblick bewegungslos, dann wandte er sich abrupt um und trat zurück in den Gang, steuerte mit entschlossenen Schritten die ursprünglich anvisierte Tür an dessen Ende an. Zack und Cutter folgten ihm. Es war wie beim Puzzeln. Erst richtig aneinandergefügt ergaben die einzelnen Stücke ein Bild. Und vermutlich lagen alle anderen Teile hinter der nächsten Tür verborgen. Das Gefühl, sich irgendetwas Großem zu nähern, wurde mit jedem Schritt stärker, und Sephiroths Instinkt knurrte, aber auf eine Art und Weise die überdeutlich versicherte, dass er lieber still gewesen wäre. Niemals zuvor hatte der General etwas Ähnliches gefühlt. Dennoch näherte er sich der Tür weiter. Da Hojo mit im Spiel war, konnte dahinter absolut alles warten. Zack dachte genauso. Außerdem musste er ständig an das vor etlichen Stunden geführte Telefonat mit Aerith denken. Die Worte seiner Freundin flatterten in seinem Kopf herum wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel, und der 1st konnte sie einfach nicht zu einer Landung bewegen. Gleichzeitig wusste er, dass es ihm unmöglich sein würde, Sephiroth aufzuhalten. Kein Hindernis und kein Argument der Welt wären dazu fähig gewesen. Und so behielt er seinen momentanen Status von wachsamer Schweigsamkeit bei. Auch Cutter war sehr still geworden. Ihr war nicht klar, was hinter dieser Tür lauerte, aber sie war sich absolut sicher, dass es nur grauenhaft werden konnte. Und sie hatte Angst. Hauptsächlich um Sephiroth, denn hier ging es nur um ihn. Sie erreichten die Tür. Auch diese Variante gehörte zum höchstmöglichsten ShinRa Sicherheitsversion, nicht als Einlass, sondern als unüberwindbare Barriere geschaffen. Selbst Zacks Busterschwert hätte nichts dagegen ausrichten können! Was mochte sich hinter einem solchen Hindernis verbergen? Ich wünschte, ich könnte die Lines sehen, dachte Cutter. Ich wünschte es so sehr! Aber ihr Wunsch wurde nicht erhört. Ihr blieb nur, die beiden SOLDIER zu beobachten, die sich längst mit Handzeichen verständigten. Eben nickte Zack und presste ohne das geringste Geräusch zu verursachen das Ohr an die Tür. Lauschte eine Weile hochkonzentriert. Und wich schließlich zurück, schüttelte den Kopf. Nichts zu hören. Wenn es hinter dieser Tür ein Lebewesen gab, so verhielt es sich momentan still (schlafend oder bereit zum Sprung?). Sephiroths Aufmerksamkeit hatte sich von der Tür auf den rechts daneben liegenden Bereich fokussiert. Hier war eine kleine, aus Zahlen und Buchstaben bestehende Tastatur nebst matt leuchtendem Display in die Wand eingelassen. Der General beobachtete sie eine Weile schweigend. Ein Passwort. Ein Passwort zum Öffnen der Tür. Das ist Hojos Spiel, dachte Sephiroth. Er wollte mich dazu bringen, herzukommen. Seine Bemühungen waren vergebens, wenn ich an einem simplen Passwort scheitere, denn mit Gewalt werde ich diese Tür nicht öffnen. Hojo will, dass ich den Inhalt dieses Raumes sehe. Also muss er ein Passwort gewählt haben, das mir bekannt ist, und auf das ich hinsichtlich dieses Szenarios komme, und zwar innerhalb kürzester Zeit. Mein Name hat die Haupteingangstür geöffnet, also wird er diese Kombination hier unten nicht schon wieder verwendet haben ... Es ist ein Rätsel. Hojo ... ich ... und ... Sein Instinkt raunte einen Namen. Einen Namen der im Grunde völlig absurd war und keinesfalls hierher passte. Und dennoch war er so eng mit Sephiroth verwoben, dass dieser jegliche Zweifel beiseite schob und Cutter zu sich winkte. Ihre bedeutete, Buchstaben in einer ganz bestimmten Reihenfolge in den winzigen Computer einzugeben und dann sofort in Deckung zu gehen. Die junge Frau blinzelte verblüfft hinsichtlich der genannten Buchstabenreihenfolge, dann aber nickte sie. Beobachtete, wie Sephiroth Masamune zog und neben Zack vor der Tür auf Position ging. Ein letztes Nicken. Dann begann Cutter Tasten zu drücken. J E N O V A `Enter´! Das leise Klicken der sich öffnenden Tür war noch nicht einmal annähernd verklungen, als Sephiroth diese mittels eines entschlossenen Fußtrittes ganz aufstieß. Die beiden SOLDIER stürmten vorwärts, entschlossen und siegessicher, wie sie sich all ihren Gegnern präsentiert hatten ... und bremsten nur wenige Meter später wieder ab. Ein für sie gänzlich untypisches Verhalten. „Das ist ein Scherz“, konnte Cutter Zack irgendwann knurren hören. „Oder?“ Sephiroth seufzte leise, antwortete aber nicht. Stattdessen erklang ein leises Klicken. Licht fiel in den dunklen Gang, erstreckte sich bis zu Cutter und zog sie vorwärts, hinein in den Raum. Wenige Sekunden später fand sich die junge Frau in einer der größten Verblüffungen ihres bisherigen Lebens wieder. Das Licht hatte keinen einzigen der erwarteten Schrecken enthüllt, sondern Regale voller Bücher. Sie erstreckten sich beidseitig einen breiten Flur entlang und mündeten in einem weiteren, kreisförmigen Raum, in dessen Mitte sich ein großer Schreibtisch mit entsprechender Sitzmöglichkeit befand. Und obwohl Bücher zu den beruhigendsten Anblicken überhaupt gehörten ... diese hier waren anders. Etwas Seltsames ging von ihnen aus, als seien es Raubtiere, die ihre Opfer langsam von allen Seiten einkreisten und unaufhaltsam immer näher rückten. „Okeeey, Hojo hat eine Privatbibliothek hier unten. Toll.“ Zack gab sich alle Mühe, normal zu klingen, aber an den äußersten Rändern zitterte seine Stimme, verriet nur zu deutlich, dass auch er die bedrohliche Atmosphäre wahrgenommen hatte – und, dass er sie nicht mit den sonst so wirkungsvollen Waffen bekämpfen konnte. Trotzdem gab er nicht auf. Speziell Sephiroths schlagartige Regungslosigkeit war höchst besorgniserregend. „Ich bin zutiefst beeindruckt. Bücher. Wenn´ s wenigstens DVD´s wären. Aber Bücher. Tss ... Gehen wir wieder hoch!“ Aber weder Cutter, noch der General bewegten sich. Der Blick der jungen Frau galt einzig und allein ihrem Freund. Schließlich griff sie nach seiner Hand. „Zack hat Recht. Lass uns wieder hoch gehen. Ich habe wirklich keine Angst vor Hojo, aber um dich schon, und hier unten ist irgendetwas, das dir Schaden zufügen wird, ich weiß es einfach!“ Aber der Blick des Generals löste sich nicht von den Büchern. Sie waren, wie er schon nach kurzer Zeit feststellte, nach Themengebieten geordnet. Gaia, der Lebensstrom, Mako, Makoreaktoren. Sephiroth zog seine Hand aus Cutters Griff und folgte dem Flur. Forschung, Forschung an diversen Lebewesen und etliche weitere Dokumentationen. Er erreicht den kreisförmigen Raum. Auch hier reichten die Bücherregale fast bis zur Decke und waren gut gefüllt. Aber noch verstand der General nicht, was er mit dem Planeten zu tun haben sollte. Oder mit dem Lebensstrom. Oder mit den Bänden „Die Cetra 1 – 10“. Oder mit ... Sein Blick huschte über den Schreibtisch ... und erstarrte. Weshalb lag ein einzelnes Buch mitten darauf, obwohl durchaus noch Platz dafür in einem der Regal gewesen wäre? Langsam trat Sephiroth näher. Bücher waren seltsam. Ihr Inhalt konnten Schrift auf Seiten sein. Oder, wenn das richtige Herz auf das richtige Buch traf, Tore zu anderen Welten. Sie konnten einen verzaubern, berühren, wütend machen, lieben lehren, erklären, trösten und noch so vieles mehr. Einen Aspekt jedoch besaß jedes gute Buch: Dem Leser den Glauben zu schenken, eigens für ihn geschrieben worden zu sein. Sephiroth hatte in seinem bisherigen Leben viele Bücher gelesen, hauptsächlich Fachbücher zu allen möglichen Themengebieten. Keines von ihnen war in der Lage gewesen, ihm das Gefühl zu vermitteln, verstanden worden zu sein. Aber das jetzt vor ihm liegende Exemplar war, auf eine nicht greifbare Art und Weise, anders. Es schien förmlich nach ihm zu rufen. Wieder und wieder. Wie etwas, das gefunden werden wollte. Von ihm. Nur von ihm. Und als der General vorsichtig die Fingerspitzen auf den Einband legte, war ihm, als schnappe im tiefsten Inneren seiner Seele irgendetwas zu, unwiderruflich und für den Rest seines Lebens. Gleichzeitig versicherte ihm sein Instinkt, dass dieses Buch nur den Anfang darstellte. Den Anfang zur Beantwortung aller Fragen, die er sich jemals bezüglich seiner Existenz gestellt hatte, und derer, die zu formulieren es ihm bisher nicht möglich gewesen war. Es war seltsam. Bis vor wenigen Minuten war sich der General so sicher gewesen, absolut Allem wiederstehen zu können – jetzt aber begann diese Ansicht zu bröckeln. Vorsichtig. Und dennoch deutlich spürbar. Der frei gewordene Platz wurde augenblicklich von der mit Wissen beladenen Aura des Raumes gefüllt. Diese Bibliothek, dachte Sephiroth, ist meinetwegen hier. Aber ich bin hier, weil mich Hojo hierher geführt hat. Wenn er meinen Aufenthalt hier will, ist er sich absolut sicher, einen gewissen Einfluss geltend machen zu können. Ob er sich irrt oder nicht finde ich nur heraus, wenn ich hier bleibe ... Und für einen Moment fragte sich Sephiroth, ob es nicht wirklich besser gewesen wäre, auf Zack zu hören und diesen Ort niemals zu betreten. Aber es war zu spät, wusste er doch mit tiefer, innerer Gewissheit, dass er diesen Raum ebenso wenig würde vergessen können, wie das Buch, das immer noch in seinen Händen ruhte. Fast wäre er erschrocken zusammen gezuckt als das Klingeln eines PHS durch den Raum schallte. Zack nahm das Gespräch an, lauschte, bestätigte, steckte das Gerät wieder weg und wandte sich zu seinem General um. „Unser Helikopter ist im Anflug.“ In seiner Betonung schwang noch ein anderer Satz mit. `Lass uns drei auch abhauen, Seph!´ Der General schwieg einen Augenblick. Sah sich in dem Raum um. Fühlte der bedrohlich wissenden Atmosphäre, die dabei war, sich immer dichter um ihn zu schließen, entgegen. Sah hinüber zu Zack und Cutter, die seinen Blick schweigend erwiderten, sichtlich besorgt, sich äußerst unwohl fühlend, und dennoch fest entschlossen, hier zu bleiben, wenn die Situation es erforderte. Für mich, dachte Sephiroth, würden sie bleiben. Nur für mich. Und was ist mit mir? Will ich wirklich hier bleiben? Finden, was immer hier auf mich wartet? Hojo will mich immer noch erneut unter seine Kontrolle bringen und glaubt, das hier könnte ihm dabei helfen. Aber wenn ich mich jetzt umdrehe, weggehe und nie wieder herkomme, hat er ein weiteres Mal verloren. Und ich bleibe, was und wer ich bin. Für mich. Und andere. Er atmete tief durch, erwog ein letztes Mal alle Pro- und Kontrapunkte ... und traf eine Entscheidung, legte das Buch zurück auf den Schreibtisch, wandte sich zu seinen beiden Freunden um und nickte. „Wir fliegen zurück nach Midgar.“ Zack und Cutter atmeten zeitgleich auf. „Gaia sei Dank!“, murrte der 1st.. „Ehrlich, Seph, du ...“ „Vorwärts, SOLDIER! Ich habe schon Helikopter in gepflegten Vorgärten landen sehen, bloß weil ihnen niemand gesagt hat, dass der angrenzende Marktplatz dafür viel besser geeignet ist.“ „Das ist nicht dein Ernst!“, prustete Cutter und griff nach seiner Hand. „Verlass dich drauf!“ Nebeneinander gingen die drei durch den von Bücherregalen gesäumten Flur und näherten sich der Tür. „Ich bin so froh, dass wir hier abhauen“, murmelte Cutter und drückte seine Hand fester. „Ich glaube nämlich, das wäre nicht gut ausgegangen.“ Sephiroth antwortete nicht. Sein Blick war fest auf die Tür und den davor liegenden Gang gerichtet. Nur fünf Schritte, und sie würden diese Welt aus Büchern und Informationen verlassen ... Noch vier Schritte ... noch drei ... noch zwei ... einer ... „Darf ich dabei sein, wenn du Hojo verprügelst?“, erkundigte sich Zack. „Ich möchte zu gerne ...“ Sie traten in den Gang. Sephiroth warnte nicht. Er löste sich von Cutter, griff gleichzeitig nach Zacks wie immer auf dessen Rücken getragenen Busterschwert, trat zurück in die Bibliothek und hatte die Tür geschlossen, noch ehe seine Freundin oder Zack Gelegenheit hatten, auch nur das Geringste dagegen zu tun. Eine Sekunde später allerdings bebte die Tür schon leicht unter der verhältnismäßig starken Wucht, mit der sich Zacks Körper von außen dagegen warf. Der General ließ sich davon nicht stören. Er wusste, eine Tür wie diese ließ sich so nicht öffnen, und so teilte er ihr lediglich durch den in ihr eingelassenen Minicomputer ein neues Passwort zu. Tut mir leid, dachte Sephiroth. Wirklich! Aber das hier gehört mir. Und ich trete meinen Gegnern prinzipiell allein entgegen. Er wandte sich um und kehrte langsam zu dem kreisförmigen Raum zurück und ließ sich in dem hinter dem Schreibtisch stehenden Stuhl nieder. Sah sich um, schweigend. Jetzt gehörte all das hier wirklich ganz allein ihm – und es schien ihn Willkommen zu heißen. Etliche Minuten vergingen. Dann griff Sephiroth nach dem Buch mit dem Titel `Jenova Projekt´ und begann zu lesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)