FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 47: Befreiungsschlag ---------------------------- Rufus Shinra liebte es, Dinge zu beeinflussen und zuzusehen, wie sie sich entsprechend seiner Vorstellung verwandelten. Dass die Dinge nicht immer damit einverstanden waren, kümmerte ihn entweder nie oder nur für wenige, unbedeutende Sekunden. Und so lehnte er auch Professor Hojos Antrag auf eine ab sofort durch SOLDIER stattfindende Bewachung des Laborbereiches ab (unterband gleichzeitig neue, diesbezügliche Anfragen), amüsierte sich insgeheim köstlich über die neue Haarfarbe des `Genies´ und nahm relativ gut gelaunt die Post entgegen. Diesmal befand sich ein ganz besonderes Schreiben darunter: Ein mit sonnengelbem Siegelwachs verschlossener Brief. Einen Moment lang überlegte Rufus, ob er ihn sofort und ungelesen vernichten sollte – dann siegte seine Neugier, und nur wenige Sekunden später kollidierte der Blick des Präsidenten mit per Hand geschriebenen, gut leserlichen und präzise formulierten Sätzen. Hiwako Destin teilte mit, dass der Planet vorerst keine weiteren Reaktoren vernichten würde und auf diese Art und Weise eine Kooperation mit Solar Solution vorschlug, in deren Verlauf die Energieversorgung der Bevölkerung Gaias ohne Ausnahme auf Solarplatten umgestellt würde. Zusätzlich wurde Rufus zu einem Treffen eingeladen, bei dem nähere Vorgehensweisen erläutert werden konnten. `In der unauslöschlichen Hoffnung auf baldige, erfolgreiche Zusammenarbeit verbleibe ich, mit freundlichen Grüßen, Ihr Destin.´ Fast hätte der Präsident der mächtigen Electric Power Company vor Wut mit den Zähnen geknirscht. Immer noch nichts gegen diese dreiste Person unternehmen zu können, bewegungsunfähig zu sein hinsichtlich einer solchen Frechheit, die nichts außer einer klaren und endgültigen Antwort verdiente ... Er beherrschte sich im letzten Augenblick und dachte an seine momentan einzige Hoffnung: Die Turks. Sie strichen pausenlos durch die Stadt, stets auf der Suche nach Hinweisen bezüglich Hiwakos derzeitigem Aufenthaltsort. Aber es gab keine Neuigkeiten. Ganz offensichtlich hatte sich Midgar gegen ShinRa verschworen, um die Chancen eines Sieges von `Solar Solution´ so hoch wie möglich zu halten, und momentan gab es keinen Joker, den Rufus hätte einsetzen können um die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Selbst Tzimmek war, obwohl ihre Fähigkeiten in vervielfältigter Form die Rettung gewesen wären, nutzlos, und Rufus wusste nicht, was die Abwehrreaktionen der Luna Lance hervorrief. Die Möglichkeiten waren zu zahlreich, und sein Instinkt sagte ihm nur, dass es momentan nicht möglich war, diese auszutricksen oder zu umgehen. Dazu kam, dass die Luna Lance bisher ausschließlich in Tzimmeks Händen gesehen worden war. Es musste so eine verdammte Blue Wanderer Sache sein. Irgendwas Mentales. Ob Jenova Projekt 1 darüber Bescheid wusste? Nein. Crescent kümmerte sich nicht um Mentalitäten. Crescent gab Befehle! Und wie sich andere bei deren Ausübung fühlten, kümmerte ihn nicht. Die Turks auf die junge Frau anzusetzen, wäre zu offensichtlich gewesen. Außerdem war davon auszugehen, dass auch diese eine Line besaßen. Wer konnte sagen, ob Tzimmek nicht der gesamten Einheit Fell verpassen würde? Von einem Haufen Katzen bewacht zu werden, war keine sonderlich beruhigende Vorstellung. Nein. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben. Vorerst allerdings blieb nur, auf den Fehler zu warten, den sie irgendwann begehen musste. Jemandem wie Tzimmek unterliefen regelmäßig Fehler. Man musste nur den richtigen erkennen! Bis es soweit war, würde Rufus sie weiterhin dazu benutzen, die Stadt auf neue Reflektorenlines zu überprüfen. Auf diese Art und Weise konnte sicher gestellt werden, wann genau sich Solar Solution von dem durch `Silent Cry´ zugefügten Schaden erholt hatte. Vielleicht blieb genug Zeit, einen neuen Plan zu entwerfen und in die Tat umzusetzen. Ansonsten ... was einmal funktioniert hatte, klappte in der Regel auch ein zweites Mal. Rufus lächelte kalt, zerknüllte den Brief und ließ ihn in den Papierkorb fallen. Was auch immer Solar Solution plante, es würde weder unbemerkt, noch ungestraft bleiben! Gar nicht so weit von Rufus entfernt las Destin aufmerksam eine e-mail, die ihm den aktuellen Stand der neuen, noch in Ausbildung befindlichen Techniker mitteilte, und freute sich ehrlich über die gemachten Fortschritte. Diese Leute begriffen so schnell! Lange würde es nicht mehr dauern, bis die Bewegungsunfähigkeit von Solar Solution endete. Ob ShinRa diesem Moment zuvorkommen würde? Destin war nicht naiv genug, um glauben zu können, dass die Electric Power Company tatsächlich so bewegungsunfähig war, wie es schien. Mit Sicherheit fanden interne Vorgänge statt, die sich irgendwann in gewohnt aggressiver Form nach außen hin präsentieren würden. Ob diese Tzimmek Teil davon war? Es hatte Destin einiges an Zeit gekostet, aber mittlerweile war er im Besitz einiger die Lines betreffender Bücher. Seltsamerweise widersprachen sich viele der dortigen Informationen mit den Daten, die er unter der Hand über Tzimmek erfahren hatte. So sollte sie nicht nur in der Lage sein, die Welt der 2nd und 3rd Lines (beide Welten fanden in keinem der Bücher eine Erwähnung) zu bereisen, sondern auch, die Lines mit Hilfe des immer griffbereiten Stabes zu beeinflussen. Was Destin am meisten wunderte war, dass sie ihn noch nicht aufgespürt hatte. Ob mit seiner eigenen `Line´ etwas nicht in Ordnung war? Besaß er vielleicht gar keine? Sämtliche diesbezügliche an den Planeten gerichtete Fragen waren unbeantwortet geblieben und stellten Destin vor eine große Herausforderung: Zu vertrauen, ohne genau erkennen zu können, was vor sich ging. Irgendetwas musste der Planet getan haben. Ob sich irgendwann herausstellen würde, worum es sich dabei genau handelte? Ob es überhaupt wichtig war? Destin seufzte leise. Das Bewusstsein, von einer derart großen Macht beeinflusst zu werden, war, wenn er genauer darüber nachdachte, mehr als seltsam. Und auch, wenn diese Macht ihn nicht bedrohte, so würde er doch mehr als froh sein, bald wieder selbst etwas bewirken zu können. Nur noch wenige Wochen! „Ist das Wetter nicht der Hammer?“ Cutters Stimme klang restlos begeistert, gleichzeitig reckte und streckte sich die junge Frau, sah hinauf zum strahlend blauen Himmel und seufzte genießerisch. Der Frühling war nahtlos in einen Sommer übergegangen, der versprach, zu einem wahren Jahrhundertsommer zu werden und in dessen Luft das Versprechen von unzähligen bevorstehenden Abenteuern lag. Tagsüber flirrte die Luft vor Hitze. Nachts wehte ein beständiger, leichter und vor allen Dingen kühler Wind. Wer konnte, verbrachte die Tage im Schatten, schlief bei aktiver Klimaanlage (oder wenigstens bei geöffnetem Fenster) und versuchte ansonsten, sich so oft wie möglich in allen nur erdenklichen Varianten abzukühlen. Für Cutter, die missionstechnisch vollkommen ausgelastet war, hätten `Tage im Schatten´ bestenfalls in ihren Träumen finden können. Momentan allerdings hatte sie andere Dinge im Sinn. „Ich will schwimmen gehen!“ „Du bist im Dienst“, erinnerte Sephiroth pflichtbewusst wie üblich und ließ gleichzeitig seinen strengen Blick über den nahen See schweifen, auf dem einige der SOLDIER Kadetten mit Booten dabei waren, eine Trainingseinheit auf dem Wasser zu absolvieren – oder besser: Zu versuchen, diese zu absolvieren. Denn alles, was sie bislang präsentierten, war die Unfähigkeit, trotz des hohen Schwierigkeitsgrades im Team zusammenzuarbeiten (jeder wollte allein vor dem General glänzen), triefendnasse Kleidung und zunehmende Gereiztheit. So unzufrieden Sephiroth darüber war, so unbeeindruckt zeigte sich Cutter. „Ich will trotzdem schwimmen gehen!“ Sie ließ nicht locker. „Deine Kadetten dürfen!“ „Meine Kadetten“, grollte Sephiroth, „gehen nicht schwimmen, weil sie es wollen oder ich es ihnen gestattet habe, sondern weil sie nicht geschickt genug sind, zu begreifen, was ich von ihnen will und wie sie es anstellen sollen.“ „Und wenn sie sich nun absichtlich blöd stellen, um schwimmen zu gehen?“ „Da dies eine offizielle Mission darstellt und entsprechend benotet wird – von mir, wie du weißt – wage ich, deine Idee zu bezweifeln.“ Gleichzeitig unterdrückte er hinsichtlich der aktuellen Vorgänge auf dem See ein genervtes Stöhnen. Wenn sich nicht sehr, sehr bald ein Erfolg einstellte, würde er ... Ein anderes, in seiner unmittelbaren Nähe stattfindendes Vorgehen zog seine Aufmerksamkeit schlagartig auf sich. „Darf ich fragen, was du vorhast, SOLDIER?!“ „Ich will schwimmen gehen!“ „Du bist im Dienst, Zackary!“ „Ich will trotzdem schwimmen gehen! Deine Kadetten dürfen!“ Cutter begann vergnügt zu lachen. Sephiroth hingegen bemühte sich um eisige, erhabene Dominanz. „Zackary Fair, hör auf, dich auszuziehen und ... Sind das Chocobos auf deiner unerlaubterweise unter der Kleidung getragenen Badehose?“ „Ja, Sir! Süß, nicht? Hat mir Aerith geschenkt.“ „Sie hätte dir besser eine Leine mit Halsband schenken sollen! Und einen Pflock. Mit Hammer!“ „Und den passenden Hund kriege ich von dir? Ich wünsche mir einen Husky!“ „Zu dir würde eher ein Stragami passen!“ „Huh? Was ist ein Stragami?“ „Ein STRAßenGemArkungsMIschling! Und jetzt zieh dich wieder an!“ Zack sah mit weinerlichem Blick in Richtung Cutter. „Dein Freund und mein General ist heute wieder ganz besonders böse, kalt, herzlos, unausstehlich und gemein!“ Sephiroth lächelte genüsslich. „Nur zu Leuten, die es verdient haben!“ „Verdient“, grummelte Zack, „hätte ich eigentlich einen Sprung ins kühle Nass!“ „Ich auch!“, murrte Cutter. „Du warst nicht für diese Mission eingeteilt“, erinnerte Sephiroth. „Du bist freiwillig mitgekommen.“ Trotz aller Fakten schwang in seiner Betonung noch ein anderer Satz mir. `Um bei mir zu sein.´ „Richtig“, antwortete Cutter (sie hatte die Botschaft ganz genau verstanden), „und ich bin sehr, sehr gerne bei dir. Aber ich muss gestehen, bei dem Wort `Wasser´ nicht an `am Rand stehen und zugucken´ gedacht zu haben.“ „Dann denk bitte ab jetzt daran.“ Cutter machte ihr unglücklichstes Gesicht. Dann stahl sich ein vergnügtes Funkeln in ihre Augen. „Duhuuu, General Sephiroth?“ Der Angesprochene warf seiner Freundin einen warnenden Blick zu. Sätze, die mit `Duhuuu, General Sephiroth´ begannen, konnten unmöglich ernsthaft enden. Er sollte sich nicht irren. „Können wir die Kadetten nicht zur Strafe wegschicken und dann schwimmen gehen? Nur ganz, ganz kurz?“ Es war nur zu offensichtlich, dass Cutter genau zwei Dinge wollte: Schwimmen gehen – und mit ihrem Freund allein sein. Momentan allerdings war dieser, wie sein bestimmendes Kopfschütteln verriet, mehr General als Freund, und so blieb der jungen Frau nichts übrig, als das zu akzeptieren und sich entsprechend zu verhalten. Wenigstens für einen Moment. Sie seufzte leise und blickte wieder zum See. Wie herrlich das Wasser in der Sonne glitzerte, und wie grandios man jetzt darin hätte schwimmen können ... Aber wenn das nicht möglich war, vielleicht konnte man trotzdem etwas Lustiges damit anstellen? Cutter grinste, legte eine Hand vorsichtig an die Luna Lance, nahm Kontakt mit der Line des Sees auf ... Das Gesicht gehört zu den beweglichsten Komponenten des Körpers. Man kann sich noch so sehr anstrengen, irgendeine Reaktion auf äußere oder innere Vorgänge spiegelt es immer wieder. Manchmal kaum merklich, manchmal ganz offensichtlich. Die Gesichter der Kadetten auf dem See zeigten einheitliche Verblüffung, als ihre Boote schlagartig zu sinken begannen, weil sich das Wasser in grüne Götterspeise verwandelt hatte. Neben Sephiroth begann Zack schallend zu lachen. „Cuttie, gib ihnen noch ein paar Löffel! Vielleicht absolvieren sie ihre Aufgabe schneller, indem sie den See aufessen!“ Gleichzeitig zückte er sein PHS, um Beweisfotos zu machen. Der General selbst reagierte nicht sofort. Er sah auf den jetzt bis zum Rand mit essbarem Grün gefüllten See, die fast schon vollständig und ohne ersichtliche Gegenwehr untergegangenen Kadetten in ihren Booten ... und erst dann, ganz langsam nach rechts. „Bei spätestens `3´ befindet sich das Wasser wieder im Ursprungszustand und du dich auf der Flucht! Eins!“ Cutter quietschte auf, verwandelte den Wackelpudding wieder in Wasser (das sich augenblicklich kompromisslos über den Köpfen der Kadetten und deren tief eingesunkenen Booten schloss) und begann zu rennen. Bei `3´ war sie im an den See grenzenden Wald verschwunden. Sephiroth schüttelte innerlich den Kopf. Diese verflixte Cutter! Wie konnte man nur auf so eine verrückte Idee kommen?! Auf dem See waren die Boote mittlerweile wieder auf der Wasseroberfläche aufgetaucht, allerdings so ruckartig, dass ihr Inhalt nach einem unfreiwilligen, kurzen Flug einmal mehr im kühlen Nass paddelte – eine Ereignisreihenfolge, über die sich Zack gar nicht mehr beruhigen konnte und prompt die entsprechende Quittung seines Generals bekam. „Zackary, hör auf zu lachen, Fotos zu machen und Videos zu drehen! Steck das PHS weg, geh runter zu diesen nassen Möchtegernhelden und erkundige dich, ob sie mit den Begriffen `Teamwork´ und `Zeitplan´ etwas anfangen können. Jetzt!“ „Jawohl, mein General, Sir, Boss und Idol, dein treuer Diener hört und gehorcht sofort.“ Er entfernte sich immer noch vergnügt Kichernd. Sephiroth gestattete sich ein erneutes leises Stöhnen. Kinder! Alle miteinander! Wenn es so weiterging, sah er schwarz für die Zukunft von SOLIDER, rabenschw ... Sein PHS begann zu klingeln, und der General wusste ohne hinzusehen, wer ihn anrief. Manche Personen betreffend wusste er es immer ... Entsprechend gestaltete sich seine Begrüßung. „Phoenix, was hast du angestellt?“ „Sephy, komm her! Das musst du dir ansehen!“ – Klick - `Sephy´ stöhnte leise, schloss für einen kurzen Moment die Augen und ging seine Optionen durch. Cutter befand sich mitten im Wald, hatte aber wie immer die Luna Lance bei sich und war somit zu 99,9 % außer Gefahr. Was stand also höher? Die Chance, weiteren grandiosen Blödsinn (oder die Möglichkeit dazu) entdeckt zu haben, oder der Wunsch, ein wenig Zeit mit ihm allein zu verbringen? Bei Cutter war so gut wie alles möglich. Und abgesehen davon ... Obwohl wir jetzt öfter und länger zusammen sind, irgendwie ist es nicht genug. Warum ist es nicht genug? Ich kann nicht klar definieren, woran es liegt. Oder was ich möchte, und wie. Liegt das an mir? Oder an ihr? Manchmal, wenn sie mich ansieht, ist in ihrem Blick etwas, das ... Ich kann es nicht beschreiben. Als wollte sie mir etwas sagen, ohne selbst genau zu wissen, was es ist. Aber es scheint nicht bedrohlich zu sein. Dazu ist es zu klar. Es ... Wie kann man nur etwas sagen, ohne zu wissen, was man sagt?! Das ist mal wieder absolut typisch für sie! Ich sollte nicht darüber nachdenken (oder sollte ich noch mehr darüber nachdenken?), sondern mich auf die Mission konzentrieren und ... Er sah zu den mittlerweile im Halbkreis um den sprechenden Zack stehenden, tropfenden Kadetten - ein Bild wie geschaffen für den Begriff `Dauert noch´. Sephiroth zögerte eine letzte Sekunde, gebunden durch Pflichtgefühl ... dann packte er das PHS weg und setzte sich in Bewegung. Er musste sich nicht einmal konzentrieren. Die Verbindung mit Cutter lotste ihn, einem Leuchtfeuer in dunkler Nacht ähnelnd, vorwärts. Diesmal führte der Weg quer durch den sommerlich grünen, angenehm schattigen Wald, und es dauerte eine ganze Weile, ehe die Bäume den General wieder freigaben. Was sich ihm nun offenbarte, war eine sonnenüberflutete Lichtung. Hüfthohes Gras, bunte Blumen, surrende Insekten, tanzende Schmetterlinge. Tiefer Frieden. Etwas weiter entfernt und fast verdeckt durch das hohe Gras befand sich ein großer, flacher und länglicher Felsbrocken. Die in seiner Nähe schwirrenden Libellen verrieten ein Wasservorkommen. Sephiroth wandte den Kopf ... und runzelte flüchtig die Stirn. War die Hütte ihm schräg gegenüber schon vorher da gewesen? Sie war ihm gar nicht aufgefallen, so perfekt fügte sie sich in das Bild, schmiegte sich förmlich an den Waldrand. Der General durchquerte langsam die Wiese, kam näher und hielt schließlich inne. Es war nicht direkt eine Hütte. Vielmehr handelte es sich bei dem Objekt um ein kleines Haus mit lediglich einer Etage, ebenerdig angelegt, ganz aus Holz gebaut und daher schon baufällig, aber nicht ganz verfallen. Irgendjemand hatte irgendwann einmal hier gelebt. Unauffällig. Eine einfache Person, die keine großen Ansprüche stellte, die mit sich allein sein wollte um niemanden zu stören und nicht gestört zu werden ... Cutter tauchte hinter dem Hausrücken auf und kam auf Sephiroth zu, lächelte fast verlegen. „Halt mich für verrückt, aber ich glaube, das hier ist der schönste Ort, den ich jemals gesehen habe. Irgendwie ...“ „Magisch.“ Er kam sich hinsichtlich seiner Wortwahl für keinen Augenblick albern vor. Dieser Ort ... war nicht wie andere. Er schien mitsamt seiner ganzen Atmosphäre aus der restlichen Realität herausgelöst zu sein. Wie etwas, das sich nur Auserwählten offenbarte. Cutter nickte. „Ja, das dachte ich auch. Ich habe den Schlüssel gefunden. Wollen wir reingehen?“ Ein Schlüssel ... Ob er hier vom früheren Besitzer deponiert worden war in der Hoffnung, eines Tages zurückkommen zu können? Scheinbar hatte sich der Wunsch nicht erfüllt. Die Tür allerdings öffnete sich trotzdem, ein wenig schwerfällig und laut quietschend, aber sie tat es. Trockene, vom Wind durch die einst mit Glas bedeckten Fensterrahmen hereingewehte Blätter raschelten unter ihren Füßen und glitzernde Spinnweben bewegten sich im jähen Luftzug, als Sephiroth und Cutter einen Raum betraten, der mit einer dicken Staubschicht aus vergangenen Tagen bedeckt war. Es gab hölzerne, morsche Möbel. Eine Eckbank, einen Tisch, einige Stühle. Einen großen Kamin mit einem breiten Vorbau, auf dem man an kalten Winterabenden bestimmt wunderbar bequem mit einem heißen Getränk hatte sitzen und lesen oder sich unterhalten können. Oder, dachte Cutter unwillkürlich und errötete, ganz andere Dinge. Sie konnte nichts dagegen tun. Diese Gedanken kamen und gingen in unterschiedlicher Stärke, waren aber nie ganz verschwunden. Manche von ihnen ließen die junge Frau erschauern und ihre viel zu aktive Phantasie förmlich verfluchen – was diese nur zu noch aktiveren Bildern anstachelte. Dabei war das doch früher ganz anders! Ich habe nie an ... so was ... gedacht. Aber mittlerweile? Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, je intensiver werden diese Gedanken, und ich ... glaube ich wäre nicht gerade unglücklich, wenn sie eines Tages wahr würden ... Tsss, das kommt davon, wenn man immer nur mit Kerlen auf Missionen geht, die sich hin und wieder mit blöden diesbezüglichen Sprüchen förmlich bombardieren! Und wenn man verliebt ist. In dich ... Und nicht genug kriegt von deinen Küssen und Berührungen ... Sie warf Sephiroth, der immer noch den ersten Raum inspizierte, einen vorsichtigen Blick zu und versuchte gleichzeitig, Gedanken und Gesichtsfarbe wieder unter Kontrolle zu bekommen. Letztendlich gelang es ihr. Und so trat sie an ihm vorbei in den winzigen Flur, der in eine kleine Küche führte. Auch hier gab es nur das Nötigste, eine Spüle aus weißem, mit Tausenden von Sprüngen versehenen Keramik, eine kleine Arbeitsfläche, Schränke deren Türen schief hingen oder bereits am Boden vermoderten. Am Ende des an der Küche vorbeilaufenden Flures gab es ein kleines Badezimmer, in dem sich allerdings nur eine verrostete Zinkwanne befand. Hinter der letzten Tür verbarg sich ein Raum, der ohne jeden Zweifel einmal als Schlafzimmer gedient hatte. So klein und renovierungsbedürftig alles war, es gab keinen Millimeter der nicht den unwillkürlichen Anschein vermittelte, irgendwann einmal von irgendjemandem mit Zuneigung förmlich überflutet worden zu sein. Wer auch immer hier gelebt hatte, er war an diesem Ort sehr, sehr glücklich gewesen. „Wenn man das wieder herrichten könnte, ohne den Zauber zu zerstören ...“, murmelte Cutter bewegt. Dann griff sie nach Sephiroths Hand. „Hast du den See schon gesehen?“ Er schüttelte den Kopf, ließ sich nach draußen führen und zu dem flachen Felsen, hinter dem die Libellen immer noch ihre flugtechnischen Kunststücke vorführten. Der See war nicht ganz so groß wie der, in dem die Kadetten hoffentlich mittlerweile etwas disziplinierter versuchten, ihre Aufgabe zu erledigen, aber viel fehlte nicht. Die Stimmung jedoch war eine gänzlich andere. Hier blühten Seerosen. Frösche quakten leise. Vögel kamen, um ihren Durst zu stillen. Und außerdem ... „Er ist ganz klar!“ Cutter stand am äußersten Rand des flachen Felsbrockens. Er ragte in den Teich hinein und hätte vielleicht einmal als Sprungmöglichkeit gedient haben können. „Hier gibt’s sogar Fische, siehst du?“ Sie sah kurz zu dem mittlerweile neben ihr stehenden Mann und begann mit der Luna Lance zu deuten. „Da ist einer ... und da hinten ... und ...“ Sephiroth hörte zu, war aber in Gedanken nicht ganz bei der Sache. Sein Instinkt versicherte ihm, hier mit seiner Freundin ganz alleine zu sein, und sie stand immer noch am äußersten Rand des Felsens, unter dem das Wasser tief genug war, um eventuellen Verletzungen vorzubeugen ... schwimmen konnte sie auch ... „... und da hinten ist sogar ein ...“ Weiter kam sie nicht. Die Berührung hätte keinesfalls als Stoß bezeichnet werden können. Es war vielmehr ein freundschaftliches Stupsen – aber völlig ausreichend. Cutter verlor den Halt und landete platschend im Wasser. Eine Sekunde lang blieb alles ganz still. Dann tauchte sie wieder auf, prustete, schüttelte energisch den Kopf, blinzelte das Wasser aus den Augen und sah zu gleichen Teilen entrüstet wie verblüfft zu dem immer noch am Rand des Felsens stehenden Sephiroth hinauf. „Du!“, jappste sie schließlich. „Du hast gesagt, du wolltest schwimmen.“ „Aber doch nicht mit der Uniform!“ Sephiroth grinste bewusst frech. „Davon hast du nichts gesagt ...“ „Na warte!“ Die Luna Lance hob sich aus dem Wasser, nahm Kontakt mit der Line des Felsens auf ... Sephiroth reagierte auf das Beben unter seinen Füßen mit der für ihn typischen Gelassenheit. „Nicht den Flügel benutzen!“, protestierte Cutter. „Du sollst dich von mir ins Wasser schütteln lassen!“ „Aber doch nicht mit der Uniform!“ Gleichzeitig ließ er sich tiefer sinken, verschränkte bequem die Beine ... und drückte Cutters Kopf mit einer Hand unter die Wasseroberfläche, ließ aber sofort wieder los. Auftauchen, erneutes, heftiges Schütteln ... „Warte nur, bis ich ins Flache komme!“ Sephiroth lachte vergnügt und tauchte sie ein weiteres Mal unter. „Du hattest Recht“, konstatierte er, nachdem Cutter wieder aufgetaucht war. „Den Flügel auf diese Art und Weise zu benutzen, macht wirklich Spaß.“ Cutter musste unwillkürlich lachen. Dann reichte sie ihm die Luna Lance, drehte sich auf den Rücken und begann langsam durch den See zu schwimmen. „Das Wasser ist toll! Willst du dich nicht doch von mir reinschütteln lassen?“ Und dann, verschmitzt grinsend: „Du könntest die Uniform ja vorher ausziehen ...“ Sephiroth, mittlerweile wieder auf dem Felsen sitzend, schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf, blinzelte in die wärmende Sonne. So viel Licht. So viel Ruhe. So viel ... Frieden ... Kaum zu glauben, dass es so etwas in dieser Welt noch geben konnte. Aber es existierte. Und Cutter hatte es gefunden. Ich frage mich, wie sie das immer macht. Dinge und Fähigkeiten finden, die ausschließlich im Verborgenen existieren. Oder ... lassen sich diese Dinge finden? Kommen sie vielleicht sogar freiwillig zu ihr, weil sie spüren, von ihr nichts befürchten zu müssen? Cutter weiß genau, wie zerbrechlich und ungeübt diese Sachen sind. Ich, zum Beispiel. Meinem jetzigen Stand ging eine lange, harte Entwicklung voraus. Zu begreifen, dass es in meiner Nähe Personen gibt, deren Gegenwart sich für mich ... anders anfühlt, als die anderer. Diesen Zustand zu akzeptieren. Und auch, dass er mir behagt. Mit dieser Erkenntnis zu arbeiten, diese Nähe bewusst zuzulassen, sie selbst zu suchen, sich darauf einzulassen. Festzustellen, dass mir keine Gefahr droht. Die Distanz weiter zu verringern. Es war ein schwieriger Prozess. Und jetzt? Ich sitze hier auf einem Felsbrocken, blinzle in die Sonne, meine Freundin schwimmt im See unter mir (weil ich sie hineingeschubst habe), ich bewache ihre wichtigste sichtbare Waffe (weil sie mir diese anvertraut hat), und ich bin – und sei es nur für ein paar Minuten - ... glücklich. Eine Erfahrung, die er, wie ihm nur zu bewusst war, um ein Haar niemals hätte machen können. Dass sein letzter `Besuch´ im Labor nicht tödlich verlaufen war, hatte er nur Cutter zu verdanken. Ohne ihre Liebe und ihre wilde Entschlossenheit, sich einzumischen, um ihn zu retten, wäre er jetzt tot. Ihre Taten ... Sephiroth wusste, er konnte sich niemals dafür revanchieren, und er wusste, dass Cutter dies auch gar nicht verlangte. Nach wie vor wollte sie nur bei ihm sein. Weil sie ihn liebte. Sephiroth hatte sich lange über sein eigenes, nur gedachtes: `Ich liebe dich´ Gedanken gemacht, aber es war ihm nicht gelungen, daran irgendetwas Schlechtes oder Falsches zu entdecken. Da war nur der sachte glühende Wunsch, es ihr eines Tages zu sagen, nicht nur in Form einer Umarmung und deutlich gelockerter Grenzen, sondern mit Worten. Aber die Erfüllung dieses Wunsches setzte voraus, dass Sephiroth am Leben blieb. Und Hojo, das hatte dessen letztes Experiment überdeutlich bewiesen, war nicht nur fähig, sondern definitiv bereit, ihn zu töten. Es war einer der Nachteile von Erkenntnissen. Sie ließen einen nicht mehr los. Und so kreisten auch die Gedanken des Generals darum, suchten eine Landemöglichkeit, und scheiterten wieder und wieder. Was Zack und Cutter in Form dieses Hojo betreffenden `Farbunfalls´ getan hatten, war unpassend, kurios und gefährlich gewesen – und ein Volltreffer gegen Hojo! Er war angreifbar und verletzlich! Vermutlich war diese Klarstellung einer der Hauptgründe für die zurückliegende Tat gewesen, und die Botschaft war angekommen. Sephiroth war sich nicht erst seitdem bewusst, seinem langjährigen Peiniger körperlich völlig überlegen zu sein. Aber die körperliche Ebene war nicht das einzige Schlachtfeld. Viel komplizierter und intensiver gestaltete sich die mentale Ebene, denn hier war Hojo klar im Vorteil. Und er wusste es! Mit einer freiwilligen Kapitulation war, selbst nach einem körperlichen Sieg, nicht zu rechnen. Eine diesbezügliche Niederlage Hojos musste erzwungen werden. In Form einer Grenze, die der Professor nicht überschreiten konnte. Aber eine solche Grenze bedeutete auch, sich von all den so lange gesuchten Antworten zu verabschieden, womöglich für immer. Sephiroth wusste nur zu gut, dass es unter anderem genau dieser drohende Verlust war, der ihn daran hinderte, etwas zu unternehmen. Diese Antworten waren so wichtig! Aber gleichzeitig stellten sie auch Fesseln dar, die ihn unter den Händen des Professors fixierten. Und bei der nächsten Begegnung, das stand außer Frage, würden diese Hände den endgültigen Tod bringen. „Du grübelst, großer General.“ Er war zu tief in Gedanken versunken gewesen, um zu bemerken, dass Cutter näher gekommen war. Mittlerweile hatte sie die Arme auf den äußersten Rand der Felsplatte gelegt und sah zu ihm auf. „Hm“, machte Sephiroth leise. „Ich denke nach. Über mich. Und Hojo.“ Cutters Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich. „Der Mistkerl!“ „Ja.“ „Du weißt nicht, was du tun sollst, oder?“ Und General Crescent, der sonst immer auf alles eine Antwort wusste .... schüttelte sachte den Kopf. Gleichzeitig wisperte er: „Ich will diese Antworten!“ Cutter schwieg einen Moment. „Weißt du“, sagte sie schließlich leise, „ich glaube immer noch daran, dass es letztendlich nur wichtig ist, wie man sich selbst sieht. Wenn man sich zu sehr von der Meinung anderer abhängig macht, verliert man irgendwann das Gefühl für sich selbst, und damit auch das Wissen um die Dinge, die einem wirklich wichtig sind.“ Sephiroth schmunzelte. Cutter so ernst sprechen zu hören, war seltsam – aber gleichzeitig bewies es, wie viele Gedanken sie sich darum gemacht haben musste. Weil sie ihn betrafen. Und, weil er ihr etwas bedeutete. Mehr als alle anderen. Aber dennoch ... „Du vergisst, dass es sich dabei um höchst genaue, wissenschaftliche Dokumentationen handelt.“ „Das habe ich nicht vergessen“, lautete die ruhige Antwort. „Es ist mir völlig egal! Jedes einzelne Wort dieser bescheuerten, höchst genauen, wissenschaftlichen Dokumentationen. Du bist nicht, was dieser Bastard in dir sieht, du bist, was du in dir siehst. Wenn du die Kraft findest, das zu akzeptieren, kannst du diese ganzen Hojo-Mist abhaken und dich selbst völlig neu definieren. Du kannst seine Macht über dich brechen, Sephy!“ „Sobald ich meine Antworten habe.“ Cutter wollte schon antworten, aber das Klingeln eines PHS kam ihr zuvor. Sephiroth nahm das Gerät aus der Tasche und warf einen Blick aufs Display. „Zack hat das Gedächtnis der Kadetten erfolgreich aufgefrischt. Gehen wir zurück.“ „Sephy“, begann Cutter leise – aber ihr Freund schüttelte den Kopf auf eine Art und Weise, die deutlich zu verstehen gab, schon genau verstanden zu haben, was sie sagen wollte. Dass möglicherweise keine Zeit mehr blieb, weiter nach den Antworten zu suchen, weil neue Pläne kurz vor der Umsetzung standen, Pläne, die ihn nicht beinhalteten, denn ansonsten wären Rufus und Hojo niemals das Risiko eingegangen, ihr Lieblingstestobjekt zu verlieren. Aber diese Antworten zu verlieren, stellte keine Option dar. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben – und er würde sie finden! Er musste sie finden. Seine eigene, ganz persönliche Wahrheit, die so viele Dinge betreffend Klarheit schaffen würde. Cutter, die mittlerweile vor ihm stand, war, wie ihr Blick deutlich versicherte, allerdings immer noch anderer Meinung. Aber davon ganz abgesehen ... „Ich habe dich ins Wasser gestoßen und du bist völlig durchnässt. Bist du nicht wütend?“ Als Antwort ließ sich Cutter in die Hocke gleiten, grinste und umarmte ihn. „Nein. Außerdem bist du jetzt auch nass. Damit sind wir quitt.“ Sie ließ ihn los und erhob sich, griff gleichzeitig nach der Luna Lance, beeinflusste die entsprechenden Lines und war nur wenige Sekunden später wieder trocken. Sephiroth, der mittlerweile ebenfalls aufgestanden war, hätte seinen eigenen, auch nicht mehr ganz trockenen Zustand einfach hinnehmen können, aber ... „Was ist mit mir?“ Er hätte damit gerechnet, ebenfalls mit Hilfe der Luna Lance getrocknet zu werden. Aber stattdessen geschah etwas anderes. Cutter kam ihm wieder näher, legte ihre Hände auf das seinen Oberkörper bedeckende, durch die Sonne erwärmte, schwarze Leder und begann, die Wassertropfen auf der unbedeckten, hellen Haut wegzuküssen. Sanfte Berührungen, die nicht beherrschen sollten, es aber trotzdem auf eine völlig unerzwungene Art und Weise taten. Und jede einzelne von ihnen löste einen langsamen, warmen, tiefen Schauer aus, zu intensiv, um sich dagegen zu wehren. Das Gefühl ließ Sephiroth einfach völlig ruhig da stehen und die Massage mit halb geschlossenen Augen genießen. Irgendwann beendete Cutter die Bewegungen und schloss ihre Arme um seinen Körper, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. Es vergingen nur wenige Sekunden, ehe Sephiroth die Umarmung erwiderte. Es tat so gut, diesem quirligen, unberechenbaren Wesen nahe zu sein, so nahe, dass er ihren Herzschlag spüren konnte. Gleichzeitig nahm er wahr, wie ihre Gefühle auf ihn überzugehen begannen, und er wehrte sich nicht. Was er empfing, war, außer Liebe, eine ganz bestimmte Botschaft. Wäre Zack nicht gewesen, hätte ich mein dir gegebenes Versprechen gebrochen und Hojo getötet. Aber er war da. Und obwohl ich jetzt vollständig begreife, warum er mich aufgehalten hat und wie finster die Verbindung zwischen dir und Hojo wirklich ist, ich kann mein Versprechen in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten. Denn nächstes Mal wird er dich töten. Und deshalb werde ich ihn davon abhalten. Zwar nicht, indem ich ihn umbringe, aber er wird trotzdem nicht in der Lage sein, dir weh zu tun. Nie wieder. Das ist mein neues Versprechen an dich, Sephy. Und du kannst mich nicht umstimmen. Für einen kurzen Moment wusste Sephiroth nicht, wie er reagieren sollte. Cutter meinte es absolut ernst, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel, gehörte sie doch zu den Leuten, die ein Versprechen weder leichtherzig gaben, noch brachen - aber gleichzeitig war ihm klar, dass er ihr Vorhaben durchkreuzen musste. Es war zu gefährlich, und die Konsequenzen zu weitreichend. Ein einfaches Verbot jedoch würde niemals genug sein. Und das hieß, es blieb nur eine einzige Möglichkeit. Ist es nicht seltsam?, dachte Sephiroth. So viele Jahre waren mir alle anderen Menschen so egal. Ich wollte, dass sie funktionieren, meine Befehle ausführen und mich ansonsten nicht belästigen. Und jetzt gibt es dich. Du bist mir so wichtig! Und Zack, dieser Idiot, der mir nicht auf dieselbe, aber ganz ähnliche Art und Weise auch wichtig ist. Ihr bereichert mein Leben. Und ich fühle mich beschenkt. Diese Seite an mir, deren Existenz ich immer zu leugnen versucht habe, die fast verhungert wäre, die ich so lange vernachlässigt habe ... Dank euch geht es ihr mittlerweile gut. Ihr gebt ihr die richtigen Impulse, um sich weiterzuentwickeln. Und ich habe akzeptiert, dass ich auch diese Seite leben kann. Es ist mir möglich, wenn auch das eine nur im Verborgenen, beides zu sein. General und Freund. Auch, wenn manche Fragen bis auf Weiteres ungeklärt und manche Kämpfe unausgefochten bleiben müssen - ich habe mich weiterentwickelt. So sehr, dass ich dich ... Cutter ließ ihn wieder los. „Übrigens, wenn du nachher aus dem Büro kommst, bin ich schon in deinem Appartement. Und ich habe dir was mitgebracht, und arbeite damit!“ „Und was“, erkundigte sich Sephiroth, bemüht, sich seinen Schmerz hinsichtlich der getroffenen Entscheidung nicht anmerken zu lassen, „ist `was´?“ „Kochzeugs!“ „Kochzeugs. Du kannst nicht kochen.“ Cutter lachte vergnügt. „Richtig, deshalb bringe ich auch einen Feuerlöscher mit, ich weiß nämlich nicht, ob ich alles richtig verstanden habe. Das Rezept ist von einer Frau aus den Slums. Wir waren gerade auf Mission, als sie gekocht hat, und es hat so gut gerochen ... Also hab ich mich abgesetzt – aber verrat das bloß nicht meinem General – und bin dem Duft nach. Die Köchin war total nett und hat mich probieren lassen, und es war total lecker, und dann hat sie mir sogar das Rezept gegeben und ... na ja, das gibt’s heute Abend! Äh, wenn ich´ s denn hinkriege.“ „Und wenn nicht?“ „Gibt’s Pizza.“ Sephiroth musste trotz seiner Trauer unwillkürlich lachen und gleichzeitig den Kopf schütteln. Situationen wie diese würden ihm so endlos fehlen! Dennoch musste er es tun. Es ging einfach nicht anders. „Phoenix“, begann er leise, „du ...“ Diesmal begann sein PHS zeitgleich mit dem von Cutter zu piepen. Eine SMS. Von Zack. `Nur für den Fall, dass ihr uns vergessen habt: Wir warten! Immer noch! Also, zieht euch was an und kommt zurück *grins*. Bis gleich!´ Sephiroths: „Ich bring ihn um!“, ging in Cutters vergnügtem Lachen völlig unter. Gleichzeitig aber ließ er sich von ihr an der Hand nehmen und vorwärts ziehen, durch die Wiese, bis zum Waldrand, wo Cutter jäh inne hielt und einen langen Blick zurück auf diesen seltsam entrückten Ort warf. „Denkst du, wir können mal wieder herkommen?“ „Ganz bestimmt!“, antwortete der General fest und beschloss zeitgleich, einen anderen Moment zu wählen, um Cutter über seinen gefassten Entschluss zu informieren. Warum er so handelte, konnte er allerdings selbst nicht genau sagen ... „Auf das Wiedersehen“, sagte Cutter mit mehr als einem Hauch Sehnsucht in der Stimme, „freu ich mich jetzt schon. Also ... bye bye, wunderschöne Lichtung. Bis hoffentlich bald!“ Sie verließen den Wald zu geschickt, um auch nur annähernd den Eindruck zu erwecken, Zeit zusammen verbracht zu haben, (ignorierten Zacks freches Grinsen) und begutachteten die neue, nach seinem `verbalen Spezialtraining´ durchgeführte Missionsbewältigung der Kadetten. Sie führte überraschend schnell zu einem positiven Endergebnis, und nur wenige Minuten später war die kleine ShinRa Truppe wieder auf dem Heimweg. Es fiel Sephiroth schwer, während der Fahrt im Jeep nicht zu Cutter hinüberzusehen. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen, aber er konnte spüren, dass sie wach war, sehr nachdenklich, sehr entschlossen ... und sehr verliebt. Genau wie er. Und dennoch, dachte der General, werde ich dich noch im Laufe der nächsten Stunden weit, weit wegschicken. Um dich zu beschützen ... Du hast schon so viel für mich getan. Aber die Sache mit Hojo muss ich alleine klären, sonst werde ich die Heilung, die ich so verzweifelt suche, niemals finden. Und ich brauche sie. Dringend! Wenig später erreichten die Jeeps das HQ, und die Einheit zerstreute sich. Um keinen Verdacht zu erregen, trennten sich auch Cutter und Sephiroth sofort, und während die junge Frau mit einem Rezept in der Tasche das Appartement des Generals ansteuerte, betrat dieser sein Büro. Er hatte eben erst angefangen, Cutters Versetzung vorzubereiten, als das Telefon klingelte. Nur ein Standartklingelton. Aber der Instinkt des Generals schlug augenblicklich Alarm und ließ ihn ohne jeglichen Zweifel wissen, wer am anderen Ende der Leitung wartete. Hojo. Der letzte Ruf – denn nichts anderes würde es werden – kam zu früh, viel zu früh ... Sephiroth wandte den Kopf, betrachtete das scheinbar immer ungeduldiger klingelnde Telefon, streckte wie mechanisch die Hand aus ... und hielt wenige Millimeter vor dem Gerät inne, wissend, dass seine Gegenwehr hinsichtlich der kalten Stimme des Wissenschaftlers in sich zusammenfallen würde, wie ein Kartenhaus. Der General ballte die Hand zur Faust, ließ sie wieder sinken - und erhob sich fast ruckartig, griff nach Masamune und verließ das Büro. Ich bin nicht hier. Ich habe dieses Klingeln nicht gehört. Ich war ... unterwegs. Und mein PHS, auf dem du mich garantiert als nächstes zu erreichen versuchen wirst, habe ich im Büro vergessen. Auch ich kann Dinge vergessen. Ich ... Das ist kein `Kampf´. Ich laufe nur weg. Dabei will ich doch kämpfen, dich vernichtend schlagen und mir meine Freiheit nehmen. Aber dazu muss ich die Kraft finden, stehen zu bleiben und zurückzuschlagen. Er lauschte in sich hinein, auf der Suche nach dieser so ersehnten Kraft oder einer Strategie, um sie zu finden. Aber ihm begegnete weder das Eine, noch das Andere. Und so begann er, sich ziellos durch die Flure des HQs zu bewegen, auf der Flucht vor dem scheinbar Unentfliehbaren und sich selbst, bemüht, sich dabei nicht vorzukommen wie eine Laborratte in einem von oben einsehbaren Labyrinth, aber wissend, dass er momentan nichts anderes war. Er war in irgendeinem Stock des HQs angekommen, als seine ziellose Flucht endete. Durch ein einziges, hinter ihm ausgesprochenes Wort. Sein Name. Und Sephiroth erstarrte, als habe sich vor ihm ein endlos tiefer, unüberwindbarer Abgrund aufgetan. „Darf ich fragen“, erkundigte sich Hojo lauernd, „weshalb du weder im Büro bist, noch dein PHS bei dir trägst?“ „Verzeihung, Professor, ich habe ...“ Leises, höchst amüsiertes Kichern unterbrach ihn. „Du kannst mir nicht entkommen, mein Kleiner. Ich war dein Anfang und ich werde dein Ende sein. Und jetzt begleite mich ins Labor! Wir haben schon zu viel Zeit verloren, und gerade das heutige Experiment ist von größter Bedeutung!“ In seiner Stimme schwang ein weiterer, endlos finsterer Satz mit. `Weil es das letzte sein wird.´ Hojo wandte sich um und setzte sich in Bewegung. Und Sephiroth folgte ihm, so, wie er es auf seinen Ruf hin immer getan hatte, ergab sich abermals dem Zug der mentalen Ketten. Aber sein Blick hing wie gebannt an Hojos Haaren. Mittlerweile schimmerten diese in einem kranken, dunklen Lila. Der Anblick kratze heftig in der Wahrnehmung des Generals, erinnerte an die Angreifbarkeit seines Peinigers, krallte sich schließlich fest, wurde zu Schmerz und letztendlich zu Gedanken. Richtig. Du warst mein Anfang, du wirst zu meinem Ende, und die Zeit dazwischen gehört ebenfalls dir. Alles gehört dir. Und was ist mit mir? Er wurde langsamer, fast so, als würde jedes Quäntchen an Kraft für Überlegungen benötigt. Ich bin nicht mehr wie früher. Ich habe so viel über mich gelernt und es gibt, das spüre ich ganz deutlich, noch viel mehr über mich zu lernen. Und ich ... möchte lernen. Ich habe gerade erst angefangen zu erkennen, was ich noch alles will und brauche. Er blieb stehen, ruckartig, und in seinem Kopf entluden sich Emotionen mit Urgewalt. Ich möchte ... fühlen und verstehen, mich und andere, ohne mich hintergehen zu lassen. Ich möchte berührt werden und berühren. Ich möchte keine Angst mehr vor dir haben. Sondern frei sein! Ich will meine beiden Freunde nicht verlieren, indem ich sterbe. Ich möchte gut behandelt werden! Weil ich es verdient habe! Ich möchte Cutter im Arm halten können und glücklich dabei sein, und vielleicht möchte ich ihr sogar irgendwann so nahe kommen, wie es zwischen unterschiedlichen Körpern nur möglich ist. Du und das Labor steht zwischen all diesen Dingen. Und ich ... ich habe dich so satt, Hojo! Deine gesamte Existenz und die Art, wie sie mir Fesseln anlegt. Mein Leben gehört in meine eigenen Hände! Weil es mir gehört! Mir! Und du hast nicht das Recht, es mir weiter wegzunehmen! Ich ... erkenne ... es ... dir ... ab! Es war ein seltsamer Augenblick, in dem mehrere Dinge gleichzeitig geschahen, und das ausschließlich irgendwo tief in Sephiroth. Es war, als ströme jeder Funken jemals bezüglich Hojo empfundenen Widerwillens aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart, in diesen Moment, um zu purer Kraft zu werden, so leuchtend hell, dass sie schmerzte. Und in diesem Licht erkannte Sephiroth mit unwiderruflicher Klarheit, dass selbst er nicht immer alles bekommen konnte, was er wollte, ganz egal, wie wichtig es ihm gewesen war. Ab wann wurde `Sturheit´ zu `Dummheit´? Der General wusste es nicht. Aber er konnte deutlich spüren, wie er entschlossen die Fronten wechselte – in Form einer der bedeutendsten Entscheidungen seines Lebens. „Ich fürchte, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können, Professor.“ Hojo, siegessicher bereits etliche Schritte voraus, hielt inne, wandte den Kopf und wisperte mit einer Stimme, die an aneinanderreibende Rasierklingen erinnerte: „Vorsicht, mein kleiner Sephiroth!“ „Nein.“ Jetzt lächelte er. „Sie sollten vorsichtig sein. Extrem vorsichtig.“ „Du willst dich nicht wirklich mit mir anlegen! Komm jetzt mit, und ich will noch einmal Gnade walten lassen hinsichtlich deines Ungehorsams!“ Zu seiner Irritation begann der Mann vor ihm zu lachen. Leise. Aber höchst amüsiert. „Dann sollte ich mich wohl beeilen, bevor du dein großartiges Angebot zurückziehst? Ich werde nicht mitgehen!“ Sein Bewusstsein schien förmlich vor Entschlossenheit zu glühen. „Und jetzt entschuldige mich! Ich habe zu tun.“ Ihm war völlig klar, dass es unmöglich schon vorbei sein konnte, und er wunderte sich über die ihn unter all der Kraft erfüllende Ruhe. Es war, als habe er diese Situation schon Dutzende von Malen durchgespielt und nur auf den richtigen Moment gewartet, um sie umzusetzen. Jetzt war es soweit. Der ultimative Kampf war eröffnet. Es gab kein Zurück. Nur noch vorwärtstreibende Reaktionen. Sephiroth wandte sich um und setzte sich in Bewegung, alle Sinne gespannt, die nächste Handlung seines Gegners erwartend. Hojo brauchte einige Sekunden, um die Stärke der sich ihm präsentierenden Gegenwehr korrekt einzuordnen und die nächste Aktion zu planen. Rufus hatte klare Anweisungen gegeben. Die Existenz von Jenova Projekt 1 war für die Electric Power Company nicht mehr von Nutzen und sein Tod beschlossene Sache. Hojo hatte nicht vor, diesbezüglich zu versagen! Noch mochte sich sein Opfer wehren, aber schon sehr bald würde dessen Körper nicht mehr mitspielen. Dazu bedurfte es lediglich einer simplen und doch sehr effektiven Behandlung. Es gab keinen Millimeter dieses Körpers, den Hojo nicht schon genauestens berührt und untersucht hatte. Er wusste, wie Sephiroth funktionierte – und, wie leicht man dieses komplexe Zusammenspiel zum Stillstand bringen konnte. Der Professor brauchte nur wenige Sekunden, um die Distanz zwischen sich und seinem Ziel zu überwinden und dieses zu berühren. Mehr war nicht nötig, um es daran zu erinnern, wozu diese Hände fähig waren, welche Qualen sie bei einer Nichtbeachtung der erteilten Befehle auslösen konnten. Vor allen Dingen aber reichte bei Sephiroth der geringste Kontakt, um seinen Körper in eine Schockstarre zu versetzen. So war es auch jetzt. Die Vorwärtsbewegung erstarrte, die urplötzliche Verkrampfung setzte ein. Hojo lächelte. Es war so einfach. Sephiroth hatte mit dem Einsatz der mächtigsten Waffen seines Gegners gerechnet. Und so waren Körper und Geist auf die jäh aufsteigende Kälte und die heranstürmenden Erinnerungen vorbereitet. Für gewöhnlich weckten diese Resignation und Angst. Diesmal jedoch entfesselten sie pure Wut, geboren aus unzähligen ungewollten Berührungen dieser Hände. Die Reaktion erfolgte mit der Schnelligkeit und Entschlossenheit eines Wesens, das es leid war, eine Wahl aberkannt zu bekommen. Es dauerte nur eine Sekunde. Aber sie war erfüllt von schnellen, entschlossenen Bewegungen, und als sie endete, hatte sich die Situation grundlegend verändert. Hojo befand sich noch immer in einer aufrechten Position. Aber seine Füße berührten nicht mehr den Boden. Jetzt zappelten sie hilflos in der Luft. Das Gefühl, abzustürzen bemächtigte sich seiner Sinne, ließ seine Hände auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Festhalten hektisch durch die Luft fuchteln, und erst beidseitiger, scharfer Schmerz schuf genug jähe Klarheit, um festzustellen, dass er keineswegs fiel, sondern gegen die Flurwand gedrückt wurde. Allerdings waren es keine Hände, die ihn festhielten. Sondern eine lange, dünne Klinge. Sie lag horizontal zu seinem Körper, genau unter seinem Kinn, die scharfe Seite zum Hals hinzeigend und in Kontakt mit demselbigen. Eine falsche Bewegung und sie würde eine neue Atemöffnung schaffen. Hojo hörte auf zu zappeln. Es war ein seltsamer Augenblick. Der, den Sephiroth so lange Zeit ersehnt, für den er durchgehalten hatte. Jetzt war er da. Hojos Schicksal lag in seinen Händen. Und so sehr der General es beenden wollte, langsam und qualvoll, so klar stieg eine neue Empfindung in ihm auf. Klare, kalte und höchst erheiterte Gier. Sie lehnte sich bequem zurück und fragte: `Warum jetzt schon? Was ist der Tod, was die Qual, im Gegensatz zu der Angst vor Tod und Qual?´ Einige Sekunden vergingen in völliger Bewegungslosigkeit. Dann hob Sephiroth den Kopf. Langsam. Und konfrontierte Hojo mit grün glühenden Augen, in denen nicht die geringste Spur irgendeines Gefühls zu erkennen war. „Wie fühlt es sich an, zur Abwechslung mal selbst dem Willen eines anderen ausgeliefert zu sein, Hojo?“ Seine Stimme war nur ein Flüstern. Seine linke Hand hielt Masamune und das zusätzliche Gewicht mühelos, seine rechte Hand ruhte nur wenige Zentimeter neben Hojos Kopf. „Ist es spannend? Aufregend? Ab sofort bist du mein Experiment!“ Er verstärkte den Druck der unvergleichlich scharfen Klinge gegen den wehrlosen Hals ein wenig, und lauschte nur einen Sekundenbruchteil später fast verzückt dem zu gleichen Teilen erschrockenen, wie flehenden Wimmern – ein gutes, schon seit so langer Zeit herbeigesehntes Geräusch. `Töte ihn!´, wisperte der Instinkt des Generals. `Töte ihn, und es ist vorbei!´ `Lass ihn am Leben!´, wisperte die sonst in feste Ketten gelegte Gier des Generals. `Lass ihn am Leben, und du kannst dieses Geräusch so oft hören, wie es dir beliebt!´ Und Sephiroth verhielt bewegungslos, hin und hergerissen zwischen den Wunsch, sofort zu töten und dem Wunsch, endlos lang zu quälen. Er wollte beides, so sehr, dass es schmerzte. Ihm gegenüber gelang es Hojo, sich trotz seiner misslichen Lage zu etwas ähnlichem wie Ruhe zu zwingen. Immerhin war er ein Genie! Genies gerieten niemals in Panik! Sie waren ruhig und überlegt und ... Sephiroth hätte ihn mit einem Schlag töten können. Warum zögerte er? Ah ... Es war wohl an der Zeit, seine Befürchtungen zu bestärken. „Wenn du mich tötest, wirst du deine Antworten nie bekommen!“ „Behalte sie, Hojo!“ In seiner Stimme lag nichts außer Verachtung. „Ich bin nicht länger daran interessiert. Dasselbe gilt für deine Anweisungen. Ich beende deine Herrschaft über mich!“ Er lehnte sich nach vorne, bis sich seine Lippen genau neben dem rechten Ohr des Professors befanden, und wisperte: „Ich ... spiele ... nicht ... mehr ... mit! Hast du das verstanden?“ Die Tatsache, sich Auge in Auge mit dem Tod zu befinden ... das Bewusstsein, absolut wehrlos zu sein, hilflos hinsichtlich dieser konzentrierten, reinen Kraft, die gnadenlos zuschlagen würde, all das gemischt mit der fast schon irrsinnigen Hoffnung, das eigene Ende durch die richtige Antwort noch etwas hinauszögern zu können ... Niemals zuvor hatte sich Hojo in einer ähnlichen Situation befunden. Und so trat etwas auf den Plan, das er sonst nur von seinen Testobjekten kannte (und für gewöhnlich belächelte): Der Selbsterhaltungstrieb. Er schaltete Sturheit und rationales Denken, Arroganz und Überheblichkeit aus. Und ließ nur eine einzige Antwort zu. „Ja.“ „Ja – was?!“ „Ja, Sir.“ Sephiroths Lippen kräuselten sich in einem mehr als spöttischen Lächeln. Er streckte die Hand aus und tätschelte Hojos Wange. „Braver Junge.“ Dann griff er ohne hinzusehen in die Tasche des weißen Laborkittels und entnahm diesem ein winzig wirkendes Gerät, hielt es so, dass Hojo es problemlos sehen konnte, ballte die Hand ruckartig zur Faust, und öffnete sie wieder. Zersplittertes Plastik und elektronische Einzelteile fielen zu Boden. Nur einen halben Herzschlag später wich Masamune vom Hals des Professors zurück, zu plötzlich, um Hojo Gelegenheit zu geben, sich auf den Fall vorzubereiten. Entsprechend `elegant´ gestaltete sich die Landung. Sephiroth wich zurück, ließ Masamune zurück in die Schutzhülle gleiten, wandte sich um und verließ den Flur, ohne sich ein letztes Mal umzusehen, seinen Instinkt ignorierend, der ihm versicherte, gerade einen großen Fehler begangen zu haben. Hojo blickte ihm, gefangen in einer bisher unbekannten geistigen Betäubung, nach, und versuchte gleichzeitig festzustellen, was mehr schmerzte: Sein geschundener Körper oder sein verletzter Stolz. Niemals zuvor hatte es irgendjemand gewagt, ihn auf eine derart respektlose Art und Weise zu behandeln! Niemand! Und jetzt erdreistete sich ausgerechnet dieses fehlgeschlagene Experiment ... Ganz offensichtlich war es an der Zeit für etwas Erziehung. Hojo warf der zerstörten Fernbedienung vor sich einen finsteren Blick zu. Unbrauchbar. Aber nicht das einzige Exemplar! Er kam wieder auf die Füße und steuerte den nächsten Aufzug an. Noch mochte sich Jenova Projekt 1 wie ein Sieger fühlen. Aber in spätestens 5 Minuten würde er schreiend vor Schmerz auf allen Vieren ins Labor gekrochen kommen! Hojo lächelte finster. Niemand außer ihm wäre in der Lage gewesen, Sephiroth derartige Qualen anzutun, ohne ihn direkt zu berühren. Aber das unterschied ein Genie von einem Versager. Ein Versager ließ sich von Grenzen einengen. Ein Genie würde sie immer überwinden. Und ich, dachte Hojo selbstgefällig, bin ein solches Genie ... Genieß deinen Triumph, mein kleiner Sephiroth. Er wird nicht mehr lange dauern. Ich werde dich langsam zu mir kommen lassen ... ganz langsam ... deine Schreie werden wie Musik in meinen Ohren sein. Ich werde diese Musik dirigieren. Und es genießen! Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich. Hojo verließ die Kabine, eilte durch etliche Flure, betrat sein Labor und ließ sich hinter dem Laptop nieder. So sehr er Computern misstraute, hin und wieder stellten sie sich als durchaus nützlich heraus. Dieser hier war (unter anderem) quasi der große Bruder des im Flur zerstörten kleinen Gerätes und somit ebenso in der Lage, Kontakt zu dem in Sephiroths Nacken implantierten Chip herzustellen. Mehrere der zahlreichen Sonderfunktionen desselbigen würden schon sehr bald aktiv werden ... Hojo startete das entsprechende Programm, das ihm bereits nach wenigen Sekunden den Aufenthaltsort der gesuchten Person vermittelte. Sephiroth befand sich in seinem Appartement. Vermutlich fühlte er sich dort sehr, sehr sicher. Hojos Lächeln gewann an Kälte. Dann bewegte er die Maus über ein kleines Menü und verschob einen Regler wenige Millimeter nach oben ... und dann, ruckartig nach oben bis zum Anschlag. Verletzter Stolz und wilde Rachegelüste ließen keine Alternative zu. Fühlst du dich jetzt immer noch so stark, mein Kleiner? Er warf dem Bildschirm einen letzten Blick zu und sah zur Tür. Mit Sicherheit würde es einige Zeit dauern ... aber Sephiroth würde kommen. Er würde durch diese Tür kriechen, von Schmerzen gefoltert, die nur Monster nicht die Besinnung verlieren ließen, und ihn anflehen, es zu beenden. Und er, Hojo, würde Lächeln. Und es genießen. Die Vorfreude war unbeschreiblich. Mehrere Minuten vergingen, aber nichts geschah. Weder erklangen die erwarteten Geräusche, noch öffnete sich die Tür. Irgendwann warf Hojo einen irritierten Blick auf den PC Monitor ... und erstarrte. Der den Chip anzeigende Lichtpunkt war verschwunden. Die Folter lief ins Leere. Für einen langen Moment konnte der Professor nur ungläubig den Bildschirm anstarren. Eine Lüge! Nur das konnte es sein! Das Programm hatte eine Störung! Verdammter Computer! Er führte einen Neustart durch. Und danach noch einen und noch einen. Aber das Bild änderte sich nicht. Das ausgelöste Signal fand keinen Empfänger. Der Chip war nicht mehr dort, wo er hingehörte. Und somit ... nutzlos. Hojo holte tief Luft. Dann öffnete er eine weitere Schublade, entnahm ihr eine Waffe, entsicherte sie mit ungeübten Bewegungen und verließ zu gleichen Teilen entrüstet wie schockiert das Labor. Im Badezimmer seines Appartements stand Sephiroth vor dem Waschbecken und starrte auf die Bruchstücke des mit Masamune zertrümmerten Chips. Gleichzeitig fühlte er immer noch warmes Blut über seinen Rücken laufen. Es würde wohl noch etwas dauern, ehe sich die Verletzung ... das Loch in seinem Nacken wieder geschlossen hatte. Aber alle Schmerzen und alles Blut waren bedeutungslos hinsichtlich des zerstörten Chips. Einen Elektroschocker in diesen Fremdkörper einzubauen ... Nur ein wahnsinniges Genie wie Hojo konnte auf eine derartige Idee kommen. Gewirkt hatte sie nicht, die letzte, die allerletzte nichtgenetischen Verbindung zu Hojo. Die letzte Kontrollmöglichkeit. Jetzt war sie verschwunden. Und mit ihr die letzte Möglichkeit, ihn zu zwingen, ins Labor zurückzukehren. Ich war schneller, dachte Sephiroth und spülte die Reste des Chips in den Abfluss. Ich war schneller ... Und erst in der diesem Moment, als die Stille zurückkam, wurde ihm vollends bewusst, was er getan hatte. Ich habe Hojo besiegt. Ich habe ihn wirklich besiegt. Ich werde nie wieder ins Labor gehen. Er wird mich nie wieder anrühren. Nach all den Jahren. Ich habe ... gewonnen. Die Erkenntnis war so stark, dass sie ihn in völliger Bewegungslosigkeit verharren ließ. Erst nach einer ganzen Weile tastete er vorsichtig nach der Verletzung an seinem Nacken. Der Heilungsprozess hatte bereits eingesetzt. In ein paar Stunden würde dort wieder nichts außer makelloser Haut sein. Sephiroth säuberte sich von den letzten Blutspuren und öffnete die Badezimmertür. Cutter stand nur wenige Meter von der Tür entfernt, die Luna Lance in der Hand haltend, und sah ihm entgegen. Ihr Blick verriet Angst und Verwirrung, aber auch große Sorge. Nachvollziehbar, dachte Sephiroth. Ich bin an dir vorbeigestürmt und habe dir nur gesagt, du sollst mich nicht stören. Ich ... sollte wohl Entwarnung geben. „Es ist vorbei.“ Seine Stimme klang leise, aber die ihr innewohnende Schwere war unüberhörbar. Cutters Gedanken begannen augenblicklich zu rasen – und legten nur wenige Sekunden später eine Vollbremsung hin. Imaginäre Reifen quietschten. Rauch stieg auf. Und mitten in diesem Rauch ein Name. Den Cutter erst nach etlichen Sekunden völliger Stille auszusprechen vermochte. Mit leiser Stimme, der so viel Hoffnung inne wohnte, dass sie zitterte. „Hojo?“ Und Sephiroth ... nickte. Nur einmal. Sachte. Fast so, als könne er selbst es immer noch kaum glauben. Die Ruhe hielt noch genau drei Herzschläge an. Dann stieß Cutter einen begeisterten Schrei aus, ließ die Luna Lance fallen, stürmte auf ihren Freund zu, sprang an ihm hoch, schloss die Arme fest um seinen Hals und jubelte: „Du hast es geschafft, du hast es wirklich geschafft! Du hast diesen Mistkerl besiegt! Wie? Erzähl, erzähl, erzähl!“ Und Sephiroth begann zu erzählen. Rufus ShinRa war gerade dabei, einen höchst geheimen Bericht der Turks zu lesen, als sich die Bürotür öffnete und Hojo den Raum betrat, sich lauernd umsah und zum Schreibtisch eilte. „Mr. President, Sie sollten die Turks hierher rufen! Alle!“ Rufus hob nicht einmal den Kopf. „Ist das der lächerliche Versuch, mir einen Befehl zu erteilen, Professor?“ „Mitnichten, Mr. President. Es geht mir einzig und allein um Ihre Sicherheit.“ Rufus´ bis dahin noch relativ gute Laune begann schlagartig zu sinken, brachte ihn aber immer noch nicht dazu, den Kopf zu heben. „Ich verstehe. Sie haben einen Fehler bei der Vernichtung von Jenova Projekt 1 gemacht.“ „Ich würde es nicht unbedingt `Fehler´ nennen. Es ist mehr eine Art ... unbedeutender Zwischenfall.“ „Er scheint bedeutend genug zu sein, um hierher zu kommen. Ich höre!“ Hojos Selbstbeherrschung schwankte. Dasselbe galt für seine verbale Ausdrucksfähigkeit. „Jenova Projekt 1 hat sich meinem Willen widersetzt! Und mich verletzt!“ Er zeigte anklagend seine Hände, auf denen die Schnittverletzung immer noch deutlich zu erkennen war. „Ich kann so nicht arbeiten!“ „Das ist Ihr Projekt, Hojo!“ Es klang durch und durch gelangweilt. „Weisen Sie ihm seine Schranken! Und jetzt fangen Sie ihn wieder ein und beenden seine Existenz!“ „Das ist ... derzeit nicht möglich. Aber ich versichere Ihnen, es ist nur eine Frage der Zeit ...“ Jetzt hob Rufus den Kopf. Langsam. Richtete den Blick fest auf den Mann im weißen Laborkittel. Und wisperte: „Sie wollen mir nicht sagen, dass Sie die Kontrolle über Jenova Projekt 1 verloren haben!“ „Mitnichten. Ich lasse ihm nur etwas Spielraum, bis ...“ „Hojo!? Wenn ich Ihnen jetzt befehlen würde, ihn herzubringen, wären Sie dazu in der Lage?!“ „Derzeit dürfte es kaum machbar sein, Sir, aber ...“ „Sie haben ihn verloren. Sie haben die tödlichste Waffe dieses Unternehmens verloren! Wo war Ihr Notrufsender?! Ist Ihnen klar, dass jedes verfügbare Armymitglied sich sofort in Bewegung gesetzt hätte?!“ „Ich sende keine Notrufe aus! Nicht wegen ... einer solchen Lappalie!“ „Verstehe. Vermutlich tragen Sie auch genau aus diesem Grund eine geladene Waffe mit sich herum! Sie und ich stehen auf der ersten Position der Todesliste dieses Mannes, die S-1 Einheiten können uns noch nicht beschützen, und jetzt ist er frei! Aufgrund Ihres Versagens! Das ist mehr als eine Lappalie, das ist ein Grund für die fristlose Entlassung!“ „Sie können mich nicht entlassen! Ich bin ein Genie!“ „Sie sind ein Idiot! Der uns beide, inklusive der gesamten Electric Power Company, in Gefahr bringt! Weshalb haben Sie nicht den Chip benutzt?“ „Er wurde entfernt.“ „Oh, natürlich. Wie unaufmerksam von mir! Das haben Sie also zusätzlich zugelassen! Ist Ihnen eigentlich klar, dass ich Ihnen über die Hälfte Ihres Gehaltes zahle, damit Sie Jenova Projekt 1 unter Kontrolle halten?! Haben Sie auch nur den blassesten Schimmer, wie viele Aggressionen dieser Mann uns gegenüber aufgebaut hat?“ „Die Vorgänge im Labor haben auf Ihre Anweisung hin stattgefunden!“ „Ich bezweifle, alle Vorgänge angewiesen zu haben!“ „Bezüglich Jenova Projekt 1 haben Sie mir nie Grenzen gesetzt!“ „Dass Sie dieses Wort aussprechen können, ohne daran zu ersticken!“ Einen kurzen Moment lang gestatten sich beide Männer, einander hasserfüllt anzufunkeln. Keiner war bereit, auch nur einen Bruchteil der im Raum stehenden Schuld für sich zu akzeptieren. Jenova Projekt 1 war schon immer ein Risiko gewesen, aber jetzt war er ein entfesseltes Risiko ... „Warum hat er mich nicht getötet? Warum ist er nicht längst hier?!“ „Sie haben wirklich keinerlei Ahnung von Psychologie. Er will spielen. Uns in ständiger Alarmbereitschaft halten. Wir sollen ihn hinter jeder Ecke erwarten, und mit ihm unseren Tod. Aber den Gefallen werden wir ihm nicht tun!“ Er schwieg einen Augenblick. „Hat er irgendetwas von seinen heißbegehrten Antworten gesagt?“ „Er will sie nicht mehr.“ Diese Aussage beschwor etliche Sekunden der Stille herauf. Meinte Jenova Projekt 1 es mit dieser Aussage ernst? Es gab genug Gründe, die dafür sprachen – und genau dieselbe dagegen sprechende Anzahl. Aber woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Oder handelte es sich nur um ein geschicktes Täuschungsmanöver? Fragen, auf die es noch keine Antwort gab. Und die vielleicht auch gar nicht wichtig waren. Denn ... „Laut Ihren Dokumentationen dauert es bis zur Fertigstellung der S-1 Einheiten nur noch ein paar Wochen. Bis es soweit ist, spielen wir sein kleines Spielchen mit! Wir lassen ihn in dem Glauben, gewonnen zu haben, und erledigen ihn dann mit Hilfe der S-1 Einheiten! Sie gehen jetzt zurück ins Labor und setzen Ihre Arbeit fort, und vergessen Sie nicht: Sie haben Angst! Ich werde die Sicherheitsmaßnahmen für den Laborbereich entsprechend verstärken.“ Hojo lächelte zufrieden und verließ das Büro. Rufus blieb allein und in tiefer Nachdenklichkeit zurück. Er hätte es niemals zugegeben, aber im tiefsten Grunde seines Herzens gehörte die aktuelle Situation zu den am meisten gefürchtetsten. Und jetzt traf sie zu. Jenov ... Crescent war frei. Und Rufus konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob dessen Pläne wirklich so durchschaubar waren, wie angenommen. Denn so detailliert der Körper dieses Mannes erforscht worden war, so wenig Wert war auf seinen psychologischen Zustand gelegt worden. Und jetzt ... ... kann ich ihn nicht einschätzen. Ich habe keine Ahnung, was er als nächstes tun wird. Ich weiß nur, dass ich ihn kaum aufhalten kann. Crescent ist zu schnell, zu stark, zu schlau. Genau, was ich wollte. Was ShinRa brauchte. Und vielleicht, was uns vernichten wird. Aber noch ist der Kampf nicht entschieden. Crescent wird seine neue Freiheit genießen wollen, sofern er dazu gefühlstechnisch in der Lage ist. Aber letztendlich werden ihn die S-1 Einheiten erledigen! Nicht mal sein Schwert wird ihn retten können! Er lehnte sich ein wenig entspannter zurück. Ja. So leicht würde sich ShinRa nicht ergeben! Keinem Hiwako Destin, keinem Planeten und erst recht keinem ... Ding wie Crescent! „Du hast es geschafft ...“ Cutters Stimme war nur ein Flüstern. „Du hast es wirklich geschafft!“ Sephiroth hätte leicht genervt nachfragen können, wie oft sie diese Aussage noch machen wollte. Aber er fühlte sich nicht genervt. Und im tiefsten Grunde seines Herzens wollte er diese Worte immer wieder hören. Als sei jedes einzelne dafür vorgesehen, den jetzigen Zustand zu verstärken. Wie ein mächtiger, unüberwindbarer Zauberbann. Und so stützte er nur den Kopf mit auf der Rückenlehne der Couch liegenden Arm ab und sah schweigend zu der neben ihm sitzenden Cutter hinüber. Ich muss dich nicht wegschicken, dachte er irgendwann. Ich darf dich doch behalten ... „Aber kannst du deine Antworten wirklich aufgeben?“, erkundigte sich seine Freundin eben leise. „Du gibst sonst nie auf. Du hast so hart dafür gekämpft. Und sie existieren immer noch irgendwo.“ „Das ist wahr“, antwortete er ebenso leise. „Aber eine mitunter sehr weise Person hat mir erst kürzlich gesagt, dass es besser ist, sich nicht zu sehr von der Meinung anderer Leute abhängig zu machen. Abgesehen davon ... auf dem Schlachtfeld nennen wir diesen Moment, in dem man erkennt, auf verlorenem Posten zu kämpfen `Pointless Battle´. Es ist eine der unvorteilhaftesten Situationen, in die man beim Kampf geraten kann, denn oft bleibt einem keine Zeit mehr, eine neue Strategie anzuwenden. Ich hatte noch Zeit. Nicht viel. Aber genug um eine Entscheidung zu treffen. Und ich habe mich entschieden.“ Vielleicht, fügte er in Gedanken hinzu, ergibt sich doch noch irgendwann die Chance ... Aber für jetzt war es die richtige Entscheidung. Cutter, die seine Gedanken nicht kannte, nickte – und knurrte nur eine Sekunde später: „Ich hätte ihm trotzdem die Kehle durchgeschnitten!“ Sephiroth stieß einen Laut der Erheiterung aus. „Sicher.“ Dann sog er schnuppernd die Luft ein. „Was verbrennt hier eigentlich gerade?“ „Unser Abendessen!“ Cutter sprang wie von der Tarantel gestochen auf und raste so schnell sie konnte in die Küche. „Und?“, erkundigte sich der General zu gleichen Teilen gespannt wie amüsiert, als seine Freundin nach einigen von hektischem Geklapper und protestierendem Zischen erfüllten Minuten wieder in der Tür auftauchte. Cutter zog eine Grimasse. „Tot.“ „Schussel.“ „Dabei hat alles so gut geklappt! Ich hab nur vor lauter Schreck vergessen, die Temperatur runterzudrehen, als du vorhin reingestürmt bist. Ach, verdammt!“ Es war Sephiroth unmöglich, die empfundene Heiterkeit weiter zu unterdrücken. Und so begann er leise zu lachen, schüttelte gleichzeitig den Kopf und kommentierte: „Wenn es dich tröstet: Du kämpfst besser, als du kochst.“ „Hfrmmgsklfkm“, grummelte die Null Sterne Köchin und ließ sich immer noch relativ ungetröstet wieder neben ihm auf die Couch fallen. Es war ein Zustand den Sephiroth unmöglich so belassen konnte. Schon der erste Kuss zog sich scheinbar endlos hin. Es war Cutter unmöglich, nicht haltsuchend in all das Silber zu greifen, und als dies nicht ausreichte, sich nach hinten sinken zu lassen. Sephiroth folgte der Bewegung ohne seine Berührungen enden zu lassen, spürte, wie sich Hände auf der Suche nach noch mehr Körperkontakt in seinen Nacken legten, nicht einengend, nur warm, und so einverstanden ... Letztendlich fand er sich auf den Unterarmen abgestützt über Cutter wieder, und sie sah zu ihm auf mit diesem seltsamen weichen, offenen Blick - und diesmal begriff der General. Jene totale körperliche Nähe, die noch vor wenigen Wochen so weit weg gewesen war ... jetzt war sie ganz nahe. Und Cutter wollte sie mit ihm erleben, nur mit ihm. Sie würde ihm ihren Körper schenken, so, wie sie es damals mit ihrem ersten Kuss getan hatte, und es nicht bereuen, niemals ... Weil er es war, der dieses Geschenk erhielt. „Ich hab´ s verstanden“, wisperte Sephiroth. Cutter lief augenblicklich hellrot an, aber ihrem langsamen, gefühlvollen Kuss wohnte nicht der geringste Hauch von Scham inne. „Das“, konstatierte Sephiroth nachdem es ihm gelungen war, die Augen wieder zu öffnen, „kannst du übrigens auch besser, als kochen.“ Der Körper unter ihm begann augenblicklich, vor jähem Lachen zu beben. „Dann bin ich ja beruhigt. Und jetzt? Bestellen wir uns Pizza?“ Sephiroth wollte schon antworten, aber das jähe Piepen der Tür, dicht gefolgt vom schwungvollen Öffnen derselbigen, hinderte ihn heran. Zack stürmte mit einem wie üblich äußerst fröhlich klingenden: „Hey, Sep ...“, herein, realisierte die völlig unerwartete Pose, in der sich seine beiden besten Freunde immer noch befanden ... „... ich bin schon wieder weg.“ „Bleib hier!“, grollte der General. „Ja, bleib hier! Es gibt Pizza!“ „Hurra“, jubelte der 1st, „es gibt Pizza!“ „Wenn du sie holst, Zack“, ergänzte Sephiroth, einmal mehr praktischer denkend als der gesamte Rest. „Hurra, ich hole Pizza!“ Dann allerdings bremste Zack jäh ab, wandte sich zu den beiden mittlerweile in sitzender Position befindlichen Personen um, und erkundigte sich fast ernsthaft: „Warum gibt es Pizza, die ich hole?“ Sephiroth erhob sich, zögerte einen Augenblick ... „Ich schätze“, sagte er schließlich, „wir haben was zu feiern.“ Zack runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. Was zu feiern? Bei Sephiroth? Mehr als ungewöhnlich. Also was, um alles in der Welt, könnte ... Dann realisierte er die Veränderung in der Aura seines besten Freundes. Sie glich der eines Helden, der soeben das gefürchtetste Monster von allen erschlagen hatte. Und Zack begriff, lächelte ernsthaft und trat nach vorne, um dem Mann vor sich einen nicht festen, aber spürbaren Klaps auf die Schulter zu geben. „Seph? Vielleicht klingt das jetzt total bescheuert, aber ... Ich bin wahnsinnig stolz auf dich.“ „Danke“, antwortete Sephiroth leise. „Euch beiden. Für alles.“ Und dann erzählte er die Geschichte noch einmal. Als er wieder schwieg, blieb es einen Augenblick lang ganz still. „Du hast ihn nicht getötet?“ Die Verblüffung in Zacks Stimme hätte für die gesamte ShinRa Belegschaft gereicht. „Und Rufus auch nicht? Seph, das ist ... unlogisch. Sie werden garantiert wieder versuchen, dich zu töten! Hast du schon eine Gegenstrategie?“ Eine silberfarbene Augenbraue hob sich spöttisch. „Ok“, seufzte Zack, „du hast mehr als eine Gegenstrategie. Aber ich versteh nicht, warum du den beiden nicht die Kehle durchgeschnitten hast.“ „Du denkst zu simpel, Zackary. Viel zu simpel.“ „Und ich bin noch nicht mal fertig. Töte die beiden Bastarde, ansonsten geben sie keine Ruhe. Schnapp dir Cuttie und kehr diesem Laden den Rücken. Fang woanders neu an. Niemand hat das mehr verdient, als du.“ „Wir befinden uns im Krieg, Zack.“ Sephiroths Stimme klang erstaunlich neutral hinsichtlich der geradezu unverzeihlichen Aufforderung zur Fahnenflucht. „Und ich bin nach wie vor ShinRa General. Eine Rolle, die mir außerordentlich behagt. Der jetzt laufende Kampf gegen Solar Solution ist zu interessant, um ihn aus der Ferne zu beobachten oder durch einen Mord an Rufus vorzeitig zu beenden, zumal sich die Electric Power Company noch nie so nahe am Abgrund befunden hat, wie jetzt. Für Rufus heißt es: Alles oder Nichts. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Solar Solution wieder in Bewegung ist, und mein Instinkt sagt mir, dass sie sich diesmal geschickter anstellen werden. Wenn es soweit ist, werde ich an vorderster ShinRa Front stehen!“ Zack wusste, was Sephiroth meinte. Man musste nur durch die Stadt laufen, um die Stimmung aufzunehmen. Sie ähnelte der letzten Warnung in Form eines Spannungsfeldes vor einer elektrischen Leitung und echtem Schmerz. Nachts, wenn Midgar wie geeint leuchtete und doch, wie alle wussten, durch Mako- und Solarenergie zweigeteilt war, steigerte sich dieses Gefühl ins scheinbar Unermessliche. Die Electric Power Company und der Planet selbst kämpften um eine brauchbare Zukunft. Und dennoch ... „Guter Plan. Bis auf den Plan an sich. Seph“, der 1st schüttelte den Kopf, „ich denke wirklich, du machst hier einen Fehler.“ „Momentan“, antwortete Sephiroth, „sieht es für Rufus sehr nach `Nichts´ aus. Denkst du, er ist glücklich mit der aktuellen Situation? Auch mich betreffend?“ „Unter gar keinen Umständen.“ „Sehr richtig.“ Ein kaltes Feuer begann in den Augen des Generals zu glühen. „Aber ich will ihn glücklich. Glücklich, zufrieden und auf dem Höhepunkt seiner Macht. Genau wie Hojo! Und das heißt, ich werde sie erst töten, wenn es ihnen gelungen ist, diesen Krieg zu gewinnen! Und bevor du fragst: Ich bin fest davon überzeugt, dass sie es schaffen werden.“ „Wie?“ „Wenn ich das wüsste, würde ich den Vorgang beschleunigen, statt hier zu sitzen!“ „Wenn ShinRa gewinnt, laufen wir alle Gefahr, zu sterben.“ „Habe ich irgendetwas von `Massenvernichtung´ gesagt, Zackary? Sobald sich Rufus und Hojo in ihrem Glück suhlen, werde ich sie töten. Die Vernichtung der restlichen Reaktoren ist für mich ein Kinderspiel. Der Planet wird sich erholen. Und ShinRa ist Geschichte!“ Zack schwieg etliche Herzschläge lang, versuchte den empfunden Widerwillen hinsichtlich des Plans in gute Worte umzuwandeln. Der 1st wusste, wie lustvoll es sein konnte, etwas, auf das man sich freute, hinauszuzögern. Er wusste auch, dass Sephiroth ein Meister der Vorbereitung für finale Attacken war. Aber es war ihm unmöglich zu vergessen, dass man ein Vorhaben auch zu Tode planen konnte. Was sich seinem besten Freund hier eröffnete, war die gigantische Chance, etwas für immer zu beenden. Das verhängnisvolle an Chancen war, dass sie vorbeigingen, ganz egal, ob genutzt oder nicht. Wie groß mochte dieses Zeitfenster sein? „Wenn es soweit ist, will ich sie leiden sehen!“ Die Stimme des Generals vibrierte förmlich vor finsterer Lust. Purer Hass dominierte seinen Blick. „Seelisch! Körperlich! Wenn sie sich wieder unbesiegbar fühlen, werde ich ihnen den größten Schmerz und die größte Niederlage zufügen, zu denen ein menschliches Bewusstsein fähig ist: Zu sterben, obwohl man leben will! Aber vorher werde ich ihren Begriff von `Angst´ neu definieren! Denn da sie meinen Plan nicht kennen, werden sie in jeder Sekunde mit einem möglichen Angriff meinerseits rechnen müssen!“ Zack und Cutter versuchten, die sie überlaufenden Schauer zu unterbinden. Aber es gelang ihnen nicht. Sephiroth glich nicht einfach nur einem Raubtier, das seiner Gefangenschaft entflohen war und plante, die Kreise um seine ehemaligen Peiniger immer enger und enger zu ziehen, sondern einem, das sich zusätzlich vorher genüsslich im hellsten Licht und unter ihren Augen sonnte. Und diesen Zustand genießen wollte. Bis zur letzten Sekunde. Ein nachvollziehbares Vorhaben. Aber Zack konnte und wollte seine Bedenken nicht verschweigen. „Seph, du weißt, ich bin dein Freund. Rufus und Hojo haben alles Leid dieser Welt verdient für das, was sie dir im Laufe der Zeit angetan haben. Aber dein Plan gefällt mir trotzdem nicht. Er lässt den beiden Mistkerlen zuviel Spielraum. Außerdem erscheint er mir Cuttie gegenüber ziemlich hart, und ...“ Ich weiß, dachte Sephiroth und sah zu seiner bisher sehr schweigsamen Freundin hinüber. Es gibt jetzt jemanden, der mich liebt. Und der an meinem Leben teilhaben möchte. Den ich in mein Leben einbinden möchte. Aber gewisse Pläne kann ich davon unmöglich abhängig machen! Und außerdem ... Cutters Stimme unterbrach seine Gedanken. Sie klang leise und sehr ernsthaft. „Ich denke wie Zack. Vielleicht ist das die einzige Chance, die du jemals kriegst. Jetzt, in diesem Moment, herrschen optimale Bedingungen. Aber ... es ist nicht, was du brauchst. Zack und ich haben viele Dinge in dir heilen und bewahren können. Manches jedoch bedarf einer ... speziellen Behandlung, zu der weder er noch ich in der Lage sind. Und ich für meine Teil möchte dich ganz und gar geheilt wissen.“ Ihre Stimme änderte sich, wurde kälter. Härter. „Diese beiden Bastarde haben dich dein ganzes Leben gequält und gefoltert, mental wie körperlich, und sie verdienen eine passende Antwort. Zieh es durch. Mach sie fertig! Ich bin ganz und gar auf deiner Seite!“ Sie wandte den Kopf und lächelte in Richtung Zack. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme klar! Wenn das hier vorbei ist, werde ich nie wieder einem anderen Menschen schaden. Das habe ich mir geschworen. Eines Tages wird ShinRa´s Herrschaft enden. Weil Sephiroth sie beenden wird! Solange ich das nicht vergesse, kann ich meinen Glauben an eine bessere Zukunft unmöglich verlieren. Richtig?“ Es mochte nur sehr wenige Dinge geben, die älter waren als der menschliche Glaube an eine bessere Zukunft. Und so nickten die beiden SOLDIER. Es glich einem besiegelten Pakt. „Ich halte den Plan trotzdem nicht für gut!“, stellte Zack klar und schüttelte den Kopf. „Aber ich freue mich über deinen Sieg, Seph, und deshalb gehe ich jetzt die Pizza holen. Bis gleich!“ Es wurde ein wundervoller Abend, und Sephiroth genoss jede einzelne Sekunde. Es tat so gut, hier zu sitzen. Freunde um sich zu haben. Mit ihnen zu lachen oder den Kopf über sie zu schütteln. Die Zeit zu genießen. Das Bewusstsein, endlich frei zu sein, auszukosten, und mit ihm die Gewissheit, zum ersten Mal seit Jahrzehnten stärker zu sein als die Mächte, die ihn seit seiner Geburt kontrollierten und missbrauchten. Und ich, dachte Sephiroth, werde dieses Wissen bei ihnen wach halten! Ich werde jede passende Gelegenheit dazu nutzen! Ab jetzt gebe ich die Kommandos! Er konnte nicht ahnen, welche verheerenden Folgen die verpasste Gelegenheit, sich endgültig zu befreien, nach sich ziehen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)