FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 43: Die Grenze zwischen `Gut´ und `Böse´ ------------------------------------------------ „Du bist völlig sicher“, vergewisserte sich Sephiroth. „Absolut!“ Verblüffung von der Intensität eines Waldbrandes wütete in ihrer Stimme – am äußersten Rand allerdings glomm immer noch große Erleichterung. „So was habe ich noch nie gesehen, niemals! Wie kann das sein?“ „Du hast doch die Informationen auf Hiwakos Homepage gelesen.“ „Ja, und ich habe sie mir sogar behalten. Aber nicht geglaubt!“ „Dann würde ich vorschlagen, jetzt damit anzufangen. Sogar mir bleibt momentan nichts anderes übrig.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass die Turks und ich keinen Erfolg hatten. Wir haben unseren Gegner unterschätzt. Wann ist mir das zum letzten Mal passiert? „Tja“, sagte Cutter fröhlich, „das war´ s dann wohl. Wir haben keine Chance gegen Hiwako und `Solar Solution´. Sogar ich kann nicht helfen, ihn zu töten.“ Sie atmete tief auf. „Ich bin froh, ganz ehrlich. Gehen wir einen Kaffee trinken?“ Sephiroth antwortete nicht. Er sah nicht einmal in ihre Richtung. Sein Blick schien irgendetwas weit außerhalb des Raumes zu fixieren. So einfach mache ich es dir nicht, Hiwako! Ganz egal, wie wahr die Angaben auf deiner Homepage sind. „Cutter, wir gehen!“ „Zum Kaffeeautomaten?“ „Negativ.“ Jetzt schien kaltes Feuer in seinem Blick zu glühen. „Wir erstatten unserem obersten Befehlshaber Bericht!“ Keiner im ShinRa Gebäude konnte es auch nur ahnen. Aber irgendwo am äußersten Rand unterhalb der Platte, öffnete sich langsam, ganz langsam ein großes Tor. Ein schwerer Geländewagen mit einem `Solar Solution´ Schriftzug kam zum Vorschein und begann, vorwärts zu rollen. Das an seiner Anhängekupplung befestigte Seil spannte sich nach einigen Metern in einem Winkel und auf eine Art und Weise, die etwas sehr Großes an dessen Ende verriet. Rufus Shinra sah nicht auf, als sich seine Bürotür öffnete. Erstens erkannte er jeden, der befugt war diesen Ort zu betreten, am Klang seiner Schritte, zweitens gab es genug Überwachungskameras die gestochen scharfe Bilder lieferten, drittens befand sich seine Schusswaffe immer griffbereit und viertens waren 2 Turks anwesend. Diesmal allerdings folgten den bekannten Schritten fremde. „Haben Sie die Verstärkung mitgebracht, um einen erneuten Misserfolg Ihrerseits bezüglich Hiwako Destins Eliminierung glaubhafter erklären zu können, General?“, erkundigte sich Rufus ohne aufzusehen. „Um ehrlich zu sein, Mr. President, ich habe gar keinen neuen Versuch unternommen.“ Die Information an sich hätte ausgereicht, um Rufus den Kopf heben zu lassen. Die Wortwahl allerdings ließ ihn dies ein wenig schneller tun – natürlich ohne hektisch zu werden. „Tatsächlich“, kommentierte er die gehörten Worte. „Und aus welchen Gründen, wenn ich fragen darf?“ Als Antwort erteilte Sephiroth Cutter das Wort, und sofort blitzte in Rufus Augen ein Ausdruck auf, der an einmaliges Mündungsfeuer in dichtem Nebel erinnerte. Nur für einen Sekundenbruchteil - aber der General bemerkte es. Positiv zu bewerten war die Reaktion des Präsidenten nicht. Vielmehr verriet sie, dass sich Cutter auf einer der oberen Position seiner Todesliste befand. Nicht, weil die junge Frau zuviel wusste, sondern vielmehr aufgrund ihrer uneinschätzbaren Fähigkeiten. Wir haben ein wenig Angst vor ihr, wie, Rufus?, dachte Sephiroth erheitert, ließ sich jedoch nichts anmerken. Vor dem Schreibtisch begann Cutter zu sprechen und kam, sich an einen der wesentlichen Tipps Sephiroths erinnernd, direkt auf den Punkt. „Mir wurde heute der Auftrag erteilt, den Aufenthaltsort von Hiwako Destin mit Hilfe seiner Line herauszufinden, aber es haben sich ... unerwartete Probleme eingestellt. Seine Line ...“ Der Geländewagen stoppte. Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Hände lösten das Seil vom entgegengesetzten Ende der Anhängekupplung, andere waren damit beschäftigt, Zusatzelemente anzubringen. Letzte Worte wurden gewechselt. Dann betätigten speziell dafür ausgebildete Hände eine Startvorrichtung. Ein Motor erwachte zum Leben. Einen Augenblick lang blieb es ganz still in dem großen Büro. Niemand bewegte sich. Selbst die Zeit schien wie eingefroren zu sein. „Hiwako Destins Line existiert mehrfach“, wiederholte Rufus schließlich, obwohl er es hasste, Informationen zu wiederholen. „Ja, Sir. Momentan insgesamt weit über 300 Mal, was absolut Einzigartig ist, denn eigentlich dürfte er nur eine haben, wie jeder normale Mensch auch. Und, ähm, jede einzelne dieser Lines zeigt einen anderen Aufenthaltsort Hiwakos an. Er ist quasi derzeit an über 300 auf ganz Gaia verteilten Plätzen zur selben Zeit.“ Rufus schwieg einen Augenblick. „Und das soll ich glauben“, knurrte er schließlich misstrauisch. „Ich habe es mehrfach überprüft, Sir. Irrtum absolut ausgeschlossen. Eine seiner Lines endet sogar hier, in diesem Büro. Und da wäre noch etwas. Seine Lines vermehren sich. Ich habe es mehrfach überprüft.“ Abermals senkte sich völlige Stille über alle Anwesenden. Rufus sah zu Cutter hinüber, und dabei beschäftigte ihn nur eine einzige Frage: Fand hier gerade ein riesiger Bluff statt, oder nicht? Aber die Turks und Jenova Projekt 1 hatten versagt. Was absolut Ungewöhnlich war. Wären die S-1 Einheiten schon einsatzbereit gewesen ... aber sie waren es nicht. Und jetzt tauchte auch noch diese Tzimmek mit Informationen auf, die alle über Hiwako Destin bekannten Daten untermauerten. Die neuen Details allerdings ohne nähere Prüfung zu glauben, war höchst naiv. Einige Kilometer entfernt wurden letzte Schranken gelöst. Die Gesetze der Physik gingen eine Co-Existenz mit einigen äußerst feinsinnigen Tricks ein, und nur wenige Sekunden später befand sich eine Maschine in einem Element, das ohne Zweifel als ihr `natürliches´ bezeichnet werden konnte. Sie nahm Kurs auf ein ganz bestimmtes Ziel. Im seinem Büro hatte Rufus Cutter den Auftrag erteilt, 4 Aufenthaltsorte Hiwakos innerhalb Midgars genauer zu bestimmen, hielt schon nach kurzer Zeit eine entsprechende Auflistung in den Händen und reichte sie an den neben ihm stehenden Tseng weiter. Dieser griff zum PHS und gab die neuesten Anweisungen an die restlichen Turks weiter. Rufus richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die wenigen Blätter auf seinem Schreibtisch. Cutter warf Sephiroth einen fragenden Blick zu, erhielt aber keine Antwort und begriff, dass es momentan nichts zu tun gab, außer abzuwarten, bis die Turks sich meldeten. Aus Langeweile begann sie irgendwann abermals die Hiwako betreffenden Lines zu zählen und war über die neue, wesentlich höhere Zahl nicht überrascht. Unter diesen Umständen dürfte die Trefferquote der zu den jeweiligen Adressen geschickten Turks bei Null liegen. Und trotzdem, dachte die junge Frau, der Planet hat sogar mich im Auge, denn er schaltet meine 2nd Lines Fähigkeiten ganz gezielt aus. Zum Glück! Unter diesen Umständen muss ich nicht wieder gemein sein. Auch Sephiroth war in Gedanken versunken, aber sie betrafen weder den Planeten, noch die Lines. Rufus Büro mochte der am besten schallisolierte Raum im ganzen ShinRa HQ sein – aber der Instinkt und die feinen Sinne des Generals vermittelten trotzdem ein Geräusch (vielleicht auch nur die Ahnung eines Geräusches), das so noch nie über Midgar erklungen war. Und es kam näher! Sephiroth ließ den Blick durch das gewaltige Panoramafenster im Büro des Präsidenten wandern, auf alles konzentriert, das sich vom üblichen Verhalten der Stadt unterschied, und bereit, sofort irgendetwas zu unternehmen. Aber er konnte nichts entdecken. Irgendwann begann das Telefon zu klingeln. Rufus nahm das Gespräch an, notierte etwas, telefonierte wenig später ein zweites und drittes Mal ... Die Turks erstatteten Bericht. Reno und Rude, denen der erste Auftrag zur Eliminierung Hiwakos erteilt worden war, tauchten wenig später persönlich im Büro auf, um sich etwaige weitere Befehle selbst abzuholen. Nach einigen Minuten blickte der Präsident der Electric Power Company wieder zu Cutter. „Wie viele Lines sind es mittlerweile deiner Ansicht nach?“ „476, Sir.“ Das Geräusch war immer lauter geworden, auch, wenn es scheinbar nur für Sephiroth hörbar war. Der Urheber musste sich jetzt in unmittelbarer Nähe des ShinRa HQ´ s befinden, und er überwand die Distanz von dessen Rückseite aus kommend. Die linke Hand des Generals legte sich unauffällig auf den Schwertgriff. „476“, wiederholte Rufus zum zweiten Mal für den heutigen Morgen eine Information. „Du ...“ Weiter kam er nicht. Grelles Gelb verdeckte urplötzlich das riesige Panoramafenster des Büros, dicht gefolgt vom jetzt trotz der Schallisolierung gut zu vernehmende Höllenlärm eines Propellerflugzeuges, welches in senkrechtem Steigflug so dicht am Fenster emporzog, dass die Räder fast das Glas zerkratzten und die am Flugzeugbauch angebrachten Düsen sichtbar wurden. Sie arbeiteten. Innerhalb zwei Sekunden bedeckte eine feine Schicht chemisch riechender Flüssigkeit die Scheibe – allerdings nur für die Dauer eines Herzschlages. Dann explodierte irgendetwas vor dem Fenster und heftete sich in hundertfacher Ausführung und mit ins Innere des Büros zeigender Beschriftung an die Scheibe. Und blieb kleben. Das Machtzentrum ShinRa´s wurde schlagartig nur noch durch die Deckenbeleuchtung erhellt. Verblüffte Stille breitete sich aus. Dann erfolgte der erste Kommentar. Er kam von Reno. „Geile Flugnummer, was, Rude? Hätte ich nicht besser machen können!“ Cutter prustete unwillkürlich und spürte nur einen Sekundenbruchteil später, wie sich Sephiroths Hand hart in den Rückenstoff ihrer Uniform grub, eine unmissverständliche Botschaft vermittelnd. `Reiß dich zusammen!´ Rufus Shinra drehte seinen Sessel. Langsam. Bis er die angerichtete Bescherung sehen konnte. Was dort an seiner 1,5 Millionen Gil teuren Scheibe klebte, waren Flyer. Sonnengelbe Werbeflyer. Und die darauf gedruckten Worte `Solar Solution´ wirkten wie schallendes Hohngelächter. Ebenso wie der erneute Hinweis auf die Homepage, das Gewinnspiel und – GANZ NEU !!! – die eigene Radiostation. „Tzimmek.“ Die Stimme des Präsidenten der Electric Power Company klang völlig ruhig. „Was tut dieses Flugzeug gerade?“ „Es, ähm, fliegt über die Stadt und wirft weiterhin Flyer ab, Sir.“ „Ich nehme an, es hat eine Line?“ „Davon“, schaltete sich Sephiroth augenblicklich furchtlos ein, „möchte ich abraten, Mr. President. Ein unglücklich landendes Bruchstück der Maschine könnte mehr Schaden verursachen, als es ein paar Flyer wert sind.“ „Gegen die Flyer kannst du vermutlich auch nichts ausrichten, Tzimmek?“ Ich könnte schon, dachte Cutter. Aber zufälligerweise habe ich dazu überhaupt keine Lust! „Leider nein, Sir. Papier dieser Art ist Standard, es könnte ...“ „Ich verstehe.“ Drei Sekunden völlige Stille. „Hey, Boss“, schaltete sich Reno mit funkelnden Augen ein, „darf ich das Flugzeug jagen?“ Rufus warf dem Turk einen eisigen Blick zu und verkündete schließlich: „Jeder, der nicht `Shinra´ mit Nachnamen heißt, hat 4 Sekunden Zeit, um dieses Büro zu verlassen. Die Zeit läuft.“ 4 Sekunden später war er allein. Rufus lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss die Augen und begann mit Daumen und Mittelfinger seine Schläfen zu massieren. Dieses ziehen ... er würde Kopfschmerzen bekommen. Er hasste es, Kopfschmerzen zu bekommen. Sie waren, obwohl sie ihn nie wirklich aufhalten oder bremsen konnten, lästig. Natürlich hätte er eine Tablette nehmen können, aber im Grunde wäre das nichts anderes als Hilfe in Pharmaform gewesen, und er nahm keine Hilfe an. Von niemandem! Rufus Shinra, Präsident des mächtigsten Unternehmens auf ganz Gaia, war prinzipiell in der Lage sich selbst zu helfen. Indem er den richtigen Leuten die richtigen Befehle gab. Wie in der Hiwako-Sache. Trotzdem hatte sich das gewünschte Ergebnis nicht eingestellt. Crescent ins Labor zu schicken war überflüssig gewesen, aber an wem sonst hätte er seine Wut auslassen sollen? Außerdem las er so gerne Professor Hojos diesbezügliche Berichte. Jeder von ihnen war ein kleiner Schritt zum großen Ziel, den S-1 Einheiten. Weit waren sie nicht mehr entfernt ... Rufus zwang seine Gedanken wieder auf das eigentliche Thema. Hiwako Destin ... 476 Lines! Eine von ihnen war echt. Aber wie sollte er herausfinden, welche? Zumal sie sich weiter vermehrten. Laut Tzimmek gab es keinerlei Anhaltspunkte und die Turks hatten nur falsche Lines identifizieren können. Destin konnte Midgar längst verlassen haben und an jedem beliebigen Punkt der Welt sein. 476 Lines ... Ohne den momentanen Aufenthaltsort des Mannes zu kennen, konnte man ihn unmöglich umbringen. Und überhaupt, seit wann verfügte dieser verdammte Planet über einen eigenen Willen?! Ein eigener Wille bedeutete auch immer ein eigenes Bewusstsein. Bei Menschen schon höchst lästig, weil man ihnen oft erst klar machen musste, wie unbedeutend dies war. Aber bei einem Planeten? Planeten sollten so etwas überhaupt nicht besitzen! Sie sollten im All schweben, umgeben von ShinRa Satelliten, und sich nicht einmischen! Gaia war da offensichtlich anderer Ansicht. Nicht eine Sekunde lang fragte sich Rufus, warum der Planet nach so vielen Jahren derartig reagierte. Seine einzige Überlegung galt dem erfolgreichen Aufspüren Hiwakos. Wie sollte man einen Mann finden, der sich an über 400 Orten gleichzeitig aufhielt? Welche Möglichkeiten, außer einer Fahndung mit hoher Belohnung, blieben um Hiwako zu finden? Erneutes Klopfen an der Tür und das Öffnen derselbigen unterbrach seine Gedanken. Du schon wieder, dachte Rufus unwillkürlich genervt. Seiner Stimme jedoch war davon nichts anzumerken. „Was verschafft mir die erneute Ehre, General Crescent?“ „Die aktuelle Situation bezüglich Midgar. Mr. President, Ihnen dürfte klar sein, dass Sie diesmal mit den üblichen Methoden nicht weiterkommen.“ Für einen kurzen Augenblick lag eine messerscharfe Antwort auf Rufus´ Zunge. Dann jedoch schluckte er sie herunter. Der Mann vor ihm mochte vieles sein: Ein Projekt, eine Marionette, etwas, das Dank der immer detaillierter Gestalt annehmenden S-1 Einheiten schon bald für immer ausgedient hatte – aber er war auch ein gefürchteter Kämpfer und brillanter Stratege. Außerdem, das wusste Rufus mit Sicherheit, war er auf der Suche nach Antworten bezüglich seiner Existenz. Diese Antworten allerdings gehörten zu den am besten gehütetsten Geheimnissen der Electric Power Company und waren, daran hatten alle Betroffenen keinerlei Zweifel, nicht dafür vorgesehen, von Crescent gefunden zu werden. Aber solange sie existierten, bestand natürlich dennoch eine Chance. Die durch eine Vernichtung ShinRa´s augenblicklich unwiderruflich vergehen würde. Für Jenova Projekt 1 mehr als Grund genug, dieses Unternehmen am Leben zu erhalten. Wenn er jemals herausfindet, was er ist, dachte Rufus, wird er mich und Hojo augenblicklich töten. Aber er wird diese Informationen niemals erhalten! Niemals! Und das heißt, er wird uns dienen bis zu dem Tag, an dem wir ihn eliminieren, und er wird ohne eine einzige seiner kostbaren Antworten sterben. Aber noch ist er nützlich. Von daher ... „In Ordnung, General. Ich schätze, ich kann zwei oder drei Minuten meiner kostbaren Zeit opfern, um mir Ihren Plan anzuhören.“ So herablassend es klang, Sephiroth verspürte einen Hauch von etwas, das er getrost `Gehässigkeit´ nennen konnte, in sich aufsteigen. Ganz offensichtlich hatte Rufus keine Ahnung, wie er an die Hiwakosache herangehen sollte, und so untypisch es für den General war, er beschloss spontan, ein wenig Salz in die Wunde zu reiben. „In diesem Fall muss ich bedauerlicherweise auf eine Ausführung verzichten. Rufen Sie mich an, wenn Sie mir mehr Ihrer kostbaren Zeit opfern können, aber ich rate Ihnen, sich zu beeilen.“ Die Zimmertemperatur fiel augenblicklich auf Minus 45 Grad. Dessen ungeachtet wandte sich der Grund dafür zum Gehen und hatte den Türgriff schon fast in der Hand, als Rufus Stimme hinter ihm erklang. „In Ordnung. Aber erwarten Sie besser keine Zustimmung.“ Während er fast finster beobachtete, wie Jenova Projekt 1 betont lässig zum Schreibtisch zurückkehrte, meinte er in den Augen dieses Mannes jenen Ausdruck zu erkennen, der größtes Unheil verhieß. Die letzte Gewissheit erlangte Rufus beim Zuhören. Er tat es ohne ein einziges Mal zu unterbrechen oder Fragen zu stellen, fast volle 5 Minuten lang. Der ihm dargelegte Plan war brillant. Er spiegelte alles wieder, wofür ShinRa stand. Rufus kräuselte die Lippen in einem äußerste Zustimmung verratenden Lächeln. „Wissen Sie, Crescent, hin und wieder sind Sie mir fast sympathisch. Dann könnte ich es fast bedauern, Sie eines Tages umzubringen.“ „Den letzten Satz wage ich zu bezweifeln, Shinra. Denn ich werde Sie schneller töten!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren wandte sich Sephiroth um und verließ das Büro, hielt aber auf dem Flur einen Augenblick inne. Vom militärischen und strategischen Standpunkt her war der Plan äußerst gelungen, aber ... Cutter wird mich dafür hassen. Für sie gibt es nichts Schlimmeres, als anderen Menschen Leid zuzufügen. Ich verlange gleich genau das von ihr – und sie hat noch keine Ahnung. Aber nur, weil sich meine Beziehung zu ihr geändert hat, kann ich nicht aufhören, ihr General zu sein. Ob sie das verstehen wird? Langsam setzte er seinen Weg fort, mit den Gedanken bei sich und Cutter. So gerne er alles Unheil von ihr ferngehalten hätte, das ShinRa Universum barg Situationen und mit ihnen verbundene Erkenntnisse in sich, vor denen es keinen Schutz gab, und im Grunde ging es dabei ausschließlich um Macht und Geld. Rufus Shinra besaß Beides und wollte es nicht verlieren. Dazu war ihm jedes Mittel recht. Er ist ein egoistischer Mistkerl, dachte Sephiroth. Genau wie ich, momentan. Ich würde, um endlich meine Antworten zu bekommen, alles tun. Sogar die Person, die mir mehr bedeutet als alle anderen, zu Taten zwingen, die ihrer Überzeugung vollkommen widersprechen. Und ich habe nicht einmal das, was man allgemein ein `schlechtes Gewissen´ nennt. Er bog auf den Flur ein, in dem er Cutter zurückgelassen hatte, und verhielt einen Augenblick bei ihrem Anblick. Sie stand an die Wand gelehnt da und wartete. Nur auf ihn. Ohne Ansprüche zu stellen oder etwas von ihm zu verlangen. Es ist ihr egal, wo und was ich bin, dachte Sephiroth. Sie möchte nur bei mir sein ... Zack, du hast gesagt, ich hätte sie verdient. Und ich habe dir geglaubt. Aber manchmal, so wie jetzt, habe ich einfach nur Zweifel. Und, wie mir scheint, doch ein schlechtes Gewissen. Er ging an Cutter vorbei, sie trat augenblicklich neben ihn und erkundigte sich völlig arglos: „Hat er dir zugehört?“ „Oh, ja. Wie hast du ihn eigentlich damals dazu gebracht, dich wieder einzustellen? Und diesmal will ich Details.“ Und dann, seinem Instinkt folgend: „Du hast ihn in irgendwas verwandelt.“ „Iiiich? Jemand so mächtigen? Niemals!“ Aber ihre vor Vergnügen funkelnden Augen und die zuckenden Mundwinkel verrieten, dass sie sich nur noch mit Mühe beherrschen konnte. Und der General merkte es. „Cutter!“, grollte er. „In einen Kater!“, prustete Cutter. „Ich habe ihn in einen Kater verwandelt. Mit dem ShinRa Symbol auf der Brust. Und er saß auf seinem Schreibtisch und konnte dem Putztrieb nicht wiederstehen!“ „In einen Kater“, wiederholte Sephiroth mit einem Hauch Fassungslosigkeit in der Stimme. Der Rest war mühsam unterdrückte, pure Erheiterung. „Cutter, das war außerordentlich respektlos.“ „Was? Der wollte mich erschießen! Da war noch eine Rechnung offen!“ „Das gibt dir nicht das Recht ...“ Rufus Shinra war ein Kater gewesen. Ein Kater! Rufus Shinra! Miau! So sehr er sich bemühte: Sephiroth konnte seine Erheiterung nicht mehr unterdrücken. Nicht mal hinsichtlich der den ganzen Flur überblickenden Überwachungskamera. Sein Lachen war leise, aber ehrlich und zutiefst begeistert. Irgendwann stimmte Cutter mit ein. Zusammen über dieselbe Sache zu lachen war abermals eine völlig neue Erfahrung. Und es machte Spaß! Die Heiterkeit des Generals aber ebbte schlagartig ab, als sie das Büro erreichten. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Sephiroth bereitete sich auf das größtmöglichste Entsetzen vor – Cutter hingegen nahm gut gelaunt auf der Kante des Schreibtisches Platz. „Eigentlich bin ich ja nicht gehässig, aber ...“, sie musste unwillkürlich lachen, „... jetzt ist seine ganze Angeberscheibe voll mit Werbeflyern! Er wird Tage brauchen, um sie wieder sauber zu kriegen! Du hast nicht zufällig ein Radio im Büro? Diesen Solar Solution Sender würde ich mir zu gerne mal anhö ...“ „Cutter“, unterbrach Sephiroth, „ich habe neue Befehle für dich.“ „Schieß los!“, antwortete die junge Frau vergnügt. „Ich möchte, dass du mich und die Turks auf der Jagd nach den Personen unterstützt, welche die Solarplatten in Midgar anbringen!“ Die Erheiterung in Cutters Gesicht erlosch augenblicklich. „Du hast mich verstanden!“, stellte der General klar, bevor sein Death Walker Gelegenheit zu einem entsetzten `Was?´ hatte. „Midgar wird in Sektoren unterteilt, die von den Turks und mir überwacht werden. Ein Sektor pro Person. Du wirst nach sich bewegenden Lines von Solarplatten suchen und den Standort des Zielobjektes an den jeweiligen Inhaber des Sektors übermitteln. Bis heute Abend will ich Solar Solution bewegungsunfähig machen!“ Cutters Gedanken rasten. Sie wusste: So schnell rechnete niemand mit einem Gegenschlag ShinRa´s. Was bedeutete, dass mit Sicherheit alle Techniker Solar Solution´ s in Midgar unterwegs sein würden. Und sie würden sterben. Alle! Es sei denn, jemand fand wirklich gute Argumente dagegen. „Aber es ist hell draußen! Ihr könnt doch nicht einfach so durch die Stadt ziehen und Leute umbringen! Und außerdem, würde es nicht reichen, ihnen den Solarkram einfach wegzunehmen oder die Leute einzusperren? Lass sie mich in irgendwas verwandeln! Das ist kein Problem, wirklich! Ihr müsst sie nicht töten!“ Sephiroth antwortete nicht. Er war ganz auf seinen PC konzentriert, und es dauerte nur wenige Sekunden, ehe der Drucker zu arbeiten begann und eine Übersicht Midgars ausspuckte, die in verschiedenfarbige Sektoren und in ihnen stehende Namen unterteilt war. „Die Codenamen der Turks und mir entsprechen den farbigen Bereichen auf der Karte. Du wirst uns mit Hilfe deines PHS im Funkmodus steuern! Überwache die Eliminierungen durch die Lines, warte eine Bestätigung der ausführenden Kraft ab und fertige ein Protokoll im AC 1 Modus an! Fragen?“ Cutter schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass sie einmal mehr nicht ihren Freund, sondern den ShinRa General von SOLDIER vor sich hatte. Und somit auch ihren eigenen. Was jedes Flehen sinnlos werden ließ. General Crescent kannte hinsichtlich seiner Befehle keine Gnade. Nicht einmal seiner Freundin gegenüber. Und so sah sie Sephiroth wie erstarrt beim Treffen der letzten Vorbereitungen zu, hörte ihn Tseng informieren, zuckte schließlich bei den an sie gerichteten Worten: „Mission `Silent Cry´ startet – jetzt!“ fast zusammen und war nur wenige Sekunden später mit ihrer schweren Aufgabe allein im Büro. Sie wusste, Sephiroth erwartete eine korrekte Ausführung und würde keine Fehler und keine Ausnahmen tolerieren. Auch nicht bei sich selbst. Und mit Sicherheit wartete Präsident ShinRa auf den entsprechenden Bericht. Trotzdem ... „Ich will das nicht tun!“, wisperte sie mit Tränen in den Augen. „Ich will nicht!“ Aber sie wusste, dass ihr Wille hinsichtlich aller gegnerischen Kräfte völlig bedeutungslos war. Unter der Platte, am äußersten Rand Midgars, schloss sich zur selben Zeit ein großes Tor hinter einem gelben Propellerflugzeug, und im selben Augenblick begannen die um das Flugzeug stehenden Personen begeistert zu klatschen. Tymor richtete sich hoch im Cockpit auf und winkte grinsend ab. „Danke schön, danke schön, die Hälfte der Ehre gebührt meinem Flugzeug!“ „Großartig!“ Destin trat nach vorne. „Tymor, das war einfach nur großartig! Ich danke dir!“ „Ha, ich freue mich schon auf den zweiten Flug heute Abend! Ist die Radiostation on?“ „Sendet klar und deutlich.“ „Wir sind so gut!“ Gleichzeitig klopfte er grinsend auf die Tragfläche des sonnengelben Flugzeugs. „ShinRa wird untergehen!“ Sephiroth bewegte sich zügig durch die Straßen Midgars und lauschte der Stimme in seinem Headphone. Cutter hatte bisher gute Arbeit geleistet, aber der bei jedem gemeldeten Zielobjekt neu ausgeführte, innere Kampf war ihr deutlich anzumerken. Die sonstige Begeisterung war spurlos verschwunden. Glaub mir, dachte der General, ich weiß was ich von dir verlange. Aber ich muss verhindern, dass die Stadt von etwas überrannt wird, das alle meine Antworten für immer vernichten könnte. Sobald das hier vorbei ist, werde ich wieder dein Freund sein. Ich verspreche es dir. Und auch ich gebe mein Wort niemals leichtsinnig. Keinem! Aber bis zum heutigen Abend dauerte es noch etliche Stunden. Zeit, die sinnvoll genutzt werden musste. Längst waren ShinRa´ s Elitekämpfer in der ganzen Stadt verteilt, warteten oder befolgten Cutters Anweisungen, ohne Gnade oder Zögern. Saubere, schnelle Tode. Dabei hatten viele von ihnen zum ersten Mal Gelegenheit, selbst einen Blick auf die von Hiwako entwickelten und von den ShinRa Technikern widerwillig als `genial´ bezeichneten Solarplatten zu werfen. Sie mochten kaum die Größe einer Handfläche haben, aber die durch sie gewonnene Energie war gigantisch. Um ein normales Haus zu versorgen, benötigte es nur wenige geschickt platzierte Platten, und die restliche Technik ließ sich, Gerüchten zufolge, unkompliziert einbauen und brauchte kaum Platz. Aber all diese Genialität verwandelte sich in einen unbrauchbaren Haufen diversester Gegenstände, sobald man den im Einbau ausgebildeten Menschen vernichtete. Sephiroth und die Turks führten genau diesen Auftrag aus. Der Tag verging, und alles verlief nach dem offiziellen Plan. Es gab allerdings noch einen. Und dieser war nur dem General bekannt. Im Grunde bestand Midgar aus zwei Teilen, dem ober- und dem unterhalb der Platte. Aber eigentlich gab es noch ein drittes Midgar: Das der Geräusche. Jedes Ding hatte seinen eigenen Klang. Manche dieser Klänge waren gewöhnlich und nicht erwähnenswert – andere wiederum absolut Einzigartig. Es spielte keine Rolle, wo Sephiroth war oder was er tat, immerzu galt ein Teil seiner Konzentration den Geräuschen. So auch jetzt. Diesmal allerdings wartete er. Auf einen ganz bestimmten Klang, von dem noch nicht klar war, ob es ihn heute noch einmal geben würde. Aber irgendwann schlugen die Sinne des Generals an und siebten aus all den Klängen genau die erwarteten Töne heraus. Noch lagen sie in weiter Ferne, näherten sich jedoch rasch: Der Klang eines gelben, über die Stadt fliegenden und ein Werbebanner für `Solar Solution´ hinter sich herziehenden Propellerflugzeuges. Wäre Sephiroth geübter im Bereich des Mitfühlens gewesen, vielleicht hätte er fast ein wenig Mitleid mit dem ahnungslosen Piloten empfunden. Aber so beobachtete er lediglich hochkonzentriert das sonnengelbe Hohngelächter. Um das Banner lesbar zu machen, musste die Maschine relativ niedrig und geradeaus fliegen. Ihre Route zu berechnen und sich in eine passende Position zu begeben war so gesehen eine Kleinigkeit. Und so wartete Sephiroth mit gezogenem Katana geduckt hinter einem Schornstein, den lediglich für den zusätzlichen Schub beim Absprung benötigten tiefschwarzen Flügel eng an den Körper gezogen, ließ das immer näher kommende Flugzeug nicht aus den grün glühenden Augen und katapultierte sich, als dieses nahe genug war, nach oben. Der Angriff war perfekt berechnet. Sephiroth tauchte mit der Intensität eines unerwarteten Blitzschlages genau vor der Maschine auf, ließ Masamune, über dessen ungeschützte Klinge Energieladungen züngelten, durch die Luft jagen ... Vermutlich lag es nur an den schnellen Reflexen, die man als guter Pilot haben musste. Und Tymor war ein guter Pilot. Er ließ seine Maschine zur Seite hin wegkippen, absacken und beschleunigte, ohne den geringsten Kratzer davongetragen zu haben, auf Maximalgeschwindigkeit. Letzteres galt auch für seine Herzfrequenz. „Shit!“, wisperte er und versuchte sich wieder zu beruhigen. General Sephiroth Crescent ... Wo, um alles in der Welt, war der auf einmal hergekommen?! Noch dazu in dieser Höhe?! Sicher, der Mann mochte ein 1st Class SOLDIER sein, aber das war unmenschlich! Dennoch schien es möglich gewesen zu sein, ihn auszutricksen ... Tymor behielt die Geschwindigkeit trotzdem bei, gewann merklich an Höhe und vollzog sicherheitshalber noch ein paar unvorhergesehene Kurswechsel. Ganz egal, wo sich sein Gegner jetzt befand, eine weitere Attacke dürfte absolut unmöglich sein. Trotzdem wurde der junge Pilot das Gefühl von andauernder Gefahr einfach nicht los. Irgendwann warf er einen Blick über die Schulter – und erstarrte. Sephiroth befand sich genau hinter ihm. So dicht, dass Tymor dessen Atem im Nacken hätte spüren können, wenn der Kragen der dicken Jacke dies nicht verhindert hätte. Tymor atmete keuchend ein und traf blitzschnelle Vorbereitungen, sein Flugzeug auf den Rücken zu rollen und so den ungebetenen Gast abzuschütteln – aber nur einen Sekundenbruchteil vor der Umsetzung des Plans legte sich etwas hart und kalt an seinen Kehle. Drückte zu. Offenbarte eine Schärfe, der ein menschlicher Körper unter keinen Umständen gewachsen war. Und unterband jegliche Bewegung. „Überraschung!“, wisperte eine dunkle Stimme in Tymors Ohr. „Wie ist dein Name, Kleiner?“ „... Tymor ...“ „Möchtest du das hier überleben, Tymor?“ „Ja.“ „Dann decken sich unsere Interessen. So ein Zufall. Weißt du, Tymor, ich mag mutige Leute. Man kann ihnen Aufgaben anvertrauen, an denen andere scheitern. Du scheinst eine dieser Personen zu sein. Aber die Grenze zwischen Mut und Dummheit ist sehr, sehr dünn. Ich gebe dir jetzt die Chance, wieder auf die Seite der mutigen zu wechseln. Richtest du deinem Chef Hiwako Destin etwas von mir aus?“ Tymor nickte. Was hätte er auch sonst tun sollen? „Sag ihm, er darf den heutigen Tag als kleines Vorspiel betrachten. Das kannst du dir mit Sicherheit merken. Im übrigen ... das ist ein sehr schönes Flugzeug. Dein eigenes?“ „Ja.“ „Verstehe. Deine bisher gezeigten flugtechnischen Leistungen war gar nicht schlecht, aber ich würde es sehr schätzen, wenn du in Zukunft woanders fliegen würdest. Denn ansonsten sehe ich mich gezwungen, dich und dein kleines Spielzeug in einen Feuerball zu verwandeln. Verstanden?“ Abermals nickte Tymor. Mittlerweile war er schweißgebadet vor Angst und sein Herz schlug so schnell, dass es ihm mehr wie ein leises Summen erschien. Dennoch hatte er nicht vor, die Anweisung zu befolgen. Jeder bei `Solar Solution´ riskierte täglich sein Leben! Und auch er würde sich nicht einschüchtern lassen! Jedenfalls nicht lange ... Neben seinem Ohr seufzte Sephiroth leise. „Warum glaube ich dir nicht? Nein, sag nichts. Ich war wohl nicht überzeugend genug. Mein Fehler.“ Die tödliche Klinge änderte blitzartig die Position. Es war nur eine leichte Bewegung. Kaum Kraft. Nahezu keine Geschwindigkeit. Aber sie reichte aus, um Tymors rechte Hand vom Rest seines Körpers zu trennen. Der folgende Schmerz war nicht von dieser Welt. Tymor zuckte zusammen, schrie gellend auf und ließ den Steuerknüppel los. Das Flugzeug begann augenblicklich heftig zu schwanken. „Weißt du, wenn du nicht steuerst, wirst du abstürzen.“ Tymor wimmerte leise. Der Schmerz ließ bunte Sterne vor seinen Augen tanzen, seine Atmung stoßweise und keuchend werden und riss, bis auf die dunkle Stimme neben seinem Ohr, jedes bisschen Wahrnehmungsfähigkeit an sich. Aber der General hatte Recht. Ohne Steuerung würde das Flugzeug irgendwo in Midgar zerschellen und vermutlich totales Chaos anrichten, vielleicht sogar Menschen töten ... Tymor biss die Zähne zusammen und presste den heftig blutenden Armstumpf gegen seine Jacke, griff mit der unversehrten Hand nach dem Steuerknüppel und fing die heftig schwankende Maschine ab. „Gut gemacht“, wisperte es neben seinem Ohr. „Und damit es weiter spannend bleibt ...“ Masamune brauchte genau zwei Sekunden, um die Anzeigetafeln für die Bordelektronik zu zerstören. Tymor stöhnte leise. Er wusste, jetzt würden ihm bei der Landung nur noch Instinkt und Glück helfen. Vor allen Dingen Glück, denn er war kurz davor, die Besinnung zu verlieren. „Also dann. Man sieht sich, Kleiner, aber denk dran: Nicht mehr über Midgar!“ Mit diesen Worten trat der General zurück, verhielt einen Augenblick lang stehend auf der Maschine, dann ließ er sich einfach fallen, landete elegant auf einem der etwas höher gelegenen Hausdächer und beobachtete, wie die gelbe Propellermaschine in einiger Entfernung schwankend, aber zielgerichtet an Distanz gewann. Sephiroth reinigte Masamune und erreichte nur Sekunden später wieder den Boden. Gerade noch rechtzeitig, um von Cutter Informationen über das neuste Zielobjekt zu empfangen und sich unverzüglich ein weiteres Mal auf den Weg zu machen. Diesmal schien es länger als sonst zu dauern, bis es Abend wurde. Die Sonne versank blutrot Glühend am westlichen Horizont, und ihr Verschwinden ließ die Dämmerung wie Nebel aus Ritzen, Ecken, Schattenplätzen, Hinterhöfen und Häuserschluchten kriechen, sich verdichten und schließlich zu Dunkelheit werden. Die Lichter der Stadt begannen ihren routinierten Kampf gegen die Nacht. Im ShinRa HQ überprüfte Cutter die Stadt ein weiteres Mal auf sich bewegende Lines, und als sie zum vierten Mal hintereinander nichts finden konnte, wusste sie, dass es vorbei war. Fast erleichtert griff sie zu ihrem PHS und verkündete das Ende der Mission. Dann ließ sie sich im Sessel zurücksinken und schloss erschöpft die Augen. Ihre Ruhe dauerte ganz genau 45 Sekunden. „Observer 1, kommen!“ Cutter griff mit einer müden Bewegung erneut nach dem PHS und gab an, auf Position zu sein und zu hören. Was sie hörte, war kein Grund zur Freude. Rufus Shinra erwartete sie in seinem Büro. „Wozu?“ Sephiroths Stimme klang viel zu klar in ihre Ohren. Die Schlachtfeld Kommandostimme. Keine Spur von `Sephy´ weit und breit. „Dein neuer Auftrag lautet: Zerstöre von dort aus die bereits angebrachten Solarplatten und die angeschlossenen Energiespeicher!“ Eine weiterer mentaler Volltreffer. Cutter schloss die Augen und sank in sich zusammen. „Habe ich nicht für einen Tag genug Leid über diese Stadt gebracht?“, wisperte sie schließlich. „Ich erwarte eine strikte Befolgung meines Befehls! Reiß dich zusammen, vergiss nicht, wo du bist, und versuch nicht mit ihm zu diskutieren. Verstanden?“ Es gelang Cutter erst nach etlichen Sekunden, die gehörten Worte zu bestätigen. Dann schob sie ihr PHS beiseite und versuchte, Kraft zum Aufstehen zu finden. Mehrere Minuten vergingen, ehe sich genug zaghafte Energie dafür angesammelt hatte. Und ich dachte, heute könnte es wirklich nicht mehr schlimmer kommen ... Wie kann man nur so naiv sein? Bei ShinRa ist eben immer noch eine Steigerung möglich. In jede beliebige Richtung! Und jetzt bin ich auf dem Weg zum Obertyrannen. Dabei ist das so lächerlich! Er hat eine Line! Ich könnte ihm Befehle geben! Warum tanze ich trotzdem nach seiner Pfeife? Weil Sephy es von mir verlangt, und er ist nun mal mein kommandierender Offizier. Aber warum tut er nichts? Weshalb lässt er sich von diesem Mistkerl so herumkommandieren? Und von Hojo auch. Dahinter steckt mehr, als ich zu wissen glaube, und mehr, als ich mit Sicherheit weiß. Irgendein finsteres Geheimnis. Ich bin ich mir ganz sicher! Aber was könnte das sein? Und was soll ich jetzt machen? Sephy hat gesagt, ich soll nicht diskutieren, aber ich muss es wenigstens versuchen! Diese Leute werden sich furchtbar erschrecken, wenn es auf einmal dunkel wird. Vielleicht verletzen sie sich sogar. Gaia, wenn du mich hörst, bitte verhindere es. Blockier mich! Tu etwas, irgendetwas! Bitte ... Langsam und müde, aber dennoch mit einem Funken Hoffnung ausgestattet, machte sie sich auf den Weg ins Büro des Präsidenten. Zur selben Zeit kehrte Sephiroth ins HQ zurück, betrat sein eigenes Büro und begab sich zum Fenster, blickte hinunter auf die Stadt. Midgar sah aus wie immer um diese Zeit. Tausende von großen und kleinen, bunt glühenden Lichtern, von denen jedes einzelne einen fleißigen Kampf gegen die Dunkelheit führte. Früher waren all diese Lichter ausschließlich durch die Electric Power Company am Leben erhalten worden. Das hatte sich mittlerweile geändert. Und die nächsten Minuten würden zeigen, wie groß der Schaden rein optisch betrachtet war. Cutter hatte die strikte Anweisung, nicht zu diskutieren. Aber der General wusste, dass sie es trotzdem versuchen würde. Er konnte ihre Trotz und ihre Wut spüren. Aber auch Müdigkeit und Verzweiflung. Und er fragte sich unwillkürlich, ob der Planet all diese Gefühle ebenso deutlich empfangen konnte, von der bevorstehenden Tat wusste, und es verhindern würde. Rein theoretisch war er dazu problemlos in der Lage. Abgesehen davon hatte ihn Cutter bestimmt angefleht, etwas zu tun. Aber um herauszufinden, ob ihre Bitte erhöht worden war, musste sie den Angriff starten. Die Stimmung glich dem spannungssteigernden Trommelwirbel unmittelbar vor dem vorläufigen Höhepunkt eines einzigartigen Programms. Sephiroth stand am Fenster, blickte auf die Stadt ... und wurde zum Augenzeugen. Es gab kein Zucken, kein Zittern, kein Flackern. Kein Zögern. Die Auslöschung begann, wie um alle Zweifel auszuschließen, vom ShinRa HQ ausgehend und breitete sich lautlos, aber mit äußerster Gewalt aus, gleichmäßig und fließend. Überall in Midgar kapitulierte das Licht, hinterließ auf dem sonst so perfekt gewebten Teppich aus allen möglichen, leuchtenden Farben schwarze, an Mottenfraß erinnernde Löcher, vermittelte eine klare Botschaft. `Wir wissen, wo und wer ihr seid´. Es dauerte weniger als 2 Minuten. Dann war es vorbei. Und über dem sichtbar gemachten Szenario aus zweifelhaftem Gut und Böse erklang Cutters lautlose Bitte um Verzeihung. Sephiroth wandte sich vom Fenster und dem darunter liegenden, völlig überrannten Anblick ab und nahm wahr, nicht einen Hauch Triumph zu empfinden. Nur die vertraute Kälte. Und eine Mischung aus Trauer und Erschöpfung, die nicht ihm gehörten, für die er aber einen großen Teil an Verantwortung trug. Er kehrte zum Schreibtisch zurück, setzte sich, griff nach einem Stift ... und hielt inne, um zur Tür zu sehen. Ob Cutter zu ihm kommen würde? Nach einem solch grauenhaften Tag? Sie war heute zu so vielen Dingen gezwungen worden. Von ihm. Von Präsident Shinra. Von der herrschenden Schlacht. Scheinbar nichts, außer einem Spielball. Dabei war sie im Grunde stärker als manche der Kräfte, deren Befehlen sie heute gefolgt war. Und genau da, dachte Sephiroth, liegt das Problem. Sie hat sich entschieden, zurückzukommen. Und auch, wenn sich ihre Fähigkeiten gewaltig gesteigert haben, all das ist bedeutungslos hinsichtlich der Tatsache, ein Teil des Militärs zu sein. Ein aufgrund der nicht bestandenen Prüfung rangloser Teil des Militärs. Ohne Aussicht auf eine Beförderung. Solange sie hier bleibt, wird sie immer wieder mit Befehlen konfrontiert werden, die ihren Ansichten widersprechen, gegen die sie sich aber nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Waffen auflehnen darf, weil dies schwerwiegende Konsequenzen auslösen wird. Jemanden unter Kontrolle zu halten, der viel stärker ist als man selbst, gehört zu den größten Herausforderungen, die es auf dieser Welt nur geben kann. Manchmal geht es gut. Manchmal nicht. Was, wenn sich eine Situation ergibt, in deren Verlauf sich Cutter nicht mehr länger gegen ihren Willen herumkommandieren lässt? Wer ist in der Lage, diese Konsequenzen zu tragen? Meine Phoenix und ShinRa ... passen nicht zusammen. Das haben sie noch nie getan. Aber Cutter hat ein einzigartiges Talent mit den Lines, und sie möchte es nutzen. Nur nicht so! Und dennoch muss ich manchmal genau das von ihr verlangen. Um einen Fortschritt für die Gesamtsituation zu erwirken. Meine SOLDIER behandle ich genauso. Ich kann für Cutter keine Ausnahmen machen! Gerade weil sie ist ... was sie ist. Abgesehen davon wäre Rufus früher oder später auf exakt dieselbe Idee gekommen. All das sind gute, nachvollziehbare Gründe, aber warum fühle ich mich dann, abgesehen von meinen üblichen Kopfschmerzen, so unwohl? Noch während er darüber nachdachte, nahm er wahr, wie das Gefühl in ihm aufstieg. Es gehörte nicht ihm. Aber er brauchte trotzdem nur wenige Sekunden, um es zu definieren. Cutter rief nach ihm. Sephiroth seufzte leise. Er konnte nicht zu ihr gehen. Jetzt noch nicht. Weil er nicht wusste, was und wie er zu ihr sprechen sollte. Cutter war so stark geworden. Aber der heutige Tag hatte einmal mehr deutlich gezeigt, wie leicht sie hinsichtlich mancher Anforderungen immer noch ins Straucheln geriet, und sei es `nur´ auf mentaler Ebene. Aber was, wenn die Zukunft noch viel grauenhaftere Dinge für sie bereit hielt? Und was, wenn ich derjenige sein muss, der die entsprechenden Befehle erteilt? Ich werde sie, wie heute, geben, ohne zu zögern. Aber wenn es dabei um Cutter geht, kann ich nicht so tun, als wäre ich mir ihres Leides nicht bewusst. Und mit diesen Erkenntnissen muss ich arbeiten. Aber ob es mir gelingt? Ich habe verstanden, was `Trost´ ist und wie man `tröstet´. Mir ist allerdings klar, dass es nicht immer funktioniert. Und gerade jetzt ... Ich könnte meiner Phoenix viele gute Gründe nennen, die, rein logisch gesehen, all ihre Schuldgefühle beseitigen. Aber es würde nicht klappen. Weil sie all diese Gründe schon kennt. Und weil sie weiß, dass ich wohl nie verstehen werde, welchen Sinn es macht, um das Schicksal von Fremden zu trauern. Oder über Taten, denen man nicht entgehen konnte. Also ... sollte ich wohl etwas Anderes sagen. Er atmete tief durch, verließ sein Büro und betrat nur wenige Minuten später lautlos Cutters Quartier. Die junge Frau lag zwar im Bett, das Gesicht zur Tür gewandt, war aber noch nicht eingeschlafen. Für einen kurzen Augenblick wusste Sephiroth nicht, was er tun oder sagen sollte. Dann gab er sich einen Ruck. „Ich wollte nach dir sehen.“ Cutter schmunzelte sachte. Ganz offensichtlich war General Crescent wieder zu Sephy geworden. Sie hatte ihn gerufen und er war gekommen. Und es tat gut, ihn jetzt hier zu haben. Trotz allem. Die junge Frau rückte ein wenig auf der Matratze zur Seite, und Sephiroth nahm die Einladung an und setzte sich. Schwieg einen Moment und wandte schließlich den Kopf zu ihr. „Ich weiß, was ich heute von dir verlangt habe.“ „Nein“, antwortete Cutter leise und ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Das weißt du nicht. Weil du ein Killer bist. Und ich bin keiner. Versteh mich nicht falsch, du hast dich verändert. Aber du hast immer noch keine Ahnung, was manche deiner Befehle den Herzen der Menschen antun.“ „Du kennst mich. Und du kennst ShinRa. Du wusstest, worauf du dich einlässt.“ „Nein.“ Cutter schüttelte den Kopf. „Ich dachte: `Hey, jetzt beherrschst du die Lines. Niemand kann dir mehr blöd kommen.´ Aber im Grunde hat sich nichts verändert. Überhaupt nichts. Und ich bin doch wieder eine von den Bösen. Und ich weiß nicht, wie und warum, oder was ich dagegen tun könnte, ohne mehr zu verlieren, als ich verkraften kann. Verstehst du mich? Was ich sein möchte, und wozu ihr mich macht, das ist so ... gegensätzlich. Und es tut so weh.“ „Du könntest ShinRa verlassen. Mit deinen Fähigkeiten findest du bestimmt irgendwo einen neuen Job.“ „Siehst du“, sagte Cutter leise und sehr traurig, „du hast es immer noch nicht verstanden. Ich bin nur hier, weil du hier bist, und ich möchte bei dir sein, bis es endet. Oder würdest du mit mir weggehen?“ „Ich kann nicht.“ Cutter setzte sich ruckartig auf. „Warum?!“, fauchte sie. Wut funkelte in ihren Augen. „Rufus und Hojo behandeln dich wie Dreck, und obwohl du viel stärker bist, lässt du dir das gefallen, ohne dich zu wehren.“ Ihre Stimme wurde wieder leiser, sanfter. „Und ich verstehe nicht, warum. Oder warum diese Menschen heute sterben mussten, obwohl ich sie ganz leicht hätte ausschalten können, ohne dass ihr sie hättet umbringen müssen! Ihre Freunde werden sie suchen, ihre Familien ... und ich muss ständig daran denken, was ich tun würde, wenn du und Zack auf einmal verschwinden würden, und ...“ Weiter kam sie nicht. Die Arme des Generals schlossen sich völlig unvermittelt um ihren Körper, zogen ihn zu sich, hielten ihn fest. Sagten mehr als 1000 Worte (aber unter anderem, dass er endlich begriffen hatte, warum man auch über das Schicksal fremder Personen traurig sein konnte). Auch Cutter schwieg. Sie hatte längst ihrerseits die Arme um ihn gelegt und die Augen geschlossen. Es war so schön, ihn so nahe bei sich zu haben ... und so selten. Am liebsten hätte sie nie wieder losgelassen. Aber der Moment würde kommen, und die junge Frau wusste: Wenn sie bereit war, Sephiroth gehen zu lassen, käme er irgendwann zurück. Und so leistete sie keine Gegenwehr, als er die Distanz wieder vergrößerte. Aber sie erhielt eine Belohnung in nie erahnter Form. „Deswegen bin ich hier, Phoenix. Ich wollte dir die Wahrheit sagen.“ Gleichzeitig hätte er sich auf die Zunge beißen können. Den ihr ganz insgeheim gegebenen Spitznamen laut auszusprechen ... Aber Cutter schien den Versprecher gar nicht bewusst wahrgenommen zu haben, denn zeigte keinerlei Reaktion darauf, sondern sah ihn einfach nur weiter abwartend und aufmerksam an. Sephiroths Schweigen dauerte ebenfalls an, allerdings aus völlig anderen Gründen. Seine Wahrheit ... Zack hatte all diese Dinge mehr oder weniger durch kuriose Zufälle herausbekommen. Aber freiwillig darüber zu erzählen war etwas völlig Anderes. Auch, wenn er wirklich wollte, dass Cutter die Wahrheit erfuhr, er brauchte einen Augenblick, um die richtigen Worte zu finden. Aber dann, mit einer Stimme die an fallende Schneeflocken erinnerte, begann er leise zu erzählen. Von sich, von Hojo (aber er verschwieg die Blutsverwandtschaft), wie sehr er den Wissenschaftler hasste, verachtete ... und fürchtete, vom Labor, von den so lang gesuchten und immer noch nicht gefundenen Antworten betreffend seiner eigenen Existenz. Worte, die er in dieser Reihenfolge noch niemals laut ausgesprochen hatte. Es fühlte sich an, als öffne sich irgendwo in seinem Herzen eine Tür, deren Scharniere im Laufe der Zeit eingerostet waren. Und es tat weh. Ein Schmerz, den er auf diese Art und Weise noch niemals zuvor wahrgenommen hatte. Und Cutter hörte zu, schweigend, ohne ein einziges Mal zu unterbrechen. Aber als er endete ... „Du weinst“, sagte Sephiroth leise. „Um dich.“ Cutters Stimme klang ebenso leise. „Weil du es nicht für dich selbst tun kannst.“ Niemand zuvor hatte jemals etwas Ähnliches getan, aber es wunderte Sephiroth nicht, dass Cutter die erste war. Dennoch ... „Ich bin in Ordnung.“ Heftiges Kopfschütteln mit gesenktem Kopf. „Das bist du nicht! Du bist nur viel zu sehr gewöhnt an all das ...“ Sie sah ruckartig auf. „Was kann ich für dich tun?“ Sephiroth streckte die Hand aus und fuhr vorsichtig über Cutters tränennasse Wangen. „Befolge meine Befehle. Und lass dich nicht in diese Sache mit reinziehen.“ „Ha! Ich bin deine Freundin, großer General! Ich stecke schon mittendrin!“ „Ja. Ich hätte dich früher informieren sollen.“ Aber Cutter schüttelte den Kopf und griff nach seiner Hand. „Du hast mich jetzt informiert.“ Gleichzeitig fuhr sie sich mit der freien Hand heftig über die Augen. „Ok. Genug geheult!“ Sie atmete tief durch. „Ich hasse Hojo, habe ich das schon erwähnt?“ „Mehrfach“, schmunzelte Sephiroth. „Hm“, machte Cutter leise. Und dann, sehr heftig: „Was diese Monstersache angeht, glaub ihm nicht! Du bist keins! Deine Line befindet sich bei denen der Menschen, und die Lines irren sich niemals!“ „Aber du kannst sie nicht lesen.“ „Alles, was Hojo dir angetan hat, kann Auswirkungen auf deine Line haben! Dass sie so aussieht, ist seine Schuld.“ „Und was ist hiermit?!“ Der schwarze Flügel entfaltete sich ohne Vorwarnung. „Es spielt keine Rolle!“, fauchte Cutter. „Weil du entscheidest, was dieser Flügel bedeutet!“ Und etwas leiser, aber nicht weniger eindringlich: „Ich weiß, bisher hat er immer nur die idiotischen Ansichten dieses Mistkerls unterstützt, aber es ist dein Flügel! Deiner! Du entscheidest, was er bedeutet! Nicht Hojo!“ Sie schüttelte den Kopf. „Flügel machen einen nicht zum Monster. Ich ... Ich beweise es dir.“ Ihre nächste Bewegung wirkte wie ein räkeln – aber mit einem von Sephiroth noch nie zuvor gesehenen Ergebnis. Eine dünne Linie aus Licht erschien hinter Cutters Rücken, dicht gefolgt von einer zweiten, einer dritten ... vielen, die zu scheinbar glühenden Quer- und Längsverbindungen von unterschiedlicher Länge wurden, sich ineinander schoben, parallel zueinander liefen und schließlich erstarrten wie heißes Blei in einer Wasserschale. Das Glühen schien sich ins Innere der Linien zurückzuziehen, und endlich konnte der General die endgültig durch sie gebildeten Formen als das erkennen, was sie darstellten. „Flügel? Cutter, du ... du hast Flügel?“ „Hmhm. Und ich bin immer noch ich selbst, siehst du?“ „Was ...“ Er musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um logisch denken zu können. „Warum hast du Flügel?“ Gleichzeitig streckte er die Hand danach aus, verharrte, aber als Cutter nickte, führte er die Bewegung zu Ende und streichelte behutsam über eine der dünnen Linien. Sie fühlte sich warm, aber nicht heiß an. Glatt. Ein bisschen wie lebendig. Irgendwie ähnelten sie der Luna Lance. „Sie waren ein Geschenk. Von den Lines oder vom Planeten ... ich weiß es nicht. Als Tzirka in die Einsamkeit gegangen ist, tauchte auf einmal der schwarze Hund bei ihr auf. Sie sollte wohl nicht ganz alleine sein. Bei mir war es anders. Ich wollte um jeden Preis zu dir und Zack zurückkehren. Daher haben mir die Lines einen anderen Wunsch erfüllt. Eben diesen hier.“ In seinem gesamten bisherigen Leben waren Sephiroth nur sehr wenige Dinge begegnet, die ihn sprachlos gemacht hatten. Aber das hier gehörte definitiv dazu. Er wusste, Flügel zu haben war schon immer ein Wunsch Cutters gewesen. Ganz im Gegensatz zu ihm! Aber dass sie jemals tatsächlich welche besitzen würde ... Niemals hätte er es für möglich gehalten. Und dennoch existierten sie jetzt. Allen Gesetzen und aller Logik zum Trotz. Und Cutter war wirklich noch ganz dieselbe. „Weißt du“, sagte sie eben, „warum du meiner Ansicht nach diesen Flügel hast? Damit du fliegen kannst. Ganz einfach.“ „Damit ich fliegen kann“, wiederholte Sephiroth relativ verblüfft über eine zu seiner eigenen so gegensätzlichen Denkweise. „Du hast nie versucht, Spaß damit zu haben, oder? Versuch es doch einfach mal. Ich glaube, das würde helfen.“ Sephiroth sah schweigend zu ihr hinüber. Warum, dachte er irgendwann, warum kannst du so sein? Du hast einen Tag hinter dir, der für dich kaum härter hätte sein können. Meinetwegen! Und trotzdem versuchst du, mir zu helfen ... mich zu trösten ... „Du bist unlogisch“, wisperte er. „Ich bin verliebt. In dich. Restlos, vom Kopf bis in die Zehenspitzen. Und wenn ich etwas für dich tun kann, irgendetwas, dann sag es, es spielt keine Rolle was und wann und wie ... Nur sag ...“ Sephiroths Kuss kam völlig unvermittelt, aber die augenblicklich einsetzende Ruhe machte überdeutlich, wie einverstanden Cutter mit der plötzlichen Nähe war. Zumal sie abermals die Arme um ihn schlang, letztendlich ihren Kopf an seinen Oberkörper schmiegte und so ihm die Gelegenheit gab, seinerseits die Arme auf ihren Rücken zu legen. Die Stille zwischen ihnen war wie eine lautlose Botschaft. Ich habe verstanden. Aber ich weiß noch nicht, ob ich alles akzeptabel umsetzen kann. „Sobald sich die Chance eröffnet, oder eröffnen lässt, diese Situation zu ändern“, sagte Sephiroth irgendwann leise, „werde ich sie nutzen. Versuch, so lange durchzuhalten.“ Cutter nickte. Sie wusste, momentan konnte sie für ihren Freund nicht mehr sein, als sie derzeit war, inklusive dem festen Willen, sich nicht zerbrechen zu lassen. Und so schloss sie nur schweigend die Arme ein klein wenig fester um ihn. „Zur Not“, grollte sie irgendwann, „machen wir die beiden zusammen fertig. Und wenn ich nur dafür sorge, dass sie irgendeine Tür nicht aufkriegen, oder so.“ Und dann, völlig ernsthaft: „Sephy? Vielen Dank für dein Vertrauen.“ Sephiroth schmunzelte sachte. „Du machst es mir schwer, dir nicht zu vertrauen. Auch, wenn ich bestimmt noch viel zu lernen habe. Aber dein sonstiges Training ist ebenfalls sehr hilfreich.“ „Sonstiges Training?“, antwortete Cutter und gab sich alle Mühe, überrascht und unschuldig zu klingen. „Was für ein Training?“ „Ich wette“, antwortete Sephiroth und löste die viel länger als sonst übliche Umarmung, „du hast eine Liste erstellt mit Dingen, die du tun könntest, um mich von der dauerhaften Schmerzlosigkeit deiner Berührungen zu überzeugen.“ „Liste?“ Der General seufzte leise, aber nicht unamüsiert. „Ganz unter uns: Als Schauspielerin würdest du verhungern.“ Gleichzeitig streckte er die Hand aus. Cutter verzog verlegen das Gesicht, zog ein mehrfach gefaltetes, beidseitig beschriebenes Papier unter ihrem Kopfkissen hervor und reichte es dem General. Dieser faltete es auf und begann zu lesen. „Äußerst kreativ“, bemerkte er schließlich. „Wie immer.“ Dann zückte er einen Stift und brachte so Cutter dazu, mit einem: „Hey, lass mich gucken! Was machst du?“ neugierig näher zu rücken. „Scht! Nicht stören.“ Gleichzeitig drehte er ihr den Rücken zu. „Das ist schwierig für mich!“ Aber irgendwann drehte er sich wieder zu ihr um – und musste unwillkürlich einige Sekunden lang leise lachen. Cutters Blick glich dem einer Katze, die schon wusste, dass es gleich ein Schälchen Milch für sie geben würde. Amüsiert reichte Sephiroth ihr den Zettel und wartete gespannt auf die Reaktion. Sie bestand aus ehrlicher Verblüffung. „Die Sachen mit dem Häkchen sind wirklich alle OK für dich?“ „Alle. Aber ich schätze, irgendwann kannst du die eingeklammerten Sachen ebenso tun.“ „Wow“, murmelte Cutter. „Cool!“ Dann faltete sie den Zettel wieder zusammen und schob ihn unters Kopfkissen. Dabei gelang es ihr nicht ganz, ein Gähnen zu unterdrücken. „Ich sollte gehen“, lautet der leise Kommentar ihres Gastes. „Es ist spät, du bist müde und hast in ein paar Stunden einen neuen Einsatz.“ Cutter versuchte zu protestieren, brachte aber kaum mehr als ein leises: „Hmmmh“ zustande. Gleichzeitig begannen die Flügel kleiner zu werden, und Sephiroth begriff sofort, wohin sie verschwanden. „Diese beiden glühenden Punkte auf deinem Rücken ...“ „Du kannst sie sehen?!“ Und dann, leise und mit vor Zärtlichkeit förmlich vibrierender Stimme: „Weil du mein mentaler Fokus bist.“ „Momentan bin ich vor allem derjenige, der dich endgültig schlafen schickt.“ Cutter grinste, ließ sich zurücksinken, zog die Bettdecke wieder über sich, schloss die Augen ... und öffnete sie noch einmal blinzelnd. Lächelte verschwörerisch. „Übrigens mag ich den Spitznamen, den du mir gegeben hast.“ Sephiroth lächelte verlegen. „Ja? Eigentlich war es Zack, der immer gesagt hat, in dir stecke ein Phoenix. Ich habe lediglich irgendwann angefangen, daran zu glauben.“ „Und ich glaube an dich. Du wirst irgendeine Möglichkeit finden, dich zu befreien. Und dann wird alles gut.“ Sephiroth wusste, sie meinte es absolut ernst. Aber es war ihm nicht möglich, etwas zu sagen. Ihm wurde gerade klar, wie stark der Unterschied zwischen der ihm im ShinRa Alltag präsentierten Erwartungshaltung und Cutter Glauben war. Dass man mir Befehle erteilt und ich sie ausführe – daran bin ich gewohnt. Weil es Befehle sind. Aber das hier ... Du glaubst an mich. Wie anders sich das anfühlt. Nicht zuletzt auch, weil du mich liebst ... Er hätte seine Gedanken mit ihr teilen können. Aber noch war er nicht soweit. Und so erhob er sich mit einem neutralen „Bis morgen“ und steuerte die Tür an. Cutter sah ihm nach, bis er die Tür leise hinter sich schloss, und wusste, dass sie heute erneut mehr über die Seele dieses Mannes erfahren hatte, als man von 99,9 % des gesamten ShinRa Universums sagen konnte. Sephiroth war in sein Büro zurückgekehrt, aber seine Gedanken weilten bei den vergangenen Minuten. Niemals zuvor hatte er sich freiwillig so weit geöffnet. Und Cutters Art, damit umzugehen ... Ihr all das zu erzählen war richtig gewesen. Auch, wenn sie bestimmt schon ganz entgegen seiner Anweisung darüber nachdachte, wie sie ihm trotzdem helfen konnte. Liebe war wirklich eine seltsame Kraft. Auch, dachte er, wenn sie hier nicht ausreicht. Ich will Hojos und Rufus Unterlagen! Mit weniger gebe ich mich nicht zufrieden! Entschlossen wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Einige Kilometer entfernt, in einer der schlagartig energielosen Wohnungen, saß Destin , ignorierte das klingelnde Handy (er wusste auch so, wer am anderen Ende wartete: Ein Kunde der ihm mitteilen wollte, dass die Solaranlage ausgefallen war) und starrte in die Dunkelheit. Er war alleine. Er hätte jetzt nicht alleine sein sollen. Eigentlich fand zu dieser Zeit das wöchentliche Meeting der Techniker Solar Solution´ s statt. Der Raum war erfüllt von größtenteils gut gelaunten Stimmen, die wild durcheinander redeten, oder auch schwiegen um keines der von einem anderen gesagten Worte zu verpassen. Es gab Zuspruch oder erbitterte Widerworte, Prahlereien und herzliches Gelächter. Aber jetzt gab es nichts von alldem. Destin hatte versucht, seine Leute zu erreichen. Avris, Cecil, Claric ... und all die anderen. Stellenweise Personen, die er schon sein ganzes Leben lang kannte, denen er alles Glück der Welt wünschte, ohne die er sich seine weiteren Tage gar nicht vorstellen konnte. Aber keine der so vertrauten Stimmen war erklungen. Und dann die Sache mit Tymor. Das gelbe Propellerflugzeug war mehr oder weniger vom Himmel gefallen, wobei einiges zerstört worden war. Tymors Dad, der einer dunklen Ahnung zufolge schon den Himmel abgesucht hatte, war als erster an der Unfallstelle gewesen und hatte seinen Sohn aus dem einstmals so schönen Flieger bergen und ins Krankenhaus bringen können. Zwar war es den Ärzten gelungen, die abgetrennte Hand wieder anzufügen und den Zustand des Patienten zu stabilisieren, aber sein Leben war nach wie vor in großer Gefahr. Trotzdem hatte Tymor es auf dem Weg ins Krankenhaus geschafft, seinem Vater zu erzählen, was geschehen war. Und dieser hatte die Botschaft des Generals an Destin weiter gegeben. Zusammen mit den verschwundenen Technikern und der ausgefallenen Solartechnik ergab all das ein höchst besorgniserregendes, ja fast schon beängstigendes Bild. Dennoch war Destin nicht bereit, mit dem Allerschlimmsten zu rechnen. Jetzt galt es, die Nerven zu bewahren. Die Gespräche der Kunden zu bearbeiten, die den Ausfall ihrer Solartechnik meldeten und einen Termin zur Reparatur vereinbaren wollten. Den Destin vorläufig hinauszögern musste, denn selbst die Solarplatten in den geheimen Lagern waren vernichtet worden. Wie nur hatte ShinRa es geschafft, mit einem Schlag so viel gezielte Zerstörung anzurichten? Es musste eine neue Geheimwaffe geben. Etwas, das ... Aber wie ... Habe ich ShinRa unterschätzt? Bin ich zu weit gegangen? Was, wenn ... Nein! Noch weigere ich mich, es zu glauben. Ich werde hier bleiben, die eingehenden Anrufe bearbeiten und warten! Früher oder später wird sich zeigen, was los ist! Gleichzeitig versuchte er, die schlagartig in ihm aufsteigende Müdigkeit niederzukämpfen, unterlag aber nach einigen Minuten. Und begann fast augenblicklich zu träumen. Anfänglich besaßen die Bilder keinerlei Sinn und stürzten wie eine gigantische Lawine auf sein Bewusstsein ein. Dann aber änderte sich das schlagartig ins Gegenteil. Der Schlaf war verhältnismäßig kurz. Aber als Destin erwachte, waren seine Wangen nass von Tränen. Der Planet hatte ein weiteres Mal zu ihm gesprochen. Ihn sehen lassen, wie seine Freunde in den Straßen Midgars von den Turks und General Crescent kaltblütig ermordet wurden, und wie letzterer mit Tymor umgesprungen war. Nicht in allen Details. Aber deutlich genug. Und dann war eine neue Person aufgetaucht. Eine junge Frau. Death Walker Tzimmek Cutter. In der Lage, die Lines, von deren Existenz Destin schon durch den Planeten wusste und die er bisher als von ShinRa nicht antastbar eingestuft hatte, zu beeinflussen – und somit ein völlig unerwarteter Gegner. Destin setzte sich langsam auf und starrte in die Dunkelheit, ignorierte das immer noch klingelnde Handy und versuchte das Chaos aus angefangenen Erkenntnissen zu ordnen und der Reihe nach logisch zu beenden. Im Grunde waren es nicht viele. Viele seiner Freunde waren tot – und würden niemals wieder zurückkommen. ShinRa besaß jemanden, der die Lines beeinflussen konnte – und hatte mit ihrer Hilfe die Solarplatten zerstört. Solange die Electric Power Company im Besitz dieser mächtigen Waffe war ... würde jede einzelne neu angebrachte Solarplatte ebenso zerstört werden. Und mit ihr der dazugehörige Techniker. „Wie sollen wir damit fertig werden?“, wisperte Destin und verspürte zum ersten Mal seit Jahren tiefe Erschöpfung in sich aufsteigen. Niemals zuvor schien die vor ihm liegende Aufgabe so groß und schwer gewesen zu sein. Niemals zuvor hatte er sich so schwach und klein gefühlt. Er ließ den Kopf auf die am Rand der Tischplatte liegenden Arme sinken und schloss abermals die Augen, zu müde, um sich gegen die Gewissheit, die erste echte Niederlage empfangen zu haben, zu wehren. Und seine Line, die wie alle ihrer Art unfähig war zu lügen, übermittelte diese und alle anderen Empfindungen direkt an den Planeten. Gaia lauschte dem leisen Klagen aufmerksam. Und entschied sich, alle Pläne vorerst über den Haufen zu werfen und Kraft für etwas völlig Neues zu sammeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)