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Children of Sigma

Episode I - Sigma
von

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Prolog

Ø Prolog :
 

Einst herrschte eine Zeit, da alles nicht war. Nicht Sand, noch See, noch salzige Wellen, nicht Erde, noch Überhimmel, nirgends Gras. Nur ein gähnender Abgrund. Vor der Schöpfung der Welt, wie wir sie kennen, gab es eine kalte Welt, die Oberwelt, ganz Eis und Kälte. Und es gab die Unterwelt, ganz Glut und Feuer. Deren Grenze bildete der, aus Eisflammen bestehende, Fluss Styx. Durch die Fusion von Feuer und Eis, sich im Styx manifestierend, entstand das Erste Lebewesen dieses leblosen Planeten: Der Übergott Chaos.
 

Als Chaos sein trostloses Land beging und feststellte, dass es eine Einöde war, beschloss er, den Planeten mit Leben zu erfüllen. Er zog sich in den Erdkern des Planeten zurück und erschuf dort aus reinem Licht den Weltenbaum Yggdrasil. Der Baum wuchs unaufhaltsam. Schon bald bildete er die drei Ebenen des Seins allen Lebens:

Seine Krone bildete das Himmelsreich, fortan Asgard genannt.

Sein Stamm bildete die Oberwelt, genannt Midgard.

Und seine Wurzeln bildeten die Unterwelt, Utgard genannt.
 

An Yggdrasils Ästen bildete sich eine einzige, wunderschöne Blüte. Aus ihr entstand die Übergöttin Nemesis. Aus der Verbindung von Chaos und Nemesis entstanden drei Kinder, Odin, Wotan und Loki. Diese sollten fortan über jeweils eines der drei Weltenreiche herrschen:

Odin wurde das Himmelsreich geschenkt,

Wotan bewohnte die Oberwelt

und Loki beherrschte fortan die Unterwelt.
 

Doch als Wotan sein tristes, kaltes Land betrachtete, opferte er sich, um daraus die Grundelemente unseres heutigen Planeten zu erschaffen. Er schnitt sich Fleisch aus seinem Körper und erschuf damit die Erde. Aus seinem Schweiße ward die See geschaffen, aus seinem Gebein die Berge. Die Bäume aus seinem Haar. Aus seinem Blute erschuf er das Weltenmeer. Seine Hirnschalen wurden zum Himmel, an diesem er aus seinem Hirn die Wolken erschuf. Die Hirnschalen, die den Himmel bilden, wurden mit vier Hörnern über der Erde erhoben. Daraufhin erschuf er vier Zwerge, die er unter je ein Horn setzte, um diese Pfeiler zu bewachen. Er nannte sie Austri, Westri, Nordi und Sudri. Um eine Orientierung zwischen den vier Pfeilern zu erleichtern, erschuf Wotan aus Feuerfunken den Sternenhimmel. Aus seinem Herzen erzeugte Wotan Flora und Fauna. Und mit seiner letzten Lebenskraft ließ er zwei Lebewesen entstehen: Die Ureltern des Menschengeschlechtes. Darauf fiel er Tod zu Boden und verbrannte. Aus seiner Asche entstand die Wüste.
 

Chaos und Nemesis, die über den Verlust ihres Kindes bestürzt waren, beschlossen, dass fortan der Tod nur auf Midgard existieren sollte. Denn die erschaffenen Menschen vermehren sich rasch und ohne absehbares Ende. Doch damit die Menschen nicht umsonst starben, führte die Göttin der Gerechtigkeit, Nemesis, ein, dass nur die Körper der Menschen nach dessen Tod vergingen. Die Seelen der Menschen, jedoch, sollten nach einer gewissen Zeit in einem anderen Körper wiedergeboren werden. Da jedoch die Aufsicht dieser Unmengen von Seelen zu schwierig wäre für nur zwei Götter, erschuf Nemesis aus der Milch ihrer Brust ein weiteres ihrer Kinder: Die Göttin Frigg, welche die Erd- und Atmosphärengöttin und zugleich Odins Frau wurde.
 

Die Jahrhunderte strichen dahin und langsam besiedelten die Urgötter die drei Reiche mit Leben. Auch weitere Götter wurden auf die eine oder andere Art erschaffen. Aus der Vereinigung von Odin und Frigg gingen einige der mächtigsten Götter hervor:

Die Rachegötter Vali und Vidar,

der Götterbote Hermod,

der Gott des Lichtes, der Reinheit und der Gerechtigkeit Balder,

der Gott des Himmels- und des Krieges, Tyr, als Meister des Schwertes

und der mächtige Donnergott Thor.
 

Doch Loki ward schnell Eifersüchtig auf die Glückseligkeit seines Bruders Odin. Er schnitt sich sein rechtes Bein ab und setzte sich an dessen Stelle das Bein eines Minotauren, den er zuvor selbst erlegt hatte. Dann formte er aus seinem abgetrennten Bein seine Tochter Hel, die Göttin der Dunkelheit. Mit Hel zeugte Loki zwei mächtige Kinder:

Lodur den Feuergott

und Nefertem den Gott des Todes.

Da Hel jedoch auch Lokis Tochter war, entstanden bei dieser Vereinigung auch noch drei weitere, missgestaltete Kinder:

Jormangand, die tödliche Riesengiftschlange,

Sleipnir das achtbeinige Riesenpferd

und Fenrir, der Riesenwolf, dessen Biss immer Tötete.
 

Die Götter in Asgard fürchteten sich so sehr vor diesen schrecklichen Missgeburten, dass sie Loki diese Kinder wegnahmen. Sie warfen Jormangand in das Meer von Midgard, in dem sie Jahrhunderte lang wuchs, bis sie Midgard einmal umschlossen hatte. Fenrir dagegen wurde nach Asgard geholt und mit einem magischen Band, geknüpft von den Schicksalsgöttinnen Urd, Verdandi und Skuld, auf Ewig angekettet. Während Sleipnir fortan Odin als Reittier diente.
 

Für jede Eigenschaft der Menschen gab es den passenden Gott. Und so gab es auch für jedes der acht herrschenden Elemente jeweils einen Gott:

Über das Element Licht herrschte die Göttin Sol,

über die Dunkelheit gebot fortan die Göttin Hel,

das Element Feuer wurde von Lodur geführt,

der Gott Hoenrir stellte sich über das Eis – Element,

der Gott Freyr beherrschte die Luft,

das Element Erde wurde der Göttin Frigg unterstellt,

der Meeresgott Njörd gebot fortan über das Element des Wassers

und der Donnergott Thor wurde der Hüter des Elementes Blitz.
 

Und so brach das Zeitalter der Götter heran...

Sigma

Irgendwann, im Laufe der Jahrhunderte, waren es die Elementargötter leid, dass sie sich immerfort um die Angelegenheiten in Midgard kümmern mussten. Auch wollten sie nicht weiterhin die, sich stetig verändernde, Natur beaufsichtigen. Und so erschufen sie sich kleine Helfer, in Form von Zwergen, Elfen, Einhörnern, Drachen und andere sagenhafte Wesen.

Ihr Meisterwerk jedoch, erschufen sie in Form der Walküren. Diese Wesen waren eine Art Halbgötter. Sie hatten das Äußere von Göttern und besaßen die Macht über die Elemente herrschen zu können. Im Auftrag Odins, griffen diese Totenwählerinnen in das Kampfgeschehen, auf den Schlachtfeldern Midgards, ein und brachten die, auf der Walstatt gefallen, Helden nach Walhalla.
 

Eines Tages nun, erschuf die Göttin des Lichtes, Sol, eine Walküre, die sie Kara taufte. Diese besaß die Fähigkeit über alle acht Elemente gleichzeitig herrschen zu können. Kara war somit unvorstellbar mächtig, für eine Halbgöttin, und wurde,

auf Grund dessen, von den Göttern verstoßen und aus Asgard vertrieben. Ängstlich und allein gelassen, irrte Kara, eine scheinbar unendliche Zeit, auf Midgard umher und wurde schließlich von Menschen, ohne das diese etwas von der Gabe oder Andersartigkeit der Walküre wussten, gefunden und aufgenommen.
 

Die Menschen in Midgard waren wie lebendige Spielfiguren für die Götter aus Asgard und Utgard. Odin und Loki machten sich einen Spaß daraus ihre Gläubigen gegeneinander auszuspielen. Und nicht nur einmal buhlten sie um die Seele eines besonders wertvollen Menschen.
 

Denn nach ihrem Tod kamen die Seelen der Menschen zu Ull, dem Gott der Rechtsordnung. Dieser entschied dann, an Hand der Taten, welche jeder Mensch im Laufe seines Lebens begangen hatte, ob dessen Seele nach Asgard oder nach Utgard gesandt werden würde. Wenn eine Menschenseele nach Asgard gesandt wurde, so stand ihr ein wunderbares Paradies bevor, in dem sich jeder Wunsch der Seele erfüllte. Sandte Ull die Seele jedoch nach Utgard, so würde sie endlose Qualen erleiden und der Seele schlimmster Alpträume, würden Wirklichkeit werden. Die Seelen, die entweder nach Asgard oder Utgard gesandt wurden, würden eines Tages, in unbestimmter Zukunft, auf Midgard in einen anderen Körpern wiedergeboren werden. Seelen, die nach ihrem Tode nach Asgard gesandt wurden, hatten die Möglichkeit frei zu entscheiden, wann sie wiedergeboren werden wollten.
 

Allerdings gab es auch Ausnahmen. Denn wenn eine Seele den Frieden in Eden, dem Paradies auf Asgard, störte, so wurde sie für ewig aus Asgard verbannt und augenblicklich wiedergeboren. Seelen, die nach ihren Tode nach Utgard gesandt wurden, hatten keine Möglichkeit der Wahl. Ihre Wiedergeburt hing einzig und allein von der Gutmütigkeit Lokis ab. Und so kam es äußerst selten vor, dass eine Seele aus Utgard wiedergeboren wurde.
 

Die Walküre hatte schreckliches über die barbarischen Menschen gehört, doch je länger sie bei ihnen verweilte, umso mehr erwiesen sich diese Geschichten als unwahr. Die Menschen hatten sie aufgenommen, obwohl sie weder die Herkunft, noch das wahre Wesen der Walküre kannten. Und so kam es, eines Tages, dass eine Pest über das Land ging und viele der neuen Freunde Karas den Tod fanden. Der Gott des Todes, Nefertem, persönlich kam nach Midgard, um die Menschen nach Utgard zu geleiten. Nefertem fand die, nun erneut vereinsamte, Walküre und verliebte sich in diese. Kurzer Hand verschleppte er Kara gewaltsam nach Utgard und wenige Zeit später war sie seine Braut. Aus dieser gezwungenen Verbindung heraus entstand einer der mächtigsten Abkömmlinge des gesamten Göttergeschlechtes: Der Gott des Krieges und der Gott der acht Elemente, SIGMA.
 

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Viele Jahre waren vergangen, seitdem Sigma geboren war. Er wusste nicht genau wie viele es waren, denn für Götter zählte die Zeit anders, als für Menschen. Götter starben niemals. Außer sie wurden von einem anderen Gott getötet oder sie töteten sich selbst. Dann gingen sie in das ewige Nichts über, aus dem sie entstanden waren: In eine Verbindung mit dem Chaos. Doch heute war ein wichtiger Tag für Sigma. Endlich war es ihm und seiner Mutter Kara gestattet worden, Utgard zu verlassen und nach Asgard zu gehen. Der mächtige Übergott Odin, höchst persönlich, hatte Sigma in Utgard aufgesucht. Er hatte sich für die Fehlentscheidungen der letzten Jahrhunderte entschuldigt und er hatte sich für all die üblen Dinge entschuldigt, die seine Mutter, die Walküre, hatte durchleiden müssen, während ihrer Zeit in Utgard.

Sigma selbst hatte es in Utgard nie als besonders schlecht oder besonders gut empfunden. Die Götter hatten ihn immer mit viel Respekt behandelt, denn sie wussten, welche Fähigkeiten Sigma besaß. Er war einer der mächtigsten Götter in Utgard und besaß allerorts viel Ansehen, welches er vorwiegend seinem enormen Kampfgeschick zu verdanken hatte, welches er sich in zahllosen Schlachten angeeignet hatte. Der einzigste Gott, welcher die Kampffähigkeiten Sigmas übertraf, war Loki selbst.
 

Loki war einer der drei ersten Übergötter. Er war der Bruder Odins und damit war Loki Odin ebenbürtig. Auch Loki hatte es stets zu schätzen gewusst, dass Sigma so mächtig war. Nicht nur einmal hatte er Sigma losgeschickt, um in großen Kriegen, die von den Menschen auf Midgard geführt wurden, die Schlacht für Lokis Günstlinge zu entscheiden. Oftmals musste Sigma dazu gegen einen der Krieggötter aus Asgard antreten, doch keiner von ihnen war Sigma jemals gewachsen gewesen. Sigma hatte jedes Mal die Schlacht für sich entschieden und somit auch für Loki.
 

Auch Odin hatte dies bemerkt und zweifelsohne hatte diese unbedeutende Kleinigkeit auch eine Auswirkung auf Odins Entscheidung bezüglich Sigma und dessen Mutter. Doch all das kümmerte Sigma nicht. Ihm war es genug, dass der mächtige Odin vor ihm im Staub kroch und bettelte, um ihn, Sigma, auf seine Seite zu ziehen.

Eigentlich war es ihm schon genug, dass Odin seine Mutter aus dem Exil und aus der Jahrelangen Knechtschaft Nefertems befreite. Niemals hatte sich Sigma gegen seinen Vater zur Wehr setzen können. Nefertem war der Gott des Todes und somit unendlich mächtig. Doch Sigma bezweifelte nicht, dass er eines Tages mächtiger sein würde, als es sein Vater je werden könnte. Der Tod war ein Element der Dunkelheit. Die Dunkelheit war eines der acht Elemente über das Sigma herrschte und somit würde er eines Tages auch über seinen Vater herrschen können.
 

Doch zunächst war es wichtig, dass er nach Asgard gelangte. Dort würde er seinen Plan, den er über Jahrhunderte lang entwickelt hatte, in die Tat umsetzen können. Dort würde er zu der Macht gelangen, die ihn zum stärksten aller Götter machen würde. Und schon bald würde er selbst über Asgard herrschen können. Und jeder einzelne Gott müsste sich persönlich bei seiner Mutter für jedes einzelne Jahr entschuldigen, an dem sie hatte leiden müssen.
 

Sigma liebte seine Mutter. Er liebte sie über alles. Sie war ihm sogar wichtiger als sein Streben nach unendlicher Macht. In der finsteren Welt von Utgard gab es so etwas wie aufrichtige Liebe nicht. Jeder hinterging Jeden. Jeder verletzte Jeden. Jeder benutzte Jeden. Aber seine Mutter hatte ihm immer nur das Einzigste gegeben, was sie ihm geben konnte : Ihre aufrichtige und grenzenlose Liebe.
 

Sie hatte, ihr ganzes Leben lang, ihr gesamtes Glück und all ihre Güte auf Sigma gerichtet. Seine Mutter lebte für ihn und er fühlte sich deswegen jeden Tag schuldig. Wenn er nicht wäre, dann würde es seine Mutter längst nicht mehr geben. Nefertem hatte sie Jahrhunderte lang unterdrückt, gequält, missbraucht und verletzt. Nie auch nur hatte sie ein Liebes Wort von ihm gehört. Sie hätte ihrem räudigen Leben längst ein Ende gesetzt, würde es Sigma nicht geben. Er war ihr Hoffnungsschimmer, ihr Licht, ihr Ausweg aus ihrem Gefängnis. Und er würde ihr nun endlich alles wiedergeben können, was sie ihm bislang gegeben hatte.

Er hatte Jahrhunderte lang dafür gekämpft. Er hat alles versucht, um Odin auf sich und seine Taten Aufmerksam zu machen und endlich war es ihm gelungen.

Jetzt war sie frei und er würde mit ihr gehen. Eine neue wundervolle Zukunft stand ihnen Beiden bevor. Und Sigma konnte es kaum erwarten die unendlich fließende Macht von Asgard zu spüren.
 

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Und so geschah es, dass Sigma und seine Mutter wieder nach Asgard Heim kehrten. Ihnen wurde ein mächtiges Schloss gegeben, was Sigma Asenyard taufte. Dieses Schloss war, nach dem von Odin, Walhalla, das schönste und anmutigste Schloss in Asgard. Es bestand aus insgesamt sechs riesigen Türme. Die fünf kleineren Türmen bildeten, jeweils einer von ihnen so angeordnet, dass sie ein regelmäßiges Fünfeck ergaben, die Eckpfeiler der Grundmauer, welche das eigentliche Hauptschloss vor ungebeteten Eindringlingen bewahren sollte.
 

Nachdem man die Außenmauer der Festung passiert hatte, befand man sich auf einem wunderschönen Innenhof. Um in dessen Zentrum zu gelangen, musste ein riesiges Labyrinth bestehend aus einer einzigen, gewaltigen Rosenhecke durchquert werden. Diese Hecke diente zum zusätzlichen Schutz vor möglichen Feinden. Der Weg dieses Labyrinthes war ausgelegt mit roten Quarzsand und dessen äußerliche Begrenzungen wurden von schneeweißen Kieselsteinen verdeutlicht. Und die Hecke an sich, bestand aus den schönsten blauen Rankrosen, kein menschliches Auge jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein wundervoller Anblick.
 

Das Zentrum des Innenhofes bildete eine beeindruckende Naturquelle, die sich aus einem drei Meter hohen Fels ergoss und dessen Wasser in einem künstlich angelegten Marmorbecken aufgefangen wurde. Der gesamte Hof war mit Mosaikpflastersteinen verlegt worden. Bei näherer Betrachtung bildete das Muster der Steine einen vollständigen Kreis, der sich um die Quelle schloss. Dieser Kreis bildete zusammen mit dieser Quelle eine hofinterne Sonnenuhr.

Vor dem Schloss und um die Quelle herum, befanden sich Blumenbeete, in denen die seltensten Blumen der Erde wuchsen und sogar einige, die es auf der Erde nicht einmal zu finden gab. Des weiteren gab es unzählige Erntebeete für Früchte und Gemüse. Außerdem standen zwischen jedem dieser Beete die herrlichsten Obstbäume, die man sich vorstellen konnte. Sigmas Mutter war mehr als nur begeistert von dieser Herrlichkeit.
 

Nachdem sie den Brunnen passiert hatten, standen sie vor dem eigentlichen Schloss Asenyard. Dessen Zentrum bildete der Größte der sechs Türme. Von dessen höchsten Zimmer aus, welches einmal Sigmas Gemächer werden würde, konnte man hinab auf die Sonnenuhr sehen und die exakte Zeit feststellen. Aber man konnte von dort aus auch das halbe Asgard und das gesamte Midgard überblicken. Sigma und seine Mutter betraten Asenyard durch das riesige Adamantium - Tor. Adamantium war das stärkste Metall aller drei Reiche. Auf Midgard existierte es praktisch gar nicht. Und nur in Utgard konnte es durch die unendliche Hitze der Hölle und nur von den Meistern der Schmiedekunst, den Zwergen, geschmolzen werden. Doch weder in Utgard noch in Asgard wurde es sehr häufig verwendet, denn es war unglaublich selten.
 

Odins Waffen, die Axt und der Speer waren aus Adamantium erschaffen wurden. Auch Thors mächtiger Hammer Mjöllnir war daraus geschaffen und sogar Freyjas Halsband Brisingamen bestand zum Teil aus Adamantium. Nur die mächtigsten Dinge in Asgard und Utgard bestand daraus. Es war eine unglaubliche Ehre für Sigma, dass das Tor, zu seinem Schloss, aus Adamantium bestand. Dadurch war ein gewaltsames Eindringen von Außen praktisch unmöglich.
 

Im Schloss selber, waren alle Böden aus den feinsten Edelsteinen, die man sich vorstellen konnte: Opale, Amethysten, Diamanten, Rubinen und Smaragden. Die Wände bestanden aus Natursteinen, wie Granit und Marmor, aber auch noch viele andere Steine wurden dafür verwendet. Die Möbel waren allesamt aus Harthölzern gefertigt worden. Die Sitzmöbel waren mit feinsten Stoffen gepolstert. Zahlreiche Gemälde und Naturbilder zierten die kahlen Wände. In der Empfangshalle knisterte ein warmes Feuer im Kamin. Vor diesem lag ein Leopardenfell und darauf befanden sich zwei riesige Hunde: Ein entstellter, fast schon verwest und tot wirkender Höllenhund, der trotz seines zunächst schockierenden Äußeren, eine anmutige, dennoch einschüchternde, Wirkung auf seinen Betrachter hatte. Der andere Hund wirkte weitaus weniger fürchterlich. Doch auf Grund seiner Größe und der daraus folgenden Kraft, die ihm innewohnte, war es ein respekteinflössendes Tier. Sigma taufte den Höllenhund Cerberus und den Riesenhund Garm. Sie waren ihrem Herren bedingungslos untergeben und gehorchten Sigma aufs Wort. Von da an folgten sie ihm auf Schritt und Tritt.
 

Sogleich nach ihrer Ankunft in Asenyard wurden Sigma und seine Mutter von einer Reihe körperloser Seelen begrüßt. Diese Seelen, waren zumeist Seelen von Menschen, die auf Midgard gestorben waren und noch nicht wieder zu einer Wiedergeburt dorthin zurück gesandt wurden. Sie verrichteten bei den Göttern zu meist Haus-, Gartenarbeit und andere nützliche Aufgaben, die den Göttern zu niedrig waren.

Diese Seelen wurden jedoch nicht etwa zu dieser Knechtarbeit gezwungen, sondern sie vollführten sie aus freiem Willen. Im Normalfall war es einer Seele nicht gestattet das eigentliche Reich der Götter zu betreten, selbst wenn sie, nach dem Tod ihrer menschlichen Hülle, nach Asgard kommen durfte. Die Seelen wurden in eine Scheinwelt geführt, die bei den Menschen Paradies hieß und in Asgard sich im Garten Eden manifestierte. Diese Welt wurde nur allein aus der Willenskraft der Götter erschaffen. Es war ohne Frage ein herrlicher Ort, an denen die Seelen ohne Sorgen leben konnten. Einige Seelen, die schon auf Midgard für die Götter gedient hatten, durften auch nach ihrem Tode ihrer Arbeit nachkommen. Jedoch bestanden Sigmas Bediensteten nicht nur aus Geistern.

Es gab auch unzählige Elfen, Feen, Kobolde und sonstige Naturgeister, die sich um Ordnung und Richtigkeit im Haushalt von Sigma kümmerten. Sigma und seine Mutter waren somit die neuen Herren über diese Geschöpfe. Das alles waren die Geschenke Odins an Sigma. Womöglich erhoffte sich dieser dadurch die Loyalität Sigmas. Doch dieser war nicht käuflich und würde sich nicht so leicht von dem Übergott blenden lassen. Odin hatte seiner Mutter schreckliche Dinge angetan, selbst wenn er diese nicht selbst vollführt hatte und auch wenn dies niemals seine Absicht gewesen war. So leicht würde Sigma Odin nicht verzeihen können.
 

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So kam es eines Tages, dass Sigma von Odin in dessen Festung, Walhalla, gerufen wurde. Hermod, der Götterbote und Sohn Odins, hatte ihm höchstpersönlich diesen Befehl übermittelt und gleichzeitig ein weiteres Geschenk Odins, für Sigma, mitgebracht: Das geflügelte Einhorn Pegasus. Sigma war sehr überwältigt von diesem Geschenk, denn es galt als das edelste, schnellste, stärkste und intelligenteste Tier in ganz Asgard. Abgesehen von den zwei riesigen, leuchtend weißen Federflügeln, welche aus dem Rücken des Tieres gewachsen waren, und dem golden schimmernden Horn an seiner Stirn, hatte Pegasus das Aussehen eines normalen Hengstes. Die Farbe seines Felles war so strahlend weiß, dass Sigma im ersten Moment seine Augen bedecken musste, da ihn die Intensität des Lichtes so sehr blendete. Doch als sich seine Augen an den herrlichen Anblick gewöhnt hatten, konnte Sigma die ganze Schönheit des Einhorns betrachten. Sein Körperbau war sehr muskulös und stark. Durch seine ungewöhnlich Größe, wirkte der Hengst noch viel beeindruckender. Er war der König aller Einhörner und der Fürst aller anderen Pferde. Das Odin Pegasus ihm, Sigma, geschenkt hatte, konnte nur bedeuten, dass dieser etwas sehr wichtiges von Sigma wollte.
 

Also bestieg Sigma Pegasus und ritt auf ihm nach Walhalla. Dort angekommen, wurde Sigma vom mächtigsten aller Kinder Odins, Thor, empfangen: „Seid gegrüßt, oh Mächtiger Kriegsgott Sigma,“ begrüßte ihn Thor, nachdem Sigma von Pegasus’ Rücken geglitten war. „Ihr ebenfalls, ehrwürdiger Donnergott Thor,“ erwiderte Sigma höfflich. „Was ist der Belang eures Vaters?“ Doch Thor hielt sich sehr bedeckt mit seiner Antwort. Er meinte nur, dass Sigma es schon erfahren würde, wenn dieser erst einmal mit Odin geredet hatte. Also geleitete der Hünenhafte Thor, mit seinen wilden roten Haaren und derben Gesichtszügen, Sigma zum Empfangssaal Odins.
 

Sigma betrat den Saal, allein. Die Halle war übermäßig groß. Zwei übereinander stehende Riesen hätten darin aufrecht gehen können. Langsam schritt Sigma den rubinroten Teppich entlang, der direkt vor dem gewaltigen Steinthron Odins endete. Davor kniete Sigma untertänig nieder und wagte es nicht dem mächtigen Herrscher Asgards in die Augen zu blicken, bevor dieser ihm erlaubte sich aufzurichten.
 

Odins Äußeres unterschied sich sehr von dem Lokis. Er hatte wallendes weißes Haar, das unter seinem geflügelten Streithelm hervor wucherte, wie Unkraut auf dem Felde. Es hieß, Odin legte den Helm, ebenso wie die leuchtende Rüstung aus Adamantium, niemals ab. Sein weißer, zotteliger Bart, wurde von Metallringen aufgeteilt und an dessen unteren Bartspitze wieder zu einem einzigen Zopf zusammen geführt.

Er sah furchteinflößend aus, wie er da auf seinem Thron saß. Die hellblauen, fast schon weißen, Augen des Übergottes blitzten abschätzend durch die kleinen Öffnungen in Odins Helm.
 

„Habt Dank, ehrwürdiger Gebieter, für eure Einladung in diese ehrwürdigen Hallen“, sagte Sigma unterwürfig und fügte hinzu: „Was ist euere Aufgabe an mich, mein Gebieter?“

Odin lachte laut auf und sagte dann: „Mein Kind, du hast es nicht nötig mir gegenüber so förmlich zu sein. Ich bin ebenso Kriegsgott wie du, wenn ich auch zugeben muss, dass du weitaus erfolgreicher bist, als ich es je war. Du hast dich vor niemanden zu verbeugen, der deiner nicht würdig ist.“

Sigma blickte Odin nun verwirrt an. „Mein Lord?“
 

Sigma hatte immer unterwürfig sein müssen, zu großen Göttern wie Loki und Nefertem. Er verstand nicht, weswegen Odin dies nicht auch als Maßstab seiner Untertanen ansah. Immerhin war Odin der wahrscheinlich mächtigste aller Götter.

Wieder lachte Odin: „Mein Junge, du bist gut erzogen worden. Ich denke, dass ich dafür deiner Mutter zu danken habe. Behalte dir diese Eigenschaften gut, doch im Augenblick ist es nicht nötig so förmlich zu reden. Hier in Walhalla sind alle Götter gleich. Jeder, der von mir hierher eingeladen wird, ist ein gleichwertiger Freund von mir. Und meine Freunde pflegen mich nicht mit „mein Lord“ oder „Gebieter“ anzusprechen.“
 

„Aber mein Lord, ihr seid nun einmal mein Gebieter. Was würden die anderen Götter von euch denken, wenn ein niedriger Gott euch mit eurem Namen ansprechen würde?“

„Du hast recht, Junge. Du bist sehr intelligent, dass muss man dir lassen. Aber wenn du mir richtig zugehört hast, dann hast du gehört, wie ich sagte, dass dies nur hier in Walhalla der Fall ist. Du kannst mich hier behandeln wie jeden anderen Gott. Hierher kommen nur meine engsten Vertrauen, zu denen ich dich gerne zählen möchte, wenn du einverstanden bist. Und diese nennen mich im allgemeinen Odin. Das heißt, bei öffentlichen Empfangen und allen Aktivitäten außerhalb Walhalla wäre es mir lieb, wenn wir die alten Höfflichkeitsfloskeln wieder gebrauchen könnten.“

„Sehr wohl, mein L.., ich meine, Odin,“ antwortete Sigma.
 

Odin lächelte väterlich. Vielleicht handelte es sich bei diesem Freundschaftsangebot nur um einen Trick von Odin, um Sigma entgültig auf seine Seite zu ziehen. Aber Sigma begann so etwas wie Sympathie für den scheinbar uralten Mann zu entwickeln.
 

Odin erhob sich aus seinem mächtigen Thron und führte Sigma in den Festsaal. In diesem stand bereits ein reich gedeckter Tisch, voll bestückt mit herzhaften Essen, für sie bereit. An diesem Tisch befanden sich außerdem Thor, Freyja, Frigg, Balder, Vali, Vidar, Tyr und Hermod. Also die gesamte Familie Odins und die mächtige Göttin Freyja, welche die Tochter des Meeresgottes und Gebieters der Vanen, Njörd, war und eine enge Vertraue Odins zu sein schien.
 

Odin wies ihm einen Platz gegenüber von Freyja zu. An dem Kopf des Tisches, und somit links von Sigma, nahm Odin Platz. Neben Sigma saß der Himmels- und Kriegsgott Tyr. Dieser war besonders hoch geachtet unter den Menschen. Denn er überwachte die Volks- beziehungsweise Gerichtsversammlungen der Menschen, die zu jedem Vollmond durchgeführt wurden. Geleitet durch einen Hohepriester, wurden diese Versammlungen dazu veranstaltet, um die Streitigkeiten der Menschen zu lösen. Tyr überwachte diese Zusammenkünfte von Asgard aus und passte auf, dass die Priester gerecht entschieden.
 

Tyr gegenüber saß Thor, der mächtige Donnergott und neben Tyr saß der Rachegott Vidar. Sein Zwillingsbruder Vali saß ihm gegenüber. Neben Vali nahm Balder Platz, während Hermod, der Götterbote ihm gegenüber saß. Von ihren Lieblingen Balder und Hermod eingerahmt saß Frigg, ihrem Gemahlen Odin gegenüber. Diese feste Tischordnung wurde nur selten verändert. Wenn mehrere Gäste in Walhalla waren, wurde die Festtafel für diesen Anlass auf genau die Anzahl der zusätzlichen Gäste verlängert. Sigma fühlte sich ein wenig fehl am Platze, doch nun gab es für ihn keinen Weg zurück mehr.
 

Als Sigma sich setzte, bemerkte er zum ersten Mal die ungeheuerliche Schönheit der Göttin Freyja. Ihre fast bodenlangen, wallenden, blonden Haare und ihre mystischen marineblauen Augen, die durch ihre Mandelförmigkeit, ihr Gesicht exotisch aussehen ließen, nahmen Sigma sogleich in ihren Bann. Ihre Haut war elfenbeinfarbend und gleichzeitig war auf ihrem Gesicht, an ihren Wangen, eine leichte Rötung zu erahnen, welche die Göttin noch natürlicher wirken ließ. Ihre Lippen waren Blutrot und wunderschön voll. Ihr Gesicht, sowie der Rest ihres Körpers waren einfach perfekt. Sie trug ein bodenlanges, blaues Kleid, dass am Oberkörper herrlich verziert war und all ihre Rundungen, an den richtigen Stellen, exzellent betonte. Auch trug sie ihr wertvolles Brisingamen, dass von Zwergen gefertigte Halsband. Sie hatte einen Teil ihrer Haare geflochten und als eine Art Schmuck um ihren Kopf gebunden. Darin waren mehrere Falkenfedern befestigt, die ein Symbol ihres Wesen repräsentierten. Denn die Göttin Freyja war nicht nur die Göttin der Fruchtbarkeit, der Liebe und der Magie, sondern war sie zugleich auch die mächtigste aller Vanen.
 

Die Vanen waren eine unterart der Götter. Sie waren friedfertiger als das andere Göttergeschlecht, die Asen. Vanen waren zumeist Fruchtbarkeits- und Schutzgötter. Sie waren sehr geschult in dem Umgang der Magie und der Gestaltwandlung Ihr Anführer war der Vater Freyjas, der mächtige Meeresgott Njörd. Bei den Asen dagegen, dem kriegerischen Stamm der Götter, herrschte auch hier Odin.
 

Auch Freyja hatte die Fähigkeit der Gestaltenwandlung, die es ihr ermöglichte sich in einen Falken zu verwandeln und so nach Midgard zu gelangen. Dort nahm sie dann die Gefallenen in Empfang und brachte sie zu Ull. Wenige Auserwählte Odins aber, wurden von ihr sofort nach Walhalla geleitet, um diese dort seiner persönlichen Armee hinzuzufügen. Demnach gleichte diese Aufgabe die der Walküren, aber meist wurde Freyja nur bei den wichtigsten Schlachten ausgesandt. Die meiste Zeit jedoch befand sie sich in Walhalla und trainierte die, auf den Schlachtfeldern gefallenen, Helden aus Odins Privatarmee, denn sie war zudem eine ausgezeichnete Kriegerin. Und trotz dieser scheinbaren Härte, war Freyja von einer so unglaublichen, aber dennoch natürlichen, Schönheit, dass man sich erzählte, dass kein Mann ihrer Schönheit wiederstehen konnte. Auch Sigma schien diesem Zauber nun erlegen zu sein.
 

Schüchtern nickte er ihr zur Begrüßung zu, als sich ihre Augen trafen. Als Freyja ihn daraufhin freundlich anlächelte, errötete Sigma verlegen und senkte beschämt seinen Kopf. Balder lachte leise, denn er hatte diese Szene beobachtet und auch Thor grinste, als Sigma seinen Blick auf den mächtigen Hünen richtete. Doch Odin schien es zu ignorieren, denn er bedankte sich gleich darauf für das kommen aller Anwesenden und gab somit zugleich die Erlaubnis dieses Festmahl zu verzerren.
 

„Mein junger Freund,“ sagte Odin, während er sich ein riesiges Stück Fleisch aus einer Wildscheinkeule mit seinen Zähnen riss. „Wie du dir sicher denken kannst, habe ich dich nicht nur zum essen hierher kommen lassen.“

Sigma blickte seinen Gastgeber wissend an, doch er sagte nichts, denn er hatte den Mund voller Bohnen und wagte es nicht mit vollem Mund zu sprechen. Doch er nickte.

„Ich möchte dich auch nicht länger auf die Folter spannen, Junge, denn ich möchte deine wertvolle Zeit nicht unnötig vergeuden.“ Wieder nickte Sigma, doch diesmal etwas zögernder. Er erwartete dass Odin nun weitersprach, doch es war Thor, der das Wort ergriff:

„Dir ist sicherlich bekannt, dass es meine Aufgabe ist, unser Reich vor dem Einfall der Riesen zu bewahren.“ Wieder nickte Sigma. „Dann weißt du auch sicher, dass ich dies mit Hilfe meines Hammers Mjöllnir erledige.“ Sigma nickte erneut. „Aber was du noch nicht weißt ist, dass Mjöllnir von dem Anführer der Riesen, Thrym, gestohlen wurde.“ Sigma verschluckte seinen letzten Bissen und hustet wenige Male bis Freyja ihm sein Weinglas reichte und er den Bissen hastig herunter spülen konnte.

„Wie konnte so etwas geschehen,“ fragte Sigma ungezwungen. „Es ist doch die mächtigste Waffe, die Asgard besitzt. Ich ging bislang immer davon aus, dass der Hammer sicher verwart wurde, von euch.“
 

Sigma beobachtete, wie sein ausgesprochener Vorwurf sich auf die Gemüter der Anwesenden auswirkte.
 

„Du hast recht,“ sagte Balder. „Wir haben keine Entschuldigung für diesen Verlust. Irgendwie ist es Thrym gelungen uns den Hammer vor unserer Nase zu entwenden, ohne das wir etwas davon mitbekommen haben.“

„Du , junger Kriegsgott,“ unterbrach Odins Frau, Frigg, den Gedankengang. „Sind all die Legenden über dich wahr, die man so hört? Hast du alle dir gestellten Aufgaben bislang mit Bravour erfüllt und jeden Feind zurück schlagen können, sei er noch so hinterlistig und gefährlich gewesen?“

„Ja, meine Herrin,“ war Sigmas Antwort.
 

Er wusste, dass es überheblich von ihm war, dies so leichtfertig zu bestätigen, doch es entsprach tatsächlich der Wahrheit. Noch nie hatte er einen ihm ebenwürdigen Gegner getroffen. Kein Feind konnte sich jemals gegen Sigma durchsetzten. Er hatte immer den absoluten Sieg geholt.
 

Odin lachte: „Seht ihr, meine Familie, ich hatte euch doch gesagt, dass er ein aufrichtiger Mann ist. Er ist genau der Richtige für diese verzwickte Aufgabe.“

„Das wird sich zeigen,“ sagte Freyja, die nun zum ersten Mal das Wort erhoben hatte.
 

Ihre Stimme klang wie die einer Nachtigal. So klar und herrlich wie die ersten Sonnenstrahlen am Tag. Dennoch, der Zweifel in ihren Worten machte Sigma wütender, als er es erwartet hätte.
 

„Aber, aber, Freyja,“ sagte Hermod lieblich. „Gib unserem Kleinen Helden doch erst einmal die Chance sich zu beweisen, bevor du ihn verurteilst.“

„Vielleicht hast du recht,“ sagte nun Thor wieder. „Aber zuerst müssen wir Sigma die Aufgabe nennen, die wir ihm aufladen möchten. Dann wird es sich zeigen, ob er dieser gewachsen ist, oder ob nicht.“
 

Sigmas Wut steigerte sich ins unermessliche. Beinahe wäre er aufgesprungen und hätte den Tisch verlassen, doch er wollten diesen überheblichen Göttern diese Genugtuung nicht gewähren. Er würde sich in aller Ruhe ihre Forderung anhören und ihnen dann beweisen, dass ihm keine Aufgabe zu schwer war. Dann schwenkte sein Blick zu Odin und sogleich bereute er seinen Zorn. In dem Blick des Übergottes konnte er keine Zweifel ihn bezüglich erkennen, nur absolutes Vertrauen und Stolz. Sigma lächelte Odin dankbar zu:
 

„Nennt mir die Aufgabe, welche ihr für mich habt,“ sprach Sigma nun und grinste dabei Freyja siegessicher und ebenfalls überheblich an, bevor er weitersprach: „Liegt sie darin, euch Mjöllnir zurück zu bringen und Thrym zu erschlagen? Ich denke das ist eine leichte Aufgabe.“

„Nein,“ sagte Thor mit fester Stimme. „Für solch eine Kleinigkeit brauchen wir keine Hilfe. Schon gar nicht von einem großen Kriegshelden, wie ihr es seid.“

„Wir haben bereits mit den Verhandlungen mit Thrym angefangen,“ sprach nun Odin weiter. „Doch dabei herausgekommen ist nur, dass Thrym eine absolut unerfüllbare Forderung an uns gestellt hat. Da wir diese nicht erfüllen können, verrät er uns selbstverständlich auch nicht, wo sich Mjöllnir befindet. Ich habe dich in vielen deiner Gefechte beobachtet und weiß welch hervorragender Stratege du bist. Ich möchte dich nun hiermit bitten, mit mir eine Strategie auszuarbeiten, um den Hammer, möglichst Gewaltfrei, von Thrym zurück zu bekommen.“

„Wie lautete die unerfüllbare Forderung von dem Riesen denn,“ frage Sigma skeptisch.

„Er verlangt,“ sagte nun wieder Freyja, die ihre katzengrünen Augen wachsam auf Sigma richtete. „Das ich seine Braut werde. Beim nächsten Neumond erwartet er eine Antwort von mir.“
 

Sigma blickte sie mit einem aufrichtigen Blick an und sagte offen zu ihr:

„Ihr habt recht, diese Forderung ist nicht akzeptabel. Eine wundervolle Frau wie ihr, Freyja, ist ein viel zu hoher Preis, selbst für die mächtigste Waffe der Götter.“
 

Sigma beobachtete, wie die kühle Freyja nun leicht errötete. Innerlich freute er sich sehr über diesen kleinen Siegeszug, doch äußerlich verzog er keine Miene. Mittlerweile hatte er gemerkt, dass er, in dieser Runde der höchsten Asen Asgards, vor seinem eigenen Tribunal saß. Die anderen Götter schienen ihm noch nicht zu trauen und bewerteten ihn daher anhand von falschen Tatsachen oder dummen Gerüchten. Er würde noch einen weiten Weg vor sich haben, wenn er das Vertrauen dieser mächtigen Familie zu erlangen gedachte.
 

„Der nächste Neumond,“ fuhr Sigma schließlich fort. „Ist in wenigen Tagen. Ich denke bis dahin ist mir etwas, für euch zufrieden stellendes, eingefallen, um euer kleines Problem zu lösen. Ich werde euch euren Hammer zurück holen und Freyja vor dem Riesen beschützen. Allerdings wird dies sicherlich in einer List enden, die vielleicht ungewöhnlich für euch sein wird. Doch die Hauptsache ist schließlich, dass wir Mjöllnir zurück bekommen, oder?“

„Ich vertraue deinem Verstand, junger Sigma. Tut was immer du für Richtig hältst, um unsere Waffe zurück zu bekommen,“ sagte Odin abschließend.
 


 

Als Sigma an diesem Abend nach Asenyard zurück kehrte, erwartete ihn bereits Loki. Zunächst war Sigma verwundert, dass Loki sich in Asgard und auf seinem Schloss befand. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, aus welchem Grund sich der Übergott hierher bemüht hatte. Doch schon bald würde ihm der Grund klar werden.
 

Loki genoss, als Bruder Odins, alle Privilegien der Götter. Er hatten freien Zutritt in allen drei Reichen der Welt. Während seine Kinder und die Götter, die in Utgard lebten und regierten, Asgard nicht einmal betreten durften, ging Loki hier regelmäßig ein und aus. Jedoch bei den regelmäßigen Treffen der Götter, an denen auch die Kinder Lokis teilnahmen, gab es Ausnahmen dieses Gesetztes. Allerdings gab es auch sehr viele Götter aus Utgard, die sich nicht an diese Regeln hielten und trotzdem häufiger Asgard besuchten.
 

Loki stand an dem Kamin in der Eingangshalle, vor dem sonst Cerberus und Germ lagen. Jedoch waren die beiden Hunde im Augenblick im Innenhof des Schlosses und hatten Sigma dort auch sehr freudig begrüßt. Nachts hielten die beiden unterschiedlichen Tiere außerhalb des Schlosses Wache. Kein Eindringling würde es wohl je schaffen Asenyard einzunehmen.
 

Als Sigma nun die Eingangshalle betrat und Loki am Kamin stehen sah, beschlich ihm ein ungutes Gefühl. Zwar waren Loki und er seit etlichen Jahrhunderten enge Vertraute, aber Lokis Boshaftigkeit und Hinterlist übertraf alles, was Sigma bislang erlebt hatte. Sigma beschlich eine proportional ansteigende Angst, um seine geliebte Mutter. Was war, wenn Loki sie zurück nach Utgard verschleppen wollte. Aber dafür würde er Sigma nicht vorher fragen. Er würde es einfach tun, doch es sah ganz so aus, als würde Loki mit Sigma reden wollen.
 

„Hallo mein Junge,“ begrüßte Loki Sigma und schloss ihn väterlich in seine Arme. Plötzlich bemerkte Sigma die Ähnlichkeiten zwischen Loki und Odin.
 

Auch Loki erschien Sigma stets wie ein alter, väterlicher Mann, der sich um sein Wohl zu kümmern schien. Doch Sigma wusste, dass hinter dieser Fassade stets ein Hintergedanke steckte. Loki wusste durchaus um Sigmas erstaunliche Fähigkeiten, die dieser besaß. Somit war es selbstverständlich für die mächtigen Götter ihn als Spielball im großen Kampf um Macht und Intrigen einzusetzen. Doch selbst wenn Sigmas Sympathien für Loki und Odin von Tag zu Tag anwuchsen, vergaß er niemals diesen Aspekt.
 

„Mein dunkler Lord, was führt euch zu dieser späten Stunde zu mir,“ Sigma hatte sich vor Loki nieder gekniet und blickte demütig zu Boden.

„Mein lieber Junge,“ sagte Loki darauf. „Wir kennen uns doch nun schon lang genug, um diese umständlichen Höflichkeitsfloskeln auslassen zu können, oder? Außerdem bist du nicht länger mein Untergebener, dennoch würde ich es sehr begrüßen, wenn wir unsere Freundschaft weiterhin pflegen könnten.“

Sigma erhob sich und begegnete Lokis Blick mit einem überheblichen Grinsen:

„Dies ist heute schon mein zweiter Freundschaftsschluss mit einem der mächtigen Übergötter.“
 

Loki konnte kaum seine Verwunderung verbergen, doch sogleich erwiderte er Sigmas Grinsen und entgegnete:

„Dann hat dir mein lieber Bruder Odin wohl ebenfalls diese Ehre zu Teil werden lassen. Wie kam es dazu? Hat er dich nur nach Walhalla geladen, um dir dieses großzügige Angebot zu unterbreiten oder hat er dir gar deinen ersten Auftrag, unter seiner Herrschaft, erteilt?“

„Mit Verlaub, mein Lord, ich glaube nicht, dass ich euch diese Angelegenheit zu erläutern brauche. Wie ihr bereits sagtet, ich bin nun nicht länger euer Untertan. Unter normalen Umständen und in Anbetracht unserer langjährigen Bekanntschaft würde ich gerne eine Ausnahme machen, leider bin ich an meine Schweigepflicht gebunden. Das versteht ihr doch?“

„Sicher, mein Junge, sicher,“ wieder grinste Loki. Doch diesmal schien in diesem Grinsen etwas Wissendes mit. Etwas, das sich Sigma nicht erklären konnte.

„Doch selbst wenn du mir nicht sagen kannst, um was es sich im Detail handelt, so kannst du mir doch sicher sagen, ob dein Auftrag etwas mit dem entwendeten Hammer Mjöllnir auf sich hat?“
 

Sigmas Überraschung war groß, doch er hatte sich soweit im Griff, sich diese Überraschung nicht anmerken zu lassen:

„Ihr seid anscheinend allwissend. Mich beschleicht der Verdacht, dass euer Besuch nicht nur höfflicher Natur ist.“

„Mit Recht, mein Junge, mit Recht. Ich wollte dir zu deinem ersten Auftrag zwar gratulieren, doch eigentlich interessiert mich mehr, mit welcher List du Thrym den Hammer wieder entwenden willst. Immerhin war es ja ein Meisterwerk der Trickser – Kunst von ihm, wie er Mjöllnir entwendet hatte.“ Lokis Grinsen wurde breiter und es schien, als würde er kurzzeitig in Erinnerungen schwelgen. Und in diesem Augenblick wurde Sigma klar, weswegen Loki ihn, zu solch später Stunde, in seinem neuen Heim, besuchte.

„Ihr meint, ihr habt den Hammer entwendet und ihm Thrym gegeben? Aber weswegen solltet ihr das tun?“

„Aus einem einfachen Grund heraus, mein Junge. Die Überheblichkeit der Götter Asgards ist für mich unerträglich. Sie verlassen sich einzig und allein auf ihren mächtigen Beschützer Thor. Doch Thor allein, ohne seinen Hammer, ist ein Nichts. Mich widert diese Überheblichkeit so sehr an, dass ich mir dachte, dass es ihnen gut tun würde, wenn ich ihrem Übermut einmal einen kleinen Dämpfer verpassen würde.“

„Aber mein Lord, damit habt ihr nicht nur die anderen Göttern in Gefahr gebracht, sondern auch eure eigene Familie und Odin.“

„Du unterschätzt die Macht meines Bruders, mein Junge. Er ist ein Übergott. Er ist Allmächtig. Kein Riese könnte ihn etwas anhaben. Auch kein anderer Gegner. Und mit Verlaub, der Riese Thrym ist wahrlich nicht der Intelligenteste seiner Art, selbst wenn er der König dieses verwahrlosten Haufens ist. Sieh doch nur was er als Preis für die Rückgabe fordert: Die Fruchtbarkeitsgöttin Freyja als Braut. Wie jämmerlich das doch ist! Zwar ist sie fürwahr eine Schönheit, doch sie ist dennoch nur eine einfache Göttin. Ihre Schönheit wird vergehen, aber Macht bleibt für immer erhalten!“
 

Sigma konnte es nicht fassen. Wie konnte Loki, als einer der mächtigen Übergötter, nur solch eine törichte Tat begehen? Wie konnte er den erbittersten Feinden der Götter, die mächtigste Waffe der Asen in die Hände spielen und damit das Leben eines jeden Gottes riskieren. Schon immer hatte Sigma um dem Geschwisterkampf zwischen Odin und Loki gewusst, doch das sie sich gegenseitig so etwas schwerwiegendes antun könnten, hatte selbst er nicht vorhersehen können.

„Wieso seid ihr hier, Herr,“ schrie Sigma Loki nun wütend an.

„Wollt ihr vor mir nur mit eurem gelungenen Taschenspielertrick prahlen oder sollte doch noch ein höherer Sinn in eurem Besuch liegen?“

„Aber, aber, mein Junge. Du bist als Heißsporn bekannt, aber dennoch sollte dir schnell wieder bewusst werden, vor wem du gerade stehst. Ich könnte dich mit nur einem Finger zerquetschen, wenn es mir in den Sinn kommen würde.“ Loki lächelte in abwertend an, doch schon gleich sprach er wieder mit Engelszungen auf ihn ein: „Ich möchte dir doch nicht schaden, mein Junge. Ich möchte dir nur beweisen, wie Falsch die Götter in Asgard sind. Ich bin mir sicher, dass mein werter Bruder schon längst über meine Mitwirkung in dieser Farce bescheid weiß. Ich habe mit Hel gewettet, dass sie dich auf die Wiederbeschaffung Mjöllnirs ansetzen. Und was soll ich sagen, ich hatte recht. Sie sind doch alle so leicht zu durchschauen, dass wirst du auch sehr bald gemerkt haben.“

„Also habt ihr dieses ganze Schauspiel nur wegen mir veranstaltet? Was soll das? Ist das eine Art Spiel zwischen euch und Odin, dass ihr andere Götter für eure Brüderkonflikte einsetzt, wie Spielfiguren? Ich lasse mich nicht zu einer eurer Marionetten machen. Ich bin mächtiger als jeder andere Gott in Asgard und Utgard und wenn...“
 

Weiter kam Sigma nicht. Das nächste, was Sigma sah, waren die in Flammen stehenden Augen Lokis. Sigma schien ihn unendlich verärgert zu haben, denn Loki hatte die krallenartigen Fingernägel seiner rechten Hand in Sigmas Kehle gebohrt. Sein finsteres Gesicht war wutverzerrt und einer Maske des Grauens gewichen. Ohne viel Mühe erhob Loki ihn in die Höhe und schleuderte ihn quer durch die riesige Eingangshalle. Unsanft wurde sein Fall durch eine harte Steinwand gebremst. Nur mit äußerster Anstrengung konnte er sich auf seine Knien aufrappeln, doch sogleich war Loki wieder über ihn. Er setzte sein Minotaurusbein auf Sigmas Hinterkopf und drückte diesen mühelos wieder hinab auf den Boden:

“Ich sagte dir soeben, du sollest dich darauf besinnen mit wem du gerade sprichst. Oder irre ich mich da? Hast du denn in Utgard nicht gelernt, dass man Übergötter zu respektieren hat?“
 

Sigma konnte nichts erwidern, denn sein Kopf war brutal auf den Boden gepresst. Aus seiner Stirn floss warmes Blut in seine Nase, was ihm das Atmen wahrlich erschwerte. Röchelnd versuchte er seinen Kopf aus dieser misslichen Schaubstockhaltung zu befreien, doch diese Anstrengung war vergebens.

„Ich hatte nie vor, dich in meinen Zwist mit Odin einzubeziehen, doch da du jetzt für ihn die Drecksarbeit machst, war es für mich vorauszusehen, dass er dich auf diese Aufgabe ansetzen würde. Und wahrlich, er hätte keine bessere Wahl treffen können, denn nur du hast das Zeug diesen verdammten Hammer wiederzubeschaffen, ohne das die Götter Asgards gegen die Midgard Riesen in den Krieg ziehen müssen. Auch wenn das wohl früher oder später unabänderlich werden wird.“
 

Loki befreite Sigmas Kopf von seinem Fuß und zog ihn im nächsten Augenblick mühelos auf die Beine. Sigma funkelte Loki wild an, doch er war intelligent genug, um seiner Wut nicht noch einmal freien Lauf zu lassen. Er hatte wahrlich noch sehr viel zu lernen und als erstes hatte er zu lernen, wie er sein Temperament zügelte. Doch eigentlich war es zu erwarten gewesen, dass Loki ihn ohne Anstrengungen besiegen konnte, wenn er wollte. Sigma war vielleicht einer der stärksten Götter in Asgard, Utgard und Midgard, aber dennoch kam seine Macht nicht an die eines Übergottes heran. Zumindest noch nicht in diesem Stadium seines Lebens. Wäre er ein Mensch, dann wäre Sigma gerade einmal so alt wie ein Jüngling mit fünfzehn oder sechszehn Jahren.

In diesem Alter konnten Götter noch nicht auf dem Höhepunkt ihrer Macht stehen, selbst wenn sie noch so talentiert waren. Demütig kniete sich Sigma erneut vor den Übergott und presste widerwillig seine Worte hervor:

„Bitte verzeiht mein törichtes Handeln, mein Lord. Ich vergaß meine gute Erziehung. Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr mich für mein falsches Handeln bestrafen würdet.“

Loki lachte laut auf. „Hervorragend,“ sagte er noch immer halb lachend. „Wie viel Überwindung kostet es dich wohl, diese Worte auszusprechen?“

Wieder blitze Zorn in Sigmas Augen auf, doch diesmal blieb es Loki anscheinend verborgen oder er ignorierte es, doch Sigma hielt es dennoch für klüger nichts weiter darauf zu entgegnen.

„Was ist also euer Verlangen, in dieser Angelegenheit, mein Lord,“ fragte er stattdessen.

„Du meinst bezüglich des Hammers? Hol ihn dir zurück. Es ist mir egal, ob Odin seine mächtige Waffe wieder bekommt. Dies ist doch nur der Anfang eines wunderbaren Szenarios, welches ich im Begriff bin zu planen. Und selbst wenn du nichts mit unserem, wie pflegtest du doch so schön zu sagen – Brüderkonflikt – zu tun haben möchtest, du steckst bereits bis zum Hals mit drin. Es liegt jedoch an dir, auf welcher Seite du im entscheidenden Akt stehen wirst. Und nun entschuldige mich bitte, ich habe gewissen Pflichten gegenüber meiner angetrauten, töchterlichen Frau, denen ich nur zu gerne nachkomme. Wenn du weißt, was ich damit meine.“
 

Ohne auf weitere Worte Sigmas zu warten, verließ Loki die Empfangshalle von Asenyard und machte sich zurück auf den Weg nach Utgard.

Mjöllnir

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Pirotess

Sigma war heimgekehrt nach Asenyard. Es war zwar noch nicht viel Zeit vergangen, seitdem er von Walhalla hierher zurück gekommen war, aber dennoch machte ihm etwas zu schaffen. All seine Gedanken drehten sich nur um Mjöllnir. Er dachte an die ungeheure Macht, die in ihm schlummerte und nur darauf wartete, entfesselt zu werden. Dennoch wusste er, dass Thor der rechtmäßige und verdiente Besitzer des Hammers war. Und gleichzeitig wünschte er sich diese mächtige Waffe für sich allein. Unruhig durchschritt er sein Arbeitszimmer und überlegte, wie er dieses Problem lösen konnte, als es plötzlich an seiner Tür klopfte und seine Mutter eintrat.
 

„Hallo Liebling,“ begrüßte sie ihren Sohn herzlich und umarmte ihn sogleich. „Wie war deine Mission für Odin?“

„Was glaubst du denn, Mutter,“ fragte Sigma, sie schelmisch angrinsend.

„Das dachte ich mir schon. Dennoch versteh ich nicht, weswegen du so aufgewühlt bist, mein Lieber.“
 

Sigma war nicht sonderlich erstaunt über die Erkenntnis seiner Mutter. Sie kannte ihn besser als jede andere Person es tat. Sie beide verband ein unsichtbares Band. Jeder von ihnen beiden wusste, wie es dem Anderen gerade erging, selbst wenn sich Einer von ihnen nicht in der Nähe befand. Irgendwie wussten sie es trotzdem.
 

„Ich hatte keine Probleme damit, dem Riesenkönig Mjöllnir zu entwenden. Im Gegenteil, es war beinahe ein Kinderspiel,“ antwortete Sigma.

„Aber...,“ hinterfragte seine Mutter.

„Aber mir geht dieser verdammte Hammer einfach nicht mehr aus dem Kopf. Mutter, als ich ihn berührt habe, da durchströmte mich seine Macht. Ich fühlte mich unbesiegbar. Es war, als würde er zu mir und nicht zu Thor gehören.“

„Das ist nur der Fluch, welcher auf dem Hammer lastet, mein Sohn.“

„Ich weiß,“ unterbrach Sigma seine Mutter. „Den Fluch habe ich ja auch schon besiegt. Es ist nur dieses Gefühl der Macht, ~ Ich wünschte mir, dass ich eine ebenso mächtige Waffe mein Eigen nennen könnte. Ich glaube Mjöllnir ist nur ein Vorwand für diesen Wunsch.“

„Und weswegen erfüllst du dir diesen Wunsch nicht,“ fragte die Walküre lächelnd.

„Es gibt nicht sehr viele dieser mächtigen Waffen, Mutter,“ antwortete Sigma ungehalten. „Und selbst wenn, sie sind nicht das was ich will. Ich will eine Waffe, die nur für mich gefertigt wurde.“

„Dann schmiede dir eine.“

„Du verstehst nicht. Ich könnte mir jeder Zeit eine beliebige Waffe schmieden, aber eine Waffe, welche mindestens so mächtig ist wie Mjöllnir, könnte ich selbst, auch wenn ich es noch so sehr wollte, nicht schmieden. Und ich wüsste auch niemanden, der zu solch einer Meisterleistung fähig wäre.“

„Dann frag doch Thor, wer seine Waffe geschmiedet hat,“ warf die Walküre immer noch lächelnd ein.

„Nein, wenn ich sie vom selben Schmied schmieden lassen würde, dann wäre sie vielleicht nur ein billiges Abbild von Mjöllnir. Aber das möchte ich nicht. Ich möchte eine einzigartige Waffe schmieden lassen. Eine, dessen Macht durch die Fähigkeiten seiner Träger bestimmt wird. Sie sollte sich immer weiter entwickeln können, so dass sie zur mächtigsten aller Waffen werden könnte, sofern ihr jeweiliger Träger das nötige Potential dazu hat.“

„Das ist ein guter Gedanke. Dadurch wäre diese Waffe noch mächtiger als selbst Mjöllnir. Ich denke, ich kann dir vielleicht dabei helfen, deinen Wunsch zu erfüllen.“
 

Nun blickte Sigma seine Mutter verstört an:

„Wie meinst du das? Kennst du etwa jemanden, der mir eine solche Waffe herstellen könnte?“

„Nein,“ antwortete seine Mutter wieder lächelnd. „Aber ich weiß jemanden, der dir beibringen könnte, wie du dir eine solche Waffe schmiedest.“

„Ach Mutter, hast du mir denn nicht zugehört? Ich sagte doch eben das ich niemals über solche Kräfte verfüge, um eine solch mächtige Waffe zu schmieden.“

„Unterschätze nicht deine Fähigkeiten, Sigma,“ ermahnte ihn Kara ernst. „Du bist zu weitaus mehr im Stande, als du dir zutraust. Nun, wie sieht es also in dir aus? Wünscht du, dass ich dir die Person nenne, die dir beim Erlernen dieser Fähigkeit hilft, oder wünschst du es nicht?“

„Was ist denn das für eine Frage,“ beklagte sich Sigma ärgerlich. „Natürlich möchte ich es wissen!“

„Dann geh hinab nach Midgard und suche den Mythrilwald auf. Darin wirst du den Dunkelelben des Waldes begegnen. Unter ihnen gibt es eine junge Elbin, welche du aufsuchen musst. Ihr Name ist Pirotess. Sie ist die Meisterin aller Schmiedekunst. Wenn jemand dir das Geheimnis des Schmiedens einer solchen Waffe verraten kann, dann ist sie es.“

„Warum sollte eine Elbin die Meisterin der Schmiedekunst sein? Lebte ich doch bisher in dem Glauben, dass dieser Titel den Zwergen gebühre. Und wenn sie wirklich die Meisterin ist, warum kann sie mir dann nicht auch gleich die Waffe schmieden?“

„Das musst du sie schon selber fragen,“ sagte seine Mutter lächelnd und verließ darauf den Raum.
 


 

Innerhalb weniger Tage betrat der junge Sigma erneut die Brücke Bifröst, um nach Midgard zu reisen. Heimdal hatte sich provokativ in dessen Weg gestellt. Diesmal würde der junge Herr mit ihm reden müssen. Egal ob er es wollte oder nicht. Als Sigma direkt vor Heimdal sein Pferd Pegasus anhielt, grinste Heimdal freudig.
 

„Wohin des Weges, junger Herr,“ fragte dieser Sigma.

„Was glaubt ihr denn wohin ich will, wenn ich hier bin?“
 

Heimdals Grinsen erlosch. Welch eine unverschämte Antwort ihm dieser Junge doch gegeben hatte. Einfach unerhört.
 

„Und was ist der Zweck eures Besuches auf Midgard,“ fragte er ein wenig mürrisch.

„Ich mache Urlaub,“ erwiderte Sigma genervt.

„Urlaub? Auf Midgard? Ihr denkt wohl ihr könnt mir einen Bären aufbinden,“ erwiderte Heimdal.

„Mir ist nicht bekannt, dass ich euch jedes Mal Rechenschaft bezüglich meiner Absichten ablegen muss, bevor ich nach Midgard reise.“

„Weiß der mächtige Odin über eure Reise bescheid?“

„Warum sollte er,“ fragte Sigma etwas trotzig. „Ich bin auch ihm keine Rechenschaft schuldig.“

„Aber ihr steht als oberster Kriegsgott unter Odins direkten Befehl. Was ist, wenn ein Krieg ausbricht, während eurer Abwesenheit?“

„Warum sollte einer ausbrechen? Plant ihr etwa einen?“
 

Heimdal blickte Sigma, nach dieser frechen Gegenfrage, verdutzt an. Wie konnte dieser Junge es wagen ihn so zu beleidigen? Wüsste er denn nicht wie viel Einfluss er bei Odin hatte? Nur ein Wort von ihm und dieser Sigma würde seine Mahlzeiten wieder in Utgard zu sich nehmen, statt am Tisch von Odin!
 

„Außerdem,“ fügte Sigma zu seinem letzten Satz hinzu. „Thor ist wieder im Besitz Mjöllnirs und somit kann er mich für eine Weile vertreten. Und nun geht mir endlich aus dem Weg, Brückenwächter!“
 

Sigma setzte, ohne Heimdals Antwort abzuwarten, Pegasus in Gang und ritt an ihm vorbei. Cerberus und Garm trotteten ihrem Herren treu hinten drein, doch irgendwie glaube Heimdal in ihren Augen ein schelmisches Lachen erkennen zu können. Erneut konnte Heimdal nur hinter Sigma hinterher schauen ohne ihm eine Information entlockt zu haben. So langsam entwickelte Heimdal eine Abneigung gegen diesen frechen, jungen Kriegsgott.
 


 

Für die Menschen in Midgard waren die Flügel, die aus Pegasus’ Rücken wuchsen, unsichtbar. Ebenso war es das Horn auf seiner Stirn. Für einfache Menschen, war Pegasus nur ein einfacher, weißer, wenn auch prächtiger Schimmel. In Sigma sahen sie auch nicht einen Gott, sondern einfach nur einen sehr großen und starken Krieger, der auf seinem Pferd erstaunlich schnell über das Land von Midgard ritt. Allerdings war es selbst für Menschen ein seltsamer Anblick, wenn zwei Pferdegroße Hunde dem Krieger und dessen Ross folgten. Und noch verrückter erschien es ihnen, als sie sahen, wie abstoßend der eine Hund war. Aber trotz allem, war es für Sigma einfach sich unter den Menschen zu bewegen. Niemand ahnte auch nur, dass Sigma eben dieser Kriegsgott war, welcher auf Midgard von vielen Menschen hoch verehrt wurde.
 

Schon nach wenigen Stunden hatte Sigma den Mythrilwald erreicht. Nun stand er vor dessen Eingang. Mit einem einzigen Satz war er von Pegasus’ Rücken gesprungen und betrachtete gedankenverloren den finsteren Pfad, der in den Wald hineinführte. Der Mythrilwald war durchaus kein normaler Wald. Er wurde von jedem menschlichen Wesen auf Midgard gemieden, denn sie glaubten daran, dass sich darin die verlorenen Seelen lebten, welche nicht von den Totenwählerinnen zu Ulls hohes Göttergericht gebracht wurden. Allerdings wusste Sigma ganz genau, dass diese Legende nicht wahr war, da jede Seele vor Ulls Gericht geführt wurde.
 

Dennoch musste Sigma durchaus zugeben, dass der Wald, selbst von außen, einen unheimlichen Eindruck machte, mit seinen düsteren, stark verästelten und scheinbar toten Bäumen, die praktisch kein Sonnenlicht in den Wald ließen. Kein Vogelzwitschern war zu hören. Auch war kein anderes Tier darin zu sehen.

Sigma ergriff die seidenen Zügel Pegasus’ und führte diesen, flankiert von Garm und Cerberus in den Wald hinein. Langsam und darauf bedacht kein Geräusch von sich zu geben, schritten die Vier den Waldpfad entlang. Schon nach wenigen Schritten standen sie vor einem mächtigen Obelisk, welcher zwischen vier ebenso hohen Celedornbäumen stand. Auf der Steinfläche des Obelisken standen elbische Buchstaben geschrieben. Da Sigma sein Leben lang versucht hatte sein Wissen zu schulen und dafür auch Tausende elbische Bücher lesen musste, hatte dieser keine Probleme die Inschrift des Oberlisten zu lesen. Die Inschrift besagte:
 

„Der Pfad der Dunkelheit führt ins unendliche Nichts. Nur ein Wissender kann den Pfad des Lichtes beschreiten.“
 

Sigma dachte nicht länger über diese verwirrenden Worte nach, denn er war eindeutig ein Wissender und so folgte er weiterhin dem Weg, auf dem er gekommen war.
 

Nach vielen Tausend Metern kam er erneut an einem Obelisken, eingeschlossen von vier Celedornbäumen, vorbei, auf dem der gleiche Spruch eingemeißelt stand. Verwundert setzte Sigma seinen Weg fort. Nachdem er ein drittes mal an einem Obelisken vorbei kam, der den Ersten ebenso gleichte wie der Zweite es getan hatte, beschloss Sigma von dem Waldweg hinunter zu gehen und sich seinen Weg querfeldein durch den Mythrilwald zu suchen. Dieser Weg stellte sich als schwieriger vor, als Sigma es erwartet hatte. Der Boden des Waldes war überseht von Waldbeerensträuchern, welche gespickt waren mit winzigen Dornen, die sich in das Fleisch von Sigmas Knöcheln verfingen und die beiden Hunde, Garm und Cerberus, nicht nur einmal vor Schmerzen aufheulen ließen.
 

Nach etlichen Stunden kamen die vier Gefährten an einen alten, vermoderten See, welcher eigentlich mehr einem Moor glich. Da dieser See jedoch unendlich groß zu sein schien und es für Sigma ausgeschlossen war, diesen zu umgehen oder ihn auf Pegasus’ Rücken zu überqueren, beschloss Sigma sich seinen Weg durch das sumpfige Wasser zu bahnen. Sehr vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen durch das flache, aber matschige Gewässer. Nachdem er sichergestellt hatte, dass er nicht in dem Sumpf einsank, ließ er Pegasus und die beiden Hunde nachkommen. Schritt für Schritt tasteten sich die Vier durch das flache Wasser des Sees. Jedoch je näher sie der Mitte des Sees kamen, desto tiefer wurde das Wasser. So kam es, dass Sigma alsbald bis zum Oberkörper im Schlamm steckte und nur noch sehr mühsam voran kam. Verschlimmernd kam hinzu, dass Pegasus mit seinen dünnen Gelenken fast bei jedem Schritt im Schlamm stecken blieb. Dann mussten Sigma, Garm und Cerberus ihre ganzen Kräfte dazu aufbringen, um das Pferd aus dem Schlamm zu zerren und schieben. Dies war äußerst Kräfteraubend für die Gefährten.
 

Nachdem das Zentrum des Sees überwunden war, wurde ihr Weg wieder etwas leichter. Pegasus konnte nun wieder selbstständig durch das sumpfige Wasser waten. Dennoch waren alle vier sehr erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. Als Garm nun hinter den anderen dreien hinterer lief, trat er unbewusst auf eine, sich unter Wasser befindliche, Gasblase und versank rasend schnell im schlammigen Grund des Sees. Durch die fiependen Geräusche seines Hundes alarmiert drehte sich Sigma zu Garm herum. Und nicht zu spät, denn er konnte gerade noch erkennen, wie Garms Kopf unter Wasser verschwand. So schnell wie es ihm nur möglich war, lief Sigma zu der Stelle, an der Garm versunken war. Ohne zu zögern, tauchte Sigma in das dreckige Wasser, um unter der Oberfläche nach seinem treuen Freund zu suchen. Auch Cerberus war herbei geeilt, doch da dieser nicht unter Wasser tauchen konnte, wartete er darauf, dass sein Herrchen wieder auftauchte.
 

Eine erschreckend lange Zeit über geschah rein gar nichts. Dann tauchten an der Wasseroberfläche Bläschen auf und wenige Augenblicke später erschien Garms Kopf. Rasend schnell packten Cerberus’ Zähne nach Garms' Fell und verbissen sich darin. Der Hund gab bei den Bissen keinen Laut von sich, da er bewusstlos zu sein schien. Kaum einen Augenblick später tauchte auch Sigma wieder auf. Schnell griffen seine Arme um den riesigen Körper Garms’, um dessen Kopf über Wasser zu halten. Gemeinsam mit Cerberus zogen sie Garm mit ihren letzten Kraftreserven an das andere Ufer des Sees, an dem bereits Pegasus aufgeregt auf sie wartete.
 

Cerberus ließ Garm im selben Moment los, in dem Sigma es auch tat. Unsanft schlug der leblose Körper des Hundes auf dem harten Waldboden auf. Immer noch zeigte sich in Garms Körper keine Regung. Als Sigma seine Hand über den Körper des Tieres strich, bemerkte dieser, dass Garm nicht mehr atmete. Mit großer Anstrengung drehte Sigma seinen Hund auf den Rücken und schlug daraufhin etliche Male, mit enormer Wucht, auf die Lungen des Tieres. Als sich keine Veränderung seines Zustandes einstellen wollte, ging Sigma sogar zu Mund – zu – Mund – Beatmung über.
 

Plötzlich schmeckte Sigma, wie ihm aus Garms Mund ein gewaltiger Schwapp schlammiges Wasser entgegen kam und als Sigma seinen Mund von dem Hund entfernte, sprudelte das Wasser ungehindert aus den Lungen des Tieres. Augenblicke später war Garm wieder bei Bewusstsein und versuchte röchelnd nach Luft zu schnappen. Erleichtert umschlang Sigma dessen Hals vor Freude. Sein Hund war gerettet.
 


 

Schon bald standen Sigma und seine drei tierischen Freunde vor dem nächsten großen Problem, das ihre Reise behindern sollte: ein riesiges Gebirge. Zwar würde Sigma dieses Mal auf Pegasus’ Rücken dieses Hindernis überwinden können, doch seine beiden Hunde wären dann, bei den Gefahren des Bergaufstieges, auf sich selbst gestellt. Nach dem letzten Ereignis jedoch, kam es für Sigma nicht in Frage seine Tiere sich selbst zu überlassen. Und so machte er sich gemeinsam mit den beiden Hunden daran, das Gebirge zu erklimmen, während Pegasus so langsam, wie es ihm möglich war, neben ihnen her flog, um aus der Luft den besten Weg ausfindig machen zu können, für seinen Besitzer und dessen Hunde.
 

Die Wand des Berges, den sie erklommen, war enorm steil und bestückt mit spitzkantigen Steinen und glatten Felsen. Sigma hatte um die Körper von Garm und Cerberus ein Hanfseil geknüpft und sich dessen Ende selber um die Hüfte geschnürt. Größenteils zog er die beiden Hunde mehr hinter sich her, als das sich die Hunde selber hinauf halfen. Denn ihre Krallen fanden auf dem glatten Untergrund keinen halt und ihre Pfoten wurden von den spitzkantigen Steinen aufgerissen. Dieser Vorgang nahm Sigma eine riesige Menge seiner Kraft und schon bald war es für ihn sogar zu schwer, seine eigene Körperlast nach oben zu befördern. Erschöpft blieb er auf einem Felsenvorsprung liegen und wartete, bis seine beiden Hunde ebenfalls auf dem selbigen angekommen waren.
 

Sigma wusste, dass sie den Aufstieg niemals schaffen würden, wenn sie so weiter machten, wie bislang. Denn der Fels schien kein Ende nehmen zu wollen. Doch ihm war bereits eine Lösung, für dieses Problem, eingefallen. Er hievte Garm auf den Rücken von Pegasus, welcher unter der Last des Riesenhundes merklich litt, und schnürte den Hund mit den Seilen fest auf den Rücken. Dann gab er dem fliegenden Pferd die entsprechende Anweisung und sah zu, wie es mit dem Hund auf dem Rücken den Gipfel anflog. Oben angekommen durchtrennte Pegasus mit seinem Horn das Seil und Garm sprang von dessen Rücken. Sogleich machte sich das Pferd wieder auf den Weg hinab zu Sigma und Cerberus. Sigma wiederholte die Prozedur mit dem zweiten Hund und blickte auch diesmal den Beiden nach, bis diese den Gipfel erreicht hatten. Jedoch als selbst nach mehreren Minuten des Wartens Pegasus noch nicht am Himmel zu sehen war, machte sich Sigma selber auf den Weg, den Gipfel zu ersteigen.
 

Ohne die beiden Riesenhunde als Ballast ging der Aufstieg wesentlich schneller voran, aber nicht unbedingt einfacher. Die schafkantigen Steine schnitten sich teilweise sehr tief in das Fleisch des Kriegsgottes. Diese Wunden brannten wie Feuer unter jeder neuen Bewegung, die er tat. Das herausfließende Blut machte Sigmas Hände rutschig. Nicht nur einmal wäre er fast in den Tod gestürzt, als er von einem Fels abrutschte und somit seinen Halt verlor. Aber irgendwie konnte er sich immer wieder fangen und den endgültigen Sturz verhindern. Dann erreichte er einen Felsüberstand, der ihn zwang in einem 90° Winkel Kopf über zu klettern. Durch diese unmenschliche Anstrengung passierte Sigma ein folgeschwerer Fehler. Er rutschte von einem Felsen ab und fiel in die bodenlose Tiefe hinab.

Der Boden kam erstaunlich schnell näher. Sein Ende war gekommen. Sigma hatte immer gehofft in einem Kämpf zu sterben, wie es sich für einen Kriegsgott gehörte, aber dieser Wunsch schien ihm verwehrt zu bleiben. Sein Schicksal erwartend und nur noch wenige Meter vom Boden entfernt, an dem sein Körper zerschellen würde, schloss Sigma seine Augen.
 

Der Aufprall kam und war erstaunlich sanft. Und als er seine Augen wieder öffnete, befand er sich auf dem weichen Rücken seines geflügelten Pferdes, welches ihn sicher wieder hinauf in die Höhen brachte. Den nächsten Boden, den Sigma berührte, war der, welcher sich auf der anderen Seite des Gebirges befand, auf welcher bereits ebenfalls Garm und Cerberus sich befanden, die anscheinend ohne Mühe den Abstieg geschafft hatten.
 

Auf diesem sicheren Untergrund stehend, entdeckte er auch, weswegen Pegasus zunächst nicht wieder zu Sigma hinab auf den Felsvorsprung zurückgekommen war. Der linke Flügel des Pferdes war angerissen und in einem tiefroten, blutigen Farbton getränkt. Anscheinend hatte es sich, während er Cerberus nach oben geflogen hatte, an seinem Flügel verletzt. Und trotz dieser schweren Verletzung hatte das Tier keine Minute lang gezögert, sich für seinen Besitzer in die Tief zu stürzen und sogar damit sein eigenes Leben zu gefährden, nur um Sigma zu retten. Nachdem Sigma den Flügel ausgiebig untersucht hatte, bemerkte er zwar, dass diese Wunde behandelt werden musste, aber dass sie sich bereits geschlossen hatte und somit im Augenblick keine Gefahr für die Fortsetzung ihrer Reise bedeutete.
 


 

Nachdem sie viele weitere Stunden durch den finsteren, scheinbar nicht enden wollenden Wald, gelaufen waren, entdeckte Sigma endlich einen Lichtschimmer vor sich. Voller Vorfreude lief er immer schneller werdend darauf zu. Und dann war er endlich da. Sein Herz schlug vor lauter Aufregung rasend schnell. Er durchlief die Öffnung zwischen den Bäumen und blieb kurz darauf stehe. Er drehte sich zweimal um seine eigene Achse. Er war wieder da, wo alles begonnen hatte. Er befand sich wieder vor dem selben Eingang des Waldes, an dem er diesen betreten hatte.
 

Enttäuscht und verwirrt zu gleich ließ er sich vor dem Eingang des Mythrilwaldes auf den Boden sinken. All die Anstrengungen diesen verfluchten Wald zu durchqueren waren umsonst gewesen. All die Anstrengungen, die er und seine Tiere hatten durchleben müssen, waren ebenfalls umsonst. Er hatte sie wieder zum Eingang geführt und das obwohl Sigma mit hundert prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen konnte, dass er sich immer direkt in die entgegengesetzte Himmelsrichtung des Einganges bewegt hatte. Wie konnte das nur passiert sein? Sollte er sich so sehr verlaufen haben?
 

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Es war schon dunkel, als Sigma und seine Tiere sich erneut auf den verfluchten Waldweg begaben, um noch einmal ihr Glück zu versuchen. Wieder kamen sie an den ersten drei Oberlisten vorbei, aber diesmal blieb Sigma auf dem finsteren Waldweg. Er beschloss diesem Labyrinth so lange zu folgen, bis er den Ausweg fand. Selbst wenn es sein halbes Leben dauernd würde. Und so lief er geschlagene zwei Tage den Waldweg entlang. Immer wieder kam er an der selben Celedornbaum – Kombination mit dem, sich in deren Zentrum befindlichen, Oberlisten.
 

Sigma wusste nicht, wie viele der Oberlisten es gewesen waren, die sie passiert hatten, aber das spielte auch nicht länger eine Rolle. Sigma hatte resigniert festgestellt, dass es für ihn keinen Weg durch diesen Wald gab. Sein Proviant ging ihm allmählich aus, seine Tiere und er waren müde und am Ende ihrer Kräfte angelangt. Schließlich fasste er den endgültigen Entschluss seine Suche abzubrechen und nach Asgard zurück zu kehren. Als er dann nach wenigen Schritten Richtung Eingang gegangen war, konnte er kaum glauben, was er vor sich sah: Eben jenen Eingang! Das konnte doch nicht wahr sein! Er war geschlagene zwei Tage lang durch diesen Wald marschiert und nun brauchte er nicht einmal wenige Minuten, um wieder an der Stelle zu sein, an dem er den Wald betreten hatte?
 

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit diesem verdammten Wald. Es musste eine Art Zauber auf ihm liegen, der jeden, der ungebeten den Wald betrat davor hindern sollte, sein Geheimnis zu lüften. Aber was war der Trick an diesem Zauber? Und wie konnte Sigma ihn durchbrechen? Gedankenverloren setzte sich Sigma an einem der Vierer – Celedornbaumgruppe . Garm und Cerberus legten sich schwer hechelnd zu seinen Füßen, um ein wenig auszuruhen. Auch Pegasus legte sich umständlich in das feuchte Gras und döste sogleich ein. Angestrengt überlegte Sigma, wie die Lösung für sein Problem wohl lauten konnte. Doch ihm fiel und fiel nichts ein. Geistesabwesend beobachtet er, wie die goldenen Blätter der Celedornbäume von den Ästen hinunter auf den Oberlisten fielen und dann verschwanden. Der Anblick war einfach wunderschön. Diese vier Bäume waren vermutlich die einzigsten Bäume in diesem Wald, die noch Blätter trugen und ...
 

Moment mal, die Blätter fielen auf den Oberlisten herab und verschwanden dann? Sigma sprang so schnell auf, dass sich die drei eingedösten Tiere furchtbar erschreckten. Garm sprang sogar auf und knurrte böse, da er glaubte, dass Sigma einen Feind entdeckt hatte. Doch als er bemerkte, dass sich niemand anderes als die vier Gefährten in der Umgebung befanden, blickte er Sigma, ebenso verstört wie die beiden anderen Tiere, an. Sigma lief ungeachtet Garms geknurre zum Oberlisten.

Er blieb wenige Schritte davon entfernt stehen und beobachtete nun erneut, wie eines der Celedornblätter auf den Oberlisten schwebte und damit förmlich verschmolz, bevor es dann gar nicht mehr zu sehen war. Ungläubig ging Sigma noch näher an den Oberlisten heran und streckte vorsichtig seine Hand danach aus. Er machte sich darauf gefasst, den kalten Stein zu berühren, doch seine ausgestreckten Finger durchglitten den Stein, als wäre er nicht existent.
 

Dafür breitete sich ein angenehmes Prickeln in Sigmas Hand aus. Hastig zog er seine Hand wieder zurück. Alles war noch dran und er hatte auch keine Verletzungen dadurch ertragen. Ungläubig streckte er nun erneut seine Hand aus und steckte seinen ganzen Arm durch den Oberlisten und zog diesen nach wenigen Sekunden, wieder unversehrt, hinaus. Dann fasste Sigma Mut und trat völlig durch den Oberlisten hindurch. Garm, Cerberus und Pegasus hatten sich nun endgültig erhoben und hatten sich ebenfalls dem Oberlisten genähert. Ungeduldig und leicht verwirrt beobachteten sie die glatte Oberfläche des Oberlisten, durch die soeben ihr Herrchen verschwunden war. Zentimeter für Zentimeter schritt Cerberus näher an den Oberlisten heran, um dann blitzschnell und erschrocken wieder zurück zu springen, da in diesem Augenblick Sigma wieder daraus auftauchte. Ihr schien nichts zu fehlen.
 

„Kommt, meine Freunde,“ sagte Sigma aufgeregt. „Ich denke wir haben das Ziel unserer Reise entdeckt!“
 

Ohne länger zu zögern durchschritt Sigma erneut den Oberlisten und einige Sekunden später taten es auch seine Tiere ihm gleich.
 

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Das Bild, was sich ihnen bot, war das komplette Gegenteil, von dem, was sie bislang gesehen hatten. Anstatt eines kahlen, toten Waldes offenbarte sich dieser nun in seiner schönsten Form vor ihnen. Überall standen, reich an ihren goldenen Blättern, Celedornbäume umher. Das Gras war grün und es duftete nach frischen Pilzen. Die Vögel zwitscherten fröhlich und neugierige Rehe beäugten Sigma und seine drei Freunde. Ein Wolfrudel zog ohne scheu an den Vier vorbei.

Nachdem das seltsame Gespann einige Minuten durch den wunderschönen Wald gewandert waren, erblickten sich auch schon die Mauern der Stadt der Elben, Evangeline. An dessen Stadtportal standen zwei stattlichen Dunkelelben, die diesen Zugang vor ungebetenen Gästen bewachten. Sigma sprang direkt vor den Füßen der Wächter von Pegasus’ Rücken hernieder. Die Wachen zeigten keinerlei Regung in Mimik oder Gestik. Sie standen einfach nur reglos da und blickten Sigma kühl an.
 

„Bitte entschuldigt, dass ich hier ohne vorherige Ankündigung auftauche, aber ich bin auf der Suche nach jemanden. Sie soll unter eurem Volk leben. Ihr Name ist Pirotess.“
 

Die beiden Wachen gaben weiterhin keinerlei Reaktionen von sich. Sigmas Geduld wurde dadurch auf eine sehr harte Probe gestellt.
 

„Habe ich die Erlaubnis eure Stadt zu betreten,“ fragte Sigma höflich. Doch wieder bekam er keine Antwort. Allmählich wurde Sigma wütend.

„Ich verlange den sofortigen Eintritt in Evangeline, sonst kann ich nicht länger für eure Sicherheit garantieren! Geht mir augenblicklich aus dem Weg!“
 

Doch als die Wachen sich immer noch nicht regten, war Sigmas Geduld endgültig am Ende. Wie konnten diese nichtsnutzigen Elben es nur wagen dem allmächtigen Kriegsgott Sigma keinen Einlass zu gewähren? Aber sie hatten es ja nicht anders gewollt. Nun würde er Gewalt anwenden. Auch Garm und Cerberus spannten sich und machten sich für einen Kampf bereit. Sie spürten den bevorstehenden Kampf ganz instinktiv. Doch im selben Moment, in dem Sigma zum Angriff ansetzen wollte, öffnete sich das Stadtportal und ein hochgewachsener Elbe in feinen braunen Gewändern und mit bodenlangen schwarzen Haaren trat heraus.
 

„Genug, Kriegsgott. Wir haben eure Forderung sehr wohl vernommen. Bitte bewahrt euch den Anstand, der eines wahren Gottes würdig ist. Zwar sind wir ebenfalls ein kriegerisches Volk, aber dennoch sympathisieren wir keineswegs mit der Gewalt. Sie ist für uns nur ein Mittel zum Überleben, nicht um Macht zu demonstrieren.“

„Bitten entschuldigt meine Ungestümheit. Ich befürchtete, dass man mich absichtlich ignorierte, daraus entwickelte sich dann mein Zorn. Es ist wahrlich eine lästige Eigenschaft an mir, jedoch macht sie auch einen Teil meiner Persönlichkeit aus,“ entschuldigte sich Sigma aufrichtig bei dem Dunkelelben und fuhr dann fort: „Wie ich bemerkt habe, seid ihr bereits über meine Person informiert. Ich wünschte ich könnte das gleiche von mir behaupten. Dürfte ich vielleicht erfahren mit wem ich die Ehre habe, mich zu unterhalten?“

„Selbstverständlich, junger Herr. Mein Name lautet in eurer Sprache Draven. Ich bin das Oberhaupt meines Volkes. Ich beobachte euch schon seitdem ihr in diesen Wald eingedrungen seid. Ich bin äußerst beeindruckt von eurem Überlebenswillen und von dem Mut, den ihr auf diesem Weg aufgebracht habt. Ihr habt selbst eurer Leben für das Leben eurer Tiere aufs Spiel gesetzt. Das ist eine sehr bewundernswerte Eigenschaft an euch, Lord Sigma. Das die Wachen euch nicht schon eher eingelassen haben bitte ich zu entschuldigen, jedoch lautet ihr Befehl niemanden das Portal durchschreiten zu lassen, der nicht von unserem Volk ist. Noch nie hat eine andere Rasse Evangeline betreten dürfen. Auch euch soll dies verwehrt bleiben, auch wenn ich dies nur mit großen Bedauern euch verkünden muss. Doch der Rat der Dunkelelben hat dies einst beschlossen und auch ich kann mich nicht über diesen Beschluss stellen. Ich hoffe deshalb auf euer Verständnis.“

„Meister Draven, ich akzeptiere eure Regeln und Traditionen, doch ich kann diese Entscheidung leider nicht akzeptieren. Ich habe nicht all die Mühen und Anstrengungen hierzu kommen unternommen, um dann am Stadtportal meines Zieles abgewiesen zu werden. Ich bitte euch inständig, Meister Draven, ich muss dringend Mistress Pirotess treffen.“

„Mistress Pirotess? Das tut mir leid sie befindet sich im Augenblick nicht in Evangeline. Doch selbst wenn sie hier wäre, würde ich euch nicht zu ihr lassen können, aus den schon genannten Gründen,“ antwortete Draven mit einem seltsamen Unterton in seiner Stimme.

„Ich glaube euch nicht, Meister Draven. Ihr verheimlicht etwas vor mir. Ich verlange augenblicklich Mistress Pirotess zu sehen. Ich rate euch dringend mir meine Wünsche nicht zu verwehren,“ drohte Sigma grimmig.

„Mit solchen Drohungen kommt ihr bei uns nicht weiter,“ sagte Draven ruhig. „Wir wissen sehr wohl um eure Macht, aber unsere Stadt ist mit einer Vielzahl von magischen Barrieren vor tätlichen Angriffen, seien sie nur körperlicher oder magischer Natur, geschützt. Selbst der größte aller Götter, Odin, könnte hier nicht eindringen.“

„Ich würde mich an eurer Stelle nicht zu sicher fühlen!“

„Ihr überschätzt eure Macht, werter Sigma. Wir leben schon seit Anbeginn der Menschheit auf Midgard. Unser Wissen über Magie übertrifft das eurige bei weitem. Doch ich bin nicht auf einen Streit mit euch aus.“

„Dann gebt mir, was ich von euch verlange,“ schrie Sigma zornig.

„Euer aufbrausendes Temperament ist in der Tat ein gewaltiges Problem. Habt ihr schon einmal daran gedacht euch in Geduld zu üben,“ neckte Draven den erbosten Kriegsgott weiter.

„Ihr wagt es mich zu belehren? Ich wünsche Augenblicklich zu Pirotess zuführt zu werden, ansonsten machen ich Evangeline dem Erdboden gleich, selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue,“ versprach Sigma.

„Ungeachtet eurer sinnlosen Drohung, habe ich beschlossen, dass es vielleicht doch ganz gut für eure weitere Entwicklung wäre, wenn ich euch verraten würde, wo ihr Mistress Pirotess ausfindig machen könnt,“ versuchte Draven den wütenden Sigma zu besänftigen. „Aber wie schon gesagt, Kriegsgott. Sie befindet sich nicht in unserer Stadt. Sie ist eigentlich so gut wie nie in Evangeline anzutreffen, denn sie hat sich freiwillig ins Exil verbannt.“

„Weshalb sollte sie so etwas törichtes tun,“ fragte Sigma nun wieder erheblich ruhiger.

„Die Aufgabe euch dies zu erklären obliegt nicht meiner Person. Aber vielleicht beantwortet euch Mistress Pirotess diese Frage eines Tages. Doch ich befürchte dafür müsst ihr mehr tun, als nur eure Geduld zu schulen.“ Draven lächelte den verdutzt schauenden Sigma wissend an, dann sagte er:

„Du wirst Mistress Pirotess ein wenig tiefer in diesem Wald finden. Sie hat sich eine Hütte gebaut, die man eigentlich nicht übersehen kann. Diese Hütte befindet sich im Zentrum des Friedhofes unseres Volkes, welcher sich nördlich von hier befindet. Ich wünsche euch viel Glück für eure Mission. Ich glaube ihr könnt dieses von nun an sehr gut gebrauchen.“
 

Sigma starrte Draven verwirrt an, doch er erwiderte keine direkte Antwort darauf, sondern bedankte sich stattdessen nur sehr höflich bei dem Oberhaupt der Elben und entschuldigte sich für sein ungestümes Verhalten zuvor. Dann setzte er seine Suche nach Pirotess fort.
 

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Immer den Weg nach Norden folgend, erreichte er tatsächlich sehr schnell und erstaunlich unkompliziert den Friedhof der Elben. Die Grenze dieses heiligen Ortes bildeten riesige Celedornbäume, die sich kreisförmig um den gesamten Friedhof schlossen. Zusätzlich wuchsen Efeuhecken zwischen diesen Bäumen und formten damit eine Art Zaun. Die Grabsteine waren nicht besonders riesig, aber dennoch einmalig auf Midgard, denn sie bestanden teilweise nur aus Edelsteinen. Viele dieser Edelsteinen waren zu winzigen kleinen Figuren gehauen worden, die mythische oder irdische Wesen darstellten.
 

Überall auf den Gräbern waren wunderschöne Blumen gepflanzt, die in ihrer vollen Pracht blühten. Anscheinend genossen sie eine hervorragende Pflege. Das Zentrum des Friedhofes bildete ein riesiger trapezförmiger Marmorblock. Dieser war im Vergleich zu den anderen Grabsteinen eher Schmucklos, dennoch war er einmalig. Über diesem Marmorblock lag eine ebenso riesige, ebenfalls aus Marmor gehauene Elbin. Ihr Gesicht konnte man nicht erkennen, da ihre langen Harre dieses versteckten. Sie lag mit leicht verschränkten Armen über dem Marmorblock, als würde sie über diesem Grabstein weinen und trauern. Auf ihrem Rücken prangten gewaltige Engelsflügel, die den Grabstein seitlich schützend umschlossen. Unter ihrem rechten Arm, welcher leicht über den äußeren Rand des Marmorblockes hing, befand sich eine wunderschön verzierte Tür, die von zwei blauflammenden Fackeln beleuchtet wurde. Dies war das Exil, in das sich Pirotess, aus unbekannten Gründen, zurück gezogen hatte.
 

Sigma ließ Pegasus, Garm und Cerberus vor der natürlichen Friedhofsmauer warten und begab sich somit allein zu Pirotess’ Tür. Als er direkt davor stand und sich gerade bemerkbar machen wollte, öffnete sich diese wie von Zauberhand allein. Nachdem Sigma diese erste Verwirrung überwunden hatte, betrat er dieses ungewöhnliche Haus. Darin war es zunächst sehr dunkel. Als seine Augen sich endlich an die neue Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er, dass auch hier diese mysteriösen blauen Fackeln für Licht sorgten, wenn auch nur für wenig.
 

Im Zentrum des Raumes stand ein riesiger, aus Naturstein bestehender Sarg. Dieser war herrlich verziert mit alten elbischen Runen und Naturzeichnungen. Auf dem Sargdeckel stand in goldenen Buchstaben das Wort: Deedlit. Dies schien anscheinend der Name der Person zu sein, welche in diesem steinernen Grabe lag. Zaghaft streckte Sigma seine Hand nach dem Sargdeckel aus.
 

„Wage es ja nicht sie mit deinen unreinen Händen zu beschmutzen,“ ertönte eine feste, weibliche Stimme hinter ihm.
 

Erschrocken wandte sich Sigma zu ihr herum und erblickte sogleich das wohl schönste elbische Gesicht, dass er in seinem bisherigen Leben erblickt hatte. Dies musste Pirotess sein.
 

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Das Feuer knisterte lebhaft in seinem steinernen Gefängnis und erwärmte durch sein Opfer den gesamten Raum und dessen Bewohner. Sigma saß vor diesem Feuer und starrte stumm in die Flammen, während Pirotess, in einem Kessel darüber, Eintopf zubereitete.
 

Im Glanz der Flammen wirkte Pirotess noch bezaubernder, als zuvor im mystischen Schein der blauen Fackeln. Sie war sehr schlang und groß für eine Frau, aber dennoch nicht so groß wie Sigma und sie besaß eine normale, feminine Statur. Ihre Haut war hellbraun und von einem seidigen Glanz umhüllt, wie bei vielen Dunkelelben. Sie hatte graublaue, fast schon ins lila gehende Augen und einen sinnlichen, blutroten Mund. Ihr Harre waren silbern und reichten ihr bis zu den Kniekehlen. Ihre Kleidung bestand aus einem typisch elbischen Kleid, welches herrlich verziert war. Auch trug sie eine kleine Anzahl von selten Schmuckstücken an ihrem perfekten Körper, wie das Diadem an ihrer Stirn und der schlangenförmige Armreif um ihren Arm.
 

Ohne jegliche Mimik oder Gestik reichte sie dem Kriegsgott eine Schale des Eintopfes. Nachdem sie sich ebenfalls eine Schale davon abgefüllt hatte, setzte sie sich gegenüber von ihm und aß, ebenso still wie bisher, ihre Schale leer. Daraufhin erhob sie sich erneut und sammelten beide Schalen wieder ein, um sie sogleich in einem, mit Wasser befüllten Trog, von den Essensresten zu befreien. Als sie mit dieser Tätigkeit fertig war, ließ sie sich erneut neben Sigma nieder und blickte starr ins Feuer, während sie sagte:
 

„Ich weiß aus welchem Grund ihr her seid, Kriegsgott. Viele Wesen sind zu uns gekommen mit dieser Bitte, doch nur Auserwählten gewährten wir unsere Dienste. Wir sind die mächtigsten und besten Schmiederinnen aller drei Reiche. Selbst die schmiedenden Zwerge übertreffen wir an Können, um längen. Dennoch können wir dir euer Verlangen nicht erfüllen. Wir sind nicht mehr fähig Waffen zu schmieden, die Einzigartig sind.“

„Was meint ihr damit,“ fragte Sigma leise. Irgendwie hatte er das Gefühl, er müsse auf diesem heiligen Flecken Erde flüstern, damit er die Toten nicht störte.

„Wir, meine Zwillingsschwester Deedlit und ich, besaßen von Geburt an außergewöhnliche Fähigkeiten, für Elben. Dieses Phänomen beruhte wahrscheinlich darauf, dass unsere Eltern von unterschiedlicher Art waren. Unser Vater war ein Dunkelelb, wie auch ich es äußerlich erscheine, während unsere Mutter eine Lichtelbin war. Deedlit war mehr Lichtelbin als Dunkelelbin, weswegen sich unser Äußeres auch nie gleichte. Dennoch waren Deedlit und ich immer durch ein sehr starkes Band miteinander verbunden. Dieses Band sorgte dafür, dass wir zum Beispiel unsere Fähigkeiten vereinen konnten und dadurch unglaubliche Dinge erschaffen konnten. Doch dieses ist nun nicht mehr möglich.“

„Was soll das nun schon wieder heißen,“ fragte Sigma allmählich genervt. „Ich dachte ihr wärt die Meisterin der Schmiedekunst? Ich verspüre kein Bedürfnis von eurer Familiengeschichte zu erfahren.“

„Das ist sehr schade, Kriegsgott, denn wenn ihr uns aufmerksam zugehört hättet, dann hättet ihr eure Antwort schon erhalten. Unglücklicher Weise ist meine geliebte Schwester vor einiger Zeit von uns gegangen. Ihre Seele weilt nicht länger in Midgard. Diese Gruft beherbergt nur noch ihren leblosen Körper. Durch diesen unerträglichen Verlust ist es uns also unmöglich eure Forderung zu erfüllen.“

„Das ist doch nicht euer Ernst? Soll das heißen, ich habe den ganzen weiten Wag und all die Strapazen der Reise nur auf mich genommen, um von euch zu erfahren, dass alles umsonst war?“

„Aber nein,“ beteuerte Pirotess. „Nicht doch. Nichts ist umsonst. Ihr habt auf eurer Reise hierher viel erlebt und einiges an Erfahrungen mit euch nehmen können. Dies ist sehr wertvoll für eure Entwicklung.“

„Erfahrungen,“ schrie Sigma nun erbost. „Was soll ich mit so etwas? Ich verlange von euch, dass ihr mir helft meine Waffe zu schmieden. Ich habe nicht das Leben all meiner Freunde aufs Spiel gesetzt, nur um nun zu erfahren, dass es sinnlos war hierher zu kommen.“

„Es betrübt unser Herz, zu hören, was du sagst. Ihr seid sehr ungestüm, Kriegsgott. Wir befürchten es könnte einst euer Verhängnis werden wenn ihr euch diesen niederen Gefühlen hingebt.“

„Ich brauche keine Ratschläge von euch, Mistress Pirotess. Ich wünsche mir von euch eine magische Waffe, wie es sie nur einmal in allen drei Reichen zu geben vermag. Und ich verlange, dass ihr mir dabei helft diese Waffe zu schmieden. Ich würde dafür alles tun, was nötig wäre. Ihr müsst mir nur sagen, was dies wäre,“ versprach Sigma, nun wieder besinnter.

Pirotess blickte Sigma nun prüfend an: „Ist dies eurer Ernst?“

„Ich kann es euch schwören, wenn ihr darauf besteht. Ich will eine Waffe, mit der es keine andere Waffe aufnehmen kann. Eine die noch tausend Mal mächtiger ist, als Mjöllnir und Odins Speer. Eine Waffe, die sich mit den wachsenden Fähigkeiten seines Besitzers weiterentwickelt. Eine Waffe, welche übermächtig sein kann, in den richtigen Händen.“
 

Nun blickte Pirotess Sigma überrascht an. Anscheinend hatte sie einen solchen meisterlichen Wunsch nicht von einem Kriegsgott erwartet.
 

„Ich würde alles darum geben eine solche Waffe zu besitzen,“ sagte Sigma erneut. „Bitte, Mistress Pirotess, sagt mir ob es noch Hoffnungen für meinen Wunsch gibt? Ist es euch möglich diese Art von Waffe zu schmieden?“

„Nein.“

„Was? Aber ich dachte...“

„Lasst uns aussprechen, Lord Sigma. Mir allein wäre es nicht möglich diese mächtige Waffe zu schmieden. Ohne Deedlit reichen meine Fähigkeiten dafür einfach nicht aus. Selbst wenn Deedlit noch am Leben wäre, wüsste wir nicht genau, ob wir dazu wirklich in der Lage wären.“

„Soll das heißen, es gibt keine Möglichkeit für euch, mir meinen Wunsch zu erfüllen? Was also soll ich stattdessen tun,“ fragte Sigma enttäuscht.

„Es gäbe da vielleicht eine Möglichkeit, aber sie erfordert einige Mühen von euch, von denen wir nicht zu sagen vermögen, ob ihr im Stande seid diese zu erfüllen. Nicht, das es euch nicht an Mut und Geschick fehlt, doch euer aufbrausendes Wesen und eure Ungeduld wären wahrlich ein Hindernis. Es wäre durchaus förderlicher, wenn ihr diese schlechten Eigenschaften zu kontrollieren lernen würdet.“

„Alles was ihr wollt, Mistress Pirotess, wenn das er einzige Preis für die Herstellung meiner Waffe ist, dann bezahl ich den sehr gern.“

„Nein,“ sagte Pirotess lachend. „Das ist wohl nicht der Einzigste. Immerhin soll eure Waffe übermächtig den anderen Waffen gegenüber werden. Es ist schwer solch eine Macht in einen Gegenstand zu bannen. Und ich befürchte, dass wir ohne meine Schwester einen Fehlschlag produzieren werden. Dennoch gibt es vielleicht eine Möglichkeit für uns.“

„Bitte,“ flehte Sigma nun. „Was immer ihr verlangt, ihr sollt es bekommen, aber bitte helft mir diese Waffe zu schmieden.“

„Wir spüren eine große magische Kraft in euch, Kriegsgott. Ist es möglich, dass ihr über ein Element herrscht?“
 

Sigma musste lachen. Sollte es wirklich noch ein Wesen auf dieser Welt geben, welches noch nicht von dem allmächtigen Kriegsgott gehört hatte, der zudem auch noch alle acht Elemente beherrschen konnte?
 

„Euer Gespür ist richtig, wenn auch nur zum Teil, Mistress Pirotess. Ich bin der Sohn des Kriegsgottes Nefertem und einer Walküre. Aus dieser Vereinigung heraus beziehe ich meine Macht und durch die Wogen des Schicksals kann ich über alle acht Elemente herrschen.“
 

Leider blieb der erhoffte Effekt aus, den sich Sigma auf Pirotess’ Gesicht wünschte: Überraschung. Sie schien dies irgendwie gewusst zu haben.
 

„Wir haben davon gehört, dass es eine solche Vereinigung gegeben haben sollte. Dieser Umstand könnte uns sehr von Vorteil sein. Doch eure magischen Fähigkeiten sind leider sehr verkümmert. Doch ich glaube darum können wir uns auch später kümmern,“ sagte Pirotess und dabei schien sie mehr mit sich selber zu reden, als mit Sigma.
 

Doch nun blickte sie den Kriegsgott direkt in seine grünen Augen und setzte ihr Gespräch fort:

„Gut, Kriegsgott, ihr habt uns überzeug. Wir werden eure Waffe schmieden. Es wird ein anstrengender und nervenzerreibender Weg vor euch liegen, seid ihr dafür gewappnet?“

„Mit jeder Faser meines Körpers,“ antwortete Sigma ehrlich.

„Wir befürchten euer Körper wird dafür nicht ausreichen. Ihr werdet zur Abwechslung auch einmal euren Verstand einsetzen müssen,“ erwiderte Pirotess in einem ernsten Tonfall. Dann sagte sie weiter:

„Zunächst obliegt euch die Aufgabe der Materialbeschaffung. Wir haben bereits eine Vorstellung von dem Endprodukt unserer Anstrengungen im Kopf. Nun ist es an euch den Grundstein dafür zu legen.“

„Sehr wohl,“ antwortete Sigma untertänig.

„Gut. Ihr müsst folgendes besorgen: einen großen Klumpen des Metalls Adamantium, das Horn eines Einhorns, die Fasern eines Regenbogens und ein Drachenherz.“

Sigma hörte sich mit wachsendem Schauern diese Liste von Pirotess an:

„Aber Mistress, wie soll ich denn an solche exotischen und, bei aller Liebe, auch wirklich seltenen Gegenstände kommen? Ich meine wo, außer in Odins Garten, gibt es denn heute noch Einhörner?“

„Wieso fragt ihr das, wenn euch die Antwort doch längst bekannt ist,“ entgegnete Pirotess kühl. „Außerdem ist es nicht an uns euch dies zu sagen. Ihr solltet euch nun auf den Weg machen, denn es wird sicherlich eine Weile dauern die Zutaten zu besorgen. Selbst für einen Gott, wie ihr es seid. Und nun wären wir euch dankbar, wenn ihr unser Haus vorerst verlassen würdet. Wir sind erschöpft.“

„Aber...,“ entgegnete Sigma, doch dann besann er sich eines besseren. „Natürlich. Ich werde euch erst wieder belangen, wenn ich die Materialien auf eurer Liste beschaffen konnte. Ich danke euch, dass ihr eure Zeit für mich geopfert habt.“
 

Mit einem ehrvollen Handkuss verabschiedete er sich von der wunderschönen Dunkelelbin und verließ eilig das Grab von Deedlit.
 


 

Keines der Zutaten, die Pirotess Sigma genannt hatte, waren einfach zu beschaffen. Dennoch war diese Mission durchaus nicht unmöglich. In Gedanken versunken schwank sich Sigma auf Pegasus und begann seine Reise aus dem Wald hinaus. Er überlegte sich, in welcher Reihenfolge er die Gegenstände beschaffen sollte. Eigentlich wollte er das schwierigste Material zuerst besorgen, doch je länger er darüber nachdachte, erschienen ihm alle vier Zutaten sehr schwierig zu beschaffen. Wie sollte er es nur anfangen all diese Zutaten zu bekommen?
 

Einst hatte er gelesen, dass die Bewohner der Meere über ein reichhaltiges Adamantiumvorkommen herrschten. Doch nur der mächtige Gott des Meeres Njörd wusste, wo sich die Stadt der Meeresbewohner befand. Leider war kaum einem Gott und schon gar keinem Menschen oder sonstigen Wesen bekannt, wo Njörd zu finden war. Hm, ja kaum einer wusste es, aber dennoch war Sigma plötzlich schlagartig klar, wo er seine Suche zu beginnen hatte.

Mermaids

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Unicorns

Hel war längst nicht mehr am Ufer des Weltenmeeres. Dafür war Cerberus wieder aus Utgard heraufgekommen und nun warteten er, Garm und Pegasus an Hels Stelle. Jormangand eröffnete Sigma, dass dieser fast eine Woche lang in Atlantis geblieben war. Unter Wasser hatte dieser den Tag und Nacht Wechsel nicht mitbekommen. Und er selber brauchte kaum Schlaf. Anscheinend ging dies dem Volk von Atlantis ähnlich. Dennoch war es ein Schock für Sigma, dass er so lange durch diese Mission aufgehalten worden war. Er bedankte sich herzlich bei der Riesenschlange und begann seine Gedanken wieder auf seine eigentliches Ziel zu zentrieren.
 

Nun, da er das Adamantium hatte, fehlten ihm nur noch drei Zutaten: Die Fasern eines Regenbogens, das Herz eines Drachen und das Horn eines Einhorns. Er beschloss sich nun mit der Beschaffung eines Einhorn Horns zu befassen. Er wusste, dass es keinen anderen Ort auf der Welt gab, als Asgard, wo sich solch heilige und reine Geschöpfe aufhielten. Also musste er wieder an Heimdal vorbei, um in Asgard nach Einhörnern zu suchen.
 

„Wie war euer Aufenthalt außerhalb Asgard, Kriegsgott,“ fragte Heimdal, in einem unfreundlichen Tonfall, noch ehe er Sigma höflich begrüßt hatte.

„Recht Ereignisreich,“ sagte Sigma gedankenverloren.
 

Noch ehe Heimdal eine weitere Frage stellen konnte, war Sigma auch schon an ihm vorbei geritten und außer Hörweite. Hastig stürmte Heimdal diesem nach und stellte sich ihm in den Weg. Sigma konnte noch gerade rechtzeitig Pegasus bremsen, bevor dieser Heimdal um ritt.
 

„Was soll das, törichter Wächtergott,“ fragte Sigma erbost. „Pegasus hätte verletzt werden können durch eure Unachtsamkeit! Was, um Odins Willen, wollt ihr denn noch von mir?“
 

Heimdal schreckte merklich unter Sigmas Gebrüll zusammen. Fast schon reumütig blickte er zu Sigma hinauf. Er schien nicht genau zu wissen, was er jetzt als nächstes tun sollte, so verstört war er.
 

„Bitte Lord Sigma, ich wollte euch nicht verärgern. Es ist meine Aufgabe als Wächter von Bifröst die Absichten der Besucher von Asgard zu überprüfen. Ihr hindert mich in der Ausübung meiner Arbeit durch euer unkooperatives Verhalten.“

„So ein Blödsinn: Unkooperatives Verhalten! Niemanden interessiert es, was ich wann, wieso und wie oft mache. Ich bin niemanden Rechenschaft schuldig. Und euch schon gar nicht, Heimdal. Und nun geht mir endlich aus dem Weg, ihr nichtsnutziger Dummkopf!“
 

Sigma befahl Pegasus sich wieder in Bewegung zu setzen und Heimdal konnte gerade noch aus der Bahn des Pferdes springen, um nicht umgeritten zu werden. Wütend über den Hochmut des Kriegsgottes brüllte er diesem nach:
 

„Das wird euch noch Leid tun! Ich werde Odin Bericht erstatten, über eure Unhöflichkeiten. Dann werden wir ja sehen, wer hier der wichtigere Mann von uns beiden ist!“
 

Sigma ersparte sich jeden, ihm in den Kopf schießenden Kommentar dazu.
 

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Der einzige Ort, an dem es Einhörner gab, war in Odins Garten, hinter seiner Festung Walhalla. Der Garten selber war unvorstellbar groß. Alle Seelen der guten Menschen waren darin beherbergt und von Odins Sohn, Balder, überwacht. Sie schwirrten dort drin herum und genossen all die Herrlichkeiten, die das Paradies ihnen bot, bis sie eines Tages ein neues Leben auf Midgard beginnen konnten. Ihnen statt es frei, ob sie wiedergeboren werden wollten oder nicht. Jedoch wurden sie auch aus den verschiedensten Gründen zurück nach Midgard gesandt. Zum Beispiel, wenn ein Mensch dort geboren wurde und es keine freiwilligen Seelen dafür gab. Dann richtete Ull darüber, welche Seele zurück musste. Und wenn diese Seele dann wiedergeboren worden war, verlor sie automatisch alle Erinnerungen an ihre früheren Leben.
 

Es würde nicht sehr schwer werden ein Einhorn im Paradies zu finden. Schwierig dagegen würde es werden das Horn des Einhorns zu bekommen. Niemand durfte an die Wesen im Paradies Hand anlegen. Und schon gar niemand durfte sie so schänden, wie Sigma es vor hatte. Würde er sein Vorhaben im Paradies durchführen, dann würde er sofort gefasst werden und zur Höchststrafe verurteilt werden.
 

Gedankenverloren durchstreifte Sigma das Paradies. Die Seelen, welche um ihn herum schwirrten interessierten sich glücklicher Weise nicht sonderlich für ihn. Einige durchschwebten Sigmas Körper und entschuldigten sich darauf höflich bei dem Gott. Seelen bestanden aus purer Energie. Sie waren milchig weiß und besaßen keine genauen Körperkonturen. Sie waren nur noch ein verschwommenes Abbild ihres letzten Ichs. Manche Seelen leuchteten heller, als andere. Doch diese Auszeichnung bekamen nur sehr wenige verliehen.
 

Das Leuchten bedeutete, dass sie etwas besonderes waren. Entweder sie besaßen eine wahrhaftig reine Seele oder aber sie waren durch besondere Taten mit diesem hellen Leuchten ausgezeichnet worden. Auch waren sie zumeist Seelen verstorbener Götter, denn jeder Gott, der starb, bekam automatisch diese Auszeichnung. Diese leuchtenden Seelen hatten alle Privilegien, die eine Seele haben konnte. Sie würden auch nicht ohne ihre Zustimmung zurück nach Midgard gesandt werden, selbst wenn es eine Knappheit an freiwilligen Seelen gab. Allerdings gab es auch Nachteile, wenn man als Seele nach Utgard oder Asgard kam. Sie hatten keine realen Körper und so waren ihnen alle irdischen Taten, wie Essen, Berührungen, mit Gegenständen agieren, versagt. Sie brauchten zwar die ganzen Grundbedürfnisse, wie schlafen oder essen nicht, aber dennoch war dies keine würdige Art von Leben für Sigma. Als Seele in Asgard stand man still.

Es gab keine Veränderungen in diesem Leben. Man konnte nichts weiteres tun, als die Natur und die Tiere zu genießen, mit anderen toten Seelen zu reden oder, wenn man in Odins Gunst stand, durften die Seelen auch die Menschen auf Midgard beobachten über einen Zauberbrunnen, welcher sich im Zentrum des Gartens befand und den Odin selber häufig benutzte. Dieser Spiegel war ein Geschenk der Schicksalsgöttinnen, Urd, Skuld und Verdandi. Mit ihm war es möglich, jeden beliebigen Ort auf Midgard zu beobachten, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen. Viel mehr gab es nicht zu tun für Seelen in Asgard.
 

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Sigma musste vorsichtig sein. Denn wenn Balder ihn sehen würde, dann würde sein Plan fehlschlagen und er müsste sein Vorhaben, diese eine Waffe zu schmieden, erst einmal aufs Eis legen. Deswegen schmiedete er einen Plan, wie er unbemerkt ein Einhorn stehlen konnte.
 

Zunächst einmal begab er sich erneut in Odins Schloss Walhalla. Er ersuchte eine Audienz bei dem Übergott und lud sich, mehr oder weniger, selber zum Abendmahl ein. Odin selber schien sich sehr darüber zu freuen, dass sich Sigma endlich mal wieder bei ihm blicken ließ. Um die Zeit bis zum Abendessen zu überbrücken, durchstreiften er, Pegasus, Garm und Cerberus den Garten Eden, um sich schon vorab ein Bild davon machen zu können. Die Einhörner befanden sich auf einer Lichtung, inmitten des ewigen Waldes. Dieser Wald hatte Bäume mit weißen Stämmen und Blättern. Auch die Blumen und das Gras waren allesamt weiß. Die Lichtstrahlen der Sonne zauberten diesen Wald in ein Goldenes Licht und sie erhellten den tief braunen Weg, der sich spielerisch durch den Wald schlängelte, wie eine endlose Schlange aus Humos. Sigma und seine Freunde jedoch würde nicht an ihr Ziel kommen, würden sie diesen Weg folgen. Doch dank Pegasus’ Führung konnte Sigma schnell die Lichtung der Einhörner finden. Als Pegasus noch ein Fohlen war, hatte es selber hier, unter den anderen Einhörnern, gelebt. Doch es war nie glücklich unter ihnen gewesen, denn selbst für Einhörner, waren Flügel eine Besonderheit. Und so wurde es schnell aus der Einhornherde verbannt.
 

Sigma und seine Tiere beobachteten die grasenden Einhörner aus der Ferne. Es waren sehr sanftmütige Geschöpfe. Sie würden niemals ein anderes Lebewesen ein Leid zufügen, außer es war zu ihrem Schutz. Ihr Fell leuchtete strahlender als alle Bäume und jede Seele in diesem Garten. Ihr Horn war mit dessen goldenen Schein ein wahrer Blickfang für jeden geübten Betrachter. Ihre schwarzen Augen blickten stolz und weise in die Welt. Eines der Wesen hob sich jedoch ab, von dem Rest der Herde. Es war eine stolze Stute, die etwas entfernt von der Herde, am Waldrand graste. Immer wieder hob sie den Kopf, starrte wachsam in den Wald und scharrte dabei kräftig die Blätter, unter ihren Hufen, bei Seite. Dann senkte sie den Kopf wieder und begann erneut zu fressen. Sigma wusste, dass er nur diese eine Stute nehmen wollte, als Zutat für seine Waffe. Sie war edel und rassig genug, um die daraus folgenden Konsequenzen, ohne nennenswerten Schaden, zu überstehen. Sigma weihte Pegasus, Garm und Cerberus in seinen Plan ein und verließ die Tiere dann, um pünktlich am geplanten Abendessen, mit Odin und dessen Familie, teilnehmen zu können.
 

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Als Sigma den Salon betrat, wurde er bereits von Odin, Thor, Hermod und Balder erwartet. Sie saßen um ein riesiges Feuer, welches in einem steinernen Kamin loderte und unterhielten sich unbeschwert. Odin, welcher im Zentrum der Runde saß, saß im prachtvollsten und größten aller Sessel. Er gleich einem Thron, aber war dennoch um ein vielfaches bequemer. Seine Söhne hatten nicht minder prachtvolle Sessel, aber dennoch beträchtlich kleinere. Als Sigma an diese Runde herantrat, verstummten ihre Gespräche augenblicklich. Thor bedachte Sigma mit einem Blick aus Achtung und Misstrauen, als Odin ihm einen Platz an dessen Seite anbot. Dankend nahm Sigma das Angebot an und setzte sich neben dem Übergott.

„Wie mir zu Ohren gekommen ist, hast du meinen treuen Freund Heimdall durch deine schlechten Manieren verärgert. Entspricht dies der Wahrheit, mein Junge,“ fragte Odin Sigma in einem gelassenen Tonfall.
 

„Ja, mein Gebieter.“

Odin begann lauthals zu lachen: „Hast du dir denn immer noch nicht gemerkt, dass du vor mir nicht so höflich sein musst?“ Sigma senkte ehrfürchtig seinen Blick.

„Aus welchem Grund hast du Heimdall verärgert,“ bohrte Hermod nach. Sigma lenkte seinen Blick nun auf ihn.

„Ich fühlte mich nicht im Unrecht ihm gegenüber. Er hat ohne jeden Grund meinen Weg blockiert und mein Pferd verängstigt durch diese Tat. Ich gebe zu, dass mein ungestümes Wesen ein wenig mit mir durchgegangen ist. Meine barsche Reaktion war vielleicht ein wenig unklug.“

„Heimdall ist ein guter Ase, Sigma,“ sagte Hermod. „Er beschützt die Grenze zwischen Midgard und Asgard vor allen Angreifern. Er ist der Erste, der Alarm schlägt bei einem Angriff, indem er sein Gjallarhorn ertönen lässt, welches in allen drei Welten gehört werden kann.“

„Was mein Bruder damit sagen will,“ unterbrach Thor den Götterboten. „Heimdall ist vielleicht nicht der hellste, aber er ist unserem Geschlecht treu ergeben. Und wenn er was perfekt kann, dann ist es seine Berufung als Wächtergott. Du hast ihn beleidigt mit deinem Verhalten ihm gegenüber und er hat sich beschwert.“

„Was also ist euer Wunsch an mich,“ fragte Sigma missmutig.

„Entschuldigt euch bei Heimdall,“ antwortet Balder in seiner gewohnt, ruhigen Stimme. „Er ist aufgebracht durch euer unangebrachtes Verhalten. Wir wollen nicht, dass unser Volk sich wegen Kleinigkeiten oder Missverständnisse bekriegt.“

„Ich fühle mich nicht schuldig,“ Sigma blieb hart.

„Nach Schuld fragen wir hier nicht,“ erklärte Hermod. „Wir bitten dich nur ein einziges Mal darum. Aber wenn du dich nicht von dir aus bei Heimdall entschuldigst, dann befehlen wir es dir. Vergiss nicht, wem deine Treue gilt!“

Sigma brodelte innerlich vor Wut. Doch er ließ sich nichts anmerken.
 

Wortlos nickte Sigma, was blieb ihm auch anderes übrig. Als er seinen Blick zu Odin schweifen ließ, bemerkte er, dass dieser ihn ununterbrochen beobachtet hatte. Seine beiden Raben Hugin und Munin saßen dabei schlafend auf seinen Schultern. Sigma erwiderte nun bewusst den Blick des Übergottes und hielt dem stand, bis Odins verhärtete Miene in ein Lächeln umschwang. Doch Sigma erwiderte dieses Lächeln nicht. Für ihm glich dieses Gespräch einer Art Inquisition. Er fühlte sich verraten, von seinem Göttervater, den er so lange bewundert hatte. Und Odin schien dieses Gefühl von Sigma zu spüren, doch er lächelte weiter.
 

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Nach diesem höchst unerfreulichen Gespräch mit den Söhnen Odins , hatte Sigma kaum mehr Lust auf das gemeinsame Abendessen, doch er würde dennoch daran teilnehmen müssen. Zum einen, weil es die Höflichkeit ihm gebot und zum anderen kam dieses Essen seinem Plan sehr zu Gunsten. Doch einen Lichtblick gab es dennoch, dem Sigma entgegen fieberte. Heute würde er Freyja zum ersten Mal, seit seinem Ausflug nach Atlantis, wiedersehen.
 

Ein wenig besserer Laune, nahm Sigma an der großen Tafel im Speisesaal Platz. Ihm wurde wieder der gleiche Platz zugewiesen, wie bei seinem ersten Abendessen mit Odins Familie. Der Platz ihm Gegenüber, der von Freyja, war noch leer. Das Essen wurde aufgetischt und noch immer befand sich Freyja nicht an der Festtafel Odins. Sigmas Laune begann zu schwinden. Selbst der Anblick der herrlichen Köstlichkeiten auf dem Tisch konnte seine Laune nicht bessern.
 

„Was verdirbt euch den Magen,“ fragte Tyr plötzlich, als Sigma nach einiger Zeit immer noch keine Anstalten machten, sich aufzutischen. Erschrocken erwachte Sigma aus seinem Trance ähnlichen Zustand.

„Bitte verzeiht mein Unhöflichkeit,“ entgegnete Sigma und nahm sich ein Perlhuhn von der Mitte des Tisches und legte es auf seinen Teller. „Ich war in Gedanken.“

„Das ist uns aufgefallen,“ bemerkte Frigg auf ihre gewohnt schnippische Art. „Vielleicht möchtet ihr uns über den Grund eurer gedanklichen Abschweifungen in Kenntnis setzen?“

„Nein, ich möchte euch mit meinen unwichtigen Fragen nicht langweilen.“

„Oh bitte,“ antwortet Frigg gereizt. „Langweilt uns!“

Sigma nickte gehorsam und tadelte sich in Gedanken für seine geistige Schwäche, durch den er nun in diese Lage gekommen war: „Ich fragte mich nur, ob Lady Freyja’s Vater Njörd wieder aufgetaucht ist.“

„Gewiss ist er das,“ ertönte eine wohlklingende Stimme. Alle Anwesenden drehten ihre Köpfe in Freyjas Richtung. Sie schien gerade unbemerkt in den Festsaal gekommen zu sein. Freyja ließ die Blicke der Familie und Sigma einen Augenblick auf sich ruhen und trat dann an den Tisch heran. Sigma sprang auf, um ihr den Platz zurecht zu rücken, aber sie saß bereits, bevor er um den Tisch laufen konnte. Verlegen nahm er wieder Platz.

„Anscheinend verdreht ihr nun auch den jungen Göttern den Kopf, meine Liebe,“ sagte Frigg sarkastisch und mit einem Schmunzeln in Sigmas Richtung.
 

Freyja jedoch ließ sich nicht von ihr beeindrucken und behielt ihr kühle Fassade bei. Als wäre es eine lästige Aufgabe, richtete sie ihren Blick auf Sigma und sagte, beinahe Beiläufig, zu ihm:
 

„Meinem Vater geht es gut. Anscheinend wurde er von einem Fischvolk verraten und gefangen genommen. Aber die Atlantiker konnten ihn dann mit etwas Hilfe befreien. Eure Sorge um meinen Vater, ehrt mich, Kriegsgott.“
 

Doch ihre Augen sprachen etwas anderes. Sie waren kalt und leer, als würde Freyja über keine Gefühle verfügen. Sigma versuchte ihre Maskerade zu durchschauen, aber sie wandte unverwandt ihren Blick von ihm ab, als wäre er nicht länger anwesend.

Der Rest des Abend verlief recht still. Odins Söhne Tyr und Balder berichteten, was sie in den vergangenen Wochen getan hatten und die restlichen Söhne unterhielten sich munter miteinander. Wenn Frigg und Odin miteinander sprachen schien die Atmosphäre um einige Grad auszukühlen. Den Kontrast dazu bot eine Redsame Unterhaltung zwischen Frigg und ihrem Lieblingssohn Balder, der von Heiratsplänen redete. Aber Sigma konzentrierte sich nicht weiter auf den Inhalt dieser Niveauvollen Gespräche. Er war wie erschlagen durch Freyjas abweisende Haltung ihm gegenüber. Hatte sie ihn nicht angefleht ihren Vater zu retten? Wieso war sie nun so kühl zu ihm? Hatte er etwas falsch gemacht? Zumindest eine stumme Danksagung hätte er sich von ihr erhofft.
 

Seine Stimmung befand sich auf dem Tiefstpunkt. Zudem schwirrte ihm immer noch der Kopf von der Ansprache bezüglich Heimdal. Das Einzige, was ihn nun noch daran hinderte einfach vom Tisch auf zu stehen und dieses verdammte Schloss zu verlassen war der Gedanke an seinen Plan, den er nur durchführen konnte, während er sich als Gast auf Walhalla befand.
 

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Endlich war das Abendmahl beendet und nur missmutig nahm Sigma die Einladung zum allabendlichen Met trinken an. Aber es war ein Bestandteil seines Planes und so unterdrückte er weiter seine fürchterliche schlechte Laune und sah zu, wie sich die Göttersöhne des größten und mächtigsten Gottes betranken, während Freyja und Frigg schweigend in ihren Sesseln saßen und dem zusahen. Keine zwei Stunden später waren alle bis auf die Frauen und Sigma betrunken. Jetzt, so fand Sigma, war es an der Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Er schickte eine Seele in den Garten Eden, um sein geflügeltes Pferd und seine Hunde zu holen. Es dauerte nicht lange und die Seele kam wieder, um Sigma zu beichten, dass sie seine Befehle erfüllt habe und die Tiere sich nun vor den Toren Walhallas befanden. Höflich verabschiedete er sich von der hoheitlichen Familie und von Freyja und verließ das Schloss.
 

Als er bei seinem Pferd angekommen war, streichelte er ihm sanft über den Hals, um es zu beruhigen. Er sprach einige Worte zu ihm und wollte gerade aufsteigen, als er hörte, dass jemand seinen Namen rief. Erschrocken drehte er sich vom Pferd weg und blickte in Freyjas Gesicht.
 

„Bitte, Sigma, darf ich euch auf ein Wort sprechen?“

„Eigentlich wollte ich gerade gehen. Ich denke ihr hattet das ganze Essen lang und während wir Met tranken Zeit genug gehabt, mit mir zu reden. Das ihr das nicht ausgenutzt habt, war nicht meine Schuld,“ sagte Sigma immer noch wütend und ergriff erneut die Zügel seines Pferdes, um sich hinauf zu schwingen.
 

Doch Freyja ließ nicht locker. Sie legte ihre Hand auf seine, damit er nicht aufsteigen konnte. Er drehte sich zu ihr.
 

„Ich weiß, aber ich musste so handeln. Es war nicht leicht, euch gegenüber so ungerecht zu sein, aber was hätte ich tun sollen? Wir wurden beobachtet.“

„Ich weiß, von der gesamten Familie Odins.“

Freyjas Blick war schuldbewusst.

„Wisst ihr, eine Frau in meiner Stellung besitzt zwei Gesichter. Eines, was sie der Welt offenbart und eines was sie vor ihr verbirgt. Ich kann vor Odin und seiner Familie nicht die Freyja sein, die ihr in meinem Turmzimmer angetroffen habt. Aber das werdet ihr nicht verstehen.“

„Allerdings tue ich das nicht! Ich weiß nicht für wen ihr diese Scharade spielt, aber ich will kein Bestandteil dieser sein!“ Sigma drehte sich um und startete einen erneuten Versuch sein Pferd zu besteigen. Diesmal gelang es ihm auch wirklich.

„Außerdem egal was ihr sagen wollt, es ist bedeutungslos,“ sagte Sigma weiter. „Ich habe euren Vater nicht für euch gerettet und das wisst ihr genauso gut, wie ich! Und jetzt bitte entschuldigt mich. Ich habe heute noch einiges zu erledigen, was keiner weiteren Aufschiebung duldet.“
 

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt davon.
 

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Heimdal sah ihn schon von weitem kommen, den hochnäsigen Kriegsgott auf seinem stolzen, geflügelten Pferd. Dieses ritt geradewegs auf ihn zu, blieb dann aber wenige Schritte von ihm entfernt stehen. Heimdal schaute misstrauisch zu Sigma hinauf.
 

„Für mein Verhalten, euch gegenüber, möchte ich mich, in aller Form, bei euch, entschuldigen. Ich würde es begrüßen, wenn ihr meine Entschuldigung annehmen würdet.“ Heimdal blickte Sigma verdutzt an. Er hätte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit, dass sich der störrische Kriegsgott aufrichtig bei ihm entschuldigen würde.

„Dann hat Odin euch also meine Beschwerde überbracht. Ich sagte euch doch vorher, dass ihr eurer unkooperatives Verhalten bereuen würdet,“ erwiderte Heimdall voller Schadenfreude.
 

Garm setzte zu einem wütenden knurren an, doch Sigma brachte ihn mit einer stummen Geste zum schweigen.
 

„Ihr hattet recht, Brückenwärter. Ihr bekleidet ein wichtiges Amt und ich habe mich unsittlich euch gegenüber verhalten. Ich wurde dafür von Odin gerügt und habe meine Lektion gelernt. Bitte verzeiht meinen Übermut.“
 

Innerlich kochte Sigma vor Wut. Am liebsten hätte er Heimdalls überhebliches Grinsen aus dessen Gesicht geschlagen, doch im Augenblick konnte er mit dieser demütigen Inszenierung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und sein Plan schien auf zu gehen. Sigmas Pferd begann unruhig hin und her zu tänzeln.
 

„Ich reagiere sehr überempfindlich, was mein Pferd angeht. Und als es bei meiner Ankunft hier beinahe von euch verletzt worden wäre, habe ich ein klein wenig überreagiert. Ich werde versuchen, mein aufbrausendes Temperament, in Zukunft, ein wenig besser in den Griff zu bekommen,“ schleimte Sigma weiter.
 

Heimdals Grinsen währenddessen wurde immer breiter und proportional dazu stieg Sigmas Ärger auf den Brückenwächter.
 

„Das hoffe ich sehr, Herr Kriegsgott,“ antwortete Heimdal selbstsicher. „Denn jetzt wissen wir ja, wer von uns beiden einen höheren Stellenwert bei Odin besitzt.“ Zur Antwort erzwang sich Sigma ein Lächeln. Gedanklich zerdrückte er diese kleine Made zu Staub.

„Aber ich will mal nicht so sein!“ begann Heimdal fröhlich. „Ich nehme eure Entschuldigung an. Ihr dürft also passieren!“

„Sehr freundlich von euch, gütiger Brückenwächter!“
 

Sigma nahm die Zügel auf und trieb sein Pferd, gefolgt von Cerberus und Garm, an. Langsam und ein wenig zögerlich lenkte Sigma es an Heimdal vorbei, um Bifröst ein weiteres Mal zu überqueren. Er war bereits einige Schritte voran gekommen, als er erneut von Heimdall aufgehalten wurde. Sigmas Herz setzte einen Schlag aus. Cerberus und Garm spannten sich.
 

„Weswegen wollt ihr eigentlich dieses Mal nach Midgard? Kommt ihr nicht gerade erst von dort?“ fragte Heimdal nun wieder misstrauisch.

„Ich habe dort ein paar Besorgungen zu tun,“ war Sigmas knappe Antwort.

„Besorgungen? Welcher Art, wenn ich fragen darf?“ So langsam ging Sigma dieser neugierige Kerl wirklich auf die Nerven. Aber er musste seine Scharade weiterspielen und gute Mine zum Bösen Spiel machen.

„Ich möchte dort ein Pferd für meine Mutter abholen. Wir sind gerade erst hierher gezogen und ich möchte mit ihr gerne ein paar Ausflüge zu Pferde machen. Und ich sah auf Midgard eine Herde Wildpferde, bei der mich ein Tier ganz besonders interessiert hatte.“
 

Heimdal blickte Sigma prüfend an. Doch anscheinend bestand Sigma dessen Prüfung, denn schon nach wenigen Augenblicken lächelte Heimdal wieder zufrieden und ließ Sigma seiner Wege ziehen. Als Sigma Bifröst verließ grinste er, stolz auf sich selbst. Er tätschelte zufrieden den Hals seines Pferdes und dachte, dass diese Erklärung nicht einmal so weit von der Wahrheit entfernt gewesen war.

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Sigma erreichte, nach einer scheinbar endlosen Zeit, endlich sein Ziel, den Mythrilwald. Er stieg von seinem Pferd ab, band es an einem Baum fest und streichelte liebevoll über die Köpfe seiner beiden ungleichen Hunde. Kaum einen Augenblick später hörte er hinter sich Hufe herankommen und spürte einen leichten Druck in seinem Rücken. Er drehte sich um, und nahm Pegasus’ Kopf in beide Hände. Der geflügelte Hengst hatte sich von hinten heran geschlichen und seinen Herren sanft am Rücken angestupst.
 

„Das hast du wirklich gut gemacht, mein Freund,“ sagte Sigma fröhlich, während er weiterhin über den Kopf seines Pferdes streichelte.

„Unser Plan ist aufgegangen. Der dämliche Brückenwärter hat nicht einmal gemerkt, dass das Pferd, auf dem ich diesmal über seine blöde Brücke ritt, eine Stute und kein Hengst ist. Ich glaube, dass er den Unterschied nicht einmal bemerkt hätte, wenn ich der Stute nicht die imaginären Flügel verpass und das Horn nicht verborgen hätte.“
 

Sigma lachte Laut. Es ist wahr, dass man Asgard nur über Bifröst verlassen konnte, doch man musste sie nicht unbedingt auf dem Boden überqueren. Warum nicht darüber hinweg fliegen, hatte sich Sigma gedacht. So könnte die nervigen Gespräche mit Heimdal sicher umgehen. Doch es war auch riskant. Falls Heimdal gesehen hätte, dass Sigma über die Brücke mit Pegasus geflogen wäre, hätte er sicherlich Odin darüber informiert. Und die lästigen Fragen, des Herrscher über Asgard, wären mehr als nur unangenehm gewesen. So hatte sich Sigma einen narrensicheren Plan überlegt. Er hatte die Stute als Pegasus getarnt und war mit ihr über Bifröst geritten, um Heimdal von dm darüber fliegenden Pegasus abzulenken. So hatte Sigma beide Pferde aus Asgard zur selben Zeit bringen können.
 

Die angebundene Stute tippelte aufgeregt hin und her. Sigma widmete sich nun dem wunderschönen Geschöpf. Langsam ging er auf das Einhorn zu und berührte es leicht an den Nüstern, bevor es seinen Kopf von Sigma wegdrehte.
 

„Keine Angst, meine Schöne. Ich weiß, dass ich dir nicht versprechen kann, dass es nicht schmerzlich für dich sein wird, aber ich werde dafür Sorgen, dass der Rest deines Lebens so angenehm, wie nur möglich, wird.“
 

Pegasus wieherte zustimmend und trat an die Einhornstute heran. Er stupste sie aufmunternd an und schmiegte seinen Kopf an ihren Rücken. Die Stute ließ alles traurig über sich ergehen. Sie tat Sigma leid, doch er wusste, dass sie es durchstehen würde. Sie hatte einen starken Willen und er musste dieses Opfer bringen, wenn er sein Schwert haben wollte. Langsam erhob er sein Messer und setzte es an.
 

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Er hielt das blutige Horn in den Händen und betrachtete es fasziniert. Bedächtig wischte er das Blut von dem Horn und verstaute es sicher in seiner Tasche. Dann säuberte er sein Messer vom Blut des Einhorns und schob es zurück in dessen Halfter. Nachdem er mit diesen Säuberungsaktionen fertig war, drehte er sich zur Stute herum. Diese lag ausgestreckt auf dem Waldboden und atmete schwer. Pegasus hatte sich neben ihr niedergelassen und warf ihr sorgenvolle Blicke zu.

Wenn Einhörner ihr Horn verloren, verloren sie mit diesem Verlust auch all ihre Magie und ihre Besonderheiten. Ohne ihre Hörner, waren diese Tiere nichts weiter als einfache Pferde. Obwohl es, in keinen der drei Reiche, weiße Pferde gab, außer sie waren Einhörner. Zwar gab es auf Midgard schwarze, braune und rote Pferde, und alle möglichen Farbvarianten daraus, aber weiße Pferde existierten einfach nicht. Das würde sich nun wohl ändern.
 

Als Sigma sich zur Stute hernieder kniete, war diese selbst zu schwach, um noch vor ihm weg zu rücken. Unendlich traurig sahen ihre Augen aus. Ihr Fell hatte jeglichen Glanz verloren, aber dennoch war sie das wohl schönste Pferd auf Midgard.
 

„Es tut mir Leid,“ begann Sigma. „Hätte es einen anderen Weg gegeben, dann wäre ich diesen gegangen, aber ich weiß, dass du deinen Verlust überleben wirst.“

„Von was für einem Verlust sprecht ihr, Herr?“
 

Sigma drehte sich erschrocken zu der Stimme herum, die plötzlich hinter ihm ertönt war. Cerberus und Garm sprangen ebenso erschrocken auf und waren mit einem Satz bei dem jungen Mädchen, welches nun völlig verängstigt zusammenzuckte. Sigma steckte eilig sein Messer zurück, was er gedankenschnell gezogen hatte und lief zwischen das Mädchen und seine beiden Hunde.
 

„Verzeih,“ begann Sigma, nachdem sich das Mädchen von ihrem ersten Schock erholt hatte. „Ich hätte nicht erwartet in diesem Wald auf Menschen zu stoßen.“

„Nein, Herr,“ widersprach das Mädchen energisch. „Ich hätte mich nicht so heimlich an euch heran schleichen sollen. Es war meine Schuld. Ich habe euch und eure ~ “
 

Sie blickte nun, scheinbar zum ersten Mal, auf die monströsen Hunde. Ihre Augen weiteten sich ängstlich. Unmerklich wich sie einige Schritte von den sonderbaren Kreaturen fort.
 

„Keine Angst,“ sagte Sigma, der ihre ungewollte Flucht bemerkt zu haben schien. „Dies sind Cerberus und Garm. Meine treuen Freunde und Leibwächter. Es sind meine Hunde.“

„Ich habe noch nie solch seltsame Hunde gesehen,“ sagte das Mädchen, mehr zu sich selber, als zu Sigma.
 

Erst als Sigma zärtlich über die Köpfe der beiden ungleichen Tiere streichelte und das Mädchen dazu ermutigte es ihm gleich zu tun, überwandt es seine starre. Vorsichtig berührte es den Kopf von Garm. Und als sie spürte, dass von diesem Geschöpf keinerlei Gefahr ausging, wurde ihr Streicheln mutiger. Garm ließ diese Prozedur genüsslich über sich ergehen. Doch vor Cerberus schien das Mädchen auch weiterhin Furcht zu haben, denn sie hielt einen respektvollen Abstand zu dem hässlichen Höllenhund. Sigma lächelte über diese naive Furcht des Mädchens, doch wie konnte sie auch wissen, dass Cerberus verschmuster sein konnte, als ein kleines Kätzchen.

Dann entdeckte das Mädchen die beiden Pferde und eilte sogleich zu der verletzten Stute.
 

„Dieses Tier hat sehr viel Blut verloren,“ sagte sie, scheinbar ernsthaft besorgt. „Was ist nur mit ihm geschehen, Herr?“

„Ihr wird es bald besser gehen,“ sagte Sigma ein wenig zu grob. Das Mädchen starrte ihn verwirrt an.

„Bitte verzeih mir,“ sagte Sigma entschuldigend. „Die Stute hat ein Fohlen verloren. Durch den Verlust ist sie wild geworden, ausgebüchst und hat sich schließlich irgendwie diese Kopfwunde zugezogen. Ich habe sie gerade wieder gefunden und nun ruhen wir uns hier ein wenig aus, bis es ihr wieder ein wenig besser geht.“
 

Sigma fühlte sich schuldig wegen dieser Lüge, sobald er die traurigen Augen des Mädchens sah.
 

„Du armes Geschöpf,“ sagte das Mädchen zu der Stute. „Der Verlust deines Kindes muss tausendmal schmerzhafter sein, als deine Wunden.“
 

Liebevoll streichelte das Mädchen über den Hals der Stute. Sigma lächelte still bei diesem Anblick und beobachtete entzückt die Besorgnis des jungen Mädchens. Als dieses die Blicke des Mannes bemerkte, errötete es leicht und erhob sich vom Waldboden.
 

„Herr, wenn ihr nichts dagegen habt, dann würde ich mich sehr gerne um die Stute kümmern, bis es ihr wieder ein wenig besser ergeht.“
 

Alles in Sigma sagte ihm, dass es vernünftiger wäre, wenn er das Mädchen so schnell wie möglich wieder los werden würde, doch auf eine, ihm bisher unbekannte Art, verzauberte dieses Menschenkind, mit ihrer Güte und kindlichen Naivität, sein Herz. Und so willigte er in ihren Wunsch ein.
 

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Er erwachte bei den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Er blickte sich um, und entdeckte seine beiden Hunde und Pegasus, wie sie sich um das kleine Mädchen gebettet hatten, um dieses vor Kälte und möglichen Angreifern zu schützen, wie er es gestern Abend befohlen hatte. Das Mädchen selber schlief noch tief und fest. Er betrachtete sie und befand, dass sie wie eine schlafende Göttin aussah: Wunderschön und Unberührbar. Obwohl sie noch ein Kind war, in Menschenjahren vielleicht elf oder zwölf, war sie von den Göttern mit einer unwahrscheinlichen Schönheit gesegnet, die selbst die der Freyja einst übertreffen könnte.
 

Sie hatten gestern Abend kaum mehr ein Wort gewechselt. Das Mädchen hieß Lessandra und stammte aus einen Bauerndorf, dessen Namen sie allerdings nicht sagen mochte, in der Nähe des Waldes. Sie war in den Wald gekommen, um Feuerholz und Beeren zu sammeln, bevor sie Sigma und seine Tiere getroffen hatte. Er selber hatte kaum mehr als seinen Namen ihr gegenüber preis gegeben. Er konnte sich keinem Menschen als ein Gott zu erkennen geben, den diese Menschen anbeteten. Es war ein Tabu und das durfte niemals gebrochen werden. Schon allein der direkte Umgang mit Menschen war den Göttern verboten. Wahrscheinlich würde sie ihm nicht einmal Glauben schenken, selbst wenn er es ihr erzählen würde.
 

Sigma verließ sein Schlaflager und nachdem er einen flüchtigen Blick auf die Stute geworfen hatte, der es sichtlich besser ging, begab er sich zum Fluss, der durch den Wald floss, um dort ein Bad zu nehmen.
 

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Lessandra erhob sich von ihrem Schlafplatz. Sie war gerade erwacht. Verwirrt blickte sie zu Sigmas Schlafstelle und musste feststellen, dass er nicht länger dort lag. Geschäftig widmete sie sich der verletzten Stute und stellte zufrieden fest, dass es ihrer Patientin bereits viel besser zu gehen schien. Das wunderschöne weiße Felle schien noch heller zu leuchten, als die Sonne. Und die großen schwarzen Augen der Stute waren klar und aufmerksam. Noch nie zuvor hatte Lessandra ein weißes Pferd gesehen. Und Herr Sigma besaß sogar zwei davon. Auch hatte sie noch nie solch seltsame und riesige Hunde gesehen. Herr Sigma schien ein sehr wichtiger Mann zu sein, wenn er solch ungewöhnliche Tiere besaß.

Tüchtig ergriff sie ihren Beereneimer, in dem noch immer rötliches Wasser war, von dem Blut, welches sie gestern Abend aus dem Fell der Stute gewischt hatte, und lief zum Fluss, um dort neues Wasser zu holen.
 

Fast lautlos strich sie durch das verworrene Geäst, dass den Weg zum Fluss versperrte. Sie erreichte den Fluss und schöpfte sorgsam sauberes Wasser daraus. Als sie plötzlich ein kaum weit entferntes Plätschern hörte. Neugierig reckte Lessandra ihr Köpfchen in die Richtung aus der das Geräusch kam und augenblicklich ließ sie den frisch gefüllten Eimer zurück ins Wasser fallen. Keine paar Schritte vor ihr badete Herr Sigma.
 

Er hatte sie anscheinend erneut nicht bemerkt, denn er wusch sich ungeniert und ohne seine Blöße zu verbergen. Lessandra wurde augenblicklich rot und wollte ihren Blick abwenden, doch irgendetwas hinderte sie daran. Er war so wunderschön. Sein Körper war markelos, fast wie der eines Gottes. Er war muskulös, hatte feste Waden und einen durchtrainierten Oberkörper. Jeder Zentimeter seines Körpers schien aus Muskeln zu bestehen. Seine schulterlangen schwarzen Haare glitzerten in der Morgensonne bläulich. In seinem markanten Gesicht herrschte ein reger Kampf zwischen Licht und Schatten. Und seine grünen Augen funkelten wie Edelsteine. Noch nie in ihrem Leben hatte Lessandra solch einen schönen und perfekten Menschen gesehen. Dieser gottesgleiche Anblick löste etwas in ihr aus, was sie bisher bei noch keinem anderen Menschen gespürt hatte. Ihr Herz klopfte wild und ihr Bauch kribbelte. Ihre Beine versagten ihren Dienst und Lessandra fiel mit einem lautem Geräusch zu Boden.
 

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Sigma blickte erstaunt in Lessandras sanfte braune Augen. Sie schien ebenso überrascht zu sein, wie er, aber dennoch hatte sich etwas an ihr verändert. Ihr Blick war auf seinen nackten Körper gerichtet. Auch als er seinen Körper gänzlich zu ihr hinwandte, senkte sie ihren Blick nicht beschämt, wie es Sigma beabsichtigt hatte, sondern hafte ihn unumwunden an Sigmas Leibungen. Er ging mit kraftvollen Schritten auf Lessandra zu.
 

„Gefällt dir was du siehst, Kind,“ fragte Sigma herausfordernd. Lessandra schien wie aus einer Trance erwacht und wandte sofort ihren plötzlich hochroten Kopf von ihm ab und stammelte irgendeine Entschuldigung.

„Ist es bei euch Sitte, dass die Frauen den Männern beim Baden zusehen?“ fragte Sigma weiter, woraufhin Lessandra noch verlegenen wurde.
 

Er hatte sie nun vollends erreicht und stand nun in seiner ganzen Männlichkeit vor dem Mädchen. Lessandra verunsicherte diese Nähe und sie wandte ihren ganzen Körper ab von Sigma. Doch Sigma ergriff unsanft die Schultern des Mädchens und drehte sie erneut zu ihm herum. Sie hatte die Augen nun geschlossen.
 

„Sieh mich an,“ befahl Sigma herrisch. Und Lessandra tat wie ihr geheißen und blickte ihm in die Augen. Wie spürte sie wie ihre Wangen glühten vor Scharm. Sigma sah sie streng an.
 

„Verzeiht Herr,“ stammelte das Mädchen. „Ich habe euch zu spät bemerkt....Ich war nur.....Wasser holen für....für die kranke Stute. Ich wollte gar nicht schauen....Es ist nur....Ich habe noch nie....Ich meine....“

„Was,“ lachte Sigma. „Du hast noch nie zuvor einen Mann nackt gesehen? Auch nicht deinen Vater?“

„Mein Vater wurde bereits zu Odin gerufen, als ich noch ein kleines Baby war.“

„Das wusste ich nicht,“ sagte Sigma und entließ das verunsicherte Mädchen aus seinem Griff.
 

Er holte sich seine Kleidung und zog sie sich an. Die bewunderten Blicke des jungen Menschenmädchens hatten ihm mehr geschmeichelt als ihm lieb war. Seine Anwesenheit verunsicherte Sigma von Minute zu Minuten mehr. Er verstand nur nicht weswegen. Irgendwie besaß das Mädchen eine besondere Anziehungskraft für ihn.

Er ergriff den leeren Wassereimer und füllte ihn mit frischem Wasser und ging an dem noch immer verstummten Mädchen vorbei in Richtung Lager. Nach einer kurzen Weile hörte er, wie sich das Mädchen beeilte ihn einzuholen. Stumm lief es neben ihm her. Auch als sie im Lager waren sagte es kein Wort mehr. Sie kümmerte sich sorgsam um die Stute und vermied es in Sigmas Richtung zu blicken.
 

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Er hatte zwei Wildschweine erbeutet. Zuerst hatte er noch versucht die Wildschweine mit seinem Messer zu jagen, doch nachdem sich dieses Unterfangen als schwieriger herausgestellt hatte, als es sein sollte, benutzte er einfach Magie zur Jagd und in weniger als zehn Minuten hatte er sein Abendessen erbeutet. Stolz brachte er das Wild zurück zum Lager. Lessandra war noch einmal eingeschlafen und hatte sich neben die Stute gelegt.
 

Sorgsam nahm Sigma das Wild aus und gab die Eingeweide und die Köpfe seinen beiden Hunden zu fressen, welche sich gierig auf das frische Fleisch stürzten. Dann entfachte er ein Feuer und begann das Fleisch darüber zu braten.

Vom Geruch des zubereiteten Essens geweckt, setzte sich Lessandra zu ihn ans Feuer und beobachtete Sigma bei der Zubereitung der Mahlzeit. Stumm griff sie in ihre Taschen und holte ein paar Beeren hervor.
 

„Du brauchst heute keine Beeren zu essen, ich habe genug Wild für uns alle erbeutet,“ verkündete Sigma stolz.

„Dieses Angebot ist sehr großzügig, Herr, aber mir ist es nicht erlaubt Fleisch zu essen,“ sagte Lessandra beinahe traurig.

„Wie meinst du das?“

„Ich darf mich nur von den Früchten der Felder und der Wälder ernähren, denn meine Mutter wird mich schon bald zum Tempel der Freyja schicken, damit ich dort eine Priesterin Freyjas werde. Diesen ist es verboten Tiere zu töten und schon gar nicht zu essen.“

„Heißt das, du hast noch nie Fleisch gegessen?“

Lessandra schüttelte betrübt den Kopf.

„Das ist doch Blödsinn!“

„Wie könnt ihr so was nur sagen, Herr?“ entrüstete sich Lessandra. „Es ist für mich eine große Ehre, wenn ich die Priesterinnenprüfung bestehen sollte und eine von Freyjas Dienerinnen werden könnte. Freyja ist eine großartige Göttin.“

„Das mag ja sein, aber Freyja schert sich einen Dreck darum, ob ihre Priesterinnen Fleisch essen oder nicht! Keiner der Götter ist wirklich daran interessiert was die Menschen in Midgard tun oder lassen.“

Lessandras Augen wurden groß :

„Das ist Blasphemie!“

„Nein, dass ist die Wahrheit. Ihr Menschen seid nur zu dumm, um das zu erkennen. Ihr vertraut darauf das die Götter euch leiten und beschützen, merkt aber nicht, wie sie euch nur benutzen und gegeneinander ausspielen. Nicht alle Götter sind gutherzig und freundlich gesinnt. Viele Götter Utgards sind liebenswerter als die aus Asgard!“

Lessandra sprang urplötzlich auf und blickte Sigma ungläubig an.

„Wie könnt ihr so was sagen, Herr? Dafür werden die Götter euch in alle Ewigkeiten verdammen! Wenn ein Priester diese Worte hören würde, ihr wäret des Todes!“

Sigma lachte laut und vollkehlig.

„Habt ihr denn gar keine Angst, Herr,“ schrie Lessandra, um Sigmas Gelächter zu durchbrechen.

„Warum sollte ich? Welche Wunder haben die Götter für dich vollbracht, kleine Lessandra, damit du so fest an sie glaubst?“

„Sie haben uns Menschen erschaffen!“

„Ihr seid nichts weiter als Sklaven! Spielfiguren in einem endlosen Schachspiel zwischen Odin und Loki. Der Abfall der Götter. Nichts weiter.“

„Wie könnt ihr nur solche Ungeheuerlichkeiten laut aussprechen? Das dürft ihr nicht! Die Götter dürfen nicht in Frage gestellt werden,“ entrüstete sich Lessandra noch mehr.

„Was genau haben sie jemals für dich als Person bewirkt, dass dein Glaube an sie so gefestigt ist, Mädchen?“

„Ich – Sie haben nicht die Zeit sich um eine so unbedeutende Person wie mich zu kümmern. Sie müssen wichtigere Probleme lösen.“

„Und wer sagt dir das, Kind? Die Götter?“

„Nein, das ist doch bekannt. Die Priester sagen das in vielen Messen.“

„Eben,“ sagte Sigma resignierend. „Eure ehrwürdigen Priester sind nicht die Vertreter der Götter. Sie sind Hochstapler und Verräter. Kein Gott hat jemals einen Menschen als seinen Vertreter auf Erden erwählt. Für die Götter seid ihr nicht mehr wert als Tiere. Teilweise sogar noch weniger.“

„Das dürft ihr nicht sagen, Herr Sigma! Man wird euch hängen für diese Aussagen. Die Götter sind Allmächtig und Gütig. Ihr solltet sie verehren und ihnen dienen. Ihr wurdet sogar nach einem Gott benannt.“
 

Sigma musste sich ein lachen verkneifen. Sie glaube, dass er nach sich selber benannt worden war. Aber woher sollte das Kind auch wissen, dass es in Wirklichkeit der wahre Kriegsgott war?
 

„Sag mir Kind,“ begann er stattdessen. „Hast du dir je von den Göttern gewünscht, dass sie dir deinen toten Vater wieder zurück bringen?“ Lessandra nickte traurig.

„Dann verrat mir doch mal,“ sagte Sigma unwirsch. „Weswegen sie dir deinen Wunsch nicht erfüllt haben, wenn sie doch so Allmächtig und Gütig sein sollen, wie du sagst.“

„Ich sagte bereits, dass sie nicht die Zeit haben, sich um eine so unwichtige Person, wie mich zu kümmern.“

„Das ist Unfug. Die Götter haben soviel Macht, dass sich nur ein einzelner von ihnen um alle Wünsche jedes der Lebewesen Midgards auf einmal kümmern könnte. Aber es interessiert sie einfach nicht, was aus euch wird. Sie Beuten euch aus und ihr verehrt sie dafür. Wie kann man nur so dumm sein?“

„Woher wollt ihr all das wissen? Ihr redet, als wärt ihr kein Mensch. Als würdet ihr die Götter höchst persönlich kennen oder gar einer von ihnen sein, aber ihr seid auch nicht viel mehr, als ein „dummer“ Mensch!“

„Was macht dich da so sicher,“ erwiderte Sigma ernst.
 

Und im gleichen Augenblick schalt er sich innerlich für diese unbedachte Frage. Doch anscheinend hatte diese Frage Lessandra verunsichert. Also bohrte Sigma weiter, in dieser neu entstandenen Wunde aus Zweifel, die sich in ihr geöffnet hatte.
 

„Woher weißt du, was die Götter verlangen oder wie sie aussehen? Hast du schon mal einen getroffen? Alle eure Erkenntnisse habt ihr von euren Priestern. Diese Verräter an der Menschheit. Sie nutzen eure Leichtgläubigkeit aus und ziehen daraus auch noch Profit. Wie oft verhungern Menschen, weil die Priester immer mehr Opfergaben für die Götter vom Volk fordern? Glaubst du allen Ernstes, dass die Götter auf Almosen von Menschen angewiesen sind? Wenn sie so Allmächtig sind, wie du behauptest, dann können sie sich ohne Probleme selber versorgen. Was sollte Freyja davon haben, dass ihre Priester und Priesterinnen kein Fleisch essen? Sie ist eine Vanin, verdammt noch mal, und die sind bekannt dafür, dass sie Tiere jagen und essen. Das ist eine eben so dumme Regelung, wie die, dass nur Männer den Kriegsdienst leisten dürfen. Was sollte der Kriegsgott Tyr davon haben, dass nur Männer als Priester für seinen Orden zugelassen werden? Wo er doch die Ansicht vertritt, dass Frauen ebenso große Krieger sein können, wie Männer.“
 

Sigma spürte, wie Lessandras Glaube allmählich wankte. Sie blickte Sigma immer noch ungläubig an, aber ihre Augen hatten sich mit jedem Argument mehr mit Tränen gefüllt. In ihr tobte ein unerbitterter Kampf. Noch nie hatte sie wirklich über all diese Dinge nachgedacht. Warum auch, sie war ein Kind und sie war leichtgläubig, wie alle Kinder. Wenn die Priester sagen würden, dass Götter von ihr verlangten in den Tod zu gehen, dann würde sie es ohne zu Fragen tun. Kein Mensch stellte die Religion in Frage. Alle glaubten daran, dass die Priester die direkten Verbindungsleute zu den Göttern waren. Ja selbst die Priester glaubten an diesen Irrsinn. Wie also konnte er von Lessandra verlangen, dass sie so einfach an ihren Glauben zweifeln sollte. Sie hatte nie etwas anderes gelernt, als den Göttern zu dienen.
 

Sigma lächelte traurig, als er in Lessandras feuchte Augen blickte und darin all den Schmerz sah, der sich aus ihrem inneren Kampf ergab. Er ging zu ihr hinüber und nahm sie sanft in den Arm. Zuerst wehrte sie sich, aber nicht wirklich. Schon bald begann sie bitterlich in seinen Armen zu weinen.
 


 

Lessandra schlief in seinen Armen. Letztendlich hatte sie doch von dem Fleisch probiert und war daraufhin gleich wieder in Tränen ausgebrochen. Sie war wirklich noch ein Kind und Sigma rügte sich gedanklich dafür, dass er so leichtfertig ihren Glauben ins wanken gebracht hatte. Von nun an würde sie vielleicht ein viel schwereres Leben auf Midgard haben. Menschen, die an die Allmächtigkeit der Götter zweifelten wurden ausnahmslos zu Tode verurteilt. Sigma wollt nicht, dass dieses Schicksal der kleinen Lessandra zu Teil wurde.

Liebevoll strich er über das braune, wellige Haar des zierlichen Mädchens. Sie sah wahrlich wie eine Göttin aus, wenn sie schlief. Warum konnte sie nur keine Göttin sein, dachte Sigma resigniert und schlief ebenfalls ein.
 


 

Sigma erwachte, weil er seinen Namen hörte. Lessandra stand vor ihm. Sie war nervös und hielt seinem Blick keine zwei Augenblicke lang stand. Sie blickte betreten zu Boden und wartete, bis sich Sigma aufgerichtet hatte und sie seine ganze Aufmerksamkeit hatte.
 

„Ich werde euch nun verlassen,“ begann sie zögerlich und mit dünner Stimme. „Meine Mutter wird sich bereits fragen, wo ich so lange geblieben bin. Sie wird mich für diese Verspätung, die fehlenden Beeren und das fehlende Holz schelten. Aber ich glaube, dass es jetzt besser ist, wenn ich nun zu ihr zurück kehre.“
 

Sie war immer noch verlegen und wich seinen Blicken aus. Sigma nickte stumm und erhob sich dann. Er blickte sie an und ließ sie danach einfach stehen, während er von ihr fort ging.
 


 

Lessandra verabschiedete sich von der Stute und dem weißen Hengst, dem schönen und dem hässlichen Hund, sammelte dann ihre Sachen zusammen und verließ das Lager. Sigma war nicht wieder aufgetaucht und sie glaubte auch nicht, dass er noch einmal zu ihr kommen würde, um sich anständig von ihr zu verabschieden.
 

Wahrscheinlich hatte sie ihn heute morgen das Letzte Mal in ihrem Leben gesehen. Dieser Aspekt machte sie ganz besonders traurig. Zwar war sie immer noch entsetzt über die Tatsache, dass der großartige Herr Sigma ein Ketzer war, aber irgendwie glaubte sie ihm auch. Obwohl sie immer noch an die Existenz der Götter und an die Liebe der Götter zu den Menschen glaubte. Sie konnte ihren Glauben einfach nicht aufgeben. Wie sollte sie auch? Sie würde schon sehr bald als Priesterin im Tempel der Freyja leben und dort jeden Tag nach den Gesetzen der Götter leben und diese lehren müssen. Wie sollte sie dieses Leben durchstehen, wenn sie nicht Glauben würde?

Auch wenn sie Sigma nur wenige Tage kennen lernen durfte, war sie von ihm fasziniert und wünschte sich, dass sie sich nicht trennen müssten. Aber was blieb ihr anderes übrig?
 

Sie hatte den Wald fast hinter sich gelassen, als sie Hufgetrappel hinter sich vernahm. Sie blickte sich um und entdeckte Sigma, auf seinem weißen Hengst. Die beiden Hunde und die Stute liefen hinter ihm her.

„Steig auf die Stute,“ befahl Sigma in einem Ton, der ihr klar machte, dass er keinen Widerspruch dulden würde. So gehorchte Lessandra.

Sie preschten im gestreckten Galopp übers Land. Verwundert stellte Lessandra fest, dass sie zielstrebig auf ihr Dorf zuritten. Hatte sie gegenüber Sigma einmal erwähnt, woher sie stammte? Sie glaubte, dies nicht getan zu haben. Doch woher sollte er es sonst wissen?
 

Nach einigen Stunden hatten sie das Dorf Trivium erreicht und Sigma steuerte ebenso zielstrebig, wie er dieses angesteuert hatte, den Hof von Lessandras Familie an. Er ritt mit ihr direkt zu ihrem Haus und stieg dort angekommen von seinem Pferd.
 

Lessandras Mutter arbeitete gerade im Pferdestall und kam heraus, als sie das Hufgetrappel der Pferde auf ihrem Hof vernahm. Sie blickte den Unbekannten vorsichtig und ein wenig furchtvoll an, bis diese ihre Tochter auf dem anderen Pferd erblickte. Dann kam sie im Eiltempo auf dieses seltsame Gespann zugelaufen, um dann wieder einige Meter entfernt stehen zu bleiben. Unsicher, ob sie sich an den Mann heran trauen konnte, ohne das seine wirklich ungewöhnlichen Hunde sie anfallen würden.
 

„Ich bringe euch eure Tochter wieder. Ich bin sicher, ihr habt sie bereits sehnsüchtig erwartet,“ begann Sigma in einem kalten Tonfall, der Lessandra aufhorchen lies.

„Ich danke euch Herr,“ sprach Lessandras Mutter und verbeugte sich vor Sigma. „ich hoffe sie hat euch nicht all zu große Probleme bereitet. Das Kind ist ein wahrer Wildfang. Sie ist vorlaut und eigenwillig, wie es ihr Vater auch war...Verzeiht, ich wollte nicht so viel erzählen.“ Sie schien selber verwirrt zu sein, warum sie einem Fremden all dies erzählte.

„Keine Sorge, gute Frau,“ sagte Sigma immer noch so kühl wie vorher. „Sie ist ein gutes Kind und hat mir sehr geholfen.“

„Danke mein Herr,“ bedankte sich die Frau bei Sigma und richtete sich dann mit harschen Worten an Lessandra :

„Lessandra, Kind, kommst du wohl endlich von dem Pferd herunter.“
 

Erst jetzt bemerkte sie, dass die beiden Pferde, des Herren Schneeweiß waren. Noch nie in ihrem Leben hatte sie weiße Pferde gesehen. Und erst recht nicht so schöne. Der Herr musste ein sehr wohlhabender Mann sein, wenn er solche Tiere besaß.
 

„Schon gut,“ unterbrach Sigma. „Ich möchte, dass Lessandra das Pferd behält.“

„Was, aber Herr Sigma...,“ stammelte Lessandra überrascht.

„Das können wir nicht annehmen,“ unterstützte sie ihre Mutter.

„Nein,“ sagte Sigma. „Ich bestehe darauf und dulde in dieser Sache keinen Widerspruch. Und überhaupt wäre die Stute womöglich nicht einmal mehr am Leben, ohne Lessandras Hilfe.“ Was zwar eine Lüge war, aber sie half den beiden Frauen bei der Akzeptanz seiner Entscheidung.

„So ein großzügiges Geschenk, Herr. Vielen Dank“

„Bedankt euch nicht zu früh, Frau,“ sagte Sigma harsch. „Ich verlange, dass dieses Tier ausschließlich Lessandra gehört. Es darf von niemanden anderen versorgt oder geritten werden. Es darf nicht verkauft werden und es wird ihr nicht weggenommen. Es gehört einzig und allein Lessandra, haben wir uns in diesem Punkt verstanden?“ Lessandras Mutter nickte unterwürfig.

„Was ist, wenn die Priester mich zwingen es zu opfern, für die Götter?“

„Das werden sie nicht, dafür werde ich sorgen.“ Lessandra und auch ihre Mutter blickten Sigma fragend an, doch er belies es bei dieser wagen Auskunft.

„Vielen Dank, Herr,“ sagte Lessandras Mutter erneut.
 

Sigma nickte und schickte sich an sein Pferd zu wenden und den Hof zu verlassen. Neben Lessandras Stute blieb er noch einmal stehen und reichte ihr ihren Korb für das Holz und ihren Eimer für die Beeren. Beides war bis zum Rand mit diesen Dingen gefüllt. Erstaunt blickte Lessandra Sigma an. Dieser lächelte nur kurz und nickte ihr zu.
 

„Leb wohl, Lessandra. Ich wünsche dir alles Gute für dein Leben,“ sagte Sigma liebevoll zu ihr.
 

Sie wollte ihn umarmen, aber sie traute sich nicht vor den Augen ihrer Mutter. Und sie war sich auch nicht so sicher, ob Herr Sigma es zulassen würde. Deswegen sagte sie ihm nur schüchtern Auf Wiedersehen und blickte ihm traurig hinterher, als er mit seinen Hunden und ohne seine wunderschöne weiße Stute, auf der sie immer noch saß, den Hof verlies.

Dwarves

Sigma hatte nun schon die zweite Zutat für seine Waffe beisammen. Die Geschichte mit Lessandra und dem Einhorn hatte zwar einige Zeit in Anspruch genommen, aber er war trotzdem froh, dass es so gekommen war. Er wollte die Begegnung mit Lessandra nicht missen wollen. Auch wenn er sie vermutlich nie wieder sehen würde. Doch das alles war nun nebensächlich. Er hatte sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen : Die Herstellung einer ultimativen Waffe.
 

 Sigma hatte beschlossen sich zunächst mit der Beschaffung des Regenbogenfadens zu befassen. Dazu musste er die vier Wächter der Himmelrichtungen aufsuchen : Die Zwerge Austri, Westri, Nordi und Sudri. Da diese unter je einer der vier Himmelsstützen lebten, die Asgard über Midgard hielten, hatte Sigma weite Wege zurück zu legen. Es würde Wochen dauern bis er bei allen vier Zwergen gewesen war und sich dort von ihnen die Fragmente des Regenbogens zu eigen machen konnte.
 

Er beschloss im Urzeigersinn vorzugehen und machte sich zunächst auf den Weg nach Westen, in das Land der Prärien und der Pferdeherren. Die Menschen, die dort lebten, hausten in Höhlen oder Zelten aus Tierleder. Die waren eins mit der Natur und ihren Wesen und beteten vor allem die Naturgötter und Fruchtbarkeitsgötter an. Es war friedliebende Menschen, die in kleinen Gruppen, genannt Clane lebten und ihre Territorien eifersüchtig verteidigten vor den anderen Menschen Midgards.

Auf seinen Weg nach Westen durchquerte Sigma zwangsläufig einige der Lebensräume dieser Menschen. Zwar hielt er sich weitestgehend fern von ihren Siedlungen, aber ab und an begegneten ihm einige dieser Menschen auf ihren bunten Wildpferden. Auch diese Menschen waren fast gänzlich in Tierfelle oder Tierleder gehüllt. Sie trugen lange, offene Haare, die meist mit geflochtenen Zöpfen oder Federhaarschmuck verziert waren. Sie hatten, anders als die Menschen im Norden oder Osten, einen dunkleren Teint. Ihre Gesichter waren scharfkantig, als wären sie aus Holz geschnitzt worden. Trotz ihrer Wildheit waren es sehr schöne Menschen. Nicht nur äußerlich, auch ihr Wesen war rein, da sie eins mit der Natur zu sein schienen. Viele Menschen, die in den anderen Regionen Midgards lebten, wussten nichts von der Existenz dieser wilden Menschen. Und Sigma fand, dass das auch das beste für beide Parteien war.
 

Dieser Teil der Welt war unangetastet und wild. Die Tiere lebten frei und wurden nicht für Arbeiten der Menschen missbraucht. Sie dienten wenn überhaupt als Futterlieferanten oder Reittiere. Die Natur war noch gesund und in den Wäldern lebten die meisten Naturgeister Midgards unbemerkt und glücklich. Die Grasebenen war riesig und saftig grün. Die Luft war rein und unverschmutzt. Sigma war gerne in diesem Teil Midgards.
 

Es dauerte sieben Tage, bis Sigma die ersten Pfeiler der Welt und den Wohnort von Westri erreichte.

Die Pfeiler der Welt waren für die Menschen unsichtbar. Ebenso wie die Zwerge und die anderen Naturgeister. Nur Götter konnten sie finden, wenn sie danach suchten. Die Pfeiler der Welt reichten hinab nach Utgard und hinauf nach Asgard. Sie stützten die drei Reiche und sorgten dafür, dass sie sich nicht berühren konnten.

Westri war ein typischer Zwerg. Er hatte braunes, krauses Haar, welches ihm bis zu den Schultern wirr und ungezähmt herab hing. Sein, aus dem gleichen Haartyp gewachsener, Bart umrahmte spielerisch sein klobiges Zwergengesicht. Unter seinen buschigen Braunen blickten kleine dunkle Knopfaugen hervor. An die klumpige Knollennase schloss sich ein kleiner Mund, mit breiten Lippen an. Er reichte Sigma nicht einmal bis zur Hüfte, aber schien trotzdem so dick wie hoch zu sein. An seinen winzigen Körper wuchsen unnatürlich große Hände und Füße, die ebenfalls dick und klobig waren. Er trug, wie die Menschen in diesem Land, Kleidung aus Tierfellen, so das Sigma ihn zunächst gar nicht gesehen hatte, weil er ihn für ein Tier gehalten hatte. Nur an seinem unglaublich lautem Geschnarche hatte Sigma den Zwerg als diesen ausmachen können. Denn wie es nun mal die Art der Zwerge war, hatte dieser unter dem Pfeiler geschlafen. Es gab noch einige andere Zwerge in den Reichen, außer den vier Himmelspfeilerwärtern. Jedoch lebten diese vor allem Unterirdisch und bauten dort Mineralien in den Gebeinen der Welt ab, die sie dann zu kostbaren und Machtvollen Waffen formen konnten. Zwerge, die über der Erde leben mussten, waren oft träge und faul. So also auch die vier Wächter.
 

Sigma trat den schnarchenden Zwerg unsanft in die Seite, so dass dieser aus seiner bequemen Schlafposition gerissen wurde. Wütend sprang der Zwerg auf, zog seine riesige Axt und drehte sich im Urzeigersinn, während er verärgert brüllte. Nach einer kleinen Weile entdeckte er den Kriegsgott und senkte ärgerlich seine Axt. Sigma konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen, als er dem Zwerg den Grund seines Besuches offenbarte:
 

„Was willst du, Kriegsgott,“ fragte Westri mürrisch.

„Ich bin auf der Suche nach einem Komplettsatz Regenbogenessenz und wollte dich um ein paar bitten,“ sagte Sigma frei heraus. Es hatte keinen Sinn den Zwerg anzulügen. Dieses kleine Völkchen witterte eine Lügen, wie Raubtiere ihre Beute.

„Du weißt, dass ich nur über zwei der acht Essenzen verfüge und du meine Brüder aufsuchen musst, wenn du sie alle haben willst?“

„Das ist mir bekannt.“

„Ich verstehe euch Götter nicht,“ begann Westri grummelnd. „Ihr macht euch auf eine so lange Reise, nur für solch winzige Edelsteine.“
 

Regenbogenessenz bestand aus gebündeltem Farbäther, der sich einmal alle zehn Jahre verfestigte, sich darauf von einer der acht Grundfarben des Regenbogens löste und in Form eines winzigen Edelsteines vom Regenbogen abperlte. Die Wächter der Pfeiler sammelten diese Edelsteine auf, wobei die jeweiligen Steine gewissenhaft und gerecht auf alle vier Zwerge verteilt wurden. Zusammen genommen besaßen diese acht Farbsteine eine unglaubliche Macht, die niemanden gesamt in die Hände fallen durfte. Eigentlich durften nicht einmal die hohen Götter diese Edelsteine besitzen, denn mit allen acht, war jeder beliebige Gott in der Lage, über alle acht Elemente zu herrschen. Für Sigma jedoch galt diese Regelung nicht, da er ja bereits die Macht der acht Elemente in sich vereinigte. Was seine Aufgabe zumindest in dieser Hinsicht erleichterte.
 

„Ihr habt doch nicht vor damit Schaden anzurichten, oder Kriegsgott?“

„Keine Sorge, werter Herr Westri,“ antwortete Sigma schmunzelnd. „Ich möchte damit nur meine Kampfausrüstung ein wenig verstärken.“
 

Was ja nicht einmal gelogen war.
 

„Das ist ein guter Grund, um Regenbogenessenz zu sammeln. Für uns Zwerge wäre das eigentlich der einzigste Grund.“
 

Westri grinste verschmitzt und kramte unter seinen Tierfellen zwei winzige Edelsteine hervor. Das eine Steinchen war braun, während das andere dunkelblau war. Diese Farben Symbolisierten die Macht der Erde und die Macht Wassers.
 

„Geh vorsichtig mit den Essenzen um und gib acht, dass sie nicht in Falsche Hände geraten! Sie mögen zwar unscheinbar aussehen, aber sie können zu einer gefährlichen Waffe werden, wenn man ihre Kräfte zu entfesseln weiß. Aber wem sag eich das? Du bist ja schließlich der Gott der acht Elemente!“
 

Sigma stimmte in das Gelächter Westris mit ein, um diesen nicht durch sein ungeduldiges Verhalten zu beleidigen. Sigma nahm die zwei Essenzperlen entgegen und verstaute sie sicher in einem kleinen Lederbeutel, den er sich darauf um seinen Hals band und unter seine Rüstung verstaute. Dann bedankte er sich bei dem kleinen Mann und machte sich eilig auf den Weg zum zweiten Zwerg.
 

 Der Zwerg Nordi gleichte seinem Bruder des Westens nur im Körperbau. Er trug einen ledernden Harnisch am Körper und Eisenschienen an den Armen und Beinen, wie ein Krieger sie tragen würde. Auf seinem Kopf thronte ein metallischer Helm, der ebenfalls mit Leder überzogen war. Unter diesem Helm quoll langes, glattes, blondes Haar hervor, welches der Zwerg auf dem Rücken zu einem Zopf geflochten hatte, um es zu bändigen. Auch sein Bart war zu einem Zopf zusammen gebunden und reichte bis weit über seinen dicken Bauch. Seine Augen waren wach und von strahlender blauer Farbe. Schon als Sigma noch weit vom Pfeiler des Nordens entfernt war, war der Zwerg aufgestanden und hatte ihn seitdem wachsam erwartet.
 

„Seid gegrüßt, Wächter des Pfeilers,“ begrüßte Sigma den Zwerg. Sigma war erschöpft vom tagelangen reiten und erhoffte sich, dass der Besuch bei Nordi ihn auch nicht mehr Zeit, als der bei Westri, kosten würde.

„Du ebenfalls, Kriegsgott. Gehe ich recht der Annahme, dass dein Besuch bei mir nicht nur rein höflicher Natur ist?“

„Sehr wohl, Meister Nordi. Ich hatte gehofft von euch die Regenbogenessenzen der Dunkelheit und des Eises zu erstehen.“

„Wofür benötigt ihr die Essenzen denn?“

„Ich habe vor meine Rüstungen aufzubessern.“

„Wenn das so ist, dann würde ich dir sehr gerne entgegen kommen, aber leider bin ich nur noch im Besitz der hellblauen Essenz. Die schwarze Essenz habe ich vor kurzem erst weggegeben. Die schwarze und weiße Essenz wird immer sehr begehrt unter euch Göttern. Und deswegen auch schnell vergriffen, wenn der Regenbogen sie produziert hat. Wir Zwerge interessieren uns eigentlich immer nur für die Essenz des Feuers. Sie hilft uns beim Waffen schmieden.“
 

Sigma starrte den Zwerg fassungslos an. Er hatte nicht daran gedacht, dass die Essenzen vielleicht nicht mehr im Besitz der Zwerge sein könnten. Er hatte einfach nicht Geduld noch Jahre zu warten, bis die nächste Essenz herangereift war. Sigma schalt sich, gedanklich, selbst für diesen Denkfehler. Immerhin war er Kriegsgott und ein meisterhafter Stratege, der sonst immer jeden seiner Schritte sorgsam im Voraus geplant hatte. Doch schon bald hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, um in aller Ruhe seine nächste Vorgehensweise überdenken zu können. Er fragte Nordi in wessen Besitz sich die jetzige dunkle Essenz befand und die Antwort überraschte selbst ihn: Sein Vater, der Gott der Finsternis und des Todes, Nefertem. Doch was sollte dieser mit einer solchen Essenz wollen, wenn er doch schon über die Finsternis und deren Magie herrschte?
 

Sigma bedankte sich für diese Auskunft bei dem Zwerg und bat ihn erneut um die Essenz des Eises, welches dieser ihm bereitwillig übergab. Sigma verstaute den Edelstein in seinem Lederbeutel bei den anderen zwei Essenzen und verabschiedete sich höflich von dem Wächter.



Auf seinen Weg zu Austri überlegte Sigma angestrengt, wie er an die dunkle Essenz kommen sollte, die sein Vater besaß. Dieses Unterfangen stellte sich als arge Herausforderung heraus. Und was würde er machen, wenn sein Vater die Essenz bereits aufgebraucht hatte? Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als zehn Jahre zu warten, bis die nächste Essenz heran gereift war. Das konnte er nicht akzeptieren! Er wollte die Essenz jetzt. Diese ganze Zutatensuche ging ihm allmählich auf die Nerven! Sie dauerte nun schon Monate und er hatte noch immer nicht alle Zutaten zusammen. Und selbst wenn er die Zutaten beisammen hätte, wusste er nicht, wie es Pirotess damit gelingen sollte, seine Zauberwaffe zu schmieden. Er verlor langsam die Geduld, aber er zwang sich zur Ruhe. Noch war nicht aller Tage Abend. Erst einmal würde er sich die anderen Essenzen holen und dann würde er so oder so hinab nach Utgard steigen müssen, um dort seine letzte Zutat zu besorgen. Und vielleicht, würde er dann auch in Erfahrung bringen können, ob sein Vater noch immer im Besitz der schwarzen Essenz war.
 

Austri sah den Kriegsgott schon von weitem. Er sah erschöpft aus. Sehr unüblich für dieses Energiebündel, dachte Austri im stillen.
 

„Es freut mich dich zu sehen, junger Kriegsgott,“ sagte Austri erfreut, während er sich eine Strähne seines schwarzen Haares aus dem Gesicht strich. „Du musst lange unterwegs gewesen sein, wenn du so erschöpft bist.“

Sigma erzwang sich ein Lächeln und antwortete müde:

„Ihr habt recht, Meister des Ostpfeilers. Ich habe in den letzten Wochen wenig geschlafen und war viel unterwegs. Ich habe eure Brüder Westri und Nordi besucht, da ich von euch Brüdern die Essenz des Regenbogens benötige, um meine Ausrüstung zu verbessern.“

„Und dafür benötigst du die Essenzen aller acht Elemente? Es erscheint mir unfair, dir in dieser Dekade alle Essenzen zu überlassen. Eilt dein Anliegen denn so sehr, dass du nicht noch zehn Jahre warten kannst?,“ fragte Austri misstrauisch.

„Bitte,“ begann Sigma gequält. „Ich weiß, dass es ein vermessener Wunsch ist, aber ich habe wirklich nicht die Geduld eine so lange Zeit auf die Essenzen zu warten.“

„Ihr Götter merkt doch einen so kurzen Zeitraum, wie zehn Jahre, nicht mal,“ bemerkte der Zwerg spöttisch.

„Vielleicht, aber trotzdem vergehen sie mir, für mein Anliegen zu langsam. Ich bin nun der oberste Kriegsgott Asgards und Leibwächter Odins. Um meine Tätigkeiten ordnungsgemäß ausführen zu können, benötige ich eine, des Aufgabenbereiches, entsprechende Rüstung.“

„Das verstehe ich, aber dennoch habe ich bedenken.“
 

Sigma konnte gerade noch einen Seufzer unterdrücken. Wie sollte er dem alten Sturkopf nur seine zwei Essenzsteine abschwatzen? So langsam stellte sich diese Reise als wahres Martyrium heraus. Er war erschöpft und nicht gerade bester Laune, also wie sollte er es dem Zwerg verständlich machen, dass gerade er, als Kriegsgott, diese Essenzen benötigte? Dann hatte er plötzlich einen Geistesblitz.

„Ihr meint also, dass ich zu Odin zurück kehren soll und ihm berichten soll, dass sein oberster Kriegsgott es nicht einmal fertig gebracht hat, sich die acht Essenzen, für die Verteidigung Asgards, zu besorgen? Und das nur, weil ihr es unfair findet, dass ich in dieser Dekade alle acht Essenzen erhalte. Ich würde gerne mit eigenen Augen sehen, wie ihr diese Meinung vor Odin rechtfertigt. Das wäre gewiss ein interessantes Schauspiel.“
 

Sigmas Plan ging auf. Er konnte in Austris dunklen Schlitzaugen, so etwas wie Furcht aufblitzen sehen. Um sich etwas Zeit zu verschaffen, strich sich der kleine Zwerg erneut seine glatten dunklen Haare aus seinem Gesicht, bevor er antwortete:
 

„Ich bitte dich, Sigma. So war das doch nicht gemeint! Immerhin kennen wir uns nun schon so lange, dass ich geglaubt hatte, meine Meinung offen Kundtun zu können. Natürlich kannst du die Essenzen von mir haben.“ Eilig kramte er seine zwei Edelsteine aus seinem Umhang hervor. Austri war im Besitz des Steines des Feuers und des Blitzes. Sigma ergriff die rote und die gelbe Essenzkugel und bedankte sich höflich bei dem Zwerg, bevor er sich dann wieder auf sein geflügeltes Pferd schwank und davon ritt.
 

Der Osten Midgards unterschied sich grundlegend vom Norden des Landes, in dem Sigma zuvor war, um Nordi aufzusuchen. Das Klima im Norden war weitaus kühler, als in anderen Regionen. Dort lagen zu sechzig Prozent des Jahres, nach dem menschlichen Kalender, Schnee und Eis. In der restlichen Zeit des Jahres war es einfach nur kalt. Weswegen die Menschen dort auch stetig in dicken Tierfellen gekleidet waren. Sie hatten einen hellen Hauttyp, helle - meist blaue – Augen und zu meist blonde, glatte Haare. Sie waren oft rebellisch und kriegerisch und verehrten deshalb auch mit großer Vorliebe die Kriegsgötter. Nicht wenige waren Anhänger Sigmas, weswegen er sich immer sehr vorsichtig durch dieses Land bewegen musste. Da das Wetter dort immer sehr rau war, ernährten sich die Menschen dort häufig von Fisch und Fleisch. Gemüse oder Obst kannten sie kaum, da es sehr schwer war, dort etwas an zu bauen.
 

Gänzlich anders erging es den Menschen des Ostens. Das Klima dort war mild und eingeteilt in vier verschiedene Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ebenso, wie in der westlichen Region Midgards. Dennoch war der Osten nicht ganz so warm, wie der Westen. Doch durch dieses milde Klima gelang den Menschen im Osten der Anbau von Feldfrüchten und die Zucht von Huftieren, welche diese Menschen nicht nur aus Nahrungsgründen züchteten. Meist halfen diese Tiere auch beim Ackerbau. Die Menschen im Osten hatten häufig dunkle oder gänzlich schwarze Haare und Augen. Sie waren nicht so groß, wie die Menschen in den anderen Regionen Midgards. Sie lebten am liebsten in Häusern aus Holz und in großen Gemeinschaften. Sie waren ein sehr friedfertiges Völkchen, welche vorwiegend die Tiergötter verehrten.
 

Die Menschen des Südens dagegen waren sehr fasziniert von der Magie. Sie versuchten sie zu praktizieren und für ihr alltägliches Leben zu nutzen. Denn der Süden, war ein sehr warmes Land. Hier herrschte große Hungersnot, da man auf Grund des heißen Wetters kaum Feldfrüchte anpflanzen konnte, da es zu wenig Wasser zum bewässern der Felder gab.
 

Natürlich waren sie nur Amateure in der Verwendung von Magie, wenn man sie mit der Macht der Götter verglich, aber dennoch lernten sie sehr schnell. Sie beteten die Elementargötter an, zu denen ebenfalls Sigma gehörte. Im Grunde besaß er im Süden Midgards einen größeren Anhängerstamm, als im Norden.
 

Die Menschen des Südens wurden meist gemieden von den anderen Völkern. Nicht nur auf Grund der Nutzung der Magien, sondern auch, weil die Menschen des Südens ein ungewöhnliches Aussehen besaßen. Sie hatten fast alle leuchtend rote Haare und grüne Augen. Außerdem gab es in diesem Völkchen unglaublich wenig Männer und so waren die Frauen meist wild und ungezähmt. Diese Eigenschaften erschreckten die anderen Völker meist. Sigma dagegen mochte diese verrückten Frauen. Zwar waren sie zumeist der Grund weswegen auf Midgard Krieg ausbrach, aber dennoch waren die Menschen des Südens immer fröhlich und aufgeweckt. Nur zu gerne mischte sich Sigma unter die Feste der Südländer, da diese immer zu einem außergewöhnlichen Spaß wurden. Leider war es Göttern verboten mit Menschen zu verkehren und so blieben diese Ausflüge sehr selten und auch dann nur unter größter Vorsicht. Dennoch gab es unwahrscheinlich viele Anhänger der dunklen Götter im Süden. Weswegen auch viele Nefertem und Loki verehrten.

Als diese Unterschiede gingen Sigma durch den Kopf, während er auf den Weg zu Sudri war. Er durchstreifte das weite, sehr warme Land des Südens und versuchte eine Lösung für sein Problem zu finden, wie er den schwarzen Edelstein von Nefertem bekommen sollte.
 


 

Sudri war eine Zwergenfrau, wie es in den Gebeinen der Welt keine zweite gab. Sie hatte, wie die Frauen dieses Landes, welliges, feuerrotes Haar und magische, grüne Augen. Sie war kräftig und besaß unübersehbare Rundungen. Vielleicht war Sudri die schönste Zwergenfrau überhaupt, aber Sigma hatte auch noch nicht so viele von ihnen gesehen.
 

„Seid gegrüßt, schöne Sudri,“ begann Sigma fröhlich.

„Ah, der junge Sigma,“ lachte Sudri, als sie den Kriegsgott blickte. „Charmant wie immer. Das kann nur bedeuten, dass du was von mir willst. Und da ich nicht sehr viel besitze, was dich interessieren könnte, gehe ich mal davon aus, dass du meinen Stein des Lichtes und der Luft haben möchtest.“

„Ihr habt nur teilweise Recht, meine Liebe. Ich bin tatsächliche hier, wegen der Essenzen, aber dennoch habt ihr viel zu bieten, was ein Mann begehren könnte.“

Sudri lachte laut auf und schenkte Sigma ein Augenzwinkern: „Ich befürchte, dein neuer Meister wird eine Liebschaft, zwischen seinem neuen Leibwächter und einer einfachen Zwergenfrau, nicht gutheißen.“

„Ach was, mein Herr hat selber die eine oder andere geheime Liebschaft, die besser nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte.“

Wieder lachte Sudri schallend auf, aber wurde dann schnell wieder ernst: „Ich befürchte, dass du deinen Posten, mit dieser Einstellung, nicht sehr lange behalten wirst, mein Junge. Ich habe gehört, du hast dich sogar schon mit Heimdal verstritten. Das ist nicht gut, Sigma! Odin hält sehr viel von dir, aber er würde sich niemals gegen den Wächtergott stellen. Dafür hat Heimdal einfach schon zu oft, die Grenzen verteidigt und seine Treue gegenüber Odin beiwesen.“

„Ich weiß, Sudri. Ich habe meinen Fehler eingesehen und mich bei diesem Hohlkopf entschuldigt, aber ich befürchte wir werden wohl nie Freunde werden.“
 

Sigma grinste und Sudri erwiderte sein Grinsen. Als Junge war Sigma häufig bei der kleinen Frau gewesen. Durch die häufigen Kriege im Süden waren er und sein Vater sehr häufig hier, um die Kämpfe zu leiten und ihre Schützlinge zu beschützen. Dabei hatte Sigma sehr häufig die Gegend durchstreift und war irgendwann auf den Pfeiler des Südens gestoßen. Mit der Wächterin des Pfeilers hatte er sich auf Anhieb verstanden und Sudri von da an regelmäßig besucht. So hatte er auch viel über die Menschen Midgards und die anderen Wächter erfahren.
 

„Wofür brauchst du die Essenzen eigentlich,“ Unterbrach Sudri Sigmas Gedankengang.

„Ich möchte sie in meine neue Waffe integrieren.“
 

Sigma merkte seinen Fehler erst, als es zu spät war. Er hatte der Zwergenfrau aus versehen seine wahren Absichten mitgeteilt. Sudri hatte ihm seine Überraschung über diesen Ausrutscher angemerkt:
 

„Das wolltest du jetzt eigentlich nicht sagen, oder? Keine Sorge, ich werde dein Geheimnis für mich bewahren.“

„Ich habe zu den anderen Wächtern gesagt, dass ich die Steine für meine Ausrüstung als Odins Leibwächter benötige.“

„Na ja, dann hast du sie ja nicht direkt angelogen. Es soll wohl eine ganz besondere Waffe werden, oder?“

„Ja,“ begann Sigma zögerlich.
 

Obwohl er mit Sudri ein freundschaftliches Verhältnis hatte, war ihm unwohl bei dem Gedanken, sie in seine Pläne einzuweihen. Aber dennoch erzählte er ihr letztendlich doch die ganze Geschichte. Nur die Begegnung mit Lessandra ließ er dabei aus. Immerhin hielten Zwerge noch weniger von Menschen, als Götter, falls das überhaupt möglich war.
 

„Du begibst dich auf dünnes Eis, mein Lieber. Das Adamantium zu beschaffen, mag zwar gefährlich gewesen sein, aber der Diebstahl des Einhorns kann dich deine Unsterblichkeit kosten! Sei vorsichtig, Junge. Und vor allem darfst du mit niemanden über deinen Plan reden!“

„Ich weiß,“ sagte Sigma missmutig und wandte seinen Blick unruhig von Sudri ab, woraufhin diese lauthals anfing zu lachen.

„Du bist schon ein seltsamer Junge. Du nimmst all diese Strapazen auf dich, nur um eine unbesiegbare Waffe schmieden zu lassen. Und das auch noch von einer Elbin!“

„Ich weiß, die Zwerge mögen die Elben nicht. Aber meine Mutter hat mir versichert, dass Pirotess die beste Schmiedin aller drei Reiche ist und das es nur ihr gelingen wird, mir diese Art von Waffe zu schmieden.“

„Pah! Eine Elbin wird nie eine bessere Schmiedin sein, als die Schmiedemeister meines Volkes! Diese spitzohrigen Waldzauberer! Denen würde ich niemals etwas so wichtiges anvertrauen. Allerdings gebe ich zu, dass ich dem Urteil deiner Mutter vertraue. Sie hat viel Erfahrung im schmieden von Waffen. Immerhin war sie einst eine Walküre! Sie hat mehr Schlachten erlebt, als wir beide zusammen. Sie wird wissen, wovon sie spricht!“

„Genau aus diesem Grund habe ich mich auch an ihren Rat gehalten und Pirotess aufgesucht. Und du hast recht, Elben sind wirklich ein seltsames Völkchen.“
 

Wieder lachten Sudri und Sigma gemeinsam. Dann holte Sudri ihre zwei Essenzen aus ihrem Umhang und reichte sie Sigma.
 

„Wenn du die letzte Essenz von deinem Vater hast, dann musst du mit den acht Essenzen zu den Nornen, den drei Schicksalsgöttinnen Urd, Verdandi und Skuld, gehen. Nur sie sind in der Lage, aus den Essenzen, einen Regenbogenfaden zu spinnen.“

„Wo finde ich diese Nornen?“

„Hast du schon einmal von dem Orakel von Delta gehört?“

„Ja, soll das heißen, dass diese drei das Orakel bilden?“

„Ganz genau das soll es heißen,“ antwortete Sudri neckisch.

„Delta befindet sehr weit nördlich, aber dennoch zentral auf Midgard. Du wirst die drei Schicksalsgöttinnen auf dem Gipfel des Schicksalsberges finden. Und so wie ich sie kenne, werden sie dich bereits erwarten. Immerhin sind sie die Göttinnen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.“

„Danke, wunderschöne und allwissende Sudri,“ sagte Sigma und verbeugte sich vor der Zwergenfrau.
 

Diese lachte fröhlich, aber wurde sofort wieder ernst.
 

„Sigma, bitte sei vorsichtig. Ich weiß, wie wichtig dir diese einmalige Waffe ist, aber du könntest damit mächtige Götter verärgern. Du hast gerade erst deinen neuen Posten als Odins rechte Hand bezogen. Das war immer dein Wunsch gewesen, so lange wie ich dich kenne. Verdirb dir das nicht, nur wegen eines Spielzeuges.“

„Sudri,“ sagte Sigma eindringlich. „Ich will diese Waffe. Ich habe mir noch nie etwas so sehr gewünscht, wie diese Waffe. Sie ist mir wichtiger als mein Posten bei Odin. Und ohnehin habe ich mittlerweile feststellen müssen, dass Odin kaum besser ist als Loki.“

„Sigma,“ empörte sich Sudri lautstark. „Wie kannst du so was nur sagen? Loki ist ein hinterhältiger Schurke, der kein Gewissen hat und über Leichen geht. Wie kannst du Odin nur mit diesem Verräter vergleichen?“

„Nein, ich gebe zu, dass sie in nicht allem gleich sind, aber so grundlegend verschieden, wie du glaubst sind sie auch nicht. Beide gehen für ihre Ziele über Leichen. Odin hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, seine Geliebte Freyja an Thrym geopfert, nur um Mjöllnir zurück zu bekommen. Täglich sterben Tausende von Menschen auf Midgard, nur weil Odin und Loki ihre Machtspielchen, auf den Rücken der Menschen, austragen. Das ist nicht richtig, Sudri. Es dürfen keine Unschuldigen mehr sterben. Das ist einfach nicht richtig.“
 

Sudri sagte nichts mehr dazu. Sie wusste um die Kriege, welche auf Midgard geführt worden. Und sie wusste auch, dass die Götter, für so gut wie alle Kriege, auf Midgard verantwortlich waren.

Dragons

Das Gespräch mit Sudri hatte traurig geendet. Sigma hatte sie schließlich sehr schnell verlassen und war nun auf den Weg nach Utgard, um dort die letzte Essenz zu besorgen. Außerdem wusste er, dass er nur dort das Drachenherz finden konnte. Allerdings hatte er noch keine Ahnung, wie er diese Sachen im Enddefekt besorgen sollte. Also ließ er seine Weggefährten am Ufer des Styx stehen und bestieg die Fähre nach Utgard.
 

Charon war gesprächig wie immer, als er Sigma über den Styx beförderte. Aber diese unangenehme Stille, während der Überfahrt, kam Sigma gerade recht. So konnte er sich einen Schlachtplan, für sein kommendes Unterfangen, überlegen. Er wusste, wo in Utgard die Drachen gehalten wurden. Es war kein Problem dort hin zu gelangen. Zumal Sigma der Sohn Nefertems war und somit in direkter Linie mit Loki selbst verwandt war. Das Problem bestand darin, das Drachenherz zu besorgen. Dafür würde er wohl oder übel einen Drachen töten müssen. Und egal ob er das nun in Utgard selber, Asgard oder Midgard machen würde, er würde auf jeden Fall ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Er hatte keine Ahnung, wie er dies schaffen sollte, ohne von Hunderten neugieriger Götteraugen beobachtet zu werden. Doch im Grunde machte er sich wegen des Herzens keine größeren Sorgen. Viel mehr Anstrengungen würde es ihn kosten, die schwarze Essenz Nefertems zu erbeuten. Kurzweilig hatte er sogar erwogen, seinen Vater einfach darum zu bitten. Aber dies war natürlich so abwegig und unvorstellbar, dass er tatsächlich laut aufgelacht hatte, bei dem Gedanken daran. Niemals würde er so tief sinken und seinen Vater um etwas bitten! Nicht nach all dem, was er Sigmas Mutter angetan hatte.
 


 

„Wir sind da,“ sagte Charon, in seiner gewohnt monotonen Sprechweise, als sie das utgardische Ufer des Styx erreichten. Seine Worte rissen Sigma aus seinen Gedanken. Er nickte dem Fährmeister dankbar zu und betrat den Boden Utgards erneut. Nicht im Traum hätte Sigma geglaubt, dass er so schnell wieder hierher zurück kehren würde. Dies war nun schon sein zweiter Besuch Utgards, auf seiner Suche nach den Materialien nach seiner ultimativen Waffe. Noch immer verspürte er eine tiefe Unruhe in sich, wenn er zu diesem Ort zurück kehrte. Es schien, als würde ihn seine Vergangenheit einholen. Aber er durfte sich jetzt dadurch nicht von seinem Ziel abbringen lassen. Er hatte ohnehin schon zuviel Zeit vertrödelt mit der Beschaffung der Materialien.
 

Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, begab er sich auf den Weg zur Drachenhöhle. Jede hohe Gottheit Utgards besaß einen eigenen Drachen. Vor einigen Jahrhunderten noch, bevölkerten diese Reptilienhaften Wesen Midgard. Es gab Tausende von ihnen. Heute gab es vielleicht insgesamt noch hundert. Irgendwann im Laufe der Jahrhunderte begaben sich die Götter auf die Jagd nach den riesigen Echsen, welche über teilweise sehr erstaunliche Fähigkeiten verfügten. Sie besaßen, anders als andere Lebewesen Midgards, eine ungewöhnlich hohe Intelligenz und parallel dazu verfügten sie über eine übernatürliche körperliche Stärke. Die größtenteils daher rührte, weil diese Wesen sehr groß waren. Sie waren nie kleiner als drei Menschen übereinander. Aber sie konnten weitaus größer werden. Zudem konnten sie ein beinah unglaubliches Alter erreichen, für ein sterbliches Lebewesen. Wie auch bei anderen Lebewesen, gab es verschiedene Arten dieser Kolosse. Allerdings waren die meisten Arten unwiderruflich vernichtet worden.
 

Doch irgendwann waren es die Götter überdrüssig ihre eigene Schöpfung zu vernichten und so begannen sie die Drachen zu jagen und sie lebenslänglich zu versklaven. Meist als Reit- und Arbeitstiere. Wodurch zwar ihre Wildheit nur noch mehr angestachelt wurde, aber irgendwann wurde auch der stärkste Wille von ihren Herren gebrochen. Eigentlich war es eine traurige Geschichte, die diese einst so Ehrfurcht erbietenden Lebewesen, ereilt hatte. Doch auf Midgard war mittlerweile kein Platz mehr für diese Tiere. Die Menschen kannten Drachen nur noch aus Legenden und Mythen. Sie verehrten die Götter, welche sie vor diesen vermeintlichen Bestien erlöst haben. Sie waren nichts weiter als ein unbegreiflicher Gedanke in den Köpfen der Bewohner Midgards. Und die Götter würden sich niemals freiwillig von ihren Nutztitanen trennen.
 

In den Drachenhöhlen befanden sich an die zwanzig Drachen. Als Sigma die riesige Gewölbehalle betrat, in denen die Drachen beherbergt wurden, regten einige der schuppigen Wesen ihre langen Hälse träge in seine Richtung. Ein paar Seelen befanden sich in den Höhlen, um die Drachen zu versorgen. Diese Seelen hatten es wahrlich noch gut getroffen, mit ihren Höllenstrafen, die sie in Utgard zu erleiden hatten. Doch Sigma war sich sicher, dass Loki auch für diese Seelen geeignete Foltermethoden finden würde, um ihr Leben nach dem Tod zu unangenehm wie nur irgend möglich zu gestalten.
 

Sigma blickte sich in der Höhle um. Sie wurde Gewölbehalle genannt auf Grund der Form der Decke. Sie bestand aus einigen riesigen Kuppeln, welche ganz natürlich in den Stein hineingewachsen zu sein schienen. Doch in Wirklichkeit waren sie vermutlich von Loki höchst persönlich geformt worden. Die Halle an sich war mit einem Blick nicht zu erfassen. Es schien, als würden keine Wände sie begrenzen, doch wenn man einige hundert Meter gelaufen war, konnte man vielleicht auf eine Raumbegrenzung treffen. Auch die Höhe der Halle war gigantischen Ausmaßes. Aber in Anbetracht der Größe der titanischen Echsen, war dies auch zu erwarten gewesen.
 

Sigma war nur einmal in den Drachenhöhlen gewesen. Zu dieser Zeit war er noch ein kleiner Junge. Er hatte kaum laufen können, da war er schon seinen Eltern davongelaufen und war hierher geirrt. Obwohl die Drachen so gefährlich wie groß waren, hatte Sigma nicht den Hauch von Angst gespürt in ihrer Nähe. Seine Mutter hatte ihn dann später aus einem Drachennest geholt, in dem sich Sigma zu schlafen gelegt hatte. Der Drache hatte sie übel verletzt, weil er dachte, Sigmas Mutter wollte sich über sein Drachenei hermachen. Doch irgendwann war Nefertem eingeschritten und hatte den Drachen vom Nest fern gehalten, damit Sigmas Mutter ihren gemeinsamen Sohn befreien konnte. Dies war die einzigste Situation, an die sich Sigma erinnern konnte, bei der sich sein Vater für ihn eingesetzt hatte.
 

Der größte Drache, in der Höhle, gehörte Loki. Er war schwarz wie die Nacht und hatte reptilartige gelb-grüne Augen, die jeden von Sigmas Schritten aufmerksam musterten. Seine Schuppen schienen so scharf zu sein, dass sie selbst Metall und Fels zerschneiden könnten. Sein lanzenförmiger Schwanz peitschte wild auf und ab, als sich Sigma ihm näherte. Aus den Öffnungen über seinem Maul stiegen bedrohliche Rauchschwaden auf, die von einem gefährlichen Grollen unterschützt wurden.
 

„Gebt acht, dass euch das Biest nicht bei lebendigen Leibe verschlingt. Es sieht ja nicht gerade aus, als würdet ihr beste Freunde werden.“

Sigmas Kopf schnellte in die Richtung herum, aus der die Stimme gekommen war :

„Was tut ihr hier, Sohn Odins?“

„Das gleiche könnte ich euch auch fragen, oberster Kriegsgott Odins,“ erwiderte der hünenhafte Mann, der seinem Bruder Thor nur in Größe und Kraft ähnelte.
 

Er hatte ein schönes Gesicht, das jedoch von unzähligen Schlachten gezeichnet war. Eine unschöne Narbe zog sich über sein linkes Auge. Doch glücklicherweise war es dennoch unbeschadet geblieben. Seine brauen Haare waren Schulterlang und im Nacken ordentlich zu einem festen Zopf zusammen gebunden. Auch sein Bart wurde regelmäßig gestutzt. Er wucherte nicht wild, wie der Thors, sondern endete direkt am Kinn und war so kurz geschoren, dass es nur Stoppeln waren.

Nun blickten seine braunen Augen fragend auf Sigma, während Tyr aus den Schatten heraus trat.
 

„Solltet ihr nicht an der Seite meines Vaters sein und ihn vor jedweden Unheil bewahren?“

„Im Augenblick kann ich kein Unheil erkennen, welches meinen Herrn ereilen könnte. Außer ihr habt mir anderes zu berichten, großer Tyr.“
 

Sigmas Frage war berechtigt, denn Tyr war in voller Kriegsmontur. Zwar war dies allein kein Grund zur Sorge, da Tyr selber, nach Odin, der höchste Kriegsgott unter den Göttern war, aber dennoch war es ungewöhnlich, dass Tyr in Kriegskleidung in Utgard geduldet wurde. Tyr schien Sigmas Blicke richtig zu deuten :
 

„Nein, auch ich kann keine Bedrohung erkennen, falls ihr das fürchtet. Ich bin allerdings im Auftrag meines Vaters hier. Ich suche Loki, aber der ist augenblicklich nicht zu sprechen, deswegen bi ich hier, um zu sehen, ob sein Drache noch hier ist. Denn so habe ich Gewissheit, dass Loki bald wieder kommen wird.“

„Wieso erzählt ihr mir das alles,“ fragte Sigma misstrauisch.

„Weil ihr vielleicht bald in Walhalla gebraucht werdet. Loki und Odin planen einen Krieg um ein paar Territorien Midgards.“

„Ich dachte, alle Territorien Midgards seinen bereits aufgeteilt unter unseren Göttervätern.“

„Das stimmt,“ sagte Tyr in einem Tonfall, der Sigma anzeigte, dass sein letzter Satz sehr vermessen war. „Dennoch können sie Kriege über bereits vergebene Territorien führen, wenn es ihnen beliebt. Oder seid ihr da anderer Meinung, Krieggott?“

„Nein, verzeiht Herr,“ sagte Sigma und richte seine Augen unterwürfig zum Boden.

„Wenn ihr eure Geschäfte hier beendet habt, dann solltet ihr euch schnellstens zu Odin aufmachen und die kommenden Kriegsstrategien besprechen. Mein Vater hat bereits nach euch suchen lassen.“

„Sehr wohl, großer Tyr.“
 

Tyr musterte Sigma noch einmal scharf und verlies dann auf direktem Weg die Drachenhöhlen.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Krieg! Und das so kurz vor der Vollendung seines Ziels. Wieder ein sinnloser Kampf, der Tausende von Opfer fordern wird. Doch nun hatte Sigma keine Zeit für so etwas. Jetzt galt es erst einmal die noch fehlenden Zutaten zu besorgen. Odin würde noch ein wenig länger auf seinen Feldherren verzichten müssen.
 


 

Sigma hatte einen Drachen gefunden, der etwas Abseits von den anderen Drachen lagerte. Er hatte sich in einen dunklen Winkel der Höhle zurück gezogen. Weit und breit waren keine Seelen zu sehen. Das Tier war wesentlich kleiner, als der schwarze Drache Lokis. Zudem waren seine Schuppen von einem so dunkeln Grün, dass es fast ins schwarze ging. Doch auch seine Reptilienaugen musterten jede Bewegung Sigmas misstrauisch. Seine Hinterläufe waren weitaus kräftiger und durchtrainierter, als seine Vorderläufe. Er schien sich vorwiegend auf zwei Beinen fort zu bewegen, wenn er am Boden war. Seine gigantischen Schwingen, waren hauchdünn und schienen das massige Körpergewicht des riesigen Drachen kaum tragen zu können. Allerdings wusste Sigma auch, dass dieser Eindruck täuschte, denn Drachen konnten sich weitaus graziler in der Luft bewegen, als am Boden. Sie konnten gewagte Flugmanöver, wie Luftrollen oder Überschläge, durchführen, wenn sie es mussten.
 

Lautlos zog Sigma seinen Dolch aus seinem Stiefel, den er dort vorsorglich verborgen hatte. Der Drache schnaubte Unruhig, als er das bedrohliche Funkeln des Metalls erkannte. Er spannte sich an, was für Sigma ein Zeichen war, dass er es nicht leicht haben würde, des Drachens Herz zu erbeuten. Aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Er hatte in betracht auf sein Vorhaben seine nähere Umgebung mit einem Zauber belegt. Nun würden keine verräterischen Kampfgeräusche an die Ohren irgendwelcher Seelen oder Götter dringen, da sein Zauber diese alle absorbierte und verschluckte. So würden auch die restlichen Drachen, nichts von dem Kampf mitbekommen und durch den Lärm die Wächterseelen auf das Geschehen aufmerksam machen können. Und falls doch jemand in die Nähe Sigmas und des Drachen kommen würde, dann würde ein perfekter holografische Täuschung den Beobachtern eine friedliche Szenerie suggerieren.
 

Sigma näherte sich vorsichtig dem Drachen. Er war auf alles gefasst und bereit notfalls einer Attacke des Drachen aus zu weichen. Der Drache hatte sich nun bedrohlich vor ihm aufgebaut und gab ein wütendes Grollen von sich. Sigma wollte sich gerade auf den Drachen stürzen, als er dessen Stimme in seinem Kopf vernahm:
 

„Was ist deine Absicht, Gott?“

„Ich will dich töten,“ gab Sigma knapp zurück.

„Wieso solltest du das tun wollen?“

„Weil ich dein Herz benötige.“

„Dann haben wir ein Problem.“

„Wieso? Ich werde es mir einfach nehmen. Ich versuche dich auch schnell zu töten, dann musst du nicht ganz so schrecklich leiden. Allerdings habe ich noch nie einen Drachen getötet, also könnte es ein wenig dauern, bis ich heraus gefunden habe, wie man euch `schnell´ tötet.“

„Mein Herz wird noch benötigt.“

„Das ist nicht mein Problem!“

„Was hältst du von einem Handel?“

„Was? Ein Drache bietet einem Gott einen Handel an?,“ Sigma lachte laut auf und ließ sein Messer ein wenig sinken. Aber blieb dennoch Kampfbereit. „Wie sollte, deiner Meinung, dieser Handel aussehen?“

„Mein Leben, gegen das meiner Gefährtin.“

„Das musst du mir näher erläutern? Was habe ich mit deiner Gefährtin zu schaffen?“

„Sie ist Arbeitsdrache in den Minen der Hölle und wird von euch Göttern zu Tode geschunden.“

„Und warum sollte mich das kümmern?“

„Weil ihr ein gutes Herz habt.“

„Ich bin Nefertems Sohn, wie sollte ich da ein gutes Herz haben?“

„Wir Drachen spüren so etwas.“

„Sehr rührend. Ich denke ich gehe nicht auf deinen Handel ein.“

„Ich glaube das werdet ihr sehr wohl.“

„Warum sollte ich? Das Leben deiner Gefährtin kümmert mich genauso wenig wie das deine!“

„Das mag stimmen, aber was wäre, wenn ich euch helfen könnte, die schwarze Essenz des Regenbogens zu besorgen?“
 

Sigma blickte verwirrt in die gelben Reptilienaugen des titanischen Drachen. Woher wusste dieses Tier von dem Edelstein?
 

„Ihr unterschätzt uns Drachen noch immer! Und das obwohl ihr uns erschaffen habt! Wir wissen viel und manchmal sogar mehr als ihr!“

„Und wie willst du die Essenz von Nefertem erstehen?“

„Ich werde sie stehlen.“

„Und wie willst du das anstellen? Ich denke nicht, dass ein acht Meter großer Drache ungemerkte einen Fingernagel großen Edelstein stehlen kann.“

„Das lasst mal meine Sorge sein. Ich versichere euch, es steht sehr wohl in meiner Macht. Außerdem helfe ich euch durch meinen Diebstahl zu etwas Zeit.“

„Zeit? Wofür?“

„Um meine Gefährtin zu entführen und nach Midgard zu bringen.“

„Und wie soll ich das bitte anstellen? Glaubst du allen ernstes, ich komme mit einem Drachen unbemerkt aus Utgard raus?“

„Solange ich mich um ein Ablenkungsmanöver kümmere, ja.“

„Weshalb sollte ich dir vertrauen? Immerhin will ich dich töten. Oder glaubst du ich lasse dich am Leben, nachdem wir deinen idiotischen Plan in die Tat umgesetzt haben. Vorrausgesetzt dein `Ablenkungsmanöver´ funktioniert auch.“

„Es wird funktionieren und ich sagte bereits: Mein Leben, gegen das meiner Gefährtin.“

„Und den Edelstein?“

„Den bekommt ihr obendrauf.“
 


 

Sigma überlegte sehr lange, ob er in den Plan des Drachens einwilligen sollte und schließlich stimmte er zu. Der Drache erläuterte Sigma in allen Einzelheiten seinen Plan. Sigma sollte in die Minen der Hölle gehen und nach einem weiblichen grünen Drachen Ausschau halten. Laut dem Drachen gab es nur noch ihn und seine Gefährten von der Art der grünen Drachen, also sollte es ihm keine Probleme bereiten den richtigen Drachen zu finden. Danach sollte er warten, bis der Alarm, durch den Diebstahl des Edelsteins und dem Ausbruch des grünen männlichen Drachens, alle Aufmerksamkeit der Seelen und Götter in Anspruch nahm. Dann würde er den weiblichen Drachen stehlen können, ohne von jemanden bemerkt zu werden. Soweit zur Theorie, allerdings befürchtete Sigma, dass die Umsetzung weitaus schwieriger werden würde.
 

Er kam gänzlich unbemerkt in die Minen der Hölle. Die Hitze hier war unerträglich. Selbst für ihn als Elementargott. Seine Haut begann fast augenblicklich Brandblasen zu schlagen. Die Hitze ließ die Luft aufstöhnen und verschleierte den Blick. Mühsam schleppte er sich weiter ins Innere der Minen. Überall waren Seelen dabei eifrig Erze und Edelsteine abzubauen. Wenn eine Seele vor Schwäche zusammen brach, wurde sie sofort von einem der Wärter bestraft. Zumeist kamen die Seelen dazu in das Zimmer der Sühne, in dem eine Seele seine schlimmsten Qualen durchleiden musste. Darauf wurde sie wieder in die Minen geschickt, doch beim nächsten Anzeichen von Schwäche, begannen die Qualen wieder von vorn.
 

Er vermied es in die Sichtfelder der Wachen zu geraten. Aber den Seelen konnte Sigma nicht ausweichen, aber dazu bestand auch kein Grund. Sie waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihn nicht wirklich registrierten. Die meisten schleppten sich automatisch weiter und erledigten ihre Arbeit in einem so monotonen Rhythmus, dass ihr Körper die dazu notwendigen Schritte schon von ganz alleine tat.
 

Dann endlich erblickte er den grünen Drachen. Er war vor einem der Minenwagons gespannt worden und zog eine unwirklich groß erscheinende Ladung an Erzen hinter sich her. Er sah erschöpft und unglaublich müde aus. Sigma hatte noch nie einen Drachen in einer so schlechten Verfassung gesehen. Bis heute hatte er nicht einmal geahnt, dass Drachen erschöpft aussehen konnten. Für ihn waren diese Geschöpfe immer ein Symbol für Stärke und Unbeugsamen Willen gewesen, doch dieser Drache dort, sah einfach nur erbärmlich aus. Am liebsten hätte Sigma seine Waffe gezogen und ihn von seinem Leid erlöst. Vielleicht sollte er es auch besser tun. Zumindest würde er so an sein Drachenherz kommen, ohne auf den anderen grünen Drachen angewiesen zu sein. Doch dieser hatte Recht gehabt. Jetzt da Sigma den geschundenen Drachen vor sich erblickte, hatte er Mitleid mit dem Wesen und wollte ihm helfen. Sein Drachenherz würde er auch noch später bekommen. So oder so, er musste jetzt handeln.
 


 

Sigma hatte den Drachen noch eine Weile lang von der Ferne aus beobachtet, ehe er an ihn heran getreten war. Doch selbst als Sigma direkt neben ihm stand, schien der Drache ihn nicht zu bemerken. Nur noch sein Wille schien den Drachen aufrecht zu halten.
 

Durch den Lärm in den Minen, blieb es Sigma diesmal erspart eine Lärmbarriere um sich und den Drachen zu zaubern. Sigma versuchte die Aufmerksamkeit der Riesenechse auf sich zu lenken, doch er brachte mehrere Versuche, bevor der Drache seine müden Augen auf ihn richtete.
 

„Ich will dich aus dieser Hölle befreien, allerdings befürchte ich, dass du dazu nicht die nötige Kraft besitzen könntest,“ begann Sigma sein Gespräch mit dem Drachen. Doch dieser blickte ihn nur weiterhin unendlich erschöpft an und schien seine Worte gar nicht registriert zu haben. Sigma klatschte zwei-, dreimal laut in die Hände, bis in den Augen des Drachen eine Art erkennen aufglomm.

„Komm schon, altes Mädchen,“ sagte Sigma erregt. „Ich weiß das du mich verstehen kannst. Dein Gefährte hat mich zu dir gesandt. Ich möchte versuchen dich hier raus zu holen. Ich frage dich nun, bist du in der Lage mit mir aus Utgard zu fliehen?“

„Wo ist Garth?“

„Wenn Garth dein Gefährte ist, dann ist er gerade dabei uns eine unbemerkte Flucht zu ermöglichen.“

Der Drache antwortet nicht. Anscheinend kostete die Aufmerksamkeit, die er Sigma zollte, fast seine ganze Kraft. Sigma schüttelte resignierend den Kopf. Wie sollte er dieses reptilienhafte Wrack nur von hier fort bekommen?

„Was ist nun, wirst du es schaffen?“

„Ja.“
 

Sigma nickte wohlwollend, obwohl er dem Drachen kein Wort glaubte. Er befürchtete, dass die Riesenechse auf halben Weg das zeitliche segnen würde, in seinem jetzigen Zustand.
 

„Du musst mir etwas von deiner Kraft überlassen, sonst werden sich deine Befürchtungen bewahrheiten.“

Sigma starrte den Drache nun ungläubig an. Doch schon nach kurzer Zeit nickte er zustimmend mit seinem Kopf.

„Was muss ich tun,“ fragte Sigma ernst.

„Setz dich auf meinen Rücken und leere deinen Geist.“
 

Sigma tat wie ihm geheißen. Er zog sich an den scharfen Schuppen auf den Rücken des Drachen. Jeder Schritt Sigma ließ den Drachen vor Schmerzen erbeben, weswegen Sigma sich mehr als einmal an den Schuppen des Drachen die Hände aufriss. So dass diese, als er dann endlich auf dem Rücken des Drachen saß, völlig zerschunden waren und aus unzähligen Wunden bluteten. Sigma ballte die Fäuste und unterdrückte eine wütende Bemerkung. Er wusste, dass der Drache ihn nicht verletzen wollte. Er hatte einfach nur zu starke Schmerzen.
 

Sigma konzentrierte sich und versuchte seinen Geist leer zu bekommen. Eigentlich hätte es ihm leicht fallen müssen, durch die unzähligen Meditationen, die er bereits in seinem Leben gehabt hatte, aber in dieser Umgebung und unter diesem inneren Druck, fiel es ihm sichtlich schwerer sich zu konzentrieren, als im Normalfall. Zuerst blendete er seine Schmerzen und die Hitze , die seinen Körper immer noch peinigte aus. Dann begann er langsam und gleichmäßig zuatmen und schließlich gelang ihm sein vorhaben gänzlich. Nach einigen Minuten spürte er, wie sich der Drache seines Geistes bemächtigte. Plötzlich war er so präsent in Sigmas Kopf, als würden sie eins sein. Sigma spürte die Schmerzen des Drachen und die unendliches Müdigkeit in sich, als würde er es sein und nicht der Drache, der völlig am ende war. Doch neben diesen negativen Empfindungen spürte Sigma auch noch etwas anderes.

Ein Keim der Hoffnung, der den Drachen dazu bewegte diese jetzige Anstrengung zu bewerkstelligen. In dem Drachen reifte ein befruchtetes Ei heran. Schon bald würde es reif genug sein, um von dem Drachen gelegt zu werden. Sigma spürte, wie sehr der Drache sich wünschte, dieses ungeborene Wesen, ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Und Sigma spürte die unendliche Liebe des Drachen. Zu Garth, ihrem Gefährten und zu dem ungeborenen Baby. Doch genauso, wie Sigma die Gedanken und Empfindungen des Drachenweibchens erlebte, tat sie es auch. Sie erschrak, als sie in Sigmas Geist las, dass dieser ihren Gefährten nach dieser Rettungsaktion töten wollte. Diese Erfahrung ließ fast den Kontakt zwischen den beiden abbrechen. Doch sie überwandt ihre Abscheu und ihre Wut auf Sigma und konzentrierte sich wieder.
 


 

Die Verbindung zwischen des Drachen und Sigma bestand erst seit wenigen Minuten, als Alarm geschlagen wurde und die Arbeiter und Wächter in Panik durcheinander liefen und das totale Chaos auslösten. In diesem Moment stieß sich der Drache vom Boden ab und erhob sich in die Lüfte. Obwohl Sigma es nie für möglich gehalten hatte, entkamen sie unbemerkt, denn auch in den anderen Teilen Utgards herrschte das blanke Chaos. Sigma sah den Schein von Flammen, in der Nähe der Behausungen von Hel und Loki. Er vermutete, dass Garth dafür verantwortlich war.
 

Sie umflogen die Fährroute Charons weiträumig und schließlich gelangten sie nach Midgard. Sigma führte den Drachen mit Kraft seiner Gedanken zu den Kristallbergen, bei denen sich er und Garth treffen wollten. Er hoffte nur, dass Garth`s Mission ebenso erfolgreich war, wie die seine.
 

Sie sahen die Eisgipfel der Kristallberge schon von weitem. Und im gleichen Augenblick entdeckte Sigma einen großen schwarzen Schatten, der über das Gebirge flog. Sigma spürte, wie glücklich sein Flugdrache über diese Entdeckung war. Sie flogen eine Weile lang nebeneinander, bis sie ein geeignetes Tal fanden, in dem die landen konnten. Weder Sigma noch die Drachen wechselten während der ganzen Zeit auch nur ein Wort miteinander.
 

Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, löste der weibliche Drache die geistige Verbindung zu Sigma und fiel augenblicklich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den Boden und blieb erschöpft liegen. Garth eilte neben seine Gefährtin und schien sich geistig mit ihr zu unterhalten. Sigma wartete ungeduldig bis sich Garth wieder an ihn wand :
 

„Du hast dein Versprechen gehalten, aber ich werde das meinige nicht halten können.“

Sigma spannte sich nervös. Seine Hand wanderte automatisch zum Griff des Dolches, welcher sich mittlerweile in seinem Gürtel befand.

„Wie hatten eine Abmachung,“ brachte Sigma gepresst hervor.

„Ich weiß und ich stehe zu meinem Wort. Normalerweise. Doch diesmal kann ich nicht dazu stehen. Ich habe eine Familie und die wird ohne mich sterben. Meine Gefährtin ist zu schwach, um zu jagen. Sie wird verhungern und mit ihr unser Junges.“

„Das ist nicht mein Problem. Ich bestehe auf meinen Lohn.“

„Das verstehe ich, aber ich kann mich dir nicht kampflos ergeben und so meine Familie zum Tode verurteilen.“

„Und ich werde nicht ohne mein Drachenherz von hier verschwinden. Wenn es sein muss, dann entnehme ich es deiner Gefährtin.“
 

Der Drache brüllte wütend auf und stellte sich schützend vor seine, am Boden liegenden, hilflosen Gefährtin. Im gleichen Moment zog Sigma seinen Dolch und sprang auf den Drachen zu. Er erwischte ihn an seinem rechten Hinterlauf. Das Brüllen des Drachen würde nun leidlicher, doch brach es so schnell wieder ab, wie es begannen hatte.
 

Der Drache schleuderte Sigma, mit einer beifällig wirkenden Schwanzbewegung, beiseite, als wäre er nichts weiter als eine lästige Fliege. Sigma rollte sich geübt ab und war in Windeseile wieder auf den Beinen. Gerade noch rechtzeitig, um einer Feuerwelle ausweichen zu können, die der Drache auf ihn losgelassen hatte. Die Luft schien förmlich zu brennen. Sigma fühlte sich, als würde er Feuer atmen. Seine Lungen protestierten eindringlich und ließen Sigma husten. Zum Glück benötigten ein Gott keinen Sauerstoff zum Leben, ansonsten wäre er jetzt jämmerlich erstickt.
 

Blitzschnell sprintete Sigma durch die Rauchwolken des verdampfenden Schnees und erwischte Garth erneut an seinem rechten Hinterlauf. Diesmal konnte Sigma dem Drachen eine gefährlichere Wunde zufügen, die dem riesigen Wesen, im weiteren Verlauf des Kampfes, sicherlich Schwierigkeiten bereiten würde. Auch der Drache schien das so zu sehen, denn im nächsten Augenblick stieß er sich vom Boden ab und war in der Luft. Er flog eine enge Schleife und sprühte erneut sein tödliches Napalm auf Sigma ab. Dieser hechtete mit einem verzweifelten Sprung zur Seite und kam präzise auf seinen beiden Beinen wieder zum stehen, um dann unverzüglich einen Gegenangriff auf Garth zu starten. Er trieb seinen Dolch in Garth` Hals und zog sich Stück um Stück daran auf seinen Rücken. Garth versuchte Sigma durch halsbrecherische Flugmanöver von seinem Rücken zu werfen. Er flog Spiralen und Saltos, schnellte unerwartet rauf oder runter und schließlich schrammte er mit dem Rücken an Felsen entlang, doch irgendwie gelang es dem Kriegsgott sich oben zu halten. Sigma spürte, dass der Drache so langsam mit seinen Kräften am Ende war. Aus der, von ihm gerissen, Wunde am Bein, strömte unentwegt das rote Leben heraus. Zudem spürte Sigma, wie anstrengend es für den Drachen war, sein massiges Körpergewicht in der Luft zu halten. Doch im Augenblick musste er zu sehr damit kämpfen nicht vom Rücken des fliegenden Giganten geworfen zu werden, als diesem gefährlichen Spiel ein Ende zu setzen.
 

Der Drache flog immer höher, hinauf in die Wolken. Der eisige Wind nahm zu und Sigmas Hände wurden allmählich taub vor Kälte. Es wurde für ihn immer schwerer sich fest an die mörderisch scharfen Schuppen der Riesenechse zu klammern. Zudem waren seine Hände noch immer aufgerissen von dem Flug auf dem Rücken des Drachenweibchens. Doch er kämpfte sich, trotz Schmerzen, Zentimeter für Zentimeter weiter den Drachenhals hinauf. Seine Muskeln waren zum zerbersten gespannt. Zum mindest spürte er, dank der Kälte in diesen luftigen Höhen, die Schmerzen nicht halb so sehr, wie er es am Boden tun würde. Allerdings verließen ihn auch allmählich seine Kräfte. Seine Hände konnten nicht mehr richtig zugreifen und er konnte seine Finger nicht mehr ausreichend krumm machen, was ihn seinen Aufstieg doch sehr erschwerte.
 

Sigma hatte den Kopf des Drachen erreicht und klammerte sich verzweifelt mit seinen Beinen um den Hals des Drachen, um seine Hände frei zu bekommen und die Balance nicht gänzlich zu verlieren. Ein Sturz aus dieser Höhe wäre, auch für einen Gott wie ihn, tödlich. Der Drache spürte das unangenehme Gewicht Sigmas auf seinem Kopf und verstärkte seine Anstrengungen, Sigma von sich zu stoßen, noch einmal. Er flog ruckartige Zick Zack Bewegungen und vollführte gewagte Luftsaltos. Doch nichts, was er tat, ließ Sigmas Halt ins Wanken geraten. Mit zittrigen Fingern umklammerte dieser seinen Dolch fester und stieß ihn dann mit einer ungeahnt kraftvollen Bewegung in die Schädeldecke der geschuppten Giganten. Ein Zucken lief durch den ganzen Körper des Drachens und ein letzter, beinahe schon überrascht klingender, Aufschrei entwich seiner Kehle. Und mit dem Aushauchens seines letzten Atemzuges, begann der massige Körper des Drachens auch schon auf den Boden zu zustürzen.
 

Sigma begriff die Konsequenz seiner Handlung beinahe zu spät. Der Drachenkörper, und somit auch er, würden ungebremst auf dem Boden aufschlagen und in anbetracht der Höhe, in der sie sich befanden, würden ihre beiden Körper aufgrund der Wucht des Aufpralls einfach zerschellen. Die Geschwindigkeit des Falls nahm mit jedem Meter, den sie weiter auf den Boden zurasten, zu. In Sigmas Kopf überschlugen sich die Gedanken förmlich. Jetzt hieß es schnell handeln. Trotz des windigen Zuges, der Sigma fast die Haut von den Knochen schälte, schaffte er das Kunststück sich halb aufzurichten auf dem toten Drachenkörper und seine Arme auf beiden Seiten auszustrecken. Durch die Kraft des Windes wurde er, durch diese notwendige Pose, fast vom Drachenkörper geweht. Er musste zusätzliche Kraftreserven seines Körpers mobilisieren, damit er dieser Kraft etwas entgegen setzen konnte. Und irgendwie gelang es ihm, sich auf dem Drachen zu halten. Er begann sich metal zu sammeln und intonierte ein paar Wörter, die vom Wind davon geweht wurden, noch ehe das Gehör sie erfassen konnte. Doch es war auch nicht nötig, dass die Worte von irgendjemanden gehört oder erfasst wurden. Sie mussten nur gesprochen werden, um ihre Wirkung zu entfesseln.
 

Der Boden kam mit unglaublicher Geschwindigkeit immer näher und fast schon glaubte Sigma, dass er seinen Zauber zu spät begonnen hatte, doch allmählich begann der Drachenkörper langsamer zu werden. Eine unsichtbare Hand schien ihn Stück um Stück abzubremsen. Dennoch war die Wucht des Aufpralls gewaltig, als der Körper, mitsamt Sigma obenauf, auf dem Boden aufschlug. Die Erde bebte und gab ein wenig nach, um die plötzlichen Kräfte zu kompensieren, die da auf sie einwirkten. Die Folge des Aufpralls war ein gewaltiger Krater, der durch den Drachenkörper verursacht wurde. Der leblose Körper des Draches nahm dagegen erstaunlich wenig Schaden. Auch wenn das Geräusch brechender Knochen unangenehm lauter war, das des Aufpralles selber. Sigma wurde beim aufschlagen auf dem Boden vom Hals der Riesenechse geschleudert und schlug hart neben ihm auf. Er trug als Folge dessen einige Prellungen davon, jedoch zog er sich keine ernsthaften Verletzungen zu. Schon nach wenigen Augenblicken war er wieder auf den, wenn auch wackeligen, Beinen.
 


 

Das Drachenweibchen brüllte auf vor Schmerzen, als sie den Todessturz ihres Gefährten verfolgte. Wie konnte es nur soweit gekommen sein? Sie hatte von vorn hinein gewusst, wie der Kampf zwischen dem jungen Gott und Garth ausgehen würde, aber ihr Herz weigerte sich diese Tatsache zu akzeptieren.

Im selben Moment, in dem der Kriegsgott seinen Dolch in die Gehirnstränge ihres Gefährten gerammt hatte, spürte sie einen unsäglichen Schmerz in sich, der sie wohl von nun an immer begleiten würde. Alles in ihr schrie auf vor Qual und Trauer. Sie spürte, wie ein Teil von ihr einfach verschwand. Mit ihrem geliebten Garth starb. Aber sie weigerte sich dennoch seine Tod zu akzeptieren. Sie hatte das Gefühl innerlich zu zerreißen vor Schmerz.
 

Sie war, entgegen aller Logik, nicht wütend. Garth hatte ihr, vor seinem Kampf mit dem Kriegsgott, erklärt, wie es zu diesem unheilvollen Pakt gekommen war. Und sie verstand die Tat des Gottes sogar. Garth hatte sein versprechen nicht halten können, weil sie so schwach war, dass sie ohne ihn nicht überleben konnte. So hatte Garth den jungen Gott zum Kampf heraus gefordert. Dieser hatte um sein Leben gekämpft und hatte Garth töten müssen. So war das Gesetz der Natur nun mal: Der Stärkere triumphiert immer über den Schwächeren. Doch entgegen aller Vernunft, wünschte sie sich, dass der Gott nicht gewonnen hätte. Das Garth jetzt noch Leben würde und das sie eine Chance hatte ihr gemeinsames Baby auszubrüten. Mit Garths Tod war auch nun ihr Leben und das Leben ihres ungeborenen Babys verwirkt. Sie würde verhungern und wahrscheinlich von den unterschiedlichsten, assfressenden Tieren zerrissen werden. Mit ihrem Schmerz, den sie erlebte, weil Garth nun Tod war, schwang eine entsetzliche Angst vor ihrem eigenen Tod. Eigentlich war diese Angst vollkommen Absurd und Paradox. Drachen kannten keine Angst vor dem Tod. Er war ein ständiger Begleiter ihrer Leben und allgegenwärtig. AM Ende eines jeden Lebens stand unweigerlich der Tod. Er war unumweichlich und nicht abänderbar. Selbst Götter waren nicht unsterblich. Woher also kam dieses absurde Gefühl der Angst plötzlich?
 

Und dann schlug der leblose Körper Garths auf dem Boden auf. Die Erde bebte und begann durch die Wucht des Aufpralls auf zureißen. Und sie spürte, wie auch in ihr etwas zerriss. Etwas, was nie wieder zusammen gefügt werden könnte. Ihre neuerworbene Freiheit und ihr ungeborenes Baby waren mit einem Schlag unbedeutend. Ihr Leben war verwirkt. Sie brauchte sich nur den zerschmetterten Körper ihres Gefährten betrachten und ihr innerlicher Schmerz steigerte sich noch einmal um ein Vielfaches.
 

Dann brüllte sie voller Schmerzen auf und wünschte sich gleichzeitig, dass auch sie der Tod ereilen würde.
 

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Sigma klopfte sich den Staub von seinen Gewändern und drehte sich darauf zu dem brüllenden Drachenweibchen herum. Er konnte sich nicht annähernd vorstellen, wie groß der Schmerz dieses Wesens sein konnte, beim Anblick ihres zerschmetterten Gefährten, aber er konnte sich sehr wohl vorstellen, wie groß die Wut auf ihn sein würde. Er rechnete fast damit, dass das Drachenweibchen ihn voller Hass entgegen sprang, doch nichts der Gleichen geschah. Sie blickte ihn nur aus unendlich traurigen Augen an und schien abzuwarten, was Sigma nun als nächstes tun würde.
 

Dieser zog erneut seinen Dolch hervor und begann damit, dem Drachen das Herz heraus zu schneiden. Die Klinge bog sich mehrmals, als Sigma in das schuppige Fleisch des Drachens stieß. Er schnitt ehrfürchtig und präzise das Garth`s Herz aus dessen Brust. Er riss ein Stück Stoff von seiner Tunika und säuberte damit das Herz vom Blut. Dann griff er in seinen Lederbeutel, der an seiner Hüfte hing, und holte ein Tuch, dass ebenfalls aus Leder war, hervor, um das Drachenherz darin sorgsam einzuwickeln und dann ebenso sorgsam in seinem Lederbeutel verschwinden zu lassen.
 

Dann wandte er sich erneut zu dem Drachenweibchen herum. Sie hatte diese ganze Prozedur wachsam, aber unbeteiligt verfolgt. Langsam schritt er auf sie zu, immer bereit einen möglichen Angriff von ihr auszuweichen. Aber der befürchtete Angriff blieb auch weiterhin aus.
 

„Wie ist dein Name, Drache“, fragte Sigma zunächst.

„Tiara.“

„Ich weiß, dass das alles sehr schmerzhaft für dich ist, Tiara“, begann Sigma vorsichtig, als er direkt vor ihr stand und in ihre riesigen, trübe Augen blickte. „Aber ich muss wissen, wo Garth die schwarze Essenz hat. Ich denke mal du weißt, wo sie ist.“

„Er hat sie in seinem Maul, hinter seinem linken oberen Reißzahn“, antwortete das Drachenweibchen müde.

„Vielen Dank“, entgegnete er und wandte sich wieder zu Garth herum.

„Warte“, rief sie ihm hinterher. Ihre Stimme, auch wenn Sigma sie nur in seinen Gedanken vernahm, war sehr schwach. Er richtete seine Aufmerksamkeit also wieder auf sie. „Was gedenkst du nun mit mir zu tun?“

„Ich habe kein Interesse an deinem Leben oder das deines Eies, wenn es das ist, was dich interessiert.“

„Ja – oder besser nein. Bitte, kannst du mir mein Los ersparen und meinem Leben ein Ende bereiten?“

Sigma stutze. Noch nie in seinem Leben hatte er von einem Drachen gehört, der nicht um sein Leben kämpfte und noch schlimmer, sich sogar den Tod herbei wünschte.

„Ich verstehe dich nicht“, begann er. „Aus welchem Grund sollte ich das tun?“

„Anscheinend hast du noch niemals von ganzem Herzen geliebt.“

„Doch, ich habe schon sehr viele Frauen geliebt. Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen?“

Der Drache ließ ein schwaches Grollen von sich, dass Sigma als lachen auffaste.

„Nein, du hast noch nie wirklich geliebt. Gibt es jemanden in deinem Leben, für den du sterben würdest, um ihn zu beschützen?“

„Natürlich! Meine Mutter.“

„Das ist es nicht, was ich meine. Eine Gefährtin, die dir wichtiger ist, als alles andere auf der Welt.“

Sigma schwieg, aber dies reichte dem Drachenweibchen als Antwort.

„Mein Leben ist nichts mehr wert, ohne Garth. Er war mein Licht. Nichts und niemand kann ihn je ersetzen. Und deshalb wähle ich den Tod vor dem Leben, denn ich will bei ihm sein. Egal ob im Diesseits oder im Jenseits. Und genau das bist du mir schuldig, dafür, dass du mir meinen Gefährten geraubt hast.“

„Aber was ist mit dem ungeborenen Leben in dir? Was ist mit dem Produkt eurer Liebe. Was ist mit dem Baby in dem ei, dass du in dir trägst? Was ist mit deinem Leben, für das Garth bis zum Schluss gekämpft hat, um es zu beschützen? Willst du das sein Opfer umsonst gewesen ist?“
 

Das Drachenweibchen blickte Sigma nun mit einer Spur von Zweifel an. Sie bemerkte ihren Egoismus erst jetzt und diese Erkenntnis traf sie härter, als sie sich zugestehen wollte. Viel Zeit verging, bevor sie dem Gott antwortete:
 

„Du hast Recht und auch wieder nicht. Er hat sein Leben für meine Freiheit und das Leben unseres Sprosses gegeben. Und ich darf deswegen mein Leben nicht so ein Ende setzen. Dennoch wird sein Opfer sinnlos gewesen sein. Ich habe kaum noch Kraft mit dir zu kommunizieren. In ein paar Tagen, spätestens in ein paar Wochen werde ich vor Schwäche und Hunger dahin geschieden sein und mit mir unser Baby. Deswegen muss ich dich noch einmal bitten, meinem Leben ein Ende zu bereiten.“
 

Sigma blickte den Drachen nachdenklich an. Er wusste, dass sie die Wahrheit gesprochen hatte. Sie würde ihn in diesem Punkt nicht belügen. Das würde auch keinen Sinn ergeben. Er überlegte sich sehr lange seine nächste Antwort und rang selbst nach seiner getroffenen Entscheidung, noch immer mit dem Ergebnis.
 

„Ich werde dich mit mir nehmen,“ sagte Sigma entschlossen.
 

Und als der Drache sich aufbäumte, um gegen seinen Entschluss zu protestieren, lies er diesen nicht zu Wort kommen.
 

„Ich bin zum Teil mit Schuld, an deinem Leid. Zwar weiß ich, dass ich meine Schuldigkeit schon beglichen habe, indem ich dich aus der Gefangenschaft befreit habe, aber dennoch sehe ich keinen Sinn darin, dich, nach all diesen Strapazen, hier qualvoll verenden zu lassen. Auch wenn du dir im Augenblick den Tod mehr wünscht als das Leben, kann ich das nicht zu lassen. Ich denke, zumindest das bin ich Garth schuldig.

Deswegen lautet meine Entscheidung, dass ich dich mit mir nach Asgard nehmen werde und in der Höhle bei meinem Schloss unterbringen werde. Dort wirst du ohne Angst leben können, solange du willst und dein Junges ausbrüten können. Ich garantiere dir, dass du dort ungestört sein wirst und dir niemand nah kommen wird. Ich werde nur meine Mutter einweihen, damit sie dir anfänglich helfen kann zu Kräften zu kommen. Sie kann dir Futter und Wasser bringen, bis du wieder stark genug bist, um dich selbst zu versorgen.“
 


 

Und genauso, wie Sigma es entschieden hatte, geschah es letztendlich auch. Nachdem Sigma die schwarze Essenz aus Garth`s Maul entnommen hatte, ließ er mit Hilfe seiner Magie, den Leblosen Körper des Drachen mit Erde bedecken, damit er nicht ein Opfer der Aasfresser wurde. Dann holte er Pegasus, Garm und Cerberus an der Grenze zu Utgard, wo er sie vorher gelassen hatte, ab und lieh schließlich dem Drachenweibchen noch einmal seine Kräfte, um sich mit ihr nach Asgard auf zumachen. Er verschleierte, mit Hilfe von Magie, erneut Heimdals Wahrnehmungskraft und schmuggelte so den müden Drachen nach Asgard. Er brachte Tiara, wie er es gesagt hatte, in die Höhlen hinter seinem Schloss Asenyard, in denen Platz genug war, für ein ganzes Drachenrudel und entzündete darin magische Feuer, um die Kälte aus der Höhle zu vertreiben. Dann berichtete er seiner Mutter Kara von den vergangenen Ereignissen und brachte sie zu dem Drachenweibchen. Sie versprach ihm, sich um Tiara zu kümmern, bis diese ihre Hilfe nicht mehr brauchen würde und hielt sich schließlich auch an Sigmas Schweigegelöbnis. Erst nachdem Sigma all dies geregelt hatte und die Sicherheit des Drachen gewährleistet war, machte sich Sigma auf, zu seinem Gespräch mit Odin.

War

Wie Tyr ihm gesagt hatte, hatte Odin bereits nach ihm suchen lassen. Als Sigma nun vor seinem Thron erschien, war Odin außer sich vor Wut. Sigma hatte ihn zu lange warten lassen. Um den Zorn des Übergottes zu sänftigen, zeigte sich Sigma unterwürfig :
 

„Bitte Odin“, begann Sigma vorsichtig, mit seiner Entschuldigung. „Es war nicht meine Absicht, euch so lange warten zu lassen. Ich hatte eine private Angelegenheit zu erledigen und ich wusste nicht, dass mich diese so viel Zeit kosten würde.“

„Dann hoffe ich für dich, dass diese private Angelegenheit nun erledigt ist, denn du solltest all deine Energien und Gedanken auf den bevorstehenden Krieg richten!“

„Um ehrlich zu sein, ist sie noch nicht vollkommen erledigt, aber das hat auch noch Zeit bis nach unserem Krieg. Bitte erläutert mir alle Einzelheiten dazu.“
 

Odin blickte seinen Kriegsgott misstrauisch an. Fast schon befürchtete Sigma, dass er ihn fragen würde, um was für eine Angelegenheit es sich handelte, die so ungemein wichtig, für Sigma, war. Innerlich schalt sich Sigma nun, dass er so ehrlich gegenüber Odin war. Hätte er einfach entgegnet, dass die Angelegenheit bereits beendet war, wäre alles in Ordnung gewesen. Doch Odin schien sich jetzt nicht weiter damit beschäftigen zu wollen, denn er begann Sigma in seine Kriegspläne einzuweihen.
 

Odins Krieg würde sich um die Regionen im südöstlichen Teil Midgards drehen. Dort war das Land fruchtbar und so hatten sich dort auch viele Menschen angesiedelt. Das Hauptziel war die Stadt Aries. Das Ziel des Krieges war es, diese Stadt einzunehmen und somit die Macht über die umherliegenden Ländereien zu erlangen. Doch das eigentlich Ziel war die Seele des menschlichen Königssohn der Stadt Aries, Baldur. Dieser Junge war gerade Volljährig geworden und besaß ein hohes kriegerisches Geschick. Odin wollte ihn für seine Armee in Walhalla, während Loki ihm diese Seele streitig machen wollte, um diese für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Demnach galt, welcher Kriegsherr Aries als Erster einnahm, würde sich auch die Seele Baldurs verdienen. Sigma würde vollkommene Handlungsfreiheit über die Armee Asgards bekommen und die volle Unterstützung durch Odins Söhne Tyr und Thor. Doch der eigentliche Grund, aus dem Sigma einwilligte in diesen, wiedereinmal sinnlosen, Krieg einzugreifen, war der Heerführer der Armee Lokis: Sein Vater, Nefertem, höchstpersönlich. In dem Augenblick, in dem Odin ihm mitteilte, dass Sigmas Vater sein Kontrahent sein würde, wurde Sigma klar, dass dies sein wahrscheinlich wichtigster Kampf werden würde, den er jemals in seinem Leben geführt hatte.
 

Sigma hatte sein ganzes Leben lang im Schatten seines Vaters gestanden. Nefertem war der beste Kriegsgott, den Utgard zu bieten hatte. Er galt als kaltherzig und erbarmungslos gegenüber seine Feinde. Aber nicht nur denen gegenüber, benahm sich der Kriegsgott der Finsternis so. Auch gegen seinen eigenen Sohn, war er stets hart gewesen. Egal was Sigma auch getan hatte. Welche, als unmöglich zu gewinnenden geltenden, Schlachten er auch gewonnen hatte, niemals hörte er aus dem Mund seines Vaters ein wohl gesonnenes Wort. Er hasste es, dass sein Vater seine Taten nicht anerkannte und er hasste es, dass er für seinen Vater niemals gut genug sein würde. Doch mehr als alles andere hasste er seinen Vater dafür, dass er seine Mutter ebenso behandelt hatte, wie ihn. Ohne Zweifel wollte Nefertem Kara besitzen. Aber er schenkte ihr nie das, was sie am dringendsten benötigte : Liebe. Dazu war Nefertem einfach nicht fähig. Im Gegenteil, er behandelte Sigmas Mutter wie Abschaum. Er schlug sie und zwang sie zu Dingen, sie die sie unter normalen Umständen niemals bereit wäre. Ihr ganzes Leben in Utgard hatte Kara in Angst und Schrecken verbracht. Doch diese Zeit war nun vorbei. Sigma hatte sie und sich selber frei gekauft. Er war zu einem der mächtigsten Kriegsgötter aller Reiche herangereift und war so in der Lage, der Gefangenschaft Nefertems zu entfliehen. Und er hatte seine Mutter mit sich genommen. Nie wieder würde er ihr ein Leid antun können.
 

Nun also würde Sigma endlich die Gelegenheit bekommen, sich für all die, an ihm und seiner Mutter begangenen, Verfehlungen seines Vaters zu rächen. Er würde gegen ihn, im Kampf um Aries und Baldur, antreten und er würde nicht verlieren. Niemals und unter keinen Umständen. Das schwor er sich. Und er würde seinem Schwur Taten folgen lassen.
 

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Die kommenden Monate standen ganz im Zeichen der Kriegsvorbereitungen. Sigma, Thor und Tyr versammelten alle Krieger Midgards, die für Odins Sache eintreten wollten und trainierten diese für den kommenden Kampf. Natürlich wussten diese Menschen nicht, dass es sich bei ihren Heerführern um die echten Kriegsgötter handelte. Sie wussten nur, dass sie in einen Krieg ziehen würden, der von Odin höchstpersönlich ausgerufen wurde. Fast jeder Mensch Midgards verehrte die Götter. Nur wenige beteten dabei die Götter Utgards an, auch wenn sich viele Menschen sehr leicht von den Göttern der Unterwelt verführen ließen. Dennoch galt es auf Midgard als gut und richtig, die Weisen und Gutmütigen Götter Asgards anzubeten. Anhänger der Unterwelt wurden mancherorts sogar gejagt und öffentlich hingerichtet. Es gab sehr viele Tempel und Opferstätten, an denen den Göttern Asgards Opfergaben gebracht wurden. Nicht sehr selten selbst Menschenopfer, zumeist in Form von Jungfrauen oder Priesterinnen, die, nachdem sie sich für diese Berufung entschieden hatten, ein Keuschheitsgelübde abzulegen hatten.

Die Götter selber interessierten sich nicht sonderlich für diese Opfergaben. Sie fanden es zwar amüsant, aber keine Taten der Menschen, würden je Einfluss auf die Zuneigung oder Ablehnung eines Gottes nehmen. Nur leider wussten das die Menschen nicht. Und so führten sie weiterhin ihre sinnlosen und oftmals grausamen Rituale und Opfer durch, ohne wirklich etwas dadurch zu erreichen.

Fast alle, der auszubildenden Kämpfer, waren Bauern und besaßen somit so gut wie keine Kampferfahrung. Es war ein hartes Stück Arbeit den Männern beizubringen, wie man eine Waffe hält und benutzt, wo sie doch sonst nur den Umgang mit einem Dreschflegel oder einem Rechen kannten. Doch bald schon zeigte sich der erste Erfolg.
 

Sigma beschäftige sich vorwiegend mit Schlachtplänen und Kriegsstrategien. Er wusste, dass ihnen harte Wochen des Kampfes bevorstehen würden. Nur sehr selten gesellte er sich zu Thor und Tyr, die er dazu abkommandiert hatte, die Bauern zu Kriegern zu formen. Doch er hatte einen Ausbildungsplan ausgearbeitet, an den sich Thor und Tyr hielten. Die Männer wurden im Nah- und Fernkampf ausgebildet. Nach ihren täglichen Unterrichtsstunden, wurden sie dazu angewiesen Kriegsmaschinen zu bauen. Sigma entwarf Katapulte, Flächenschilde, Flammenwerfer und Schildfahrzeuge, aus denen man geschützt Pfeile schießen konnte. Des weiteren konzipierte er ein Fluggerät, mit welchem man über kurze Distanzen fliegen konnte und von der Luft aus Steine auf seine Gegner abwerfen konnte. Die Menschen waren sichtlich beeindruckt von Sigma’s technischen Einfällen. Hätte Sigma Magie einsetzen dürfen, wären seine Möglichkeiten in diesem Bereich, deutlich größer gewesen. Doch er durfte sich nicht als Gott zu erkennen zeigen und mit den Rohstoffen, sowie dem begrenzten Wissenstand der Menschen, musste er sich auf sein technisches Geschick verlassen und auf seinen Ideenreichtum.

Und so verstrichen die Wochen und Monate und der große Tag der Begegnung rückte immer näher.
 

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Die Armee Nefertems war noch etliche Kilometer entfernt, doch Sigma konnte, anhand der Staubwolken, die von dem riesigen Heer Utgards aufgewirbelt wurden, erkennen, dass sie kamen. Er spürte die Unruhe und Nervosität, die durch seine eigene Armee ging. Die Pferde scharrten unruhig den Boden auf und eine beklemmende Stille hatte das Heer erfasst. Thor und Tyr waren neben ihn geritten. Sie schwiegen zwar, aber Sigma spürte auch ihre innerliche Unruhe. Sigma’s Konzentration war auf ihrem Höhepunkt. Alle Augen schienen auf ihn gerichtet zu sein.
 

Nun konnte man bereits die ersten Kämpfer Utgards am Horizont erkennen. In wenigen Augenblicken würden das Heer Utgards auf das Heer Asgards treffen. Zwar würden dabei nur die Menschen Midgards zu Schaden kommen, aber der eigentliche Kampf würde zwischen den Heerführern der gegnerischen Armeen stattfinden. Unbemerkt von all den Menschen, die ihr Leben lassen würden, ohne eigentlich wirklich zu wissen wofür.
 

Sigma hatte in Erfahrung gebracht, dass neben Nefertem, Lodur, der Gott des Feuers und Hoerir, der Gott des Eises, die Armee Utgards führen sollten.
 

„Thor,“ begann Sigma nun endlich. „Ich möchte, dass du dich um Lodur kümmerst. Mit deiner Donnermagie wirst du wohl wenig bei ihm ausrichten können, aber dafür kann er seine Magie gegen dich auch nicht einsetzen. Zeig ihm die wahre Macht Mjöllnirs!“

„Jawohl, Heerführer Sigma,“ sagte Thor ernst und ungewöhnlich untertänig. Sigma nickte Thor dankbar zu und richtete nun seine Worte an Tyr :

„Und du, Tyr, wirst dich gegen die Eismagie Hoerirs erwehren müssen. Lass dich nicht von ihr erwischen, sonst wird er dich zu einer seiner Eisskulpturen verwandeln und deinen Körper in tausend kleine Eiskristalle zerschmettern. Hat er dich einmal eingefroren ist es aus mit dir, hast du das verstanden?“
 

Tyr nickte ebenso ernst, wie Thor geantwortet hatte.
 

„Hat er einen Zauber gesprochen, brauch Hoerir einen Augenblick, um seine magischen Kräfte erneut zu sammeln. Dies ist für dich der Moment, in dem du ihn Angreifen solltest. Zeig ihm, dass du dein selbst schlagendes Schwert auch ausgezeichnet selber führen kannst.“
 

Tyr lächelte flüchtig und nickte daraufhin noch einmal zustimmend.
 

„Thor, du reitest mit deinen Männern nach Nordosten und stürmst dann von Norden her, geschützt durch den Mythrilwald, auf sie ein. Versuch sie auf der Höhe des Tempels der Freyja fest zu halten.“

„Wie ihr befiehlt, Heerführer,“ entgegnete Thor knapp und begab sich zu seinen Männern.

„Und du Tyr,“ sprach Sigma gebieterisch weiter. „Du wirst von der Wüste Omni – Ishtar, unterhalb Aries, die Armee Hoerirs abfangen. Drängt sie zurück zum Meer, wenn das möglich ist.“

„Ich werde euch nicht enttäuschen.“ Sigma nickte Tyr dankbar zu.

„Ich werde, mit dem Hauptteil der Truppen, direkt Richtung Aries ziehen und dort wahrscheinlich auf das Hauptheer Nefertems treffen. Wir halten sie so lange in Schach, bis du und dein Bruder von Norden und Süden her zu uns trefft und den Sack zuzieht. Dann ist das Heer eingekesselt und wir können mit ganzer Kraft zuschlagen und sie besiegen. Wenn wir Glück haben, sind wir in einer Woche wieder in Asgard.“
 

Auch Tyr begab sich nun zu seinem Teil der Armee und platzierte sich direkt vor sie. Sigma wandte seine Worte nun an das gesamte Heer. Er ritt erhobenen Hauptes und kraftvoll vor dem Heer auf und ab und schrie mit einer festen Stimme sein Kampfgebet :
 

„Männer, Krieger, Gefährten! Heute steht uns ein wahrlich großes Ereignis in der Geschichte Midgards bevor. Die Diener Utgards heben Anspruch auf unsere Felder, Länder und Familien. Sie denken, sie haben ein leichtes Spiel mit uns, aber ich sage wir werden ihnen zeigen, welchem Gott man zu dienen hat! Odin hat uns hierher geführt und hält seine schützende Hand über uns. Heute, meine Freunde, werden wir über uns hinauswachsen und diesen Heiden zeigen, welche Macht der einzig wahre Gott besitzt!“ Die Männer stimmten begeistert in Sigmas Lobeshymne ein. Er ließ sie eine weile lang jubeln und erhob dann seine rechte Hand. Fast augenblicklich verstummten die Jubelrufe wieder. Gebieterisch intonierte Sigma den Schlachtruf Asgards und alle Krieger stimmten mit ein :
 

„Mein Schwert für Tyr!

Mein Blut für Thor!

Mein Leben für Odin!

Mein Herr bin ich,

Mein Gott ist Odin!“
 

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Die Heere hatten sich, wie Sigma es befohlen hatte, geteilt und waren auf ihre Positionen verschwunden. Sigma hatte sich dafür entschieden auf der Höhe Aries, auf die Armee seines Vaters zu warten. Er konnte nun schon beinahe die Gesichter seiner Gegner erkennen. Auf dem Feld vor Aries trafen nun eine unglaubliche Anzahl Menschen aufeinander. Der ganze Horizont war voller Krieger, als wären sie selbst der Boden unter ihren Füßen. Es war, als würde sich ganz Midgard für diesen Kampf gerüstet haben und hier nun um Leben und Tod kämpfen wollen. Doch obwohl sich, auf beiden Seiten, eine unzählbare Anzahl Menschen befand, waren all diese Menschen nicht einmal ein Bruchteil der Bewohner Midgards. Trotz alledem würde nach diesem Krieg die Zahl der Menschen um ein Vielfaches dezimiert sein.
 

Nefertem hatte scheinbar seine Armee nicht in der Weise geteilt, wie Sigma es getan hatte, aber dennoch ging Sigmas Plan auf. Denn Lodur und Hoerir befanden sich an den jeweiligen Flanken der Streitmacht Utgards und das auch noch exakt an den Himmelsrichtungen, zu denen Sigma Thor und Tyr gesandt hatte. Während die beiden Brüder also Sigmas Plan ausführen würden und Hoerir als auch Lodur ablenken würden, würde Sigma ungehindert gegen seinen Vater antreten können.

Die Armee Nefertems kam, scheinbar unbeeindruckt von der Streitmacht Sigmas, immer näher. Als sie nah genug waren, gab Sigma das Signal die Flammenkatapulte einzusetzen. Die riesigen Lehmkugeln, die vorher mit Pech getränkt waren und angezündet wurden, schlugen beim Aufprall, riesige Schneisen in die gegnerischen Reihen. Sigma hörte die Todesschreie vieler Menschen, die dem unbarmherzigen Feuer zum Opfer gefallen waren, noch ehe sie auch nur in der Lage waren, in den eigentlichen Kampf ein zu greifen. Dennoch gab Sigma den Befehl für die zweite Salve, ohne zu zögern.
 

Auch Nefertem schien sich nicht weiter um den Verlust zahlreicher seiner Männer zu kümmern, denn er ritt unbeirrt im Schritttempo auf Sigmas Armee zu. Die Lücken, die durch die Feuerkugeln gerissen wurden, wurden fast Augenblicklich, durch dahinter stehende Krieger, wieder besetzt. Nach der vierten Katapultsalve, waren die Krieger Nefertems zu nahe, um ohne eigene Verluste zu riskieren, weitere Flammenkugel abfeuern zu können.
 

Sigma kommandierte die Schildfahrzeuge in die vorderste Reihe. Langsam vorrückend bewegten sie sich auf die Armee Nefertems zu und bombardierten diese mit einem scheinbar nie endenden Pfeilhagel. Auch Nefertems Armee hatte mittlerweile die Bögen und Armbrüste angesetzt und konterten ebenso unerbittlich. Allerdings trafen die meisten der gegnerischen Pfeile die Schildfahrzeuge Sigmas und schlugen dadurch keine größeren Opfer zu buche. Nefertem schrie wilde Befehle zu seinen Kommandanten. Schon bald hagelten Flammenpfeile auf Sigmas Schildfahrzeuge hernieder und setzten diese somit in Flammen. Die unglücklichen in den Fahrzeugen, die sich nicht rechtzeitig aus den Fahrzeugen befreien konnten, verbrannten bei lebendigen Leibe. Ihre schmerzerfüllten Schreie hallten Kilometer weit.
 

Unbeeindruckt führte Sigma seine Armee um die brennenden Hindernisse herum und ließ seine Männer ebenfalls Flammenpfeile abschießen. Die Hölle auf Erden brach los. Das trockene Gras der Felder fing Feuer und brannte in wenigen Augenblicken lichterloh. Sigma hörte die Schreie der Männer, die von den tosenden Flammen erfasst wurden. Er roch das versenkte Fleisch und die verbrannten Haare und sah die Krieger beider Armeen, als lebendige Fackeln durch die kämpfenden Reihen laufen, bis die Flammen die Körper verzehrt hatten und sie leblos zu Boden plumpsten, wie Säcke voller Korn. Er konnte die Seelen der toten Krieger sich von diesen Körpern lösen sehen. Und er konnte die Walküren und Vanen sehen, welche über dem Schlachtfeld auf die Seelen der Gefallenen lauerten, wie die Aasgeier auf deren totes Fleisch. Er erblickte Freyja unter den Totenwählerinnen und konnten seinen aufsteigenden Ekel kaum unterdrücken. Für wenige Sekunden trafen sich ihre Augen und Sigma hätte schwören können, dass er Tränen in ihren Augen erkennen konnte.
 

Das Feuer zog seine Kreise enger um die kämpfenden Armeen. Sie waren nun vollends eingeschlossen vom Feuer und Sigma hatte schon seit geraumer Zeit Nefertem aus den Augen verloren. Was ein schlechtes Zeichen war, denn er wusste, dass sein Vater keine Minute lang zögern würde, um sein Ziel zu erreichen und Aries ein zu nehmen. Seine Männer wurden von Minute zu Minute weniger. Diejenigen, die nicht verbrannt waren, kämpfte auf Leben und Tod gegen ihre Gegner. Es sah nicht gut aus, für Sigmas Heer. Zwar waren die Heerstärken auf beiden Seiten annähernd gleich groß, dennoch hatte das Feuer weitaus mehr Leben seiner Männer gekostet, als bei seinen Feinden. Verbissen trieb Sigma seine zwei Kurzschwerter durch die Körper seiner Feinde. Die Schlacht schien verloren.
 

„Zieht euch zusammen,“ brüllte Sigma immer wieder. Doch seine Stimme ging im Kampfgetose unter.

„Sammelt euch! Zieht euch zusammen!“, schrie er erneut und endlich nahmen einige Männer ihn wahr und brüllten den Befehl weiter.
 

Die Krieger Sigmas sammelten sich um ihren Feldherren und nahmen, wie in den Übungskämpfen antrainiert, eine Defensivposition ein. Sie mussten Zeit gewinnen, bis entweder eine der Armeen Thors oder Tyrs zu ihnen stieß oder bis Sigma Nefertem erblickte.
 

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Es war Tyr, der Sigmas Männer schließlich vor dem endgültigen Tod bewarte. Sie hatten viele Stunden lang verbittert gekämpft und ihre Position halten können. Für jeden gefallenen Mann Sigmas, starben drei Männer Nefertems, dennoch waren sie noch immer eingekesselt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie überrannt worden wären, oder bis ihnen die Kräfte ausgingen. Zudem war die Moral der Männer an ihrem Tiefstpunkt angekommen.
 

Tyr hatte sich seinen Weg durch die Flammen geschlagen und fiel der Armee Nefertems nun buchstäblich in den Rücken. Plötzlich veränderte sich die Kampflage für Sigmas Armee. Nun konnten sie an zwei Fronten kämpfen und schon bald drängten sie die Krieger Nefertems zurück.
 

„Wie ist es dir ergangen“, fragte Sigma, in einer ruhigen Minute, nachdem er sich zu Tyr durchgeschlagen hatte. Tyr hatte eine böse Verletzung an seiner rechten Schulter und seine linke Hand schien taub zu sein. Als Tyr dem Blick Sigmas auf seine Hand folgte grinste er breit und entgegnete:

„Ich war leider nicht schnell genug. Hoerir hat meine Hand eingefroren. Ich denke aber ich kann sie in ein paar Tagen wieder benutzen, wenn sie mir vorher nicht abfällt.“

„Was ist aus Hoerir geworden?“

„Der ist nicht so glimpflich davon gekommen. Er war zu sehr auf mich konzentriert und hat dabei ganz vergessen, dass mein Schwert auch ohne Führer zuschlagen kann. Ich fürchte die Unterwelt hat einen Gott weniger.“ Sigma nickte ernst. Er war nie ein Freund Hoerirs gewesen, aber er bedauerte trotzdem den Tod des Eisgottes.

„Wo bleibt nur Thor“, fragte Sigma, um sich von diesem Gedanken abzulenken.

„Ich weiß es nicht. Ich vermute er hat Probleme an Lodur vorbei zu kommen.“ Sigma blickte seinen Waffenbruder ernst an.

„Das könnten uns zum Verhängnis werden. Um Aries einnehmen zu können, brauchen wir Thors Armee. Kannst du mit zwei drittel der Männer hier die Stellung halten? Ich versuche mich zu Thor durch zu schlagen.“
 

Tyr willigte ohne zu zögern in Sigmas Plan ein. Dieser rief schnell einige Männer um sich und erläuterte ihren nächsten Zug, dann brach er auf.
 


 

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Sie schlugen sich ohne große Verluste durch die Reihen ihrer Gegner und waren plötzlich aus dem Kampfgeschehen heraus. Auf ihrem Weg sammelten sie alle verstreuten oder verängstigten Pferde ein, die sie entdecken konnten und waren nun fast alle auf vier Beinen unterwegs. Pegasus, Garm und Cerberus kamen zu ihrem Herren gerannt, sobald sie ihn entdeckt hatten. Die beiden Hunde hatten ebenfalls ins Kampfgeschehen eingegriffen und blutige Opfer unter ihren Feinden gerissen. In ihrem Fell glänzte das, immer noch feuchte, Blut ihrer Feinde und wohl auch ein wenig Blut von ihnen selbst, dass aus offenen Schnittwunden entströmte. Pegasus hatte geduldig am Rand des Schlachtfeldes auf sie gewartet, doch er hatte dabei nie Sigma aus den Augen gelassen. Er war immer bereit gewesen, seinen Herren aus möglichen Gefahrensituationen heraus zu holen. Doch Sigma war ein außergewöhnlich geschickter Kämpfer und wusste sich seiner Haut zu erwehren.
 

Dankbar bestieg Sigma den Rücken seines Pferdes und setzte sich sogleich an die Spitze seines Heeres. Fast ungehindert ritten sie Richtung Tempel der Freyja, zu dem Sigma Thor gesandt hatte.
 

Sie ritten beinahe zwei Stunden und dann erblickte Sigma die Armeen Thors und Lodurs. Er trieb Pegasus zu mehr Tempo an. Ungeachtet dessen, dass er sich damit von seiner eigenen Schreitmacht entfernte, weil Pegasus einfach um ein vielfaches schneller war, als jedes normales Pferd. Er ritt die ersten Männer, die in seinen Weg kamen rücksichtslos über den Haufen. Als sein Angriff allmählich langsamer zu werden schien, sprang er vom Rücken seines Pferdes und schickte Pegasus aus dem Schlachtfeld. Sogleich ersetzten Cerberus und Garm die Position des Pferdes, indem sie neben ihren Herren traten und alle Feinde, die Sigmas Kurzschwerter überlebten, den Tod brachten. Wie ein Racheengel bahnte sich Sigma seinen Weg durch die kämpfenden Massen. Hier tauchte er unter einem Schwerthieb hinweg, dort wich er einem Axtschwung aus und da sprang er über ein hervor zuckendes Bein hinweg. Er kämpfte wie ein Berserker. Längst schon hatte er den Blick für die Realität verloren. Der Krieger in ihm hatte sein ganzes Handeln übernommen. Sein Geist war vollkommen abgeschaltet. Nur seine langjährig trainierten Kampfinstinkte führten seine Hand in diesem Kampf. Er spürte den Hiebe und Stiche seiner Gegner schon bevor diese sie überhaupt ansetzten. Natürlich hatte er den Vorteil seiner Göttlichkeit auf seiner Seite, doch auch ein Gott war sterblich, obwohl es wohl kein Sterblicher je schaffen würde, einen Gott zu töten. Zumindest nicht, wenn es der Gott nicht selber wollte.
 

Dann, endlich, erblickte er Thor vor sich. Der Donnergott lag auf dem Boden. Er hielt seinen Hammer Mjöllnir schützend über seinen Kopf. Lodur’s Flammenschwert war dadurch, auf seinem Weg zu Thors Kopf, gestoppt worden. Als Sigma die legendäre Waffe erblickte, spürte er erneut eine ungestillte Gier in sich aufkommen. Ein erstaunlich großer Teil in ihm, wollte abwarten und zusehen, wie Lodur den Donnergott besiegte, aber der Kriegsgott in ihm, war auch diesmal stärker.
 

Entschlossen sprang Sigma in genau dem Augenblick zwischen den Donnergott und seinem alten Freund, den Feuergott, als dieser erneut sein Flammenschwert auf Thor hernieder sausen ließ. Er blockierte es mit einem seiner Kurzschwerter. Er spürte, wie das Eisen seines Kurzschwertes unter dem erbarmungslosen Feuer des Flammenschwertes zu schmelzen begann. Mit aller Kraft stemmte sich Sigma gegen Lodurs Schwertarm und verhakte die Schwerter in einander. Dann tat er etwas, was kein Krieger je tun solle: Er schleuderte seine Waffe von sich. Doch mit seinem, ohnehin nun nutzlosen Kurzschwert, flog das Flammenschwert Lodurs im hohen Boden davon. Noch ehe Lodur seinem Schwert hinterher springen konnte, war Sigma herbei und richtete sein zweites Kurzschwert direkt auf Lodurs Kehle. Er ließ den Feuergott nicht aus den Augen, dennoch gewahrte er, dass Thor sich hinter ihm langsam wieder aufrappelte und zu ihm herüber kam.
 

„Heb sein Schwert auf“, sagte Sigma kühl, als Thor bei ihm stand. Thor tat wie ihm geheißen. Er erhob das Schwert, schrie schmerzhaft auf und ließ es im gleichen Augenblick wieder fallen, um sich seine verbrannte Hand zu halten.

„Oh, das hatte ich vergessen: Vorsicht, heiß!“
 

Sigma grinste und Thor bedachte ihn mit einem bösen Blick. Doch er griff noch einmal nach dem Flammenschwert. Diesmal war er auf den Schmerz gefasst. Und obwohl seine Haut schmerzvoll zischte unter der unendlichen Hitze und Rauchschwaden von seiner verkohlten Haut aufstiegen, brachte er, ohne ein weiteres Wort, das Schwert zu Sigma. Sigma wollte es gerade ergreifen, als Lodur sich regte:
 

„Du kannst es nicht an dich nehmen. Es wird dich ebenso verbrennen, wie ihn!“
 

Dabei deutete Lodur, voller Abscheu, wie Sigma mit einer Spur Genugtuung registrierte, auf den Donnergott und dessen verbrannte Hand, die unter Schmerzen zu zittern begonnen hatte.
 

„Mein Freund, ich will es dir ja nicht wegnehmen. Ich hebe es nur eine Weile lang für dich auf“, versprach Sigma in einem versöhnlichen Tonfall.

„Pah! Wen nennst du hier `Freund’, Freund?“, schmetterte Lodur ihm entgegen. „Und überhaupt, kann das Flammenschwert nur vom Gott des Feuers beherrscht werden. Jeden anderen würde es augenblicklich verbrennen!“

„Tz, tz, tz. Nun kennen wir uns schon so lange, Freund“, das letzte Wort betonte er ganz besonders. „Und noch immer weißt du rein gar nichts über mich.“
 

Fast schon genüsslich ergriff er das Flammenschwert aus Thors Griff. Er gewahrte, dass Thor leicht aufatmete, als die Flammen von seiner Haut genommen wurden. Sigma schwang das Schwert ein paar mal durch die Luft und beobachtete dabei entzückt das verblüffte Gesicht des Feuergottes.
 

„Dein Flammenschwert kann mich nicht verbrennen, Lodur“, belehrte Sigma diesen. „Wie alle gerne vergessen, bin ich nicht nur der Sohn eines Kriegsgottes, sondern auch der Sohn einer Walküre, welche über die acht Elemente herrscht. Auch ich bin somit ein Gebieter des Feuers. Ich könnte ohne weites ein Elementargott, wie du oder Thor sein, wenn ich es denn wollte.“

„Du meist sicherlich, wenn Odin oder Loki dir eine solche Ehre zu Teil werden ließen“, verbesserte ihn Thor.

„Natürlich“, entgegnete Sigma zuckersüß. „Genau das habe ich gemeint. Auf jeden Fall kann ich deshalb auch dein Schwert führen.“
 

Lodur funkelte ihn mit seinen flammenden Augen an. Sigma konnte den Hass gegen ihn förmlich ergreifen.
 

„Was machen wir jetzt mit ihm“, fragte Thor berechtigter Weise.

„Wir lassen ihn gehen.“
 

Sigma genoss die Aufmerksamkeit der beiden Elementargötter sichtlich. Ihre verblüfften Gesichter ließen ihn innerlich laut auflachen. Doch äußerlich zwang er sich dazu, so ernst zu bleiben, wie es der Situation entsprach.
 

„Ohne sein Spielzeug“, und dabei erhob er leicht das Flammenschwert in Lodurs Richtung. „Ist unser Feuerteufel hier kein Gegner mehr. Oh sicherlich, er ist immer noch Herrscher über das Feuer, aber leider ist es uns Göttern strengstens verboten unsere Magie gegeneinander zu richten.“
 

Sigma genoss die Wut, die er von Lodur entgegen geschleudert bekam. Er wusste, dass er seinen alten Freund ernsthaft beleidigt hatte und noch tausendmal mehr verärgert, aber da alles zählte in diesem Krieg nichts. Hier zählte nicht, dass sie früher einmal die besten Freunde waren. Seelenverwandte. Auch zählte nicht, dass er Thor nicht leiden konnte. Was zählte war einzig und allein die Tatsache, dass sie sich in einem Krieg befanden und das Lodur sein Feind und Thor sein Verbündeter war.
 

Sigma blickte noch einmal ernst in das Gesicht Lodurs und wandte sich dann von ihm ab. Er ging, mit dem Flammenschwert in seiner Hand, zurück zu seinem Pferd und seinen Hunden, die ein Stück von ihrem Herren entfernt auf ihn gewartet hatten.
 

„Ich werde dir das Leben zur Hölle machen,“ schrie Lodur ihm wütend hinterher. Doch Sigma reagierte nicht auf ihn. `Mein Leben ist bereits die Hölle’, dachte er innerlich und lächelte nur traurig.
 


 

Sie hatten Lodur auf ein Pferd gebunden und es fort getrieben. Wahrscheinlich würde er einige Tage durch die Gegend irren, falls er sich nicht irgendwie befreien konnte. Auf jeden Fall hatten sie ihn geschlagen. Er war keinerlei Gefahr mehr. Auch Thor hatte das eingesehen. Er hatte sich nicht bei Sigma bedankt, dass dieser ihm im Kampf gegen Lodur beigestanden hatte, aber er benahm sich dem Kriegsgott gegenüber nicht länger abweisend.
 

„Wie sieht unser nächster Schritt aus“, fragte der Donnergott, nachdem sich die Männer alle gesammelt hatten.

„Wir müssen Nefertem suchen. Ich habe ihn zu Beginn der Schlacht aus den Augen verloren. Er heckt sicherlich etwas ganz übles aus.“

„Ich habe ihn vorhin davon reiten sehen. Er hat sich mit einem kleinen Trupp vom Schlachtgeschehen abgesetzt und ist Richtung Trivium geritten“, sagte Thor.
 

Sigma wurde hellhörig.
 

„Was sagst du da?“, er spürte, wie sich sein Herz schmerzhaft zusammen zog. „Wieso hast mir nicht schon früher davon berichtet?“

„Ich dachte es wäre nicht von Bedeutung, da er nicht in Richtung Aries unterwegs war. Außerdem war ich mit dem Kampf gegen Lodur beschäftigt. Wann hätte ich dir davon berichten sollen?“

„Schon gut, schon gut“, entgegnete Sigma wirsch, um einen Streit mit Thor zu vermeiden.
 

Er brauchte jetzt einen kühlen Kopf. Aries war das Ziel dieses Krieges. Jetzt da Nefertem nicht in der Nähe des Hauptzieles war, war es ein leichtes Aries einzunehmen. Die Feldheeren der Armee Lokis waren entweder besiegt oder nicht an der eigentlichen Schlacht beteiligt. Was zum Teufel hatte sein Vater nur vor? Wieso war er ausgerechnet auf den Weg nach Trivium?
 

„Sigma“, unterbrach Thor seinen Gedankengang. „Wir sollten Aries jetzt angreifen und einnehmen! Das ist unsere Chance. Nefertem serviert uns den Jungen förmlich auf einem Silbertablett.“

„Denkst du das weiß ich nicht, du Dummkopf“, herrschte Sigma den Donnergott an. Aber Lessandra!, schrie alles in ihm.

„Was lässt dich noch zögern? Willst du unsere einzigste Chance verschenken?“

„Nein, du hast recht“, begann Sigma Gedankenverloren. Dann klärte sich sein verschleierter Blick und er blickte dem Donnergott fest in die Augen.

„Du reitest jetzt sofort mit all unseren Männern zu Tyr und gemeinsam werdet ihr Aries stürmen!“

„Bist du verrückt geworden, Sigma?“, erwiderte Thor erbost. „Was, um Odins Willen, hast du vor? Willst du deinem Vater ganz alleine gegenüber treten? Hier geht es nicht um einen Wettstreit zwischen dir und Nefertem! Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Die Aufgabe die dir Odin erteilt hat und du hast sie zu befolgen!“

„Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass unsere Armee Aries einnimmt. Willst du mir erzählen, dass ihr das nicht auch ohne mich schaffen könnt? Wo doch du und Tyr ebenso große Kriegsgötter seid, wie ich es bin? Was macht es da, wenn ich mich an Nefertems Fährte hefte und ihm nach Trivium folge? Ich halte ihn dort fest, während ihr Aries einnehmt!“

„Das ist Wahnsinn und du weißt das! Nimm ein paar hundert Männer mit. Du kannst nicht allein gegen Nefertem und seine Armee kämpfen,“ schrie Thor ihn weiter an.

„Ihr braucht in Aries jeden Mann!“

„Und du wirst es allein nicht durch Tausenden von blutrünstigen Utgards Kriegern schaffen. Keine Widerrede! Ich gebe dir meine Männer als Leibgarde mit. Wenn was schief gehen sollte stehe ich dafür gerade!“

„Ich weiß nicht, wer von uns beiden Sturköpfen der größere Idiot ist.“

„Der, welcher am Ende Tod ist, weil er alleine gegen Tausende kämpfen wollte, natürlich! Tyr und ich werden es schon schaffen“, versicherte Thor zuversichtlich.

„Natürlich.“ Sigma reichte Thor seine Hand, Thor ergriff sie fest und stimmte so in den stummen Kriegergruß ein, den Sigma ihm darbot.
 


 

Sigma hatte letzten Endes sich für einen Teil seiner eigenen Armee entschieden. Obwohl es durchaus keinen Unterschied machte, welche der Männer, er in den sicheren Tod führen würde. Sie ritten in einem scharfen Tempo Richtung Trivium und all seine Gedanken kreisten nur um eine Person: Lessandra. Was, zur Hölle Utgards, wollte Nefertem in Trivium?
 

Er brauchte einen halben Tag nach Trivium. Er wäre durchaus schneller unterwegs gewesen, wenn er allein unterwegs gewesen wäre. Aber die Pferde und die Männer waren müde und nicht mehr so schnell unterwegs, wie Sigma es gehofft hatte. Doch da auch Nefertem zu Pferd unterwegs war und dieser sein Heer mit sich genommen hatte, würde auch Nefertem keinen all zu großen Vorsprung haben. Vielleicht war Sigma noch nicht zu spät.
 

Doch seine Hoffnung löste ich in dem selben Rauch auf, der über den Dächern Triviums emporstieg. Trivium brannte! Es würde nicht mehr all zu lange dauern und das Dorf würde nichts weiter sein, als ein verbannter Fleck Erde. Sigma trieb Pegasus zu Höchstleistungen an. Aber auch der Hengst war müde. Immerhin hatten sie fast zwei Tage lang unerbittlich gekämpft ohne eine Stunde Ruhe bekommen zu haben.
 

Sigma galoppierte ungebremst durch das brennende Stadttor. Krieger, die seinen Weg versperren wollten, wischte er erbarmungslos beiseite, als wären sie Fliegen. Er hörte, wie seine Armee ebenfalls die Stadttore passierte und sich ins Kampfgetümmel mischten. Nun hatte er den Rücken frei und konnte beinahe ungehindert seinen Weg zum Hof von Lessandras Familie bahnen. Als er das Tor passierte sah er bereits das Chaos, dass hier gewütet hatte. Der Hof lag voller Leichen. Kinder und Bauern, alte Frauen und Männer. Doch glücklicher Weise konnte er Lessandra nirgendwo entdecken. Vielleicht lebte sie ja noch.
 

Er sprang von Pegasus’ Rücken und eilte durchschritt wachsam den Hof, dicht gefolgt von Cerberus und Garm. Alle Leichen waren übel zu gerichtet, verstümmelt und fast ausgeblutet. Der Boden war überseht mit Blut. Die Erde hatte das Blut teilweise aufgesogen und dadurch einen dunkelroten Farbton angenommen. Zusammen mit dem Feuer, dass die Gebäude erfasst hatte, spiegelte diese Szenerie seine persönliche Hölle wieder. Als er an einem leblosen Körper vorbei ging, hörte er diesen schmerzvoll und schwach wimmern. Er wandte sich zu dem Körper und erschrak, als er in ihm Lessandras Mutter wiedererkannte. Sie war kaum mehr am Leben. Aus zahlreichen Wunden floss das Blut in Strömen und Sigma wusste, dass für die Frau jede Hilfe zu spät kam. Dennoch legte er ihr seine Hand auf die Brust und schloss einige der Wunden mit seiner Lichtmagie. Ihre Augen huschten wild hin und her, bis sie sich schließlich an Sigmas Augen festklammerten, als wären diese ein Rettungsanker.
 

„Mein Herr-“, entwich es ihr überrascht. Ihre Stimme war dünn und schwach. Kaum wahrnehmbar. Aber Sigma verstand jedes einzelne Wort, dass über ihre Lippen kam und das nicht kam.

„Ihr braucht nicht sprechen. Ich versteh euch auch so. Was ist hier geschehen? Wo ist Lessandra?“
 

Trotzdem Sigma ihr gesagt hatte, sie brauche nicht zu sprechen, tat sie es dennoch. Wahrscheinlich hatte ihr schwacher Geist den Sinn seiner Worte schon gar nicht mehr erfassen können.
 

„Ein Mann war hier.“
 

Es folgte eine lange Pause. Wahrscheinlich musste sie Kraft sammeln, um weiter sprechen zu können. Für Sigma war dieses Schweigen die reinste Hölle.
 

„Er hat sie mitgenommen – Er wollte nur – Er wollte nur sie haben. Ist das nicht....sonderbar?“
 

Sigma konnte nichts darauf erwidern. Er wusste ganz genau, wer der Mann war, der Lessandra mit genommen hatte.
 

„All meine Kinder.....meine ganze Familie.....die Leute aus- aus dem Dorf....Sie sind alle Tod. Aber Lessandra hat er mit genommen. Er – wollte – nur – sie....“
 

Dann brachen ihre Augen. Sie war tot. Sigma legte ihren Kopf, den er vorher mit seinem Arm gestützt hatte, vorsichtig auf dem Boden ab. Dann erhob er sich und blickte sich noch einmal um. All diese Menschen – tot. Nur wegen Lessandra? Was wollte Nefertem mit ihr?
 

Er hörte Pegasus wiehern. Er folgte dem wiehern und fand sein Pferd vor einem brennenden Stall wieder. Pegasus lief aufgeregt auf und ab und Sigma verstand. Ohne zu zögern durchbrach er das Scheunentor und rannte in die Flammen. Nun wieherte es aus allen Richtungen, denn er befand sich im Pferdestall des Hofes. Eilig öffnete er die Gatter der Pferde und verhalf ihnen somit in die Freiheit. Pegasus rannte an ihm vorbei. Sein Ziel war klar. Er wollte die Einhornstute befreien. Sigma ließ ihn ziehen. Er befreite alle Pferde aus ihren Ställen und stürzte dann hinaus aus diesem flammenden Sarg. Wenige Augenblicke später folgte Pegasus mit der weißen Stute. Sie hatte einige Brandflecken, aber schien ansonsten nicht ernsthaft verletzt zu sein. Er wollte auch in den anderen Ställen die Tiere vor dem Feuer retten, aber er erkannte, dass es bereits zu spät dafür war. Die Gebäude brannten lichterloh und es gab keine Rettung mehr für die Lebewesen, die darin eingesperrt waren. Traurig wandte er sich ab und ging zu seinen Tieren zurück.
 

Die Stute scharrte aufgeregt im Boden und tänzelte nervös von einem Huf auf den anderen.
 

„Was ist“, sagte Sigma scharf. „Weißt du vielleicht, wo Nefertem Lessandra hin gebracht hat?“
 

Die Stute wieherte und galoppierte sogleich vom Hof. Ohne lange zu überlegen sprang Sigma auf den Rücken von Pegasus und folgte ihr.
 


 

Sie ritten Richtung Tempel der Freyja. Dieser Tempel war der Größte auf Midgard. Dies rührte daher, weil die Fruchtbarkeitsgöttin im allgemeinen einen sehr guten Ruf unter den Menschen Midgards besaß. Zudem war allerorts bekannt, dass sie sehr in der Gunst Odins stand. Sigma war sich sogar sicher, dass Freyja beliebter war, als Frigg, die eigentliche Gemahlin Odins. Vielleicht rührte diese Bewunderung der Menschen für Freyja, von deren sagenhaften Schönheit her oder aufgrund der Güte, die man ihr nachsagte. Sigma selber wusste nicht, was er von der Vanin halten sollte. Sie war durchaus wunderschön und hatte einen, wenn auch versteckten, guten Charakter, wie die vermeintlichen Tränen in ihren Augen, als sie die Seelen auf dem Schlachtfeld um Aries einsammelte, bewiesen hatten. Dennoch war er noch immer verstimmt wegen den Geschehnissen bei ihrem letzten Zusammentreffen, als Freyja ihn förmlich ignoriert hatte, beim Abendessen mit Odin und dessen Familie.
 

Doch jetzt galt seiner Aufmerksamkeit einer ganz anderen Frau : Lessandra. Das Bauernmädchen aus Trivium. Er ritt so schnell Pegasus es vermag. Und obwohl er genau wusste, dass sein geflügeltes Einhorn weit und breit das schnellste Tier war, erschien ihm die Geschwindigkeit heute wie im Zeitraffer. Garm, Cerberus und die weiße Stute versuchten mit Pegasus schritt zu halten, aber sie fielen sehr schnell zurück. Hindernisse, die vor ihnen erschienen, wurden gnadenlos umgeritten oder übersprungen. Sigma ritt Pegasus hart und erbarmungslos. All seine Gedanken kreisten um das Bauernmädchen, deren Schicksal in den Händen Nefertems lag. Diese Tatsache allein, verursachte in Sigma ein Chaos an verwirrenden und beängstigen Gefühlen. Gleichzeitig war ihm durchaus bewusst, dass er geradewegs in eine Falle ritt, die sein Vater eigens für ihn arrangiert hatte. Bei diesem Gedanken stieß er einen wütenden Fluch aus und trieb sein Pferd noch mehr an.
 


 

Er erblickte die schwarze Rüstung und das lange, schwarze Haar seines Vaters, schon von der Ferne. Er stand auf einem kleinen Hügel, hoch zu Ross. Obwohl Sigma das Gesicht seines Vaters noch nicht erkennen konnte, glaube er, die verhassten schwarzen, etwas schräg stehenden Augen seines Vaters freudig aufblitzen zu sehen. Sigma war in seine Falle getappt und das musste ihn innerlich vor Siegesfreude fast zerreißen. Sigmas Hass stieg erneut auf eine höhere Stufe. Er hasste nicht nur sich dafür, dass er genau das tat, was sein Vater von ihn wollte, nein er hasste sich noch viel mehr, dass er diese Farce nicht schon viel früher mit einkalkuliert hatte. Er zügelte hart sein Pferd und lies es nun in einen langsamen Trab die Distanz zwischen Nefertem und sich verringern. Als er die Gesichtszüge seines Vaters deutlich sehen konnte, verfiel er sogar in Schritt.
 

Für einen mächtigen Kriegsgott, war Nefertems Gestalt sehr hager und schmächtig. Nefertem war sehr groß, aber einen muskelbepackten Körper, wie Sigma ihn hatte, suchte man bei ihm vergebens. Doch Sigma wusste auch, dass diese scheinbare körperliche Benachteiligung eine Fehleinschätzung war. Nefertem war sehr viel stärker, als sein Äußeres vermuten ließ. Und gewiss war er noch immer körperlich stärker, als Sigma es im Augenblick war.
 

Mit erhobenen Hauptes und gefestigtem Blick schritt er auf Nefertem zu und blieb dicht vor Nefertem stehen. Obwohl er sich innerlich zur Ruhe zwang, spürte er ein heißes Feuer in sich aufsteigen, als er den leblosen Körper Lessandras auf dem Sattel Nefertems erblickte. Er konnte es nicht vermeiden seinen Vater mit seinen Augen wütend anzufunkeln, woraufhin Nefertems Mundwinkel sich zu einem triumphierenden Grinsen anhoben.
 

„Du bist also tatsächlich nur wegen dem Mädchen hier. Ich schäme mich für einen so törichten Sohn. Du warst schon immer ein Narr, Sigma. Genauso gefühlsverrückt, wie deine Schlampe von Mutter.“

„Lasst Mutter da raus. Sie hat ihr ganzes Leben unter eurer Herrschaft leiden müssen, aber ich habe sie von eurer Knechtschaft befreit. Aber jetzt geht ihr wirklich zu weit, Nefertem. Dieses Mädchen hat nichts mit diesem Krieg zu tun!“

„Du irrst dich,“ sagte Nefertem ausdruckslos. „Sie ist mein Schlüssel zum Sieg.“

Sigma verzog sein Gesicht zu einer wütenden Maske des Hasses. Er ahnte auf was dieses Gespräch heraus laufen sollte.

„Wir haben dich beobachtet Sigma.“

„Und mit `wir’ meint ihr höchstwahrscheinlich Loki,“ vermutete Sigma.

„Zum mindest bist du nicht ganz so dumm, wie du dich heute gezeigt hast. Nachdem du mir meine schwarze Essenz und Loki die zwei Drachen gestohlen hast, wurden wir stutzig. Was willst du wohl mit den Essenzen des Regenbogens, fragten wir uns.“

„Und, seid ihr auf eine Antwort zu euer Frage gelangt, Nefertem?“

„Nein, aber das ist auch unwichtig. Zumindest im Augenblick. Wir haben nämlich dafür einige andere interessante Dinge erfahren,“ sprach Nefertem weiter.

„Und diese Dinge wären...?“

„Zum einen, dass du nicht nur vor uns dieses Geheimnis hütest, sondern auch vor deinem neuen Herren, Odin.“

„Odin ist nicht mein Herr,“ widersprach Sigma brüsk. „Ich habe keine Herren mehr, seitdem ich mich von euch losgesagt habe! Ich bin jetzt mein eigener Herr!“

„Glaub was du willst. Du warst schon immer ein Träumer. Ein verwöhntes und eingebildetes Kind, dass nie wusste, wann es verloren hatte. Aber das alles ist jetzt irrelevant. Die Tatsache, dass auch Odin nichts von deiner Sammlung an Essenzen weiß, zeigt uns, dass du irgendetwas planst, was auch dem all würdigen Übervater nicht zusagen würde.“

„Und was hat das nun alles mit der Zerstörung von Trivium zu tun und der Entführung dieses Bauernmädchens?“, fragte Sigma so belanglos, wie möglich.

„Stell dich nicht dümmer, als du tatsächlich bist, Sigma! Sie ist dir wichtig. Schon allein das du hier bist, beweist das. Sie ist nicht einfach nur ein Bauernmädchen für dich. Sie ist viel mehr als das. Bei unseren Nachforschungen bezüglich der Essenzen, hatten wir außerdem eine kleine Unterredung mit Draven.“

„Draven?“, fragte Sigma stutzig. „Der Herrscher von Evangeline? Der Fürst der Elben?“

„So ist es, Sigma. Er hat uns erzählt, dass du dich in letzter Zeit sehr viel im Mythrilwald aufhältst. Du warst bei der Dunkelelbin Pirotess. Wir waren bei ihr, aber sie war sehr unkooperativ. Aber wir lassen die Seele der Schwester dieser Hexe, in Utgard, dafür büßen. Ich hielt das für die beste Strafe für dieses Weib, was denkst du, Sohn?“

„Ihr seid widerwärtig!“

„Ich sehe, meine Entscheidung war richtig,“ lachte Nefertem böse. „Auf jeden Fall haben uns die Elben darüber informiert, dass du in letzter Zeit häufiger im Mythrilwald zugegen bist. Also haben wir so lange alle Elben verhört, bis wir herausgefunden hatten, dass du dich dort mit diesem Mädchen getroffen hast.“ Er zeigte gestenstark auf Lessandras leblosen Körper.

„Was habt ihr mit ihr gemacht?“, schrie Sigma aufgebracht. Er hatte seine Beherrschung verloren, in dem Augenblick, in dem seine Aufmerksamkeit auf Lessandras Besorgniserregenden Zustand fiel.

„Keine Angst. Sie ist nur bewusstlos“, vertröstet ihn Nefertem. „Zumindest im Augenblick noch.“ Nefertem grinste finster bei diesen Worten, als versetzen ihn allein diese Worte in Euphorie. Dann sprach er weiter:

„Sie hat die ganze Zeit über geplappert und über ihre toten Verwandten gejammert. Irgendwann war selbst meine Geduld erschöpft und ich habe sie ein wenig körperlich gezüchtigt, um sie zum schweigen zu bringen. Sie wird wohl noch einige Zeit schlafen.“
 

Diese Worte glaubte Sigma seinem Vater auf anhieb. Er selbst hatte mehr als einmal dessen Züchtigungen am eigenen Leib ertragen müssen. Und wäre Sigma nicht ein Gott gewesen, dann hätte er diese Art der Züchtigungen nicht überlebt. Sigma zwang sich nun Lessandra genau an zu sehen. Und sogleich fiel ihm die Platzwunde in ihrem Gesicht auf. Sein Vater hatte sie anscheinend so hart ins Gesicht geschlagen, dass sogar das Fleisch aufgerissen war. Wahrscheinlich waren einige Wangenknochen gebrochen, wenn nicht gar die Nase. Um die Wunde herum war die Haut sehr stark gerötet. Morgen würde diese röte einer unnatürlich tiefen blauen Farbgebung gewichen sein. Ansonsten konnte Sigma keine weiteren, schlimmen Verletzungen an Lessandras Körper erblicken. Doch schon allein für die Misshandelungen, in dem makellosen Gesicht Lessandras, stieg eine kaum zu beherrschende Wut in Sigma auf.
 

„Lasst sie gehen und kämpft mit mir, wie ein ehrenhafter Mann! Auch wenn das Wort `ehrenhaft’, weiß Odin, keine eurer Eigenschaften ist, mit der ich euch betiteln würde. Zum mindest nicht unter normalen Umständen.“
 

Nefertem lachte auf Grund Sigmas Wortspiel laut auf.
 

„Gut gesprochen, mein Sohn. Aber weder werde ich das Mädchen so einfach gehen lassen, noch werde ich gegen dich antreten. Auch wenn ich nichts lieber täte, als dich in deine Schranken zu weisen,“ entgegnete Nefertem wieder ernst.

„Was wollt ihr dann?“, fragte Sigma ungeduldig.

„Deine absolute Kapitulation.“

Noch bevor Nefertem diesen Satz ausgesprochen hatte, wusste Sigma bereits, dass er es sagen würde. Er hatte so etwas erwartet, aber bis zu letzt gehofft, dass seine Vermutung sich nicht bewahrheiten würde. Doch leider wurde dieser Wunsch ihm nicht erfüllt.

„Keine Sorge, mein Sohn, wir wollen nicht dass du wieder für Loki und mich arbeitest. Du magst ein guter Krieggott sein, aber du bist nicht unersetzlich. Wir wollen nichts weiter als Aries und die jämmerliche Seele dieses Königssohnes der Menschen. Halte dich aus diesen Krieg raus und das Mädchen wird frei gelassen.“

„Das könnt ihr nicht ernst meinen? Ich soll Odin verraten, wegen eines Bauernmädchens?“

„Genau diese Frage stellte ich Loki ebenfalls, bevor wir dieses Spiel hier inszeniert hatten. Und weißt du, was er geantwortet hat? »Manche Bänder sind stärker als Ehre.« Irgendetwas hat dich und das Mädchen zusammen geführt und seit dieser Begegnung hast du dich Stück für Stück gewandelt. Das musst du doch selber gemerkt haben?“
 

Sigma überdachte die Zeit seitdem er Lessandra begegnet war. Er war wirklich etwas reifer geworden. Seine Handlungen waren überlegter und seine stürmisches Gemüt war ruhiger geworden, doch das konnte unmöglich an dieser kurzen Begegnung mit dem Mädchen vor fast einem Jahr liegen. Dennoch irgendetwas war mit ihm geschehen seitdem er dieses Mädchen getroffen hatte. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und früher wäre er nicht so unüberlegt losgeritten, um ein Menschenmädchen zu retten, obwohl er genau wusste, dass es ein Falle seiner Gegenspieler war.
 

„Ich sehe, du verstehst, was ich meine,“ deutete Nefertem Sigmas Schweigen richtig. „Sie bedeutet dir etwas. Würde es sich nicht um ein kleines Mädchen handeln, würde ich sagen, dass du in dieses Mädchen verliebt bist.“

„So ist es nicht,“ widersprach Sigma hastig. „Sie ist durchaus etwas besonders. Sie ist das reinste Geschöpf, dass mir jemals begegnet ist. Und diese Eigenschaft fasziniert mich. Nicht mehr und nicht weniger.“
 

Nefertem erhob seine Hände und winkte ab. Er wollte sich anscheinend nicht länger über dieses Thema unterhalten und sich lieber wieder den wichtigen Dingen widmen.
 

„Wie dem auch sei,“ begann er trocken. „Ich verlange von dir, dass du dich zurück ziehst. Mich und meine Armee bei der Einnahme Aries nicht weiter behinderst und erst wieder nach dem Ende dieses Krieges auftauchst. Zum Austausch für diese Gegenleistung erhältst du das Mädchen und dessen Leben.“
 

Sigma funkelte seinen Vater wütend an. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Würde er aufgeben, dann würde Odin ihn wahrscheinlich verdammen und zurück nach Utgard schicken. Dann wäre er und seine Mutter erneut der Tyrannei Nefertems und Lokis ausgesetzt. Würde er sich der Forderung Lokis widersetzen, dann würde Lessandra sterben, durch die Hand seines Vaters Nefertem.
 

„Was ist mit Thor und Tyr?“

„Odins geliebte Söhne werden verschont werden. Darauf hast du mein Wort.“

„Was ist euer Wort schon wert,“ sagte Sigma verbittert.

„Du sprichst von deiner Mutter,“ erkannte Nefertem. „Ich weiß, dass du mich dafür hasst, dass ich mir ihre Liebe erzwungen habe. Wieder und wieder. Und ich würde es jeder Zeit wieder tun, wenn ich dazu die Gelegenheit bekäme. Aber sie ist selber daran Schuld. Im Grunde sind wir uns gar nicht mal so unähnlich, Sigma.“

„Das bezweifle ich stark.“

„Nein, wirklich,“ beteuerte Nefertem fest. „Ich bin ebenso, wie du von einer Frau besessen, die mich so sehr fasziniert, dass ich jedes Bündnis dafür verraten würde. Deine Mutter besitzt nicht nur Schönheit, sondern auch noch Macht. Sie ist die Herrscherin aller acht Elemente und eine Walküre. Wenn sie sich mir verwehrt, dann will ich sie nur noch mehr. Und ich schwöre dir, dass ich sie mir irgendwann zurück holen werde, aus deiner Festung, in die du sie versteckt hältst. Aber heute geht es um deine Obsession. Dieses Bauernmädchen ist für dich das, was deine Mutter für mich ist. Mit einer Unschuld, die du von keinem anderen lebendigen Wesen kennst, hält sie dich in ihrem Bann gefangen. Und obwohl sie noch ein Mädchen ist, ist schon jetzt zu erkennen, dass sie einmal eine wunderschöne Frau werden wird. Glaub mir, ich verstehe den Konflikt, in dem du dich gerade befindest. Dennoch bin ich auch enttäuscht, dass mein Sohn den gleichen Fehler macht, wie einst ich. Du lässt es zu, dass eine Frau deine Entscheidungen beeinflusst. Das ist der Anfang vom Untergang deiner einstigen Stärke. Deine Mutter hat mich weich gemacht. Früher hätte ich das Mädchen ohne zu zögern getötet. Gleich welche Pläne Loki mit euch beiden noch verfolgt. Doch was heute ist, kannst du selbst sehen.“
 

Sigma blickte seinen Vater irritiert an. Noch nie hatte sein Vater ihm auf diese Weise seine Gefühle offenbart. Eigentlich hatte Nefertem noch nie irgendwelche Gefühle offen gezeigt. Er traute diesem neuen Nefertem nicht. Aber er hatte keine andere Wahl, als auf dieses Spiel ein zu gehen, wenn er Lessandra nicht verlieren wollte.
 

„Ich werde mich raus halten. Ich nehme Lessandra und gehe in den Mythrilwald zurück. Wenn der Krieg aus ist, kehre ich nach Asgard zurück. Aber ich werde alles dafür tun, dass Lessandra in Zukunft in Sicherheit ist, dass kann ich euch versprechen. Und das Gleiche gilt für meine Mutter. Nur über meine Leiche werdet ihr noch einmal eure verdammten Hände an sie legen können!“

„Dann halte lieber deine Augen offen, damit ich dir nicht irgendwann mein Schwert zwischen die Rippen jage. Denn ich werde Kara ganz gewiss bald wieder von dir zurück verlangen.“
 

Sigma kochte innerlich fast über vor Wut. Er wusste, dass er sich jetzt nicht länger mit diesem Thema beschäftigen konnte, wenn er nicht Lessandras Leben noch mehr gefährden wollte. Widerwillig besiegelte er diesen unheilvollen Pakt, zwischen seinem Vater und ihm, mit einem Handschlag. Er nahm Lessandra entgegen, legte sie vor sich auf seinen Sattel und ritt stolz davon.
 


 

Es hatte einige Stunden gedauert, bis er den Mythrilwald auf Pegasus erreicht hatte. Die letzte Strecke war er sogar geflogen, um schneller ans Ziel zu kommen. Er hatte die Schlacht hinter sich toben hören, doch viel mehr hatte der Kriegsgott in ihm getobt. Ein Teil von ihm wünschte sich nichts mehr, als in den Krieg ein zu greifen und Aries doch noch selbst ein zu nehmen. Aber dann würde Lessandra sterben. Daran bestand kein Zweifel. Loki und Nefertem würden einen Weg finden. Von jetzt an würde Lessandra nie wieder wirklich sicher sein können. Und an all den schrecklichen Dingen, die das Mädchen in den letzten Stunden erleben musste, war Sigma Schuld. Er hätte das Mädchen sofort wegschicken müssen, als es ihm in diesem Wald begegnet war.
 

Er bettete das Mädchen auf einem Bett aus Zweigen, Moos und Laub. Zudem hatte er seinen Umhang abgelegt und diesen unter den Kopf des Mädchen gelegt. Er hatte Wasser aus dem See im Wald geholt und ein Stück seines Gewandes zerrissen und daraus einen kalten Umschlag gefertigt, mit dem er die Stirn des Mädchens kühlte.

Irgendwann kamen Cerberus, Garm und die weiße Stute im Mythrilwald an. Als Sigma mit Pegasus vorgeflogen war, hatte er sie zurück gelassen, da er einfach nicht länger auf die Geschwindigkeit der Tiere Rücksicht nehmen wollte und konnte. Die Stute legte sich sogleich neben Lessandra, während Cerberus und Garm zum See liefen, um sich dort zu erfrischen.
 

Es dämmerte bereits, als Lessandra sich endlich auf ihrem Krankenbett regte. Der Kopf der Stute schnellte augenblicklich empor. Sigma zwängte sich zwischen den Tieren durch, um sich neben Lessandra nieder lassen u können. Er fuhr mit seinem Arm unter Lessandras Kopf und zog ihren Oberkörper ein Stück in die Höhe. Dann hielt er ihr seine freie Hand über den Mund und ließ magisches Wasser in diesen fließen. Lessandra, noch immer nicht ganz bei sich, verschluckte sich an dem kalten Getränk und spuckte es einige Male wieder aus, bis sie es endlich im Mund behielt. Schließlich kam sie langsam zu Bewusstsein und öffnete letztendlich ihre müden braunen Augen. Schwach blickte sie Sigma an :
 

„Mein Herr...,“ stammelte das Kind und begann darauf herzzerreißend zu weinen.
 


 

Lessandra löste sich von Sigmas Brust. Er hatte sie tröstend in den Arm genommen und sie wie ein kleines Kind gewiegt, bis sie auf gehört hatte zu weinen.
 

„Wieso seid ihr hier? Das Letzte woran ich mich erinnere ist, dass unser Hof von einigen Kriegern der Armee Lokis angegriffen wurde. Ein Mann, gekleidete wie der Tod persönlich - von Kopf bis Fuß in schwarz - tötete meine Freunde und Familie. Meinen kleinen Bruder....meine Schwestern.....Und Mutter?“
 

Sigma schüttelte betrübt den Kopf, woraufhin Lessandra erneut in Tränen ausbrach.
 

„Was soll ich jetzt nur tun, Herr Sigma,“ schluchzte das Mädchen an seiner Brust.

„Wieso hat man uns angegriffen? Was wollten diese Leute nur von uns?“

Sigma konnte auf all das keine Antworten geben. Wenn er es getan hätte, dann würde Lessandras Herz noch mehr gebrochen werden und vielleicht zerspringen. Denn an all dem Unglück, dass ihr widerfahren war, war nur er Schuld. Nur er allein.
 


 

Sie hatten eine Weile lang einfach nur da gesessen. Sigma hatte das Mädchen gewiegt, bis es sich endgültig beruhigt hatte. Sie schien nun zu schlafen, denn sie sagte schon seit einer geraumen Zeit nichts mehr. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sie schien völlig entspannt, trotz der angespannten Lage. Sigma beneidete den tiefen Schlaf des Mädchens. Nur Kinder, die sich völlig sicher fühlten, verfügten über einen so unschuldigen Schlaf. Er schob den warmen Körper des Mädchens ein wenig von sich fort und beobachtet das Gottesgleiche Gesicht Lessandras. Schon immer hatte ihm dieser Anblick gefallen. Sie war wunderschön, wenn sie so sorglos schlief. Liebevoll presste er sie wieder an seine Brust und umschlag sie fester. In diesem Augenblick war ihm klar geworden, dass er sein Leben für das des Mädchens geben würde. Sein Herz besaß es bereits, ohne dass einer der Beiden etwas davon ahnte.
 


 

Lessandra strich gedankenverloren über die Verzierungen an Sigmas Rüstung. Sie wusste, dass er nicht wirklich schlief. Er hatte einen sehr leichten Schlaf und bemerkte jede Bewegung, selbst wenn sie noch so leise war.
 

„Seid ihr ein Heerführer, Herr Sigma,“ fragte Lessandra irgendwann. Sigma machte sich nicht einmal die Mühen seine Augen zu öffnen.
 

„Ich bin es und ich hoffe ich werde es auch noch sein, wenn ich zu meinem Herr zurück kehre,“ sagte Sigma ernst.

„Eure Rüstung ist so anders, als die der Krieger Odins oder Lokis, die ich bisher gesehen habe. Seid ihr ein wichtiger Heerführer?“

„Ich war es einmal. Ich war einst der Beste den das Reich je hatte.“

„Und was ist dann passiert?“

„Ich habe jemanden über das Wohl meines Heeres und meiner Herren gestellt. Ich habe die Schlacht verloren, um diesen Jemanden zu retten.“
 

Nun hatte Sigma seine Augen geöffnet und erwiderte den Blick des Mädchens. Er wusste, dass sie verstanden hatte, was er mit dieser Aussage gemeint hatte. Sie fühlte sich fast augenblicklich schuldig , dass konnte er an ihrem erschrockenen Blick erkennen.
 

„Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen deswegen. Niemand hat mich zu dieser Entscheidung gezwungen. Es war mein Wunsch dich zu retten und die Führung meines Heeres auf zu geben.“

„Aber wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäret ihr gar nicht erst in diese Situation gekommen. Es ist alles meine Schuld. Sie haben mich als Köder für euch benutzt, Herr Sigma. Ich habe allen im Dorf von euch erzählt, als ich damals wieder daheim war. Ich war so glücklich, dass ich euch damals getroffen hatte. Irgendjemand muss das den Kriegern Lokis erzählt haben und mich gegen euch verwendet haben. Es tut mir so sehr Leid, Herr Sigma.“
 

Wieder schluchzte das Mädchen. Aber Sigma erlaubte ihr diese Schwäche diesmal nicht.
 

„Nein,“ sagte er so streng, dass Lessandras Tränen sofort versiegten. „Sag das nie wieder. Ich allein habe mich dazu entschlossen dein Leben vor das Leben anderer zu stellen. Wärst es nicht du gewesen, dann hätten sie jemand anderen gefunden. Denn sie haben Angst vor mir. Ich hätte diesen Krieg gewonnen und sie wissen es. Aber sie sind schlechte Verlierer und deswegen haben sie diesen dreckigen Trick dazu genutzt, um mich zur Kapitulation zu zwingen. Aber das ich dieser überhaupt zugestimmt habe, dass war allein meine Entscheidung. Dir mache ich keine Vorwürfe und du solltest das auch nicht tun, ansonsten würde ich meine vergangene Entscheidung sehr bereuen müssen.“
 

Lessandra starrte Sigma verdutzt an. Sie wusste einen Augenblick lang nicht mehr, was sie darauf erwidern sollte. Dann tat sie etwas, dass Sigma zu spät erkannte, um es zu verhindern. Sie küsste ihn auf den Mund. Zwar unschuldig und nur flüchtig, aber dennoch in einer Weise, die Sigma nicht behagte. Entsetzt schob er sie von sich weg.
 

„Was soll das,“ fragte Sigma erbost. Lessandra rang nach einer zufriedenstellenden Erklärung.

„I-Ich...,“ stammelte sie ängstlich und rutschte noch weiter von ihm weg. „Verzeiht Herr. Ich wollte nicht.....Ich meine, ich dachte ihr wolltet das.“

„Wieso sollte ich wollen, dass ein Kind mich küsst,“ erwiderte Sigma kühl.
 

Lessandra war nun sichtlich verletzt, doch sie riss sich zusammen.
 

„Ihr habt eure Stellung, euren Stolz und euer Leben für meine Rettung eingesetzt. Ich habe geglaubt ihr habt das nur getan, damit ihr mich als Belohnung besitzen könntet. Ich habe einmal beobachtet, wie meine Mutter und ein Mann....Ich meine....“

„Ich weiß schon was du meinst,“ antwortete Sigma scharf. „Ich bin ein Mann und viel Älter als du. Ich habe schon mehr Frauen gehabt, als du kennst. Wie kommst du nur darauf, dass ich dich auf diese Weise begehren würde?“

„Ich habe einmal gehört, dass Männer sich manchmal Frauen, die sie nicht bekommen können, mit Gewalt holen und dann schreckliche Dinge mit ihr anstellen. Also dachte ich, da ihr mich gerettet habt, wollt ihr vielleicht das als Bezahlung für meine Rettung.“
 

Sigma stand nun auf und lief wütend vor Lessandra auf und ab.
 

„Wie kannst du so etwas nur von mir denken,“ schrie Sigma nun wütend das Mädchen an. „Ich bin kein daher gelaufener Schurke, der sich alles mit Gewalt einverleibt, was sich nicht seinem Willen beugt. Ich besitze Moral und Anstand und ich habe keinerlei Absichten dieser Art mit dir. Und überhaupt, du willst eine Priesterin der Freyja werden? Wie sollst du das werden, wenn du nicht einmal den Keuschheitsnachweis bestehen kannst, weil du dich mir angeboten hast?“
 

Lessandra schaute nun zu Boden. Ihr schien die ganze Situation unbehaglich zu sein und Sigma hatte augenblicklich Mitleid für das Mädchen. Es hatte heute so viel durch gemacht. Es war kein Wunder, dass sie verwirrt war. Sie wollte ihm einfach dafür danken, dass sie gerettet wurde und wusste nicht, wie sie es tun sollte. Sie hätte ihm als Dank ihre Keuschheit geschenkt, im vollen Bewusstsein, dass sie dadurch nicht nur die Gesetze der Menschen brechen, alle moralischen Vorstellungen zerstören und ihre Zukunft als Priesterin verbauen würde. Dies war das wertvollste Geschenk dass sie ihm jemals darbieten konnte. Und wäre sie kein Mensch oder vielleicht ein wenig älter, dann würde die Situation für Sigma vielleicht auch anders sein, aber Lessandra war ein Kind. Niemals würde er ein unschuldiges Kind beflecken!
 

Er beugte sich zu Lessandra hinunter und berührte ihre Schulter mit seiner Hand. Sie hob ihren Kopf gerade so weit, dass sie in seine Augen blicken konnte. Tränen schimmerten darin. Sigma lächelte sie verständnisvoll an und schloss sie väterlich in seine Arme.
 

„Ich verstehe, weswegen du so gehandelt hast. Aber ich will von dir nichts weiter, als deine Sicherheit. Ich habe dich gerne um mich, aber ich begehre nicht deinen Körper oder deine Unschuld. Verstehst du das, Lessandra?“
 

Das Mädchen nickte stumm und kuschelte sich an Sigmas Schulter. Irgendwann schlief sie wieder ein. Sie hatte wahrlich einen anstrengenden Tag hinter sich.
 


 

„Was wirst du jetzt tun,“ fragte Sigma Lessandra.
 

Lessandra badete sich gerade im See. Es störte sie nicht, dass er ihr dabei zu sah. Er sah sie als Kind, dass wusste sie jetzt. Er hatte keine zweifelhaften Absichten oder schlechte Dinge mit ihr vor. Er behandelte sie wie eine Tochter und sie fühlte sich zwar hingezogen zu ihm, aber das lag wahrscheinlich nur daran, weil sie sich so sicher bei ihm fühlte.
 

„Ich werde zum Tempel der Freyja gehen. Der letzte Wunsch meiner Mutter war es, dass ich eine Priesterin der Freyja werden würde. Ich werde bald fünfzehn und dann habe ich das Alter, um eine Priesterin zu werden. So lange werde ich versuchen im Tempel eine Anstellung zu bekommen. Ich glaube nicht, dass sie mich abweisen werden.“

„Weshalb? Nach all dem Irrsinn, den du erlebt hast, den Tod, die Zerstörung und alles im Namen der Götter, willst du immer noch Priesterin werden? Du willst den Göttern dienen, durch dessen Schuld deine Familie getötet wurden? Das ist doch absurd!“

„Nein,“ widersprach Lessandra. „Das ist es nicht. Ihr seid einfach nur zu verbittert und zu stur, um in diesem Thema einen anderen Standpunkt zu akzeptieren, als den Euren.“

„Aber es waren die Götter, die euch Menschen diesen unheilvollen Krieg brachten! Du verstehst rein gar nichts von den Göttern!“

„Nein, ihr seid es, der nichts versteht, Herr Sigma. Nicht die Götter bestimmen die Taten der Menschen, sondern es sind die Menschen selbst. Das habt ihr einst versucht mir bei zu bringen und ich habe darüber nachgedacht und ich denke das es stimmt. Die Menschen haben ein Selbstzerrstörerisches Wesen von Geburt an. Sie streben nach Macht und Reichtum und gehen dabei über Leichen. Sie töten ihr eigenes Volk, um ihre Ziele zu erreichen. Die Götter brachten uns vielleicht den Krieg, aber es waren Menschen, die all diese schrecklichen Taten begangen haben. Es waren Menschen, die meine Freunde und Familie auslöschten. Es waren Menschen, die meine Schwestern und meine Mutter, vor deren Tod schändeten! Und es waren Menschen, die jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Trivium getötet haben, wie Schlachtvieh! Menschen, Herr Sigma. Menschen, wie ihr und ich! Keine Götter. Deswegen werde ich Priesterin, Ich will den Göttern dienen, um die Schuld der Menschen bei ihnen abzuarbeiten. Und um den Göttern zu zeigen, dass nicht alle Menschen schlecht sind und damit sich die Götter deswegen nicht von uns abwenden.“
 

Sigma lachte laut und bitter auf: „Ihr Menschen seid für die Götter doch nur Spielzeuge! Ihr seid für sie nichts mehr wert, als niedere Sklaven. Maden, die um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Und wenn du glaubst, dass du durch deinen Glauben und deinen Dienst an die Götter, ihre Aufmerksamkeit erlangen kannst, um die Sünden der Menschen zu begleichen, dann irrst du dich, Lessandra. Und genau dieser Irrglaube wird eines Tages dein Untergang sein!“

„Dann ist es eben der Wunsch der Götter, dass ich Priesterin werde,“ sagte Lessandra trotzig. „Und diesem Wunsch werde ich mich beugen. Ich werde Priesterin, Sigma, ob es euch nun gefällt oder nicht!“

„Dann bist du dümmer, als ich dachte.“

„Dumm vielleicht,“ antwortet Lessandra traurig. „Aber ich bin nicht lebensmüde. Herr Sigma, wohin sollt eich denn, eurer Meinung nach, sonst hin, wenn nicht in den Tempel? Ich habe nichts und niemanden mehr. Meine Familie ist Tod. Mein Dorf verbrannt. Ich bin ganz allein. Ich weiß einfach nicht wohin ich gehen sollte. Oder wollt ihr mich etwa mit euch nehmen?“

„Selbst wenn ich wollte,“ entgegnete Sigma nach einigem Überlegen. „Ich könnte es nicht tun. Es tut mir so leid.“

„Seht ihr,“ sagte Lessandra melancholisch. „Dann ist es beschlossen. Ich werde Priesterin der Freyja und ich werde es gerne tun. Denn ich glaube an die Macht und Barmherzigkeit der Götter. Zudem ist es der einzigste Ausweg aus diesem Dilemma.“

„Ich befürchte, dass du dennoch einen großen Fehler begehst,“ sagte Sigma ernst.

„Dann ist es der Wunsch der Götter, dass ich diesen Fehler begehe, Herr Sigma,“ sagte Lessandra schließlich. Sigma nickte widerwillig.

„Ich denke,“ begann er zögerlich. „Ich sollte dich jetzt verlassen.“

Er stand auf und ging auf die immer noch nackte Lessandra zu. Er nahm seinen Umhang von seiner Rüstung und legte ihn ihr um. Er drückte ihre Schulter einmal kurz fest, lächelte sie an und sagte:

„Leb wohl, Lessandra.“
 

Dann drehte er sich um und verließ sie. Verwirrt und unfähig irgendetwas anderes zu tun, als ihm hinterher zu blicken, sah sie zu, wie er verschwand. Tränen stiegen in ihr auf. Sie spürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust, der schlimmer war, als der, den sie verspürt hatte, als ihr klar geworden war, dass ihre Familie tot war. Nun war sie völlig allein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Jimaine
2008-06-10T12:41:47+00:00 10.06.2008 14:41
Kapitel zwei hat mir am meisten Spass gemacht zu lesen und freue mich auf Fortsetzungen ^_°.

Insgesamt ist noch zu erwähnen, das für meinen Geschmackt etwas zu viele Kommas im Text waren und über die ein-zwei Rechtschreibfehler kann man ja getrost hinwegsehen^^.
Von:  Jimaine
2008-06-10T12:38:02+00:00 10.06.2008 14:38
Erst mal, die Story is gut. Aber ich bin beim Lesen das gefühl nicht losgeworden, immer noch beim Prolog zu sein.
Mir fehlt in der Geschicht eindeutig mehr Wörtliche Rede.
Von:  Jimaine
2008-06-10T12:36:11+00:00 10.06.2008 14:36
Kann an dem Prolog nichts aussetzen. Gut gemacht und für Einsteiger in die Welt von Chaos und seinen Söhnen eine sehr hilfreiche Stütze.

Aber ne Frage hab ich. Die Zusammenhänge innerhalb der Familie sind abgeschaut oder hast du eigene Sachen mit eingebracht? Würde mich mal interessieren, da ich vorher keine Ahnung von dem Familienstammbaum von Chaos hatte.


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