The Road von Polarfuchs (Street Soldier [SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 2: Neues zu begreifen ----------------------------- Davenport, Iowa 17. Mai 2008 Am Abend regnet es wieder. Rose hat mir von einer Tonne erzählt, die das Regenwasser aus den Dachrinnen auffängt. Sie steht draußen und das Wasser ist einigermaßen sauber. Es reicht, um das Blut loszuwerden, rede ich mir ein. Wasser ist Wasser. Die Tonne ist blau und erinnert mich an ein Bierfass, nur ohne Holz. Sie hat keinen Deckel, aber das ist egal. Anders würde das Wasser auch nicht reinlaufen können. Ich ziehe mein Shirt aus und tunke es ins Wasser, um das Blut darauf rauszubekommen. Mum mochte das Shirt immer. Aber das ist ihr Blut. Das gehört da nicht hin. Irgendwann, als ich feststelle, dass von dem Blut nur noch ein leichter Schatten zu sehen ist, brennen meine Augen. Ich weine. Der Regen versteckt die Spuren. Ich komme mir schwach und nutzlos vor. Nichts hilft. Ich schmeiße das Shirt zur Seite und wasche mir das restliche Blut vom Körper. Das Wasser ist eiskalt. Ich fange an zu zittern und verfluche diesen beschissenen Wind. Tagsüber ist es noch angenehm. Als das Blut endlich ab ist, wringe ich mein Shirt nochmal aus und trockne mich damit etwas ab. Es ist immer noch saukalt. Ich gehe rein und suche nach irgendetwas, dass einer Decke ähnlich ist. Mir fällt ein, dass Rose oben ein paar hat. Ich nehme die Treppe in den kleinen Raum und sehe die kleine Rose auf der Materatze sitzen. Sie starrt mich wieder so an, als würde ich ihr irgendetwas Böses tun wollen, und steht dabei langsam auf. Mir fällt wieder ein, dass ich kein Oberteil mehr anhabe und wie das jetzt wohl aussieht. »Hab’s sauber gemacht«, meine ich nur und zeige ihr das nasse Shirt. Sie seufzte leise und fasst sich an die Stirn. »Häng es zum Trocknen auf. Aber nicht draußen.« Sie geht wieder rüber zur Materatze und greift sich zwei Decken, die sie mir in die Hände drückt. »Morgen zeige ich dir, wo du etwas zu essen bekommst«, sagt sie. »Ich hab kein Geld«, antworte ich. Ich fühle mich schwach und ausgehungert. Rose grinst schwach. Das erste Mal, dass sich ihre Mundwinkel nach oben bewegen. Hübsch sieht es nicht aus. »Das Essen dort ist umsonst«, sagt sie und verschränkt die Arme vor der Brust. »Vorausgesetzt du bekommst überhaupt etwas.« »Kostenloses Essen?« Einen Moment denke ich, Rose verarscht mich nur. Sie schaut mich an, als wäre ich zurückgeblieben. Dann glaube ich ihr. Keine Ahnung warum. »Es ist spät«, sagt sie irgendwann. Sie sieht nicht müde aus, eher alt und kaputt. Aber sie will, dass ich gehe. »Hn«, mache ich. »Um wie viel Uhr morgen?« Einen Moment lang glaube ich, ein hübsches Lächeln gesehen zu haben. Jung und frisch. »Stell deinen Wecker auf sechs Uhr.« Ihre Stimme klingt lebendig. Menschlicher als sonst. Erst als ich unten auf das Sofa sitze, verstehe ich, warum sie grinsen musste. Nach einem Wecker hab ich mich tatsächlich einen Moment lang gesucht. 18. Mai 2008 Rose ist auf ihren dürren Beinen schnell. Das traut man ihr gar nicht zu. Sie läuft vor mir, trägt eine schlabbrige Mütze, die ihre Haare versteckt, und hält ihr Gesicht gesenkt. Sie sieht ein bisschen aus wie ein Verbrecher. Einen Moment frage ich mich, ob sie vielleicht auch kriminell ist. Manchmal jedenfalls. Aber ich merke, dass die Leute uns nicht beachten. Es ist ganz anders, als ich es gewöhnt bin. Aber es ist besser, sage ich mir immer wieder. Ich trage die Mütze, die Rose vor ein paar Tagen aus dem Müll gezogen hat. Toll finde ich das nicht. Das ist aber auch egal. Die Leute sollen mich nicht erkennen. Zurück will ich nicht. »Ey.« Rose ist genervt. »Mach schneller.« Als sie mich geweckt hat, hat sie gesagt, wir müssten uns beeilen. Irgendwann ist mir auch eingefallen, warum. Rose ist bestimmt nicht die einzige Pennerin auf der Straße. Ich zögere kurz. Dann hole ich sie ein. »Gehst du da immer hin?« Sie versteht nicht. »Zum Essen.« Sie lacht trocken. »Nein. Nur wenn ich muss.« Sie seufzt leise und wischt sich übers Auge. »Die Essensausgabe da ist die reinste Hölle. Die Freiwilligen sind nett. Irgendwelche Kirchenleute. Aber die, die das Essen holen, sind das Problem. Nicht für alle ist was da. Die Dreckskerle werden sauer, wenn sie nichts bekommen.« Ich verstehe nicht ganz, was sie damit meint. Wütende Leute kann man ignorieren. Nachfragen tue ich nicht. Als wir da sind, hat sich schon eine Gruppe von stinkenden Pennern bei einem roten Van versammelt. Das Auto ist alt und sieht aus, als würde er jeden Moment zusammenklappen. Die Horde ist unruhig, ihre Kleidung abgenutzt und alt. Sie sehen widerlich aus. Dann stelle ich fest, dass Rose gar nicht dazu passt. Als ich mich umsehe, ist sie weg. Irgendwann erkenne ich sie unter der Menge von Pennern an ihren Haaren. Ihre Mütze hat sie nicht mehr auf. Als sich die Seitentür vom Van wieder schließt, rennt Rose wie aufgestochen aus dem Haufen von Pennern. Einer packt sie von hinten und zerrt sie zurück. Ich denke nicht nach. Rose braucht Hilfe. Ich renne zu ihr und schlage dem Arm von dem Penner weg. Er stinkt und sieht richtig schäbig aus. Seine Mütze versteckt seine fettigen braunen Haare kaum und sein Gesicht ist von zwei langen Narben entstellt. Ich merke mir das Gesicht. Jetzt verstehe ich, was Rose meinte. »Ey du kleiner Wichser«, schreit er und hustet. Rose hinter mir zerrt mich von ihm weg. Sie zittert. Ich glaube, sie hat Angst. Sie reißt mir fast den Arm aus und rennt mit ihren dürren Beinen schon wieder so schnell. »Rose.« Sie ignoriert mich. Bemerkt mich vielleicht nicht mal. »Rose!« Sie zerrt mich noch schneller weiter. Die Menschen, an denen wir vorbeilaufen, beachten uns nicht. Es ist okay. »Rose!« Dieses Mal stoppe ich und reiße sie zu mir. Sie fällt mir gegen die Brust und keucht erschrocken. »Tut mir leid.« Ihre Stimme klingt schwach und gebrechlich. Sie lässt meine Hand los und geht auf Abstand. Dann sehe ich die Tränen. Sie wischt sie weg und dreht sich um, bevor ich etwas sagen kann. Oder bevor mir einfällt, was ich überhaupt sagen könnte. Dass Rose weint, überrascht mich. Plötzlich sehe ich sie nur noch ein kleines, schwaches Mädchen. Dass sie auf der Straße lebt, zählt nicht mehr. Wir gehen weiter. Rose presst das Essen, das sie ergattert hat, an sich, wie einen Rettungsring im Ozean. Irgendwann sind wir wieder in dem alten Lagerhaus. Rose verschwindet mit dem Essen in das kleine Zimmer. Ich komme mir übergangen vor. Mein Magen knurrt schon wieder und tut dabei furchtbar weh. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann. Rose kommt runter und drückt mir ein belegtes Brötchen und einen Apfel in die Hand. »Dann haben wir für später und morgen früh noch was.« Sie selbst nagt an einem trockenen Brötchen. Am Abend gibt Rose mir noch ein Brötchen. Ich fühle mich immer noch ausgehungert, bin müde und schlapp. Die kleine Rose sitzt neben mir auf dem Sofa. Ich glaube, sie beobachtet mich. Irgendwann spricht sie mich an. »Das ist nichts für dich, Sasuke.« Ich sehe sie an, dieses dürre Mädchen, dass viel zu schutzlos in dieser Welt ist. Früher hätte ich sie nie beachtet. Früher wäre sie nicht mehr als Dreck. Ich schüttle den Kopf. »Lass es.« »Egal, was passiert ist, wenn du dich jetzt zu Tode hungerst, wird es auch nicht besser.« Ihre Stimme ist wieder leise, fast schon vorsichtig. »Das geht dich nichts an«, höre ich mich fast tonlos sagen. »Wenn ich dich jetzt schon mitversorgen muss, geht es mich ’ne ganze Menge an«, zischt sie. Ein kaltes Lächeln überkommt mich. Ich brauche sie nicht, denke ich wütend. »Sei still.« Sie zuckt wieder zusammen. »Dann mach doch, was du willst.« Rose steht auf und verschwindet in das kleine Zimmer. Ich seufze. Mit einer Hand fahre ich mir durch die Haare. Als ich mich auf dem Sofa hinlege, fällt mir auf, dass die Decken von letzter Nacht weg sind. Rose hatte sie zur Sicherheit in dem Zimmer oben versteckt. Ich glaube nicht, dass sie sie mir zurückgibt. Dieses Mal ist mein Seufzen erschöpft. In der Nacht werde ich durch einen Schrei geweckt. Erst weiß ich gar nicht, was los ist. Dann denke ich an Rose und springe auf. Meine Beine tragen mich kaum, aber ich zwinge mich die Treppen rauf und reiße die Tür auf. Es ist dunkel. Rose starrt mich mit aufgerissenen Augen an. Sie leuchten panisch und zittern. »Was ist passiert?« Ich versuche neutral zu klingen. Vielleicht auch ein bisschen wütend, weil sie mich geweckt hat. Ihr Atem rasselt. »Nichts.« So wie sie aussieht, hat sie schlecht geträumt. Ich mache einen Schritt vor und Rose presst sich noch im selben Moment gegen die Wand, als hätte ich ein Messer nach ihr geworfen. »Verschwinde«, haucht sie. Sie hat Angst vor mir, fällt mir auf. »Ich bin’s. Sasuke.« »Hau ab.« Plötzlich bin ich verwirrt. Ich frage mich, ob sie mir noch böse ist. Aber das kann es nicht sein. Ich komme noch näher und starre sie einfach an. Irgendwann wird sie nachgeben, sage ich mir. Es kommt anders als geplant. Sie wird noch unruhiger und schiebt sie an der Wand hoch. »Bitte geh einfach«, fleht sie. Ich bleibe noch einen Moment so stehen. Dann gehe ich. Einschlafen tue ich erst, als die Erschöpfung siegt. 19. Mai 2008 Als ich das nächste Mal aufwache, ist Rose nicht da. Jedenfalls sehe ich sie nicht. Einen Moment kommt es mir vor, als hätte ich nur geträumt. Aber es war viel zu real. Ich stehe auf und zwinge meine Beine die Treppe rauf. Oben ist die Tür zu. Klopfen tue ich nicht. Es ist auch egal. Rose ist nicht da. Ich bin so erschöpft, dass ich mich einfach auf die Matratze fallen lasse. In der Nacht habe ich schlecht geschlafen. Mein Rücken tut mir weh. Ich stöhne und irgendwie kommt mir alles unecht vor. Irgendwann kommt Rose in den kleinen Raum. Ich setzte mich nicht auf. Kann ich gar nicht mehr. Keine Kraft. »Was machst du hier?«, höre ich sie überrascht fragen. Ich sehe sie an, versuche nicht so fertig auszusehen. Ihre Frage übergehe ich. »Was war das gestern?« Sie zögert. Dann schmeißt sie die kleine Plastiktüte in ihren Händen auf die Kommode. Ich sehe nur noch ihren Rücken. »Ich weiß nicht, was du meinst« Die Lüge aus ihrem Mund schreit mir fast entgegen. Ich sage nichts, stehe einfach auf. Es ist anstrengend. Als Rose sich umdreht, stehe ich schon direkt vor ihr. Sie zuckt panisch zusammen. Dann stößt sie gegen die Kommode hinter sich. Ich packe sie an den Armen. Jetzt kann sie nicht mehr weg. »Hör auf!«, kreischt sie. Sie hat Angst. Mir egal. „Lass los!“ Sie zieht ihr Knie hoch und versucht mich zu treten. Sie wehrt sich noch eine ganze Weile. Irgendwann wimmert sie. Ihr Körper zittert. Mir tut es leid. Ich lasse sie los. Ihr Körper fällt wie ein nasser Sack auf den kalten Betonboden. Sie krümmt sich zusammen, weint und schluchzt, als hätte ich sie geschlagen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mit weinenden Mädchen kenne ich mich nicht aus. Ich seufze, setzte mich wieder zurück auf die Matratze und lasse mich nach hinten fallen. Rose wimmert immer noch. Irgendwann hab ich das Gefühl, einzuschlafen. »Tu das nicht nochmal.« Plötzlich sehe ich Rose neben mir auf der Matratze sitzen. Sie hat die Arme um ihre dürren Beine gelegt und zeigt mir ihren Rücken. Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen. »Dann lüg nicht.« Ich starre die Decke an. Die Matratze ist angenehmer, als das Sofa unten. Ich bin immer noch unglaublich müde. Lange sagt sie gar nichts. Ich lasse sie in Ruhe. Meine Knochen tun weh. »Ich kenne dich nicht«, sagt sie dann. »Du bist ein Fremder und erwartest, dass ich dir vertraue.« Sie stoppt kurz. »Aber ich kann dir nicht vertrauen. Auf der Straße kann man niemandem vertrauen.« Ich versuche etwas zu sagen, aber ich weiß nicht, was. Vielleicht, weil mir diese Situation neu ist oder aber, weil ich mich kaum konzentrieren kann. »Ich habe Angst«, sagt sie. Dann: »Du solltest noch etwas schlafen.« Dann wird es dunkel. Vielleicht ist das alles nur ein dummer Traum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)