The Road von Polarfuchs (Street Soldier [SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 1: Rose --------------- Davenport, Iowa 16. Mai 2008 Ein stechender Schmerz in der Seite reißt mich aus meinem traumlosen Schlaf und ich brauche einen Moment, bis ich weiß, wer ich bin. Als ich mich aufrichte, sehe ich nur diese kahlen, kalten Wände, deren Putz an den meisten Stellen bereits abgefallen ist und ich frage mich, ob man mich vielleicht entführt hat. Gleichzeitig spüre ich einen Funken Panik in mir aufsteigen. Dann aber sehe ich das ganze Blut auf meinen Sachen und irgendetwas, das sich in meinen Augenwinkeln bewegt. Und plötzlich weiß ich es wieder. »Was suchst du hier?« Ihre Stimme ist vorsichtig, aber hart. Ein bisschen, wie die von Vater, nur weiblicher. Als ich sie ansehe, sehe ich nur ein kleines, dürres Mädchen in meinem Alter. Alles andere als eine Bedrohung. Sie hat rötliches Haar, das in dem Licht mehr rosa aussieht und sie trägt einen viel zu großen, dunklen Männerpullover. Ihre Beine schauen wie Streichhölzer darunter hervor und die lockere Stoffhose lässt sie auch nicht fülliger wirken. Brüste hat sie wohl keine. Sie bemerkt meinen musternden Blick und tritt instinktiv einen Schritt zurück. »Ich hab gefragt, was du hier suchst!« Ich zucke nur mit den Schultern und überlege, was ich jetzt eigentlich machen soll. Zurück will ich nicht. Nicht in dieses Haus und auch nicht zu den ganzen Leuten, die Fragen stellen. Das Mädchen neben mir seufzt und ich setzte mich auf dem Sofa richtig hin. Sie mustert mich nochmal. Es ist nichts Neues für mich, dass Mädchen mich anstarren. Mir laufen viele hinterher. Sogar Ältere. Aber dann fällt mir das Blut wieder ein und ich überlege, wie ich wohl gerade aussehe. »Verschwinde einfach«, verlangt sie. Sie dreht sich um und geht die Treppen rauf. Eine Pennerin, schießt es mir durch den Kopf. Die wohnt wahrscheinlich hier. Ich sehe mich um und betrachte diese hässlichen Wände, den dreckigen Boden und den Berg Müll, der hier abgeladen wurde. Irgendwann glaube ich, eine Ratte gesehen zu haben. Es wundert mich nicht einmal. Ich denke an mein Zimmer zu Hause. An das große weiche Bett und den hellen Teppich, den Naruto schon so oft versaut hat. Naruto. Wenn man so aufwächst wie ich, hat man keine Freunde. Alles, was man unter den Leuten hat, sind Verbündete, mit denen man sich während langweiligen Geschäftstreffen und sinnlosen Festen abgibt. Aber sobald die Zusammenkunft beendet ist, zerreißen sie sich hinter deinem Rücken ihre Mäuler, um beliebter zu werden. Beim nächsten Treffen ist das alles wieder egal. Mit dem Rest hast du nichts zu tun. Irgendwann hab ich dann Naruto getroffen. Der Idiot ist in unsere Gegend gezogen. In der Schule wurde er dann neben mich gesetzt und irgendwie wurden wir Freunde. Er nimmt das alles mit Vertrauen und Loyalität ziemlich ernst. Wahrscheinlich deshalb. Ich sollte ihn vielleicht anrufen. Mir fällt auf, dass ich weder mein Handy noch Geld in der Tasche habe. Gar nichts eigentlich. Wahrscheinlich weiß Naruto sowieso schon, was los ist. Er würde nur dumme Fragen stellen. Das Mädchen kommt wieder runter. Ihre Schritte gehen in dem Lärm der scheppernden Autos draußen unter und ich bemerkte sie erst, als ich ihren bunten Kopf sehe. »Du bist immer noch da«, stellt sie nüchtern fest. Ich stehe auf und bemerke, dass ich fast einen Kopf größer bin, als dieses dürre Ding. »Ich weiß nicht, wohin«, gebe ich zu. Mein Hals ist trocken. Mit dem Blut auf meinen Sachen muss ich aussehen wie ein Wahnsinniger. »Mir egal.« Sie bleibt hart. Mir fällt auf, dass sie grüne Augen hat. Sie sehen matt aus und machen sie alt. »Mir auch.« Ich lasse mich wieder auf das Sofa fallen und lehne mich zurück. Er quietscht unter meiner Last und ich kann die Sprungfedern deutlich spüren. Ich frage mich, wie man so etwas ein Sofa nennen kann, aber da höre ich schon wieder das Mädchen. »Ich mein’s ernst, Wichser. Verpiss dich!« Sie ist sauer. Mein Kopf fängt wieder an, wehzutun. Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf meine Knie und fahre mir mit beiden Händen durch die Haare. »Lass mich einfach in Ruhe«, höre ich mich selbst murmeln. Sie atmet geräuschvoll aus. »Soll das ein Witz sein? Such dir deine Ruhe zu Hause.« Ich sehe Mum tot vor mir liegen. Vater auch. Itachi lacht. Meine Nerven reißen. »Halt‘ die Klappe, verdammt!« Sie zuckt zusammen wie ein verschrecktes Reh und mir tut es sofort leid. Hab nicht einmal bemerkt, dass ich aufgesprungen bin. Ich senke meinen Blick und weiß nicht, was ich tun soll. Ich kenne sie nicht. Irgendwie ist das wohl ihr zu Hause. Aber ich will nicht gehen. Ich will nicht zurück. Ich seufzte erschöpft und lasse mich zurück in die Polster fallen wie ein nasser Sack. Mein Gesicht vergrabe ich in meinen Händen. »Sorry«, murmle ich leise. »Ich weiß nicht, wohin.« Ich merke, dass ich mich wiederhole. Egal. »Du kannst hier nicht bleiben«, sagt sie dann. Sie versucht, versöhnlich zu sein. Es klingt wie eine stille Bitte. »Ich habe niemanden mehr.« Niemanden außer Naruto. Naruto zählt nicht. Er weiß Bescheid. Sie seufzt fast schon ergeben. »Wie heißt du?« Ich blicke auf und sehe sie an. Bin ihr irgendwie sogar dankbar. Keine Ahnung warum. »Sasuke.« »Hör mal, Sasuke«, fängt sie an. »Das Leben hier ist schwer. Das hier«, sie deutet auf die verrottete Halle. »Ist alles, was ich habe.« Sie atmet tief durch. »Geh einfach nach Hause. So schlimm kann es da gar nicht sein.« Ich mag es, wenn sie so ruhig spricht. Fast als wären wir Freunde oder mehr. Es gibt mir ein sicheres Gefühl. Ich sehe sie an und sie scheint zu verstehen, dass ich nicht gehen werde. Sie schüttelt resigniert den Kopf. »Dann bleib.« Aber? »Aber erwarte ja nicht, dass ich dir irgendwas gebe. Es ist schon alleine schwer genug.« Ich muss fast schon spöttisch lächeln. Ich kenne das Mädchen nicht, aber sie ist unglaublich berechenbar. »Wie heißt du?«, frage ich. Ich bin neugierig geworden. Sie zögert, tritt fast unbewusst einen Schritt zurück und mustert mich mit diesem stechenden Blick. »Die Leute nennen mich Rose.« Ich mustere sie genauer. Der Name ist amerikanisch. Sie sieht mehr asiatisch aus. Vielleicht hat sie auch japanische Wurzeln. »Rose«, wiederhole ich und deute auf ihre Haare. »Passt.« Sie steht da und ich glaube, sie kommt sich etwas fehl am Platz vor. Dann dreht sie sich einfach um und geht wieder die Treppe rauf. Ich weiß nicht, was ich tun soll, also folge ich ihr einfach. Oben ist ein kleiner Flur mit nur einer Tür. Sie ist offen, weil Rose mich ansieht, als würde ich gleich über sie herfallen. Ich zucken mit den Schultern, trete ein und sehe mich um. Auf dem kahlen Betonboden liegt eine Materatze, darunter geplättete Pappkartons. Wahrscheinlich, damit es nicht so kalt ist. Auf der Materatze liegen ein Haufen Decken. Sie sind dünn und sehen teilweise wie diese grässlichen Patchwork-Dinger aus. Auf der anderen Seite steht eine Art Kommode, darauf ein Beutel. »Wenn du hier bleiben willst, dann schläfst du unten.« Ihre Stimme holt mich zurück und ich sehe sie einen Moment lang an. Plötzlich wird mir klar, dass ich hierbleibe. Ich werde auf einem Sofa in einem heruntergekommenen Lagerhaus - im Dreck - schlafen. Einen kurzen Augenblick sehne ich mich nach meinem Zimmer und dem weichen Bett mit den dicken Decken und fülligen Kissen. Aber das ist nicht mein zu Hause. Es ist nur der Ort, an dem im gewohnt habe. Ein zu Hause hab ich nicht. Ich widerspreche mir selbst. Mum’s Lächeln war mein zu Hause. Jetzt ist sie tot. Ich drehe mich um, gehe wieder runter und lasse mich auf das Sofa fallen. Ich will nur noch schlafen. Schlafen und hoffentlich dabei sterben. 17. Mai 2008 Als ich das nächste Mal aufwache, weckt mich die Sonne. Einen Moment frage ich mich, wo ich bin. Dann fällt mir alles wieder ein und ich erinnere mich auch an die dürre Rose. Neben mir höre ich ein Geräusch. Ich schrecke auf und starre die mageren Beine an. Rose steht in dem Haufen von Müll und wühlt darin rum. Sie bemerkt mich gar nicht. Ich frage mich, wie lange ich geschlafen habe. Als ich mich aufsetzte, stöhne ich gequält. Mein Rücken ist die stechenden Sprungfedern nicht gewöhnt. »Du bist wach«, höre ich Rose sagen. Sie schaut mich nur kurz an und wühlt dann wieder im Schrott. Ich richte mich auf und komme näher, frage sie, wie lange ich geschlafen habe. »Ein Tag«, antwortet sie und dreht sich zu mir. »Gestern bist du nicht mehr wach geworden.« Ich seufze. »Super.« Mein Magen knurrt und Rose sieht mich an, als würde sie etwas von mir erwarten. Ich versteh gar nichts. »Was?« »Für dein Essen bist du selbst verantwortlich.« »Hab grad kein Geld dabei.« Sie zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder dem Müll zu. »Ich hab dich gewarnt.« »Und jetzt?« Ich komme mir vor wie ein kleiner Junge, der nichts alleine kann. Ich mag das Gefühl nicht, aber ich will nicht gehen. Sie seufzt genervt und steigt von dem Schrottberg. »Wie hast du dir das vorgestellt, Sasuke?« Ich zucke mit den Schultern. Ich hab wirklich noch nicht darüber nachgedacht. Ich schimpfe mich einen Idioten und sehe sie an. Sie scheint zu wissen, dass ich nicht antworten werde. Rose fasst sich an die Stirn und seufzte tief. Statt zu antworten, wie ich es erwartet habe, schüttelt sie nur den Kopf. Sie geht an mir vorbei und verschwindet die Treppe rauf nach oben. Ich denke, sie ignoriert mich, doch dann kommt sie wieder und hält mir ein trockenes Brötchen hin. Als ich es nehmen will, zieht sie ihre Hand wieder zurück. »Es ist eine Ausnahme, kapiert?« Ich nicke nur und nehme das Brötchen entgegen. Es ist alt und wie Gummi. Ich frage nicht einmal, was das soll. Sie ist eine Pennerin, sage ich mir immer wieder. Für sie ist das sehr viel. Während ich auf dem Brötchen herumkaue, stelle ich mir vor, wie ich in unserem Haus zu Frühstück esse. Es gibt jeden Morgen frisch aufgebackene Brötchen aller Art und Kaffee. Rose würden die Augen ausfallen. Ich frage mich, ob sie schon immer auf der Straße gelebt hat oder auch einmal ein richtiges Zuhause hatte, weil sie für einen Penner noch so jung ist. Sie scheint mit dem allem irgendwie gut klarzukommen. Ich höre, wie sie wieder auf den Haufen Schrott steigt und darin herumwühlt. »Was suchst du?« »Alles, was brauchbar ist.« Ich beiße wieder von dem Brötchen ab. Es kaut sich schwer und trocknet meinen Mund aus, aber es füllt meinen Magen und nur das zählt. Als ich fertig bin, bin ich immer noch hungrig, aber ich sage nichts. Rose zieht eine dreckige Cappy aus dem Müll und begutachtet sie. Das bisschen Staub, was sie verdreckt, klopft sie ab. Das Teil scheint gut erhalten zu sein. Sie wirft sie mir zu und wühlt weiter herum. »Was soll ich damit?«, frage ich. Ich bin verwirrt. »Anziehen.« Sie schnauft erschöpft. »Wenn du sie nicht brauchst, lass sie einfach auf dem Sofa liegen.« Ich sehe mir das Teil genauer an und stelle fest, dass das so gar nicht mein Fall ist. Keine Marke und dazu auch noch abgetragen. Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich jetzt keine Wahl mehr habe. Ich habe weder Geld, noch Kleidung und zurück in dieses riesige Haus will ich auch nicht. Die Cappy schmeiße ich trotzdem auf‘s Sofa. Ich entschließe mich kurzerhand, Rose zu helfen und steige zu ihr auf den Schrotthaufen. Im Gegensatz zu ihr bleibe ich nahe am Rand, um gleich abzuspringen, wenn es kracht. »Wie alt bist du?«, höre ich mich fragen und versuche irgendetwas Brauchbares zu finden. Anfassen tue ich nichts. »Ist egal.« Ich sehe sie an und runzle die Stirn. »Und warum?« »Weil’s egal ist.« Rose richtet sich auf und wischt sich über die Stirn. »Du musst nichts über mich wissen. So, wie ich auch nichts über dich.« »Warum so freundlich?« Sie stöhnt genervt auf und dreht sich zu mir um. »Ganz ehrlich?« Ich nicke nur und bin gespannt, was sie sagt. »Du siehst aus wie ein kranker Psycho. Ich mein, schau dich mal an.« Rose triff mich direkt ins Mark, als sie mich an das Blut erinnert, das jetzt ganz dunkel und trocken aussieht. Ich springen von dem Haufen Müll und bleibe erst mal mit dem Rücken zu ihr. Ich sehe Mum und wie das Blut sich um sie herum in den Teppich saugt. Mir wird schlecht und einen Moment glaube ich, dass alte Brötchen kommt mir wieder hoch. »Das Blut ist von meinen Eltern«, höre ich mich sagen. Ich weiß nicht einmal, wieso. Ich sehe meine Hände an und da ist noch Blut zwischen den Fingern. Ich fühle mich dreckig, will nur noch sterben. Rose ist still. Ich weiß nicht, ob sie mich ansieht. Ist egal. »Mein Bruder hat sie umgebracht. Einfach erschossen.« Meine Stimme ist rau und ich habe das Gefühl, sie bricht gleich. Ich weiß nicht, was ich tun soll. »Ich bin 17«, höre ich sie sagen. Dann höre ich wieder, wie sie sich auf dem Schutt bewegt. Sie sucht weiter. Danke, kleine dürre Rose. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)