Die Lesenacht von _Delacroix_ ================================================================================ Die Lesenacht ------------- Die Nacht war bereits hereingebrochen und hatte sich wie ein Schatten um das Anwesen der Familie Black gelegt. Es war ruhig in dem alten Herrenhaus, denn die Töchter der Familie waren längst im Land der Träume angekommen. Eine alte, bucklige Muhme schlief, von einem eifrigen Hauselfen in eine grüne Decke gekuschelt, vor dem Kamin und wartet auf die Rückkehr der Eltern der Mädchen, welche heute mit Freunden und Familie ihren Hochzeitstag feierten. Das ganze Haus war in eine ungewöhnliche Stille getaucht. Das ganze Haus? Nun, nicht ganz. Hinter einer der schweren Eichentüren wurde eifrig Seite um Seite umgeblättert. Kleine Finger strichen über die vergilbten Zeilen eines dicken Buches, während eine Kerze lustig vor sich her flackerte. Ab und zu zog die Schwarzhaarige ihre nackten Füße näher an ihren Körper. Es war kalt auf dem Boden, doch Bellatrix sehnte sich nicht nach ihrem warmen Bett. Sie wollte wissen wie diese Geschichte endete. Es war ihr auch egal, das ihre Muhme sie bereits vor drei Stunden ins Bett geschickt hatte. Sie war nicht müde, schließlich war sie schon Acht. Also konnte sie auch schon ganz lange wach bleiben. Zumindest solange sie nicht von ihrem Kindermädchen erwischt wurde. Natürlich hatte sie zunächst ein wenig Angst gehabt. Schließlich hatte sie sich nach dem zu Bett gehen ganz schnell zum Kamin schleichen und dort ihre kleine, rosa Kerze anzünden müssen, die seit fast drei Monaten auf ihrem Nachttisch stand. Doch besonders nach dem üblichen Einschlafritual schienen die Ohren der Erwachsenen überall zu sein. Sie hatte ihre Kerze ganz leise tragen müssen, immer in der Angst Jemand könnte den Schein der Flamme sehen. Doch es hatte sich gelohnt. Nur noch wenige Seiten trennten das Mädchen von dem Ende des Buches. Die „Schneekönigin“ hatte sie tief beeindruckt. Konnte sich wirklich ein Splitter ihres Eises in dem Herzen eines Menschen festsetzen? Sie würde ihren Vater fragen müssen. Unsicher blätterte das Kind eine besonders voll geschriebene Seite um und schluckte leise, als sie ein Knarren hörte. „W-Wer ist da?“ Bellatrix Stimme bebte, als sie sich selbst diese Worte murmeln hörte. Wenn das nur nicht zu laut gewesen war. Schluckend erhob sich die Kleine und blickte sich in dem düsteren Raum um. Ihre Kerze malte Monster aus Dunkelheit an die Wände, welche sie zu verschlingen drohten, doch sie hatte keine Angst. Ihr Blick fiel auf die grünen Vorhänge, die wie von einer unsichtbaren Macht ergriffen in der Luft herumtanzten. Leise und bedrohlich wie eine Schlange wickelten sie sich um einander und griffen nach der kühlen Luft des Zimmers. Doch sie hatte noch immer keine Angst. Bellatrix kniff die Augen zusammen um in der Dunkelheit die Umrisse ihres Schrankes auszumachen. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf die leicht geöffnete Tür, hinter der sich ihre Kleider verbergen mussten. Sie hatte die Tür vorhin geschlossen, oder nicht? Ihre Beine zitterten, als ihre nackten Füße über den kühlen Steinboden tippelten. Jetzt nur kein falsches Geräusch machen. Die Temperatur im Zimmer schien plötzlich um zehn weitere Grad zu fallen. Vielleicht hätte sie lieber im Bett bleiben sollen. Was wenn sie das war? Was wenn die Schneekönigin gekommen war um sie zu bestrafen? Der rational denkende Teil ihres Gehirns wiederholte die Worte ihrer Mutter wie ein Mantra: „Es ist nur ein Märchen. So etwas gibt es nicht. Benimm dich nicht wie ein dreckiger Muggel.“ Bellatrix schluckte. War der Weg bis zu ihrem Schrank schon immer so lang gewesen? Ein Knarren durchdrang die Stille, als sich die Tür ein weiteres Stück öffnete. Das Mädchen konnte durch den Spalt in die schwarze Dunkelheit des Schrankes sehen. Was wenn dort etwas lauerte? Nun hatte sie Angst. Bellatrix konnte spüren, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Was wenn es wirklich die Schneekönigin war? Sie schluckte, als sie ihre kleine Hand nach dem Griff der unheimlichen Schranktür ausstreckte. Nur noch ein Stückchen- Ein weiteres Knarren lies Bellatrix zusammen zucken. Quälend langsam öffnete sich die Tür. Eine weiß umhüllte Hand schoss nach vorne. „Buh!“ Vor Schreck geweitete Augen starrten auf das unförmige, weiße Ding, welches mitten in ihren Socken stand. Bellatrix stolperte zurück. „N-Nein... Nein! AHHHH!“ Vergessen war die Stille, welche sie zum lesen brauchte. Vergessen das niemand bemerken sollte, dass sie nicht schlief. Vergessen war die Kerze, welche noch immer mitten auf dem Fußboden stand. „Pass auf!“, rief das Bettlakengespenst, doch die Schwarzhaarige war bereits über das Licht gestolpert. Flammen erfassten das Märchenbuch und begannen sich im Zimmer auszubreiten. „Ahhh!“ Bellatrix Schreie wurden nur noch hysterischer. Irgendwo im Haus fiel - ungehört - ein Stuhl zu Boden. Schritte wurden lauter und eine entsetzte Muhme riss die Tür des Zimmers auf. Flammen tanzten auf dem Boden, an den Vorhängen, auf dem Bett und mitten in dem brennenden Zimmer saß schreiend die Älteste der Blacktöchter und starrte entsetzt auf einen kleinen Jungen, welcher fast so blass geworden war, wie sein Bettlaken. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)