Living a Lie von woaini (Taito) ================================================================================ Kapitel 9: Alleine! ------------------- Kapitel 9 Alleine! ~~Taichis Pov~~ Ich kann gar nicht sagen, wie viel ich kotzen müsste, um mich mit dieser Situation abzufinden. Nun stehe ich dem amüsierten Gericht schon seit 3 Tagen Frage und Antwort. Nur der Richterin. Staatsanwalt und Verteidiger dürfen erst später anfangen. So sitze ich täglich bis zu fünf Stunden im Gerichtsgebäude, schreibe wie ein Bescheuerter alles auf und lasse alles über mich ergehen. Blicke. Zurufe. Gelächter. Nur weil ich zum ‚Knast’ etwas gesagt habe. Schwedische Häkeldeckchen, durch die man gesiebte Luft atmet…. Woher sollte ich wissen, dass es Gardinen heißt? Ergibt doch keinen Sinn! In der Häkeldecke sind wenigstens Löcher aber eine Gardine ist doch viel zu vornehm! Olle Emma Laden. Ja, mein Gott, ich hab es so gelernt: Klau Schnaps im ollen Emma Laden! Ich dachte, die Frau hieße nun mal Emma! Oder weil ich nicht wusste, was ‚abgefuckt’ heißt. Ich weiß nur, dass ich mich nie abfucken lassen sollte. Also hab ich aufgepasst, dass es mir nicht passiert. Hab nie nachgefragt, was es genau heißt. Hätte nur Ärger gegeben, also hab ich brav genickt und hab aufgepasst. Und nun lacht das ganze Gericht über mich. Nicht nur das. Es kommt immer schlimmer. Schlafen tue ich auf der Polizeistation. In einem Verhörraum, mit dieser Glasscheibe, wo man nur von einer Seite durchschauen darf, steht eine bereitgestellte Pritsche. Ungemütlich und hart. Die Decke kratzig und potthässlich grün. Besonders nett sind die Meisten hier auch nicht. Dass man Omeda nur für das, was im Schuppen passiert ist, drankriegt. Dass ich Omeda beschuldige. Nachdem ich meine Aussage gemacht habe, karrt man mich hierher. Ich krieg nur Junkfood zu Essen, manchmal ne Suppe aus dem Automaten, manchmal bringt mir Ryo was von Wac Donalds mit. Ich esse es selten. Es sieht scheiße aus, es ist fettig und Hunger habe ich eh keinen. Wann auch immer ich frage, wann ich Kari sehen darf, heißt es, ich soll mich gedulden. Wenn ich raus will, an die frische Luft, da lacht man mich aus, macht die Tür wieder vor mir zu. Richtig, ich sitze den lieben langen Tag in meiner ‚Zelle’, meistens eingesperrt. Oft kommen die Polizisten her, fragen mich noch mal Unnötiges. Immer und immer wieder dasselbe wiederholen. Ich bin es leid. Aber wenn ich mich bockig anstelle, droht man mir gleich, dass das mit meiner Schwester wohl noch warten muss. Erpressung wie sie im Buche steht. Schlafen tu ich auch nicht besonders. Habe viele Alpträume und so. Oder ich höre so ein dumpfes Klopfen. Da haut sich wohl einer in der Nebenzelle immer und immer wieder den Kopf gegen die Wand. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Besuch bekomme ich auch keinen. Gut, Ryo schaut täglich vorbei, aber meistens hat er mich auch gleich etwas zu fragen. Erkennst du den Kriminellen hier? War es das Gebäude da? Yoshi oder Yama waren auch noch nicht hier. Ich sehe sie manchmal im Gericht. Meist hinten sitzend, bei den Zeugen, oder auch mal im Zuschauerraum. Gesprochen haben wir nicht viel. Eigentlich nur Yama. So, „alles Gute“, „Ohren steif halten“ und so was halt. Ich glaube, er ist ganz froh, mich losgeworden zu sein. Wahrscheinlich sehe ich ihn eh nie wieder, nach dem Prozess. Man hat mir versprochen, dass ich für das Stehlen nicht in den Knast muss, aber danach…. Keine Ahnung. Man hat mir irgendwie keine Alternativen erklärt. Ich will eh momentan nur Kari sehen. Was dann ist? Ich habe keine Ahnung. Hängt auch von meinem Schwesterlein ab. Mag sie mich? Möchte sie mich vielleicht auch kennenlernen? Ich bin sehr neugierig auf sie. Habe fast kein Bild mehr von ihr im Kopf. Ich bekomme hier nicht mal ein Foto von ihr. Es ist dunkel. Meine Zelle ist schon lange ruhiger geworden. Kein Wunder, es ist 4 Uhr morgens. Ich kann mal wieder nicht schlafen. Starre auf die verdreckte Decke, zähle zum aber millionsten Mal die Flecken. Es ist langsam wie verhext. Ich bin müde, kann aber nicht schlafen. Möchte am liebsten nur irgendwo liegen, vor mich hinstarren. Allein sein. Wenn ich Essen sehe, verziehe ich angewidert das Gesicht. Ich will nichts. Ich verspüre nicht mal Hunger. Nur ab und an schmuggelt Ryo mir Schokopudding in die Zelle, weiß, dass ich den am ehesten esse. Doch so langsam habe ich darauf auch keine Lust mehr. Ich hab auf nichts mehr Lust. Wozu auch? Wer versichert mir, dass ich Hikari sehen kann? Wer versichert mir, dass alles wieder gut wird? Wer versichert mir eine Zukunft? Wer interessiert sich schon für den dummen, naiven, stummen Tai? Wer sagt denn, dass ich nicht doch im Knast lande? Wer sagt denn, dass ich nicht beseitigt werde, sterben muss? Wer ist der Junge, der mir aus dem vermeintlichen Spiegel immer müde und traurig entgegenblickt? Warum fühlt es sich so leer an? ~~Yamatos Pov~~ Tai wird nun schon seit 5 Tagen verhört. Jeden Tag komme ich, versuche so lang zu bleiben, wie ich kann. Immer sehe ich nur Tai an. Mache mir Sorgen. Er wird schon wieder dünner. Wirkt ewig müde. Ausgelaugt. Und überhaupt nicht mehr fröhlich. Eher fertig. Das, was ich von Ryo höre, klingt nicht besonders toll. Im Gegenteil. Ich würde ihn ja ab und an besuchen, aber ich höre nur, dass er auf seinem Bett liegt, schläft, wann immer er kann. Ich hab auch nicht viel Zeit. Bin ziemlich beschäftigt. Promotion mit der Band. Besser gesagt, die Auflösung der Band. Mein neuer Job, das Büro, der Papierkram. Dann noch die Suche nach einem neuen Zuhause. So viel zu beachten. Die Lage, die Sicherheit, Abgeschiedenheit, dennoch aber nicht zu abgeschieden. Dann noch die Telefonate mit einem Yagami. Sie klingt lieb. Ist immer ganz aufgedreht und dennoch schüchtern. Ich freu mich schon, sie zu sehen. Doch vorher muss es Tai irgendwie besser gehen. Besorgt starre ich in seinen Nacken. Mittlerweile muss sich schon ein Arzt Tais Handgelenk anschauen, da es überstrapaziert wird. Die viele Schreiberei ist nicht so gut für ihn. Sein Handgelenk knackt, wenn er es dreht, stundenlang, wenn er es will. Sicher, er müsste überhaupt mal von Ärzten von Grund auf gecheckt werden, aber dafür bleibt momentan einfach keine Zeit. Schnell will man Omeda hinter Gitter bringen. Noch dürfen sich Verteidiger und Staatsanwalt nicht groß einmischen, aber wenn ich mir diesen Verteidiger ansehe, dann ahne ich schon, dass er ganz nach unten in die Trickkiste greifen wird. Dass er Tai unheimlich fiese Vorwürfe machen wird. Dass er Tai voll fertig machen wird. Und ich weiß nicht, ob Tai dies momentan aushalten könnte. Wieder eine Pause. Wieder müssen alle den Gerichtssaal verlassen. Wieder klopft Ryo meinem Brünetten aufmunternd auf die Schulter. Wieder setzt sich Tai in Bewegung, setzt sich auf die abgelegenen Bänke draußen vor dem Gerichtssaal, wartet, versucht zu entspannen. Sitzt vornüber gebeugt, findet den Boden interessant. Manchmal will ich mich zu ihm setzen. Was heißt manchmal, immer, wenn ich ihn so sehe. Er sieht dann immer richtig fertig aus. Fertig mit den Nerven, mit allen. Wir haben kaum mehr miteinander gesprochen. Ich wüsste auch nicht, was ich ihm erzählen soll. Von dem Haus kann ich ihm nicht erzählen. Es ist noch nicht gefunden, ich bin noch immer auf der Suche nach der richtigen Lage, nach der Sicherheit. Außerdem weiß ich nicht, wie er reagieren würde. Ich hab ihn nie gefragt. Vielleicht will er ja auch lieber zu seiner Schwester, wobei die im Heim lebt. Tai ist zu alt für das Heim. ~~Taichis Pov~~ Ein neuer Tag, doch kein neues Glück, denn ich muss auch heute-, an einem Samstag-, in diesen grässlichen Gerichtssaal. Dieses Mal dürfen Verteidiger und Co sich einmischen und natürlich-, wie sollte es auch anders sein-, muss ich denen auch Rede und Antwort stehen. Darf nichts verschweigen, nicht lügen und nicht frech sein. Verteidiger Beata, heute mit der hässlichen mint- grünen Fliege, schaut mich schon beim Betreten des Saals mit diesem fiesen Blick an. Dieser Blick verändert sich auch nicht mehr. Vielleicht wird er eine Spur höhnischer, aber ich mag ihn immer noch nicht. Beata räuspert sich. „Haben Sie, Taichi, je einen Beweis vorgebracht, der meinen Mandanten in irgendeiner Weise auch nur belasten könnte?“, fragt er, wild gestikulierend, als wäre ich ein Schwachkopf und klingt dabei wie ein Frosch mit Verstopfung. Als er die Fresse gehalten hat, war er mir lieber. Grummelnd fange ich an zu schreiben, weiß jetzt schon, dass ich heute Abend so richtig genervt sein werde, aber was tut man nicht alles, um das Böse von der Straße zu bekommen? „Beweise? Ich weiß nicht! Vielleicht die Pistolenkugeln im Leichnam meiner Mutter? Oder die Narbe an seinem Knie?“ Nickend gibt mir der Staatsanwalt Recht, doch der Verteidiger plustert sich mal wieder auf. „Ist es nicht so, Taichi, dass Sie meinen Mandanten nur hinter Gitter sehen wollen??“, fragt er und droht mich mit seinem Zeigefinger zu erdolchen. Ich verdrehe nur die Augen. „Natürlich will ich Omeda im Knast sehen! Dafür, dass er meine Eltern abgeknallt hat, dass er mich geschnappt hat, dass er mich vor 10 Jahren an diesen beschissenen Ort gebracht hat, dafür, dass er dafür gesorgt hat, dass ich da nicht weg kann, dafür, dass er Beppo auf dem Gewissen hat und, und, und! Er hat es verdient, so einfach ist das! So oft, wie er die Scheiße meinte aus mir herausprügeln zu müssen, so oft würde ich ihn am liebsten in den Knast schicken! Der hat schlimmeres verdient, als den Knast! Aber hinter Gittern kann er wenigstens nicht mehr an mich ran!“ Wütend funkele ich zurück. Solange, bis Verteidiger Beata aufgibt und mit seinem Mandanten wieder munkelt. Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt. Ich muss mich stark zusammenreißen, dabei sitze ich hier gerade mal 10 Minuten. Scheiß Omeda. Scheiß Verteidiger. „Nun reicht es aber Herr Verteidiger! Sie versuchen doch nur ihren Mandanten aus der Schlinge zu ziehen! Nur weil Sie wissen, dass dieser Zeuge unser Kronzeuge ist!“, hilft der Staatsanwalt und wirft böse Blicke zu Omeda. Ja, gib’s ihm! Lachend winkt der Beata ab, kommt sich so toll vor. „Herr Staatsanwalt, ich will niemanden beleidigen, aber ausgerechnet dieser Junge der Kronzeuge? Was hat Sie nur geritten? Woher wissen wir denn, ob er die Wahrheit sagt-, Entschuldigung-, aufschreibt? Für mich ist dieser Junge die Unglaubwürdigkeit in Person! Er sieht aus, wie einer aus der Gosse, hat Verletzungen und kennt die einfachsten Begriffe nicht, für mich ist er ein-, Entschuldigung-, strohdummer Kerl, der seine Chance wittert!“, wettert er entgegen, rümpft die Nase. Die Richterin klopft herzhaft auf den Tisch, zischt dem Verteidiger entgegen: „Herr Beata! Auch von Ihnen habe ich mir eine weisere Wortwahl gewünscht! Wie Taichi aussieht, das hat hier nicht im Geringsten etwas zu bedeuten! Und noch etwas, auch wenn Taichi viele Begriffe nicht kennt, er war schlau genug den Schergen Ihres Mandanten auf den Weg hierher zu entkommen! Und wenn es stimmt, was der Junge hier sagt, dann gehört Hauptinspektor Omeda nun mal hinter Gitter, allein schon wegen zweifachen Mordes, Freiheitsberaubung, Entführung, Misshandlung, Erpressung, Körperverletzung und Sachbeschädigung und schließlich im Fall Yamato Ishidas wegen Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Erpressung, Mordversuch und für das Verschwinden lassen von Tais Vermisstenanzeige! Er als Polizist müsste sich im Klaren sein, was er getan hat! Und ich dulde nicht, wie Sie auf den armen Jungen hier herabblicken und abfällige Bemerkungen machen! Dass Taichi keine Schule besuchen konnte, liegt vielleicht an ihrem Mandanten? Sollte diese Verhandlung ergeben, dass Taichi wegen Hauptkommissar Omeda leiden musste, dann ist es die Aufgabe des Staates, Genugtuung zu leisten! Das fängt bei der Inhaftierung seines Peinigers an, und endet damit, dass er die Chance bekommt, ein anständiges, ihm zustehendes, Leben zu führen! Haben Sie das jetzt verstanden, Herr Verteidiger???“, fragt sie scharf und funkelt dämonisch hinter ihrer Brille den Beata an. Im Zuschauerraum hör ich leise ‚Ohs!’ und noch leiseres Schniefen, während ihr Blick wieder freundlich-, fast wie der Blick einer Mutter auf ihrem Kind-, auf mir lastet. Leicht nicke ich, bedanke mich bei ihr und ernte nur ein liebevolles Lächeln. Schnaubend schreibt sich der Verteidiger etwas auf. Den heutigen Tag widmet er nur noch den Geschehnissen mit Yama. Er glaubt sich rausreden zu können. Dass Omeda nur für das, was im Schuppen passiert ist, dran kriegen zu können. Etliche Male versucht Omeda dem Gericht klar zu machen, dass er glaubte, dass ich Yama entführt habe. Dass er Yama nur retten wollte. Ich habe das Narbenface ja schließlich angegriffen. Ihn niedergeschlagen und gefesselt. Und schließlich auch noch eingesperrt. Yama hat seine Aussage schon gemacht. Eigentlich wettern Verteidiger und Staatsanwalt sich die ‚Fakten’ nur gegenseitig um die Ohren, ich hab nur wenig zu beantworten, bin dafür wieder so unheimlich müde. Ryo macht sich Sorgen. Meldet sich und bittet um eine Pause für mich. Wusste gar nicht, dass der Hellsehen kann… Müde lasse ich mich auf die Bank sinken. Der Schwarzhaarige ist verschwunden, mit der Ausrede, dass er mir etwas zu trinken holen will. Ich bin so müde… Mein Kopf ist so schwer. Meine Glieder so steif. Erledigt stütze ich meinen Kopf mit den Händen ab. War ich schon jemals so müde? So ausgelaugt und schlapp? Mit halb offenen Augen starre ich auf den Boden. Wenigstens sehe ich keine Punkte vor mir… An mir gehen in der Regel nur wenige Leute vorbei. Doch ich höre Schritte, beachte sie nicht, halte meinen Blick gesenkt. Mädchenturnschuhe gehen langsam an mir vorbei, daneben ein paar Herrenschuhe. Rosa Turnschuhe, schwarze Herrenschuhe. Ich beachte sie nicht, seufze einmal tief und schließe meine Augen. Ich will schlafen. Mein Kopf fühlt sich an, wie mit Watte ausgestopft. Ich möchte abschalten, doch ständig sehe ich Szenen aus längst vergangenen Tagen. Ständig fallen mir Dinge ein, die ich vergessen wollte, dachte, dass ich es geschafft habe, doch habe mich geirrt. Sie verfolgen mich. Wenn ich wache, wenn ich schlafe, wenn ich esse, wenn ich dusche, selbst wenn ich atme. Es soll aufhören. Ruhe im Kopf. Keine Gedanken mehr. Keine Vergangenheit mehr. Kein Blut, kein Geschrei. Ein friedliches Bild, warum fällt mir keines ein? Warum herrscht in mir nur Chaos? Warum bin ich letztlich doch allein? Keine halbe Stunde später sitze ich wieder vor Gericht. Nur körperlich. Gedanklich liege ich wohl im Koma, denn nur ganz, ganz langsam erreichen mich die Worte der um mich herum stehenden Menschen. Ich habe Kopfschmerzen, muss meinen Kopf abstützen, da dieser schwerer geworden ist, als noch vor einer Stunde. Nur am Rande höre ich, wie Omeda unter Druck gesetzt sich verplappert. ‚Er hätte den Jungen-’, damit zeigt er auf mich-, ‚nun mal holen müssen, und der blonde Sänger hätte sich so extrem dämlich dabei angestellt, dass ihm keine Wahl geblieben war. Er musste mich aus dem Versteck locken. Und das ich angeschossen wurde, war meine Schuld. Weil ich wieder so störrisch war.’ Nach dem Geständnis steht nun mal fest, dass er Yama abknallen wollte. Dass er wusste, dass ich noch lebe. Dass er mich ‚holen’ musste. Und dass ich wieder störrisch war. Ziemlich schlecht verplappert für einen Polizisten. Den ganzen Nachmittag muss ich vor der Richterin sitzen, ohne auch nur irgendwas gefragt zu werden. Alle Fragen gehen an Narbenface und sein Verteidiger gestikuliert wieder wild, versucht den Schaden zu begrenzen. Omeda verplappert sich immer mehr, schweigt aber beharrlich zu den Vorwürfen, die meine Kindheit betreffen. Der Beata hört auch endlich auf, mich als Psychopathen, oder Rumtreiber zu betiteln. Die Richterin hat ihn ja auch ganz schön zusammengestaucht, und das jedes Mal. Dafür wurde ich jedes Mal angemeckert, wenn ich-, per Versehen-, Bulle aufgeschrieben habe, oder eine etwas unschöne Wortwahl benutzte. Ich hab auch das Fluchen gelernt! In sechs verschiedenen Sprachen kann ich ‚Scheiße’, ‚Leck mich!’ und ‚Arsch’ sagen! Ist hier aber kein anerkanntes Talent. Wird gar nicht gern gelesen. Überhaupt nicht. Omeda ist, dank Yama, schon mal für 2 Jährchen im Knast. Das flötet zumindestens der Staatsanwalt immer wieder, während das Gericht beschließt, morgen weiterzumachen. Nur ohne mich. Morgen also den ganzen Tag Zelle. Eingesperrt in diesen Raum. Ob ich dann endlich schlafen kann? Heute bringt mich nicht mal Ryo runter. Einer seiner Kollegen. Mit eiserner Miene geht er neben mir, ich schlürfe nur den Gang entlang. Achte nicht mal großartig auf den Weg. Das Ziel ist ja nicht berauschend. Stickiges, kleines Zimmer, Verhörraum, sollte ich sagen. Es wundert mich, dass ich noch keine Fesseln um habe. Wieder Erwarten endet unsere kleine Reise nicht vor meiner Zelle. Verwundert sehe ich den Polizisten an, möchte in meine Zelle, da dort noch ein halb gegessener Schokopudding von heut Morgen steht, der meinen Namen ruft. Ich hab ihn nicht aufessen können, aber nun könnt ich zwei, drei Bissen vertragen. Wieso krieg ich jetzt ne andere Zelle und wo Herrgott noch mal ist mein Pudding?! „Da wartet jemand auf dich!“, grinst der Bulle, schubst mich amüsiert ins Zimmer hinein. Ein kleines, grünes Sofa, ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Das Licht ist an. Die Luft stickig. Die Heizung gluckert. Keine Spiegelscheibe. Keine Zuschauer. Rosa Turnschuhe. Ein Mädchen auf dem Sofa, schlafend. Fragend lege ich den Kopf schief, trete vorsichtig näher. Wieso bringt man mich in dieses Zimmer? Wieso wartet das Mädchen auf mich? Braune, etwas kürzere Haare. Eine zierliche Gestalt und abgetragene Kleidung, als hätte sie die schon lange, aber sie stehen ihr ausgezeichnet. Ihr Gesicht lässt mein Herz höher schlagen. Starr vor Unglauben stehe ich vor dem Sofa, wage kaum zu atmen. Kann es sein? Es muss so sein! Vor mir liegt das Gesicht meiner Mutter, die Nase meines Vaters, nur niedlicher und dennoch unverkennbar. Meine kleine Schwester? Es klopf an der Tür, apathisch sehe ich zur Tür, spüre mein eigenes Herz schmerzhaft gegen meine Rippen schlagen. Lächelnd kommt der Schwarzhaarige auf mich zu, flüstert mir ins Ohr, um sie nicht zu wecken. „Sorry, dass es so lange gedauert hat! Kari wollte dich unbedingt heute noch sehen, aber die Verhandlung hat so lange gebraucht, da ist sie eingeschlafen… Aber ich wollte, dass ihr beide zusammen seid!“, er klopft mir auf die Schulter und ich habe das Gefühl, davon umzukippen. Oder haut mich die Tatsache um, dass ich Kari, meine kleine, geliebte Schwester, sehe? Sie atmen höre?? „Ich lass euch dann mal alleine, ok?“, Ryo wuschelt mir durch die Haare, schließt lautlos die Tür hinter sich. Alleine. Fast ängstlich drehe ich mich um, sehe sofort meine kleine Schwester schlafend und fühle mich so fehl am Platze. Was soll ich tun? Ich will sie nicht wecken. Ich wollte sie die ganze Zeit sehen, doch nun traue ich mich kaum, einen Blick auf sie zu riskieren. Was ist, wenn sie enttäuscht ist? Was ist, wenn sie mich nicht will? Ich habe Angst. Angst, dass alles, was ich wollte, sich gegen mich wendet. Dass ich wieder alleine bin, hilflos in einer Welt, die ich nicht verstehe. Seufzend fahre ich mir durchs Haar. Will es ordnen und nicht so wild aussehen lassen. Wieder betrachte ich sie. Sie ist wirklich hübsch. Sieht Mama wirklich ähnlich. Ich komme nach keinem von beiden, aber sie hat eindeutig die Konturen von Mama. Ihre Haut ist nicht so gebräunt wie meine. Sie ist dünn, zierlich, aber sieht gesund aus. In ihren Armen hält sie ein Buch, es sieht alt aus. Lange betrachte ich sie, wage nicht, ihr näher zu kommen. Ich komme mir so schmutzig vor, wenn ich sie sehe. Meine Verletzungen sehen so schäbig aus. Als wäre ich gefährlich. Oder Prügelknabe. Ich will nicht, dass sie mich so sieht. Ich will nicht, dass sie sich angeekelt von mir abwendet. Alles in meinem Kopf dreht sich. Ich muss mich am Tisch festhalten, merke zum ersten Mal, dass ich die letzten Tage zu wenig gegessen habe, dass mir flau ist, dass ich schwächle. Tief atme ich durch, versuche so den Schwindel zu stoppen. Ich sollte mich beruhigen. Ich sollte schlafen. Sollte ruhen und Kräfte sammeln, damit ich ihr gegenübertreten kann. Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich ein Schwächling bin. Ich will schließlich ihr großer Bruder sein… ~~Hikaris Pov~~ Es brennt immer noch das Licht, als ich meine Augen öffne. Ich bin wohl eingenickt, habe sofort ein schlechtes Gewissen. Meine Armbanduhr zeigt Mitternacht. Hab ich ihn verpasst? Wo ich doch so lange gewartet habe. Wo ich doch so lange gebettelt habe. Wo ich ihn doch so gerne sehen wollte. Nicht nur kurz auf dem Flur. Der Flur… Er hat so verlassen gewirkt. So müde und traurig… Ich hab mich nicht getraut, ihn anzusprechen. Doch habe ich ihn sofort erkannt. Ich hab ihn angestarrt, gehofft, dass er den Blick hebt, aber er war ganz woanders mit seinen Gedanken… Ich hatte Angst. Was ist, wenn er es sich anders überlegt hat? Wenn er mich gar nicht mehr sehen will? Ich hab 10 Jahre lang auf ihn gewartet. Wollte ihn wiederhaben. Hab nach ihm gebrüllt. Hab Tränen vergossen. Schnell wische ich mir über die Augen, beseitige die Schlafreste, möchte aufstehen und nachfragen, wo mein Bruder nun ist. Diese Polizisten waren aber auch gemein zu meinem Bruder! Yamato hat mir alles erzählt!! Ich setzte mich auf, sehe braune Haare, einem Busch gleich. Mein Herz fängt an zu rasen, als ich mich ganz leise von dem Sofa erhebe. Ich muss es wissen. Taichi? Tatsächlich, er schläft im Sitzen, an das Sofa gelehnt. Lange betrachte ich ihn. Wir sehen uns ähnlich. Zögerlich fasse ich in sein Haar. So weich. Ich muss kichern. Er sieht wirklich niedlich aus, wenn er schläft. Fast noch genauso, wie auf dem Bild. Dass, das Mama vor 12 Jahren von ihm gemacht hat. Ich krabbele auf dem Bild gerade auf ihn zu, stoße ihn in die Seite, schmolle, weil ich spielen will. Unter dem Bild hat Mama etwas geschrieben. ‚Es ist manchmal schwer, der große Bruder zu sein…’. Leise hole ich mein Erinnerungsstück. Schlage das Album auf, mit den Fotos meiner Familie. Jahrelang hatte ich Angst, dass ich die Fotos von Toten ansehe, dass niemand mehr lebt. Seite für Seite blättere ich um. Die Hochzeit unserer Eltern, das schöne Brautkleid meiner Mutter. Die Hochzeitsreise nach Hawaii. Die neue Wohnung, der runde Bauch meiner Mama. Kurz danach kommen die Bilder von klein- Taichi. Als Baby. Dann wird er immer größer. Seine Haare werden auch immer wilder und die großen Augen sehen so niedlich aus. Mamas Bauch ist auch wieder dicker, und Nii-san streichelt immer wieder fasziniert über ihn. Dann komme ich als Baby, immer begleitet auf den Fotos von Nii-san. Wie er sich über die Krippe beugt und mir beim Schlafen zuschaut. Wie er mit mir spielt. Wie er mich auf den Arm nimmt und sich gleichzeitig vor meinen Fingerchen retten muss, da ich mich immer in seinen Haaren festkralle und dran ziehe. Und dann ist da das Foto, das ich suche. Wie Nii-san schläft. Ich vergleiche das leicht vergilbte Bild mit dem heutigen Original. Ist er es wirklich, dann werde ich ihn ja jetzt erkennen. Immer wieder wandert mein Blick zwischen Bild und dem heutigen, fast erwachsenen Taichi hin und her, bis ich mein Album zufrieden schließe. Vorsichtig lege ich es neben mich, habe jetzt wichtigeres zu tun. Leise krabbele ich auf ihn zu. Nehme seine Hand in meine, die Rechte, die mit dem Gips. Das muss wehgetan haben. Sanft streiche ich über den Gips. Oh, die Finger sind wieder verheilt, der Verband ist weg! Er hat ganz braun gebrannte Haut! Die sieht schön aus! Seine Härchen am Arm stellen sich auf, als ich seine Hautfarbe mit meiner vergleiche. Mhm, ob mir die Bräune auch so stehen würde?? Leise kichernd lasse ich von seinem Arm ab, krabbele stattdessen lieber auf seinen Schoß, schaue ihn mit großen Augen an. Wah, Nii-san sieht gut aus!! Zögerlich schlinge ich meine Arme um seinen Hals, so wie ich es als kleines Kind gemacht habe, drücke mich an ihn, so wie ich es immer tat, spüre seine Wärme und versuche mein wild schlagendes Herz zu beruhigen. Nii-san ist wieder da!! ~~Taichis Pov~~ Ich werde nur schwerfällig wach, weil mich irgendwas an der Nase kitzelt. Irgendwas ist anders. Die Augen halte ich noch geschlossen, muss erstmal wach und klar im Kopf werden. Sitzt mir irgendwer auf dem Schoß? Sind da nicht irgendwelche Arme um meinen Hals geschlungen? Ist da nicht irgendwas Schweres auf meiner Brust? Wer kichert da!?? Mühsam öffne ich meine Augen. Auf meinem Schoß sitzt das Mädchen mit den rosa Turnschuhen, sieht mich mit großen, neugierigen Augen an. Die Röte schleicht sich in ihr Gesicht, als ich sie weiter nur verschlafen ansehe, mit diesem nichts sagenden Gesichtsausdruck. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Eben den Kopf noch geleert, schießen mir plötzlich tausend Gedanken durch den Kopf. Mit einem Schlag wach, starre ich sie an, werde selber knallrot im Gesicht und hab keinerlei Ahnung, was ich machen soll. Hikari kichert, schlingt ihre Arme noch mal um mich und schmiegt ihr Gesicht an meine Wange. Herzstillstand! Was soll ich machen? Wohin mit meinen Händen? Einfach still sitzen bleiben? Blinzeln? Kopf schief legen? Zucken? Sich überhaupt mal bewegen?? Sprechen? Ach, Baka-Chi, du sprichst doch eh nicht! Sie lacht wieder leise, in mein Ohr, wo sich sofort eine Gänsehaut bildet. „Ach Nii-san! Ich hab dich vermisst!“, kichert sie, sieht mich noch mal mit diesen großen, braunen Augen an, und tatsächlich, es schießen ihr ein paar Tränchen in die Augen. Wah! Nicht weinen! Zitternd und doch bemüht sanft wische ich die Tränen aus ihrem Gesicht, will nicht, dass sie weint, kann mich endlich wieder bewegen. Sie lächelt nur, schmiegt sich an meine Hand, ergreift meine Hand schließlich und hält sie ganz, ganz fest. „Ich hab dich vermisst!“, sagt sie noch mal, lächelt mich an. Meine Finger zittern immer noch, meine Gedanken überschlagen sich. Was soll ich machen? Was soll ich tun? Was soll ich sagen? Ach, ich spreche doch nicht!!! Sie soll nicht weggehen! Aber sie wird gehen, wenn ich nichts mache!! Wieder reagiert sie, nimmt mich noch mal ganz fest in die Arme, streichelt mir durch die Haare und schnieft leise. „Ich bin Hikari und jetzt 15 Jahre alt! Ich hab gewartet, Nii-san! Ich hab gewusst, wenn ich lange genug warte, dann sehe ich dich wieder!“, flüstert sie, kuschelt sich noch näher an mich. Endlich bewegen sich meine Arme, schließen auch sie endlich in meine Arme, drücken das arme Mädchen an mich, fast zu fest, aber ich habe zuviel Angst, dass ich noch träume. Ich kann nicht anders, auch mir schießen die Tränen in die Augen. Ich will nicht weinen, aber, wenn ich es nicht tue, habe ich das Gefühl zu platzen. Träne um Träne wandert meine Wangen hinunter, tropft ihr auf die Schulter, auf die Schulter meiner kleinen Schwester, die 10 Jahre lang auf mich gewartet hat. Die immer an mich geglaubt hat. Sie wühlt mir durch die Haare, weint ebenfalls, flüstert immer wieder, wie froh sie ist, dass sie Freudentränen weint und ich klammere mich an sie, als würde ich ertrinken. Ich weiß nicht, wie lange wir hier so sitzen. Auf dem dreckigen Boden. In dem stickigen Zimmer. Ihre Haare sind ganz weich. Ihr Shampoo riecht süßlich, ich mag es. Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass ich nach 10 Jahren meine kleine Schwester im Arm halte und mit ihr heule wie ein Schlosshund. Sie ist es, die mir nach einiger Zeit die Tränen aus dem Gesicht wischt. Sie lächelt und kichert immer wieder mal leise. „Jetzt hatte ich so lange Zeit mir ein Gesprächsthema auszudenken, aber nun fällt mir nichts mehr ein! Menno!“, schmollt sie. Sie ist niedlich, wenn sie schmollt… Grinsend schlinge ich meine Arme noch mal um sie, knuddele sie wie den Kühlschrank durch, nur dieses Mal noch herziger. Ich will gar nicht reden. Von mir aus können wir den ganzen Abend, die ganze Nacht, den ganzen Tag, so sitzen, uns einfach nur umarmen, kichern und uns freuen. Ich durfte sie doch sehen! Ich bin glücklich. Wirklich, ich bin glücklich. Irgendwann sieht mich Kari mit großen, funkelnden Augen an. Gerade überlege ich mir, woher ich eine Sonnenbrille bekomme, um mich von diesem Funkeln zu retten, da drückt sie mir einen Kuss auf die Nase und kichert vergnügt. „Nii-san, soll ich dir mal meinen Schatz zeigen??“, fragt sie und zieht dabei so ein niedliches Gesicht. Lächelnd nicke ich, weiß jetzt schon, dass ich ihr niemals etwas abschlagen kann. Kari zückt das Buch, legt es sich auf den Schoß, dreht sich in meinen Armen um. Glücklich lächelnd lehnt sie sich mit dem Rücken an meine Brust, zieht gleich meine Arme um ihre schmale Taille. Also knuddele ich sie weiter, lege vorsichtig meinen Kopf auf ihre Schulter, weiß zwar nicht, ob ich das darf, aber sie lächelt nur. Ihr Buch entpuppt sich als Fotoalbum. Kari zeigt mir unsere Familienfotos, auch Fotos von ihr, aus früheren Jahren, die von Kari als Jugendliche, erzählt ihre Geschichten dazu, ob erfunden, weil sie sich nicht mehr genau erinnern konnte, oder wahr. Wenn ein Foto von uns beiden ist, schmiegt sie sich an mich. Ab und an streiche ich etwas nachdenklich über eines der Bilder, über das Gesicht meiner Mutter, dass Kari so ähnlich ist. Das Lächeln auf meinen Lippen ist wohl nur noch mit einer Operation zu entfernen. Es ist gerade 6 Uhr morgens-, Karis Uhr hat gepiepst-, da klappen wir das Buch zu. „Lass uns schlafen, Nii-san… Die schmeißen uns hier sicherlich bald wieder raus!“, gähnt sie und ich schließe mich an. Müde nicke ich. Kari dirigiert mich aufs Sofa, es ist viel zu klein, aber gemütlicher als der Fußboden. Grinsend legt sie sich auf mich, kuschelt sich gleich wieder an mich und blickt mich mit diesen Waffenschein-Augen an. „Nii-san?? Kann ich hier so auf dir schlafen??“, fragt sie mich und kocht mich augenblicklich wieder weich. Schmunzelnd wuschele ich ihr durch die Haare, ziehe sie noch mal in meine Arme. Warum sollte ich etwas dagegen haben? Wehe, sie wagt es sich, auch nur einen Meter von mir entfernt zu sitzen! Zufrieden mit uns, schlafen wir beide ein bisschen. Meine Beine hängen circa 50 Zentimeter über dem Sofa noch hinaus in der Luft. Kari ist auch nicht mehr so leicht, wie mit vier. Dennoch bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich habe eine Familie. Ich bin nicht mehr einsam. Ich bin nicht mehr… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)