Wenn die Sonnenblumen blühen von Torao (Chap 6 on) ================================================================================ Kapitel I --------- Geistesabwesend fiel sein Blick aus dem Fenster: Es war einer dieser schwülwarmen Sommernachmittage, der nach den starken Regenfällen der vergangenen Wochen das Land überzog. Der Himmel war strahlend blau und Vögel zwitscherten ihre Lieder. Der Wind strich sanft über die Felder und verfing sich in den Vorhängen des geöffneten Fensters im ersten Stock. Verträumt beobachtet der Sohn des Hauses aus dem Inneren des großen Anwesens die Natur und den weitläufigen Garten. Die Wasseroberfläche des Swimmingpools hinter dem Haus glitzerte ihm verführerisch entgegen, während er dem Plätschern des Brunnens am Gartenteich lauschte. „Makkusu! Ich habe dich gefragt, wie lang der Jangtse ist.“ Es war die Stimme seines Lehrers, die den Jungen zurück in die Realität rief. Hastig blickte er auf das vor ihm auf dem Tisch offenliegende Geographiebuch, ehe er eilig antwortete: „8.848 Meter.“ Ein Seufzer des auf der anderen Seite des Tisches Stehenden folgte: „Ich wollte nicht wissen, wie hoch der Mount Everest ist. Wie willst du einmal in die Fußstapfen deines Vaters treten, wenn du nicht einmal bemerkst, dass die Antwort nicht stimmen kann?“ Erst jetzt bemerkte der am Tisch Sitzende, dass er in der Zeile verrutscht war. „Entschuldigung“, murmelte er mit gesenktem Kopf. „Was soll’s?!“, erwiderte der Ältere. „Machen wir weiter.“ Doch während er weiter wichtige geographische Daten und Fakten über China aufzählte, rückte seine Stimme für den blonden Jungen wieder in den Hintergrund und sein Blick wandert erneut vom Schulbuch zum Fenster hinaus. In die Fußstapfen seines Vaters treten? Konnte ihn vielleicht erst einmal jemand fragen, ob er das überhaupt wollte? Und was brachten ihm all diese stumpfen Zahlen und Ziffern? Es war doch vollkommen unwichtig, wie lang der Jangtse war. Musste man den Fluss nicht gesehen haben, um sich ein Bild von ihm machen zu können? Reichte es etwa aus, sich nur auf leblose Daten zu stützen, ohne ihn mit eigenen Augen erlebt zu haben? Sicher nicht. Dieses Mal war es ein Klopfen an der Tür, das ihn aus seinen Gedanken riss. Er blickte in besagte Richtung, als ein blaugrauhaariger Junge den Raum betrat. „Entschuldige, Hitoshi, aber das Essen ist jeden Moment fertig“, rechtfertigte er die Störung ruhig. Der Angesprochene nickte: „Schon gut, Kai. Wir sind ohnehin fertig.“ Der Junge am Tisch seufzte erleichtert, schlug das Schulbuch zu und stand auf, während Hitoshi seine Lesebrille einsteckte und seinen Schüler ansah: „Ich hoffe nur, du bist morgen wieder mehr bei der Sache, Makkusu.“ „Max! Ich heiße Max!“, schoss es dem Jungen mit den Sommersprossen durch den Kopf. Er hasste es, mit der japanischen Form seines Vornamens angesprochen zu werden. Er wollte so genannt werden, wie ihn seine Mutter immer genannt hatte. Wie oft hatte er es Hitoshi Kinomiya schon gesagt? Doch es hatte nichts geholfen: Sein Lehrer war stur geblieben und nannte ihn weiterhin so. Inzwischen hatte Max es aufgegeben, sodass er nun nur mit einem knappen „Ja“ antwortete. Hitoshi ging an ihm vorbei und verließ den Raum. Max hingegen warf noch mal einen Blick aus dem Fenster, bis Kai nach ihm rief: „Kommst du?“ Der Blonde drehte sich wieder um, nickte und ging ebenfalls aus dem Raum, bevor der Andere die Tür hinter ihm schloss und ihm folgte. Während sie zu dritt nun den langen Flur zur Treppe entlang gingen, blickte Max abermals durch die Fenster nach draußen, wo sich vor dem Haus ein langer Zufahrtsweg bis zum Tor, welches den einzigen Durchlass in der Mauer darstellte, die das ganze Grundstück umfasste, durch den Vorgarten erstreckte. Dahinter schlängelte sich ein Weg den Hügel, auf dem das Haus stand, hinab und führte zum nächsten Dorf, welches man in einigen Kilometern Entfernung winzig am Horizont sehen konnte. Wie es dahinter aussah, wusste der Blonde nicht. Da Max’ Schritt immer langsamer wurde, je mehr er überlegte, wie es dort sein könnte, und zu träumen begann, überholte Kai ihn bald und ging wenig später vor ihm neben Hitoshi. Max beobachtete die beiden, als er im Augenwinkel sah, wie sein Lehrer mit einer Hand durch das Haar des Jüngeren fuhr, Letzterer diese jedoch stumm mit einer gekonnten Handbewegung zurückschlug. Hitoshi sah Kai daraufhin an und grinste schelmisch. Max lächelte: Es war schon interessant anzusehen, wie sein sonst so disziplinierter Lehrer Kai neckte und dieser lautlos Widerstand leistete, weil er es hasste, wenn ihn jemand vor den Augen anderer so behandelte. Dabei war Hitoshi wohl der Einzige, der das bei dem stillen und kalt wirkenden Jungen überhaupt tun durfte, wie Max vermutete. Erneut sah er kurz aus dem Fenster, als die anderen Zwei bereits die Treppe hinabgingen, bevor er ihnen folgte. Im Erdgeschoss stieg ihnen bald der angenehme Duft des Mittagessens in die Nase, und nur wenig später saßen sie und Max’ Vater am großen Esstisch im Speisezimmer, wo ihnen das Essen von Shinju, der etwas korpulenten Hausmutter, die ihre weißen Haare stets zu einem Dutt gebunden trug, serviert wurde. Während dem Essen ging es wie jeden Tag zunächst still zu, bis Herr Mizuhara, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der nur selten zu Hause war und dennoch selbst hier Anzug trug, sich an Hitoshi wandte: „Und wie macht er sich?“ „Und wie macht er sich?“, hallten die Worte in Max’ Kopf wieder. Das klang, als würde er sich danach erkundigen, wie sich denn der Welpe machte, den er in Hitoshis Obhut gegeben hatte. Nur dass es keinen Welpen gab. Alles was sein Vater wissen wollte, war der Leistungsstand, den Max’ im Unterricht erbrachte. „Oh, sehr gut. Besonders in japanischer Geschichte und Naturwissenschaften hat er in letzter Zeit viel gelernt“, unterbrach die Antwort seines Lehrers den Gedankengang des Blonden. Jeden Tag stellte sein Vater, sofern er anwesend war, dieselbe lästige Frage. Und jedes Mal gab Hitoshi eine ähnlich zufriedenstellende Antwort. Und wie jeden Tag dachte Max darüber dasselbe: „Wenn er schon nach so unwichtigen Dingen fragt, könnte er sie zumindest an mich richten.“ Doch dass sein Vater das nicht tun würde, war ihm schmerzlich bewusst. Max wusste jedoch nicht, ob es daran lag, dass sein Vater befürchtete, er würde sich über den langweiligen Unterrichtsstoff beklagen, oder einfach daran, dass sein Vater ihn generell kaum beachtete. Zeitweise kam er sich ihm gegenüber wie Luft vor. Max sah zu Kai, der ihm gegenüber saß und seelenruhig weiteraß. Sein Vater hatte den Blaugrauhaarigen vor drei Jahren von einer Geschäftsreise in Russland mitgebracht. Seitdem lebte er hier im Haus. Max erinnerte sich noch gut an jenen Moment, als er Kai das erste Mal gegenüber gestanden hatte – wie ihn eine Welle von Kälte übermannt hatte. Und die Worte, mit denen sein Vater ihn damals vorgestellt hatte: „Makkusu, das ist Kai. Er wird dir von heute an Gesellschaft leisten, damit du nicht so alleine bist.“ Damit er nicht so alleine sei – von wegen. Max war von Anfang an bewusst gewesen, dass Kai so etwas wie sein Aufpasser sein sollte – er sollte ihn von nun an, nach jenem schrecklichen Vorfall, rund um die Uhr bewachen. Und er hatte seinen Vater dafür verflucht: Wenn er sich doch angeblich Sorgen um ihn machte, warum sorgte sich er sich dann nicht selber mehr um ihn? Warum passte er als sein Vater nicht auf ihn auf? Wieso mussten das anderen, wildfremde Leute tun? Inzwischen war Kai natürlich kein Wildfremder mehr. Max hatte versucht, ihn als einen großen Bruder anzusehen, den er als eigentliches Einzelkind nie gehabt, sich aber immer gewünscht hatte – mit geringem Erfolg. Auch wenn Kai bisher nicht viel von sich preisgegeben hatte und allgemein das Schweigen dem Sprechen vorzog, war er ein ganz angenehmer Zeitgenosse - zumindest was den größten Teil der Zeit anbelangte. Kai bemerkte Max’ Blick und sah auf: Sein Gegenüber lächelte, wie er es immer tat, doch der Blick des jungen Russen blieb emotionslos und wanderte wieder auf den Teller vor ihm. Auch Max widmete sich wieder seinem Essen, als im selben Augenblick ein Läuten an der Tür zu hören war. Wenige Minuten später betrat der schlaksige Butler Jun das Zimmer. Höflich verbeugte er sich: „Verzeihen Sie die Störung, die Herrschaften. Aber am Tor ist ein junger Mann, der zu Ihnen möchte, mein Herr.“ „Was will er denn?“, fragte Herr Mizuhara trocken, während er sich weiter mit seinem Essen beschäftigte. Der Butler richtete sich wieder auf: „Er sei wegen der freien Stelle gekommen, so sagte er.“ „Dann sei so gut und bring ihn in mein Arbeitszimmer!“, antwortete der Hausherr. Jun nickte: „Sehr wohl.“ Während der Angestellte zurück in die Empfangshalle und nach draußen eilte, tupfte Herr Mizuhara mit der Serviette, welche er von seinem Schoss genommen hatte, seinen Mund ab und erhob sich: „Ihr entschuldigt mich...“ Somit war auch er kurz darauf aus dem Raum, auf dem Weg in sein Büro, einige Zimmer weiter. „Hast ja wieder wunderbar gelogen, Hitoshi“, kam es trocken von Kai. Die anderen Beiden mussten nicht lange überlegen, was er meinte, denn der Junge wusste, wie unaufmerksam Max im Unterricht meistens war. „Ich habe nicht gelogen.“ Der Ältere schmunzelte. „Makkusu ist in den genannten Fächern wirklich im Moment besser als in den anderen.“ Ein skeptisches Kopfschütteln war alles, was noch von Kai folgte. Max schwieg gänzlich, sah jedoch auf, als er Jun durch die Eingangshalle gehen sah. Ihm folgte ein junger Mann, etwas größer als er selbst, vielleicht so groß wie Kai, mit einem großen Reisebeutel, der lässig über seiner Schulter hing. Für den Moment entrückten nicht nur das Essen, sondern auch Kai und Hitoshi seiner Wahrnehmung. Da war nur noch der Junge mit den langen schwarzen Haaren, die als Zopf über seinen Rücken fielen und die goldgelben Augen, die ihn im Vorbeigehen kurz selbstsicher ansahen, bevor der Ankömmling aus seinem Blickfeld verschwand. „Max, du kleckerst.“ Erschrocken sah der Angesprochene wieder zu Kai, als dieser auf die Tischdecke deutete, auf der nun der Reis lag, den Max noch eben hatte in seinen Mund schieben wollen. „Oh.“ Hastig beseitigte Max sein Missgeschick, blickte nochmals in die verlassene Eingangshalle und aß dann zu Ende. _________________________________________________________________ Die Feuerprobe für diese FF, das erste Kapitel, endet hier. Ich hoffe es hat gefallen und euch interessiert, was der so eben angekommene Fremde im Hause Mizuhara will, was außerdem noch in Max vorgeht und wie es dazu kam, dass Kai ins Haus zog. ^^ Ly x3 Kapitel II ---------- Das Essen verging erneut so eintönig wie jeden Tag. Max gähnte kurz, als die Hausmutter das Geschirr wieder abräumte. „Hand vor den Mund!“, belehrte Hitoshi ihn. Der Angesprochene grinste verlegen: „Tut mir leid.“ Doch hinter seinem Grinsen verbargen sich erneut rebellische Gedanken – Gedanken die ihn darauf stießen, wie sehr er dieses Leben hasste. Hitoshi erhob sich kurz darauf: „Ich habe noch zu tun. Bis heute Abend.“ Mit einem vielsagenden Blick auf Kai verließ er das Zimmer. Max seufzte wenig später. „Was ist?“, fragte Kai ihn kühl. „Nichts.“ Der Blonde lächelte wieder und stand auf. „Ich gehe in den Garten.“ Während er bereits aus dem Raum ging, sah Kai ihm nach: Er wusste, dass in Max weit mehr vorging als ‚Nichts’ – dass er sein Leben verfluchte. Doch wenn dieser nicht von alleine darüber sprach, dann bohrte Kai auch grundsätzlich nicht weiter nach. „Geld ist eben doch nicht alles“, war sein Gedanke, der ihm öfters in den Sinn kam, wenn er Max so erlebte. Schweigend folgte er dem Jüngeren. Max verließ das Haus wie gewohnt durch die Hintertür im Wohnzimmer, blieb kurz an den Stufen, die von der Terrasse in den Garten hinabführten, stehen und sah sich um, bevor er fand, wonach er Ausschau gehalten hatte und die Treppe hinablief. Kai folgte ihm weiterhin stumm. „Takao!“, rief der Blonde bereits aus einigen Metern Entfernung dem blauhaarigen Jungen in der Nähe des großen Rosenbeetes zu. Dieser sah auf und rieb sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn: „Ah, hallo, Max!“ „Na, was machst du heute noch so?“, fragte der Blonde interessiert, als er bei dem Anderen ankam. Dieser seufzte: „Ich muss noch das ganze Beet hier fertig machen.“ Max sah ihn bemitleidend an: „Oh, kann ich dir irgendwie helfen?“ Doch Takao lachte auf: „Frag mich das doch nicht immer. Du verstehst doch gar nichts davon.“ Max schob schmollend die Unterlippe vor, als Shigeru Shoji, der Altgärtner, hinter den angrenzenden Sträuchern hervorkam: „Spuck’ nicht immer so große Töne, Grünschnabel! Ich möchte wetten, dass der junge Herr ein besserer Gärtner wäre als du. Wenn ich nicht mehr bin, wird hier doch alles verrecken und verdrecken.“ Takao sah seinen Lehrmeister pikiert an, während Max grinsen musste, kannte er doch die kleinen Sticheleien, denen sich der angehende Gärtner tagtäglich stellen musste. Während Shigeru wieder mit seiner Heckenschere hinter dem Gestrüpp verschwand, wandte Takao sich zähneknirschend an Max: „Heute motzen aber auch alle wieder an mir rum.“ „Alle?“, kam es verwundert von seinem Gegenüber. „Ja“, seufzte er. „Eben kam Hitoshi hier vorbei und hat nicht mehr zu sagen als ‚Arbeite schneller, Takao!’. Der hat leicht Reden – muss nicht hier in der Hitze ackern, isst mit euch gemütlich zu Mittag und hat jetzt Feierabend. Wir mit unserer mickrigen Stunde Mittagspause. Und Feierabend habe ich auch erst um fünf.“ Wieder musste Max kurz lachen: Takao klagte wie immer über seinen Job und fluchte über seinen Bruder, der als einziger Angestellte das Privileg genoss, mit der Familie zu speisen. Dabei war er eigentlich froh, dass Hitoshi einen guten Draht zu Max’ Vater pflegte und ihm so die Stelle hier verschafft hatte. Und Takao machte die Arbeit Spaß – das wusste Max. Manchmal beneidete er ihn sogar darum, auch wenn es anstrengend war. „Hör auf zu meckern und kümmere dich um deine Arbeit!“, hörte man Shigeru, der bald in Rente gehen und damit Takao seinen Platz überlassen würde, hinter den Sträuchern. Wieder zog der Blauhaarige ein langes Gesicht, ehe er erneut Max ansah: „Aber du kannst mir doch helfen.“ Er deutete auf die steinerne Sonnenuhr hinter ihnen. Dort lagen einige abgeschnittene Rosen. Max ging auf sie zu und begutachtete die Blumen: Ihr warmer, roter Farbton leuchtete im hellen Sonnenlicht entgegen. „Kannst du sie bitte Hiromi bringen?. Sie müssen dringend ins Wasser gestellt werden, sonst verwelken sie“, erklärte der Blauhaarige. „Ich komme ja hier gerade nicht weg ohne Rüffel zu kassieren, wie du siehst.“ Max lächelte und nahm den Strauß auf: „Wird gemacht.“ „Danke“, antwortete Takao, bevor er sich wieder dem Beet vor sich widmete. Der Jüngere hingegen wandte sich an Kai, der etwas entfernt von ihm stand: „Sind die nicht hübsch?“ „Nur dank meiner vorbildlichen Pflege“, grinste Takao beiläufig, während er ein paar braune Blätter von den blühenden Rosen auf dem Beet abzupfte. „Mhm“, gab Kai trocken von sich, ohne auch nur einen Blick auf den Strauß zu werfen. Er beobachtete stattdessen, wie Jun aus dem Haupthaus zum nahegelegenen Nebengebäude ging, in dem die Angestellten des Hauses wohnten. Kai hatte aus Desinteresse beim Essen nicht mitbekommen, wer gekommen war, um sich für die bald freiwerdende Stelle des Kochs zu bewerben. Umso überraschter war er nun, als ein junger, gut aussehender Mann in seinem Alter dem Butler folgte, hatte er doch mit einem älteren Bewerber gerechnet. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, und Kai spürte die Ablehnung, die er dem Schwarzhaarigen gegenüber empfand. Woher diese kam, wusste er nicht, doch er merkte, dass er den Neuen nicht hier haben wollte, hatte dieser offenbar vom Hausherren die Zusage bekomme zumindest schon mal auf Probe hier arbeiten zu dürfen. Andererseits hätte Jun ihn wohl eher zum Tor geleitet. „Ich zeige dir erst einmal das Nebengebäude, wo du mit mir und den anderen Angestellten wohnen wirst. Du wirst dort dein eigenes Zimmer haben.“ Der schamle Butler führte den Schwarzhaarigen vom Büro des Hausherren durch die Eingangshalle und nun quer durch Garten zum Haus des Personals. „Welche Konfektionsgröße hast du, Reimond?“ „M“, antwortete der Angesprochene. „Gut. Da werden wir sicher passende Arbeitskleidung für dich da haben“, antwortete Jun. „Und wieder einer, der nicht versteht, dass mich jeder ‚Rei’ nennt.“ Der Schwarzhaarige musste bei diesem Gedanken schmunzeln, war es doch gewohnt, dass dies nicht jeder fertig brachte. Immerhin hatte er Herr Mizuhara nicht zweimal darum bitten müssen, nachdem dieser vor wenigen Minuten eingewilligt hatte, ihm die Möglichkeit zu geben, hier als Koch zu arbeiten – wenn auch erst auf Probe. Würde er seine Arbeit gut machen, so könnte er im nächsten Monat, wenn der jetzige Koch Tadao Yurimoto seine Verlobte heiraten und mit ihr wegziehen würde, festangestellt werden, so hatte er es ihm versprochen. Überhaupt machte der Hausherr auf Rei einen recht sympathischen, wenn auch gefühlskalten Eindruck. Und das konnte nur gut so sein, wenn sein Arbeitgeber in Spe kein finsterer Zeitgenosse war, der es darauf anlegte, seine Beschäftigten zu schikanieren. Solche Vorgesetzten hatte er in seinem jungen Leben nämlich schon zu Genüge erlebt. Doch bevor er erstmals die Küche zu Gesicht bekam, zeigte Jun ihm nun sein Zimmer, wo er sein Gepäck, welches er die ganze Zeit in einem großen Beutel, der über seiner Schulter hing, mit sich herumtrug, abstellen konnte. Interessiert sah Rei sich im Garten, der genauso wie der Vorgarten, äußerst gepflegt schien, um. In einiger Entfernung entdeckte er einige Personen: Drei Jungen in seinem Alter. Einer von ihnen war an einem der Blumenbeete beschäftigt. Der zweite war der hübsche blonde Junge, der ihm schon ins Auge gefallen war, als er das Haus erstmals betreten hatte und nun mit einem blühenden Rosenstrauß im Arm da stand. Und der letzte war einer mit finsterer Miene, der die Hände desinteressiert in die Hosentaschen gesteckt hatte und ihn nun kalt ansah. Doch Rei störte sich nicht weiter an ihm, wandte seinen Blick wieder ab und betrat nun mit Jun das Nebengebäude. Verwirrt sah Max Kai an, als er bemerkte, dass dieser nicht reagierte: „Ist was?“ Stumm sah der Ältere weiter in die Richtung, wo Jun eben mit dem Schwarzhaarigen vorbeigegangen war. Gemeinsam waren sie im Seitengebäude verschwunden. Max folgte dem Blick Kais mit dem eigenen, sich fragend, was er dort beobachtete. Da wandte der Ältere sich plötzlich mit gewohnt kaltem Tonfall zum Gehen: „Komm, wir bringen die Blumen zu Hiromi!“ Irritiert blickte Max ihm nach, als er bereits auf das Haupthaus zu ging, sah dann jedoch noch mal mit einem Lächeln zu Takao: „Bis später vielleicht. Und lass dir die Arbeit nicht zu schwer werden.“ Dieser sah auf und erwiderte nickend das Lächeln, bevor Max Kai nacheilte und er selbst sich wieder den Pflanzen widmete. Max entdeckte Hiromi im Wohnzimmer, wo sie mit dem Staubwedel eine Skulptur an der Wand neben der Tür zur Eingangshalle sorgfältig säuberte, dabei leise eine Melodie vor sich hin summend. Er zog eine der Rosen, die er selbst behalten wollte, aus dem Strauß und drückte sie Kai in die Hand: „Hier. Halt mal bitte kurz.“ Etwas trotzig sah Kai auf die Blume in seiner Hand, fühlte er sich gerade als Ablagefläche benutzt, beobachtete jedoch dann, wie Max zu dem jungen, hübschen Hausmädchen lief. Dieses bemerkte ihn augenblicklich und lächelte freundlich: „Hallo, Max.“ „Hey, Romi-Chan!“, er hielt ihr die Rosen entgegen. „Die soll ich dir von Takao geben.“ „Oh, sind die schön.“ Begeistert von den leuchtenden Farben und dem angenehmen Duft, der ihr entgegenströmte, nahm die Braunhaarige die Blumen in Empfang. „Er hätte sie dir ja gerne selber gebracht, aber er muss noch arbeiten.“ grinste Max. Er wusste genau, wie schwer verliebt die beiden in einander waren. Doch keiner von ihnen hatte den Mut, dies dem anderen direkt zu gestehen. Und so beobachteten alle in ihrem Umfeld nur, wie Takao ihr immer wieder die schönsten Blumen aus dem Garten brachte oder, wie dieses Mal, bringen ließ, ohne ein Wort seiner Zuneigung zu verlieren. Mit einem glücklichen Lächeln steckte sie ihre Nase zwischen die Blütenblätter, um ihren schönen Duft stärker wahrzunehmen, bevor sie wieder ihr Gegenüber ansah. „Danke dir. Sie werden sicher ganz bezaubernd auf dem Sockel neben der Treppe aussehen. Ich werde sie schnell ins Wasser stellen.“ Damit verließ das junge Mädchen den Raum und ging in die Eingangshalle. Die beiden Jungen folgten ihr und beobachteten, wie das Mädchen den alten Blumenstrauß aus der großen Porzellanvase neben der Treppe, die nach oben führte, entfernte und den neuen hineinstellte. Einige Zeit blieb sie bewundernd davor stehen, ehe sie davon eilte, um frisches Wasser zu holen. Die anderen Zwei sahen ihr nach, wobei Kai Anstalten machte, Max die Rose zurückzugeben, wandten ihre Blicke jedoch ab, als die Haustür aufging. Jun trat mit dem Schwarzhaarigen, der nun die gleiche Arbeitskleidung wie der Koch des Hauses trug, ein und führte ihn in Richtung Küche. Während er beiläufig die Rose entgegennahm, beobachtete Max den Schwarzhaarigen, welcher mit einem sanften Lächeln zurückblickte, dann auf die Rose und von ihr, mit ernsterem Gesichtsausdruck, zu Kai sah. Der Graublauhaarige blickte ebenso ernst zurück, wie Max bemerkte. Eine eigenartige Spannung entstand zwischen ihnen, ehe der Neue mit Jun in der Küche verschwand und Kai sich auf den Weg in den ersten Stock machte. Nach kurzem Zögern und einem letzten Blick auf die Küchentür folgte Max ihm. _________________________________________________________________ Danke an alle, die das erste Kapitel bisher gelesen & vor allem auch kommentiert haben. x3 Ich hoffe, das zweite hat euch genauso gut gefallen und ihr bleibt dran. -_____^ Ly x3 Kapitel III ----------- „Und? Konntest du dir alles merken?“, fragte Koch Yurimoto seinen potentiellen Nachfolger, der ihm soeben auf einem Rundgang durch die große Küche des Anwesens gefolgt war, nachdem Jun ihn sozusagen an ihn übergeben hatte. Rei nickte: „Ja, ich denke schon.“ Sicherlich hatte er sich nicht jedes kleine Detail, das der Koch ihm gezeigt hatte, einprägen können, doch Rei war zuversichtlich, dass er sich schnell in der gepflegten und ordentlichen Küche zurecht finden würde – zumindest hatte er bisher nie Probleme gehabt, sich an neuen Orten einzuarbeiten. „Sehr gut.“ Sein Vorgesetzter ging in Richtung Vorratskammer. „Dann lass uns gleich damit anfangen, das Abendessen vorzubereiten, damit wir rechtzeitig fertig werden.“ Der Schwarzhaarige nickte, ehe er begann, Yurimotos Anweisungen zu folgen. Im Hause Mizuhara wurde ausschließlich mit frischen und den besten Zutaten gekocht und keine Mahlzeit – das Frühstück ausgenommen – bestand aus weniger als drei Gängen. Sicherlich viel Aufwand, wenn man bedachte, wie wenig Leute hier tagtäglich speisten, doch Rei war bereit Tag für Tag Stunde um Stunde hier zu stehen und zu kochen. Denn Kochen war so etwas wie seine Passion – sein Lebenssinn. Tadao beobachtete den Neuen genau: Jeden Fehler den er gemacht hätte, hätte er sofort bemerkt. Doch Rei machte nicht den kleinsten Fehler. Mit welchem Geschick er mit verschiedenen Gewürzen hantierte und mit welcher Eleganz er zwischen den einzelnen Arbeitsflächen hin und herwechselte, beeindruckte ihn sehr. „Du kochst schon lange, oder?“, erkundigte Tadao sich. Mit einem Grinsen antwortete Rei: „Seit ich über die Kante einer Küchenarbeitsplatte sehen kann.“ „Und wo hast du gelernt?“, erkundigte sich der Andere weiter. „In der Welt“, war die Antwort. Diese Aussage schien Tadao ein wenig zu überraschen, zumindest schwieg er nun zunächst, ehe er zuversichtlich lächelte. „Ist sie nicht schön?“, mit glücklichem Gesichtsausdruck begutachtete Max die Rose, die er aus Hiromis Strauß genommen und nun in einer schmalen Vase auf die Fensterbank in seinem Zimmer gestellt hatte. „Mhm.“ war wiederum die karge Antwort von Kai, der etwas abseits an der Zimmerwand lehnte. Er beobachtete Max die ganze Zeit. Seit sie hoch gegangen waren, hatte er seinen Blick nicht von ihm lassen können: Sein Schützling wirkte in den letzten Tagen wieder äußerst bedrückt. Und er wusste, dass Max’ Lächeln, das er durch den Tag trug, nur eine Maske war, denn Hitoshi hatte ihm längst alles über den blonden Erben des Hausherren erzählt. Der Junge sehnte sich nach der Freiheit – er hatte Fernweh. Und in Momenten wie diesen, wenn der Jüngere wieder einmal darum bemüht war, dies zu überspielen, hätte Kai ihn gerne zum Tor des Grundstücks gebracht, dieses geöffnet und ihn einfach hinausgestoßen – hinaus in die Welt. Doch genau das durfte er nicht – er hatte zu verhindern, dass Max je die andere Seite der Grundstücksmauer zu Gesicht bekam, solange sein Vater es verbat. Und der Graublauhaarige hatte keine Wahl, denn er stand tief in der Schuld Max’ Vater. Max drehte sich zu Kai um: „Willst du nicht zu Hitoshi gehen?“ „Du weißt, dass das nicht geht“, bekam er von dem Halbrussen als Antwort. Ja, er wusste, dass Kai ihn nicht aus den Augen lassen durfte. Nur wenn Max Unterricht hatte oder nachts, wenn er auf seinem Zimmer war und sämtliche Türen nach draußen bereits verschlossen waren, dann durfte Kai mit seinem Ersatzschlüssel – unter der Auflage, dass er stets darauf achtete, dass er die Türen hinter sich wieder verschloss – das Haus ohne Max verlassen. Und Max tat es leid, dass Kai nun seine Gefangenschaft in gewisser Weise teilen musste, auch wenn es dem Graublauhaarigen offensichtlich nicht allzu viel ausmachte. Zumindest griff er nun, wie an fast jedem Nachmittag nach dem Buch auf dem Tisch an der Wand, liess sich im Sessel daneben nieder, schlug jene Seite auf, an der er am Vortag aufgehört hatte und begann zu lesen. Der Blonde widmete sich wieder der Blume und der Landschaft, die sich jenseits seines Fenster erstreckte, um erneut in seine Träumereien zu verfallen. Das Abendessen kam schleppend wie jeden Tag. Als es endlich soweit war, ließ Max sich gelangweilt auf seinen Stuhl im Esszimmer fallen. Dass der Nachmittag für Max die langweiligste Tageszeit war, wusste nicht nur Hitoshi. Auch Kai war dies bewusst. Er selbst hatte keine Probleme damit, Stunden mit einem guten Buch zu verbringen oder die ein oder andere Runde Shogi gegen Max zu spielen – auch wenn er gerne etwas mehr Zeit mit einer anderen Person verbracht hätte. Doch Max war ganz anders als er: Der Jüngere konnte nicht so lange still sitzen. Daher ging er am liebsten hinaus in den Garten, in der Hoffnung, dass Takao schon Feierabend machen durfte und mit ihm etwas Fußball oder ähnliches spielte. Der Altgärtner sah es zwar gar nicht gerne, wenn die zwei auf der großen Grünfläche in der Nähe des Pools herumtollten und den Rasen in Mitleidenschaft zogen, doch solange der Hausherr es nicht verbat, musste er es wohl oder übel akzeptieren. Allerdings musste Takao häufig bis zum Abendessen arbeiten, sodass keine Zeit für Max blieb. Während die Hausmutter ihnen noch das Abendessen kredenzte, räusperte sich Herr Mizuhara, der inzwischen neben seinem Sohn Platz genommen hatte, dezent: „Es gibt einige Dinge, die ich euch dringend mitteilen muss.“ Max, Kai und Hitoshi blickten ihn abwartend an. „Ihr wisst ja, dass der werte Tadao uns bald verlassen wird. Ich möchte euch daher zunächst unseren potentiellen zukünftigen Koch vorstellen.“ Herr Mizuhara nickte der Hausmutter zu. Diese verschwand daraufhin in der Küche und kehrte wenig später mit dem schwarzhaarigen Neuankömmling im Schlepptau zurück. „Das ist Rei Kon – er wird Tadaos Stelle übernehmen, sollte er sich in der Probezeit beweisen können“, stellte der Hausherren den jungen Mann vor. Dieser verbeugte sich höflich: „Es freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen und für Sie kochen zu dürfen, die Herrschaften.“ „Er wird uns jetzt schon vorgestellt? Er ist doch bisher nur Anwärter auf die Stelle.“ Kai schallten die Worte Herrn Mizuharas im Kopf wieder, während er den Neuen scharf musterte: Das musste bedeuten, dass Herr Mizuhara bereits von ihm angetan war. Herr Mizuhara bestätige Kais stumme Vermutung: „Angesichts seiner Erfahrung und Tadaos Bericht, wie ausgezeichnet er sich heute schon in der Küche gemacht hat, bin ich sehr zuversichtlich, dass Rei uns in den nächsten Jahren als Koch beglücken wird.“ „Als Koch beglücken...“, schoss es Kai durch den Kopf, „Der würde mich beglücken, wenn er ganz schnell wieder verschwinden würde.“ Warum er wollte, dass der Neue wieder ging, wusste der Graublauhaarige nicht – er wollte es einfach und sah ihn daher finster an. Aber Rei, der sich nun wieder aufgerichtet hatte, schien sich an Kais Blick voller Abneigung nicht zu stören. Zumindest beobachtete er stattdesseh Max. Und wie Kai bei einem Blick zu seinem Schützling feststellt, blickte dieser mit einem Lächeln zurück. „Das hier ist also deine Feuerprobe, Rei. Mal schauen, ob uns schmeckt, was du gekocht hast.“, kam es von Herr Mizuhara, der sich nun sogleich dem Essen vor ihm widmete und einen kleinen Happen probierte. Hitoshi und Max taten es ihm gleich. Ein Augenblick der Stille verging. „Lecker!“, kam es schließlich begeistert von dem Blonden, der strahlend in die Runde blickte. „Ja, ich muss sagen, es schmeckt ausgezeichnet“, bestätigte sein Lehrer. „Wirklich vorzüglich.“ Auch der Hausherr teilte diese Meinung offensichtlich und blickte wieder zu Rei. „Deine Kochkünste scheinen wirklich gut zu sein.“ „Freut mich, dass es Ihnen schmeckt. Ich werde dann gleich mit dem nächsten Gang weitermachen“, entgegnete der Schwarzhaarige. Der Hausherr nickte und Rei kehrte zurück in die Küche. Hitoshi blickte Kai an: „Was ist? Du hast ja gar nicht probiert.“ Stur blickte er auf seinen Teller: „Ich habe keinen Hunger.“ „Du lässt dir aber wirklich was entgehen“, sagte Herr Mizuhara, während er weiteraß. Doch Kai blieb rührte das Essen nicht an. Hitoshi seufzte angesichts der Starrsinnigkeit des Jüngeren und sah wieder den Hausherren an: „Du wolltest uns doch noch mehr mitteilen, Yuuto.“ Sein Gegenüber nickte und ließ wieder vom Essen ab: „Richtig. Ich habe einen dringenden Anruf zu einem Geschäftstermin in Frankreich erhalten. Mein Flug geht morgen früh um kurz nach neun.“ Kaum hatte er geendet, blickte Kai zu Max. Dieser hatte mit den Worten seines Vaters inne gehalten und ließ nun langsam sein Besteck sinken. „Oh, und wann kommst du wieder?“, erkundigte Hitoshi sich. Yuuto Mizuhara schien seinen Sohn nicht zu beachten: „Erst in einer Woche – es handelt sich um einen wichtigen Geschäftspartner.“ „Wirklich bedauerlich“, verkündete Hitoshi und blickte nun ebenfalls zu Max, welcher traurig auf das Essen vor ihm sah: Ihm schien jeder Appetit vergangen zu sein. Der Einzige, dem dies offensichtlich nicht auffiel, war sein Vater – er aß genüsslich weiter. „Willst du schon ins Bett gehen?“, erkundigte sich Kai, als er und Max wieder auf dem Zimmer des Jüngeren waren, wo er ihn beobachtete, wie er sein Bett aufschlug. Sie waren gemeinsam vom Tisch aufgestanden und nach oben gegangen. „Ja“, war Max’ knappe Antwort, in der ein trauriger Unterton lag. „Aber du hast kaum etwas gegessen“, fuhr der Graublauhaarige fort. Max sah ihn nicht an: „Immerhin mehr als du.“ Kai seufzte: Er hatte Recht. Er selbst hatte das Essen des Neuen nicht einmal angerührt – nur weil ihm Rei unsympathisch war. Max hingegen hatte, nachdem sein Vater seine Abreise am nächsten Tag verkündet hatte, nur in seinem Essen herumgestochert – und Kai wusste warum. „An deiner Stelle hätte ich ihm meine Meinung gesagt“, kam es von dem Älteren. Doch Max lächelte: „Ach, seine Geschäfte sind nun mal wichtiger – ich habe schließlich jedes Jahr Geburtstag.“ Kai jedoch wusste, dass es seinem Gegenüber das Herz gebrochen hatte, dass sein Vater über seinen Geburtstag in drei Tagen nicht zu Hause war, sprach ihn aber nicht weiter darauf an. „Ich bin dann mal im Bad.“ Der Blonde verschwand im Nebenraum Kai sah ihm kurz nach und ging dann zum Fenster. Sein Blick wanderte von der Rose auf der Fensterbank hinaus in die Abenddämmerung: Waren Väter eigentlich generell so herzlos? _________________________________________________________________ Ja, es hat lange gedauert, aber das war endlich der 3. Teil zu WdSb. =3 Ich hoffe er war akzeptabel. ôo Danke natürlich auch für alles Kommis zum letzten Teil. ^___^ Und es lohnt sich dran zu bleiben: Denn im nächsten Kapitel geht's heiß her! XDDD Ly x3 Kapitel IV ---------- „Ich verstehe einfach nicht, warum er sich das gefallen lässt?!“, Kai stand mit verschränkten Armen am Fenster im Wohnzimmer von Hitoshis Appartement und blickte zum Hauptgebäude hinüber. Das Licht in Max’ Zimmer war bereits erloschen und die Vorhänge am Fenster zugezogen. Einige Zeit nachdem Max ins Bett gegangen war, hatte Kai sich auf den Weg zum Nebengebäude, wo Hitoshi mit den anderen Angestellten wohnte, gemacht – Hausmutter Shinju, welche wie jeden Abend als letzte der Angestellten ins Nebengebäude zurückgekehrt war, hatte die Gartentür im Wohnzimmer hinter ihnen für die Nacht über zugeschlossen. Hitoshi stand an seinem Bücherregal und räumte einige Bücher weg, die im gesamten Raum verstreut lagen: „Du weißt, dass er nicht so wie du ist. Makkusu würde nie über sein Leiden sprechen – schon gar nicht mit seinem Vater.“ „Mit uns tut er es auch nicht.“ ergänzte Kai, ohne seinen Blick abzuwenden. „Weil er uns nicht belasten will – so ist er nun mal.“ Der Lehrer verrückte einige Bücher etwas, damit andere ihren Platz fanden. „Und ich glaube auch nicht, dass wir ihm wirklich eine große Hilfe wären. Makkusu weiß, dass ich dafür bezahlt werde und du es seinem Vater schuldig bist, dass wir uns um ihn kümmern. Natürlich würden wir ihm zuhören, aber er braucht jemanden, der ihm Aufmerksamkeit gibt, ohne dass er etwas dafür bekommt. Und er braucht jemanden, der ihm die Welt näher bringen kann – niemanden, der sich sein Wissen nur aus Büchern angelesen hat, so wie ich.“ „Tja, meine Welt ging über Moskaus Straßen und diesen Fleck Erde hier leider nie hinaus. Stört mich aber auch nicht weiter“, erklärte Kai. Hitoshi stellte das letzte Buch weg, ehe er sich umdrehte: „Ich weiß. Aber deshalb müsste es eben jemanden geben, der sich für ihn interessiert und ihm mehr erzählen kann.“ „Was ist mit Shoji? Der alte Kauz müsste doch einiges von der Welt kennen.“ kam es von dem Jüngeren. Hitoshi lachte kurz auf: „Unser Gärtner? Glaubst du, nur weil er alt ist, hat er die Welt gesehen? Soweit ich weiß, arbeitete er schon im Dienst von Yuutos Vater hier – und ich denke nicht, dass Makkusu sich sehr für Botanik interessiert.“ Ein Seufzer kam über Kais Lippen. „Aber vielleicht kann Rei Makkusu helfen?!“, überlegte Hitoshi. Kai wirbelte herum: „REI?!“ Sein Gegenüber nickte: „So wie Yuuto mir vorhin erzählt hat, ist er schon viel herum gekommen.“ „Und wenn schon! Heißt noch lange nicht, dass er Max helfen kann!“, Kai blickte zu Boden. „Was hast du eigentlich gegen ihn?“, wollte Hitoshi wissen. „Du rührst sein Essen nicht an und wirfst ihm mordlustige Blicke zu.“ Dem Blauhaarigen war die ablehnende Haltung, welche Kai Rei gegenüber an den Tag legte, nicht entgangen. Doch Kai antwortete in patzigem Ton: „Was weiß ich?!“ Der Ältere beobachtete ihn, ging dann auf Kai zu, fasste ihn am Kinn und neigte seinen Kopf nach oben, sodass der Kleinere ihn ansah: „Du weißt es ganz genau.“ Kai hob eine Augenbraue: „Und wenn schon...“ „Wenn du es mir nicht so sagen willst, werde ich es eben auf andere Art und Weise aus dir herauskitzeln müssen.“ Kaum hatte er geendet, schloss Hitoshi die Augen und legte seine Lippen auf die Kais. Der Jüngere brauchte einen winzigen Moment, bevor er es ihm gleich tat und seine Lippen etwas öffnete, um Hitoshis Zunge Einlass zu gewähren, die diese Chance auch umgehend nutzte. Besitzergreifend erkundete der Ältere Kais Mund – und dieser genoss es wie jedes Mal in vollen Zügen, Hitoshis verlangende Zunge zu spüren. Langsam wanderte währenddessen die freie Hand des Größeren auf die Hüfte des Anderen und von dort weiter auf seinen Po, ehe er Kais Unterkörper fest gegen seinen drückte. Letzterem zauberte es ein Grinsen auf die Lippen, als er nun deutlich bemerkte, wie sehr sich Hitoshis Körper nach seinem sehnte, sodass er den Kuss löste: „Oh, da hat es aber heute scheinbar wieder jemand sehr nötig.“ „Deine Schuld“, hauchte Hitoshi ihm leise ins Ohr, ehe er zärtlich an Kais Ohrläppchen knabberte und seine zweite Hand unter das Hemd des Jüngeren wanderte, um dessen weiche, zarte Haut zu erkunden. Ein wohliger Schauer lief dem Graublauhaarigen über den Rücken, als er spürte, wie der Andere sanft, aber gleichzeitig energisch darüber kratzte und dabei sein Oberteil immer höher schob, bis es letztlich auf dem Boden neben ihnen landete und Hitoshis Lippen sich nun dem Hals des Jüngeren widmeten. Kai konnte nicht anders als genießen, was sein Gegenüber mit ihm tat: Er liebte es, Hitoshis Hände über seinen Körper gleiten zu spüren - von seine feuchten, weichen Lippen vernascht zu werden – von seinen heißen Atem eine Gänsehaut am ganzen Körper zu bekommen. Bald fand sich eine Hand Hitoshis am Hosenknopf des Jüngeren und letztlich in seiner Boxershorts wieder – wenig später konnte Kai sich ein leichtes Aufkeuchen nicht verkneifen. „Und? Willst du mir immer noch nicht sagen, was du gegen ihn hast?“, fragte Hitoshi, zufrieden mit dem wollüstigen Laut, dem er dem Anderen eben entlockt hatte und strich diesem dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht, welches ihm so gut gefiel. Doch Kai grinste dem begierigen Blick seines Gegenübers entgegen: „Für wie doof hältst du mich? Wenn das hier die Strafe dafür ist, dass ich es nicht sage, dann werde ich dir ab sofort nie mehr antworten.“ „Ganz wie du meinst.“ Und erneut sorgte der Lehrer dafür, dass dem Anderen ein leises aber erregtes Stöhnen entfuhr. Kai wusste genau, dass Hitoshis Interesse an seiner Ablehnung gegenüber Rei nur noch zweitrangig war – worum es ihm wirklich ging, war ihn zu spüren und mit ihm die vollkommene Extase zu erleben. Und ihm selbst ging es nicht anders: Jede gemeinsame Nacht mit dem Älteren war für Kai unvergesslich geworden. Jedes Mal gab er sich Hitoshis hitzigem Verlangen bedingungslos hin und genoss die aufregenden Spielchen, die sein Geliebter mit seinen Händen und seinem Mund an seinem Körper spielte. Sekunden später spürte Kai die harte Zimmerwand in seinem Rücken – Hitoshi hatte ihn nahezu unbemerkt zurückgedrängt, während seine samtweichen Lippen seinen Hals weiter liebkost und ein leichtes Mal oberhalb des rechten Schlüsselbeines hinterlassen hatten. Aber so sehr es der Graublauhaarige liebte, von seinem Gegenüber verwöhnt zu werden, blieb er bei ihren Spielchen niemals völlig untätig, sodass nun eine seiner Hände, die er zwischenzeitlich im Nacken des Älteren platziert hatte, und wo er zärtlich mit den Haaren des Anderen gespielt hatte, Hitoshis Hals entlang zu seinem Kragen wanderte – wie in Zeitlupe begann er einen Hemdknopf nach dem anderen zu öffnen, während Hitoshi ihn nun beobachtete. Kai warf ihm noch einen vielsagenden Blick zu, ehe seine Lippen begannen, die freigelegte Brust des Anderen zu erkunden, während seine Hand sich weiter nach unten vorarbeitete. Hitoshi genoss es, jeden Atemzug und jeden einzelnen heißen Kuss Kais auf seiner Haut zu spüren – doch gewährte er es dem Jüngeren nicht lange, die Oberhand zu haben. Er nahm dessen Kopf nun zwischen seine Hände, um ihm erneut einen leidenschaftlichen und zielstrebigen Kuss zu stehlen. Und Kai ließ es geschehen – denn Hitoshi war der Mann in seinem Leben, der nahezu alles mit ihm anstellen durfte, obwohl der junge Russe ansonsten ein engstirniger Sturkopf war. Nur Hitoshi besaß die Fähigkeit, diese Sturheit zu überwinden und ein Feuer der Leidenschaft in dem Kleineren auszulösen. Und je weiter Hitoshi ihn trieb, umso ungeduldiger wurde Kai. Fast schon verzweifelt strampelte er sich aus seiner Hose, als die geschickten Finger seines Gegenübers begannen, sich wieder in tiefere Region des jungen Körpers vorzuarbeiten. Wieder ein lustvolles Keuchen des Jüngeren - und es sollte nicht Kais letztes in dieser Nacht gewesen sein. Max blickte auf die Uhr auf seinem Nachttisch: Viertel vor Eins teilte ihm das Ziffernblatt mit. Doch der Blonde lag trotz der Uhrzeit hellwach. „Warum behandelst du mich nur so? Hasst du mich oder warum?“, diese und ähnliche Fragen waren ihm schon unendlich oft durch den Kopf gegangen, während er all die Stunden, seitdem Kai ihn allein gelassen hatte, wach lag. Tränen bildeten sich in den Augenwinkeln des Jungen, als er sich auf die andere Seite drehte: Er wusste nicht warum, aber besonders nachts fühlte er sich schrecklich einsam. Er klammerte sich fest an sein Kissen und musste an seine Mutter denken: Er vermisste sie unheimlich. Wie sollte er so nur weiterleben? Er hielt es langsam nicht mehr aus. Max drehte den Kopf ins Kissen, ehe man ihn leise schluchzen hörte: „Ich hasse dich, Vater!“ „Gerade an seinem Geburtstag“, kam es leise von Kai, der verschwitzt neben Hitoshi auf dessen Bett lag. Der Ältere sah ihn an: Obwohl beide gerade intensivsten Sex gehabt hatten, konnte Kai Max’ Kummer offenbar nicht vergessen. „So ist sein Vater leider. Max tut mir auch leid, aber was sollen wir machen?“, der Blauhaarige stütze sich auf den Unterarm und neigte sich über Kai. Dieser seufzte: „Ich habe keine Ahnung.“ „Dann lass uns vielleicht lieber morgen weiter darüber nachdenken und jetzt stattdessen schlafen.“ Kaum hatte er geendete, küsste Hitoshi sanft einige Schweißperlen von Kais Bauchmuskeln. Kai beobachtete dies skeptisch: „Schlafen oder miteinander schlafen? Letzteres haben wir schließlich gerade erst getan.“ „Na ja...“, Hitoshi blickte kurz gespielt überlegend zur Zimmerdecke, „möglicherweise erst noch mal eine Runde von dem einen und dann eine Runde von dem anderen.“ „Man merkt, dass du morgen nicht arbeiten musst“, erwähnte Kai bissig, war doch am nächsten Tag Samstag und somit unterrichtsfreier Tag. „Jetzt tu nicht so, als würdest du es nicht wollen.“ Hitoshi neigte sich über ihn, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten – aus Kais schmollendem Gesicht schloss er, dass er Recht hatte. Und somit leitete er grinsend Runde zwei ihrer nächtlichen Aktivitäten ein. _________________________________________________________________ Wie ihr seht, habe ich mich dieses Mal wirklich beeilt. Ich hoffe euch hat dieses kleine 'Filler-Kapitel' gefallen - es kam ja von mehreren Seiten der Wunsch nach mehr HitoxKai-Szenen. Ich hoffe, der Bedarf ist nun damit erstmal gedeckt und ich kann wieder zum Hauptpairing zurückkommen. XDDD LG Ly x3 Kapitel V --------- Eigentlich war Max ein Langschläfer, doch da er wusste, dass Kai es vorzog, auch an Wochenenden zeitig aufzustehen, verdrängte er ihm zuliebe sein Bedürfnis nach mehr Schlaf, so dass sie auch an diesem Morgen um halb zehn das Esszimmer betraten. „Guten Morgen, Makkusu!“, begrüßte Hitoshi den Blonden, während er seine Tageszeitung beiseite legte. Dass sein Lehrer nur ihn begrüßte, weil Kai ihn wie immer erst in den frühen Morgenstunden verlassen hatte und ins Hauptgebäude zurückgekehrt war, wusste Max. Doch dies war es nicht, was den Jungen so bedrückt wirken ließ, als er auf den leeren Platz neben seinem eigenen blickte: Sein Vater war offenbar wieder einmal abgereist, ohne sich zu verabschieden. „Morgen.“ Etwas geknickt ließ Max sich auf seinen Platz sinken. Kai tat selbiges, als auch schon die Küchentür aufging und die Hausmutter den rustikalen Servierwagen, dessen kleine Räder beim Rollen etwas quietschten, an den Tisch schob. „Bitte, die Herrschaften, ihr Frühstück. Ich wünsche einen guten Appetit.“ Freundlich servierte sie das Essen. „Ach Shinju, lass doch endlich mal die Formalitäten, wenn Tadao nicht hier ist.“ Hitoshi offenbarte wie jedes Mal, wenn der Hausherr nicht zugegen war, wie überflüssig er es fand, mit solch entsetzlicher Höflichkeit behandelt zu werden. Doch die alte Frau, als Schülerin der alten Sitten, entgegnete stur, während sie den Herren Kaffee einschenkte: „Wo kämen wir denn da hin?“ Und schon verschwand sie mit ihrem Wägelchen wieder in der Küche. Hitoshi schmunzelte, ehe er sich seinem Frühstück widmete. Er wollte gerade mit seinen Essstäbchen nach einer Ume-Pflaume greifen, als er Max murmeln hörte: „Ich glaube, ich esse heute nichts.“ Ebenso wie Kai sah der Hauslehrer zu ihm hinüber: „Willst du eine Diät machen?“ „Nein.“ Ohne sie anzusehen stand Max auf. „Entschuldigt mich. Ich gehe auf mein Zimmer.“ Kaum dass er an der Tür war, wollte Kai aufspringen, um ihm zu folgen, wurde jedoch von Hitoshi sanft aufgehalten. Fragend blickte der Graublauhaarige von der Hand an seinem Arm ins Gesicht seines Geliebten. Dieser schüttelte den Kopf: „Lass ihn. Du weißt, wenn sein Vater nicht hier ist, brauchst du ihm auch nicht dauernd nachlaufen. Er wird schon keinen Blödsinn machen.“ Kai sah noch mal kurz zur Tür, durch die Max verschwunden war: Wahrscheinlich hatte Hitoshi Recht. Vielleicht brauchte sein Schützling auch mal etwas Zeit für sich. Somit ließ er sich wieder auf seinem Platz nieder und begann ebenfalls zu frühstücken – sein Hunger siegte inzwischen über seine Ablehnung gegenüber Rei. Mit dem Essen beschäftigt bemerkte er nicht, dass der Schwarzhaarige in der Küchentür stand und das Szenario beobachtet hatte, während er sich seiner Kochschürze entledigte. Mit gesenktem Kopf verließ Max sein Badezimmer im ersten Stock wieder, nachdem er dort zur Toilette gegangen war. „Und was mache ich jetzt?“, überlegte er. Für gewöhnlich saß er Samstags um diese Uhrzeit noch am Frühstückstisch. Doch heute war ihm der Appetit vergangen, nachdem sein Vater wieder einmal wortlos gegangen war und ihm dann noch dasselbe wie jedes Wochenende aufgetischt worden war: Ein traditionelles japanisches Frühstück, wie sein Vater es liebte. Max konnte es inzwischen nicht mehr sehen. Traurig blickte er aus einem der Flurfenster hinab in den sonnenlichtgefluteten Garten und entdeckte an einem der Beete den Altgärtner. Ein kleines Lächeln wanderte auf das Gesicht des Jungen, woraufhin er eilig die Treppe hinunter und zur Wohnzimmertür hinaus lief. Zielsicher eilte er auf den Angestellten zu. „Guten Morgen, Shigeru!“, mit einem Lächeln auf den Lippen kam er bei ihm an. Herr Shoji sah auf: „Oh, guten Morgen, Makkusu!“ „Weißt du wo Takao ist? Er hat doch heute frei, oder?“, beim Anblick des Gärtners, der auch heute an seinem freien Tag arbeitete, da ihm die Pflanzen viel bedeuteten, war Max eingefallen, das der jüngere der Kinomiya Brüder heute Zeit für ihn haben müsste. „Ja. Er ist mit Fräulein Hiromi in die Stadt gefahren.“ Der alte Mann blickte auf die noch geschlossenen Blumen vor ihm. „Dabei sollte er sich lieber um die Sonnenblumen sorgen. Sie blühen immer noch nicht – das beunruhigt mich.“ Doch die letzten Worte seines Gegenübers waren bei Max nicht mehr angekommen: Takao war nicht hier? Traurig ließ Max den Kopf wieder sinken: Also würde er den Tag doch alleine totschlagen müssen. Er wollte sich gerade abwenden, als er merkwürdige Geräusche hörte, die offensichtlich von der Rückseite des Nebengebäudes kamen. Irritiert blickte er Shigeru an: „Was war das?“ Der Angesprochene sag ihn wieder an: „Das klopfende Geräusch?“ Max nickte. „Der neue Koch – ich habe ihm gestern geholfen, hinterm Haus einen Platz zum Trainieren herzurichten“, erklärte Shigeru. „Trainieren?“, wisperte der Junge verwunderte, bevor er, von der Neugierde getrieben, in die Richtung lief, aus der die Geräusche gekommen war. Shigeru sah ihm noch kurz nach, bevor er wieder nachdenklich auf die Sonnenblumen sah. Bis zur Hausecke rannte Max. Erst ab da ging er langsamer und blickte vorsichtig hinter das Haus der Angestellten. Und es war, wie der Gärtner gesagt hatte: Rei war Verursacher der Geräusche. Nur mit einer schwarzen Trainingshose bekleidet trat er wieder und wieder auf einen dünnen mit Stoff umwickelten Stamm ein, den er offensichtlich mit Shigeru zusammen am Vortag in den Boden gerammt hatte. Fast schon zaghaft beäugte der Blonde den Anderen: Er hatte keine Ahnung, was genau Rei da trainierte, doch es beeindruckte ihn, wie grazil und treffsicher der Schwarzhaarige das Holz traf, obwohl er nicht immer hinsah. Plötzlich hielt er jedoch inne und wandte sich ruckartig um: „Wer ist da?“ Max zuckte vor Schreck zusammen: Wie hatte er ihn bemerkt? Zögerlich trat er hinter der Hausecke hervor. Reis ernster Blick wich jedoch sogleich einem überraschtem: „Ach du?!“ Tadao hatte ihm bereits gesagt, wer im Hause Mizuhara wer war, und so wusste er, dass nun der Sohn des Hausherrn vor ihm stand. „En...entschuldige. Ich wollte dich nicht stören“, antwortete er leise. Doch der Andere, dessen verschwitzter Oberkörper im Sonnenlicht glänzte, blickte mit einem sanften Lächeln zurück, während er nach dem Handtuch griff, welches auf der Veranda des Nebenhauses lag: „Du störst doch nicht. Dir hat das Frühstück wohl nicht geschmeckt, was? Oder soll ich Sie zu dir sagen?“ „Ach Blödsinn, mich darf jeder hier duzen.“ Erleichtert über diese Reaktion antworte Max mit einem Lächeln und ging einen Schritt auf ihn zu: „Na ja, es ist jedes Wochenende dasselbe, weil mein Vater das so will - Langweilig. Ich kann es nicht mehr sehen. Aber was soll’s?... Was trainierst du hier?“ „Kung-Fu.“ Rei rieb sich den Schweiß aus dem Nacken, legte das Tuch wieder beiseite, nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche und ließ sich auf der Veranda nieder. „Kung-Fu? Das ist doch chinesischer Kampfsport.“ Mit überlegendem Gesicht, ob er dies richtig in Erinnerung behalten hatte, blickte Max in das Blätterdach des Baumes, in dessen Schatten Rei trainiert hatte. „Richtig“, bestätigte der Schwarzhaarige. „Ist doch auch nicht verwunderlich, wenn man aus China kommt, oder?“ Überrascht sah Max ihn an: „Du kommst aus China?“ Rei nickte. Aufgeregt lief der Jüngere nun zu ihm hinüber: „Hitoshi, also Herr Kinomiya, mein Lehrer, der mit den hellblauen Haaren, bringt mir im Moment in Geographie über China vieles bei. Ich weiß schon sehr viel darüber, auch wenn ich mir nie merken kann, wie lang der Jangtse ist.“ Seine letzten Worte hatte Max etwas verlegen belächelt, doch Rei blickte desinteressiert gen Himmel: „Na und? Denkst du, ich weiß wie lang der ist? Ist doch auch egal. Tatsache ist, dass es atemberaubend ist, wenn man ihn in Natura sieht.“ „Du... findest es unwichtig?“, perplex sah Max ihn an. „Natürlich.“ Rei blickte zurück. „Daten und Fakten aus Büchern sind vollkommen wertlos – man muss die Welt selbst erleben, um sie zu begreifen.“ Beeindruckt von seinen Worten ließ Max sich neben ihm nieder: „Hast du die Welt denn erlebt?“ „Mehr oder weniger.“ Nun sah auch Rei in die Baumkrone. „Ich bin aber wohl mehr herumgekommen, als so manch anderer in meinem Alter. Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Bergdorf. Dort gab es allerdings nicht viele Perspektiven für mich, sodass ich mich entschied, mein Hobby, das Kochen, zu meinem Beruf zu machen. Von China aus bin ich quer durch Asien gereist – sogar bis nach Europa. Ich habe an so vielen Orten und für so viele Menschen gekocht, dass ich sie inzwischen nicht mal mehr aufzählen kann. Aber ich habe von allen Orten, an denen ich war, Erinnerungen und Wissen, das mich kein Buch hätte lehren können.“ Max hörte ihm aufmerksam zu, bis Rei lachte: „Aber warum erzähle ich dir das? So spannend ist das auch wieder nicht.“ „Doch ist es!“, entfuhr es dem Blonden abrupt, woraufhin Rei ihn überrascht anblickte, während Max mit etwas beiläufigem Unterton hinzufügte. „Darum beneide ich dich. Ich würde auch gerne durch die Welt reisen.“ Doch Rei ging offenbar sogar auf solch nebensächlichen Aussagen ein, als er ihn nun verständnislos ansah: „Warum sitzt du dann noch hier und tust es nicht einfach?“ Mit dieser Antwort hatte der Blonde nicht gerechnet. Zögernd sah er zu Boden: „Ich... wie soll ich das machen? Ich habe doch kein Geld. Mein Vater würde mir dafür keins geben.“ „Geld hatte ich auch keins, als ich von zu Hause aufbrach.“ Abwartend sah der Chinese ihn an. Und Max wusste, dass seine Antwort nicht Antwort genug gewesen war: „Na ja... mein Vater würde mich auch nicht gehen lassen.“ „Hängt er so an dir?“, erkundigte Rei sich, fuhr jedoch augenblicklich fort, als er bemerkte, wie der Andere niedergeschlagen zur Seite sah. „Entschuldige, falls ich dir zu nahe getreten bin. Du musst mir nicht antworten.“ „Nein, nein, schon in Ordnung.“ Traurig blickte Max weiter zu Boden: Es war nicht, dass er Rei es nicht erzählen wollte – wusste doch schließlich jeder der Angestellten über das Verhalten seines Vaters und sein Lebe Bescheid – es stimmte ihn nur ausgesprochen traurig, wenn er daran dachte. „Er lässt mich nicht vom Grundstück, weil ich sein einziger Erbe bin.“ Rei spürte, wie es dem hübschen Jungen neben ihm wehtat, darüber zu sprechen. Er hatte bereits zwischen den Zeilen lesen können, dass Herr Mizuhara seinem Sohn offenbar nicht allzu viel Liebe entgegenbrachte, als die Hausmutter sich am Vorabend mit ihrem Mann über die heutige plötzliche Abreise des Hausherrn unterhalten und er dies zufällig mitbekommen hatte. „Seit meine Mutter vor acht Jahren gestorben ist, ist es ziemlich trostlos hier geworden.“ Max musste an seine Mutter denken, die früher viel mit ihm gespielt hatte und oft mit ihm ins Dorf oder die Stadt gefahren war. Sie hatte ihm vieles gezeigt, mit ihm gelacht und sich um ihn gesorgt. Es war eine schöne Zeit gewesen – eine in der ihm jemand aufrichtig geliebt hatte. Doch seine Mutter war schwer krank gewesen – dies hatte der schönen Zeit letztlich ein trauriges Ende gesetzt. „Seitdem kümmert sich dein Vater nicht mehr um dich?“, fragte Rei nach. Max schüttelte den Kopf: „Er hat sich nie viel um mich gekümmert, weil er wegen seiner Geschäfte nie die Zeit dazu hatte. Aber damals war meine Mutter für mich da, die viel mit mir unternommen hat.“ Der Schmerz in der Stimme des Jungen blieb Rei nicht verborgen, auch wenn er offensichtlich versuchte, nicht allzu bedrückt zu klingen. „Und jetzt tut das niemand mehr?“, der Schwarzhaarige wollte nun ganz genau wissen, was dieses wunderschöne Gesicht so traurig wirken ließ. Abermals ein Kopfschütteln des Anderen: „Mein Vater hat verboten, dass mich jemand von den Angestellten mitnimmt, wenn er oder sie das Grundstück verlässt.“ Etwas ungläubig blickte Rei nun drein: Er hatte schon viele kuriose Dinge erlebt und gesehen, aber noch nie einen Vater, der seinen einzigen Sohn einsperrte: „Warum das?“ Max seufzte: „Vor vier Jahren wurde ich entführt, als ich alleine im Dorf war. Die Polizei hat tagelang nach mir gesucht, bis mein Vater auf die Lösegeldforderung der Entführer eingegangen ist.“ „Wow, dann hast du ja doch was erlebt. Allerdings nichts, um das ich dich beneide.“ Dass ihn Max’ Erzählungen ein wenig schockierten, gestand Rei sich ein, dennoch wollte er mehr wissen. „Hast du denn nie versucht abzuhauen? Also ich zumindest hätte es...“ Max seufzte: „Doch, einmal. Nachts. Aber Kai hat mich noch rechzeitig vom Haupttor geangelt, als ich drüberklettern wollte. Und eigentlich war die Idee ja auch absurd, da ich kein Talent fürs Kochen oder so wie du habe, um damit Geld zu verdienen – ich wäre da draußen verloren.“ „Du hast sicher auch Talente, du musst sie nur noch entdecken“, war Reis Meinung dazu. „Also hast du diesen Aufpasser schon seit der Entführung?“ „Aufpasser?“, fragend blickte Max ihn an. „Du meinst Kai?“ Rei nickte: Ihm war nicht nur beim Frühstück, als er von der Küchentür aus beobachtet hatte, wie der Graublauhaarige dem anderen Jungen hatte folgen wollen, aufgefallen, dass er wie ein Personenschützer nicht von dessen Seite wich. Max blickte wieder zu Boden: „Ja, aber ich bezeichne ihn nicht als meinen Aufpasser. Vielleicht ist er das, aber es ist leichter, ihn als Bruder oder so was zu akzeptieren. Wobei ich mir lieber einen fröhlicheren Bruder, mit dem man mehr machen kann, gewünscht hätte. Takao Kinomiya, unser angehender Gärtner, wäre ein toller Bruder. Er hat nur in der Woche nicht viel Zeit, weil er sich mit um den großen Garten kümmern muss. Und heute ist er anscheinend mit unserem Hausmädchen weggefahren.“ Der Schwarzhaarige überlegte kurz: „Ach ja, Tadao erzählte mir, dass die beiden sich wohl sehr mögen.“ Max musste etwas lächeln: „Ja, das tun sie.“ Sein Gegenüber jedoch wollte offenbar nicht weiter über die Liebschaften der anderen Angestellten sprechen. Er interessierte sich mehr für das Leben und den Kummer des Jungen mit den Sommersprossen und kehrte deshalb zum Thema zurück: „Aber wieso schleppt dein Vater dann gerade jemanden wie Kai hier an?“ „Er schuldet es meinem Vater, dass er auf mich aufpasst. Mehr kann ich dir nicht sagen – das muss Kai schon selber tun. Tut mir leid.“ Leise und traurig beendete Max seinen Satz. Rei lehnte sich zurück: „Na ja, ob der mir das sagen wird? So grimmig wie der immer schaut... Ich glaube, er mag mich nicht - warum auch immer.“ Der Blonde schreckte hoch: „Nein, das darfst du nicht denken! Kai schaut immer so drein. Lerne ihn erst mal kennen! Er ist in Ordnung!“ Plötzlich war Max aufgeregt. Warum nur? Ihn beschlichen auf einmal Ängste - Ängste, dass Rei bald wieder gehen würde, wegen der Antipathie gegenüber Kai. Und das, obwohl sie sich bisher kaum kannten. Doch der Andere blieb gelassen: „Warum regst du dich denn so auf? Ich sage doch gar nicht, dass er nicht in Ordnung ist. Nur meine Menschenkenntnis, die durch meine Reisen sehr gut geworden ist, sagt mir, dass er etwas gegen mich hat. Aber meine Menschenkenntnis sagt mir auch, dass du ein verdammt netter und liebenswerter Junge bist, der keinen Grund haben sollte, so traurig zu schauen.“ Lächelnd hatte Rei den letzten Satz ausgesprochen. Stumm blickte Max ihn nun an: Er war liebenswert? Das hatte ihm noch nie jemand gesagt. Er merkte deutlich, wie sich ein leichter Rotschimmer über seine Wangen legte. Der Schwarzhaarige ließ sich jedoch nicht beirren: „Vielleicht kann ich dir ja helfen, wieder etwas zu lachen?! Soll ich dir von meinen Reisen erzählen?“ Und offenbar hatte er Recht, denn Max ließ sich nun wieder freudig neben ihm sinken: „Oha ja, bitte!“ Ein Grinsen wanderte über das maskuline Gesicht des Anderen, ehe er begann, von dem zu erzählen, was er in seinem Leben bisher erlebt hatte. Und Max hing plötzlich bei jedem einzelnen Wort an den Lippen des Älteren. Denn diese Worte brachten ihm die Welt und das Leben weit jenseits der Grundstücksmauern in wenigen Minuten näher, als es seine Geographiebücher in Jahren getan hatten. Alles was der Neue erzählte klang für ihn aufregend. Und nicht nur das: Reis Worte lösten in ihm entsetzliche Glücksgefühle aus, als würde er plötzlich all das, was Rei erlebt hatte, selber mit eigenen Augen sehen. Minuten vergingen – Minuten, in denen das warme Sonnenlicht durch das Blätterdach über ihnen eigenartig flackernde Muster auf den sandigen Boden zu ihren Füßen warf – Minuten, in den Rei vieles aus seinem bewegten und aufregenden Leben berichtete – Minuten, in denen Max das Gefühl hatte, erstmals wieder zu wissen, was es überhaupt bedeutete zu leben. Doch diese Minuten wurden abrupt beendet, als plötzlich eine raue Stimme von der Hausecke zu hören war: „MAX!“ Erschrocken fuhr der Gerufene herum: Kai stand dort. Er war sichtlich außer Atem und sauer. „Ich habe dich überall gesucht, verdammt! Ich dachte schon, dir wäre etwas zugestoßen, bis Shigeru mir gesagt hast, wo du bist.“ Kai war sichtlich aufgebracht – würdigte Rei aber keines Blickes. „Entschuldige“, gab Max kleinlaut von sich, bevor er lächelte. „Aber Rei hat mir von China erzählt. Er...“ „Kannst du mir später erzählen!“, unterbrach Kai ihn grob. „Komm! Hitoshi sucht auch schon nach dir!“ Mit gesenktem Kopf erhob Max sich: „Tschüss, Rei! Bis später!“ Geknickt ging er auf Kai zu, der ihn umgehend am Arm fasste. Doch Rei stand auf und lächelte ihm nach: „Ciao, Max!“ Max? Hatte er gerade Max gesagt? Verwundert drehte der Blonde sich noch einmal um. „Oder soll ich lieber Makkusu sagen? Tadao sagte mir, dass du Max genannt werden möchtest“, erklärte Rei angesichts der Verwunderung des Jüngeren. Dieser lächelte nun: „Nein, Max ist okay – vollkommen okay.“ Der Chinese erwiderte dieses Lächeln, bis Kai Max etwas grob um die Hausecke zog, während er selbst dem Schwarzhaarigen noch einen ernsten und mahnenden Blick zuwarf, bevor auch er aus seinem Sichtfeld verschwand. „Mich würde ja schon interessieren, was ich dir getan habe“, schoss es Rei durch den Kopf, ehe er wieder gen Himmel sah. „Aber bevor ich das herausfinde, werde ich heute erst Max noch mal ein wenig glücklicher machen.“ Erneut landete ein gezielter Tritt von ihm an dem Stamm, der vor ihm im Boden steckte. _________________________________________________________________ Tödöm... und war ich wieder schnell genug mit diesem Kap? XD Ich hoffe doch... Hatte auf jeden Fall viel Freude dran beim Schreiben. *_* Ly x3 Kapitel VI ---------- Wortlos, aber dafür mit aussagekräftigem, wütendem Gesichtsausdruck zog Kai Max vorbei an den Blumenbeeten und dem daran arbeitenden Gärtner, der ihnen kurz nachsah, in Richtung Hauptgebäude. Der Blonde blickte ihn ratlos an: Warum war Kai nur so außer sich? Das kannte er nicht von ihm. Etwas unsanft schubste der Graublauhaarige ihn letztlich ins menschenleere Wohnzimmer, bevor er sich mit verschränkten Armen vor dem Jüngeren aufbaute. „Jetzt sag mir mal, was das sollte?“, kam es mit eisiger Stimme von ihm. Etwas ehrfürchtig, aber auch ratlos blickte Max ihn an: „Was?“ „Dass du einfach abhaust? Du hättest uns sagen müssen, wo du hingehst!“, war die zornige Antwort. Max verstand sein Gegenüber plötzlich absolut nicht mehr: „Aber warum? Du hast doch nie etwas dagegen gehabt, wenn ich ohne dich zu Takao oder so gegangen bin, wenn mein Vater nicht hier war.“ „Du bist aber nicht zu Takao gegangen! Wäre dem so, wäre es in Ordnung gewesen, da er schon lange hier arbeitet.“ Kais Pupillen verengten sich gefährlich. „Aber du warst bei dem Neuen, von dem wir absolut nicht wissen, was er im Schilde führt!“ „Im Schilde führt? Was sollte Rei im Schilde führen?“, irritiert blickte Max ihn an. „Er ist doch der neue Koch.“ „Na und? Weißt du was in seinem Kopf vorgeht? Nein! Und so lange er noch neu hier ist und wir nichts über ihn wissen, will ich nicht, dass du noch mal alleine zu ihm gehst! Du wirst überhaupt nicht mehr zum ihm gehen!“, zischte Kai. „WAS?“, der Jüngere konnte nicht glauben, was er da hörte. „Das kann nicht dein Ernst sein! Rei ist kein schlechter Mensch.“ „Das kannst du überhaupt nicht beurteilen!“, entgegnete der Andere kühl. Doch nun wurde es Max zu bunt, so dass er ihn anschrie: „Ach nein? Rei hat mir vorhin mehr über sich erzählt als du es in den Jahren, in denen du hier bist, je über dich getan hast! Du kannst mir außerdem nicht verbieten, mich mit ihm zu unterhalten! Und überhaupt, er interessiert sich für mich und erzählt mir so viel, obwohl er das nicht muss! Du bist doch nur bei mir, wegen meinem Vater! Ich bin dir doch völlig egal!“ Ein lauter Knall zerschnitt noch im selben Augenblick die Luft im Raum. In Max’ Augen bildeten sich Tränen, während er sich die linke Wange hielt und Kai hasserfüllt ansah, bevor er ihn zur Seite stieß, an ihm vorbei und die Treppe in den ersten Stock hinaufrannte. Wie erstarrt blickte Kai auf seine rechte Handfläche: Was hatte er gerade getan? Seine Denkfähigkeit hatte mit Max’ letzten Worten einfach ausgesetzt. Verkrampft schloss Kai die Hand zur Faust. Ruckartig drehte er sich um, um ihm nachzulaufen, als er auch schon mit Hitoshi zusammenstieß, der plötzlich hinter ihm stand. „Hitoshi, ich...“ In Erklärungsnot wollte er an ihm vorbei, doch der Ältere hielt ihn mit einer Hand an der Schulter fest. Kai sah ihn verzweifelt an. Der Lehrer, welcher gerade den Raum betreten hatte, als die Situation zwischen Kai und Max eskaliert war, blieb ruhig: „Ich habe mitbekommen, was passiert ist. Lass ihn erst mal in Ruhe.“ „Aber...“ Kai hielt inne, da ihm der Blick seines Gegenübers verriet, dass Hitoshi im Augenblick keine Widerworte duldete. „Lass ihn, Kai! Er muss sich erst beruhigen.“ Hitoshi spürte, wie der Jüngere anfing, unruhig zu zittern. Er lehnte seine Stirn gegen die Brust des Größeren: „Das hätte ich nicht tun dürfen.“ „Nein.“ Hitoshi blickte über ihn hinweg aus dem Fenster in den sonnenbeschienenen Garten, während er behutsam eine Hand auf Kais Hinterkopf legte. „Aber ich hätte an deiner Stelle genauso gehandelt.“ Unzählige Tränen liefen über Max’ Gesicht. Sein Kopfkissen wurde bereits von einigen Wasserflecken geziert. Dennoch weinte er, auf dem Bett liegend, weiter in eben jenes. Er hatte sich allein gefühlt, doch jetzt fühlte er mehr als nur Einsamkeit: Wut. Kai, zu dem er über Jahre hinweg versucht hatte Vertrauen aufzubauen, hatte soeben genau dieses zerstört. Auch wenn er schweigsam war, hatte Max bis vor wenigen Augenblicken gedacht, Kai würde ihm nie wehtun – würde ihn vielleicht sogar auch als so etwas wie seinen Bruder ansehen. Doch offenbar hatte er sich getäuscht. So behandelte man einen Bruder nämlich nicht. Und welcher Bruder, verbat einem, mit anderen zu sprechen? Scheinbar hatte Max Recht gehabt: Kai war nach wie vor nur hier und passte auf ihn auf, weil er es tun musste. Einige Vögel flogen in einiger Entfernung am geöffneten Fenster vorbei und verloren sich wieder in den Weiten des blauen Himmels – Ihr Gezwitscher vermischte sich mit dem Schluchzen des Blonden, während das warme Sonnenlicht seine Wange kitzelte. Doch so warm es auch war, Max fror. Ihm war bitterkalt, durch die Leere und Einsamkeit, die er nun empfand. Alles, was in ihm brodelte, war Zorn. Er verfluchte plötzlich Alles und Jeden: Seinen Vater, der sich nicht um ihn kümmerte – seine Mutter, die ihn alleine gelassen hatte – Kai, der ihn enttäuscht hatte – Takao, der immer weniger Zeit für ihn fand – Hitoshi, der ihn stets beim falschen Namen rief - und am meisten sich selber, der all diesen Leuten offensichtlich nur eine Last war. Schweigend betrachte Kai die Zeiger der großen, alten Standuhr neben der Terrassentür im Wohnzimmer. Seit drei Stunden saß er jetzt hier auf einem der breiten Sofas und beobachtete, wie Minute um Minute verstrich. Hitoshi hatte ihn davon abgehalten, Max umgehend nachzueilen – und das war vielleicht auch gut so gewesen, denn er hätte absolut nicht gewusst, was er dann eigentlich hätte tun oder sagen sollen, wenn er seinem Schützling gegenüber gestanden hätte. Nun grübelte er stumm vor sich hin und suchte nach den richtigen Worten, um sich bei Max zu entschuldigen. Doch gestaltete sich dies äußerst schwierig, wie er festgestellt hatte. Und Kai musste sich eingestehen, dass er noch nie in so einer Lage gewesen war, die ihn dermaßen überforderte – nicht einmal damals, als er Herr Mizuhara das erste Mal begegnet war, war er so ratlos gewesen wie jetzt. Auch Hitoshi hatte ihm bisher eine Antwort auf die zermürbende Frage in seinem Kopf gegeben, nachdem er ihm erzählt hatte, in wessen Gesellschaft er Max gefunden hatte. Dafür kehrte Hitoshi nun mit zwei Bechern kaltem Tee aus der Küche zurück. Einen davon hielt er Kai hin: „Hier, du musst mal was trinken.“ Doch der Sitzende lehnte ab, ohne ihn anzusehen, indem er einfach nicht reagierte. Seufzend stellte der Lehrer das Getränk auf dem hölzernen Beistelltisch neben dem Sofa, auf dem Kai saß, ab. Stumm sah er sich im Raum um: Seit vier Jahren lebte er selbst nun schon auf dem Anwesen der Mizuharas und unterrichtete Max. Er hatte Yuuto Mizuhara durch seinen eigenen, inzwischen verstorbenen Vater kennen gelernt. Die beiden waren befreundet gewesen. Und obwohl der Hausherr rund zwanzig Jahre älter war, zollte er ihm, Hitoshi, einen außerordentlichen Respekt. Vielleicht sah Yuuto ihn als Ersatz für seinen alten Freund an und hatte ihn deshalb nach Abschluss seines Studiums, als Privatlehrer für Max eingestellt. Und auch wenn er noch zwei weitere Jahre neben dem Beruf hatte studieren müssen, um Max ein weiterreichendes Wissen vermitteln zu können, bereute er seine Entscheidung, hier zu bleiben und sich einem einzelnen Schüler zu widmen, nicht. Es war ihm allerdings recht schwer gefallen, sich hier einzugewöhnen – doch so war es allen Angestellten anfangs ergangen. Das Haus der Familie war im westlichen Stil erbaut und eingerichtet worden, was für jeden, der hier ein und ausging und nicht wusste, dass Frau Mizuhara amerikanischer Abstammung gewesen war, äußerst gewöhnungsbedürftig war. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich an das Sitzen auf Stühlen und das Schlafen in Betten. Und inzwischen verstand er, warum Max’ Vater die westliche Kultur in dieser Hinsicht so mochte und nicht nur seiner Frau das Einrichten des Hauses überlassen hatte, sondern sogar ein Haus, das vollkommen anders war als die Häuser der Umgebung, um nicht zu sagen als die Häuser Japans, hatte bauen lassen. Auch die Arbeitskleidung der Angestellten war alles andere als die traditionell japanische. Er wollte jedem zeigen, wie weltoffen er war – und das war Yuuto Mizuhara wirklich, hatte er schließlich nicht nur Kai aus Russland mitgebracht, sondern ihn auch mit der Aufgabe betraut, auf Max aufzupassen. Wie viele Japaner würden schon einem Russen das eigene Kind anvertrauen? Nun gut, Kai war Halbrusse, aber er war in Russland aufgewachsen und wäre demnach von so manchem Einheimischen nicht mit allzu weit offenen Armen empfangen worden – besonders, wenn man dann noch seine Vergangenheit kannte. Aber der Hausherr war anders als die meisten seiner Landsmänner – und das schätzten seine Angestellten an ihm. Auch Takao, Hitoshis kleiner Bruder, war ihm äußerst dankbar, dass er ihn, obwohl er die Schule abgebrochen hatte, nach dem Tod ihres Großvaters, bei dem er bis zu seinem Tod gelebt hatte, aufgenommen hatte und ihm eine Perspektive gab. Max’ Vater war wirklich ein guter Mensch, der in seinen Mitmenschen immer etwas Positives sah und jedem eine Chance bot. Nur in Bezug auf seinen eigenen Sohn wirkte er eiskalt. Dabei war Hitoshi sich sicher, dass er ihn liebte – ihm dies nur nicht so zeigen konnte, wie es seine Frau hatte tun können. Und er litt immer noch unter dem Tod seiner Gattin – möglicherweise ein Grund, warum er sich nach ihrem Ableben in die Arbeit gestürzt und die Verantwortung für Max Anderen übergeben hatte. Manchmal wünschte der Lehrer sich, sein eigener Vater würde noch leben. Er könnte seinem alten Freund vielleicht helfen. Doch der Tod war etwas endgültiges – das war Hitoshi bewusst. Doch es fiel ihm nicht leicht, Max - und Kai, der litt, weil Max unglücklich war, leiden zu sehen. Nur was sollte er tun? Mehrfach hatte er schon darüber nachgedacht, an Stelle seines Vaters mit Yuuto zu reden. Doch wahrscheinlich hatte er nicht das Recht dazu, über solch privaten Dinge mit ihm zu sprechen – er war eben nicht sein Vater. Manchmal fragte Hitoshi sich auch, ob es richtig gewesen war, die Stelle hier anzunehmen. Vielleicht hätte er lieber woanders gelehrt. Aber hätte Max trotz der Entführung, die dafür gesorgt hatte, dass sein Vater ihn regelrecht einkerkerte, dann weiter auf die Privatschule, die er bis zu jenem Tag besucht hatte, gehen dürfen? Wahrscheinlich nicht, denn dann wäre wohl irgendein Anderer an seine Stelle getreten. Und dann hätte er außerdem Kai vielleicht niemals kennen gelernt. Hitoshi nahm mit nachdenklicher Miene einen Schluck aus seinem Becher: Überhaupt, wie wäre Kai ohne ihn zurecht gekommen? Schließlich hatte Hitoshi sich als erster dem verschwiegenen Jungen, der von heute auf morgen in Japan statt in Russland zu leben gehabt und nichts und niemanden hier gekannte hatte, angenommen. Er hatte ihm geholfen, die wenigen Japanischkenntnisse, die er aus seiner frühen Kindheit durch seinen japanischen Vater noch hatte, auszubauen. Heute sprach der Graublauhaarige fließend ihre Sprache, wenn auch mit Akzent, der Hitoshi aber alles andere als störte. Und auch ansonsten hatte Kai sich mit seiner Hilfe schnell eingelebt – zugegeben, Stühle und Betten waren verständlicher Weise für ihn keine Neuheiten mehr gewesen, als er hierher gekommen war. Aber obgleich er ihm nun geholfen hatte, zählten für Hitoshi inzwischen nur noch die Gefühle, die sie füreinander hegten. Ihre Beziehung hatte mit Kais Mundfaulheit begonnen. Es war eine der ersten Stunden Japanischunterricht gewesen. Zu Beginn hatte Kai dabei gesessen, wenn Max Unterricht gehabt hatte, doch da der Lehrer der Auffassung gewesen war, dass das nicht ausreichend gewesen sei, um Kai schnell ihre Sprache vollständig beizubringen, hatte er ihm nach einigen Monaten in den späten Abendstunden, wenn Max bereits schlief, Privatunterricht erteilt. Anfangs hatte der junge Russe nur halbherzig gelernt und Hitoshi hatte kurz davor gestanden, gegenüber Kais Sturheit zu kapitulieren. Doch er hatte durchgehalten und den Jungen dazu bringen können, sich mehr zu bemühen – mit Erfolg. Und während Kai mehr und mehr gelernt hatte, waren sie sich näher und näher gekommen, bis die rubinroten Augen des Jüngeren den Lehrer irgendwann vollkommen gefangen genommen hatten. Hitoshi musste jedes Mal schmunzeln, wenn er an ihre erste gemeinsame Nacht, die nicht allzu lange auf sich hatte warten lassen, denken musste. Kaum hatte er Kais eisernen Willen, nicht lernen zu wollen, gebrochen gehabt, hatte er vor dem nächsten Problem gestanden: Wie bändigte man einen bockigen, achtzehnjährigen Dickkopf, der immer selber bestimmen wollte, wo es lang ging, im Bett? Doch auch hier hatte der Blauhaarige ihn erfolgreich gezähmt. Und nun, drei Jahre später, verlief ihre Beziehung ohne größere Probleme. Sie waren glücklich - bis auf die Sache mit Max. Hitoshi sah aus dem Augenwinkel zu seinem Geliebten hinab. Dieser starrte immer noch auf die Uhr. Der Lehrer wusste, wie schlecht es ihm ging und wie verzweifelt er im Moment war – er kannte Kai inzwischen einfach zu gut, um es nicht zu wissen. Er saß hier und zerbrach sich den Kopf, um einen Weg zu finden, das, was er getan hatte, wieder gut zu machen. Denn wenn Yuuto Mizuhara von dem Vorfall erfahren würde, würde Kai, bei aller Weltoffenheit des Hausherrn, nicht nur seine Leibwächteraufgabe verlieren, sondern alles, woran er hing: Makkusu, ihn und mit ihnen sein ganzes Leben. Zumindest befürchtete er das. Und auch wenn er wusste, dass Hitoshi dies nie zulassen würde, hatte Kai vor einer Sache wirklich Angst: In seiner Lebensgeschichte zurückblättern und das dunkelste Kapitel seines Lebens noch einmal aufschlagen zu müssen. _________________________________________________________________ So, da bin ich wieder. Endlich kann ich nach meiner OP an einer Hand wieder halbwegs schreiben. >_<' Hoffe, es hat euch gefallen, mal etwas mehr über Hitoshi, seine Beziehung zu Kai und seine Gedanken zu erfahren. Ly x3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)