Wenn die Sonnenblumen blühen von Torao (Chap 6 on) ================================================================================ Kapitel VI ---------- Wortlos, aber dafür mit aussagekräftigem, wütendem Gesichtsausdruck zog Kai Max vorbei an den Blumenbeeten und dem daran arbeitenden Gärtner, der ihnen kurz nachsah, in Richtung Hauptgebäude. Der Blonde blickte ihn ratlos an: Warum war Kai nur so außer sich? Das kannte er nicht von ihm. Etwas unsanft schubste der Graublauhaarige ihn letztlich ins menschenleere Wohnzimmer, bevor er sich mit verschränkten Armen vor dem Jüngeren aufbaute. „Jetzt sag mir mal, was das sollte?“, kam es mit eisiger Stimme von ihm. Etwas ehrfürchtig, aber auch ratlos blickte Max ihn an: „Was?“ „Dass du einfach abhaust? Du hättest uns sagen müssen, wo du hingehst!“, war die zornige Antwort. Max verstand sein Gegenüber plötzlich absolut nicht mehr: „Aber warum? Du hast doch nie etwas dagegen gehabt, wenn ich ohne dich zu Takao oder so gegangen bin, wenn mein Vater nicht hier war.“ „Du bist aber nicht zu Takao gegangen! Wäre dem so, wäre es in Ordnung gewesen, da er schon lange hier arbeitet.“ Kais Pupillen verengten sich gefährlich. „Aber du warst bei dem Neuen, von dem wir absolut nicht wissen, was er im Schilde führt!“ „Im Schilde führt? Was sollte Rei im Schilde führen?“, irritiert blickte Max ihn an. „Er ist doch der neue Koch.“ „Na und? Weißt du was in seinem Kopf vorgeht? Nein! Und so lange er noch neu hier ist und wir nichts über ihn wissen, will ich nicht, dass du noch mal alleine zu ihm gehst! Du wirst überhaupt nicht mehr zum ihm gehen!“, zischte Kai. „WAS?“, der Jüngere konnte nicht glauben, was er da hörte. „Das kann nicht dein Ernst sein! Rei ist kein schlechter Mensch.“ „Das kannst du überhaupt nicht beurteilen!“, entgegnete der Andere kühl. Doch nun wurde es Max zu bunt, so dass er ihn anschrie: „Ach nein? Rei hat mir vorhin mehr über sich erzählt als du es in den Jahren, in denen du hier bist, je über dich getan hast! Du kannst mir außerdem nicht verbieten, mich mit ihm zu unterhalten! Und überhaupt, er interessiert sich für mich und erzählt mir so viel, obwohl er das nicht muss! Du bist doch nur bei mir, wegen meinem Vater! Ich bin dir doch völlig egal!“ Ein lauter Knall zerschnitt noch im selben Augenblick die Luft im Raum. In Max’ Augen bildeten sich Tränen, während er sich die linke Wange hielt und Kai hasserfüllt ansah, bevor er ihn zur Seite stieß, an ihm vorbei und die Treppe in den ersten Stock hinaufrannte. Wie erstarrt blickte Kai auf seine rechte Handfläche: Was hatte er gerade getan? Seine Denkfähigkeit hatte mit Max’ letzten Worten einfach ausgesetzt. Verkrampft schloss Kai die Hand zur Faust. Ruckartig drehte er sich um, um ihm nachzulaufen, als er auch schon mit Hitoshi zusammenstieß, der plötzlich hinter ihm stand. „Hitoshi, ich...“ In Erklärungsnot wollte er an ihm vorbei, doch der Ältere hielt ihn mit einer Hand an der Schulter fest. Kai sah ihn verzweifelt an. Der Lehrer, welcher gerade den Raum betreten hatte, als die Situation zwischen Kai und Max eskaliert war, blieb ruhig: „Ich habe mitbekommen, was passiert ist. Lass ihn erst mal in Ruhe.“ „Aber...“ Kai hielt inne, da ihm der Blick seines Gegenübers verriet, dass Hitoshi im Augenblick keine Widerworte duldete. „Lass ihn, Kai! Er muss sich erst beruhigen.“ Hitoshi spürte, wie der Jüngere anfing, unruhig zu zittern. Er lehnte seine Stirn gegen die Brust des Größeren: „Das hätte ich nicht tun dürfen.“ „Nein.“ Hitoshi blickte über ihn hinweg aus dem Fenster in den sonnenbeschienenen Garten, während er behutsam eine Hand auf Kais Hinterkopf legte. „Aber ich hätte an deiner Stelle genauso gehandelt.“ Unzählige Tränen liefen über Max’ Gesicht. Sein Kopfkissen wurde bereits von einigen Wasserflecken geziert. Dennoch weinte er, auf dem Bett liegend, weiter in eben jenes. Er hatte sich allein gefühlt, doch jetzt fühlte er mehr als nur Einsamkeit: Wut. Kai, zu dem er über Jahre hinweg versucht hatte Vertrauen aufzubauen, hatte soeben genau dieses zerstört. Auch wenn er schweigsam war, hatte Max bis vor wenigen Augenblicken gedacht, Kai würde ihm nie wehtun – würde ihn vielleicht sogar auch als so etwas wie seinen Bruder ansehen. Doch offenbar hatte er sich getäuscht. So behandelte man einen Bruder nämlich nicht. Und welcher Bruder, verbat einem, mit anderen zu sprechen? Scheinbar hatte Max Recht gehabt: Kai war nach wie vor nur hier und passte auf ihn auf, weil er es tun musste. Einige Vögel flogen in einiger Entfernung am geöffneten Fenster vorbei und verloren sich wieder in den Weiten des blauen Himmels – Ihr Gezwitscher vermischte sich mit dem Schluchzen des Blonden, während das warme Sonnenlicht seine Wange kitzelte. Doch so warm es auch war, Max fror. Ihm war bitterkalt, durch die Leere und Einsamkeit, die er nun empfand. Alles, was in ihm brodelte, war Zorn. Er verfluchte plötzlich Alles und Jeden: Seinen Vater, der sich nicht um ihn kümmerte – seine Mutter, die ihn alleine gelassen hatte – Kai, der ihn enttäuscht hatte – Takao, der immer weniger Zeit für ihn fand – Hitoshi, der ihn stets beim falschen Namen rief - und am meisten sich selber, der all diesen Leuten offensichtlich nur eine Last war. Schweigend betrachte Kai die Zeiger der großen, alten Standuhr neben der Terrassentür im Wohnzimmer. Seit drei Stunden saß er jetzt hier auf einem der breiten Sofas und beobachtete, wie Minute um Minute verstrich. Hitoshi hatte ihn davon abgehalten, Max umgehend nachzueilen – und das war vielleicht auch gut so gewesen, denn er hätte absolut nicht gewusst, was er dann eigentlich hätte tun oder sagen sollen, wenn er seinem Schützling gegenüber gestanden hätte. Nun grübelte er stumm vor sich hin und suchte nach den richtigen Worten, um sich bei Max zu entschuldigen. Doch gestaltete sich dies äußerst schwierig, wie er festgestellt hatte. Und Kai musste sich eingestehen, dass er noch nie in so einer Lage gewesen war, die ihn dermaßen überforderte – nicht einmal damals, als er Herr Mizuhara das erste Mal begegnet war, war er so ratlos gewesen wie jetzt. Auch Hitoshi hatte ihm bisher eine Antwort auf die zermürbende Frage in seinem Kopf gegeben, nachdem er ihm erzählt hatte, in wessen Gesellschaft er Max gefunden hatte. Dafür kehrte Hitoshi nun mit zwei Bechern kaltem Tee aus der Küche zurück. Einen davon hielt er Kai hin: „Hier, du musst mal was trinken.“ Doch der Sitzende lehnte ab, ohne ihn anzusehen, indem er einfach nicht reagierte. Seufzend stellte der Lehrer das Getränk auf dem hölzernen Beistelltisch neben dem Sofa, auf dem Kai saß, ab. Stumm sah er sich im Raum um: Seit vier Jahren lebte er selbst nun schon auf dem Anwesen der Mizuharas und unterrichtete Max. Er hatte Yuuto Mizuhara durch seinen eigenen, inzwischen verstorbenen Vater kennen gelernt. Die beiden waren befreundet gewesen. Und obwohl der Hausherr rund zwanzig Jahre älter war, zollte er ihm, Hitoshi, einen außerordentlichen Respekt. Vielleicht sah Yuuto ihn als Ersatz für seinen alten Freund an und hatte ihn deshalb nach Abschluss seines Studiums, als Privatlehrer für Max eingestellt. Und auch wenn er noch zwei weitere Jahre neben dem Beruf hatte studieren müssen, um Max ein weiterreichendes Wissen vermitteln zu können, bereute er seine Entscheidung, hier zu bleiben und sich einem einzelnen Schüler zu widmen, nicht. Es war ihm allerdings recht schwer gefallen, sich hier einzugewöhnen – doch so war es allen Angestellten anfangs ergangen. Das Haus der Familie war im westlichen Stil erbaut und eingerichtet worden, was für jeden, der hier ein und ausging und nicht wusste, dass Frau Mizuhara amerikanischer Abstammung gewesen war, äußerst gewöhnungsbedürftig war. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich an das Sitzen auf Stühlen und das Schlafen in Betten. Und inzwischen verstand er, warum Max’ Vater die westliche Kultur in dieser Hinsicht so mochte und nicht nur seiner Frau das Einrichten des Hauses überlassen hatte, sondern sogar ein Haus, das vollkommen anders war als die Häuser der Umgebung, um nicht zu sagen als die Häuser Japans, hatte bauen lassen. Auch die Arbeitskleidung der Angestellten war alles andere als die traditionell japanische. Er wollte jedem zeigen, wie weltoffen er war – und das war Yuuto Mizuhara wirklich, hatte er schließlich nicht nur Kai aus Russland mitgebracht, sondern ihn auch mit der Aufgabe betraut, auf Max aufzupassen. Wie viele Japaner würden schon einem Russen das eigene Kind anvertrauen? Nun gut, Kai war Halbrusse, aber er war in Russland aufgewachsen und wäre demnach von so manchem Einheimischen nicht mit allzu weit offenen Armen empfangen worden – besonders, wenn man dann noch seine Vergangenheit kannte. Aber der Hausherr war anders als die meisten seiner Landsmänner – und das schätzten seine Angestellten an ihm. Auch Takao, Hitoshis kleiner Bruder, war ihm äußerst dankbar, dass er ihn, obwohl er die Schule abgebrochen hatte, nach dem Tod ihres Großvaters, bei dem er bis zu seinem Tod gelebt hatte, aufgenommen hatte und ihm eine Perspektive gab. Max’ Vater war wirklich ein guter Mensch, der in seinen Mitmenschen immer etwas Positives sah und jedem eine Chance bot. Nur in Bezug auf seinen eigenen Sohn wirkte er eiskalt. Dabei war Hitoshi sich sicher, dass er ihn liebte – ihm dies nur nicht so zeigen konnte, wie es seine Frau hatte tun können. Und er litt immer noch unter dem Tod seiner Gattin – möglicherweise ein Grund, warum er sich nach ihrem Ableben in die Arbeit gestürzt und die Verantwortung für Max Anderen übergeben hatte. Manchmal wünschte der Lehrer sich, sein eigener Vater würde noch leben. Er könnte seinem alten Freund vielleicht helfen. Doch der Tod war etwas endgültiges – das war Hitoshi bewusst. Doch es fiel ihm nicht leicht, Max - und Kai, der litt, weil Max unglücklich war, leiden zu sehen. Nur was sollte er tun? Mehrfach hatte er schon darüber nachgedacht, an Stelle seines Vaters mit Yuuto zu reden. Doch wahrscheinlich hatte er nicht das Recht dazu, über solch privaten Dinge mit ihm zu sprechen – er war eben nicht sein Vater. Manchmal fragte Hitoshi sich auch, ob es richtig gewesen war, die Stelle hier anzunehmen. Vielleicht hätte er lieber woanders gelehrt. Aber hätte Max trotz der Entführung, die dafür gesorgt hatte, dass sein Vater ihn regelrecht einkerkerte, dann weiter auf die Privatschule, die er bis zu jenem Tag besucht hatte, gehen dürfen? Wahrscheinlich nicht, denn dann wäre wohl irgendein Anderer an seine Stelle getreten. Und dann hätte er außerdem Kai vielleicht niemals kennen gelernt. Hitoshi nahm mit nachdenklicher Miene einen Schluck aus seinem Becher: Überhaupt, wie wäre Kai ohne ihn zurecht gekommen? Schließlich hatte Hitoshi sich als erster dem verschwiegenen Jungen, der von heute auf morgen in Japan statt in Russland zu leben gehabt und nichts und niemanden hier gekannte hatte, angenommen. Er hatte ihm geholfen, die wenigen Japanischkenntnisse, die er aus seiner frühen Kindheit durch seinen japanischen Vater noch hatte, auszubauen. Heute sprach der Graublauhaarige fließend ihre Sprache, wenn auch mit Akzent, der Hitoshi aber alles andere als störte. Und auch ansonsten hatte Kai sich mit seiner Hilfe schnell eingelebt – zugegeben, Stühle und Betten waren verständlicher Weise für ihn keine Neuheiten mehr gewesen, als er hierher gekommen war. Aber obgleich er ihm nun geholfen hatte, zählten für Hitoshi inzwischen nur noch die Gefühle, die sie füreinander hegten. Ihre Beziehung hatte mit Kais Mundfaulheit begonnen. Es war eine der ersten Stunden Japanischunterricht gewesen. Zu Beginn hatte Kai dabei gesessen, wenn Max Unterricht gehabt hatte, doch da der Lehrer der Auffassung gewesen war, dass das nicht ausreichend gewesen sei, um Kai schnell ihre Sprache vollständig beizubringen, hatte er ihm nach einigen Monaten in den späten Abendstunden, wenn Max bereits schlief, Privatunterricht erteilt. Anfangs hatte der junge Russe nur halbherzig gelernt und Hitoshi hatte kurz davor gestanden, gegenüber Kais Sturheit zu kapitulieren. Doch er hatte durchgehalten und den Jungen dazu bringen können, sich mehr zu bemühen – mit Erfolg. Und während Kai mehr und mehr gelernt hatte, waren sie sich näher und näher gekommen, bis die rubinroten Augen des Jüngeren den Lehrer irgendwann vollkommen gefangen genommen hatten. Hitoshi musste jedes Mal schmunzeln, wenn er an ihre erste gemeinsame Nacht, die nicht allzu lange auf sich hatte warten lassen, denken musste. Kaum hatte er Kais eisernen Willen, nicht lernen zu wollen, gebrochen gehabt, hatte er vor dem nächsten Problem gestanden: Wie bändigte man einen bockigen, achtzehnjährigen Dickkopf, der immer selber bestimmen wollte, wo es lang ging, im Bett? Doch auch hier hatte der Blauhaarige ihn erfolgreich gezähmt. Und nun, drei Jahre später, verlief ihre Beziehung ohne größere Probleme. Sie waren glücklich - bis auf die Sache mit Max. Hitoshi sah aus dem Augenwinkel zu seinem Geliebten hinab. Dieser starrte immer noch auf die Uhr. Der Lehrer wusste, wie schlecht es ihm ging und wie verzweifelt er im Moment war – er kannte Kai inzwischen einfach zu gut, um es nicht zu wissen. Er saß hier und zerbrach sich den Kopf, um einen Weg zu finden, das, was er getan hatte, wieder gut zu machen. Denn wenn Yuuto Mizuhara von dem Vorfall erfahren würde, würde Kai, bei aller Weltoffenheit des Hausherrn, nicht nur seine Leibwächteraufgabe verlieren, sondern alles, woran er hing: Makkusu, ihn und mit ihnen sein ganzes Leben. Zumindest befürchtete er das. Und auch wenn er wusste, dass Hitoshi dies nie zulassen würde, hatte Kai vor einer Sache wirklich Angst: In seiner Lebensgeschichte zurückblättern und das dunkelste Kapitel seines Lebens noch einmal aufschlagen zu müssen. _________________________________________________________________ So, da bin ich wieder. Endlich kann ich nach meiner OP an einer Hand wieder halbwegs schreiben. >_<' Hoffe, es hat euch gefallen, mal etwas mehr über Hitoshi, seine Beziehung zu Kai und seine Gedanken zu erfahren. Ly x3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)