Firebird Sweet
Abi stammte von einer langen Reihe von Phönixyoukai ab, die Tochter eines stolzen Geschlechts, deren Leben ewig schienen und die den Tod nicht fürchteten, denn er war für sie nur ein Freund, der sie besuchen kam und dann wieder ging, ohne sie mit sich zu nehmen. Es gab welche unter ihnen, die starben und nicht wiederkamen, missbraucht im Sterben oder in jenem totenähnlichen Schlaf, aus dem sie nach einiger Zeit wieder erwachten.
Ihr Lebensfunke war wie Glut, die unter schwarzer Asche ruhte und wieder aufflackerte, sobald die Zeit gekommen war, und manchmal zu einem rasenden Inferno anwuchs, oder zu einem starken Feuer, dass nicht einmal unter Regen verlosch.
Nur manchmal wurde jene Glut-unter-der-Asche ausgetreten und die Asche in alle Winde verstreut, die sie mit sich nahmen und weit, weit trugen, bis nichts mehr übrig war.
Abis Mutter war nicht lieb oder nett oder sanft. Sie war eine harte, kalte Frau in einer harten, kalten Welt. Sie war die Nestmutter, die Anführerin des Schwarms und das machte sie härter und kälter als alle anderen Mütter, die Abi kannte.
Nicht einmal ihrer Tochter gegenüber brachte sie besonders große Zärtlichkeit entgegen. Sie behandelte sie wie die anderen Jugendlichen und späteren Kriegerinnen des Schwarms. Da waren nur kleine Gesten, Handlungen, Sätze, die Abi zeigten, dass ihre Mutter sie liebte und die zeigten – was für die Tochter von größerer Bedeutung war – dass sie stolz auf sie war.
Für Abi war sie eine ferne Gestalt, eine Heldin und sie wollte stark und hart sein wie sie sein. Je älter Abi wurde, desto stärker wurde sie und desto höher stieg sie in den Rängen der Kriegerinnen auf. Je höher ihr Rang war, desto enger war se verbunden mit ihrer Mutter. Und desto enger war ihre Beziehung zueinander.
‚Mutter’ wurde ebenso zu einem Titel wie ‚Kriegsherrin’ oder ‚Nestmutter’. Für Abi war es beinahe genug, denn sie kannte kaum mehr. Da waren nur wenige geschätzte Erinnerungen an ihre Kindheit, wo sie weder Schülerin noch Kriegerin gewesen war.
Die kalten Zeiten, während der ihre Mutter sie unter ihre riesenhaften, flauschigen, warmen Schwingen geholt hatte.
Die donnernden Gewitter und die schweigsamen Dämmerungen, während denen sie ihrer Tochter vorgesungen hatte, keine Kriegsgesänge, sondern Wiegenlieder oder die alten, traurigen Liebesweisen ihrer eigenen Kindheit.
Die sternenklaren Nächte, wo sie gemeinsam unter dem tiefblauen Himmel gesessen hatten, mit dem klaren Mond und den hellen Sternen über sich.
„Siehst du sie, Abi, die Sterne?“
„Ja, Mutter.“
„Sei wie die Sterne, Abi. Sie zeigen die den Weg. Sei wie sie, fern und kühl und ewig.“
„Ja, Mutter.“
„Sieh genau hin.“
Und sie war wie die Sterne.
Als Abi das erste Mal eine Sternschnuppe sah, war sie am Boden zerstört. Warum sollte sie etwas sein, das so leicht verlosch? War sie nicht ein Phönix, der ewig lebte, ewig und wieder und wieder und wieder? Warum hielt ihre Mutter ihr ein so trügerisches Vorbild vor?
Sicherlich würde jeder der Sterne dort oben – so hell und fern sie auch waren und so ewig sie auch schienen – fallen und sein Leben beenden. Aber sie – sie würde ewig sein.
Für viele Tage sprach sie nicht mehr mit ihrer Mutter, bis diese sie wieder mitnahm auf den Gipfel ihres Berges und ihr die Sterne zeigte und wieder verlangte, sie solle wie sie sein. Nur diesmal sagte Abi: „Nein. Sie fallen und sterben.“
Und ihre Mutter lachte, jenes raue, wilde Lachen, das sie ihren Feinden schenkte, nur ohne jenen höhnischen Unterton. Sie zeigte an den Himmel. „Abi. Siehst du die Sterne? Siehst du sie fallen? Siehst du sie sterben?“
„Nein.“
„Siehst du sie leben? Siehst du sie kämpfen?“
„Nein.“
„Hast du sie gezählt?“
„Nein.“
„Fehlt dir einer von ihnen.“
„Nein.“
Und ihre Mutter zeigte gen Himmel, wo ein Stern fiel, und sagte: „Sie fallen und sterben. Aber niemals fehlt einer von ihnen. Sie sind ewig.“
Sie blickte zu ihrer Tochter hinunter, einem gegen ihre Größe winzigen, wunderschönen Mädchen mit rabenschwarzem Haar und glühenden Augen.
„Sie sind nicht unsterblich. Sie sind ewig.“
Niemals mehr nahm ihre Mutter sie mit auf den Gipfel der Berge um die Sterne anzusehen. Denn bald darauf wurde Abi zu einer Schülerin und ihre Mutter wurde ihre Kriegsherrin. Aber Abi vergaß niemals.
Die Sterne.
Das Fallen und Sterben.
Den Unterschied zwischen Unsterblichkeit und Ewigkeit.
Abi folgte den Ratschlägen ihrer Mutter und den Weisungen der Sterne, die ihr zeigten, wie man fern und kalt war und so hart wurde wie ihre Mutter. Sie wuchs heran und wurde zu einer Kriegerin, auf die man noch stolzer sein konnte, stark und loyal zu einer einzigen Person, die ihre Kriegsherrin war. Sie folgte den Weisungen der Sterne, die ihr zeigten, wie man ewig wurde und unendlich.
Doch auch die Phönixyoukai waren nicht unsterblich, nur ewig, und auch dies längst nicht alle. Abi sah einige fallen und sterben und sterben, dass sie nicht wieder erwachten und die Glut-unter-der-Asche verlosch. Und der Wind trug sie mit sich bis sie nicht mehr waren, nichts mehr von ihnen.
Die Phönixyoukai wurden in alle Himmelsrichtungen zerstreut, während Kämpfen und Kriegen und der Schwarm wurde kleiner und kleiner und brach auseinander. Sie konnten nicht überleben, wenn sie zu wenig waren. Youkai und Menschen warteten nur darauf, jede unvorsichtige, schwache Gruppe zu zerstören.
Schließlich waren nur noch Abi und ihre Mutter da, die Kriegsherrin und ihre beste Kriegerin, ihre Nachfolgerin über ein Heer, das längst nicht mehr stand. Aber sie lebten und starben und waren ewig und wie die Sterne.
Dann kam der Tag, an dem Naraku ihre Mutter tötete und tötete und den Körper ihrer Mutter vernichtete; der Tag, an dem er ihr Leben stahl und ihre Glut-unter-der-Asche zerstörte und damit einen Weg schuf in die Welt des Jenseits. Abi sah es erst viel später, diese Vernichtung des Feuers.
Denn als sie die Augen aufschlug nach ihrem eigenem Tod und nicht ihrem Tod, war das erste, was sie sah ein Hagel von fallenden und sterbenden Sternen.