1. Teil: Umbramoris
Ginnys POV
Ich sitze auf einer Bank in Hogwarts’ Innenhof und langweile mich. Mein letztes Schuljahr hat vor drei Wochen begonnen und nichts passiert, die Stunden fließen wie zäher Karamell an mir vorbei und die Minuten kommen mir vor wie Ewigkeiten. Man hat die Wahl zwischen der Schockfrosch-Karten-Tauschbörse oder dem Koboldstein-Club.
Oder Luna Lovegood…
Diese stellt sich gerade vor mich und ein Schatten fällt auf mein Gesicht, das ich bis grade genießerisch in die letzten, wärmenden Sonnenstrahlen gehalten hatte. Ich sehe hoch, kann aber nur ihren Umriss gegen die Sonne erkennen.
„Dir ist langweilig“, sagt sie langsam und träumerisch. Es ist eine Feststellung, keine Frage, darum antworte ich auch nicht.
„Warum eigentlich? Die Welt ist doch so spannend… Mir ist nie langweilig“, erklärt sie, und setzt sich neben mich auf die Bank.
Ach du meine Güte, Loony in Laberlaune… es war doch bisher wenigstens ein ruhiger Nachmittag.
Ich stoße einen Laut zwischen einem zustimmenden Brummen und einem Knurren aus und Luna erzählt einfach weiter.
Ich sehe sie an, höre ihr aber nicht wirklich zu. Was tut man nicht alles für seine Freunde…
"… willst du?“
Was will ich?
Ich hab ihr, wie gesagt, nicht zugehört, denke mir aber, dass was immer Luna mit mir machen will nicht gefährlich und garantiert nicht langweiliger sein kann als dieses Rumsitzen.
Ich nicke.
Sie zückt den Zauberstab und murmelt „Vides amorem.“
Nichts passiert.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Luna springt für ihre Verhältnisse schnell von der Bank auf und mich lächelt träumerisch an.
„Wir sehen uns beim Abendessen“, haucht sie und geht sich immer wieder nach mir umsehend davon.
Ich zucke mit den Schultern und wende mich wieder der Sonne zu. Kommt es mir nur so vor, oder ist sie in den letzten Minuten tatsächlich wärmer und heller geworden?
Ich bleibe auf der Bank sitzen und betrachte die Wattewolken am Himmel, bis die Sonne hinter die Dächer des Schlosses sinkt und den Innenhof in länger werdenden Schatten bevölkert.
Ich merke, dass ich friere und beschließe, in die Bibliothek zu gehen und meine Zaubertrankaufgaben zu überarbeiten.
Snape ist zwar im Krieg draufgegangen, aber der neue Tränkemeister ist ein ebenso miesepetriges Schattengewächs wie der Alte und nicht minder streng. Muss am Beruf liegen… Oder sind die beiden etwa verwandt?
Ich schaue kurz in einem Mädchenklo vorbei, um meine Frisur zu richten. Unzufrieden zupfe ich an meinen Haaren rum. Ein prüfender Blick in den Spiegel und…
Ich fahre herum. Da ist nichts. Ich runzle die Stirn. War da eben nicht eine Stimme?
Oder auch nicht, denn ich bin das einzige Mädchen in dem Vorraum zu den Toiletten. Nur die maulende Myrte hockt in einer der hinteren Kabinen und heult sich die Augen aus dem Kopf.
Ich will mich gerade davon schleichen, als ich die Stimme schon wieder höre.
„Lass mich, Luc. Ich hab keine Lust mit dir zu streiten“, sagte eine Frau und ich sah mich suchend um.
„Was wollte Potter von dir?“, zischte eine andere, dem Klang nach männlich.
„Ich komm klar, du brauchst mich nicht beschützen! Ich kann mich wehren!“, fauchte die erste Stimme und Schritte hallen auf den Fliesen wieder.
„Lily, geh nicht. Bitte“, sagte der Mann, und klingt plötzlich erschrocken.
Und dann kann ich sie sehen.
Ein junger Mann, wahrscheinlich ein Siebtklässler aus Slytherin, steht vor mir. Ich würde einen Eid darauf schwören, dass ich ihn noch nie gesehen habe… oder doch, denn seine Haarfarbe und seine Gesichtszüge gleichen denen Malfoys, der allerdings vor einem halben Jahr seinen Abschluss gemacht hat.
Ich bin verwirrt und hoffe durch die andere Person eine Erklärung zu erhalten. Also drehe ich mich um und sehe… MICH!
Na gut, fast mich. Das Mädchen, das vor mir steht, ist mir ähnlich Sie hat rote Haare und eine ähnliche Gesichtsform wie ich... sie ist hübscher als ich, wie ich neidvoll zugeben muss. Ihre Haare sind länger und ihre Lippen voller.
Aber unschlagbar sind ihre Augen. Augen, die ich liebe, Augen, die mich schon oft vertrauensvoll und verliebt angesehen haben.
Ich hebe die Hand und versuche das Gesicht zu berühren, aber ich greife hindurch wie durch einen Geist.
Ich blicke über die Schulter zu dem Mann, der einige Schritte näher getreten ist und die Hand an das Kinn der Frau gelegt hat und somit direkt durch meine Brust greift und die Erkenntnis trifft mich wie der Schlag von Thors Hammer zur Weltendämmerung.
Ich keuche und weiche zu Seite aus und fast, als hätte ich die ganze Zeit im Weg gestanden, zieht Lucius Malfoy Lily, zu dem Zeitpunkt wohl noch Evans, an seine breite Brust und küsst sie vernichtend zärtlich.
Ich blinzle und plötzlich verschwimmt das Bild und verschwindet.
„Was willst du hier? Und was starrt du so?“, fragt jemand hinter mir und mein Herz rutscht mir in den Magen, um von dort ungehindert auf die dreckigen Boden-Fliesen zu klatschen.
„Myrte, musst du mich so erschrecken?“, fahre ich den Geist an, nachdem ich es wieder eingesammelt und an seinen Platz zurück befördert habe.
Sie sieht mich an und ist scheinbar darüber erfreut, dass es ihr gelungen ist mich hochzunehmen.
Ich sehe sie an und bevor sich der Gedanke zu Ende geformt hat, spreche ich ihn auch schon aus. „Stimmt es, dass Lily Evans und Lucius Malfoy zusammen waren?“
Myrtes feixende Miene bricht in sich zusammen, wie eines von Rons explodierenden Kartenhäusern.
„Ja, sie haben sich immer hier getroffen“, greint Myrte und verzieht das Gesicht. „Sie haben knutscht und sich befummelt und irgendwann sind sie sogar in die letzte Kabine gegangen und haben- na ja, du weißt schon was gemacht“, sagt sie mit einem Blick in meine Richtung.
Ihre Stimme wird zu Ende hin immer leiser und die letzten Worte kann ich nur noch erahnen.
Dann macht sie kehrt und stürzt sich laut klagend in eine Kloschüssel.
Ich sehe ihr verständnislos nach und versuche die Informationen zu verarbeiten, die ich grade erhalten habe.
Völlig fertig lasse ich mich auf die Bank am Gryffindor- Tisch sinken und schaufle mir kraftlos ein paar Kartoffeln auf den Teller. Eine Hand nimmt mir den Löffel ab und tut noch etwas Gemüse und Fleisch dazu.
Ich sehe auf und blicke in Lunas funkelnde Augen. „Wen hast du gesehen?“, fragt sie mich mit ihrer üblichen ätherischen Stimme neugierig, als sei es vollkommen normal Szenen aus der Vergangenheit zusehen, als sei man in einem Denkarium gesprungen.
Ich nehme vorsichtig eine einzelne Erbse auf die Gabel und stecke sie mir in den Mund.
„Lucius Malfoy und Lily Evans- Harrys Mutter“, sage ich langsam und beobachte ihr Gesicht.
Die sonst so verträumten Augen verlieren schlagartig ihren abwesenden Ausdruck und in ihnen funkelt eine Abenteuerlust à la Weasley- Zwillinge.
Dieser Sinneswandel ist an meiner Freundin fast schon unheimlich und ich rücke ein Stück von ihr ab.
„Danke“, sagt Luna, die mein Unbehagen scheinbar nicht bemerkt hat, stellt ihren Teller neben meinen auf den Tisch und setzt sich auf die Bank.
Sie nimmt sich etwas von der Pastete und sieht mich dann wieder mit ihren großen Augen gespannt an.
„Wo?“, fragt sie, als seien wir mitten im Gespräch, und ich brauche ein paar Sekunden, um zu begreifen was sie meint.
„Im Klo der maulenden Myrte“, antworte ich und werfe meiner Freundin einen Blick zu. Luna grinst verschlagen, was fast schon unheimlich ist.
Ich bin erstaunt über diese neue Seite an meiner Freundin, die durch das Funkeln in ihren Augen und der entschlossenen Miene nicht nur, wie früher, einen besonders merkwürdigen, sondern einen komplett irren Eindruck hinterlässt.
„Willst du wissen, welches geheime Paar ich am besten finde?“, flüstert Luna, als wir nach dem Essen an die Stelle kamen, an der wir uns trennen müssten, um zu unseren Schlafsaalen zu kommen.
Ich zögere. Ich bin müde und immer noch ein wenig verwirrt und ich bin mir nicht sicher, ob ich Lunas Lieblingserinnerungsschatten überhaupt sehen möchte.
Dann gebe ich mir einen Ruck. „Wenn es nicht lange dauert.“, sage ich unbestimmt.
Sie schüttelt den Kopf und zieht mich am Ärmel meines Umhangs durch die verlassenen Korridore hinter sich her.
Die Sonne ist dem Horizont schon so nahe, dass die Flure im Halbdunkel liegen und unsere Schatten lang gezogen über die Wände, Rüstungen, Statuen und Wandbehänge huschen, wenn wir vorübereilen.
Wir kommen in den verbotenen Nordturm und ich folge widerwillig Luna die unendlich langen Treppen hinauf.
Sie bleibt auf einem unscheinbaren Absatz stehen und hantiert an einer Statur herum, die einen äußerst hässlichen alten Kobold darstellt. Luna zieht an einem Finger, der eher einer Klaue ähnelt und eine Wand fährt in die Höhe und gib einen wunderschönen Balkon frei.
Wir warten und der Treppenabsatz ist in rot glühendes Abendlicht getaucht, als sich die ersten Umrisse zweier Gestalten in der Dämmerung ab zeichnen.
„Schon wieder Lily?“, frage ich als ich die flammend rote Mähne sehe, die einer geisterhaften schönen Frau über den Rücken fallen.
Luna lächelt verträumt, schüttelt aber den Kopf.
Ich husche aus unserer Nische, nachdem ich mich vergewissert habe, dass sonst niemand in der Nähe ist und trete auf den Balkon hinaus.
Luna folgt mir langsam, aber ich beachte sie nicht. Angestrengt versuche ich herauszufinden, wer das Paar ist, das, eng umschlungen, uns gar nicht zu bemerken scheint.
Ich gehe um es herum und kann die Beiden jetzt von der Seite sehen. Lily Evans und Lucius Malfoy, wieder rote und blonde Haare. Ich lege den Kopf schief, strenge meine Augen an und versuche in den letzten Sonnenstrahlen die durch das eng umschlungene Paar hindurch scheinen, die Gliedmaßen den Personen zu zuordnen.
Sie lösen sich sanft von einander und erst jetzt bemerke ich, dass die Proportionen gar nicht stimmen. Ich blinzle und mein anderes Ich tut es mir nach.
„Wann...“, drehe ich mich zu Luna um „soll denn das passiert sein?“
Sie lächelt ihr geheimnisvolles, träumerisches Lächeln und tritt einen Schritt auf mich zu.
„Jetzt“, haucht sie und ihre weichen Lippen legen sich auf meine…
THE END
