Denn am Ende steht... von Leira ================================================================================ Kapitel 26: Tot geglaubte... ---------------------------- Guten Tag, allerseits :D Ich seh schon, ihr seid zu schlau für mich ^^; Allerdings war es auch nicht wirklich mein Anliegen, euch von Shinichis Tod zu überzeugen; ich wollte lediglich den Boss übers Ohr hauen. Nun… ich danke an dieser Stelle sehr, sehr herzlich für eure Kommentare! In diesem Sinne, viel Vergnügen mit Kapitel 26, Liebe Grüße, Leira :D __________________________________________________________________ Die Tür fiel ins Schloss. Sharon zog eilig eine kleine Spritze aus der Innentasche ihres Mantels, zog die Kappe ab, presste ein paar Tropfen der Flüssigkeit heraus, um sicherzustellen, dass keine Luft in seinen Blutkreislauf gelangte, kniete sich neben ihn und injizierte ihm das Mittel. Sanft schlug sie ihm an die Wange, beugte sich über ihm, um zu fühlen, ob er von allein atmete, das Medikament reichen würde; gleichzeitig drückte sie zwei Finger ihrer Hand an seinen Hals. Gerade begann sie panisch zu werden, als sie es hörte. Leises Seufzen. Dann holte er Luft, schwach zuerst; allerdings wurden seine Atemzüge von Mal zu Mal regelmäßiger und tiefer. Erleichtert atmete sie aus, strich sich ein paar Haare aus der Stirn. Das war knapp gewesen. Langsam begann sein Puls wieder fühlbar zu werden. Dann öffnete er matt die Augen, blinzelte, kam nach und nach immer mehr zu sich. Über ihm schwebte ihr Gesicht. Sharon lächelte zufrieden. „Was zur Hölle…?“, wisperte er. „Bleib liegen, Shinichi.“ Mehr sagte sie nicht. Er schluckte, starrte an die Decke. Er fühlte sich schrecklich, so matt, so kraftlos. „Was… was hast du getan, Sharon…?“, wiederholte er seine Frage in etwas abgewandelter Form. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, was gerade eben passiert sein könnte. Die blonde Frau, die gerade dabei war, die Unterlagen auf dem Tisch ihres Bosses umzuschichten, schaute ihn ernst an. „Das willst du nicht wissen.“ Stöhnend richtete er sich auf. „Was hast du mit mir gemacht? Ich hab ein Recht…“ Er brach ab, als ihm kurz schwindlig wurde. Er schloss die Augen, fuhr sich übers Gesicht, spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Sie hörte auf die Unterlagen zu durchsuchen, als sie sah, wie schlecht er aussah. Sie ging zu einem Schrank, holte ein Glas und eine Flasche Wasser heraus und schenkte ein. „Ich hab dich fast umgebracht. Fast, wohlgemerkt. Du warst nun… in einem Scheintod-ähnlichen Zustand. Atemstillstand und extrem schwacher Puls. Den kann man nicht mehr fühlen.“ Sie wandte sich ihm zu, hielt ihm ein Glas hin. „Nur Wasser. Du kannst es trinken.“ „Ich nehm von dir kein Getränk mehr an.“ Er schaute sie finster an, merkte, wie seine Zunge am Gaumen klebte, griff doch nach dem Glas. Gemächlich trank er aus, merkte, wie es ihm langsam wieder besser ging. Sie sah ihm zu dabei. „Du verstehst das doch. Ich musste es tun. Ich musste deinen Tod vorzutäuschen, wir wären sonst hier nicht raus gekommen.“ Er seufzte, zog die Augenbrauen zusammen. „Wir sind auch noch nicht draußen.“, bemerkte er trocken. „In der Tat.“, murmelte sie geistesabwesend, schaute sich suchend um. Shinichi warf ihr einen bösen Blick zu, rappelte sich hoch. Wut kochte in ihm hoch. „Wie konntest du? Verdammt noch mal, wie konntest du nur?!“ Er atmete heftig. Sie griff ihn an der Schulter, zog ich mit sich, drückte ihn in den Stuhl des Bosses. „Du solltest dich nicht aufregen. Noch nicht, heißt das.“ Er ächzte, schaute sie fassungslos an. „Du hättest mich fast umgebracht! Sharon, du gibst es auch noch zu! Wie konntest du…?!“ „Um dich zu retten, du dummer Junge…!“ Sie drehte sich ruckartig um, funkelte ihn ärgerlich an. „Ich muss dir doch wohl nicht erklären, dass die dich wirklich umbringen wollen! Also konntest du nur wählen zwischen sicherem Tod und… einem mit potentiell gültiger Rückfahrkarte. Es ging nicht anders, glaub mir…“ Sie schaute ihn an, ihre Gesichtszüge milderten sich ein wenig, als sie sah, wie blass er war. „Tut mir Leid, ich musste dich ausknocken. Sonst hätte uns das nie jemand geglaubt…“ Er starrte auf die Tischplatte, strich sich durch die Haare. „Das hält man ja im Kopf nicht aus…“ „Welcome to my world, darling.“ Sie schob den Sicherheitsverschluss wieder auf die Spritze, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte. „Sag mal… Wie konntest du das alles… planen?“ Er schaute sie skeptisch an. „Nun…“, begann sie genussvoll - man sah ihr an, wie begeistert sie eigentlich doch trotz des kurzen Schockmoments über ihrem neuesten Coup war. „Planen wollte ich schon lange, dich irgendwie hier rauszuschmuggeln. Als du aber geschafft hast, den guten Gin so gegen dich aufzuhetzen, dass er dir buchstäblich an die Kehle sprang… und der Boss ihn dadurch bestrafte, in dem er ihm das Privileg nahm, dich umzulegen… und stattdessen mir diese Aufgabe stellte, um mich zu testen, wahrscheinlich – mein Verhalten als man dir das Gegengift gab war wohl etwas seltsam, und ich bin mir sicher, Gin hat ihm da auch einen Floh ins Ohr gesetzt… Na, auf alle Fälle, als er aus dem Weg war, kam mir diese brillante Idee, my dear.“ „Brillant ist was anderes, Sharon.“ Er zog missbilligend die Augenbrauen in die Höhe. Sie ließ die Injektionsnadel wieder in ihrer Mantelinnentasche verschwinden. „Weißt du, cool guy, der Film an sich war eigentlich als Warnung gedacht - dass aber diese Szene hier noch so gut passen würde, hätte ich mir selbst nie erträumt. Ich kann dir sagen, wir tragen hier nicht alle umsonst diese alkoholischen Decknamen - der Boss hat dafür ein Faible. Darum war er für diese Idee auch so leicht zu begeistern.“ „Aber musstest du mich deswegen gleich… gleich…fast…“, er senkte seine Stimme, „… um… umbringen, Sharon? Ich meine, gesund kann das ja nicht gewesen sein…“, maulte er sie an. Sie zog eine Augenbraue hoch. „Gesund ist nahezu nichts, was du in letzter zeit so veranstaltest, Shinichi, darling.“, bemerkte sie schnippisch. Er warf ihr einen genervten Blick zu, atmete tief ein und wieder aus. Das war wirklich eine wahnwitzige Idee gewesen von ihr - diese Szene aus dem Film als Ansatz für seinen vorgetäuschten Tod zu nehmen… wahnwitzig. Und dann auch noch die Art und Weise, wie sie… Er warf ihr einen kalkulierenden Blick zu. Sharon sah mehr als nur zufrieden mit sich aus. Momentan lief augenscheinlich alles nach ihrem Plan. Sie stand da, das Abendlicht glänzte kupferrot in ihren Haaren, brachte sie zum Leuchten; die Arme hatte sie lässig vor der Brust verschränkt. Shinichi setzte sich auf, warf einen angeekelten Blick auf die Gläser, die noch auf dem Tablett standen. „Ist es denn wirklich keinem aufgefallen? Dass ich… nicht ganz tot war?“, fragte er nachdenklich. „Und warum tut mir eigentlich meine Seite so weh?“ Er rieb sich seine schmerzenden Rippen. „Nun, Gin und der Boss haben nach deinem Puls gefühlt, Atmung hattest du ja keine. Und da dein Herz so langsam und schwach schlug, hattest du keinen Herzschlag, den man fühlen konnte. Da unser Chef kein Mediziner ist, genauso wenig wie Gin, hat es funktioniert, wie du siehst. Und dein Todeskampf war auch spektakulär genug.“ Sharon grinste noch breiter, füllte das Glas noch mal mit Wasser und reichte es ihm. „Es musste sein. Schließlich war es unsere einzige Chance. Aber ich gebe zu, ich war ein wenig nervös… das Zeitfenster ist doch recht klein.“ Er zog genervt die Augenbrauen in die Höhe, schaute sie skeptisch an. Sharon verdrehte die Augen. „Du siehst das ein wenig sehr locker, meine Teure…“ Sie schien seine Bemerkung zu ignorieren. Ungerührt fuhr sie fort. „Außerdem war ausgemacht, dass der Gin nicht vergiftet ist. Alle waren sich sicher, dass du bestimmt nicht den Gin trinken würdest, so wie du und er euch hasst. Deswegen nahm einfach jeder an, dass du Geschichte bist, als du den Wermut getrunken hast. Nebenbei - Gin ist es auch gar nicht gewöhnt, irgendwelchen Leuten den Puls zu fühlen. Sein Test bestand darin, ob du schreist, wenn er dich in den Bauch tritt. Jetzt weißt du, warum dir deine Rippen wehtun, ich kann dir sagen, das sah schmerzhaft aus-…“ „War es wohl auch…“, stöhnte Shinichi leise, hielt sich kurz den Bauch. „Ist es noch…!“ „Nun, was ich sagen will, war eigentlich Folgendes.“ Sie seufzte, zog eine Schublade des Schreibtisches auf. „Ich war mir fast sicher, dass sie alle sofort gehen würden, als sie merkten, dass du nicht mehr atmest und keinen Puls mehr hast. Darauf hab ich gesetzt. Nur weil sie sehr bald gegangen sind, hat das geklappt. Aber du solltest dich nicht beschweren, wirklich nicht. Andernfalls wärst du nämlich, wie gesagt, richtig tot, jetzt. Hättest du den Gin genommen und überlebt, hätte man dich wahrscheinlich heute noch erschossen, auch wenn er was anderes gesagt hat. Du bist zu gefährlich und eine Belastung.“ „Aber wie konntest du ahnen, dass sie so schnell verschwinden? Ich meine, der Boss…“ „Tja, gerade der. Er konnte es gar nicht abwarten, deinen Tod zu feiern... du siehst ja, er ist noch nicht jenseits von Gut und Böse, er hat für Triumphparties noch was übrig. Und er wird wohl darüber nachsinnen, wie er deinen Tod am Schönsten publik machen kann.“ Sie lächelte süffisant. „Um ehrlich zu sein, ich hab ja mit dem Gedanken gespielt, dich wirklich ganz…“ Shinichi starrte sie fassungslos an, ächzte. „Tja, aber da wäre das Risiko eines Hirnschadens zu groß gewesen, und das kann ich nicht verantworten, erst Recht nicht bei dir, nicht wahr, cool guy? Also hab ich dich scheintot gemacht. Hat auch gereicht, wie man sieht.“ Sie hob mit zwei Fingern sein Kinn an, lachte, als er ihre Hand weg schlug. Er stand aus dem Stuhl auf, wankte kurz, dann ging er zu dem Tablett mit den Gläsern, beugte sich über sie. „War eigentlich auch eins vergiftet?“ Sie wandte sich kurz um. „Ja, alle anderen, außer eben dem Gin. Soviel von dem Zeug konnte ich nicht aus dem Labor klauen, ich musste drauf spekulieren, dass du den Wermut nimmst. Wir hatten ohnehin Glück, dass das mit dem Alkohol keine Wechselwirkungen gab. Ich frag mich, für was Brandy solche Mittelchen erfindet. Die Maus hat auch den Wermut gekriegt, übrigens. Sie wird wohl nie wieder aufwachen…“ Sharons Stimme klang gelassen. Über ihre Lippen huschte ein amüsiertes Lächeln, als sie seinen fassungslosen und gleichermaßen wütenden Gesichtsausdruck bemerkte. „Aber… wenn du also meinen Plan als aberwitzig und gefährlich empfindest, dann… solltest du zuerst mal dich an der eigenen Nase fassen. Mein Plan war nichts im Gegensatz zu deinem, denn Gin hätte dich fast erschossen, da unten. Viel fehlte nicht mehr, das weißt du. Trotzdem wäre es ohne nicht gegangen… hättest du nicht so gute Vorarbeit geleistet, wäre es um einiges schwieriger geworden, dich hier raus zu kriegen. Das eine bedingte das andere… wir können uns gratulieren. Wir haben hoch gepokert, mit Risiko gespielt und gewonnen. Wir hatten das bessere Blatt.“ Ihm wurde irgendwie anders. „Das Spiel ist aber noch nicht aus.“, bemerkte er dann leise, ließ seine Augen durchs Zimmer schweifen; verharrte dann bei ihrem Anblick. Sie hatte sich wieder abgewandt und durchwühlte den Schreibtisch. „Da hast du allerdings Recht.“, bemerkte sie und warf den Inhalt einer Schublade auf den Boden. „Und was suchst du da drin?“ „Den Safeschlüssel.“ Sie kramte noch ein wenig drin herum, zog alle anderen Schubladen aus dem Tisch- dann fluchte sie leise. „Er hat ihn mitgenommen.“ Shinichi schaute sie an. „Lass mich raten - in dem Safe liegen die Beweise für all die Taten der Schwarzen Organisation – genug Material, um sie für immer und alle Zeit hochgehen zu lassen?“ Seine Stimme klang leicht genervt. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, ehe er seinen Satz vollendete. „Was für uns heißt, wenn wir diesen Laden hochnehmen wollen, brauchen wir die Beweise, die in irgendeinem Safe gebunkert sind. Und die Schlüssel dazu hat er?!“ „That’s life, cool guy.“ Er stöhnte leise auf. „Was liegt denn genau in diesem Safe?“ Sharon wandte ihm ihren Kopf zu, schaute in musternd an. „Nun. Wie du sagst, es liegt zumindest allerlei belastendes Material da drin. Der Boss speichert alle Aktionen der Organisation, alle Formeln, alle Transaktionen, einfach alles, was hier passiert, auf Speicherkarten und externen Festplatten, um auf seinem Laptop und allen anderen Rechnern hier kein belastendes Material zu haben, falls doch einmal was passiert - falls das Quartier gestürmt wird, würde die Polizei nichts finden. Jeder trägt seine Karte immer bei sich – wenn sie voll ist, wird sie in den Safe gelegt. Niemals gelöscht, und niemals wird belastendes Material auf irgendeiner Festplatte eines Rechners gespeichert; Informationen, die noch gebraucht werden, werden auf die nächste Speicherkarte oder externe Festplatte übertragen. Zu dem Safe, in dem die Speicherkarten liegen, gibt es nur einen Schlüssel, und den hat der Boss. Jeder, dessen Karte oder Festplatte voll ist, schreibt dem Boss eine Mail und gibt das Speichermedium bei Champaign ab - Cognac höchstpersönlich schließt sie dann ein.“ Shinichi seufzte nachdenklich. „Schlau. Aber was ist mit den Speichern, die die Leute bei sich haben, wenn der Laden hier gestürmt wird?“ „Jeder hat die Anordnung, seine Karte sofort zu zerstören, wenn der Alarm ausgelöst wird. Gerät er in Feindeshand, zerstört er sie ebenfalls. Was den Safe betrifft - der steht nicht hier. Der ist woanders, und nur wenige wissen, wo er ist. Genauer genommen zwei - er, und…“ „Du?“ „Tja.“ Sharon lächelte kokett. „Wie du vielleicht weißt, bin ich der Liebling vom Boss, verbringe also viel Zeit mit ihm… und in einer, nun sagen wir, schwachen Stunde, hat er sein Geheimnis mit mir geteilt, mir von dem Safe erzählt und mir die Kombination verraten. Nur ist das ohne den Schlüssel nutzlos.“ Sie drehte sich verspielt eine ihrer blonden Locken um den Finger. Er schaute sie an, verständnislos. Ihr Verhalten erschloss sich ihm einfach nicht. Er verstand nicht, warum sie so ein Leben führen wollte. Ein Leben als Mörderin, als Handlangerin eines Psychopathen. Shinichi schluckte, als er ihr die Frage stellte, die ihn so lange schon beschäftigte. „Sharon, wann bist du so geworden? Warum bist du hier eigentlich…“ Ihr Lächeln gefror. Er wich unwillkürlich zurück. „Das geht dich nichts an.“, antwortete sie steif, wollte sich abwenden. „Aber…“, fing er erneut an. Ihr Kopf flog herum, Zorn funkelte in ihren Augen. „Das geht dich nichts an, habe ich gesagt! Hörst du schlecht? Du musst nicht alles wissen, Detektiv! “ Das letzte Wort spukte sie nahezu heraus. Er schaute sie fast mitleidig an. „Wenn du meinst, Sharon…“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Sich jetzt mit ihr zu streiten war dumm; anderes war weitaus wichtiger, in diesem Moment. Ihre Flucht, zum Beispiel. Er warf ihr einen letzten, forschenden Blick zu. Ich werde es auch so noch raus finden… Dann räusperte er sich. „Und wie kriegen wir nun den Schlüssel?“ Sie schaute ihn durchdringend an, als er das Thema wechselte. Irgendwie ahnte sie, dass in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen war. Doch auch sie beschloss, ihre Konzentration auf einen anderen Fokus zu legen. „Wir müssen ihn von Champaign und den anderen trennen. Du hast sie gehört, sie wollen den Sieg des Tages feiern - auf dein Ableben einen gepflegtes Tröpfchen trinken. Dazu sind sie bestimmt in den großen Salon gegangen. Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver für sie und die anderen - und ich seh zu, dass ich ihn irgendwo allein erwische. Ich nehme ihm den Schlüssel ab - und dann gehen wir.“ „Hört sich ja bestechend einfach an. Nur warum beschleicht mich das Gefühl, dass es das nicht ist?“ Er seufzte. „Nun…“ Sharon legte sich einen Finger nachdenklich ans Kinn. „Zuerst holen wir mal deine Sachen. Vielleicht fällt uns ja bis dahin was ein.“ Sie öffnete die Tür, prüfte sorgfältig, ob die Luft rein war - dann winkte sie ihm, ihr nachzukommen, und ging los. Sie bewegten sich zügig durch die Gänge. Jedes Mal, wenn sie um die Ecke bogen, ging sie vor, um zu sehen, ob die Luft rein war. Zwei oder drei Mal war sie es nicht - dann mussten sie umkehren, eine Alternativroute einen Stock über oder unter ihrem aktuellen Standort nehmen. Schließlich waren sie angekommen - sie hatten vor einer schmalen, unscheinbaren weißen Kunststofftür angehalten. Sharon drückte die Klinke runter, steckte ihren Kopf hinein - dann verschwand sie in dem Raum, packte ihn am Ärmel und zerrte ihn hinterher, sperrte ab. Sie standen in einer kleinen Kammer - an den Wänden reihten sich Spinde und Schränke. Die blonde Frau schloss die Tür hinter ihm ab, zog ihren Mantel aus und legte ihn auf den Tisch in der Mitte ab, strich sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn - dann fing sie an, die Schränke zu durchwühlen, bedeutete Shinichi mit einer ungeduldigen Handbewegung, es ihr gleichzutun. Er nickte stumm, begann konzentriert, einen Spind nach dem anderen systematisch zu durchsuchen. Und erschrak fast zu Tode, als ihm jemand von hinten eine schwarze Baseballmütze auf den Kopf drückte. Sharon drehte ihn um, zog sie ihm weiter ins Gesicht, dann setzte sie ihm eine schwarze Sonnenbrille auf die Nase, hielt im einen schwarzen Kurzmantel entgegen. „Probier ihn an, sieh zu, ob er passt.“ Shinichi zog sie die Brille von der Nase, verzog voller Ekel das Gesicht. „Was soll die Kostümierung?“ „Das ist bei uns das so genannte Novizenoutfit. Neueinsteiger kriegen nicht gleich diese Hüte und die langen Mäntel, so wie Gin und Vodka sie tragen. Und weil wir uns nicht ewig im Schneckentempo durch die Gänge schleichen können, wirst du etwas anziehen, was dich auf den ersten Blick als einen von uns erscheinen lässt.“ Damit drehte sie sich wieder um. Er seufzte, verdrehte die Augen - dann setzte er die Sonnenbrille wieder auf und schlüpfte in die Jacke. Irgendwo hatte sie ja Recht, auch wenn er ungern das Schaf war, das sich im Wolfspelz versteckte. Vom Wolf im Schafspelz konnte hier ja kaum die Rede sein - irgendwie wollte ihm die Vorstellung vom braven Wolf unter den mordlüsternen Schafen nicht gefallen. Dann öffnete er den nächsten Spind, zog die Tasche, die sich darin befand, hervor und lächelte erfreut. Volltreffer. Seine Sachen. Gerade wollte er es Sharon sagen, als er sich umblickte und sie nachdenklich ansah. Wie viel wusste er denn eigentlich von ihr? Wer sagte, dass sie ihn nicht doch noch hinhängte, wenn’s eng wurde? Wer sagte, dass sie sich nicht sofort aus dem Staub machen würde, sobald sie das Gebäude verließen…? Konnte er ihr wirklich glauben- ihr uneingeschränkt vertrauen? Er schluckte. Irgendwie kam er sich falsch vor, als er einen Mikroemitter aus den Tiefen der Tasche fischte, den Klebestreifen aktivierte und ihn am unteren inneren Saum von Sharons Mantel befestigte. Aber… Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sie war nichtsdestotrotz eine Mörderin. Eine reuige vielleicht - eine mit Skrupel - aber nichtsdestotrotz eine Mörderin. Und für Mord musste man bestraft werden. Er konnte sie nicht aus lauter Dankbarkeit davonkommen lassen - das wäre unfair gegenüber den Opfern, die durch ihre Hand ihr Leben hatten lassen müssen - ungerecht den Angehörigen gegenüber. Und nicht zu vergessen - sie hätte ihn und Ran erschossen, damals, wäre sie nicht selber fast abgestürzt. Und hatte sie nicht gesagt, sie hoffe, er würde sie noch zur Rechenschaft ziehen-? Sie ginge davon aus, dass er seine Versprechen auch hielt, seine Prophezeiung auch wahr machte…? Schön. Das kann sie haben. Er ging ein paar Schritte zurück, dann kippte er mit Schwung den Inhalt der Tasche auf den Tisch. Sharon drehte sich durch das Geräusch angezogen um, trat näher. „Hast du alles gefunden?“ Er nickte, schob sich wahllos die Sachen in seine Hosentaschen. Den Stimmenimitator, die Radarbrille, die Mikroemitter… das Detektivabzeichen. Die Schuhe warf er zurück in den Schrank - auf die konnte er nun gut und gerne verzichten. Dann stutzte er. Vor ihnen auf den Tisch lag die letzte Erfindung des Professors. Und dann wusste er, wie sie sie ablenken konnten. Wie sie den Boss, den Leitwolf, vom Rest des Rudels trennen konnten. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Sharon sah es mit Wohlwollen. Sie hatte Recht gehabt - wenn mit einem Menschen auf der Welt ihr Vorhaben gelang, dann mit ihm. Er hob den Kopf. „Hör mal zu, Sharon - ich hätte da eine Idee. Aber du musst mir sagen, ob das auch so klappen kann…“ Sie beugte sich interessiert nach vorn. Drei Kinder saßen auf der Wohnzimmercouch der Kudôs und nippten lustlos an ihrer heißen Schokolade. Das vierte Kind trank keine heiße Schokolade - Ai saß im Sofa wie ein Häuflein Elend und schwieg vor sich hin. Sie hatten von ihr schon lange nichts mehr gehört. Hieß das, er war bereits tot? Hieß das, der Deal war geplatzt, und Sharon sah zu, dass sie ungeschoren aus der Sache raus kam? Shinichi… Ai seufzte. Schaute ihre kleinen Finger, ihre kleinen Füße an. Dann stand sie auf und ging. Ohne ein Wort. Ran hatte Recht - sie konnte die Vergangenheit nicht zurückdrehen. Dafür war die Vergangenheit schon viel zu sehr ihre Gegenwart geworden, bestimmte bereits unvermeidbar ihre Zukunft. Und die konnte sie besser bestreiten, wenn sie wieder… wenn Shiho Miyano wieder auf den Plan trat. Sie war es ihnen schuldig. Ihrer Schwester. Ihren Eltern. Und Shiho… Shiho war nicht Sherry. Sherry war tot. Shiho war Akemis Schwester gewesen. Shiho Miyano… war an sich kein schlechter Mensch. Am Gang traf sie auf Ran, die einigermaßen verheult die Treppe herunterkam. Ai wusste, wo sie gewesen war - in seinem Zimmer. Schon wieder. Mit großen Augen schaute sie die junge Frau an. Und Ran verstand sofort, wischte sich die Tränen aus den Augen. „Also tust du’s doch?“ Ai nickte. „Ja. Du hattest Recht. Du hattest von Anfang an Recht… genauso wie er… man kann nicht vor seiner Vergangenheit weglaufen. Sie bestimmt unser Leben, sie macht uns zu denen, die wir sind. Ich kann mich verkleiden, maskieren, mir hundert andere Namen geben- aber ich werde immer Shiho Miyano sein. Ich kann es nicht ändern - aber ich kann Shiho ändern. Menschen ändern sich, das ist ganz natürlich.“ Ran nickte. Dann schluckte sie, schaute dem kleinen Mädchen fest in die Augen. „Möchtest du, dass ich mitkomme?“ Ai starrte sie an. Mit allem hätte sie gerechnet - nur damit nicht. „Willst du dir das antun? Wirklich?“ Ran lächelte sanft. „Du bist unsere Freundin, Shiho. Er hätte das sicher auch für dich getan.“ Shinichi setzte sich auf den Stuhl in der Schaltzentrale, warf einen amüsierten Blick auf das friedlich schlummernde Organisationsmitglied, das jetzt gefesselt und geknebelt in der Ecke lag. Diese Narkosepfeilchen waren wirklich eine feine Sache. Er hatte sich an den Mann, der gänzlich in seine Arbeit vertieft war, von hinten angeschlichen und ihm eins aus der Reserveschachtel, die er bei seinen Sachen gefunden hatte, in den Hals gedrückt. Dann begann er zu tippen - er musste es schaffen, die Alarmanlage und die Schließautomatik zu ändern. Ziel des Plans war, dass Sharon, wenn sie den Schlüssel hatte, ihm über das Detektivabzeichen Bescheid gab - er würde es über die Radarbrille hören. Dann musste er es nur noch schaffen, den Alarm zeitverzögert auszulösen - sie brauchten cirka zehn Minuten, um nach draußen zu kommen. Der Alarm machte den ganzen Laden dicht - nur wer das Passwort kannte, konnte den Alarmzustand aufheben. Und bis das der Fall war, würde die Polizei hier sein. Die Mitglieder, die gerade im Außendienst waren, würde man dann auch innerhalb weniger Zeit gefasst haben - soweit er es von Sharon erfahren hatte, waren alle Mitglieder auf den Karten gespeichert - ihre richtigen Namen, Photos von ihren Gesichtern, die Nummern ihrer Handys… Es würde nur eine Frage der Zeit sein, sie alle zu kriegen. Er seufzte. Eine kleine Vorrichtung zu bauen, die den Alarm nach zehn Minuten auslösen würde, war machbar - er brauchte dafür nur ein paar kleine Dinge, die alle vorhanden waren. Eine Zeitschaltuhr, die einen elektrischen Impuls aussandte, hatten sie aus dem Vorratsraum mit den Spinden mitgehen lassen, genau so wie eine kleine Menge C4- schließlich war die Organisation kein unbeschriebenes Blatt in Punkto Bombenbauen, zu welchen Zwecken auch immer. Er würde die Uhr auf fünfzehn Minuten stellen, und die Bombe neben dem klassisch roten Alarmknopf legen - der Druck würde locker reichen, um den Knopf einzudrücken. Er würde wohl ein Loch in die Konsole sprengen, was den gleichen Effekt hatte. Shinichi grinste. Der Alarm würde ausgelöst werden. Er musste jetzt allerdings etwas anderes machen - das alte Passwort knacken. Gedankenverloren kratzte er sich an der Stirn. Was könnte es sein…? Shiho lag auf dem Sofa in Professor Agasas Wohnzimmer und schlief. Ran saß neben ihr, wischte ihr mit einem feuchten Tuch über das Gesicht. Ihre Hand zitterte. Sie hatte ja am eigenen Leib erfahren, wie es war - aber dann tatsächlich jemanden so leiden zu sehen, das durchmachen zu sehen… Sie schluckte. Shinichi… Shiho hatte ihr erzählt, dass die Reaktion wohl umso schlimmer ausfiel, je länger der Betreffende dem Gift ausgesetzt gewesen war. Shinichi war demnach eindeutig der, der am längsten unfreiwillig verjüngt gewesen war - es musste die Hölle auf Erden gewesen sein für ihn. Ein leises Stöhnen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Shiho. Sie öffnete die Augen, versuchte, sich aufzurichten. Ran half ihr hoch. Ein paar Minuten herrschte absolute Stille. Shiho schaute nachdenklich an sich herab. Rans Kleider passten ihr ziemlich gut. Dann sah sie dem Mädchen, das gerade so tapfer bei ihr gewartet hatte, mit ihr gelitten hatte, ins Gesicht. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Nie hatte sie geglaubt, solche Freunde zu finden. Freunde wie Shinichi und Ran. Und zum ersten, allerersten Mal in ihrem Leben, wünschte sie sich ganz uneigennützig, dass er heil wiederkam. Für Ran. Denn er war ihr Freund… und sie hatten ihr Glück verdient. „Shiho…“ Ran schluckte, wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte sie trösten, aber traute sich nicht, sie in den Arm zu nehmen. „Danke…“, murmelte die junge rotblonde Frau. „Danke, Ran…“ Dann kam sie auf sie zu, umarmte sie. Ran schluckte, dann lächelte sie - und drückte ihrerseits die junge Forscherin an sich. „Nichts zu danken, Shiho. Dafür sind Freunde doch da…“ Shiho rückte wieder ein wenig ab. „Ich hab solche Menschen wie dich, Shinichi oder den Professor gar nicht verdient.“ Sie seufzte leise. „Und ich danke Gott, so es denn einen gibt, dass er mich doch anscheinend noch nicht aufgegeben hat, wenn er mir euch schickt. Ich hoffe wirklich, Ran…“ Eine weitere Träne rollte ihr über die Wange. Sie wischte sie unwillig weg, schämte sich fast. „Ich hoffe wirklich Ran, er kommt zurück zu dir. Ich hoffe wirklich, sie tun ihm nichts an… ich hoffe, ihr könnt noch glücklich werden, ihr hättet es so sehr verdient…“ Ran blinzelte, und nun war sie es, der eine kleine Träne aus dem Augenwinkel über die Wange rollte. Dann nickte sie. „Danke.“, flüsterte sie leise. Dann drehte sie beide gleichzeitig den Kopf - der Professor kam gerade mit einem Teetablett ins Wohnzimmer. „HA!“ Shinichi grinste über beide Ohren. Eigentlich war es gar nicht so schwer gewesen, nachdem er erst einmal das Programm gefunden hatte, das die Schließautomatik der Alarmanlage steuerte. Nach reiflicher Überlegung und einem Fehlversuch (‚Alkohol’), hatte er es gefunden. Das Passwort… es hieß Cocktail. Leute, ich sag’s euch ja, ihr seid so durchschaubar… Innerlich gratulierte er sich zu seiner Brillanz. Er war halt doch nicht umsonst der Retter der Japanischen Polizei - der Sherlock Holmes der Heisei-Ära. Nun musste er es nur noch umprogrammieren - was sollte er denn nehmen? Nun plagte ihn die Qual der Wahl. Er musste etwas nehmen, dass keinen gleich mit ihm verband- sie durften das Passwort ja nicht knacken. Also nichts, was typisch für ihn war. Rans Name, sein Name, seine Eltern, ihre Eltern, Ai, die Detective Boys, der Professor - das alles viel schon mal weg. Heijis und Kazuhas Namen auch. Die Bezeichnung des Gifts, Shihos Eltern und ihre Schwester Akemi, ebenfalls. Sherlock Holmes auch - man wusste, wer das große Vorbild von Shinichi Kudô war. Es war allgemein bekannt. Leider konnte er nichts mit Zahlen machen - dieses Passwort wollte rein alphabetisch, nicht in Schriftzeichen oder Numerisch eingegeben werden. Er warf einen Blick über die Schulter. Noch rührte sich der Mann nicht, aber lange würde das nicht mehr so bleiben. Er seufzte, warf einen Blick auf die Uhr des Computers. Vor gut zehn Minuten hatten er und Sharon sich getrennt. Er hoffte, sein Plan ging auf. Und dann fiel es ihm ein - das ideale Passwort. Vermouth indessen summte vor sich hin, dann sammelte sie sich, schlüpfte in ihre neue Rolle, als sie vor dem Salon angekommen war. Sie öffnete die Tür zum Salon schwungvoll, scheinbar außer Atem, damit auch ja alle ihre Ankunft bemerkten. Dann wandelte sich ihre Miene in ein schuldbewusstes Gesicht, sie schaute erschrocken drein, ihre Augen weiteten sich. „Boss!“ Der Angesprochene wandte sich ihr gutgelaunt zu. „Was ist, Vermouth?“ Sharon streckte ihre Hand aus, in die Richtung, in die sie blickte. „Er… er…“ „Wer?“ „Kudô!“ Sie stürzte ein paar Schritte nach vorn. „Er lebt noch…!“ Cognac erhob sich mit einem solchen Ruck, dass sein Stuhl umgekippte. Er warf ihr einen wütenden Blick zu. „Er ist doch tot! Ich hab seinen Puls gefühlt, er war tot.“ Er klang abgeklärt, warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Aber ich hab ihn gehört…“ Er ging zu ihr, winkte die anderen zu, ihm zu folgen. „Wo?“, presste er hervor. „Ich… ich hab ihn… eingesperrt. Im Keller... bis wir ihn uns endgültig vom Hals schaffen können. Ich hab gerade die Tür zu gemacht, da hat er gerufen und gegen die Tür geschlagen. Ich konnte gerade noch absperren. Er muss es wohl doch… irgendwie überlebt haben.“ Langsam stieg in ihm der Ärger hoch. Man sah, wie er vor Zorn erbleichte, in seine Augen ein harter Glanz trat. Er nickte den anderen Anwesenden zu. „Schön, ihr seht nach. Wenn er wirklich noch lebt, erschießt ihn. Ich bin mit meiner Geduld am Ende.“ Gin, Chianti, Wodka und Korn rannten los. „Und wir unterhalten uns. Du solltest ihn umbringen, und hast es anscheinend nicht getan. Mich würde interessieren, was nun schon wieder schief gelaufen ist.“, knurrte er finster. Er beherrschte sich nur mit Mühe, das merkte man ihm an. Sein Gesicht war weiß vor Zorn. „No, I don’t think so…“, wisperte sie leise, hob ihren Revolver mit einer Hand in die Luft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)