Denn am Ende steht... von Leira ================================================================================ Kapitel 8: Der Vorhang fällt... ------------------------------- Mesdames- Messieurs- Bonjour! Voilà, le huitième chapitre. J’espère que vous avez votre plaisir! So- nun hör ich aber auf, mich mit eingerostetem Französisch zu blamieren. Man möge mir eventuell falsch gesetzte accents verzeihen- mein Schulfranzösisch ist schon… äh. Wartet mal. Fünf Jahre her. Warum ich trotzdem französisch schreiben muss? Weil ich will ^^; Nunja- was dieses Kapitel betrifft, ich bin eher zwiegespalten. Und hochgespannt auf eure Meinungen- im Übrigen, vielen, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Ich hab mich wahnsinnig gefreut, ihr seid die Besten :) Nya. Enjoy yourself, Bis nächsten Mittwoch, verbleibe ich, wie kann es anders sein - eure Leira :D ______________________________________________________________________ Ran war außer Atem und heilfroh, als sie beim Haus des Professors ankam. Hinter jeder Häuserecke, in jeder dunklen Gasse hatte sie geglaubt, schwarze Schatten zu sehen, ein Streich, den ihr ihr völlig überreiztes Nervenkostüm spielte. Aber nun war sie ja in Sicherheit, fischte den Ersatzschlüssel des Professors von der Laterne an seinem Haus und ließ sich selber ein. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss- aufatmend ließ sie sich dagegen sinken, schaute ein paar Sekunden einfach nur in die vertraute Dunkelheit von Professor Agasas Hausflur, hörte nichts, außer ihrem eigenen Atem, spürte die solide Tür unter ihren Fingern, ihr Herz, dass ihr immer noch bis zum Hals schlug - dann machte sie das Licht an, ging in die Küche. Erschöpft machte sie sich eine Tasse Tee und setzte sich damit auf die weiße Couch im Wohnzimmer. Sie wusste, das war etwas unhöflich, aber sie brauchte jetzt dringend Tee. Wirklich dringend. Langsam trank sie die heiße Flüssigkeit, in kleinen Schlucken - merkte, wie mit jedem Schlückchen grünem Tee ein bisschen mehr Wärme in ihren Körper zurückkehrte. Langsam fiel die Anspannung, die seit dem Zeitpunkt, als sie mit der gefälschten Karte den Filmsaal mit kalten Klauen ergriffen hatte, von ihr ab. Gedankenverloren holte sie die zwei Kapseln aus ihrer Jackentasche und legte sie vor sich auf den Tisch. Puh- das war knapp gewesen. Wirklich knapp. Sie seufzte einmal mehr erleichtert auf und gratulierte sich zu ihrer Brillanz und Abgebrühtheit. Shinichi unterschätzte sie maßlos, aber das würde er noch bald genug erkennen. Dann hörte sie, wie jemand die Haustür aufsperrte und die Stimmen von Ai und Professor Agasa erklangen im Flur. Conan betrat die Wohnung. Alles war finster - Onkelchen schlief wohl schon, und Ran wahrscheinlich auch. Er gähnte. Langsam hatte er sich wieder gefangen, versuchte, den Tod des Detektivs im Film als harmlos zu sehen. Ganz gelang es ihm noch nicht. Irgendetwas steckte sicher dahinter. Er zog sie Augenbrauen zusammen. Und Ais Benehmen sowie das ebenfalls sehr seltsame Verhalten von Professor Agasa wollten ihm ebenfalls keine Ruhe lassen. Was hatte das heute zu bedeuten gehabt? Irgendetwas verheimlichte man ihm… irgendetwas ging da vor sich, von dem er keine Ahnung hatte - und von dem er auch nichts ahnen sollte. Aber er war wirklich zu erschöpft, um heute noch konstruktiv denken zu können. Er würde sich morgen seinen kleinen Kopf darüber zerbrechen. Er gähnte ausgiebig. Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Müde zog er sich um und legte sich auf seinen Futon neben Kogorôs Bett, der tatsächlich schon schlief - ärgerte sich einmal mehr über dessen unglaubliches Geschnarche - und lag kurz darauf ebenfalls in Morpheus’ Armen. Ai hätte weinen können vor Erleichterung, als sie Ran auf der Couch sitzen sah. Natürlich tat sie es nicht. Stattdessen kam ihr ein anderer Gedanke, und sie wusste nicht, woher, aber - es hatte etwas von einem modernen Kunstwerk, wie Ran so da saß, aufrecht in ihrem hübschen, roten Kleid, auf dem weißen Sofa, vor ihr die rot-weißen Kapseln… Rot wie Blut, weiß wie die Unschuld eines Engels… Ran stand auf. Sie warf dem Professor und Ai fragende Blicke zu. „Wo…?“ Die Frage brannte ihr noch immer auf der Zunge. Seit dieser einen Szene - sie wusste, es war dumm sich deswegen zu sorgen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Rein gar nichts. „Bei dir zuhause. Wahrscheinlich liegt er schon im Bett, er war ziemlich müde. Er wollte schon nicht mehr mit zum Pommes frites und Burger-Essen, aber wenn wir nicht dahin gegangen wären, wären wir vor dir zuhause gewesen.“, beantwortete Ai ihre Frage. „Und wie fand er den Film?“ Sie versuchte gelassen zu klingen, aber ihre Stimme zitterte dennoch. Diesmal übernahm der Professor die Antwort. „Er fand ihn wohl wortwörtlich zum Kotzen.“ Ran starrte ihn erstaunt an. Ai schaute ungläubig zu ihm auf. „War das jetzt Ironie, Professor?!“, wisperte sie erstaunt. „Du nicht auch noch! Was habt ihr heut denn alle?!“, fuhr sie der Professor aufgebracht an. „Zum Kotzen?“, wiederholte Ran fragend und zog damit die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf sich. „Nun“, murmelte Ai, „er fand die Idee mit dem Detektiven und Vermouth wohl nicht sehr amüsant.“ „Ich auch nicht.“, seufzte Ran. Dann erinnerte sie sich daran, warum sie sich den heutigen Abend eigentlich angetan hatte, und nahm eine der Kapseln vom Tisch, betrachtete sie eingehend. „APTX 4869…“, las sie vor. In winzigen Buchstaben war der Name aufgedruckt- auf der roten Hälfte stand in weißer Schrift APTX, auf der weißen in roten Ziffern die Nummer- 4869. Sie sah auf. „Ist es das?“ Ein Blick in Ais weit aufgerissene Augen genügte ihr. „Was heißt das eigentlich?“ „Apoptoxin.“, flüsterte Ai, nahm die zweite Kapsel in ihre Hand, ging rüber zu einem Regal und deponierte sie in eine Petrischale, hielt Ran die Schale auffordernd hin- aber die ging nicht auf das stumme Angebot ein, ihre Kapsel ebenfalls rein zu legen. „Und das heißt…?“, hakte Ran stattdessen nach und schaute das kleine Mädchen mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Toxin heißt Gift- wenn etwas toxisch ist, so ist demnach giftig. Und die Apoptose- so nennt man den Zelltod. Das Gift löst den Zelltod aus.“ Ran schaute die kleine Kapsel auf ihrer Handfläche an. „Zelltod?“ „Ja. Es sollen so viele Zellen sterben, dass der Körper nicht mehr lebensfähig ist. Bei mir und Shinichi ging das aus unerfindlichen Gründen schief, wie du siehst.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt die Petrischale noch höher. „Ran. Denk nicht dran. Leg sie jetzt da rein, bitte. Ich verspreche, ich beeile mich mit dem Gegengift…“ Ran zögerte, ließ ihre Hand etwas sinken, aber hielt die Kapsel noch fest. „Wie lange…?“ Ai starrte sie an. „Eine Woche?“ Das war eine glatte Lüge. Und noch schlimmer- Ran merkte es. Sie zog die Hand wieder zurück, hielt die Kapsel an ihre Brust wie einen kostbaren Schatz- schaute das kleine Mädchen vor ihr aus zusammengekniffenen Augen skeptisch an. „Du lügst mich an.“ Ai starrte sie wütend und verzweifelt gleichermaßen an. „Ja, verdammt, ich lüge dich an! Ja! Es wird lange dauern, bis ich es fertig habe, weil ich ausschließen muss, dass uns das Gegengift umbringt, vollendet, was das Gift nicht geschafft hat- vorher kann ich es ihm nicht geben. Und bis ich die Komponente gefunden habe, die den Schrumpfvorgang ausgelöst hat, kann es dauern. Wenn es überhaupt möglich ist, ein Gegengift zu finden- schließlich sollte es ja auch nicht schrumpfen, sondern sofort töten! Gegen den Vorgang der Apoptose gibt es kein Gegengift... Aber ich will nicht, dass du das Gift schluckst, also gibs her! Leg das Gift jetzt sofort in diese Schale!“ Ihre Stimme war hoch, überschlug sich. Der letzte Satz war ganz klar als Befehl formuliert worden- und war auch als solcher zu verstehen. Ran blickte sie starr an. "Es gibt vielleicht gar kein Gegengift?", hauchte sie tonlos. Das kleine Mädchen vor ihr war kreideweiß, zornentbrannt- ihre rotblonden Haare schienen zu lodern. In diesem Moment war Ai nicht Ai- sondern Shiho. Shiho, die wütend war, über soviel Unvernunft, soviel Unverständnis, soviel Dummheit. „Ran, gib das Ding her! Gib es endlich her! Es wird dich töten!“ Er saß über einem Skript, als er sie kommen hörte. Hörte knirschend Schritte über den Kiesweg zum Haus gehen, die zwei Stufen hoch, dann, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte… Die Tür ging auf, und wurde sehr leise wieder ins Schloss gedrückt. Weitere, dumpfe Schritte im Hausflur - und dann wurden aus den gerade noch schweren Schritten leichte, federnde Schritte, die sich näherten. Als sie schließlich aus den langen Schatten, die den Raum in Dunkel tauchten, in den sanften Lichtkegel der Schreibtischlampe trat, zog sie sich gerade die Maske vom Gesicht, nahm sich die grauhaarige Perücke vom Kopf. Er schaute kurz auf. „Du weißt, ich hasse das, Yukiko. Es sieht irgendwie abartig aus, wenn du dir dieses Silikonzeug von der Haut reißt.“ Sie erwiderte nichts. Trat nur noch ein Stück näher. „Und, wie war der Film? War er ihn der Vorstellung? War deine kleine Untersuchung denn erfolgreich?“, fragte er, strich wütend mit harschen Strichen ein paar Sätze durch. Sie fing an, sich ungeschickt Haarnadeln aus ihren zusammengesteckten Haaren zu ziehen. „Nein. Er nicht.“ Ihre Worte, obgleich verzweifelt um Beherrschung bemüht, klangen kratzig. Und erst jetzt, bei diesem Ton in ihrer Stimme, schaute er wieder auf. Sah, wie sie schluckte. Und erst jetzt, als sie fast vor ihm stand, bemerkte er es. Sah er, dass sie geweint hatte. Dass ihr Gesicht ungewöhnlich blass war. „Yuki?“ „Er war nicht in der Vorstellung.“, wiederholte sie leise. „Er nicht? Was meinst du damit? War jemand anderes da, außer- ich meine…“ Yusaku Kudô schraubte seinen Füllfederhalter zu. „Yukiko - warum hast du geweint?“ Sie schaute an die Decke, kämpfte um ihre Fassung. „Ran war in der Vorstellung. Sie saß neben mir.“ Sie ging um den Tisch herum. Er rutschte einen Schritt zurück, sie ließ sich auf seinen Schoß nieder, schmiegte sich an ihn. „Warum war Ran da?“ „Weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Shinichi- dass er es weiß. Er hat ja nur erzählt, dass er eine Karte hat- und nicht weiß, ob er gehen soll oder nicht, und dass wir auf uns aufpassen sollen, weil es sein kann, dass außer Vermouth auch noch andere in der Stadt sind. Sharon saß vor uns. Sie - sie war es wirklich. Er hatte Recht.“ Er strich ihr übers Haar. Er merkte, wie sie zitterte, ahnte, dass die Überraschung, dass Ran auf der Premiere gewesen war und die Enttäuschung, die Angst ob der Tatsache, dass Shinichi was Sharon betraf, Recht gehabt hatte, nicht alles waren, was sie so aufbrachte. „Was noch…? Was hat Ran zu dem Film gesagt, hast du mit ihr gesprochen? Hat sie dich erkannt?“ Sie drehte ihren Kopf, machte dann langsam die letzten Haarnadeln aus ihrer Frisur, ließ ihren nussbraunen Locken wieder ihren Willen. Dann schüttelte sie ihr Haupt. „Nein, ich hab nicht mit ihr gesprochen, und ich denke nicht, dass sie mich erkannt hat. Sie ist plötzlich weg, nach der Vorstellung. Als alle klatschten, muss sie wohl gegangen sein, ich hab nicht aufgepasst, weil ich… weil ich zu beschäftigt war, zu abgelenkt war durch Sharon. Als sie nach vorn ging, im Rampenlicht stand - es war fast wie an dem Tag, als sie ihren Oskar bekam. Sie hielt eine kleine Rede über den Film, über ihre Inspiration… dann war sie kurz weg, ging mit ihrer Begleitung nach draußen, kam aber bald wieder, ihr Begleiter kam erst ein paar Minuten zurück. Dann aß sie ein paar Häppchen, plauderte, trank ein Glas Rotwein... Ich bekam erst mit, dass Ran weg war, als eine Frau herein lief und panisch brüllte, dass auf der Damentoilette eine tote junge Frau liegt.“ Yusaku zuckte merklich zusammen. Er starrte seine Frau entsetzt an. „Sag nicht, dass- Yukiko, es war nicht,… oder?“ Sie schüttelte beruhigend den Kopf. „Nein, das dachte ich auch zuerst. Es war nicht Ran. Es war die Frau aus der Garderobe. Erschossen.“ Sie atmete tief durch. „Dann kam die Polizei, führte die Ermittlungen, fand die Tatwaffe in einem großen Blumenkübel. Wie sich herausstellte, hat eine völlig verwirrte, verängstigte Frau die Pistole in ihrer Manteltasche gefunden - und sie dann so entsorgen wollen. Als sie sie versteckte, war noch gar nicht klar gewesen, dass eine Frau tot war. Natürlich eine ganz falsche Reaktion…“ Yusaku nickte grimmig. Yukiko fuhr fort. „Sie hätte die Polizei rufen sollen. Das Dumme ist, nicht nur, dass die Pistole von ihren Fingerabdrücken übersät ist, nein - ihr Seidenschal, den sie laut eigener Aussage im rechten Ärmel ihres Mantels deponiert hatte, und der in einem Toilettenkasten gefunden wurde, wies ein Loch und schwarze Brandspuren auf.“ „Es wurde durchgeschossen, um Schmauchspuren zu vermeiden?“ „Ja, das sagt die Polizei.“ Yukiko nickte. „Yusaku, ich glaube nicht, dass sie es war. Sharon war es auch nicht, sie hatte dazu keine Zeit. Ich glaube, ihr Begleiter war es. Er sah… er sah aus, wie er uns Gin beschrieben hat.“ Unwillkürlich zog er sie fester an sich. Sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil - sie presste sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, so gut es eben ging. Und er ahnte, dass noch etwas im Busch war. Dass es noch etwas gab, was seine Frau zutiefst ängstigte. „Yukiko? Was ist los…?“ Er drückte sie an sich. „Was ist los…?“ „Der Detektiv in dem Film. Er…“ „Was…?“ „Er ist Shinichi wie aus dem Gesicht geschnitten. Ehrlich. Ich dachte für den ersten Moment, er wäre es, ich, seine Mutter…! Er sah ihm so unglaublich ähnlich…“ „Was ist mit ihm?“ „Er ist gestorben, Yusaku…“ Tränen liefen ihr erneut übers Gesicht. Er sagte nichts, streichelte seiner Frau nur unablässig übers Haar. Ran trat einen Schritt zurück. „Nein. Denn wenn deine Befürchtung wahr ist, dass es vielleicht nie eine Heilung gibt... dann muss ich es erst Recht tun. Und wenn ich warte- dann redet er es mir aus. Ich muss es tun. Jetzt...“ Ihr Verstand sagte ihr, dass Ai Recht hatte - und dass Shinichi wohl nicht wollen würde, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte. Aber diese Stimme war so leise - so leise, kaum hörbar im Vergleich mit der Stimme der Sehnsucht, die laut und klar aus ihr sprach, die verlangte, was ihr schon so lange vorenthalten worden war- Liebe. Die Zuneigung des Jungen, den sie liebte. Der sie liebte. Er konnte es von sich aus nicht tun - konnte ihr Verlangen nicht stillen, ihre Sehnsucht nicht lindern. Also musste sie ihm helfen. Musste sie so werden wie er. Musste sie die Brücke bauen. Ai legte den Kopf in den Nacken, seufzte tief. Als sie sie wieder anschaute, lag in ihren Augen Trauer und Sorge. „Ran, bitte. Bitte. Bitteee…! Nimm es nicht. Du wirst sterben, wenn du es schluckst, kein Mensch weiß, warum es nicht immer funktioniert.“ „Ich muss es aber versuchen… ich muss, für ihn. Er hat doch dieses Gegengift auch schon genommen, ohne zu wissen, ob er es überlebt. Warum darf ich nicht das für ihn tun, was er auch für mich tut…? Ai, wie oft soll ich es dir noch erklären? Also, wie nimmt man die am besten ein? Einfach so schlucken, oder lieber mit Wasser runterspülen?“ „Gar nicht!“, fuhr Ai sie erneut an. „Am besten nimmt man sie gar nicht ein!!!“ Der Professor war ebenfalls näher getreten. Ran schaute beide lange an. Ais Stimme kippte ihr weg. Ihre Hände waren eiskalt, ihr Magen schien Achterbahn zu fahren - ihr ganzer Körper, ihr ganzes Denken war benebelt von Furcht. Nicht auch noch Ran… wenn ihr was passierte, allein, wenn sie schrumpfte, würde Shinichi sie hassen, noch mehr, als er sie ohnehin schon verachten würde, weil sie Ran diese Aktion überhaupt erst ermöglicht hatte- dann würde sie den einzigen echten Freund wohl verlieren, den sie hatte - je gehabt hatte. Für immer. Aber - wenn sie starb, kam das dem Weltuntergang gleich für ihn. Und er würde neben sich selber auch ihr die Schuld geben, und zwar zu Recht. Wenn Ran starb… Ai schluckte. Sie mochte Ran. Sie war zwar ein wenig neidisch, und eifersüchtig, ja- aber Ran erinnerte sie an Akemi, ihre Schwester. Ran war ihr so ähnlich, kam einer älteren Schwester, besten Freundin, am nächsten. Sie durfte das nicht tun. Weil sie nicht wollte, dass sie es tat. Also versuchte sie noch mal, an ihre Vernunft zu appellieren. „Selbst wenn du schrumpfst - du kannst die Konsequenzen doch gar nicht absehen. Du weißt nicht, wie das ist. Shinichi würde nie wollen, dass du das tust… „Wir hatten das Thema doch gestern schon. Ich will so nicht mehr weitermachen…“, unterbrach die junge Frau das kleine Mädchen unwirsch. „Aber wenn du stirbst, Ran, überleg doch mal…“ Der Professor versuchte es mit gutem Zureden. Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Dann sterbe ich eben. Aber mit etwas Glück schrumpfe ich auch…“ Sie starrte die Kapsel hoffnungsvoll an, Ai hingegen blickte sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. „Glück? Glück nennst du das hier?!“ Sie atmete heftig, zerrte an ihren Haaren, ruderte mit den Armen, um ihre Lage zu verdeutlichen. „Glück? Weißt du, wie oft Shinichi wohl sein Glück schon verflucht hat? Wie oft er sich schon gewünscht hat, damals einfach gestorben zu sein, hinterm Riesenrad im Tropical Land?!“ Ran starrte sie erschrocken an. „Hat er das gesagt?“, hauchte sie entsetzt. Ai wandte den Blick ab, sagte nichts mehr. Hätte sie mal besser die Klappe gehalten. „RAN!“ Diesmal war es der Professor gewesen, der gerufen hatte. In dem Moment, als die zwei nicht aufgepasst hatten, hatte Ran das Gift geschluckt. Sie schrie schmerzerfüllt auf, griff sich unwillkürlich an den Brustkorb. Was gerade passierte, war mehr, viel mehr, als sie verkraften konnte. Nur am Rande merkte, sie dass Ai auf sie zu rannte, in ihrem bleichen Gesicht waren Panik und Entsetzen nur allzu deutlich zu lesen. Gequält stöhnte sie auf, schnappte hilflos nach Luft. „So… heiß…“, wimmerte sie. Agasa fing sie auf, als sie zusammensackte. Shinichi! Er wachte auf. Sein Atem ging schnell, er zitterte, war schweißgebadet. Er setzte sich auf, sah sich um. Jemand hatte geschrien? Oder hatte er das nur geträumt? Ein Gefühl von Unruhe ergriff ihn, von Angst… Panik. „Ran?“, murmelte er. Dann stand er auf, verließ leise Kogorôs Schlafzimmer, tapste barfuss den Gang entlang zu Rans. Vor der Tür blieb er stehen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, irgendetwas war anders… Er klopfte leise an, drückte, als niemand antwortete, die Klinke runter, trat ein. Durch das Fenster schien der Mond. Offensichtlich hatte sie vergessen, die Rollläden runter zu lassen. Langsam wandte er den Kopf. Auf ihrem Bett blieb sein Blick haften. Es war leer. Und nicht nur das- es sah so aus, als wäre sie nicht heimgekommen, die Kissen waren sauber aufgeschüttelt, die Bettdecke faltenfrei zusammengelegt. In dem Bett hatte keiner geschlafen. Ran? Wo war sie? Hatte er sie schreien gehört? Jetzt hielt ihn nichts mehr. Er rannte durch die Wohnung, machte überall das Licht an, suchte verzweifelt… aber sie war und blieb verschwunden. Und dann kam ihm die einzig logische Erklärung für ihre Abwesenheit. Er atmete tief aus. Sie übernachtete wohl heute bei Sonoko. Es war zwar komisch, dass sie vorher nichts gesagt hatte, aber… vielleicht hatten sie sich ja spontan dazu entschlossen. Er wusste, die beiden waren heute aus gewesen, also lag die Vermutung nahe. Er seufzte. Sie anzurufen hatte wohl keinen Zweck - wahrscheinlich schlief sie schon. Er fischte sein Handy vom Wohnzimmertisch und schrieb ihr eine Mail, sich doch bitte zu melden, wenn sie sie las. Dann klappte er das Mobiltelefon zu, ließ die Hand wieder sinken. Müde strich er sich übers Gesicht. Schön, er hatte jetzt eine sehr plausible Erklärung gefunden, dafür, dass Ran nicht zuhause war. Den Schrei erklärte er sich jetzt einfach mal mit einem Alptraum - wäre nach diesem Tag schließlich nicht verwunderlich. Aber eine Erklärung für das mulmige Gefühl, das blieb, fand er nicht. Und es verließ ihn nicht, bis er wieder eingeschlafen war, genauso wie der Hilferuf in seinen Ohren nachhallte, ihn bis in seine Träume verfolgte. Ai hörte Rans Handy vibrieren. Sie kramte es aus ihrer Tasche, klappte es auf und las die Nachricht. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Du bist gut, mein Lieber… Sie drehte sich um. Der Professor sah sie fragend an. „Wer war es?“ Ai biss sich auf die Lippen, atmete tief durch bevor sie antwortete. „Shinichi.“ Der Professor nickte nur. Dann wandte er sich wieder dem Mädchen zu, das neben ihm auf der Couch lag, tupfte ihr mit einem nassen Waschlappen die schweißnasse Stirn. Als er aufwachte, war dieses ungute Gefühl immer noch da. Als Ran um halb elf immer noch nicht da war, und auf seine Mail auch nicht geantwortet hatte, schlug es erneut in blanke Panik um. Kogorô bekam von alledem nichts mit. Er schlief wieder mal einen Rausch aus. Conan tigerte von einem Zimmer ins nächste, sein Handy in der Hand, angestrengt auf das Telefon horchend. Nichts tat sich. Nichts. Um halb zwölf klingelte es an der Tür. Der kleine Junge rannte zur Wohnungstür, riss sie stürmisch auf, wollte Ran entgegenbrüllen, was er von ihrer Aktion hielt- aber ihm blieb das Wort im Halse stecken. Vor der Tür stand nicht Ran. Es war Sonoko. Er seufzte frustriert. Das blonde Mädchen warf ihm einen finsteren Blick zu. „Na, das nenn’ ich mal eine nette Begrüßung.“ „Hallo Sonoko.“, murmelte er pflichtschuldig, schaute zu Boden. Die Oberschülerin verschränkte die Hände vor der Brust. „Ist Ran schon wach?“ „Weiß ich nicht.“, antwortete er wahrheitsgemäß. Er wollte sie loswerden, diese Nervensäge konnte er gerade gar nicht gebrauchen. Sonoko schaute ihn mit genervter Miene an. „Was soll das heißen?“ „Na, das was es heißt. Sie ist nicht hier. Einen schönen Tag noch, Sonoko.“ Er wollte gerade die Tür zumachen, als sie einen Fuß in die Spalte stellte. „Was soll das heißen, sie ist nicht hier? Dann ist sie ja doch wach, aber schon wieder weg?“ Irgendetwas in seiner Stimme ließ ihn aufhorchen. Er gab es auf, sich mit seinem Grundschülerfliegengewicht gegen die Tür zu stemmen und schaute hoch. „Nein. Sie war nicht zuhause, letzte Nacht.“ Er wurde bleich. „Ich dachte eigentlich, sie wäre bei dir?!“ Sie schaute runter zu ihm, sah in sein erschrockenes Gesicht. Angst und Sorge standen in seinen Augen. „Nein, war sie nicht. Sie hat mich gestern im Restaurant einfach sitzen gelassen, kannst du dir das vorstellen?“ Sie wedelte theatralisch mit den Händen, trat an ihm vorbei in den Flur. „Nein.“, antwortete er zögernd. Das war ganz und gar nicht typisch für Ran. Was war hier nur los? Wo war sie? „Tja. Ich konnt’s auch nicht, bis gestern Abend eben.“ Sie drehte sich um, sah ihn immer noch in der Tür stehen. Ein tief nachdenklicher Blick lag auf seinem Gesicht, eine Hand hatte er an sein Kinn gelegt, mit der anderen stützte er sich an der Haustür. Und sah, in dieser Haltung, jemand ganz bestimmten verdammt ähnlich. Shinichi? Sie legte den Kopf schief. „Mach die Tür zu, es zieht.“, sagte sie dann. Er gab ihr einen Schubs, dann ging er an ihr vorbei ins Wohnzimmer. In ihm herrschte Aufruhr. Er hatte Angst- wo war sie bloß? Warum meldete sie sich nicht? Warum verhielt sie sich so anders…? Gedankenverloren nahm er ein Buch aus dem Regal. Am liebsten hätte er die Polizei angerufen, aber die unternahm erst nach vierundzwanzig Stunden etwas. Und Kogorô zu wecken, wenn er einen Rausch ausschlief, war ein Ding der Unmöglichkeit. Also warten… Er seufzte tief. Sonoko starrte ihn an. Sie war sich so gut wie sicher. Dieser Ausdruck von Sorge auf seinem Gesicht, die Art, wie er sich verhielt… seine Bewegungen, alles… Dass ihr das, der Ladydetektivin Sonoko, noch nicht viel früher aufgefallen war? Einen Versuch war es auf jeden Fall wert… „Und, was macht die Kunst, Shinichi…?“ Ganz gelassen kamen ihr die Worte über die Lippen. Conan ließ sein Buch fallen, ignorierte den Schmerz, als es ihm mit der Kante auf den Fuß prallte, und drehte sich langsam um. „S…Sonoko?“ Er versteckte seine Hände hinter dem Rücken, damit sie nicht sehen konnte, dass sie zitterten. Seine Nerven lagen ohnehin schon blank, und jetzt auch das noch. Dann setzte er den unschuldigsten Kinderblick auf, den er drauf hatte und starrte zu ihr hoch. Also hatte er doch Recht gehabt, auch wenn er es nicht hatte glauben wollen - sie verdächtigte ihn tatsächlich. Sonoko Suzuki ahnte etwas… ausgerechnet Sonoko…! Das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Also erst mal nach Schema F vorgehen - alles leugnen und herausfinden, wie viel der Feind wusste. „Was meinst du damit?“ „Das weißt du ganz genau.“ Sonoko hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn berechnend von oben herab an. Dann ging sie in die Knie, um ihm in die Augen sehen zu können, und tippte ihm mit einem Finger an die Brust. „Du bist Shinichi.“ Er blinzelte. Die war aber hartnäckig heute. „Du machst Witze, Sonoko? Ich bin ein kleiner Junge, Shinichi ist fast erwachsen…“ „Nein, ich mache keine Späße. Was weiß ich, wie du das angestellt hast. Aber du bist Shinichi. Und die Art und Weise, wie Ran dich behandelt, spricht Bände. Du kannst aufhören, mich anzulügen, Kudô. Ich kenne Ran seit Jahren, ich kann ihr Verhalten deuten.“ Seine Nerven lagen blank. Und wahrscheinlich war es genau diese Situation, die ihn langsam ahnen ließ, dass er auf verlorenem Posten stand. Er konnte nicht mehr- er hatte im Moment keine Kraft dazu. Als ob er nicht schon genug Probleme hatte, weil Ran verschwunden war… „Aber…“, begann er trotzdem, wenig überzeugend. Wo war Ran bloß? „Hör endlich auf, mich für dumm zu verkaufen, Shinichi, und sag mir lieber, wie so was passieren kann. Und was du mit Ran angestellt hast.“ „Ich bin nicht-“ Ein letzter Versuch. Dann knallte es. Er hielt sich die Wange, starrte sie zornentbrannt an. Sie schaute abwechselnd auf ihre Hand, dann in sein Gesicht, offensichtlich überrascht über ihre eigene Reaktion. „Ich…“, begann sie stammelnd. „Schön.“, unterbrach er sie. Seine Stimme schwang nun eine Oktave tiefer, klang definitiv verärgert und überhaupt nicht mehr kindlich. Etwas Drohendes haftete ihr an. Sonoko schaute in abwartend an. „Schön. Wenn du glaubst, du machst dir das Leben leichter damit, okay. Ja. Ich bin Shinichi Kudô. Und wenn ich jemals wieder der bin, der ich mal war, dann, Sonoko, wird dir die noch Leid tun.“ Er atmete tief durch, versuche, sich wieder zu fangen. Versuchte, nicht daran zu denken, wie lächerlich, wie absurd, diese Situation war. „Eine Entschuldigung wär angebracht. Kleine Kinder schlägt man nicht.“ „Tschuldigung.“, murmelte sie bedröppelt, schaute ihn mit großen Augen an, blinzelte ungläubig. Conan schaute zu Boden, dann langsam wieder hoch. Als er sie jetzt ansah, schien sein Zorn ein wenig verraucht zu sein. „Ich weiß nicht wo sie ist.“ „Du…“ „Das ist der einzige Grund, warum ich nicht so wütend auf dich bin, wie ich sein sollte, weil du mir eine Ohrfeige gegeben hast. Warum ich dir sage, was Sache ist… Weil ich weiß, dass du dir wohl genauso viele Sorgen machst, genauso viel Angst um Ran hast, wie ich. Ihr Verhalten ist nämlich wirklich seltsam... Du sahst keinen anderen Weg, mich zum Reden zu bringen, also gut, ich rede. Sie ist gestern nicht nach Hause gekommen, reagiert nicht auf die SMS, die ich ihr geschickt habe, geht nicht ans Telefon. Ich weiß nicht, wo sie ist, das ist die Wahrheit. Und es macht mich fertig. Ich kann nicht mehr.“ Er ließ sich zu Boden sinken. Sonoko tat es ihm gleich. „Weiß Ran…?“ „Wer ich bin? Ja. Seit Weihnachten.“ Sonoko nickte bedächtig. „Das dachte ich mir." Er schaute auf. "Was hat uns verraten?" Die blonde Oberschülerin musterte ihn nachdenklich. "Ihr benahmt euch beide so anders… sie schaute dich einfach nicht mehr an wie vorher. Sie sah dich an, wie sie früher immer Shinichi angesehen hatte…“ Sie lächelte kurz. „Ich wollts selber lang nicht glauben, hab dich beobachtet… und du hast es mir nicht einfach gemacht. Irgendwann jedoch- war der Punkt erreicht, wo zu viele Zufälle auf einen Haufen kamen, um noch zufällig zu sein. Aber sag mal… wie- ich meine… hast du den Jungbrunnen gefunden, oder was?“ Conan seufzte tief, schaute sie genervt an. „Ja klar. Und draus getrunken oder wie? Ich war jung, warum würde ich noch jünger werden wollen?!“ Sonoko schaute ihn genervt an. „Jaja, is ja gut… also, wie geht so was?“ Sie machte eine bezeichnende Geste. Er schüttelte den Kopf. „Das weiß selbst Ran nicht, und dir werde ich es auch nicht sagen.“ „Das wusste selbst Ran nicht, meinst du wohl?“ Conan fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen. Diese Stimme klang fremd, doch hatte sie auch etwas Vertrautes. Er kannte diese Stimme- aber er hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Als er sie dann sah, die Person, die gerade gesprochen hatte, traf ihn der Schlag, und zwar wörtlich. Das konnte nicht sein, das war zu viel. Zuerst der Film gestern, dann diese schreckliche Nacht, in der er kaum geschlafen hatte, all die Sorgen, die er sich gemacht hatte… und jetzt das. Sein kleiner Kinderkörper streikte jetzt, das war zu viel des Guten. Er merkte, wie ihm schummrig wurde, sich die Welt auf einmal drehte... wollte das Gefühl der nahenden Ohnmacht niederkämpfen- aber er verlor den Kampf. Er kippte um. Wie sein Kopf auf dem Teppichboden aufschlug, bekam er schon nicht mehr mit. Sonoko bewies mehr Stehvermögen in diesen Minuten. Sie saß nur da, schaute ihr Gegenüber an. „Ran?“, fragte sie vorsichtig. Das kleine Mädchen nickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)