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Meeresrauschen

von

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Es war grau. Alles war grau, der Himmel, das Meer – ja sogar die Bäume um mich herum, am Rande des Strandes waren grau. Der Wind war kalt und wehte, zwar nicht mehr so stark, wie am Tag zuvor, aber dennoch umbarmherzig über den hellen Sand. Leise rauschend trafen die kleinen Wellen auf den Strand und beruhigten meine Sinne auf eine seltsame Weise. Mein Blick schweifte über das, von einigen Wellen, bewegte Wasser. Gestern muss es hier unheimlich ausgesehen haben: Die hohen Wellen, Blitze, die über das Wasser zuckten und der Regen, der prasselnd niederfiel. Ein paar weiße Schwäne trieben über das Meer und hatten ihre Hälse verbogen und ihre Köpfe ins Gefieder gesteckt. Sie ruhten sich aus. Wahrscheinlich war der gestrige Tag, für sie genauso anstrengend gewesen, wie für alle Fischer, die der plötzliche Wetterumschwung erfasst hatte. Doch da waren Krähen, die in Gruppen, krächzend über das Wasser flogen und sich manchmal fallen ließen, um dann kurz über der Wasseroberfläche, wieder hinauf zu steigen und sich ihren Artgenossen anzuschließen. Sie schwebten über mir hinweg und landeten dann auf einem Baum, der ein wenig abseits auf der Klippe am Strand wuchs. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass sie mir irgendetwas zeigen wollten, so wie sie immer wieder kamen und krächzend über mich hinüber flogen und dann weiter am Strand entlang. Ich blickte noch einmal über das Meer – das weite, schöne und unbändige Meer – dann wandte ich mich zur Seite und wanderte ein wenig am Wasser entlang, darauf bedacht mein Kleid und meine Schuhe, nicht das feuchte Nass spüren zu lassen. Die frische Luft tat mir gut und ich schloss die Augen und genoss jeden Atemzug, als wäre es der Letzte den man tut, bevor man taucht.
 

Ich war so versunken in das ständige Ein- und Ausatmen, dass ich gar nicht mitbekam, wie weit ich mich von den Kutschen entfernt hatte, die am Waldrand auf mich warteten und wie lange ich nun schon so am Wasser entlang gewandert war. Ich öffnete die Augen und blickte zurück. Ich sah die Silhouetten meiner Begleiter in weiter Entfernung am Strand auf und ab gehen und wandte mich ab. Die Zeit, die sie sie mir gewährten und in der ich allein sein konnte, wollte ich so gut es ging nutzen. Zu meinen Füßen lagen wunderschöne graue und braune Steine, die so aussahen, als ob sie nur darauf warteten, von mir aufgehoben und mitgenommen zu werden. Normalerweise tat ich das auch gerne: Steine sammeln, um sie dann in meinem Zimmer in Schalen aufzubewahren oder sie einfach nur in der Hand zu halten und ihre Oberfläche mit den Fingerspitzen zu studieren. Doch heute war es anders. Heute nahm ich einen Stein und warf ihn voller Wucht aufs Wasser. Ich wollte den Stein nicht weit werfen – er sollte einfach nur aufs Wasser treffen und Wellen schlagen. Wie oft wünschte ich mir, dass meine Entscheidungen auch Wellen schlagen könnten und dass sie etwas verändern könnten, sowie der Stein den Wellengang veränderte. Es würde wohl ein Traum bleiben. Um meine Wut, Zweifel und Ängste loszuwerden, begann ich wie eine Verrückte herumzulaufen, Steine aufzuheben und sie dann in Wasser zu werfen, als würde das etwas an meiner Situation verändern. Ich hielt einen Moment inne und dachte nach. Ich war allein. Der Strand war groß und weit und durch Sand konnte man schlecht rennen. Ich konnte fliehen. Ja, wieso nicht? Nichts konnte mich daran hindern, einfach in den Wald zu verschwinden und mich dann durchzuschlagen. Zu einem Haus, in dem man mich nicht für verrückt hielt. Zu einem Haus, in dem man mich nicht einsperren und mit Vorwürfen quälen würde. Meine Begleiter waren so weit von mir entfernt und achteten so wenig auf mich, dass sie es wahrscheinlich gar nicht bemerken würden.
 

Ich wandte mich langsam vom Wasser ab und wollte eine geeignete Düne, über die ich fliehen konnte, suchen, als mein Blick auf ihn fiel. Er lag halb im Wasser, halb auf dem Strand und immer wenn eine Welle kam, bewegte sich sein schlaffer Körper ein wenig hin und her. Neben ihm auf dem Strand lag etwas, dass wie eine Schranktür aussah, reich verziert mit eingeschnitzten Ornamenten und einem Griff aus Messing. Ich wusste nicht ob er tot war, aber ich erstarrte bei dem Gedanken daran, dass er es sein könnte. Einen Moment stand ich einfach nur so da und versuchte nicht auf das laute Pochen meines Herzens zu achten. Alle Fluchtgedanken waren mit einem Mal wie weggewischt und ich sah nur noch die Gestalt, die nass und zitternd dort vorne lag. Zitternd. Er bewegte sich, also war es nicht tot. Ich griff in die Falten meines Kleides um meine zitternden Hände zu beruhigen, dann setzte ich einen Fuß vor den anderen und näherte mich ihm vorsichtig.
 

Er hatte rötliches, durch das Wasser sehr dunkel wirkendes Haar, von dem ihm Strähnen auf der Stirn klebten. Seine Gesichtszüge sahen wunderschön aus und ich ertappte mich dabei, mich zu fragen, welche Augenfarbe er wohl hatte und ob sie zu seinen Haaren passte. Seine Kleidung war zerschlissen und vom Wasser so durchnässt, dass ich durch die weißen Ärmel seine Haut sehen konnte. Ich kniete mich zu ihm hinunter, ohne auf den Saum meines blauen Kleides zu achten, der nun im Wasser hing und feucht und dreckig wurde, und berührte ganz vorsichtig seinen Arm. Er war zwar kalt aber dennoch weich und zitterte wie Espenlaub. Nun sah ich auch, wie sich seine Brust hob und senkte und endlich glaubte ich, dass er noch am Leben war. Schnell fühlte ich seinen Puls und obwohl ich keine Ärztin war, wusste ich, dass sein Puls für einen gesunden Menschen viel zu langsam ging. Ratlos und nicht wissend, was ich nun tun sollte, packte ich ihn unter den Armen und zog in vorerst auf den trockenen Strand. Dann stand ich hilflos vor ihm und mein Blick wanderte zwischen seinem leblosen Körper und meinen Begleitern weiter hinten am Strand, hin und her. Jetzt hatte ich die Chance zu fliehen, jetzt in diesem Augenblick. Aber würde er es überleben, wenn ich ihn hier einfach so liegen ließ, in der Kälte auf dem steinigen Boden? Würden meine Begleiter ihn finden und ihm helfen? Würden sie ihn rechtzeitig finden? Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen und raufte mir die Haare. Ich kannte ihn doch nicht! Es konnte mir also egal sein, ob er starb oder nicht. Komischerweise war es das jedoch nicht.
 

In den nächsten Augenblicken rang ich mit mir selbst. Zuerst zögerte ich, dann wandte ich mich ab und schlich zu der Düne, über die ich hatte verschwinden wollen. Doch als ich noch einmal einen Blick zurück warf und ihn dort liegen sah, überkam mich Mitleid und ich kehrte zu ihm zurück und überlegte, was er getan hätte, wenn er mich halb erfroren am Strand gefunden hätte. Wäre er weggegangen, oder hätte er mir geholfen? Sicher hätte er alles getan, um mir das Leben zu retten. Nun, aber er würde nicht vor solch einer schweren Entscheidung stehen. Freiheit, oder ein Menschenleben, was war mir wichtiger? Ich fragte mich immer wieder und überlegte, ob ich meine Begleiter rufen sollte. Wenn sie hier her kamen, dann könnten wir ihn in der Kutsche mit zum Gut nehmen und ihn pflegen… und ich würde wieder eingesperrt werden. Vielleicht würde er sterben. Dann wäre mein Mitleid umsonst gewesen! Entschlossen stand ich auf und wandte mich zum gehen, als ich ein Geräusch von unten vernahm. Erschrocken wirbelte ich herum und sah, dass es von ihm kam. Er bewegte sich, öffnete ganz leicht die Augen und blickte sich verwundert und müde um. Meine ganze Entschlossenheit versank wieder in meinem Unterbewusstsein, ich kniete mich wieder zu ihm nieder und nahm seine Hand, die suchend umhertastete. Verwirrt sah er mich an und sein Mund formte mühsam eine Frage. Ich verstand sie nicht, es war nur ein Flüstern. Ermutigend strich ich ihm die Haare von der Stirn und zwang mich zu einem Lächeln.
 

„Wer bist du?“, fragte er noch einmal, immer noch flüsternd, aber etwas kräftiger und ich spürte, wie mein gezwungenes Lächeln zu einem Wahren wurde. Wenn ich mich vorstellte, lächelte ich immer – egal in welcher Situation.
 

„Emily.“ Er schmunzelte leicht und schloss erschöpft die Augen.
 

„Danke, Emily.“, flüsterte er, so leise, dass ich mein Ohr zu ihm hinunter beugte. „Danke, dass du mich gerettet hast.“ Und dann sagte er nichts mehr, sein Griff um meine Hand erschlaffte und ganz langsam lösten sich seine kalten Finger von meinem Handrücken und sanken auf den kalten Sand, direkt vor meinem Schoß. In diesem Moment verflog meine Verzweiflung und meine Ratlosigkeit, über dass, was ich tun sollte. Ich hatte nur noch ein Ziel: Den Menschen retten, der mich bei meinen Namen genannt und sich bei mir für seine Rettung bedankt hatte, obwohl ich ihn gerade im Stich hatte lassen wollen. Ich sprang auf und lief meinen Begleitern entgegen, während ich mit den Armen ruderte und laut um Hilfe schrie, als wäre der Teufel hinter mir her. Jetzt hielten sie mich wahrscheinlich für noch verrückter als sonst, aber das war mir egal. Wenn sie nur dem Mann helfen konnten, der mich mit solch liebevollen Augen angesehen hatte – mit grünen, klaren Augen!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lady_Lockenlicht
2008-05-26T14:44:09+00:00 26.05.2008 16:44
(Anmerkung: dies ist ein Juror-Kommentar im Rahmen des Historien-Wbw, an dem Deine Geschichte teilnimmt, enthält aber keine Hinweise auf die spätere Platzierung Deines Beitrags)

Ui, Französische Revolution, ein Thema, dass mich seit meiner Kindheit fasziniert! Und dann noch Le Havre- da kommt meine Omi her =)

Deine Wortwahl gefällt mir. Sie wirkt ruhig, nicht zu dick aufgetragen und lässt die Protagonistin sympathisch erscheinen.

Auch die Szene am Wasser wurde von Dir eindringlich geschildert. Einerseits fast idyllisch durch die Naturbeschreibung, dann aber auch wieder eigentümlich bedrohlich, bs. durch die Gedanken von Emily (wieso eigentlich nicht Emilie?), die ein hartes Schicksal zu haben scheint.

Und dann ein Cliffhanger am Schluss... spannend =)

Du solltest Dich übrigens nochmal mit den aktuellen Kommataregeln vertraut machen und/oder einen Betaleser speziell deswegen engagieren. Da sind oft viel zu viele Kommata an Stellen, wo sie nichts zu suchen haben ;) Das stört den Lesefluss,

Viele Grüße
France
Von:  Lillijana
2008-03-05T14:19:10+00:00 05.03.2008 15:19
Die FF ist ja süß :-)
Emily hat es echt nicht leicht, die Ärmste.
Hoffentlich schreibst du bald weiter.
Würde mich sehr drüber freuen.
LG Lillijana


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