Despair of the heart von -K ================================================================================ … but not out of mind --------------------- Zu allem Unglück hatte es am Weg vom Bahnhof hierher angefangen zu regnen und Toshiya war innerhalb von wenigen Schritten klatschnass gewesen. Hätte er sich doch ein Taxi genommen, verdammt! Aber jetzt war es auch schon zu spät und er erschauderte vor Kälte, als er in die Straße einbog, die er zwar schon so lange nicht mehr gesehen hatte, die ihm allerdings noch immer im Gedächtnis geblieben war. Zwei Jahre war es her, seitdem er das letzte Mal hier gewesen war. Dennoch fand sein Finger den Klingelknopf beinahe blind, als er endlich im vierten Stock angekommen war. //Bitte sei zuhause!\\, wiederholte er immer wieder in Gedanken und endlich wurde die Tür geöffnet. „Shinji“*, wisperte der Braunhaarige und kippte vornüber, direkt in die Arme des geschockten Gitarristen, der im ersten Moment gar nicht wusste, wie im geschah. Erst Sekunden später fing er sich wieder, zog Toshiya näher an sich, sodass er die Tür schließen konnte und strich ihm dann beruhigend über den Rücken. Die kleine Tasche, die der Bassist dabei gehabt hatte, war ihm einfach aus der Hand gefallen und in der Ecke neben der Tür gelandet. „Toto… wo kommst du denn her?“, fragte er erstaunt und bekam als Antwort nur ein leises Schluchzen. Instinktiv hielt er den Bassisten dicht an sich gedrückt, während er ihn langsam ins Wohnzimmer führte und sich dort mit ihm auf seine elegante, schwarze Ledercouch sinken ließ. Toshiya lag indessen wie ein begossener Pudel in seinen Armen und brachte nicht viel mehr als leises Schniefen und Wimmern von sich, sodass der Gitarrist eine Weile warten musste, bis es sich wieder rentierte, den Jüngeren mit Fragen zu löchern, was denn geschehen war. Sie hatten sich lange nicht gesehen, bestimmt sieben oder acht Monate… und jetzt auf einmal stand der Kleine völlig aufgelöst vor seiner Tür – das konnte doch nichts Gutes bedeuten. „Geht’s wieder?“, erkundigte er sich, als das Schluchzen langsam verebbte und der Braunhaarige nickte tapfer, zog noch einmal geräuschvoll die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel seines dunkelgrauen Pullis über die verweinten Augen, sodass sich kleine schwarze Flecke auf dem Stoff bildeten. „Shinji…“ „Ich bin ja da. Aber jetzt sag mir erst mal, was eigentlich los ist“ Es verging einige Zeit bis Toshiya es geschafft hatte, dem Älteren alle nennenswerten Details der Erlebnisse zu erzählen, die ihn schlussendlich hierher gebracht hatten. Vor allem dauerte es so lange, weil er zwischendurch immer wieder in Tränen ausbrach und seine Stimme bröckelte, bis er keinen Ton mehr heraus bekam. Und je länger er erzählte, desto mehr zog Aiji die Augenbrauen zusammen und desto nachdenklicher und besorgter wurde sein Gesichtsausdruck. „Okay… mal abgesehen davon, dass es Unsinn war einfach abzuhauen… jetzt wo du schon mal hier bist, bleibst du auch über Nacht“, entschied der Gitarrist und streichelte Toshiya sanft über den Kopf. „Schickst du mich dann morgen weg?“, flüsterte dieser leise. Ein bitteres Lächeln huschte über die Lippen des Älteren bei diesen Worten. Wegschicken… wie einen streunenden Hund? Nein, das würde er nicht tun, ganz bestimmt nicht. „Du kannst von mir aus bei mir bleiben, so lange du willst… aber wir gehen in vier Tagen auf Tour und ich bezweifle, dass es gut für dich ist ganz alleine in meiner leeren Wohnung zu sitzen. Aber darüber können wir ja morgen reden. Ich such dir jetzt erstmal was anderes zum Anziehen raus und du gehst inzwischen duschen… du bist ja eiskalt! Und anschließend kochen wir uns Tee und sehen zu, dass du dich erst mal wieder ein wenig beruhigst. Du siehst wirklich total fertig aus, als hättest du Tagelang nicht geschlafen!“ Aber selbst nachdem Toshiya gute zwanzig Minuten im warmen Badezimmer unter dem heißen Wasserstrahl gestanden und schließlich bekleidet mit einer dunkelgrünen Jogginghose und einem schwarzen Shirt von Aiji sowie dem in der selben Farbe gehaltenen Bademantel des Älteren in die Küche kam, ging es ihm kein Stück besser. Zwar fühlte er sich nicht mehr wie ein Stück Fleisch, das bis vor kurzem noch in der Tiefkühltruhe gelegen hatte, aber das war auch schon das höchste aller Gefühlte. An Aiji ging dieser Umstand natürlich auch nicht vorbei, sodass er davon abließ, die Teebeutel in ihre Tassen zu stecken und sich stattdessen zu Toshiya umdrehte, die Arme ausbreitete und sie um den Körper des Jüngeren schloss, als dieser sich dankbar an ihn kuschelte. Aber während er das Gesicht in Aijis T-Shirt vergrub wurde ihm klar, dass er genau das schon wieder tat, weswegen er vor Kaoru geflohen war. Schon wieder nutzte er einen seiner Freunde aus, ließ sich umarmen und trösten und ging jemandem auf die Nerven. Konnte er denn nicht auch einmal zu irgendetwas zu Nutze sein? Schon wieder brannten Tränen in seinen Augen, aber er schluckte sie hinunter, klammerte sich nur noch mehr an Aiji und schwor sich, ab Morgen früh alleine zurecht zu kommen. Er wollte niemandem mehr auf der Tasche liegen. Nicht schon wieder. Nicht auch noch Aiji. Sie tranken schweigend ihren Tee und der Gitarrist bezog eine zweite Decke und ein zweites Kopfkissen, überzog die kalte Ledercouch mit noch einer Decke und bot dem Jüngeren dann trotzdem an, in seinem Bett zu schlafen, aber Toshiya lehnte entschieden ab und wollte unbedingt im Wohnzimmer übernachten. Aiji auch noch sein Bett wegnehmen? Er fühlte sich doch ohnehin schon so schlecht, wo er den anderen mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hatte nur um seine Zeit zu stehlen. Schlussendlich gab der Ältere dann auch nach, verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Stirn seines Besuchers und wünschte ihm, dass er zumindest ein bisschen Schlaf fand. Toshiya tat sein Bestes, wirklich… aber er schaffte es noch nicht einmal, die Augen zu schließen. Stattdessen starrte er gebannt auf das große Fenster im Wohnzimmer, das einen herrlichen Blick über Nagoya gewährte und nur von leichten, halbtransparenten, weißen Vorhängen bedeckt wurde. Das Mondlicht tauchte das Wohnzimmer in ein schummriges Licht, aber das war nichts, was Toshiya gestört hätte. Er fand keinen Schlaf, weil seine Gedanken immerzu kreisten und ihm einfach nicht gestatteten, für einige Stunden abzuschalten. Wie feige er doch war, einfach weg zu laufen wie ein kleines Kind… wie gemein von ihm, sich jetzt auch noch bei Aiji einzunisten. Am Besten war, wenn er morgen Früh gleich wieder abreisen würde. Nur wohin? Wohin sollte er denn, zu wem? Zu seinen Eltern? Die würden einen Aufstand machen und ihn nur damit quälen, dass sie ihm schon immer geraten hatten ein normales Leben zu führen anstatt Musiker zu werden. Außerdem konnte er ihnen die Sache mit Kyo auch nicht erzählen, sie wussten ja noch nicht einmal, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte. Vielleicht war es das Beste, einfach in den nächstbesten Zug zu steigen und zu sehen, wohin er ihn brachte? Es war nicht leicht, sich mit dem Gedanken abzufinden, ab nun kein Zuhause mehr zu haben, aber vielleicht war es besser, er freundete sich so schnell wie möglich damit an. Geräusche im Flur ließen ihn aufschrecken, aber es war nur Aiji, der schlaftrunken in die Küche schlurfte, dort den Lichtschalter betätigte und kurz das Wasser aufdrehte. Dann wurde das Licht wieder gelöscht und das Tappen nackter Füße auf dem Parkettboden führte wieder in Richtung Flur, brach dort jedoch abrupt ab und kam dann ein wenig näher. „Du bist ja immer noch wach“, stellte Aiji mit deutlich besorgtem Unterton in der Stimme fest. Durch das Halbdunkel des Wohnzimmers tastete er bis zum Sofa vor und ließ sich neben Toshiyas Kopf auf die Armlehne sinken. „Ich kann nicht schlafen“ Aiji seufzte leise und streckte die Hand aus um dem Bassisten zärtlich durch die Haare zu streicheln. „Willst du doch zu mir ins Bett kommen?“ Toshiya hob den Blick um seinen Jugendfreund unsicher anzusehen. „Meinst du, das ist eine gute Idee?“ „Ich bitte dich, Toshiya… ich werde bestimmt nicht über dich herfallen und es ist nicht das erste Mal, oder?“ „Nein, aber ich will nicht, dass…“ „Dass so etwas wie damals wieder passiert? Wir sind keine siebzehn mehr, Toshiya… es war dumm von uns… dumm von mir… aber ich dachte wir könnten das endlich vergessen…“ „Ich weiß einfach nicht mehr, was ich denken soll, Shinji… ich will dich nicht auch noch verletzen“ „Das tust du nicht“ Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich hinabbeugte um den anderen zärtlich auf die Stirn zu küssen. „Ich bin so froh, dass du zu mir gekommen bist… ich habe dich vermisst…“ Dann legte er die Arme um Toshiya und zog ihn nahe an sich, hielt den zitternden, beunruhigend kühlen Körper dicht an seinen gedrückt, wie ein Kind beruhigend wiegend, während der Braunhaarige das Gesicht an seine Brust schmiegte und sich nichts sehnlicher wünschte als für ein paar Minuten nur all das vergessen zu können, was in den letzten Wochen passiert war. Schlussendlich hatte Aiji seinen Gast einfach auf die Arme gehoben und ins Schlafzimmer getragen, ihn vorsichtig auf das große Bett nieder gelegt, ihn in seine weiche Decke gewickelt und saß nun an die Wand hinter dem Bettende gelehnt auf der Matratze. Toshiya’s Kopf lag in seinem Schoß. Der Braunhaarige hatte die Augen geschlossen, aber seine unregelmäßigen Atemzüge verrieten, dass er noch immer keinen Schlaf gefunden hatte. Die Fingerspitzen des Älteren kraulten ganz zärtlich über die Kopfhaut des Bassisten, während seine Gedanken unaufhörlich um das kreisten, was vor einigen Jahren zwischen ihnen vorgefallen war. ** Am Morgen hatte er von seiner unangenehmen Sitzposition starke Rücken- und Nackenschmerzen, weshalb er Toshiya vorsichtig von sich schob, sich noch einmal versicherte, dass dieser dabei nicht aufgewacht war und dann ins Bad schlich um sich eine heiße Dusche zu gönnen. Als er nur mit einem Handtuch bekleidet zurück ins Schlafzimmer kam um sich etwas frisches zum Anziehen zu holen, war das Bett bereits leer und die Decke lag zerwühlt darauf. Aiji musste schmunzeln, wusste er doch nur zu gut, dass Toshiya es immer gerne vergaß, am Morgen sein Bett zu machen. Es war schon seltsam, wie viele kleine Macken eines Menschen man mitbekam, wenn man sich eine Zeit lang kannte. Der Braunhaarige hatte bereits Kaffee aufgesetzt und lehnte am Küchentisch um der Maschine dabei zuzusehen, wie sie zischend das braune Gebräu in die gläserne Kanne spuckte. Als er Aiji kommen hörte, dreht er den Kopf und lächelte schwach zur Begrüßung. Dieser küsste den Jüngeren sanft auf die Schläfe und streichelte ihm kurz über die Schulter, ehe er sich daran machte den Tisch zu decken. „Die Heizung ist noch an…“ „Danke“ Es war eigenartig, wie wenig sie erklären mussten. Aiji wusste noch immer, dass Toshiya es nicht mochte, wenn es kalt im Badezimmer war. Es war ganz wie früher. Da war auch immer er vor dem Bassisten duschen gegangen, damit das Bad einer Sauna glich, wenn sein Mitbewohner es betrat. Inzwischen hatte Toshiya früher immer Kaffee gekocht und er hatte anschließend Frühstück gemacht, während dieser sich zurecht gemacht hatte. Sie waren ein gutes Team gewesen, sie beide. Für Aiji war es beinahe so als würde alles, was er zusammen mit Toshiya tat, doppelt so viel Spaß machen. Auch damals, als sie zusammen Musik gemacht hatten, bevor er zu Pierrot und Toshiya zu D+L, und schließlich zu dir en grey gegangen war. Sie hatten sich zwar nicht wirklich aus den Augen verloren, aber die Distanz hatte viel verändert. Aiji wandte den Blick ab, als ihm dieser Umstand bewusst wurde. Manchmal wünschte er sich, ihre gemeinsame Band Mona Lisa, als Toshiya noch Gitarre gespielt und er gesungen hatte, wäre ihnen beiden ernster gewesen. Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen. Vielleicht würde der Braunhaarige jetzt nicht mit geschwollenen Augen und blassem Gesicht neben ihm in der Küche stehen sondern zusammen mit ihm unter einer Bettdecke liegen, glücklich, sich geliebt fühlend. Aber jetzt ließ es sich nicht mehr ändern, auch wenn Aiji es sich so sehnlich wünschte. Nachdem Toshiya noch eine Weile völlig abwesend auf die Kaffeekanne gestarrt hatte, löste er sich nun endlich davon und schlich ins Bad hinüber. Aiji sah ihm besorgt nach und ließ sich, als er die Badezimmertür ins Schloss fallen gehört hatte, auf einen der Stühle sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Toshiya so unerwartet und unter diesen Umständen wieder zu sehen brachte Gefühle in ihm hoch, die er lieber sorgfältig verborgen gewusst hätte. Wirklich über das, was passiert war, hinweg gekommen war er nie, aber er wollte den Jüngeren damit jetzt nicht belasten, also riss er sich in dessen Gegenwart so gut es ging zusammen. ----------- * Shinji ist auch unter dem Namen Aiji als Leadgitarrist von Pierrot bekannt. Momentan ist er Gitarrist bei LM.C, zu der Zeit in der diese FF spielt ist er allerdings noch mit seiner alten Band unterwegs. Er hat früher tatsächlich mit Toshiya und dem zweiten Gitarristen sowie dem Drummer von Pierrot zusammen gewohnt und hatte eine Band mit Toshiya, die sich Mona Lisa nannte ^_^ ** Dieses Geheimnis wird nach Ende dieser FF in einer kleinen Sidestory gelöst ;) … seid gespannt *g* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)