Licht und Schatten von Nochnoi ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- So, ich hab mich auch mal an einer SPN-Fic versucht ^.^ Ich hoffe, es finden einige Gefallen daran ^_____^ ___________________________________________________________ Michelle Smith war stets stolz auf sich gewesen, dass sie nie in ihrem Leben Angst vor der Dunkelheit verspürt hatte. Selbst als kleines Mädchen war es für sie beileibe kein Problem gewesen, mitten in der Nacht durch den finsteren Flur zu schleichen, um sich etwas zu trinken zu holen oder die Toilette aufzusuchen. Das hatte für sie niemals ein Hindernis dargestellt. Ihr jüngerer Bruder hingegen war das genaue Gegenteil gewesen. Sobald das Licht erloschen war, hatte das Weinen bei ihm angefangen. Er hatte von Monstern und Geistern gefaselt und dabei so herzzerreißend geheult, dass sich ihre Eltern meist erweicht und ihn mit in ihr Bett genommen hatten. Inzwischen war Danny zwanzig Jahre alt, studierte an einer renommierten Universität und ließ des Nachts immer noch eine kleine Lampe brennen. Michelle hatte ihn deswegen oft aufgezogen, doch er verzog angesichts ihrer Kommentare stets sein Gesicht und murmelte etwas davon, dass absolute Dunkelheit Wesen hervorlocke, mit denen er sich lieber nicht anlegen wollte. Danny hatte schon immer eine sehr rege Fantasie gehabt. Michelle musste grinsen, als sie gerade in diesem Moment an ihren Bruder dachte. Für ihn müsste die jetzige Situation die absolute Hölle auf Erden sein, denn vor gut einer halben Stunde war in Michelles Viertel der Strom ausgefallen und hatte alles in tiefste Finsternis gehüllt. Zu seinem Glück war Danny während des Semesters an seiner Uni und hatte im Moment wahrscheinlich genügend Strom, um seine kleine Wohnung so auszuleuchten, als wäre es ein heller Sonnentag. Der Stromausfall hatte Michelle vollkommen unerwartet erwischt, gerade hatte sie eine Fertigmahlzeit in die Mikrowelle schieben wollen. Hungrig und genervt hatte sie dieses Unterfangen aufgrund der fehlenden Elektrizität aufgegeben und sich stattdessen erstmal auf die Suche nach einer Taschenlampe und Kerzen gemacht. Mehrere Zusammenstöße mit Möbelstücken später hatte sie ihr Apartment mit unzähligen Wachskerzen ausgestattet, die ihr ihre Mutter immer wieder vorbeibrachte. Michelle hatte mit den Dingern nie wirklich etwas anfangen können, aber nun war sie doch ganz froh, dass ihre Mutter, was solche Dinge anging, ziemlich penetrant sein konnte. Michelle seufzte. Obwohl die ganze Atmosphäre mit den brennenden Kerzen durchaus eine wohlige Stimmung vermittelte, fand sie, dass es doch langsam mal an der Zeit war, dass die Stromwerke endlich in die Gänge kamen. Hätte sie männliche Gesellschaft gehabt, hätte sie sich überhaupt nicht beschwert, doch das einzige, was ihr vergönnt war, war ein Käsebrot und ein dickes Buch. Für einen kurzen Augenblick war sie versucht gewesen, ihren gutaussehenden Kollegen Henry anzurufen und ihm eine Lüge aufzutischen á la Ich-habe-schreckliche-Angst, sodass er sofort zu ihrer Rettung geeilt gekommen wäre, doch sie hatte die Idee schnell wieder verworfen. Er wohnte am anderen Ende der Stadt und hätte ihr darüber hinaus ihr Ammenmärchen sowieso nicht geglaubt, da er genau wusste, wie wenig ihr die Dunkelheit ausmachte. Im Anbetracht der Tatsache, dass ihre Situation im Moment ohnehin nicht zu ändern war, fügte sich Michelle in ihr Schicksal und kuschelte sich noch tiefer in die Sofakissen. Gerade als sie dabei war, sich in ihrem Buch voll und ganz zu verlieren, verspürte sie einen kalten Luftzug, der sie wieder in die Realität zurückholte. Ein wenig verwundert setzte sie sich auf und versuchte zu ergründen, woher die Brise gekommen war. Hatte sie womöglich ein Fenster offen gelassen oder kam die Luft unter dem Türschlitz hervor? Doch noch bevor sie dieses Rätsel näher zu untersuchen vermochte, fegte plötzlich eine Böe durch ihre Wohnung, als befände sie sich mitten im schlimmsten Sturm. Erschrocken schrie sie auf und beobachtete fassungslos, wie alle Kerzen ausgeblasen wurden, sodass sie von einer Sekunde zur nächsten plötzlich von völliger Finsternis umgeben war. Auch hörte sie lautes Poltern aus der Küche und dem Flur, was darauf schließen ließ, dass einige Gegenstände zu Bruch gegangen waren. Und so schnell, wie diese überaus seltsame Sturmböe aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Eine Weile blieb Michelle wie erstarrt auf ihrer Couch sitzen und brachte keinen vernünftigen Gedanken zustande. Vielmehr war sie damit beschäftigt, ihre heftige Atmung wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen. Als sie sich zumindest ein wenig von dem Schock erholt hatte – und dieser Prozess schien ihr Ewigkeiten vorzukommen – versuchte sie, irgendeine rationale Begründung dafür zu finden, doch ihr wollte partout nichts einfallen, was einen kleinen Tornado in einer Wohnung auch nur ansatzweise erklärt hätte. Sie war zwar kein Experte, was solche Sachen betraf, dennoch war sie davon überzeugt, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Unweigerlich fühlte sich Michelle an all die unheimlichen Horrorfilme erinnert, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Ein Schaudern unterdrückend begann sie damit, nach der Taschenlampe zu tasten, die sie noch vorhin auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hatte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Hand zu zittern begann und dabei die Bierflasche umstieß, die noch zuvor den kurzen Sturm offenbar recht unerschrocken überstanden hatte. Als diese auf der harten Tischplatte aufprallte, zuckte Michelle zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus. Nur die Ruhe, Mädchen, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Alles wird gut, nur keine Aufregung. Es gibt für all das eine logische Erklärung. Wie auch immer diese aussehen mochte. Nachdem sie die Flasche wieder aufgestellt hatte, um zu verhindern, dass sich das ganze Bier auf ihrem Teppich ergoss, fand sie schließlich auch die Taschenlampe. Einen Seufzer der Erleichterung ausstoßend zog sie sie an sich und suchte in der Dunkelheit tastend nach dem Einschaltknopf. Doch gerade, als sie diesen gefunden hatte und betätigen wollte, ertönte eine Stimme: „Tu das lieber nicht!“ Michelles Herz setzte für einen kurzen Moment aus, vor lauter Schock verlor sie sogar jegliche Kontrolle über ihren Körper und plumpste zu Boden. Zu ihrem Glück war der Teppich weich genug, sodass sich unangenehme blaue Flecken wahrscheinlich vermeiden ließen. Aber wenn Michelle ehrlich zu sich war, dann waren blaue Flecken gerade ihr kleinstes Problem. „Wer … wer bist du?“, brachte sie stotternd hervor. Vage konnte sie einen Schemen erkennen, der sich mitten in ihrem Wohnzimmer befand. Langes Haar vermochte sie auszumachen und ebenso eine Körpergröße, die auf einen kleines Kind schloss. Auch die Stimme hatte sehr kindlich geklungen … aber auch gleichzeitig eiskalt. Wer war das nur? Und was machte dieses Mädchen in ihrer Wohnung? „Ich suche jemanden“, sagte sie bloß. Michelle beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie das Mädchen begann, sich zu bewegen … nun ja, im Grunde schien sie vielmehr zu gleiten! Zumindest fiel Michelle kein besseres Wort ein, um diese Art der Fortbewegung zu beschreiben. Der Körper des fremden Mädchens schien über den Boden zu schweben, richtiggehend zu fließen. Nun war es klar: Entweder stimmte etwas mit dem Mädchen nicht oder aber die Dunkelheit spielte Michelle grausame Scherze. „Wie … wie bist du hier überhaupt reingekommen?“ Michelle gab sich alle Mühe, ihre Stimme autorität-erwachsen klingen zu lassen, aber sie versagte kläglich. Vielmehr machte sie den Eindruck einer verschüchterten Maus. „Woher kommst du? Und bist du für diesen … diesen Sturm verantwortlich?“ Das Mädchen kicherte und bei diesem Geräusch lief Michelle unweigerlich ein kalter Schauer über den Rücken. Das Ganze war gruseliger als alle Horrorfilme zusammengenommen. „So viele Fragen“, meinte sie, während sie sich Michelle langsam näherte. „Und ich habe nicht die geringste Lust, dir eine davon zu beantworten.“ Stattdessen kam sie immer näher. Michelle spürte, wie sich ihr nach und nach die Luft abschnürte. Was würde jetzt wohl geschehen? Nichts Gutes, soviel stand fest. Die Aura des Mädchens – oder wie man es auch immer nennen wollte – schien dermaßen düster, dass es sich geradezu durch die Haut zu fressen schien und eine Angst entfesselte, wie Michelle sie noch nie gefühlte hatte. In einem letzten Anflug von Verzweiflung hob sie die Taschenlampe und betätigte den Knopf. Und als sich das Licht in dem Raum ergoss, überstürzten sich plötzlich die Ereignisse. Das Mädchen schrie dermaßen laut, dass Michelle glaubte, ihr Trommelfell würde platzen. Sie ließ die Lampe zu Boden fallen und hielt sich die Ohren zu, aber selbst das nützte nicht allzu viel. „Ich hatte dir gesagt, TU DAS NICHT!“, brüllte das fremde Mädchen. Ihre Haare bäumten sich auf, als würden sie ein Eigenleben besitzen, und von einem Moment zum anderen brach der Sturm wieder los. Heftige Böen wirbelten durch den Raum und bewegten alles, was nicht irgendwie verankert war. Der Fernseher segelte durch den Raum, die Regale wurden weggefegt und selbst der schwere Wohnzimmertisch rutschte über den Boden. Michelle spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, während sie mühevoll versuchte, gegen den Sturm anzukämpfen. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung und ihren Haaren, schien sie regelrecht auseinander reißen zu wollen. „Ich hatte dich gewarnt, dummes Ding!“ Die Stimme des Mädchens klang seltsam verzerrt, fast wie die des Teufels. „Du hättest besser auf mich hören sollen, dann wäre dir dieses Dilemma erspart geblieben.“ Michelle bemerkte in den Augenwinkeln, dass etwas genau auf sie zuraste. Erst als es schon viel zu spät war, erkannte sie, dass es sich um eine Vase handelte. Wie von Geisterhand schien sie sich zu bewegen. Direkt auf Michelles Kopf zu. Und plötzlich wurde alles um sie herum vollkommen schwarz. Das Letzte, was sie sah, waren die Scherben der zersprungenen Vase und der Schemen des unheimlichen Mädchens. _____________________________________________ So, ich hoffe, der Prolog hat ein wenig Anklang gefunden ^.^ Kapitel 1: 1. Kapitel --------------------- „Das macht dann sieben Dollar fünfzig.“ Der dicke Kassierer hinter dem Tresen warf seinem Kunden einen dermaßen gelangweilten Blick zu, dass es einen fast schon verwundern konnte, dass er nicht gleich sofort an Ort und Stelle einschlief. Selbst die Aussicht auf ein bisschen Geld in seiner Kasse schien ihn nicht sonderlich aufmuntern zu können. Sam Winchester setzte ein gequältes Lächeln auf und suchte in seiner Brieftasche nach dem letzten Kleingeld, das er zur Verfügung hatte. Zwar hätte er auch eine der falschen Kreditkarten zum Bezahlen nehmen können, doch auf der einen Seite lohnte sich das für einen solch lächerlichen Betrag gar nicht und auf der anderen Seite machte der Kassierer nicht unbedingt den Eindruck, als hätte er genügend Lust und Kraft, sich mit der ganzen Technik herumzuschlagen, die man bei Kreditkarten benötigte. „Vielen Dank, beehren sie uns bald wieder“, meinte der beleibte Mann teilnahmslos, als Sam ihm das Geld überreichte. Seinen Arm zu heben, um die Scheine anzunehmen, schien für ihn schon einen Kraftakt sondergleichen darzustellen. Sam griff nach der Einkaufstüte und verließ den kleinen Laden. Er hatte ein wenig Proviant besorgt, denn nach einer stundenlangen Fahrt hierher in einen der Vororte von Seattle hing ihm sein Magen schon fast in den Kniekehlen. Außerdem war gerade Frühstückszeit und wenigstens ein kleines Sandwich hatte sich Sam seiner Meinung nach redlich verdient. Während er sich in die Richtung des auf der anderen Seite parkenden Impala wendete, warf er einen Blick auf die vielen Arbeitnehmer, die nach und nach aus ihren Häusern gekrochen kamen, sich von ihren Familien verabschiedeten und zu ihren Autos hetzten. Sam hatte solche Menschen stets um diese Normalität beneidet. Zwar war die Gefahr recht groß, dass sich bei solch einem Lebensstil schnell Gewohnheit und Eintönigkeit entwickelten, dennoch erschien dieses Schicksal Sam trotz allem in vielen Situationen seines Lebens verlockender als seine jetzige Lage. Nun gut, das Dasein eines Jägers war mit sehr viel Aufregung und Neuem verbunden und würde sicherlich niemals langweilig werden, dennoch durften auch die Risiken, wie etwa ein potenzieller vorzeitiger Lebensabbruch, nicht außer acht gelassen werden. Die Möglichkeit, als alter Mann im Kreis seiner Enkel und Urenkel zu sterben, war nicht gerade sehr groß. Gerade als er die Straße überqueren wollte, spürte er, wie etwas gegen seinen Schuh stieß. Verwundert blickte er hinab und entdeckte einen roten Ball mit allerlei Zeichentrickfiguren darauf. Sam glaubte, einige Charaktere aus Disney-Filmen erkennen zu können. „Das ist meiner!“ Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Mädchen auf. Sie rannte auf Sam zu, wobei ihre langen dunklen Haare und ihr rotes Kleid – die passende Farbe zu dem Ball und augenscheinlich ein wenig zu kalt für die Jahreszeit, was die Kleine aber nicht sonderlich zu stören schien – im Wind flatterten, hob den Ball auf und drückte ihn an sich, als wäre er ihr heißgeliebtes Baby. Sie schien sogar kurz auf das Ding einzureden, so wie es Dean auch ab und zu mit seinem Wagen tat. „Er ist mir plötzlich aus der Hand geflutscht und weggerollt“, informierte ihn die Kleine. Ihre großen blauen Augen ruhten noch einen Moment auf dem Ball, dann hob sie ihren Blick und musterte Sam neugierig. Und da sie ihm gerade mal bis zum Bauchnabel reichte, musste sie ihren Kopf ganz schön in den Nacken legen. Einen kurzen Augenblick schien sie geradezu überwältigt von seiner Größe zu sein. Sie machte Augen, als wäre sie mitten in New York und würde zum ersten Mal einen Wolkenkratzer hinaufsehen. Dann jedoch legte sich ein herzliches Lächeln auf ihre Lippen. „Du kommst nicht von hier, oder?“, fragte sie nach. „Ganz recht.“ Obwohl man die Stadt nicht gerade klein nennen konnte, schien das Mädchen doch die regulären Besucher des winzigen Ladens zu kennen, sodass ihr gleich aufgefallen war, dass Sam nicht in dieses Raster passte. Er verlagerte das Gewicht seiner Einkaufstüte ein wenig und versuchte angestrengt, sich zu einem Lächeln durchzuringen. In Wahrheit war ihm jedoch das Auftreten der Kleinen ein kleines bisschen unheimlich. Sie blickte ihn so dermaßen freudestrahlend an, dass selbst einem hartgesottenen Jäger wie ihm etwas mulmig werden konnte. Zuviel Freundlichkeit hatte ihn schon immer skeptisch gemacht. Allerdings konnte man in diesem Fall die Freundlichkeit zweifellos mit der Naivität eines Kindes verbinden. „Und woher kommst du?“ „Äh …“ Sam vermochte auf diese Frage nicht genau zu antworten, da er in seinem Leben so oft die Umgebung gewechselt hatte, dass er keinen Ort wirklich sein Zuhause nennen konnte. Einzig das College hatte für ihn einen Ort der Geborgenheit dargestellt, doch auch dies war nur eine kurze Etappe seines Lebens gewesen. „Wir sind sehr oft umgezogen“, meinte er somit. „Ah, ist dein Daddy Soldat?“ Sie setzte eine mitleidige Miene auf. „Die armen Soldaten müssen immer sehr oft umziehen.“ Sam war zunächst über die Auffassungsgabe dieses kleinen Mädchens ein wenig erstaunt, aber schließlich kam ihm in den Sinn, dass sie unter Umständen etwas ähnliches schon mal am eigenen Leib erlebt hatte. „Ja, mein Dad ist Soldat“, meinte Sam nickend. In gewisser Art und Weise stimmte das sogar. „Und wie heißt du?“ Das Mädchen schien offenbar erpicht, jede Einzelheit seines Lebens genauer zu ergründen. Voller Neugier schaute sie ihn an. Sam musste ein Seufzen unterdrücken. Er war hungrig, Dean wurde sicherlich auch schon ungeduldig und im Großen und Ganzen hatte er sowieso wenig Lust, sich mit einem Kind zu unterhalten, deren Fragenrepertoire wahrscheinlich für zwei Wochen ohne Pause ausgereicht hätte. Aber auf der anderen Seite machten es ihm diese großen Puppenaugen ganz schön schwer, das Mädchen einfach abzuwimmeln. „Mein Name ist Sam.“ „Ein schöner Name“, sagte sie vergnügt. „Und ich bin Amy.“ „Es freut mich wirklich, dich kennen zu lernen, Amy, aber ich muss langsam los. Mein Bruder wartet.“ Sam deutete zum Impala, in dem Dean hinter dem Steuer saß und offenbar gerade konzentriert die Straßenkarte in seinen Händen betrachtete. Sam war ganz froh, dass er abgelenkt war und das Gespräch mit dem kleinen Mädchen anscheinend nicht bemerkte, ansonsten hätte er sich sicherlich wieder dumme Sticheleien von seinem älteren Bruder anhören müssen. „Ist das euer Wagen?“ Amy schien ehrlich beeindruckt zu sein. „Der sieht wirklich cool aus. Aber leider kann ich damit nicht mitfahren, es ist kein Cabrio.“ Sam verstand zwar nicht wirklich, was sie damit meinte, aber er verspürte auch nicht unbedingt das Verlangen, näher nachzufragen. „Ich muss jetzt wirklich weiter“, sagte er stattdessen. „Geh lieber zu deinen Eltern, die machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Amy kicherte, als hätte er soeben einen Witz gerissen. Dann aber nickte sie, winkte zum Abschied und hopste in die Richtung davon, aus der sie gekommen war. Dabei sang sie lautstark ein Sam unbekanntes Lied und wiegte den Ball in ihrem Armen. Sam schaute ihr noch einen Augenblick kopfschüttelnd hinterher und wunderte sich über die Leichtsinnigkeit einiger Eltern, die ihr Kind, das auch noch ganz offensichtlich keinerlei Scheu davor hatte, fremde Menschen anzusprechen, einfach so auf offener Straße spielen lassen konnten und das auch noch in einer der Jahreszeit nicht gerade angemessenen Kleidung. Nun gut, sein eigener Vater hatte in dieser Hinsicht auch nie besonders viel Feingefühl bewiesen und seinen Söhnen schon von früh an Selbständigkeit eingetrichtert, aber immerhin waren das besondere Umstände gewesen und alles andere als die Regel. „Hey, Sammy, bist du da festgewachsen oder hättest du vielleicht mal die Güte, deinen Hintern zu bewegen?“ Deans genervte Stimme schallte vom Impala zu ihm herüber. Sam riss sich vom Anblick des Mädchens los und eilte zum Wagen. Als er sich auf dem Beifahrersitz niederließ, bemerkte er, dass Dean ihn von der Seite mit einem verschmitzten Grinsen bedachte. „Eine süße Freundin hast du da gefunden.“ Sam stöhnte. Also war ihm das kurze Gespräch wohl doch nicht entgangen. „Wirklich ganz niedlich“, fuhr Dean amüsiert fort. „Allerdings für meinen Geschmack ein wenig zu jung.“ „Ach, halt die Klappe“, brummte Sam. Er liebte seinen Bruder, keine Frage, aber manchmal – nein, eigentlich ziemlich oft – war er eine schreckliche Nervensäge. Im Grunde schon richtig erstaunlich, wie er banal erscheinende Nichtigkeiten dazu benutzen konnte, Sam ohne Punkt und Komma auf den Geist zu gehen. „Na fein.“ Dean startete den Wagen und ordnete sich in den Verkehr ein. „Aber wenn wir deiner kleinen Verehrerin das nächste Mal begegnen, wird sie dir wahrscheinlich als Zeichen ihrer Zuneigung diesen hübschen Ball schenken. So, wie sie dich angehimmelt hat, ist das mehr als offensichtlich. Du solltest dabei eine würdevolle Miene beibehalten, während ich mich im Hintergrund kaputtlache.“ Sam hätte Dean am liebsten einen ordentlichen Klaps auf den Hinterkopf gegeben, aber da dieser hinter dem Steuer saß und eine Ablenkung jeglicher Art einen Unfall hätte verursachen können, sah er davon ab und verschob es auf später. „Halt lieber nach einem Motel Ausschau“, meinte Sam zähneknirschend. „Wir haben die ganze Nacht in diesem verdammten Auto verbracht, ich möchte mich wenigstens für einen Augenblick kurz mal hinlegen.“ Dean hob seine Augenbraue – wahrscheinlich hatten ihm die Worte „verdammtes Auto“ ganz und gar nicht gefallen –, dann jedoch wandte er sich von Sam ab und murmelte irgendetwas vor sich hin. „Hast du was gesagt?“, erkundigte sich Sam. Dean machte erst den Anschein, als wollte er die Frage geflissentlich ignorieren, aber schließlich meinte er: „Wieso sind wir überhaupt hier?“ Sam seufzte. „Das habe ich dir doch schon zweimal erklärt. Wie oft willst du es denn noch hören?“ Bevor Dean antworten konnte, schoss aus einer Nebenstraße mit quietschenden Reifen ein schwarzer Mercedes und hätte den Impala beinahe gerammt. Allein ein schnelles Bremsmänover vonseiten Dean verhinderte einen unschönen Zusammenstoß. Während der Mercedes-Fahrer den Brüdern einen Vogel zeigte, als wären sie es gewesen, die beinahe einen Unfall provoziert hätten, und schließlich kopfschüttelnd davonraste, knirschte Dean äußerst lautstark mit den Zähnen und starrte dem feindlichen Wagen mit einem funkelnden Blick hinterher. Es gab vieles, was ihm in den frühen Morgenstunden den letzten Nerv rauben konnte, aber die potenzielle Beschädigung seines geliebten Impalas war für ihn ein Kapitalverbrechen sondergleichen. Sam war überzeugt, dass Dean am liebsten eine Waffe gezogen und den Mercedes-Fahrer ohne Rücksicht auf Verluste über den Haufen geschossen hätte. „Hast du dir das Nummernschild gemerkt?“, fragte Dean, während er schon fast wie besessen den Wagen beobachtete, der gerade um eine Ecke bog und somit aus ihrem Blickfeld verschwand. „Ich will diesen Kerl ermitteln und sein verfluchtes Auto in die Luft sprengen. Und am besten seine Bude gleich noch mit.“ Sam seufzte. „Dean, wir sind sicher nicht hier, damit du irgendwas in die Luft jagen kannst.“ „Wieso denn nicht? Das ist ein wunderbares Antiaggressionstraining, glaub es mir ruhig. Danach fühlt man sich wie neugeboren.“ Sam konnte nur seine Augen verdrehen. „Dean …“ „Ist ja schon gut“, meinte seine Bruder schließlich beschwichtigend. „Dann beschäftigen wir uns halt mit dieser merkwürdigen Erscheinung, die hier irgendwo rumspuken soll. Wenn ich Glück habe, kann ich wenigstens diesem Ding ordentlich in den Arsch treten.“ „Wir sollten erstmal rausfinden, worum es sich überhaupt handelt, bevor du irgendjemandem irgendetwas antust, einverstanden?“ Viel hatte Sam aus den knappen Informationen, die er im Internet gefunden hatte, nämlich nicht herauslesen können. Es war nur ein kleiner Bericht gewesen, den er um ein Haar nicht mal bemerkt hätte. Der Autor des Artikels hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er das Opfer, eine gewisse Michelle Smith, für vollkommen verrückt hielt, sodass er ihr nur fünf Zeilen gewidmet hatte. Sam jedoch hatte gleich erkannt, dass mehr dahinter steckte, und hatte weitergeforscht. Nach einer recht zermürbenden Suche war er sogar fündig geworden und hatte herausgefunden, dass Michelle Smith nicht die erste gewesen war, die sich mit dieser Erscheinung hatte herumschlagen müssen. Die ältesten Berichte reichten etwa fünfzehn Jahre zurück und beschränkten sich hauptsächlich auf Seattle und Umgebung. Es hatte bisher keine Todesopfer gegeben, sodass dies bislang in den Nachrichten nicht sonderlich breit getreten worden war, aber allmählich schien dieses Wesen immer brutaler zu werden. In den letzten Jahren war es vermehrt zu Verletzungen gekommen. Vielleicht würde dieses Ding, was auch immer es sein mochte, schon bald vor Mord nicht zurückschrecken. „Sobald wir uns etwas ausgeruht haben, sollten wir mit dieser Michelle Smith reden“, meinte Sam. „Vielleicht erfahren wir durch sie, womit wir es eigentlich zu tun haben.“ „Solange man das Vieh abmurksen kann, ist es mir so ziemlich egal, was es eigentlich ist“, schnaubte Dean. Offenbar war er wegen des Mercedes-Fahrers noch immer im Kampfstimmung. Sam hoffte fast schon, dass man diese Erscheinung wirklich in die Luft jagen konnte, damit Dean danach wieder bessere Laune hatte. Sam lehnte sich seufzend zurück, schloss die Augen und ließ sich von der lauten Musik, die sein Bruder angestellt hatte und die ihn auf seltsame Art und Weise tatsächlich zu beruhigen schien, nicht weiter stören. Er war an diesen Heavy-Metal-Kram langsam ziemlich gewöhnt, sodass er sogar bei voll aufgedrehter Lautstärke mehr oder weniger seelenruhig schlafen konnte. Schlafen … etwas, worauf sich Sam mehr als alles andere freute. Ein warmes Bett und eine Decke, mehr verlangte er auch gar nicht. Und danach würden sie sich mit diesem mysteriösen Wesen beschäftigen. Sam hoffte sehr, dass es sich dabei bloß um eine belanglose Kleinigkeit handelte, die man mit etwas Steinsalz bereinigen könnte … aber irgendwie wurde er das merkwürdige Gefühl nicht los, dass mehr hinter dem Ganzen steckte. ______________________________________________________ So, das war's mal wieder von mir ^^ Ich hoffe, es hat einigermaßen gefallen, auch wenn noch nichts allzu Actionreiches passiert ist ... Dann wollte ich mich auch nochmal ganz herzlich für eure netten Kommentare bedanken ^_______^ Kapitel 2: 2. Kapitel --------------------- So, hier kommt schon das neue Kapitel ^.^ Und da jibrillchan das letzte Mal fragte, wann die Geschichte spielt, sag ich jetzt nochmal für alle, dass sie während der 1. Staffel spielt (die anderen Staffeln kenn ich nämlich auch noch gar nicht ;p) Nur, falls sich das noch jemand gefragt haben sollte ... So, dann sage ich nochmal danke an meine Kommischreiber und wünsche euch viel Spaß ^.^ ______________________________________________________________ Die Wohnung von Michelle Smith lag in einem Baukomplex, der vor allen Dingen durch seine gräuliche Färbung und das Fehlen jedweden schmückenden Beiwerks hervorstach. Im Grunde war es nicht mehr als ein großer, grauer Klotz, der nicht gerade den Eindruck von Wohnlichkeit vermittelte. Auch der Hausflur wirkte trist und einsam. „Da kriegt man ja direkt das Verlangen, sesshaft zu werden“, meinte Dean trocken, während er einen Blick auf eine flackernde Glühbirne warf. Sam ging auf diesen Kommentar gar nicht erst ein, sondern blieb vor einer Tür stehen, die sich von der umgebenden Wand nur dadurch unterschied, dass der Grauton eine Nuance dunkler gehalten war. Ansonsten, so war sich Dean sicher, hätte man sie sicherlich übersehen und wäre glatt daran vorbeigelaufen. „Überlass am besten mir das reden“, sagte Sam, bevor er auf den Klingelknopf drückte. Aus dem Inneren der Wohnung hörte man Geräusche, die darauf hindeuteten, dass jemand quietschend einen Stuhl zurückschob und sich in Richtung Eingangstür begab. „Und wieso das denn?“, fragte Dean. Der Unterton in Sams Stimme hatte ihm gar nicht gefallen. „Du kannst ziemlich unsensibel sein“, meinte dieser. „Wir sollten sie nicht unnötig vergrämen.“ „Unsensibel?“, empörte sich Dean. Nun, es mochte vielleicht stimmen, dass er nicht gerade der sentimentale Typ war, der bei jedem Sonnenuntergang in Tränen ausbrach, aber er konnte dennoch feinfühlig sein, wenn die Situation es verlangte. Bevor Sam Gelegenheit erhielt, sich für diese völlig unhaltbare Behauptung zu rechtfertigen, wurde von innen die Tür geöffnet. Vor ihnen stand ein junger Mann mit längeren, zerzausten Haaren, ebenso zerknautschen Jeans und einem äußerst unruhigen Blick, den Dean schon öfters bei Menschen gesehen hatte, die sich beobachtet fühlten. „Kann ich irgendwie helfen?“, fragte er mit einer solchen Unfreundlichkeit in der Stimme, dass seine Aussage vollkommen lächerlich wirkte. „Wir suchen Michelle Smith. Sie wohnt doch hier, nicht wahr?“ Der Kerl nahm sie äußerst skeptisch ins Visier. „Seid ihr etwa Cops?“ Unter normalen Umständen hätte Dean einfach seinen gefälschten Ausweis gezückt, die Frage bejaht und sich in das Apartment gedrängelt. Aber das Misstrauen, das dieser Typ an den Tag legte, machte mehr als offensichtlich, dass er Polizeibeamten ohne Durchsuchungsbefehl wahrscheinlich niemals im Leben Einlass gewährt hätte. Und selbst wenn man doch irgendwie in die Wohnung gelangt wäre, wären die Antworten mehr als knapp und ziemlich unbefriedigend gewesen. Auch Sam schien dies sofort erkannt zu haben. „Nein, wir sind keine Polizisten. Wir wollen nur mit Michelle reden.“ „Und worüber?“ Der Kerl schnaubte. „Etwa über das, was passiert ist? Hören Sie zu, ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber meine Schwester hat eine Menge durchgemacht und das Letzte, was sie gebrauchen kann, sind noch mehr Leute, die ihr sagen, wie verrückt sie ist.“ Er wollte die Tür wieder schließen, doch Dean kam ihm zuvor und benutzte seinen Fuß als Stopper. „Wir halten Ihre Schwester ganz sicher nicht für verrückt. Wir wollen uns nur anhören, was geschehen ist, das ist alles.“ „Wir möchten ihr gerne helfen“, fügte Sam noch hinzu, während er gleichzeitig diesen unschuldigen Blick aufsetzte, der die Menschen stets dazu brachte, ihm zu vertrauen und ihm ihr Herz auszuschütten. Auch Michelles Bruder ließ sich davon einwickeln. Er wirkte noch einen Augenblick argwöhnisch, dann jedoch seufzte er schwer und meinte: „Kommen Sie rein.“ Das Innere der Wohnung war um einiges sympathischer, als es der äußere Eindruck vermuten ließ. Die Farben waren hell und freundlich, die Möbel stilvoll und unaufdringlich. Besonders schien Michelle einen Faible für Souvenirs aus aller Welt zu haben, die sie in einem großen Regal im Wohnzimmer aufgereiht hatte. Kreuz und quer stand dort allerlei Zeug, das Dean kaum zuzuordnen vermochte. Michelle selbst saß auf einer großen Couch, ihre Beine an ihren Körper gezogen und fest umschlungen. Sie wirkte über alle Maßen angespannt, schien ins Leere zu starren. Erst als ihr Bruder sie an der Schulter berührte und ihr etwas zuflüsterte, kehrte ihr Blick zurück. „Hallo, freut mich“, sagte sie, sich für ihre Besucher zu einem Lächeln durchringend. „Ich bin Michelle. Setzen Sie sich doch.“ Sam machte es sich auf einem Sessel bequem, Dean nahm auf der dazugehörigen Lehne Platz. Seine Augen ruhten auf Michelle, die sich nervös ihre Haare hinter die Ohren strich und ihren Blicken auswich. Dean tat das arme Mädchen ziemlich leid, noch tragischer war aber, dass er sie in diesem Zustand sicher nicht dazu würde bewegen können, mal mit ihm auszugehen. Denn hübsch war sie, keine Frage. Ohne dieses blasse Gesicht und den verschreckten Ausdruck war sie sicherlich eine nicht zu verachtende Schönheit. „Danny meinte, sie wollten mit mir reden?“, fragte sie. „Genau. Ich bin Sam und das ist mein Bruder Dean“, stellte Sam sie vor. „Wir haben von dem … Vorfall gehört und wollten näheres darüber erfahren.“ Michelle schaute sie nun zum ersten Mal direkt an. „Ich habe es schon vielen erzählt. Alle haben mich für verrückt gehalten.“ „Glauben Sie uns, wir haben schon verrücktere Sachen gehört“, meinte Dean grinsend. Sam warf ihm daraufhin einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte rasch: „Wir haben öfters mit solchen … Erscheinungen zu tun. Wir sind die Letzten, die Ihre Geschichte anzweifeln würden.“ Michelle zögerte. Sie hatte sich offenbar wirklich einige üble Kommentare von anderen anhören müssen, die sie für übergeschnappt gehalten hatten. Die Angst, wieder ausgelacht und gedemütigt zu werden, saß anscheinend sehr tief bei ihr. Aber wie schon zuvor bei ihrem Bruder schien schließlich auch bei ihr Sams magischer Dackelblick zu wirken. Sie knetete sich unruhig die Hände, während sie ihnen alles erzählte, was sie erlebt hatte, angefangen von dem Stromausfall bis hin zu der fliegenden Vase. „Und diese Erscheinung sah aus wie ein Kind?“, erkundigte sich Sam noch einmal. Er warf einen Blick zu Dean, der in der Zwischenzeit sein Gesicht verzogen hatte. Ein Kind – was für ein Mist! Einen verrückten Freak konnte man ohne größere Probleme das Licht ausblasen, aber bei solchen Bälgern sah das schon ganz anders aus. Selbst wenn dieses Kind irgendein böser Geist war und vernichtet werden musste, machte es bei weitem nicht soviel Spaß. Michelle nickte auf Sams Frage hin. „Wie ein kleines Mädchen. Ich habe zwar in der Dunkelheit nicht viel erkennen können, aber dennoch habe ich genug gesehen.“ „Hat sie irgendwas zu Ihnen gesagt?“, wollte Dean wissen. „Sie hat gesagt, dass sie jemanden suche“, meinte Michelle. „Aber konkreter ist sie nicht geworden. Nun ja, zumindest nicht bei mir.“ Dean bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Danny, der zuvor auf einem Stuhl Platz genommen hatte, kaum merklich zusammenzuckte. „Was meinen Sie damit?“, bohrte Sam interessiert nach. Michelle biss sich auf die Unterlippe, während ihr Blick langsam zu ihrem Bruder wanderte. Danny setzte daraufhin eine leidliche Miene auf. „Michelle …“, sagte er seufzend. „Komm schon, Danny, erzähl’s ihnen“, forderte sie ihn auf. Sam konnte seine Überraschung kaum verbergen. „Sie haben das Mädchen auch gesehen?“ Danny machte zunächst nicht den Eindruck, als hätte er große Lust, zu antworten, aber unter dem stechenden Blick seiner Schwester gab er schließlich nach. „Ich habe sie auch gesehen“, gab er zu. „Aber nicht letzte Woche wie Michelle … sondern vor knapp fünfzehn Jahren.“ Man merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, darüber zu reden. Wahrscheinlich hatte er es all die Jahre mit sich herumgetragen. „Ich war damals fünf Jahre alt und sie erschien in meinem Zimmer. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst gehabt. Noch heute fürchte ich mich vor der Dunkelheit.“ „Und was hat sie zu Ihnen gesagt?“ Danny seufzte. „Sie sagte, derjenigen, den sie suche, würde sich in Mr. Spencers Haus befinden. Mr. Spencer wohnte damals nur ein paar Häuser weiter, er war ein etwas verschrobener Kerl, aber an sich harmlos.“ Sam beugte sich weiter vor. „Und, waren Sie in Mr. Spencers Haus?“ Danny nickte. „Ich war dort … aber ich habe nichts Auffälliges entdeckt. Keine Ahnung, was dieses Ding von mir gewollt hatte. Sie ist mir auf jeden Fall nie wieder erschienen. Zumindest außerhalb meiner Träume nicht.“ Dean vermochte es nicht genau zu sagen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass Danny sich nicht allzu sehr an die Wahrheit hielt. Auch Sam runzelte kurz die Stirn – ein Zeichen dafür, dass er sich ebenfalls nicht sicher war, ob er ihm glauben sollte. „Und was wollen Sie jetzt mit diesen Informationen anfangen?“, erkundigte sich Michelle. „Wir werden versuchen, dieses Mädchen zu finden“, meinte Sam. „Und dann sehen wir weiter.“ Auf Michelles Lippen bildete sich ein zaghaftes Lächeln, das ausgesprochen erleichtert wirkte. Offenbar war sie froh, dass sich jemand der Sache annahm. Unter Umständen stimmte es sie aber auch einfach nur glücklich, dass sie ausnahmsweise mal nicht als verrückt bezeichnet wurde. Nachdem sich die Brüder verabschiedet und die Wohnung verlassen hatten, fragte Dean: „Und, was hältst du von der ganzen Geschichte?“ Sam zuckte mit den Schultern, nachdem sie die Vordertür geöffnet und ins Freie getreten waren. „Keine Ahnung. Vielleicht handelt es sich um einen Geist. Ein Mädchen, das vor etwa fünfzehn Jahren gestorben ist und keine Ruhe findet. Oder aber es ist ein Dämon in Kindergestalt. So was hat’s alles schon mal gegeben.“ Er seufzte. „Auf jeden Fall sollten wir ein bisschen recherchieren und auch mal diesen Spencer aufsuchen. Wer weiß, vielleicht finden wir dort irgendwas Interessantes?“ Dean warf einen Blick zurück auf das Gebäude und bemerkte, dass eine Gestalt an einem Fenster stand und ihnen hinterher schaute. Es handelte sich um Danny, der eine äußerst merkwürdige Miene aufgesetzt hatte. Dean wusste seinen Gesichtsausdruck nicht genau zu benennen, aber ihm lief bei dem Anblick ein kalter Schauer über den Rücken. Keine Frage, irgendwas war seltsam an der ganzen Sache. Dean hoffte nur, dass er am Ende irgendwen würde abknallen dürfen. **** Michelle beobachtete ihren Bruder eine Weile, wie er am Fenster stand und hinausstarrte. Er wirkte aufs höchste angespannt, wahrscheinlich hätte ihn in diesem Moment jede noch so kleine Bewegung zu Tode erschreckt. Michelle war mehr als glücklich gewesen, als Danny nach diesem schrecklichen Überfall sofort alles stehen und liegen gelassen hatte und zu seiner Schwester gereist war. Er hatte sie unterstützt, ihr Mut zugesprochen und all jene zusammengeschrien, die Michelle als „überarbeitet“, „geistig verwirrt“ oder auch einfach nur „durchgeknallt“ bezeichnet hatten. Wie kein anderer konnte er sich in ihre Situation hineinversetzen, immerhin hatte er dasselbe erlebt. Schon seit er ein kleiner Junge gewesen war, hatte er mit dieser schrecklichen Angst leben müssen. Michelle fühlte sich mehr als schlecht, als sie daran dachte, wie oft sie ihn wegen seiner Furcht vor der Dunkelheit aufgezogen hatte. Er musste sich jedes Mal furchtbar gefühlt haben, wenn seine große Schwester sich wieder über ihn lustig gemacht hatte. Und obwohl sie ihn durch ihre unbedachten Äußerungen wahrscheinlich hunderte oder sogar tausende male tief verletzt hatte, war er sofort zu ihr geeilt, um ihr beizustehen. „Die Kerle waren merkwürdig“, meinte Danny. Er trat von dem Fenster weg und ließ sich wieder auf seinen Stuhl nieder. Sein Blick glitt ins Leere. „Ich fand sie eigentlich ganz sympathisch“, meinte Michelle. Sie waren die ersten gewesen, die sie seit langer Zeit weder ungläubig noch mitleidig angesehen hatten. Das war ihr eine Menge wert gewesen. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass es wirklich ein wenig seltsam war, dass sie sich so dermaßen für diese Geschichte interessiert hatten und es offenbar sogar tatsächlich darauf anlegten, dieses … dieses Wesen aufzuspüren. Wer mochten sie nur sein, dass sie sich mit so etwas abgaben? Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Danny zu. Immer noch starrte er gedankenverloren vor sich hin. „Wieso hast du ihnen eigentlich nicht die Wahrheit gesagt?“, fragte sie. „Warum hast du ihnen nicht erzählt, was du in Mr. Spencers Haus gesehen hast?“ Dannys Miene verfinsterte sich zusehends. Er erinnerte sich nicht gerne an das unheimliche Mädchen, aber noch weniger wollte er an das denken, was er bei Mr. Spencer begegnet war. „Sie hätten mir eh nicht geglaubt“, sagte er kopfschüttelnd. „Ein merkwürdiges Geistermädchen – von mir aus. Die Geschichte klingt vielleicht verrückt, doch man kann damit leben.“ Er zögerte kurz, während er sich daran zu entsinnen schien, was er damals als kleines Kind gesehen hatte. Sein Gesicht schien bei der Erinnerung auffallend bleicher zu werden. „Aber das in Mr. Spencers Haus …“ Er schüttelte noch einmal den Kopf und verstummte. Darüber zu reden, brachte er einfach nicht fertig. Nicht mal Michelle hatte er alle Einzelheiten genannt, sondern war sehr vage geblieben. Sie musste an die beiden jungen Männer denken, die eben ihr Apartment verlassen hatten. Rannten sie möglicherweise in ihr Verderben? Hätten sie sie vielleicht nicht warnen sollen? „Danny …“, setzte sie an, doch ihr Bruder kam ihr zuvor: „Ich weiß, was du sagen willst. Aber ich glaube, selbst wenn ich diesen Kerlen die Wahrheit gesagt hätte, hätte sie das nicht aufgehalten. Ich habe es in ihren Augen gesehen.“ Michelle seufzte tief. Wahrscheinlich hatte er Recht. Aber das machte das Ganze auch nicht viel besser. **** Das Haus von Patrick Spencer zu finden, hatte sich nicht als sonderlich schwierig herausgestellt. Nach einem Blick ins örtliche Telefonbuch und einer kurzen Recherche im Internet war die Adresse schnell gefunden gewesen. Wie ein rastloses Tier hatte Dean darauf bestanden, diesen Kerl auf der Stelle aufzusuchen, bevor die Nacht hereinbrach. Ihm war es wichtig, soviel wie möglich über diese geheimnisvollen Vorgänge herauszufinden, ehe sie diesem Mädchen begegnen sollten, und Sam war in dieser Hinsicht ganz seiner Meinung. Kenne deinen Feind, eine der wichtigsten Regeln der Kriegsführung. Spencer lebte in einer gut betuchten Gegend, in der sich hübsch anmutende Häuser und überaus gepflegte Vorgärten aneinanderreihten und beinahe den Eindruck einer Idylle erweckten. Sam jedoch hatte schon früh gelernt, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Man musste stets hinter die Kulissen blicken. Spencers Haus war groß, weiß wie die Unschuld und erinnerte Sam ein wenig an ihr altes Haus in Lawrence. Schnurstracks ging er in Richtung Vordertür und klingelte. „Hast du dir denn schon eine Erklärung überlegt, die es dir ermöglicht, sein heiliges Reich unbehelligt zu inspizieren?“, fragte Dean, der neben ihn getreten war. Er kramte bereits in seiner Jackentasche, wahrscheinlich auf der Suche nach einem seiner zahllosen Ausweise, ob nun von der Polizei, dem FBI, Homeland Security, Amnesty International oder irgendeiner anderen amerikanischen Behörde, die es einem unter Umständen ermöglicht hätte, Zugang zu einem Haus zu bekommen. „Wir kommen schon da rein, keine bange“, meinte Sam zuversichtlich. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Ein schon etwas älterer Mann um die fünfzig mit schütteren Haar und einer Hakennase, die wirklich vorzüglich zu seinen Adleraugen passte, tauchte vor ihnen auf. Misstrauisch beäugte er seine überraschenden Besucher. „Ich kaufe nichts“, sagte er sofort. Seine Stimme war sehr tief und hatte große Ähnlichkeit mit einem übellaunigen Bären, den man gerade aus dem Winterschlaf geweckt hatte. Sam war sofort klar, warum Danny diesen Mann als ‚verschrobenen Kerl’ bezeichnet hatte. „Nein, nein, Mr. Spencer“, sagte er hastig, ein freundliches Lächeln aufsetzend, welches Spencer jedoch nur noch argwöhnischer zu stimmen schien. „Wir wollen nichts verkaufen. Wir sind Ihre neue Nachbarn.“ „Oh!“ Spencer schien einen Moment ehrlich verwirrt. Wahrscheinlich überlegte er, wo in der Nähe denn ein Haus freigeworden war, dass die Brüder hätten beziehen können. Er warf einen kurzen Blick auf die Straße, wohl in der Hoffnung, dort irgendwo einen Umzugswagen zu erspähen. „Wir sind nur hier, um uns vorzustellen“, sagte Sam hastig, bevor Spencer beginnen konnte, intensiver über das Ganze nachzudenken. „Ich bin Sam und das ist mein Bruder Dean.“ Spencer schaute sie nun wieder direkt an und seinem Blick war anzusehen, dass es ihm im Grunde herzlich wenig interessierte, ob seine neue Nachbarn nun Sam und Dean oder Butch Cassidy und Sundance Kid hießen. So oder so hatten sie seinen Tagesablauf gestört und sich somit als überaus lästig erwiesen. „Nun, dann … willkommen in der Nachbarschaft“, sagte er. Er gab sich nicht mal die geringste Mühe, seinen heuchlerischen Tonfall zu verbergen. „Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich bin sehr beschäftigt.“ Doch noch bevor er die Tür zuschlagen konnte, kam Sam ihm eilig zuvor. „Wir müssten Sie um einen Gefallen bitten, Mr. Spencer.“ Der Angesprochene sah wenig begeistert aus. Offenbar schien schon allein das Wort „Gefallen“ seine Stimmung auf einen Tiefpunkt zu senken. „Und der wäre?“, fragte er zähneknirschend. Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte bei diesem funkelnden Blick schnurstracks das Weite gesucht, Sam jedoch ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte schon gegen Monster und Dämonen gekämpft, da machte ihm so ein miesepetriger Alter nun wirklich keine Angst. Obwohl er zugeben musste, dass Spencers Miene ihn stark an einen zornigen Dämon aus New York erinnerte, dem er vor langen Zeit zusammen mit Dean und ihrem Vater auf den Fersen gewesen war. „Es geht um unsere Katze …“, begann Sam. Er versuchte, seine Stimme möglichst sorgenvoll klingen zu lassen, und hoffte bloß, dass Spencer Deans überraschten Gesichtsausdruck nicht bemerkte. „Ihre Katze?“ Spencer schien schlimmes zu ahnen, argwöhnisch beäugte er Sam. „Sie kennt sich in der Gegend noch nicht aus und außerdem ist sie noch ziemlich jung. Eben ist sie uns entwischt und wir haben gesehen, wie sie in Ihrem Haus verschwunden ist. Könnten wir vielleicht kurz reinkommen und nach ihr suchen? Wenn sie nämlich in Panik gerät, fängt sie an, alles zu zerkratzen, was ihr in die Quere kommt. Und wir wollen nicht gleich an unserem ersten Tag hier unserem Nachbarn eine neue Couchgarnitur kaufen müssen.“ Spencer schien wenig erpicht, zwei völlig Fremde in sein Haus zu lassen, aber offenbar wog die Angst um seine Möbel noch um einiges mehr. Er nickte knapp und ließ sie eintreten. „Wie heißt denn Ihre Katze?“, fragte er, während er die Tür wieder schloss. „Äh, Mrs. Lovely“, meinte Sam hastig. Diesen Namen hatte er letztens in irgendeinem Film gehört. Zwar hatte eine überaus hochnäsige Pudeldame so geheißen, aber das war in dieser Situation zweitrangig. Spencer hob seine Augenbrauen, sagte aber nichts. Dean hingegen machte den Eindruck, als wollte er Sam in der nächsten Sekunde anfallen. Offenbar war es weit unterhalb seiner Würde, nach einer imaginären Katze namens Mrs. Lovely zu suchen. Wahrscheinlich war das ihm nicht mal ansatzweise männlich genug. „Bist du verrückt?“, zischte er seinem Bruder zu, als Spencer kurz außer Hörweite war. „Zwei Typen auf der Suche nach Mrs. Lovely – was Besseres ist dir wohl nicht eingefallen? Hättest du die blöde Katze nicht wenigstens Rambo oder Batman nennen können? Das wäre immerhin noch einigermaßen erträglich gewesen.“ Bevor Dean Gelegenheit erhielt, sich weiter zu beschweren, gab Sam ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er in Richtung Wohnzimmer ausschwärmen sollte, während er sich selbst dem Flur zuwendete. Spencer schien einen kurzen Augenblick unentschlossen, wem von beiden er nun folgen und überwachen sollte, schließlich aber entschied er sich für Dean. Wahrscheinlich machte er auf ihn eher den Eindruck eines potenziellen Kriminellen. Während Sam langsam den Flur entlangging und ab und zu den Namen der erfundenen Katze rief, um den Schein zu wahren, ließ er seinen Blick schweifen. Auf den ersten Blick fiel ihm nichts sonderlich Auffälliges auf. Garderobe, ein Schuhschrank und eine Kommode waren das höchste der Gefühle. Auf der Kommode befanden sich auch einige eingerahmte Bilder. Eins zeigte zwei Jungen, die von ihren Fahrrädern aus in die Kamera winkten, und auf einem weiteren war ein eindeutig jüngerer Spencer mit einer hübschen Frau zu sehen. Womöglich handelte es sich um seine Frau und seine beiden Söhne. Als Sam jedoch zur Garderobe zurückschaute, bemerkte er nur eine einzige Jacke. Entweder lebte er inzwischen alleine oder aber die etwaigen Mitbewohner befanden sich gerade außer Haus. Sam erreichte die Küche. Wie schon zuvor entdeckte er nichts, was ihm ins Auge stach. Die Einrichtung wirkte schon etwas älter – wahrscheinlich aus den Sechzigern oder Siebzigern – und war an einigen Stellen schon stark abgenutzt, aber das war bei weitem kein Grund, um Sams Alarmglocken läuten zu lassen. Auch der Geruch, der in der Luft hing, deutete nicht unbedingt darauf hin, dass Spencer sich an irgendeinem Zaubertrank versucht oder irgendein magisches Ritual vollzogen hätte, sondern machte eher deutlich, dass er sich erst vor kurzem einen Tee aufgesetzt hatte. Sam seufzte. Zumindest hier im Erdgeschoß schien sich nichts Außergewöhnliches zu befinden. Weder sah er etwas, noch spürte er irgendwas Ungewöhnliches. Kein kalter Schauer, keine Gänsehaut, einfach gar nichts. Er wollte sich schon umdrehen und in den oberen Etagen nach der Katze zu suchen beginnen, als sein Blick auf die Kellertür fiel. Sie war etwas versteckt hinter einem bulligen Schrank, sodass Sam sie nicht sofort bemerkt hatte. Ohne groß darüber nachzudenken, ging er darauf zu und öffnete sie. Eine alte Holztreppe führte nach unten in die gähnende Dunkelheit hinab. Sam trat auf die erste Stufe und tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, wurde jedoch nicht fündig. Einen kurzen Moment war er unschlüssig. Sollte er wieder umkehren oder sich in die Finsternis wagen? Sam hatte im Grunde wenig Lust, in dieser Schwärze zu versinken, aber er spürte ganz deutlich, dass dort unten etwas war. Die altbekannte Gänsehaut stellte sich ein, sein Körper verkrampfte sich. Ihm kam es für einen Augenblick sogar so vor, als würde die Dunkelheit ihm zuflüstern und versuchen, ihn zu sich zu locken. Auch glaubte er kurz, ein Geräusch von unten zu hören. Ein Scharren … Von Mrs. Lovely konnte es schon mal nicht sein, soviel stand fest. Aber war dort unten möglicherweise etwas anderes? Etwas Lebendiges? Sam war überaus erpicht zu erfahren, was sich dort befand, aber andererseits war es taktisch sehr unklug, sich in die mutmaßliche Höhle des Löwen zu wagen, ohne auch nur die Hand vor Augen sehen zu können. Aber womöglich hatte Spencer in seiner Küche irgendwo eine Taschenlampe rumliegen … Sam drehte sich um … und wäre vor Schreck fast die Treppe hinuntergefallen. Im Türrahmen stand Spencer, seine Hände in die Hüften gestemmt und offenbar sehr bemüht, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Ohne ein Wort zu sagen packte er Sam am Arm, zerrte ihn in die Küche und schloss eilig die Tür. „Ihre Katze ist nicht da unten!“, blaffte er. „Aber …“, begann Sam. „Glauben Sie mir“, meinte Spencer. „Vor gar nicht mal einer Stunde ist mir da unten ein Rohr geplatzt, da steht alles unter Wasser. Keine halbwegs vernünftige Katze würde sich dort unten aufhalten. Kaum würde sie das Wasser an ihren Pfoten spüren, wäre sie auch schon weg.“ Sam wusste ganz genau, dass Spencer log oder zumindest nicht die ganze Wahrheit erzählte, aber auf der anderen Seite konnte er sein Argument auch nicht entkräften. Ein überfluteter Keller war sicher kein Ort, an dem sich eine Katze zurückziehen würde, ob sie nun imaginär war oder nicht. „Gehen Sie jetzt am besten, Ihre Mrs.-wie-auch-immer scheint nicht hier zu sein.“ Spencer schnappte sich erneut Sams Arm und zerrte ihn in Richtung Haustür. Dean war bereits in den Flur getreten, um nachzuschauen, was der Trubel zu bedeuten hatte. „Was ist los?“, fragte er. „Ihre Katze muss woanders sein.“ Spencer öffnete die Tür und gab ihnen damit unmissverständlich zu verstehen, dass sie verschwinden sollten. Sein Blick war hart und entschlossen, seine Hände jedoch zitterten. Dean war deutlich anzusehen, dass er sich nur äußerst ungern rausschmeißen ließ. Unter Umständen dachte er sogar kurz mal darüber nach, den alten Mann einfach zu überwältigen, um weiter ungestört nachforschen zu können. Bevor dies geschehen konnte, nickte Sam knapp, entschuldigte sich für die Störung und bugsierte seinen Bruder nach draußen. „Was war denn nun los?“, wollte Dean wissen, als Spencer hinter ihnen lautstark die Tür zuschlug. „Der benimmt sich ja plötzlich, als hätte ein Affe ihm in den Hintern gebissen.“ Sam seufzte. Ihm war zwar auch nicht ganz klar, was soeben geschehen war, aber offenbar hatte Spencer etwas zu verbergen. Irgendetwas war in seinem Keller, das er unter allen Umständen vor fremden Blicken zu schützen gedachte. Seine bebenden Hände und auch das verschreckte Funkeln in seinen sonst eiskalten Augen hatten seine Angst mehr als offenkundig gemacht. Sam vermochte nur noch nicht zu sagen, ob er sich vor der Entdeckung fürchtete oder doch eher vor dem, was sich dort unten befand. „Irgendwas ist im Keller“, setzte Sam seinen Bruder ins Bild, als sie sich weit genug vom Haus entfernt hatten, sodass Spencer sie nicht belauschen konnte. „Das sollten wir unbedingt nachprüfen.“ Sam drehte sich noch einmal um. In seinen Ohren klang immer noch das Scharren, das aus dem Keller zu ihm hoch gehallt war. „Sobald Spencer das Haus verlässt, werden wir dort einsteigen.“ Kapitel 3: 3. Kapitel --------------------- Trotz Prüfungen habe ich es doch noch geschafft, das nächste Kapitel fertigzustellen ^^ Ich hoffe, es ist einigermaßen zu eurer Zufriedenheit ;p Und nochmal vielen Dank für eure lieben Kommentare :) _____________________________________________________________ Dean lehnte sich seufzend zurück. Schon seit Stunden hockte er in dem Impala und starrte auf dieses gottverdammte Haus. Sein Hintern tat allmählich richtig weh und seine Augen waren bereits das ein oder andere Mal kurz zugefallen. Er war sogar zu müde, um sich noch aufzuregen. Warum musste dieser Spencer auch so ein verfluchter Stubenhocker sein? Nicht ein einziges Mal hatte er sein Haus verlassen, weder hatte er sich auf den Weg zur Arbeit gemacht noch war er anderweitig ausgegangen. Für Dean war eines klar: bei Spencer handelte es sich offenbar um einen arbeitslosen oder auch möglicherweise schon pensionierten Knacker, der keine Freunde hatte. Stattdessen verbrachte er seinen Tag damit, in seiner Bude zu hocken, Briefmarken zu sortieren, mit Pflanzen zu sprechen und arme unschuldige Menschen zu vergraulen, die den unheilvollen Fehler begangen hatten, bei ihm zu klingeln. Schon den Postboten und einen Staubsaugervertreter hatte er mit seinen tödlichen Blicken verjagt (wobei Dean zugeben musste, dass er beim Letzteren wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt hätte). Inzwischen ging es auf die zehn Uhr abends zu. Es war schon stockfinster und jeder in der näheren Umgebung schien bereits zu schlafen oder hatte zumindest in nächster Zeit keine abenteuerlichen Unternehmungen mehr vor. Nur noch in wenigen Fenstern brannte Licht, das meiste davon war das typische blaue Flackern eines Fernsehers. „Ich glaube, das wird heute nichts mehr.“ Sam lugte noch einmal rüber zu dem einzigen beleuchteten Fenster in Spencers Haus. Es befand sich im ersten Stock, wahrscheinlich sein Schlafzimmer. „Dann steigen wir einfach ein, wenn er eingeschlafen ist“, schlug Dean vor. „Der schluckt wahrscheinlich gerade eine Valium und befindet sich innerhalb einer halben Stunde im Reich der Träume.“ Sam schüttelte entschieden den Kopf. „Was auch immer in dem Keller ist, wir sollten Spencer nicht unnötig gefährden, falls wir irgendwas freisetzen sollten. Wenn er verletzt würde, wären wir dran Schuld.“ Dean musste sich zwar eingestehen, dass ihn das herzlich wenig interessierte und er das Risiko ohne große Probleme in Kauf genommen hätte, aber Sam war sich offenbar seiner Sache ziemlich sicher. Und Dean war viel zu ausgelaugt, um mit seinem Bruder zu diskutieren. „Wir sollten es morgen noch mal probieren“, meinte Sam. „Im Notfall werden wir uns irgendeinen Trick einfallen lassen müssen, um ihn wegzulocken.“ Dean verdrehte die Augen, während er sich vorbeugte, um den Wagen zu starten. „Und wie willst du das anstellen? Die gute alte ‚Sie-haben-ein-Gasleck’-Masche hat doch noch nie wirklich funktioniert. Und die Sache mit deiner schwulen Katze kannst du auch gleich knicken, ich will den Namen des Viechs nie wieder hören!“ Sams Mundwinkel zuckte kurz. „Uns wird schon irgendwas einfallen.“ Dean seufzte bloß kopfschüttelnd und setzte den Impala in Bewegung. Das vertraute Röhren des Motors entspannte ihn wieder ein wenig, sodass er seine Frustration zumindest für einen Augenblick vergessen konnte. Mit halbem Ohr hörte er zu, wie Sam neben ihm allerlei mögliche Thesen über das mysteriöse Mädchen und das Geheimnis in Spencers Keller auflistete. Doch keine davon schien seinen Bruder wirklich zu überzeugen, das konnte man an seinem verkniffenen Gesicht deutlich sehen. „Hier in der Gegend ist vor fünfzehn Jahren jedenfalls kein Mädchen gestorben, auf das die Beschreibung passen könnte“, meinte Sam. In der Zeit, während sie Spencers Haus beobachtet hatten, hatte er seinen Laptop ausgepackt und recherchiert, währenddessen Dean dazu verdonnert gewesen war, in den wohl perfektesten Vorgarten der Welt zu starren und sich von der Langeweile innerlich auffressen zu lassen. „Und was ist mit der Zeit davor?“, erkundigte sich Dean. „Vielleicht gab es vor fünfzehn Jahren einen Auslöser, der sie dazu gebracht hat, sich ab und an zu zeigen, aber möglicherweise ist sie schon viel früher gestorben. Jahre oder gar Jahrhunderte früher.“ „Das habe ich überprüft“, sagte Sam nickend. „Ich habe die Umgebung ein wenig eingegrenzt, indem ich die Orte miteinander verglichen habe, in denen das Mädchen schon aufgetaucht ist. Anscheinend bewegt sie sich in einen fest beschränkten Bereich.“ „Ganz in der Nähe von Spencers Haus, nehme ich mal an“, warf Dean seine Vermutung ein. „Exakt. Eine gewisse Mary Cooper ist hier ganz in der Nähe in den Sechzigern bei einem Autounfall gestorben, sie könnte vom Alter und dem Aussehen her passen. Und eine Sandra Molina ist 1939 an einer Erbkrankheit gestorben, keine zwei Straßen von hier entfernt.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Sie passen zumindest ins Raster. Wenn ich aber noch ganz Seattle mitrechnen würde, würden es noch ein paar mehr werden. Vielleicht hat es aber auch nicht das Geringste mit dem Ort zu tun.“ Deans Kopf begann schon zu brummen. Er hatte wahrlich keine Kraft mehr für große Gedankengänge. „Und was hat nun Spencer mit der ganzen Sache zu tun?“ „Keine Ahnung“, gab Sam zu. „Offenbar befindet sich etwas in seinem Besitz, das dieses Mädchen unbedingt haben möchte. Und entweder hat er keinen Schimmer, dass ein paranormales Wesen hinter diesem Ding her ist, oder aber er weiß es ganz genau.“ „Denkst du, er könnte uns etwas über das Mädchen erzählen?“, fragte Dean. „Wäre möglich. Allerdings scheint er nicht gerade von der kooperativen Sorte zu sein.“ Dean lächelte verschmitzt. „Wenn es darauf ankommt, werde ich ihn schon zum reden kriegen, keine Sorge.“ Sam brummte nur irgendwas, ging aber auf den Kommentar nicht weiter ein. Stattdessen begann er wieder damit, Theorien aufzustellen, die teilweise ziemlich waghalsig wirkten und Dean dazu brachten, auf taub zu schalten. Seine Aufnahmefähigkeit war sowieso so gut wie tot, selbst wenn er zugehört hätte, hätte er in wenigen Minuten eh wieder alles vergessen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag, um sich den Kopf zu zerbrechen. Dean war mehr als glücklich, als sie endlich ihr Motel-Zimmer betraten. Es war wie so oft nichts Besonderes, bloß ein rechteckiger Raum mit ein paar Fenstern und einigen zusammengewürfelten Möbeln, die farblich nicht unbedingt zusammenpassten, aber immerhin ihren Zweck erfüllten. Wenigstens gab es keine Blümchentapete oder eine pinke Kommode mit dazugehörigen Zierdeckchen, wie es im letzten Motel der Fall gewesen war und bei deren Anblick Dean es ernsthaft erwogen hatte, freiwillig im Wagen oder sogar im Freien zu schlafen, nur um mit diesem modischen Fehltritt nicht im selben Raum sein zu müssen. Sam bewegte sich sofort zu seinem Bett, stellte den Laptop vor sich und begann sogleich, auf der Tastatur herumzuhämmern. Wie so oft kam er einfach nicht zur Ruhe, wenn ihm irgendwas im Kopf herumschwirrte. Dean war kurz davor, ihm einen brüderlichen Rat á la „Leg dich was hin, sonst explodiert noch dein Hirn“ zukommen zu lassen, aber dann unterließ er es doch. Es wäre eh sinnlos gewesen. Stattdessen schlürfte er ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Ein Blick in dem Spiegel zeigte ihm, wie fertig er in Wirklichkeit war. Blass und mit unansehnlichen Augenringen – es war wirklich Zeit für etwas Schlaf, ansonsten würden die Ladies vor ihm noch Reißaus nehmen. Aber im Grunde kein Wunder, dass er so geplättet aussah, an das letzte Mal, wo er wirklich mal sechs bis acht Stunden ohne Störungen hatte durchschlafen können, konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Der Job war wirklich nicht gerade zuträglich für die Gesundheit … Ein lauter Knall riss Dean aus seinen Gedanken und ließ ihn zusammenzucken. Von einem Moment zum anderen wurde es plötzlich stockdunkel im Badezimmer. Er brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, dass offenbar der Draht in der Glühbirne durchgebrannt war. „So ein Mist …“, knurrte er. Sich im Dunkeln die Zähne zu putzen, war nicht gerade sonderlich witzig. Äußerst übellaunig ging er ins Zimmer zurück … nur um überrascht festzustellen, dass auch dort fast alles in Finsternis versunken war. Das dumpfe Licht des Laptops war das einzige, was noch etwas Helligkeit spendete. „Was ist denn passiert?“ Sam schien die Situation noch nicht wirklich realisiert zu haben. Verwirrt starrte er hoch zur Deckenlampe. „Es hat plötzlich so laut geknallt.“ „Die Glühbirnen scheinen offenbar alle zur selben Zeit explodiert zu sein“, meinte Dean. „Eine zu hohe Spannung möglicherweise?“ Seine Skepsis war auf jeden Fall geweckt. Wenn das Licht verrückt spielte, tauchte in den meisten Fällen immer irgendein übernatürliches Geschöpf auf, dass seine Geistershow abzog, wie die Oberschurken in den Filmen teuflisch zu lachen anfing und dann spurlos verschwand. Und meistens hinterließen diese Kreaturen ein großes Chaos, das man nur schwer wieder beseitigen konnte. „Hier ist irgendwas faul“, sagte Sam. Im bläulichen Licht des Computers wirkte sein angespanntes Gesicht seltsam verzerrt, fast schon irreal. Er griff nach der Waffe, die mit Steinsalz geladen war, und schaute sich argwöhnisch im Zimmer um. Dean wollte auch soeben zur Kommode eilen und sich seine Kanone schnappen, doch eine plötzliche kalte Brise, die seine Wange streifte, ließ ihn innehalten. Wo kam denn die Luft her? Hatten sie irgendwo ein Fenster offen stehen lassen? Normalerweise waren die beiden Brüder bei weitem nicht so fahrlässig, aber unter Umständen war es möglich … Dean unterbrach seine Überlegungen, als ihn wie aus heiterem Himmel die Erkenntnis durchfuhr. Er musste daran denken, was Michelle Smith ihnen erzählt hatte. Über das geheimnisvolle Mädchen und dem Sturm in ihrem Apartment … „Sie ist hier irgendwo.“ Sam hatte offenbar schon längst durchschaut, was Sache war. Dean verfluchte innerlich seine Müdigkeit und sein überaus langsam arbeitendes Gehirn. Er bewegte sich zur Kommode, packte seine Waffe – und ließ sie laut aufschreiend sofort wieder fallen. Dumpf schlug sie auf dem Teppichboden auf. „Was ist?“, fragte Sam. Aufs höchste alarmiert war er vom Bett aufgesprungen und riss seine Waffe hoch. Er ließ den Lauf des Gewehres langsam durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einem möglichen Ziel. Bis jetzt war jedoch weit und breit noch nichts zu sehen, das er hätte erschießen können. „Die Knarre … sie war furchtbar heiß“, erklärte Dean aufgeregt. Er starrte hinab auf seine Handflächen, konnte bei dem wenigen Licht aber nicht wirklich erkennen, ob er sich ernsthaftere Verbrennungen zugezogen hatte oder nicht. Auf jeden Fall hatte es sich so angefühlt, als wollten glühende Kohlen sich durch seine Haut fressen. „Ich hoffe, ich habe dir nicht allzu sehr wehgetan“, erklang plötzlich eine weibliche Stimme, die vor Spott nur so überzuquellen schien. Die beiden Brüder wirbelten herum. Direkt vor der Badezimmertür, wo Dean keine paar Sekunden zuvor noch gestanden hatte, nahmen sie eine kleine Gestalt wahr, deren lange Haare und Kleid flatterten, als wären sie lebendig. Die Augen des Mädchens leuchteten wie die einer Raubkatze, als sie die Winchesters fixierte. Genauere Details ihres äußeren Erscheinungsbildes waren jedoch nicht zu erkennen, dafür bot das schwache Licht des Laptops nicht die geeignete Grundlage. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr nach mir sucht.“ Ihr Tonfall schien belustigt, aber gleichzeitig auch irgendwie kalt. Dean hätte nie vermutet, dass solch eine Kombination überhaupt möglich wäre, doch dieses Mädchen schaffte es ohne Probleme. „Da hast du richtig gehört.“ Sam richtete seine Waffe auf das Wesen und verharrte in dieser Position, jederzeit bereit, den Abzug zu drücken. „Wer bist du?“ Das Mädchen setzte ein Lächeln auf, das selbst Dean als ziemlich unheimlich empfand. Es gab wirklich nicht viel, was ihn nach seiner langen Laufbahn als Jäger noch schockieren konnte, aber dieses Mädchen war eindeutig anders als die gewöhnlichen Alltags-Freaks. Er versuchte zwar, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, doch der Blick, den sie ihm zuwarf, verriet ihm, dass sie ihn durchschaut hatte. „Wer ich bin?“ Sie legte ihren Kopf schief. „Nun, ich könnte euch meinen Namen nennen, aber das würde euch nichts bringen. Ihr jämmerlichen Menschen könntet ihn nie im Leben aussprechen. Es wäre zwar überaus lustig, dabei zuzusehen, wie sich eure Zungen verknoten, aber dafür habe ich jetzt leider keine Zeit.“ Sie schwieg einen Moment, schaute ihnen abwechselnd in die Augen. Von Sams Waffe nahm sie nicht die geringste Notiz. „Nennt mich einfach Alyssa. So hat mich ein kleines Mädchen mal getauft.“ Alyssa? Dean fand diesen Namen eindeutig viel zu nett und unschuldig für dieses Ding. Er selbst hätte die Kleine „halbwüchsiges Miststück“ genannt, das wäre ihrem Charakter sehr viel entsprechender gewesen. Er kannte das Mädchen zwar gerade mal ein paar Sekunden, aber sie war ihm prompt unsympathisch gewesen. Immerhin hatte sich das Biest an seiner Waffe zu schaffen gemacht, das konnte er auf den Tod nicht ausstehen! Niemand trieb Schindluder mit seinen Sachen, in dieser Hinsicht war er ausgesprochen eigen. „Deinem Spielzeug geht es gut, keine Sorge“, meinte Alyssa. „Ich wollte mir nur einen kleinen Scherz erlauben, das ist alles.“ Dean verzog sein Gesicht. Mist, die Kleine konnte offenbar Gedanken lesen oder hatte zumindest ein überaus feinfühliges Gespür. So was war immer ausgesprochen lästig. „Was willst du von uns?“, fragte Sam. Dean konnte währenddessen nur die Augen verdrehen. Konnte er nicht endlich losschießen? Immerhin hatte dieses Miststück seine Knarre entweiht und darüber hinaus seine Hand fast in ein Grillsteak verwandelt! Für Dean war das mehr als ausreichend, um das Ding mal ordentlich in die Mangel zu nehmen. Sam hingegen war wieder wie so oft entspannter, kühl berechnend. Er wollte hinter das Geheimnis der ganzen Sache kommen. Möglicherweise ließ ihn aber auch das kindliche Erscheinungsbild dieses Mädchens zögern. „Ich wollte mir nur mal die großen Jäger ansehen“, sagte sie höhnisch. Sie kam einen Schritt näher auf sie zu, die Bewegung ein einziger fließender Ablauf. „Schließlich verirren sich nicht jeden Tag solche Individuen wie ihr in diese Stadt. Ich bin wirklich überaus geschmeichelt, dass ihr mir eure Aufmerksamkeit geschenkt habt.“ Für Deans Ohren klang die Mischung aus dieser kindlichen Stimme und diesem hohen Wortschatz mehr als falsch. Kein normales sechsjähriges Mädchen würde so sprechen. „Und deine dumme Waffe wird dir nichts nützen“, meinte sie, ihren Blick auf Sam gerichtet. Ihre Augen schienen für einen kurzen Moment aufzuleuchten. „Ich bin nicht so wie diese schwächlichen Dämonen, mit denen ihr es sonst zu tun habt.“ „Ach nein?“, fragte Sam. Dean bemerkte, dass sich dessen ganzer Körper verkrampfte. „Und was bist du dann?“ Alyssa lachte auf. „Nur ein kleines, unschuldiges Mädchen, das zufällig die Macht besitzt, allein durch die Kraft ihrer Gedanken alles mögliche anzustellen. Ich könnte euch beide hier und auf der Stelle töten, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen.“ Als sie bemerkte, wie Dean skeptisch seine Augenbraue hob, fragte sie: „Du glaubst mir nicht?“ „Ich will dich ja wirklich nicht beleidigen, meine Kleine, aber du scheinst keine besonders große Nummer zu sein“, meinte Dean kopfschüttelnd. „Du kannst ja nicht mal ein Haus betreten und dir das holen, wonach es dir sosehr verlangt. Na ja, was soll man von einer mickrigen Göre wie dir auch schon groß erwarten?“ Dean merkte, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Ihre Augen funkelten wütend auf, ihre Hände ballte sie zu Fäusten und die allgemeine Umgebungstemperatur schien um ein paar Grade abzusinken. Ein Grinsen konnte Dean sich daraufhin nicht verkneifen. Er liebte es, diese Wesen zu provozieren. „Du solltest sie nicht unbedingt reizen“, warnte Sam ihn. „Und du solltest sie endlich mal über den Haufen schießen“, gab Dean zurück. „Was zögerst du noch? Hast du etwa vergessen, wie man eine Waffe benutzt?“ Bevor er Sam weiter anspornen konnte, endlich mal seine verfluchten Jägerinstinkte auf Trab zu bringen, spürte er unvermittelt einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Erst war es nur ein kurzes Flackern, sodass er es schon fast für eine Einbildung hielt, aber aus heiterem Himmel wurde es unerwartet schlimmer. In seinem Inneren schien sich von einem Moment zum anderen plötzlich alles zusammenzuziehen, sein Blut rauschte mit einem Affenzahn durch seinen Körper und schien regelrecht zu kochen. Sein Blick wurde trüb, alles war schlagartig verschwommen. Und nur indem er sich an Sams Schulter festkrallte, konnte er verhindern, dass seine Beine nachgaben und er auf den Boden sackte. „Was ist los?“, hörte er die alarmierte Stimme seines Bruders irgendwo am Rand seines Bewusstseins. Diese Frage wusste Dean selbst nicht zu beantworten. Was, zur Hölle, passierte nur mit ihm? Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, in seinem Kopf ging es zu wie auf einem viel zu schnellen Karussell. „Ich … ich weiß nicht.“ Selbst das Sprechen und Luftholen kam einen enormen Kraftakt gleich. Das eisige Lachen des Mädchens erfüllte den Raum. „Ich habe doch gesagt, dass ich dich hier und jetzt töten könnte.“ Dean vermochte es zwar nicht zu sehen, aber er konnte sich lebhaft vorstellen, wie dieses Gör gerade schadenfroh grinste. „Aber zu deinem Glück brauche ich dich lebend. Zumindest vorerst.“ Dean nahm vage wahr, wie Alyssa eine kurze Bewegung mit der Hand vollführte. Und so plötzlich, wie sie gekommen waren, verschwanden die peinigenden Symptome auch wieder. Deans Kraft kehrte zurück, als wäre sie nie weg gewesen. Sein Blick klärte sich und auch seine Beine waren wieder stark genug, ohne menschliche Stütze stehen zu bleiben. Er fühlte sich auf einmal wieder bestens. Sogar noch wacher und vitaler als vor diesem merkwürdigen Ereignis. Aber die Verwirrung in Deans Kopf blieb bestehen. „Was ist da gerade passiert?“, fragte Sam. Dean konnte es zwar wegen des schlechten Lichts nicht genau sehen, aber sein Bruder machte einen sehr erschrockenen Eindruck. Wahrscheinlich hatte er sich während dieses unsichtbaren Angriffs ziemlich hilflos gefühlt. Dean warf einen Blick auf das Mädchen. Hatte dieses kleine Miststück etwa wirklich …? Erst seine Waffe und nun auch noch so was! Es war wirklich nicht zu fassen, diese übernatürlichen Wesen wurden auch immer dreister. Wie konnte sie es nur wagen, sich an seiner körperlichen Verfassung zu vergreifen? „Du kleines Biest!“, knurrte Dean. Er hatte langsam genug von dem Gör, dieser überhebliche Blick und das teuflische Lächeln machten ihn geradezu rasend. Er schnappte sich Sams Waffe aus dessen Händen und richtete sie auf das Mädchen. „Du solltest längst im Bett liegen, mein Kleine. Also Gute Nacht!“ Die Gelegenheit für einen coolen Spruch, bevor er auf den Abzug drückte, bekam er leider viel zu selten, sodass er diesen Anlass gebührend nutzte. Und dann schoss er. Zweimal. Der Krach war dermaßen ohrenbetäubend, dass wahrscheinlich gerade in diesem Moment ihre Nachbarn vor Schock aus den Betten fielen. Doch das störte Dean nicht im Mindesten. Ihm interessierte es einzig und allein, wie das halbwüchsige Miststück darauf reagieren würde. Und zu seinem großen Erstaunen schienen Alyssa die Schüsse ebenfalls nicht sonderlich zu stören. Das Steinsalz war an ihr abgeprallt, als wären es bloß harmlose Blumenpollen. Alyssa ließ nicht mal ein Muskelzucken erkennen oder eine andere zumindest einigermaßen nachvollziehbare Reaktion. Stattdessen stand sie noch ein Ort und Stelle, keinen Zentimeter verrückt, und lächelte sie weiterhin an. „Wirklich süß“, sagte sie spöttisch. „Aber wie schon gesagt: vollkommen nutzlos! Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum ihr Menschen nie auf mich hören wollt.“ Dean wollte noch einmal auf den Abzug drücken – nur, um wirklich sicherzugehen und auch um Alyssa endlich das Maul zu stopfen –, doch er kam nicht mehr dazu. Erst war es die Waffe, die ihm aus den Händen gerissen wurde und ihm hohen Bogen davonflog, dann musste er selber dran glauben. Wie schon Michelle es beschrieben hatte, fegte plötzlich ein Sturm durch das Zimmer, wie Dean es noch nie erlebt hatte. Er versuchte alles Mögliche, um dagegen anzukämpfen und nicht das Gleichgewicht zu verlieren, aber er versagte kläglich. Er verlor den Boden unter den Füßen und wurde quer durchs Zimmer geschleudert, als wäre er bloß eine Stoffpuppe. Äußerst unsanft krachte er schließlich gegen eine Wand. Der Aufprall ließ alle Luft aus seinen Lungen entweichen, sodass er entkräftet und nach Atem ringend auf den Boden sackte. Aus den Augenwinkeln bekam er mit, dass es Sam nicht viel anders erging. Als der Sturm abflaute, lagen die beiden Brüder am Boden. „Böse Jungs müssen bestraft werden“, meinte Alyssa kalt. „Was … was willst du?“, brachte Sam keuchend hervor. Er schaffte es sogar, sich ein wenig aufzurappeln. Alyssa trat auf Sam zu und beugte sich ein wenig nach vorne, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. „Ich will das, was Spencer in seinem Keller versteckt. Und ihr seid vielleicht die einzigen in der näheren Umgebung, die es mir beschaffen können.“ Sie richtete sich wieder auf und schaute von einem Bruder zum anderen. „Ich will, dass ihr es mir besorgt, sonst wird mein nächster Besuch bei weitem nicht so freundlich sein wie dieser hier.“ Mit diesen Worten löste sie sich auf, als hätte sie nie existiert. Von der Dunkelheit verschluckt blieb von ihr nicht viel mehr übrig als die Erinnerung. „Dieses Miststück!“, knurrte Dean aufgebracht. „Wie kann sie es wagen, uns zu erpressen?“ Etwas unbeholfen hievte er sich wieder in eine aufrechte Position. Er fühlte sich wieder wie ausgelaugt, aber wenigstens kochten seine Innereien nicht. Das war schon mal einiges wert. Auch Sam rappelte sich wieder hoch. „Tja, offenbar kann sie das ohne Probleme.“ Er seufzte schwer. „Sie hat uns ganz schön alt aussehen lassen.“ „Dieses Luder hatte einfach nur Glück!“, zischte Dean. Er trat zu der Waffe am Boden, die ihm noch eben die Hand verbrannt hatte, und berührte sie vorsichtig mit einer Fingerspitze. Zu seiner Erleichterung hatte sie inzwischen wieder normale Temperatur. „Sie hat uns unvorbereitet erwischt, das wird ihr nicht noch einmal gelingen. Zumindest wissen wir schon mal, dass wir es offenbar mit einer Art Dämon zu tun haben. Damit kann man was anfangen.“ Sam nickte knapp. „Ich glaube, ich weiß, worum es sich handelt.“ Dean schaute überrascht auf. „Tatsächlich?“ Sam hob das mit Steinsalz geladene Gewehr auf und betrachtete es nachdenklich. „Ja, ich bin mir eigentlich ziemlich sicher. Und es gefällt mir ganz und gar nicht.“ ____________________________________________ So, das war's mal wieder ^^ Und extra für dich, Kaguyashi, habe ich Dean ein bisschen mehr leiden lassen ;) Kapitel 4: 4. Kapitel --------------------- „Und du bist dir wirklich hundertprozentig sicher?“ Deans zweifelnde Stimme riss Sam aus seinen Gedanken. Die ganze Zeit hatte er überlegt, ob er sich vielleicht nicht doch irrte, ob er voreilige Schlüsse gezogen hatte, und Deans Unglaube war nicht gerade förderlich, um seiner Unsicherheit Einhalt zu gebieten. „Nicht hundertprozentig“, erwiderte Sam. „Aber zu achtzig Prozent.“ Dean stieß sich von der Motorhaube des Impalas ab, an dem er sich zuvor noch gelehnt hatte, und warf seinem Bruder wieder einen dieser argwöhnischen Blicke zu, die er durch das demonstrative Anheben seiner Augebrauen fast schon zur Vollkommenheit gebracht hatte. „Weißt du, Mann, ich will jetzt wirklich nicht behaupten, dass ich ein Ass in Mathematik bin, aber achtzig Prozent reichen in diesem Fall nicht. Wir können eine ganze Menge Ärger kriegen, wenn wir falsch liegen.“ „Ich weiß“, murmelte Sam. Aber er war sich ziemlich sicher, dass sie zumindest auf der richtigen Spur waren. Dean hatte zunächst etwas skeptisch reagiert, als Sam ihm seine Vermutung offenbart hatte, schließlich aber hatte er eingewilligt, dass Ganze wenigstens nicht sofort als Schwachsinn zu verbuchen, sondern seinem kleinen Bruder eine Chance zu geben. Und nun standen sie hier, neben dem Impala, ganz in der Nähe des kleinen Ladens mit dem überaus motivierten Kassierer, und starrten auf eine Parkanlage ganz in der Nähe, wo ein kleines Mädchen in einem roten Kleid mit ihrem Ball auf der Wiese spielte. Sie wirkte fröhlich und ausgelassen, lachte die ganze Zeit und brachte durch ihren Charme vorbeilaufende Passanten dazu, bei ihrem Anblick ebenfalls zu lächeln. Sie schien überaus glücklich. Aber Sam hatte schon früh gelernt, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. „Das kleine Ding ist also besessen.“ Dean starrte skeptisch zu Amy hinüber und schüttelte den Kopf. „Nun ja, von der Statur könnte es ungefähr hinkommen, aber wirklich genau erkennen konnte ich dieses Alyssa-Miststück nicht. Und du bist dir sicher?“ Sam nickte. Als sich Alyssa zu ihm hinübergebeugt hatte, hatte er Einzelheiten ihres Gesichts ausmachen können. Und sie war ihm auf erschreckende Weise bekannt vorgekommen. Sofort hatte er sich an die kleine Amy erinnert, die ihm vor dem Laden begegnet war und ihn mit ihren Fragen gelöchert hatte. Ein unschuldiges Kind … diese Dämonen wurden auch immer dreister! „Dann muss Danny aber vor fünfzehn Jahren jemand völlig anderen in seinem Zimmer vorgefunden haben“, gab Dean zu bedenken. „Danny hat erzählt, dass er ein Mädchen gesehen hat“, meinte Sam. „Alyssa scheint offenbar die Dunkelheit zu bevorzugen, damit man sie nicht genau erkennen kann. So bemerken die Leute nicht, dass der Dämon immer wieder sein Äußeres verändert. Und anscheinend sind Alyssas bevorzugte Opfer kleine Mädchen.“ Dean runzelte die Stirn. Man konnte ihm ansehen, wie wenig ihm diese Neuigkeit gefiel. Und Sam vermochte es ihm nicht zu verübeln, ihm selbst sagte die Vorgehensweise dieser hinterhältigen Dämonin auch nicht allzu sehr zu. „Nun gut, die Kleine ist besessen.“ Dean seufzte und steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Und wieso tanzt sie dann im Park?“ Genau in diesem Moment quietschte Amy entzückt auf, als sie ein Eichhörnchen entdeckte. Fasziniert beobachtete sie das Tier, wie dieses etwas vom Boden aufhob und dann auf einen Baum huschte. „Sie benimmt sich nicht unbedingt wie ein Dämon“, gab Dean zu bedenken. „Auf jeden Fall ist mir noch keiner begegnet, der mit einem Ball spielt und einen Faible für Nagetiere hat. Ehrlich gesagt fände ich das sogar sehr beunruhigend, wenn sich ein Dämon so verhalten würde.“ „Ich habe da eine Theorie“, sagte Sam. „Sie klingt zwar etwas merkwürdig, aber irgendwie ergibt sie auch Sinn. Zumindest würde sie einiges erklären.“ Dean fischte eine 45-er aus dem Kofferraum, steckte die Waffe in seinen Hosenbund und warf seinem Bruder einen Blick zu. „Und wie lautet nun deine Theorie?“ Sam sah hinüber zu Amy, die ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren geliebten Ball gerichtet hatte. Lachend warf sie ihn hoch in die Luft und fing ihn wieder auf, bevor er den Boden berühren konnte. Sie bewies dabei eine ausgesprochen erstaunliche Hand-Augen-Koordination für so ein junges Mädchen. Vielleicht zu erstaunlich … „Was wäre, wenn Alyssa nicht die Dunkelheit bevorzugt, um ihr Gesicht zu verbergen, sondern aus einem anderen Grund?“, fragte Sam. Dean konnte daraufhin nichts weiter tun, als einen verwirrten Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Was meinst du?“ „Als ich mit Amy geredet habe, hat sie etwas zu mir gesagt, das ich in jenem Moment nicht verstanden hatte, was mir aber nun langsam aber sicher sinnvoll erscheint.“ Sam holte sich auch eine Waffe aus dem Kofferraum, sorgsam darauf achtend, dass kein Passant zufällig ihr geheimes Waffenarsenal zu Gesicht bekam. „Wir haben über deinen Wagen gesprochen und sie meinte, sie könnte damit nicht fahren, weil es kein Cabrio sei. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Aber unter Umständen hatte sie Angst vor dem dunklen Inneren.“ Dean schien immer noch nicht recht zu begreifen, worauf Sam hinauswollte. Darüber hinaus war es ihm ganz offensichtlich unverständlich, wie jemand eine Spritztour mit seinem Impala ablehnen könnte. „Vielleicht fürchtet Alyssa das Licht“, erklärte Sam seine Ausführungen genauer. „Bevor sie einen Raum betritt, geht sie sicher, dass alle Lampen ausgeschaltet sind. Noch niemand hat je einen Lichtstrahl auf dieses Mädchen richten können. Was wäre also, wenn Licht ihre Schwachstelle wäre?“ Nun schien Dean langsam zu verstehen, ein leichtes Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit. „Du meinst also, das einzige, was wir hätten tun müssen, um es diesem Biest richtig heimzuzahlen, wäre gewesen, sie mit einer Taschenlampe anzustrahlen?“ Dean schüttelte den Kopf. „Du hast Recht, Mann, diese Theorie ist wirklich ziemlich merkwürdig.“ „Möglicherweise liege ich auch völlig falsch“, gab Sam zu bedenken. „Aber es würde zumindest Amys Reaktion erklären. Sie fürchtet sich vor der Dunkelheit, weil dort der Dämon ihren Körper übernehmen kann. Und wenn es sich dabei nur um den Schatten eines Autodachs handelt.“ Dean nickte knapp, schaute wieder hinüber zu dem spielenden Mädchen. „Also wenn du Recht hast, dann ist die ganze Sache vielleicht doch leichter, als ich gestern Abend nach unserer netten Begegnung mit dieser Gruselgöre noch gedacht habe.“ Er schloss den Kofferraum und sagte: „Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.“ Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung, in Richtung Amy. Sam folgte ihm augenblicklich. Amy bemerkte ihr Näherkommen sofort. Erst wirkte sie etwas verdutzt, aber als sie Sam erkannte, legte sich auf ihre Lippen ein strahlendes Lächeln. Sie stürmte zu ihnen hin, den Ball fest in ihren Händen, und schaute zu ihnen beiden hoch. „Hallo, Sam“, sagte sie begeistert. „Bist du wieder einkaufen gewesen?“ „Ehrlich gesagt sind wir deinetwegen hier.“ Er ging in die Hocke, um ihr direkt in die Augen blicken zu können. Eine Vertrauensbasis zu schaffen, war in dieser Situation äußerst wichtig. Und auch wenn Amy überaus aufgeschlossen wirkte, war es dennoch möglich, dass sie sich sofort versperrte, wenn sie erst einmal gehört hatte, worüber sie mit ihr reden wollten. „Wir haben etwas mit dir zu besprechen.“ Amy schien das hingegen wenig zu interessieren. Sie sah an Sam vorbei, direkt zu Dean. Ihre Stirn gerunzelt, fragte sie: „Wer ist das denn? Er sieht aus wie einer dieser bösen Rocker aus dem Fernsehen.“ Dean schien wohl nicht so recht zu wissen, ob er sich beleidigt oder geschmeichelt fühlen sollte. Sam währenddessen musste all seine Willenskräfte mobilisieren, um nicht schadenfroh zu grinsen. „Das ist mein Bruder Dean“, stellte Sam ihn mit zuckenden Mundwinkeln vor. „Ach tatsächlich?“ Sie musterte ihn kritisch von oben bis unten. „Du siehst irgendwie gruselig aus. Aber ich mag deine Frisur. Sie sieht aus wie ein Igel. Und ich liebe Igel.“ Dean hob eine Augenbraue. Er war wohl noch nie in seinem Leben mit einem Igel verglichen worden und wusste dementsprechend nicht, wie man sich in solch einer Situation zu verhalten hatte. Er entschied sich schließlich dafür, ein wenig grummelig aus der Wäsche zu schauen und leise vor sich hinzumurmeln. „Aber vom Gesicht her sieht er eher aus wie ein brummiger Bär“, fuhr Amy mit ihren Ausführungen fort. Sie schien Deans Äußeres unglaublich faszinierend zu finden, gebannt beobachtete sie, wie sich seine Stirn in Falten legte. Als hätte sie so etwas zuvor noch nie in ihrem Leben gesehen. „Amy, hör zu, wir müssen mit dir reden“, lenkte Sam die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Über etwas sehr Wichtiges.“ „Und das wäre?“ Interessiert mustere ihn Amy. „Es geht um Alyssa.“ Mit einem Mal änderte sich Amys fröhliche Miene. Ihr Lächeln erlosch, ihre Augen wurden groß. Unsicher sah sie von einem zum anderen. „Ihr … ihr wisst von ihr?“, stotterte sie unbehaglich. „Ganz recht“, meinte Dean nickend. Sam entging hierbei nicht, dass die Hand seines Bruders unbewusst zu der Stelle seiner Jacke wanderte, unter der sich die Waffe befand. „Sie hat uns gestern besucht. Es war wirklich eine reizende Begegnung.“ „Oh nein …“ Sie wich einen Schritt zurück. „Sie war gemein zu euch, nicht wahr?“ Sie drückte ihren Ball enger an ihre Brust. „Sie ist immer zu allen gemein.“ Dies sagte sie jedoch nicht mit Angst in der Stimme. Vielmehr klang sie schuldbewusst, als fühlte sie sich dafür verantwortlich, dass Alyssa ihr Unwesen trieb. Und es war nicht gerade abwegig, dass ein kleines unbedarftes Mädchen dies dachte. Womöglich hatte Alyssa selbst ihr das eingeredet. „Es tut mir leid …“, sagte Amy kleinlaut, ihren Blick gesenkt. „Ich sage ihr immer, sie soll nicht so böse sein, aber sie hört einfach nicht auf mich.“ Sam verwunderte das wenig. Mächtige Dämonen hatten äußerst selten die Angewohnheit, auf die Ratschläge von Menschenkindern zu hören. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, sagte er. „Es ist nicht deine Schuld. Es geht hier nur um Alyssa. Sie kontrolliert dich, du kannst nichts dagegen tun.“ Sam hielt kurz inne und setzte sein sanftmütigstes Lächeln auf, um Amy zu beruhigen. „Aber Dean und ich, wir können dir helfen.“ Amy schaute auf. „Helfen?“, fragte sie leise. „Ganz recht.“ Dean trat vor und lächelte verschmitzt. „Wir werden diesem kleinen Biest ordentlich in den Hintern treten, glaube mir. Am Ende wird dieses Miststück in der Hölle schmoren.“ Dean erwartete offenbar, dass Amy laut aufjubeln und ihm um den Hals fallen würde. Doch das genaue Gegenteil trat ein. Statt sich über die unverhoffte Hilfestellung zu freuen, konnten die beiden Brüder beobachten, wie die Augen des Mädchens wässrig wurden. „Ihr wollt … ihr wehtun?“ Augenscheinlich schockierte sie diese Nachricht sehr. „Ähm …“ Dean wusste nicht mehr, was er sagen sollte, als er in ihr entsetztes Gesicht blickte. Auch Sam war ratlos. Mit solch einer Reaktion hatte er eigentlich nicht gerechnet. Normalerweise waren die Opfer hocherfreut, wenn man sie von lästigen Dämonen befreite. Amy hingegen machte ein Gesicht, als hätte man ihr soeben vorgeschlagen, ihre beste Freundin umzubringen. Unter Umständen war das vielleicht auch gar nicht mal so falsch. Möglicherweise hatte Alyssa Einfluss auf das Mädchen genommen und ihr eingeredet, dass sie ihr nur Gutes tun wollte. Dass sie Freundinnen seien. Diese Alyssa war wirklich ein hinterlistiges Biest! „Hör zu, Alyssa benutzt dich nur.“ Sam wollte Amy besänftigend seine Hand auf die Schulter legen, doch diese wich vor seinem ausgestreckten Arm zurück. Leise schniefte sie, während die ersten Tränen ihre Wangen herunterkullerten. „Alyssa hat mich doch lieb“, meinte sie mit zittriger Stimme. „Wie könnt ihr nur so was Gemeines sagen?“ Sam warf einen Blick zu seinem Bruder. Offenbar hatte die Dämonin den Verstand des Mädchens ordentlich manipuliert. Das würde gewiss nicht einfach werden. „Wir wollen dir wirklich nur helfen“, versuchte Sam es erneut. „Alyssa ist böse, das hast du doch gerade eben selbst gesagt. Wir müssen sie aufhalten.“ „Ihr wollt ihr wehtun!“ Nun hatte Amys Stimme eindeutig einen verärgerten Tonfall angenommen. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich. „Es ist nur zu deinem Besten“, meinte Sam. „Alyssa verletzt andere Menschen und das kannst du doch nicht wirklich wollen, oder? Tief in deinem Inneren weißt du, dass sie nur so tut, als wäre sie deine Freundin. Und dir ist sicherlich auch klar, was sie in Wirklichkeit ist. Wir müssen sie stoppen, bevor sie noch mehr Menschen wehtut.“ Aber Amy schien seine Worte nicht gehört zu haben. Stattdessen schüttelte sie überaus energisch den Kopf und schrie laut: „NEIN!“ Sam wollte sie auf irgendeine Art und Weise zur Ruhe bringen, doch er kam gar nicht mehr dazu. Stattdessen spürte er einen Luftstoß, der ihn frontal traf und wie schon am Abend zuvor von den Füßen riss. Ohne die geringste Kontrolle über seinen Körper zu haben, rutschte er über den noch vom Morgentau nassen Rasen, bis er schließlich äußerst unangenehm gegen eine Sitzbank prallte. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Rücken und ließ ihn für einen Moment Sternchen vor seinen Augen sehen. Dean erwischte es sogar noch schlimmer, wie Sam trotz seiner eigenen misslichen Lage bemerkte. Da er sich nicht wie sein jüngerer Bruder hingehockt hatte, hatte er automatisch mehr Angriffsfläche geboten und segelte nun durch die Luft wie ein Fähnchen im Wind, als besäße er nicht das geringste Gewicht. Letztlich krachte er gegen einen Baum und fiel zu Boden. Nachdem Sam sich mit einem raschen Blick davon überzeugt hatte, dass Dean zumindest noch am leben war, wandte er sich Amy zu. Ihre Haare tanzten, wie es schon bei Alyssas Besuch gewesen war, doch anstelle des höhnischen Lächelns war nun nur noch Entsetzen in Amys Gesicht zu sehen. Fassungslos betrachtete sie die beiden Brüder, als könnte sie nicht glauben, was soeben passiert war. „Ich … ich …“ Sie fand keine Worte, während ihr Tränenfluss nicht zu versiegen scheinen wollte. Sam hievte sich ächzend hoch und schleppte sich mehr schlecht als recht zu Dean. In seinem Rücken machte sich ein dumpfer Schmerz breit, wahrscheinlich würde sich dort bald ein schöner, großer Bluterguss bilden. Allerdings störte ihn das kaum. Er wurde beinahe wöchentlich von mindestens einem Dämon oder Geist durch die Gegend geschleudert, da machte dieser zusätzliche blaue Fleck ihm nun wirklich nichts aus. „Dean, alles in Ordnung?“, erkundigte sich Sam besorgt. Dean, dessen Gesicht im Gras lag, gab zunächst einige unverständliche Laute von sich, schließlich aber hob er seinen Kopf und meinte mürrisch: „Langsam habe ich echt genug davon, als Punchingball missbraucht zu werden!“ Mit Sams Hilfe schaffte er es, sich wieder aufzurappeln. Er wollte nach der Waffe in seinem Hosenbund greifen, aber allein schon an seiner leicht schwankenden Haltung konnte man sehen, dass sich in seinem Kopf noch alles drehte. Er verfehlte die Kanone um Längen und hätte daraufhin beinahe wieder das Gleichgewicht verloren, hätte Sam ihn nicht in letzter Sekunde gepackt. „So ein Mist“, knurrte Dean. „Ich seh alles doppelt. So was kann ich eigentlich nur nach zwanzig Flaschen Bier erlauben.“ Er schien Amy einen verärgerten Blick zuwerfen zu wollen, aber wie schon zuvor stand es mit seiner Präzision nicht zum allerbesten. Er schaute glatt an dem Mädchen vorbei und starrte stattdessen einen unschuldigen Mülleimer vorwurfsvoll an. „Es … es tut mir leid …“, schluchzte Amy herzzerreißend. „Das wollte ich nicht. Es ist … einfach so passiert.“ Nun, wenigstens stand nun fest, dass Alyssa trotz des Lichtes nicht völlig kraftlos war. Sie konnte womöglich nicht Amys Körper kontrollieren, aber sich dennoch ab und an überdeutlich präsentieren. Und das arme Kind gab sich die Schuld an allem. Sam sorgte zunächst dafür, dass Dean auf der Sitzbank Platz nahm, ansonsten wäre er wahrscheinlich wieder umgekippt. Immer noch sah er grimmig zu dem Abfalleimer hinüber, seine Bewegungen wirkten wie die eines Betrunkenen, der nicht mehr genau wusste, wo er eigentlich war und wo sich überhaupt oben und unten befand. Dann wandte sich Sam wieder Amy zu. Erst wollte er vorsichtshalber auf Distanz bleiben, aber das mitleiderregende Weinen brachte ihn schließlich dazu, sich wieder vor sie hinzuhocken. „Amy, Dean und ich, wir wollen dir wirklich nur helfen“, versuchte er es erneut. „Willst du wirklich so weiterleben? Willst du immer Angst vor der Dunkelheit haben müssen?“ Amy wischte mit ihrem Handrücken über ihre tränennassen Wangen. „Nein, will ich nicht“, schniefte sie leise. „Siehst du? Wir können dir dabei helfen, wieder frei zu sein.“ Ihre großen, blauen Augen sahen ihn unsicher an. „Wieder frei?“ „Ganz genau“, nickte Sam. Nach diesem Erlebnis schien das Mädchen um einiges kooperativer zu sein. Im Grunde hatte sich Alyssa mit dieser ganzen Aktion nur selbst geschadet. „Alyssa wird nicht mehr im Dunkeln auf dich warten.“ Amy zögerte, drückte den Ball fest an ihre Brust. „Sie wäre nicht mehr in der Dunkelheit?“ „Nie mehr!“, versprach Sam. Mehr als jemals zuvor war er wild entschlossen, es dem Dämon heimzuzahlen und es diesem armen, verängstigten Kind zu ermöglichen, endlich wieder ein Leben in Frieden zu führen. „Also, was sagst du?“ Anstatt einer Antwort ließ sie plötzlich den Ball fallen, trat auf ihn zu und umschlang seinen Hals. Erneut begann sie zu weinen, doch dieses Mal waren es eindeutig Freudentränen. Das schien wohl ‚Ja’ zu bedeuten. „Dann müssen wir dich zu uns ins Motel bringen“, erklärte Sam der Kleinen. „Dort ist alles, was wir dafür brauchen.“ Genauer wollte er im Moment nicht werden, die Einzelheiten hätten sie nur wieder verschreckt. Er hoffte nur, dass der Exorzismus sie nicht dazu brachte, ihre Meinung zu ändern, wenn ihr erstmal bewusst wurde, was mit ihr geschehen würde. Zunächst aber wollte Sam nicht daran denken, sondern sich an seinem kleinen Triumph erfreuen. Schnell bemerkte er, dass Amy sich nicht wieder von ihm lösen wollte. Sie hatte ihren Kopf in seine Halsbeuge gekuschelt und ihre Arme dermaßen fest ineinander verhakt, dass Sam ordentlich Kraft dafür hätte mobilisieren müssen, sie wieder zu trennen. Somit beließ er es dabei, schnappte sich den auf den Boden gefallenen Ball und stand zusammen mit Amy auf dem Arm auf. Sie war so dermaßen leicht, dass er ihr Gewicht kaum bemerkte. Selbst seinem immer noch schmerzenden Rücken machte es kaum etwas aus. „Hältst du das für eine gute Idee?“ Dean war in der Zwischenzeit wieder aufgestanden und zu ihnen getreten. Er schwankte zwar immer noch etwas und auch seine Augen wirkten noch ein wenig glasig, aber wenigstens schaffte er es, stehen zu bleiben. „Die Kleine hat uns gerade quer durch die Luft gewirbelt.“ „Fällt dir denn was Besseres ein?“, fragte Sam. „Ich denke, es ist weniger schmerzhaft, wenn wir es jetzt über die Bühne bringen, als dass wir bis heute Abend warten. Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, mich noch mal mit Alyssa anzulegen.“ Dean schien immer noch wenig begeistert, dennoch nickte er widerwillig. „Na fein, dann fahren wir.“ Amy regte sich plötzlich, indem sie den Köpf schüttelte. „Nicht ins Auto“, sagte sie. „Dort ist es dunkel.“ „Dann gehen wir halt zu Fuß“, meinte Sam schulterzuckend. „Das ist gesund.“ „Gesund?“, fragte Dean entsetzt. „Wir wären mindestens eine Stunde unterwegs. Außerdem lasse ich meinen Wagen hier sicher nicht stehen.“ „Dann gehen nur Amy und ich“, sagte Sam. Er hatte keine große Lust, sich mit Deans irrwitziger Liebe zu diesem Auto auseinanderzusetzen. Dean war nun offenbar vor ein großes Problem gestellt. Gequält schaute er zwischen Sam und dem Impala hin und her, in seinem Inneren wahrscheinlich ein Kampf um die Frage, wer von beiden nun wichtiger war. Im Grunde hätte Sam beleidigt sein müssen, aber eigentlich war er nur froh, dass Dean überhaupt über diese Sache nachdenken musste und nicht sofort zu seinem Wagen rannte. Schließlich aber siegte – oh Wunder – Deans Familiensinn. „Denkst du wirklich, ich lasse dich mit einem Dämon alleine durch die Gegend spazieren? Da bist du wirklich schief gewickelt.“ Er räusperte sich. „Außerdem sehe ich noch immer ein wenig verschwommen, ich würde wahrscheinlich nur einen Unfall bauen. Das kann ich meinem Baby doch nicht antun.“ Zwar hätte man das Ganze für eine billige Ausrede halten können, damit er sich seine Männlichkeit bewahren konnte, aber seine immer noch trüben Augen verrieten, dass er tatsächlich nicht unbedingt in den Straßenverkehr gehörte. Für einen kurzen Moment war Sam ehrlich besorgt und erwog, vorher noch bei einem Arzt vorbeizuschauen, aber wie er seinen Bruder kannte, würde der sich nur dagegen sträuben. Somit verwarf Sam diese Idee, behielt sie aber im Hinterkopf und ermahnte sich selbst, Dean im Auge zu behalten. Sollte er plötzlich blass werden und kurz vor einer Ohnmacht stehen, würde Sam die Sache mit dem Dämon links liegen lassen und seinen Bruder ins nächstbeste Krankenhaus verfrachten. „Wir sind gerade zu Kindesentführern geworden, ist dir das klar?“ Dean warf einen Blick zu einem Seniorenpärchen, das gerade an ihnen vorbeilief und bei dem Anblick Sams, wie er das kleine Mädchen auf dem Arm hielt, verzückt lächelten. „Das Risiko nehme ich gerne in Kauf“, meinte Sam nur. Denn wenn alles nach Plan verlief, würde Amy schon sehr bald wieder ein völlig normales Kind sein und Alyssa würde für immer von der Bildfläche verschwinden. Dennoch konnte sich Sam eines miesen Gefühls in der Magengegend nicht erwehren. Denn seit wann verlief schon alles nach Plan? _______________________________________________________ Tja, seit wann verläuft auch alles nach Plan? ;p An dieser Stelle wollte ich mich auch nochmal herzlich bei meinen lieben Kommentatoren Butters, Kaguyashi, jibrillchan und tamchan93 bedanken ^______^ Kapitel 5: 5. Kapitel --------------------- Nach ungefähr anderthalb Stunden kamen sie endlich beim Motel an. Dean konnte nur erleichtert aufatmen, als er die vertraute Fassade erblickte. Schon viel zu lange war er durch diese verdammte Stadt gestiefelt, vollbepackt mit einer Tasche, die mit einigen Utensilien aus dem Impala gefüllt war, und diesem außerordentlich unmännlichen roten Disney-Ball in der Hand, wegen dem er ein paar amüsierte Blicke von irgendwelchen Halbstarken hatte ertragen müssen. Sam hingegen hatte sich die kleine Amy auf den Rücken geschultert und schien damit plötzlich automatisch für die gesamte Frauenwelt noch um einiges attraktiver geworden zu sein. Unzählige Damen, die sonst wahrscheinlich Dean ein Lächeln zugeworfen hätten, hatten keinerlei Interesse an dem älteren Bruder gezeigt, sondern stattdessen Sam und das Mädchen verzückt betrachtet. Es schien tatsächlich wahr zu sein, dass Kinder und Tierbabys Frauen geradezu magisch anzogen. Amy hatte die ganze Aufmerksamkeit nicht im Mindesten interessiert, viel zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, Sam auszufragen. Alles Mögliche hatte sie wissen wollen, angefangen von seiner Schuhgröße bis hin zu allen Freundinnen, die er je in seinem Leben gehabt hatte. Als es Sam mit der ganzen Fragerei etwas zu sehr ins Private abgedriftet war, hatte er schließlich begonnen, dem Mädchen einige Geschichten zu erzählen, um sie ein wenig zu unterhalten. Zunächst hatte er ihr irgendwas von Blümchen und Schmetterlingen auftischen wollen, einfach etwas total harmloses, aber Amy hatte geradezu beharrlich auf Gruselgeschichten bestanden. Somit war Sam dazu übergegangen, ihr von einzelnen Episoden aus dem Leben der beiden Brüder zu erzählen, schön verpackt und ausgeschmückt, sodass es kindergerecht wurde. Nicht immer ganz einfach, wie Sam hatte feststellen müssen. „Endlich sind wir da!“, stieß Dean aus. Er wollte in diesem Moment nicht darüber nachdenken, dass er irgendwann den ganzen Weg wieder zurückmusste, um den Impala abzuholen, sondern einfach nur die schmerzenden Füße hochlegen. „Du bist ganz schön aus der Übung, wenn dich so ein kleiner Spaziergang schon schlaucht“, meinte Sam kopfschüttelnd. „Aber im Grunde kein Wunder bei all dem ungesunden Zeug, das du dauernd in dich reinstopfst.“ Was sollte das jetzt werden? Eine Standpauke? Dean hatte wirklich wenig Lust dazu, sich über seine Ernährungsweise zu unterhalten. Immer noch dröhnte ihm der Schädel von der äußerst schmerzhaften Begegnung mit dem Baum im Park, für längere Diskussionen war er wirklich nicht zu haben. „Und dort wohnt ihr?“ Über Sams Schulter hinweg beäugte Amy skeptisch das Motel. Es wirkte von außen zwar ein wenig schäbig, war aber trotzdem noch besser als so manch andere Absteigen, die sie schon besucht hatten. „Nur vorübergehend“, meinte Sam zu ihr. Während sein Bruder der Kleinen erklärte, was es mit einem Motel auf sich hatte, kramte Dean den Schlüssel aus seiner Hosentasche hervor, öffnete die Tür des Zimmers und schaltete alle Lampen an, die er finden konnte. Noch am Abend zuvor hatte die Dame von der Rezeption alle explodierten Glühbirnen ausgetauscht, da auch in den Zimmern nebenan alle Lichter ausgefallen waren und sich die Gäste lautstark über diesen plötzlichen Stromausfall beschwert hatten. Sam trug Amy schließlich umsichtig ins Zimmer und setzte sie auf einen großen, gepolsterten Sessel ab, neben dem sich eine helle Leselampe befand. Das Mädchen wurde angestrahlt wie die Kandidatin eines Schönheitswettbewerbs. Dean reichte ihr den Ball, den sie dankend entgegennahm, auf ihren Schoß legte und zu streicheln begann wie ein kleines Hündchen. „Was passiert denn jetzt?“, erkundigte sich Amy, während Sam alle Vorhänge aufriss, um soviel Sonnenlicht wie möglich ins Zimmer strömen zu lassen. „Nun ja, wir werden … einen Zauberspruch aufsagen“, versuchte es Dean zögerlich mit einer Erklärung, die auch ein so junges Mädchen verstehen konnte, ohne dabei aber gleichzeitig in Panik zu geraten. „Wenn alles gut läuft, bist du deine Sorgen los.“ „So einfach geht das?“ Amy starrte ihn ungläubig mit großen Augen an. „Ja, so einfach“, bestätigte Dean nickend. In Wahrheit jedoch war er nicht sonderlich überzeugt davon, dass alles so reibungslos vonstatten gehen würde. Alyssa hatte sicherlich andere Pläne und würde bestimmt nicht allzu erfreut reagieren, wenn zwei Jäger ihr einen Strich durch die Rechung zu machen gedachten. Auch Sam hatte seine Zweifel, das sah man ihm aus zehn Meter Entfernung mehr als deutlich an. Sie hatten schon einige Exorzismen durchgeführt, aber niemals an so einem kleinen, zarten Kind. Niemand konnte vorausahnen, was für Folgen das für Amy haben könnte. „Möchtest du vielleicht etwas zu essen?“, erkundigte sich Sam bei der Kleinen. „Oder was trinken?“ „Habt ihr Schokolade?“, wollte sie mit freudig strahlenden Augen wissen. Eine Frage, die Dean getrost mit ‚Ja’ beantworten konnte. Aus seinem privaten Lebensmittelvorrat holte er einen Schokoriegel hervor und gab ihn Amy. Lächelnd packte die Kleine den Riegel aus, während sie fröhlich mit ihren Beinen wippte und ein Lied summte. Unterdessen ergriff Sam seinen Bruder am Arm und zog ihn in eine Ecke des Zimmers, von der aus Amy ihr Gespräch nicht würde belauschen können. „Wir müssen sehr vorsichtig sein“, flüsterte er. „Das Ganze kann mehr als nur schief gehen.“ Dean nickte grimmig. Noch war alles Friede-Freude-Eierkuchen, aber sobald sie die ersten Worte des Exorzismus ausgesprochen hatten, würde sich Alyssa gewiss regen. Sie mochten noch so viele Lampen einschalten, dieses kleine Miststück war wirklich ausgesprochen mächtig und würde sich nicht so einfach in die Knie zwingen lassen. Dean sah sich vor seinem geistigen Auge wieder durch die Luft segeln. „Irgendwie müssen wir ihre Kräfte unterbinden“, sagte Sam nachdenklich. „Nicht für lange, höchstens ein paar Minuten, mehr bräuchten wir gar nicht.“ „Und wie sollen wir das anstellen, du Schlaumeier?“, erkundigte sich Dean. „Wir können sie natürlich höflich bitten, uns nicht quer durchs Zimmer zu schleudern, aber irgendwie glaube ich nicht so recht, dass das funktionieren wird.“ „Ich glaub, ich hab da mal irgendwas in Dads Tagebuch gelesen.“ In seine Gedanken versunken griff er nach dem Buch, das auf einem der Nachttischschränkchen lag, und blätterte darin herum. Amy beobachtete ihn dabei interessiert. „Was sucht er?“, fragte sie. „Den Zauberspruch?“ „So ungefähr.“ Deans Mundwinkel zuckte. Irgendwie fühlte er sich unter dem Blick des kleinen Mädchens ein bisschen unwohl. Im Umgang mit Kindern war er noch nie besonders talentiert gewesen. „Er sucht ein Hilfsmittel, um Alyssa … schlafen zu legen.“ Amy schaute ihn verwirrt an. „Wieso?“ „Damit sie uns nicht dazwischenfunkt“, erklärte Dean. „Du hast doch sicher keine Lust, dass sie uns stört, oder etwa doch?“ „Und warum sollte sie stören, wenn ihr uns helfen wollt?“, erkundigte sich die Kleine. Dean bekam keine Gelegenheit mehr, auf diese Frage zu antworten, denn schon im nächsten Augenblick war das Zimmer von einem erschreckenden Getöse erfüllt, als alle Glühbirnen mit einem lauten Krachen zerbarsten. Glassplitter fielen klirrend zu Boden. Dean konnte nicht umhin, zusammenzuzucken, und auch Sam ließ vor Schreck das Tagebuch aufs Bett plumpsen. „So ein Mist!“, knurrte Dean. Alyssa war offenbar näher, als sie gedacht hatten. Zu seiner Überraschung funktionierte die Lampe neben Amy aber noch völlig einwandfrei. Sie hatte als einzige das kleine Inferno überstanden und strahlte das Mädchen weiterhin munter an. Amy währenddessen lächelte vor sich hin und schien sich vor dem ganzen Lärm nicht im Mindesten erschreckt zu haben. Und ihr unschuldiges Lächeln jagte Dean einen jähen Schauer über den Rücken. Irgendwas stimmte mit der Kleinen nicht und das hatte sicherlich nicht nur damit zu tun, dass ein Dämon in ihr steckte. Da war einfach noch mehr, dessen war sich Dean ziemlich sicher. Sein Gefühl trog ihn nur selten. „Nun gut, ich glaube, die nette und sanfte Tour wird wohl nicht so wirklich klappen“, erhob Sam seine Stimme und riss Dean damit aus den Gedanken. In seinen Händen hielt er die Wasserflasche, die mit Weihwasser gefüllt war, und das Tagebuch hatte er inzwischen wieder aufgehoben und auf der Seite aufgeschlagen, auf der die lateinische Formel für den Exorzismus stand. Er wollte offensichtlich keine Zeit verlieren. „Ich werde Alyssa sagen, dass sie euch nichts tun soll“, schlug Amy großmütig vor, während sie genüsslich ihren Schokoriegel mampfte. „Sie tut euch ganz bestimmt nicht weh.“ Dean brachte daraufhin nur ein schwaches Lächeln zustande. „Oh doch, das wird sie sicherlich. Und möglicherweise wird sie dir auch wehtun.“ Amy schaute von der Schokolade auf und runzelte verwundert die Stirn. „Warum sollte sie das denn tun?“ Sollte er ihr jetzt lang und breit die Bösartigkeit von Dämonen darlegen? Für einen kurzen Moment war Dean ehrlich gewillt, das Mädchen mal ordentlich durchzuschütteln, um ihr ein für allemal klarzumachen, dass Alyssa ganz gewiss nicht ihre Freundin war, aber er ließ davon ab. Im Augenblick fehlte ihnen einfach die Zeit dazu. Es wehte bereits eine eisige Brise durch das Zimmer. Sam hatte eilig das Weihwasser an seinen Bruder weitergereicht und wollte sich gerade für die bevorstehende Tat sammeln, als hinter ihnen lautstark eine Fensterscheibe in tausend Stücke zersplitterte. Ganz klar, Alyssa war anscheinend mächtig sauer! „Sie macht noch euer ganzes Zimmer kaputt.“ Amy zog ihre Mundwinkel nach unten und starrte in den dunklen Raum. „Warum tust du das?“ „Weil sie nur zwei hirnverbrannte Jäger sind, die keine Ahnung haben, was eigentlich los ist.“ Ein eisiger Schauer fuhr durch Deans Körper, als er diese Stimme hörte. So kalt und erbarmungslos … das war ohne Zweifel Alyssa! Aber die Stimme war nicht aus Amys Mund gekommen. Sam hatte seine Aufmerksamkeit auf die Stelle gerichtet, in die auch Amy schaute, und seine Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Fast wie in Zeitlupe, seine Hand auf die Waffe in seinem Hosenbund gepresst, drehte Dean sich um. Und dort, im dunklen Teil des Zimmers, konnte er vage eine vertraute Gestalt ausmachen. „Ihr seid wirklich unwahrscheinlich dumm.“ Alyssas schneidende Stimme schien sich direkt in ihre Haut zu bohren. „Ein Exorzismus, also wirklich! Als ob mich das in irgendeiner Weise beeindrucken würde.“ Dort stand sie und starrte sie mit ihren glühenden Augen an, als wären sie bloß irgendwelche Insekten, die es zu zertreten galt. Einen Moment noch war Dean völlig verwirrt, dann aber zwang er sich selbst zur Ruhe und zum logischen Nachdenken. Es musste für all das eine simple, rationale Erklärung geben … auch wenn sie ihm gerade nicht einfallen wollte. Er warf einen Blick zu Amy, die wieder begonnen hatte, an ihrem Schokoriegel zu knabbern. Für sie schien das Ganze in keiner Weise beängstigend zu sein. Nun gut, beide Mädchen sahen sich wirklich ähnlich, das konnte Dean trotz dem Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit durchaus erkennen. Aber was war nun genau los? Hatte Alyssa eine Möglichkeit gefunden, Amys Körper zu verlassen und in ihrer Gestalt aufzutreten? Oder hatten er und Sam von Anfang an falsch gelegen? „Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht mit Fremden mitgehen sollst, Süße“, wandte sich Alyssa an Amy. Ihr Tonfall war dabei dermaßen sanft, dass Dean es kaum zu glauben vermochte, dass er es mit einer Dämonin zu tun hatte. „Du bist viel zu leichtgläubig.“ „Aber sie haben gesagt, dass sie uns helfen können“, entgegnete Amy in einem leicht trotzigen Unterton. Alyssa seufzte. „Glaub mir, Schatz, diese Idioten verstehen gar nicht, was mit uns los ist. Sie denken, ich wäre ein böser Dämon, der in deinem Körper feststeckt und dich furchtbare Dinge tun lässt. Sie haben nicht mal erkannt, dass du ebenfalls kein Mensch bist.“ Dean merkte, wie Sam neben ihm zusammenzuckte und sich unwillkürlich von Amy entfernte. „Soll das etwa heißen …?“, fragte er unsicher. Alyssas spöttisches Lächeln war bestens zu erkennen. „Wir sind Schwestern!“, sagte sie hämisch. „Zwillinge!“ Sam schüttelte ungläubig den Kopf und auch Dean konnte es einfach nicht glauben. Zugegeben, ihm war Amy merkwürdig vorgekommen, aber für eine Dämonin hätte er sie nie im Traum gehalten. Ausgerechnet dieses süße, kleine Mädchen, das Nagetiere, Gruselgeschichten und Schokolade liebte? Das entsprach nicht gerade dem Typus eines grausamen Monsters. Dieser Fall schien von Minute zu Minute verrückter zu werden. „Dann können sie uns also nicht helfen?“, fragte Amy enttäuscht. „Wir müssen weiter mit diesem Fluch leben?“ Sam hatte sich inzwischen eins der Gewehre gegriffen, schien aber nicht recht etwas damit anfangen zu können. Bei Alyssa hatte es schon am Abend zuvor keine Wirkung gezeigt und es auf Amy zu richten, brachte er augenscheinlich einfach nicht über sich. „Ein Fluch?“ Trotz seiner Verwirrung funktionierten seine Ohren immer noch bestens. „Was für ein Fluch?“ „Der Fluch von Licht und Schatten.“ Amys Stimme klang mit einemmal ganz leise. „Wir können nichts dagegen tun. Und irgendwann werden wir deswegen sterben, ganz sicher.“ Tränen kullerten über ihre Wangen und mehr denn je konnte Dean einfach nicht glauben, dass sie nicht bloß ein harmloses, menschliches Kind war. „Wovon redet sie?“ Sam hatte sich an Alyssa gewandt, die beim Anblick ihrer weinenden Schwester einen Fluch in einer fremden Sprache ausgestoßen hatte. Für Alyssa schien es außerhalb ihrer Würde zu liegen, einem Menschen irgendwelche Erklärungen zu liefern, und für einen kurzen Augenblick machte es den Anschein, als wollte sie die Winchesters wieder durch die Luft schleudern, aber Amys Schluchzen vermochte sie offenbar letztendlich zu beruhigen. „Wir sind Gefangene“, sagte sie, wenn auch recht widerwillig. „Ich bin gefangen in der Dunkelheit und Licht kann mich töten. Bei meiner Schwester ist es genau umgekehrt.“ Dean sah zu Amy hinüber, die von der Leselampe angestrahlt wurde. Langsam aber sicher ergab das alles irgendwie Sinn. Es war zwar immer noch verrückt, aber wenigstens formte sich allmählich ein Bild. „Und wie seid ihr verflucht worden?“, erkundigte sich Sam. Alyssa warf ihm einen giftigen Blick zu, woraufhin es im Zimmer von einem Moment auf den anderen plötzlich eiskalt zu werden schien. Dean hatte alle Mühe, ein Zittern zu unterbinden. „Warum willst du das wissen?“, zischte sie ungehalten. „Willst du uns etwa tatsächlich helfen? Dass ich nicht lache! Euresgleichen erfreut sich doch an unserem Leid! Du würdest doch am liebsten hier und jetzt einen Lichtstrahl auf mich richten, wenn ich nicht bereits alle Lichtquellen vernichtet hätte, habe ich nicht Recht? Du brauchst also gar nicht erst so scheinheilig zu tun!“ „Ich … ich könnte vielleicht wirklich …“ Sam brach mitten im Satz ab. Anscheinend wusste er selbst nicht einmal, was er eigentlich tun sollte. Und wenn Dean ehrlich zu sich war, war ihm ebenfalls schleierhaft, was nun als nächstes zu tun sei. Die beiden waren offenbar Dämonen, soviel stand schon mal fest, und während Dean Alyssa liebend gern übers Knie gelegt hätte, mochte ihm der Gedanke gar nicht gefallen, Amy ebenfalls etwas anzutun oder sie auch nur weinen zu sehen. Entweder spielte die Kleine die Rolle des unschuldigen Mädchens absolut perfekt oder sie war wirklich so harmlos und naiv, wie es den Anschein hatte. Dean konnte nicht genau sagen, welche von beiden Möglichkeiten ihm besser gefiel. Amy war währenddessen von ihrem Sessel gesprungen. Vorbildlich warf sie die Verpackung des Schokoriegels in einen Mülleimer und trat schließlich in die Richtung ihrer Schwester. Sobald sie den Lichtkegel der Leselampe verließ, geschah etwas ausgesprochen eigenartiges: Der Ball in ihrer Hand bebte kurz und strahlte schließlich ein helles Licht aus, welches Amy umgab und sie somit vor der Finsternis schützte. Offensichtlich eine Art Schutzvorrichtung. Nun verstand Dean auch, warum sie so seltsam reagiert hatte, als er auf dem Weg zum Motel den Ball unbekümmert in die Luft geworfen hatte. Er hatte ihr versprochen, ihr bei einem eventuellen Verlust sofort einen neuen zu kaufen, aber sie hatte energisch den Kopf geschüttelt und ihn angewiesen, besser aufzupassen. Nun, im Grunde kein Wunder, wenn ihr Leben davon abhing. Amy näherte sich ihrer Schwester, achtete aber sorgsam darauf, dass Alyssa nichts von dem Licht abbekam. So standen sie dort, die eine im gleißenden Licht, die andere im finsteren Schatten, und konnten nichts weiter tun, als sich anzusehen. Und sosehr sich Dean dagegen wehrte, er konnte nicht umhin, so etwas wie Mitleid für diese beiden zu empfinden. „Wie ich sehe, habt ihr das, was ich euch aufgetragen habe, noch nicht zu Ende geführt.“ Alyssa bedachte sie mit einem zornigen Blick. „Ihr seid wohl nicht mal in die Nähe von Spencers Keller gekommen, sondern wart vielmehr damit beschäftigt, mich zu töten.“ Sie legte ihren Kopf schief. „Ehrlich gesagt hätte ich große Lust, euch hier und jetzt einfach zu töten, aber das würde uns nichts bringen. Dann ständen wir wieder am Anfang und hätten nicht das Geringste erreicht.“ Deans Mitleid verflüchtigte sich wieder so schnell, wie es gekommen war. Er zog die Waffe aus dem Hosenbund und war bereit, seine ganze Ladung abzufeuern, auch wenn es keine Wirkung auf sie haben sollte. Allein das laute Krachen der Pistole war überaus entspannend für ihn. „Wir lassen uns von niemanden erpressen“, erklärte er. „Und schon gar nicht von so einem Miststück wie dir.“ „Na-na-na, du solltest wirklich aufpassen, was für Kraftausdrücke du benutzt“, meinte Alyssa mahnend. „Es befinden sich Minderjährige im Raum, also sei etwas taktvoller. Und außerdem hast du sowieso keine Wahl. Entweder ihr beide geht in Spencers Keller oder aber ich mache euch das Leben zur Hölle.“ Dean schnaubte. „Und wie, wenn ich fragen darf?“ Alyssa lächelte heimtückisch. „Der Tod wäre viel zu gut für euch. Aber wie wäre es stattdessen, wenn ich euch Nacht für Nacht die schlimmsten Albträume schicke? Du, mein Kleiner, würdest von Flugzeugabstürzen und Ratten träumen, und du, Sammy, von Clowns und deiner brennenden Freundin.“ Sam verkrampfte sich zusehends und brauchte offenbar all seine Willensstärke, um sich nicht kopflos auf den Dämon zu stürzen. Dean währenddessen registrierte beunruhigt, wie viel Alyssa über sie wusste. Sie schien tatsächlich Gedanken lesen und sogar darüber hinaus ihre tiefsten Empfindungen und Ängste erkennen zu können. Ein Gegner, der dich buchstäblich wie ein Buch lesen konnte, war immer überaus gefährlich. „Oder ich schicke euch die schlimmsten Dämonen und Geister auf den Hals und sorge dafür, dass ihr zum falschen Zeitpunkt Ladehemmungen habt oder euer Steinsalz sich in Zucker verwandelt. Glaubt mir ruhig, ich kann euch das Leben so schwer wie möglich machen … außer ihr tut das, was ich euch sage.“ Ohne ein weiteres Wort löste sich ihre Erscheinung auf und verschwand in der Finsternis. Amy hob ihren Arm, winkte den Winchesters lächelnd zu und verschwand dann auf dieselbe Art und Weise wie ihre Schwester. Und zurück blieben zwei völlig verwirrte Brüder. „Tja, Sammy, ich würde sagen, du lagst mit deiner Vermutung ziemlich falsch“, meinte Dean schließlich. Immer noch hatte er die Waffe in der Hand und war noch nicht bereit, sie wieder wegzustecken. Alyssa konnte immer noch irgendwo in der Dunkelheit lauern und nur auf einen geeigneten Zeitpunkt warten. „Nun ja, so falsch lag ich nun auch wieder nicht“, erwiderte Sam. Er seufzte schwer: „Okay, anstatt einem Problem weniger haben wir nun einen Dämon mehr. Allerdings einen reichlich seltsamen Dämon …“ Seinem Tonfall war anzumerken, wie sehr ihn diese unerwartete Wende bedrückte. Er hatte das kleine Mädchen ins Herz geschlossen, in den Arm genommen, sie getröstet und ihr Geschichten erzählt. Und in ihr nun einen Feind zu sehen, fiel ihm augenscheinlich ziemlich schwer. Dean konnte es ihm aber nicht verübeln, er selbst vermochte es auch kaum zu fassen. „Wie auch immer, wir sollten Alyssas Rat befolgen“, fuhr Sam fort. „Ich weiß, den Befehlen eines Dämons nachzugeben, ist normalerweise nicht unsere Art, aber bleibt uns eine andere Wahl? Du hast ja gehört, was sie alles mit uns anstellen wird, und ehrlich gesagt glaube ich ihr auch jedes einzelne Wort. Uns Albträume zu bescheren, wäre für sie wahrscheinlich ein Kinderspiel.“ Er fuhr sich durch das zerzauste Haar und meinte: „Und außerdem möchte ich endlich erfahren, was hier eigentlich gespielt wird. Und ich denke, die Antwort darauf werden wir in Spencers Keller finden.“ Kapitel 6: 6. Kapitel --------------------- „Was suchen Sie denn schon wieder hier?“ Spencer wirkte alles andere als begeistert, als die beiden Winchester-Brüder an diesem frühen Nachmittag vor seiner Tür auftauchten. Er schnaubte empört und wollte ihnen glatt wieder den Zugang vor der Nase versperren, doch Dean hatte keinerlei Lust auf irgendwelche Spielchen und drängte sich unverschämt ins Haus. Spencer ließ daraufhin eine Schimpftirade los, die sich gewaschen hatte, zeterte etwas von der respektlosen Jugend und dem Verfall der Manieren, was Dean aber nicht im Geringsten kümmerte. Hätten sie nicht ein paar Antworten von diesem alten Mann gebraucht, hätte er Spencer wahrscheinlich einfach die Faust ins Gesicht gedonnert, um das Gemeckere zu beenden. „Ist Ihnen etwa wieder Ihre dämliche Katze abhanden gekommen?“, fragte Spencer erbost. „Sie sollten wirklich besser auf das Vieh aufpassen.“ Dean verzog das Gesicht. Er wurde nicht gerne an Mrs. Lovely erinnert. „Darum geht’s uns nicht“, erwiderte er. „Wir müssen mit Ihnen reden.“ „Und worüber, verdammt noch mal?“ Spencer wäre vermutlich im Dreieck gesprungen, hätte das seine körperliche Verfassung zugelassen. „Ich sollte am besten die Polizei holen, Hausfriedensbruch wird hier wirklich nicht gerne gesehen.“ Auch Sam trat nun in den Hausflur und schloss die Tür hinter sich. „Es geht um etwas sehr wichtiges“, sagte er ernst. „Und zwar um das Ding in Ihrem Keller und um die Zwillingsschwestern.“ Spencers Gesichtzüge entgleisten bei dieser Aussage völlig. Zuvor noch rasend vor Wut mit einem hochroten Kopf, wich nun jegliche Farbe aus seinem Gesicht und er sah plötzlich aus wie eine Leiche. Er torkelte etwas unbeholfen zurück und wäre wahrscheinlich über ein Paar Schuhe gestolpert, hätte Sam ihn nicht beherzt am Arm gepackt. „Hören Sie zu, Mr. Spencer, wir haben nicht die geringste Ahnung, was hier eigentlich vorgeht, aber wir hoffen, dass Sie uns vielleicht weiterhelfen können. Wir brauchen alle Informationen, um die Mädchen aufzuhalten.“ Das Bild der lachenden Amy, wie sie vergnügt mit ihrem Ball spielte, verdrängte Sam, so gut es ging. „Auf-aufhalten?“ Spencer schien vollkommen fassungslos zu sein. Ungläubig musterte er die beiden und wusste augenscheinlich nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. „Ganz genau, wir wollen sie aufhalten“, bestätigte Dean nickend. „Und jetzt stellt sich für uns die Frage, ob Sie uns helfen oder uns im Weg stehen wollen? Sie haben die Wahl.“ Spencer bewegte sich mehr schlecht als recht in Richtung Wohnzimmer. Wie in Zeitlupe ließ er sich auf der Couch nieder, während er dabei kein einziges Mal die Brüder aus den Augen ließ. „Woher … woher wissen Sie davon?“, fragte er stockend. „Ist das wichtig?“, erwiderte Dean, dem seine Ungeduld schon deutlich anzumerken war. Nachdem ihnen Alyssa bereits zum zweiten Mal ein Schnippchen geschlagen hatte, war seine Stimmung auf einen absoluten Tiefpunkt gesunken. Er musste dringend etwas vernichten, ansonsten würde er wahrscheinlich noch selbst explodieren. „Sie sollten besser gehen, solange Sie noch die Chance dazu haben“, meinte Spencer, immer noch mit etwas zittriger Stimme. „Ich will wirklich nicht, dass Unschuldige darin verwickelt werden.“ Dean rollte mit den Augen und war offenbar kurz davor, seine Waffe zu ziehen und sie dem alten Mann auf die Stirn zu pressen, damit er endlich mit den ersehnten Antworten herausrückte. Und obwohl Spencer die Anspannung des älteren Bruders deutlich spüren musste, unternahm er keinerlei Erklärungsversuch, um Dean ein wenig zu besänftigen. „Na fein, dann gehen wir einfach in den Keller und schauen nach!“, entschied Dean. Diese Worte brachten wieder Leben in Spencers Körper. Aufgeschreckt sprang er auf und griff nach Deans Arm, bevor dieser überhaupt die Gelegenheit erhielt, sich in Richtung Küche zu drehen. „Tun Sie das bitte nicht!“, flehte er geradezu. „Dort unten …“ „Was?“ Dean musterte ihn abwartend. „Haben Sie dort unten etwa eine Leiche versteckt?“ „Selbstverständlich nicht!“, entrüstete sich Spencer. „Wofür halten Sie mich?“ „Für einen starrsinnigen Dickkopf!“, zischte Dean. Unsanft packte er Spencer am Oberarm und zerrte ihn hinter sich her, die heftigen Proteste völlig ignorierend. Sam folgte den beiden wortlos. Er begrüßte Deans ruppige Methode zwar nicht sonderlich, aber wenn er ehrlich zu sich war, hatte er diese Rätselraterei ebenso satt wie sein Bruder. Und mit netten Worten schien man bei Spencer offenbar nicht viel erreichen zu können. Als Dean die Tür aufstieß, die in den dunklen Keller führte, lief Sam ein kalter Schauer über den Rücken. Ohne Zweifel, dort unten befand sich irgendwas Übernatürliches. „Wo ist der Lichtschalter?“, fragte Dean barsch. Spencer jedoch antwortete nicht, er starrte nur wie benommen in die Finsternis des Kellers, während er seinen Kopf schüttelte und irgendwas leise vor sich hin flüsterte. Sam erkannte, dass er sich nicht davor fürchtete, entlarvt zu werden, sondern dass er geradezu höllische Angst vor diesem Ding dort unten hatte, dem er offensichtlich nicht zu nahe kommen wollte. Schon als Dean ihn auf die erste Stufe zerrte, verkrampfte sich sein Körper zusehends. Sam zog seine Waffe hervor. Er hatte sie mit Steinsalzpatronen gefüllt, während Dean eine mit eiserner Munition trug. Da sie nicht wussten, was sie dort unten erwartete – Dämon, Geist oder auch irgendwas anderes – waren sie vorsichtshalber auf Nummer sicher gegangen und hatten sich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Schließlich fand Dean nach längerem Abtasten der Wand der Lichtschalter. Unten glomm eine schwache Glühbirne auf, die zwar wirklich nicht allzu viel Helligkeit spendete, es einem aber wenigstens ermöglichte, die Hand vor Augen zu sehen. Die Waffe gezückt und aufs höchste angespannt, ging Dean als erster die Treppe hinunter, Spencer hinter sich herziehend. Die Stufen knarrten bedenklich unter ihren Schritten, sodass man schon fast hätte befürchten müssen, dass sie im nächsten Moment zusammenbrach. Doch sie hielt stand und alle drei kamen unbeschadet im Keller an. Sam ließ seinen Blick schweifen. Es handelte sich um einen einzigen, größeren Raum, der mit allerlei Zeug voll gestellt war, was man auch in vielen anderen Kellern finden konnte. Kisten, Regale voller alter Geräte und Dinge, die man nicht mehr brauchte, Gartenwerkzeug und … Sam schnappte entsetzt nach Luft, als seine Aufmerksamkeit sich nach rechts richtete. Auch Dean entdeckte es sofort und keuchte erschrocken auf. So was hatten sie noch nie gesehen. Ein Ungeheuer in einem Keller. Was es genau war, vermochte Sam nicht mal ansatzweise zu ermitteln. Zumindest war es ein riesiges Ungetüm etwa von der Größe eines Pferdes, jedoch bei weitem nicht mit solch einer eleganten Statur, sondern vielmehr grobschlächtig. Es hatte vier Beine, einen langen Schwanz, der Sam unwillkürlich an einen spitzen Speer denken ließ, und seine Haut wirkte irgendwie schuppig, während sein mächtiger Schädel mit allerlei Hörnern und Dornen versehen war. Die glühend goldenen Augen des Ungeheuers nahmen die Besucher interessiert ins Visier. Fast schon gelassen lag es auf dem Boden und rührte sich keinen Zentimeter. Für einen kurzen Moment beschlich Sam die irrwitzige Hoffnung, dass es sich bei dem Ding nur um eine absonderliche Statue handeln könnte, aber als das Ding ein wenig seinen massigen Kopf drehte und leicht blinzelte, verflüchtigte sich dieser Gedanke sofort wieder. „Meine Güte!“ Dean fand als erstes seine Stimme wieder. Vollkommen fassungslos starrte er das riesige Geschöpf an. „Was … was ist das?“ Sam konnte nur ahnungslos die Schultern zucken. Ein Werwolf oder Wendigo war es schon mal nicht, dafür war es einfach viel zu groß. Vielleicht einer dieser ominösen Höllenhunde? Immerhin hatte es eine vage Ähnlichkeit mit einem Hund. Sams Blick glitt auf den Boden unter diesem Ungetüm und er bemerkte überrascht, dass dort etwas Weißes hervorstach. Bei näherer Betrachtung erkannte er, dass es eine Art Pentagramm aus Kreide war, das sich um das Tier zog. Verstärkt war das Ganze offenbar noch durch eine dicke Schicht Salz. „Es ist ein Gefangener“, stellte er erstaunt fest. Dean schaute ihn einen Augenblick verwirrt an, dann aber registrierte er auch die Kreidestriche auf dem Fußboden. Sam wandte sich an Spencer. Augenscheinlich war das Ungeheuer gut gesichert und bedeutete keine akute Gefahr, sodass er es sich leisten konnte, sich einen Moment wegzudrehen. Er behielt das Ding aber immer noch im Augenwinkel. „Was haben Sie getan?“, fuhr Sam den alten Mann an. „Warum ist dieses … dieses Ding hier unten? Haben Sie es etwa beschworen?“ Spencer öffnete den Mund und wollte offenbar zu einem trotzigen Protest ansetzen, dann aber senkte er den Kopf und meinte beklommen: „Ja, das habe ich.“ Sam konnte nur entsetzt den Kopf schütteln. „Und warum, verdammt noch mal? Was wollten Sie damit bezwecken?“ Der vorwurfsvolle Tonfall schien Spencer sehr zu treffen. Mit harter Miene schaute er Sam direkt in die Augen und sagte kalt: „Das war ganz gewiss nicht meine Absicht. Ich war jung und ich wusste nicht, was ich tat. Ich hasse mich jeden Tag dafür, dass ich diese Bestien auf die Welt losgelassen habe, da können Sie sich ihre Vorträge ruhig sparen!“ Sam horchte auf. „Diese … Bestien? Sie meinen …?“ „Ja“, gab Spencer zu. „Die Mädchen und dieses Vieh dort. Ich war es, der sie hergeholt hat.“ Dean hatte sich inzwischen vorsichtig dem Geschöpf genähert, seine Waffe fest in Griff und jederzeit bereit, sich zu verteidigen, sollte es nötig sein. Angewidert musterte er das Tier, das sich offenbar nicht davon stören ließ. Es gähnte sogar einmal herzhaft und entblößte dabei eine Reihe rasiermesserscharfer Zähne, die selbst einen Hai neidisch gemacht hätten. Beim Anblick dieses stattlichen Gebisses trat Dean hastig wieder einige Schritte zurück. „Ihr seid sicher, dass das Vieh da nicht rauskommen kann?“, fragte er alarmiert. „Ganz sicher“, versprach Spencer zuversichtlich. „Es hockt schon seit fünfzehn Jahren dort drin. Keine Bange, solange Sie das Siegel nicht anrühren, wird sich daran so schnell auch nichts ändern.“ Dean nickte, wirkte aber trotzdem nicht sonderlich überzeugt. Er nahm Sam die Plastikflasche mit Weihwasser ab, die dieser mit sich getragen hatte, und drehte sie auf, während er weiterhin misstrauisch das Geschöpf beäugte. „Jetzt erzählen Sie schon, was soll das Ganze?“, verlangte Sam zu erfahren. „Warum sitzt dieses Monster in Ihrem Keller? Und wieso haben Sie diese Dämonen beschworen?“ Spencer ließ sich ächzend auf eine Treppenstufe sinken und fuhr sich seufzend durchs Haar. „Ich war … verzweifelt, verstehen Sie? Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Justin war das Wichtigste in meinem Leben, ich wollte ihn doch nur wieder zurück.“ Sam begriff nicht wirklich, wovon der alte Mann sprach. „Am besten erzählen Sie alles von Anfang an, damit wir die ganze Geschichte verstehen können.“ Spencer schloss die Augen. In dem schwachen Licht wirkte er müde und kränklich. „Es geschah vor fünfzehn Jahren. Alles war damals perfekt. Meine Frau hatte gerade erfolgreich eine schwere Krankheit besiegt, mein Sohn hatte seine erste Freundin und ich stand kurz davor, befördert zu werden. Alles lief wie am Schnürchen. Und dann …“ Spencer brach ab, schluckte schwer. Das Geschöpf hatte inzwischen begonnen, sich ein wenig zu bewegen. Erst richtete es sich ein bisschen auf, dann versuchte es sogar, sich aufzurappeln, aber offenbar waren seine Gliedmaßen von der langen Gefangenschaft ziemlich eingerostet. Nur mit Mühe und einem Keuchen und Ächzen, dass es einem dabei eiskalt den Rücken herunterlief, schaffte es das Tier, sich wieder einigermaßen aufzurichten. Es setzte sich auf die Hinterläufe und musterte sie weiterhin neugierig von oben herab. Die umstehenden Menschen hatten die ganze Prozedur mit großer Anspannung mitverfolgt. Als sich das Ungetüm allmählich wieder beruhigte, fuhr Spencer mit seiner Geschichte fort: „Es war ein betrunkener Autofahrer. Schon seit jeher habe ich Leute, die sich angetrunken hinter ein Steuer setzen, für ihre Verantwortungslosigkeit zutiefst verachtet. Man liest es ja dauernd in den Zeitungen, aber … ich hätte nie gedacht, dass es mir auch passieren könnte.“ Spencers Stimme zitterte. „Justin hat draußen in unserer Einfahrt Basketball gespielt. Und dieser Mistkerl von Autofahrer … als er die Kontrolle über seinen Wagen verlor, hat er nicht mal gebremst. Justin hatte nicht den Hauch einer Chance.“ Sam erinnerte sich vage, bei seinen Recherchen über verstorbene Kinder auch den Namen ‚Justin Spencer’ gelesen zu habe. Er hatte wegen der Namensähnlichkeit kurz gestutzt, aber sich nichts weiter dabei gedacht, da es sich erstens um einen Jungen gehandelt hatte und somit kaum ein Bezug zu Alyssa logisch erschienen war und zweitens Justin außerdem mit seinen sechzehn Jahren völlig aus dem Altersraster gefallen war. Sam hatte dem Jungen keine weitere Beachtung geschenkt, nun jedoch bereute er es. Sie hätten wahrscheinlich schon viel früher etwas über die Zwillinge erfahren, wären sie dieser Spur nachgegangen. „Ich habe es nicht ertragen.“ Spencers Augen wurden feucht. Auch noch nach all dieser Zeit schmerzte ihn der Tod seines Sohnes anscheinend sehr. „Ich konnte es einfach nicht akzeptieren, dass er nie wieder zurückkommen sollte. Und darum habe ich … dieses alte Buch meines Großvaters benutzt. Voller Zaubersprüche oder wie man das auch immer nennen soll.“ Sam nickte knapp. Es war nicht gerade selten, dass unbedarfte Leute irgendwelche Beschwörungsformeln aufsagten und damit Kräfte entfesselten, die sie nicht zu kontrollieren vermochten. „Ich wollte doch nur meinen Sohn zurück“, sprach Spencer mit belegter Stimme weiter. „Meine Frau war dagegen, aber sie konnte mich nicht umstimmen. Nichts und niemand konnte mich umstimmen.“ Er schwieg einen Moment, seufzte schwer. „Also standen wir eines Tages hier unten und ich Idiot rezitierte diese lateinische Formel. Doch anstatt Justin tauchten diese beiden Mädchen und das Ungetüm dort drüben auf.“ Er deutete mit verzogenem Gesicht auf das Tier, welches wiederum davon keinerlei Notiz nahm, sondern stattdessen interessiert eine Fliege beobachtete, die um die Glühbirne summte. „Dieses … dieses Ungeheuer … es griff ohne jede Vorwarnung meine Frau an. Es brach ihr das Genick, während die Mädchen schadenfroh lachten. Wie kleine Teufel.“ Spencer verkrampfte seine Hände zu Fäusten. „Ich … ich wusste nicht, was ich tun sollte. Für einen Moment erwog ich, einfach nur davonzulaufen, aber ich tat es nicht. Hätte ich dieses Biest etwa meine Frau zerfleischen lassen sollen? Also habe ich den erstbesten Fluch ausprobiert, den ich in der Hektik in dem Buch gefunden habe.“ Sam nickte verstehend. „Der Fluch von Licht und Schatten“, murmelte er. Demnach hatte Spencer den beiden Mädchen diesen Fluch angehängt. Wenigstens Alyssa musste einen gewaltigen Hass auf diesen Mann verspüren. Bei Amy war Sam sich nicht sicher, ob sie überhaupt so etwas wie Hass empfinden konnte … „Ich … ich hatte keine Ahnung, was ich angerichtet hatte“, fuhr Spencer fort. War er anfangs noch so verschlossen gewesen, sprudelte nun die ganze Geschichte regelrecht aus ihm heraus. Er hatte wohl schon lange darauf gewartet, sich dies von der Seele reden zu können. „Es war plötzlich so furchtbar hell, die Mädchen schrien fürchterlich, die Bestie jaulte wie verrückt. Und dann waren die beiden Teufelskinder verschwunden und dieses … dieses Monster lag bewusstlos auf dem Boden. Ich kann nicht genau sagen, was passiert ist, aber ehrlich gesagt war es mir auch ziemlich egal. Ich habe einfach schnell diesen Kreis um das Biest gezogen, so wie ich es Tage zuvor noch in dem Buch irgendwo gelesen hatte.“ „Und seitdem lebt dieses Vieh hier unten?“ Dean warf Spencer einen Blick zu, der nur schwer zu deuten war. Einerseits war er extrem angewidert, das konnte man deutlich sehen, dennoch schien er auch so etwas wie Bewunderung für den alten Mann übrig zu haben. Nicht jeder hielt es fünfzehn Jahre mit einem Monster im Keller aus, ohne verrückt zu werden. Spencer nickte schwach. „Es kommt mir vor wie Ewigkeiten. Ich kann mich nicht mal mehr an die Zeit erinnern, an dem dieses Monster nicht in meinem Keller gewesen ist. Heute ist es für mich unvorstellbar, dass es eine Zeit gab, als ich unbedenklich hier herunter kommen konnte, ohne von einem mörderischen Höllentier beobachtet zu werden.“ „Und warum sind die Mädchen nie zurückgekommen, um ihren kleinen Freund zu holen?“, wunderte sich Dean. „Wieso müssen sie irgendwelche Menschen schicken?“ Ein trauriges Lächeln bildete sich auf Spencers Gesicht. „Weil ich eine Art Schutzbann um das Grundstück errichtet habe. Solange ich hier drinnen bin, können sie mir nichts antun.“ Dean starrte ihn erstaunt an. „Sie hocken seit fünfzehn Jahren in diesem Haus fest?“ Für ihn musste das der Albtraum schlechthin sein. Binnen weniger Tage wäre er vermutlich vor Langeweile eingegangen. „Ich hatte keine Wahl“, meinte Spencer seufzend. „Ich wusste, sie sind irgendwo dort draußen und warten nur auf mich. Einzig zur Beerdigung meiner Frau habe ich mich vor die Tür gewagt und prompt habe ich auf dem Friedhof eines der Mädchen gesehen, wie es mit einem Ball gespielt und mir lächelnd zugewunken hat. Glauben Sie mir, allein ihr Anblick hat mir einen Riesenschreck eingejagt. Auf jeden Fall ist es mir eine Lehre gewesen und ich kann nur froh sein, dass das Mädchen mich nicht angegriffen hat.“ Nach Spencers Beschreibung war es offenbar Amy gewesen, die er getroffen hatte. Alyssa wäre sicherlich nicht so fahrlässig gewesen und hätte den Mann ohne weiteres gehen lassen. „Sagen Sie, haben Sie je versucht, dieses Ding umzubringen?“ Dean deutete mit der Mündung seiner Waffe auf das Tier, das nun alarmiert den Kopf hob. Entweder machte ihn die Pistole nervös oder unter Umständen hatte es Deans Worte auch bestens verstanden. Mit undeutbarer Miene musterte das Wesen die Anwesenden. „Ähm, nun ja … schon irgendwie“, meinte Spencer zögerlich. „Ich habe ihm seit fünfzehn Jahren beispielsweise kein Wasser oder etwas zu Fressen gegeben. Ich hatte eigentlich gehofft, es würde einfach irgendwann eingehen, aber wie Sie sehen können, ist es noch quicklebendig.“ Er spähte kurz zu dem Geschöpf hinüber, wich dann aber sofort wieder hastig seinem Blick aus. „Na ja, es ist zumindest ruhiger geworden. Die ersten Tage und Monate hat es einen ganz schönen Radau angerichtet. Ich musste den ganzen Keller schalldicht verkleiden, sonst hätten meine Nachbarn sicher irgendwann die Polizei gerufen.“ „Und sonst haben Sie nichts versucht?“, erkundigte sich Dean. Er schien es augenscheinlich sehr zu missbilligen, dass Spencer das Monster, das seine Frau umgebracht hatte, einfach so am leben gelassen hatte. Dean selbst hätte natürlich sofort kurzen Prozess mit dem Wesen gemacht, er verkannte dabei aber des öfteren, dass nicht alle Menschen zum Töten geboren waren. „Ich … ich habe mir vor vielen Jahren von unserem Pfarrer etwas Weihwasser bringen lassen“, erklärte Spencer. „Es hat extrem empfindlich darauf reagiert, es hat gejault wie ein sterbender Wolf. In dem Zustand hätte ich es wahrscheinlich erschießen können. Aber … ich konnte es einfach nicht.“ Er ließ den Kopf hängen und seufzte schwer. „Ich hasse mich selbst dafür, aber ich konnte seine Schreie einfach nicht ertragen. Ich bin kein Mörder, verstehen Sie?“ Dean lag offenbar irgendein passender Kommentar auf den Lippen, aber nach einem gestrengen Blick seitens Sams schluckte er ihn herunter. „Ich bin schwach und feige, das ist mir durchaus bewusst.“ Spencers Hände begannen, zu zittern. „Ich hätte diese Bestie schon vor Jahren töten können, doch mein dummes Gewissen hat mich davon abgehalten. Ich weiß, es ist jämmerlich, aber ich konnte nichts dagegen tun.“ „Es ist ganz gewiss nicht jämmerlich“, versuchte Sam, den aufgelösten Mann wieder etwas zu beruhigen. „Es ist nur menschlich.“ Spencer betrachtete ihn wenig überzeugt, dennoch schien er für die tröstenden Worte dankbar zu sein. „Ich habe mir immer wieder eingeredet, dass es im Grunde nur ein Tier ist, das ohne jede Vorwarnung aus seiner vertrauten Umgebung gerissen wurde und dann verständlicherweise in Panik verfiel. Uns würde es wahrscheinlich nicht anders ergehen, wenn uns so etwas passieren würde. Aber … aber eigentlich sind das nur dumme Ausreden.“ Dean hatte einen bedeutungsvollen Blick auf die Flasche mit Weihwasser in seiner Hand geworfen. „Nun, wenn Sie dieses Vieh nicht umbringen können … wir können es schon.“ Spencer schaute auf, in seinem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle wider. Überraschung, Erleichterung, aber auch so etwas wie Widerwillen. Er wusste wohl im ersten Augenblick einfach nicht, was er davon halten sollte. „Sie … Sie wollen wirklich …?“ Ungläubig sah er von einem zum anderen. „Sicher.“ Dean hob demonstrativ die Flasche in die Luft. „Das ist eine unserer leichtesten Übungen. Normalerweise sind die Dämonen, hinter denen wir her sind, sogar noch auf freiem Fuß. Im Grunde kann man das hier als ziemlich langweilig beizeichnen.“ Das Ungetüm hatte seine Aufmerksamkeit auf die Flasche gerichtet. Anscheinend wusste es ganz genau, was sich in deren Inneren befand. Ein leichtes Grollen war aus der Kehle des Tieres zu hören. „Dean, vielleicht sollten wir es nicht überstürzen“, meinte Sam zögernd. „Wir wissen doch gar nicht, womit wir es zu tun haben. Wir sollten –“ „Ach Quatsch!“, unterbrach Dean ihn. „Was gibt’s da noch großartig nachzudenken? Das Vieh reagiert empfindlich auf Weihwasser und so eine nette Eisenkugel wird ihm sicherlich auch nicht gut bekommen. Im Handumdrehen hätten wir das Problem gelöst.“ Zur Veranschaulichung schleuderte er ein paar Tropfen des Wassers auf das Tier … und die Reaktion war verheerend. Seine schuppige Haut begann sofort, zu qualmen, während das Ungetüm einen Schmerzensschrei ausstieß, der ihnen allen das Trommelfell vibrieren ließ. Das Gebrüll war dermaßen ohrenbetäubend, dass Sam für einen Augenblick wirklich dachte, dass seine Gehörgänge platzen und er für immer und ewig taub sein würde. „Lassen Sie das!“ Spencer war zu Dean gestürmt und hatte dem von dem tosenden Lärm ebenfalls erschrockenen Winchester die Flasche aus der Hand geschlagen, sodass sie zu Boden fiel und einen Teil ihres Inhalts auf Deans Schuhen spritzte. „Wollen Sie etwa, dass von dem Geheule das ganze Haus einstürzt?“ Zwar von der unerwarteten Lautstärke immer noch etwas benommen, wandte sich Dean mit zorniger Miene an den älteren Mann. Er hatte es noch nie besonders leiden können, wenn man ihm ungefragt in die Quere gekommen war. „Was soll das?“, zischte er aufgebracht. „Sie können doch nicht so einfach dazwischenfunken! Hätten Sie das auch getan, wenn ich vorgehabt hätte, mit einer Waffe zu schießen?“ Während die beiden weiter stritten, wand sich das Tier winselnd und jammernd in seinem Gefängnis. Seine goldenen Augen funkelten vor Wut und Schmerz. Auch Sam verspürte bei diesem Anblick so etwas wie Mitleid und konnte verstehen, wieso es Spencer all die Jahre trotz alledem nicht übers Herz gebracht hatte, dieses Wesen umzubringen. Sein Blick glitt hinunter zu der Plastikflasche am Boden … um im nächsten Moment erschrocken die Augen aufzureißen! „Dean!“, schrie er. Aber sein Bruder und Spencer waren immer noch damit beschäftigt, zu entscheiden, wer von ihnen nun Recht hatte. Ihre Lautstärke konnte sich inzwischen fast schon mit dem qualvollen Gebrüll des Geschöpfes von vorhin messen. „Ihr Bruder hat ganz Recht, Sie sollten nicht so unüberlegt handeln!“, meinte Spencer soeben erbost. „Was fällt Ihnen überhaupt ein? Dieses Ding da ist immer noch mein Problem und ich erlaube nicht, dass Sie sich ohne meine Erlaubnis hier einmischen! Sie werden es nur wütend machen!“ „Wollen Sie etwa, dass dieses Monster die nächsten fünfzehn Jahre weiterhin in Ihrem Keller haust?“, fauchte Dean aufgebracht. „Es dauert nicht mal zwei Minuten, dann wäre dieses Ding ein für allemal tot! Sagen Sie bloß, das wäre nicht in Ihrem Interesse?“ „DEAN!“, brüllte Sam nun regelrecht. Sein Bruder seufzte genervt auf. „Was ist denn, Sammy? Du störst!“ „Schau auf den Boden!“ Dean folgte der Anweisung … und auch ihm gefroren die Gesichtzüge. Er sah die Flasche Weihwasser auf dem Boden liegen, deren Inhalt sich zum Teil auf dem Boden verteilt hatte. Langsam, ohne dass es irgendwer bemerkt hätte, war etwas Wasser langsam über den leicht unebenen Boden geflossen … … und hatte sich mit der Kreide und dem Salz vermischt, das das Wesen in Schach halten sollte. Der Kreis war damit gebrochen und nach endlosen Jahren nun wieder völlig unwirksam. Dean verzog sein Gesicht. „Oh Nein!“ Kapitel 7: 7. Kapitel --------------------- So, es ist schon ne ganze Weile her, dass ich hier was hochgeladen habe. Wenig Zeit, wenig Lust, Unistress - all das kam irgendwie zusammen. Aber jetzt hat mich die Lust am Schreiben wieder gepackt ^^ Eine kurze Zusammenfassung, um wieder reinzufinden: Nachdem die Winchesters herausgefunden haben, dass es sich bei Alyssa und Amy um dämonische Zwillingsschwestern handelt, auf die der Fluch von Licht und Schatten lastet, begeben sie sich zu Spencers Haus, um endlich das Geheimnis aus dem Keller zu lüften. Dieses entpuppt sich als riesiges Ungetüm, das schon seit fünfzehn Jahren in dem Haus gefangen ist. Es kommt schließlich, wie es kommen muss: Der Bannkreis, der das Tier eingesperrt hat, wird unbeabsichtigt gebrochen ... __________________________________________________ So war das nun wirklich nicht geplant gewesen. Das riesige Ungetüm mit Weihwasser bespritzen und es anschließend einfach erschießen – eine simple und effektive Vorgehensweise. Zugegeben, nicht besonders spektakulär oder heldenhaft, aber wenn Dean ehrlich zu sich war, hatte er nach dem ganzen Ärger mit den dämonischen Zwillingsschwestern nicht wirklich Lust, sich länger als nötig mit diesem Fall zu befassen. Je schneller sie das Ganze hinter sich gebracht hätten, umso besser. Doch nun war alles sehr viel komplizierter geworden. Zögerlich testete das Wesen den zerbrochenen Bannkreis, schien auf Nummer sicher zu gehen, ob es auch wirklich befreit war. Ein Ausdruck von Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht, als es ihm gelang, ohne große Probleme eine Pfote über die Kreide- und Salzlinie zu schieben. Dean stieß einen Fluch aus und warf einen Blick auf die Flasche mit Weihwasser, die auf dem Boden lag. Sie war nicht weit von ihm entfernt, aber ebenso auch in gefährlicher Nähe der scharfen Krallen dieses Riesenhundes. Sich in die Hocke zu begeben und sich schnell die Flasche zu greifen, war vermutlich nicht besonders klug. „Oh Mann, oh Mann, oh Mann“, murmelte Spencer geschockt, während er langsam Stück für Stück nach hinten wich. Noch fesselte ihn sein Entsetzen und bewahrte ihn vor unbedachten Bewegungen, aber sollte erst die Panik ihn ergreifen und ihn zu einer übereilten Flucht treiben, würde das Biest sicherlich nicht allzu begeistert darauf reagieren. Dean fühlte das Gewicht seiner Waffe in der Hand. Sie war mit Eisenmunition gefüllt, doch er wusste nicht, ob das überhaupt eine Auswirkung auf das Vieh haben würde. Vielleicht würde es genauso erfolglos sein wie die Steinsalzattacke auf Alyssa. Allerdings konnte man das erst mit Bestimmtheit wissen, wenn man es erstmal ausprobiert hätte. Dean hob die Waffe und nahm die Hautstelle bei dem Tier ins Visier, die er zuvor mit dem Weihwasser verletzt hatte. Ein direkter Treffer würde sicherlich wehtun … Die Kreatur jedoch schien zu ahnen, was Dean vorhatte. Erneut stieß sie ein furchtbares Brüllen aus, dass selbst die Gläser, die auf einem Regal einträchtig aneinandergereiht standen, zu tanzen begannen. Spencer schrie auf und wollte daraufhin die Treppe hinauf stürmen, doch Sam packte ihn am Kragen und schubste ihn unsanft in eine dunkle Ecke, ehe er sich schützend vor ihn stellte. Dean hatte währenddessen nicht gezögert und den Abzug betätigt. Laut knallend war die Kugel aus der Mündung geschossen, direkt auf das Wesen zu. Dieses wich zwar noch aus, konnte sich aber nicht völlig vor dem Angriff schützen. Die Kugel streifte die bereits vom Weihwasser verletzte Haut und Blut quoll hervor. Nun gab es kein Halten mehr. Das Tier brüllte schmerzerfüllt auf und setzte sich in Bewegung. Dean hatte gerade noch Zeit, aus der Bahn zu springen und einen Blick über die Schulter zu werfen, um zu sehen, wie die Bestie die Treppe hinaufstürzte. Mehrere der Holzstufen barsten unter ihrem enormen Gewicht, die ganze Treppe ächzte und knarrte bedrohlich. Die Kreatur jedoch schaffte es bis nach oben. Ohne Rücksicht auf Verluste bahnte sie sich ihren Weg und riss dabei die Kellertür aus ihren Angeln. Sie wurde zertrampelt, als würde es sich dabei nur um ein leicht zerbrechliches Spielzeug handeln. Und bereits einen Augenblick später hörte man einen heillosen Krach, als sich das Tier durch die Küche kämpfte. „Verdammte Scheiße!“, zischte Dean. Eigentlich hatte er sich das Ganze völlig anders vorgestellt. So schnell ihn seine Füße tragen konnten, rannte er nach oben, sehr darum bemüht, auf der schwer ramponierten Treppe nicht zu stolpern. Die Küche, so bemerkte er mehrere Augenblicke später, sah aus wie ein Schlachtfeld. Das Wesen hatte keinerlei Rücksicht auf seine Umgebung genommen. Stattdessen hatte es den schnellstmöglichen Ausgang gesucht und letztlich auch gefunden. Dort, wo sich zuvor noch ein Seiteneingang befunden hatte, klaffte nun ein großes Loch. Das Tier hatte einfach die Tür eingerannt und war in den Garten gestürmt. Auch Dean rannte nach draußen und ließ seinen Blick schweifen, die Waffe auf Anschlag. Von dem Ungetüm war weit und breit nichts zu sehen, aber seine Pfoten hatten tiefe Abdrücke im Rasen hinterlassen. Auch ein nahestehender Busch machte den Anschein, als hätte ein tonnenschweres Monster ihn einfach umgerannt. „Das ist nicht gut“, sagte Sam, der soeben ebenfalls ins Freie getreten war. „Das ist ganz und gar nicht gut.“ „Was du nicht sagst, Sammy“, brummte Dean. „Ich fürchte, wir müssen wohl doch auf die Jagd gehen. Dabei dachte ich wirklich, dieses Mal würde alles viel einfacher gehen.“ Aber wann war es schon jemals einfach gewesen? „Dean, wir wissen überhaupt nicht, worum es sich handelt“, erwiderte Sam. Dean warf seinem Bruder einen Seitenblick zu. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes sagen, dass wir nichts unternehmen sollen? Dass wir das Vieh einfach entkommen lassen?“ Sam schnaubte. „Natürlich nicht. Ich dachte nur …“ Er schwieg einen Moment und meinte schließlich: „Warte kurz. Ich bin gleich wieder da.“ Und mit diesen Worten lief er zurück ins Haus. Dean wiederum folgte den Abdrücken des Wesens bis zur Straße hin. Dort wurde seine Spur weitaus undeutlicher, da im Gegensatz zu der Holztreppe oder dem Gras in Spencers Garten der Asphalt durchaus dafür gedacht war, tonnenschwere Objekte zu tragen. Zwar konnte man durch den Dreck, den es unter seinen Pfoten gehabt hatte und nun auf der Straße verteilt war, ungefähr erahnen, in welche Richtung das Ungetüm gerannt war, aber spätestens bei der nächsten Kreuzung würde sich diese Spur wieder in Wohlgefallen auflösen. Dean seufzte schwer. Das würde wahrlich eine schwierige Suche werden. Hinzu kam noch, dass es gerade erst Nachmittag war. Es waren zwar in der Zwischenzeit dunkle Wolken aufgezogen und es nieselte leicht, dennoch würden sicherlich einige Menschen auf den Straßen unterwegs sein. Nicht so viele wie bei strahlenden Sonnenschein, aber immer noch genug, um diesem Vieh im Weg zu stehen oder ihm gar als köstliche Mahlzeit zu fungieren. „Das Ding ist verdammt schnell, nicht wahr?“, stellte Sam fest, als er wieder zurückgekehrt war. In seinen Händen hielt er ein Buch, in dem er eilig herumblätterte. „Das hättest du nicht gedacht, was?“, schnaubte Dean, als er die leere Straße hinabsah, die keinerlei Zeichen der Bestie zeigte. „Aber wer hätte auch angenommen, dass dieser Bulldozer so flink sein könnte?“ Sam nickte geistesabwesend, während er weiter das Buch vor sich studierte. „Was ist das überhaupt?“, erkundigte sich Dean, während er sich in die Richtung in Bewegung setzte, in die das Tier geflohen war. Sein Bruder folgte ihm augenblicklich. „Das Buch, das Spencer dafür benutzt hat, um die Dämonen zu rufen“, erklärte Sam. „Es ist …“ „Es ist was?“ Dean ließ seinen Blick schweifen, jederzeit damit rechnend, dass das Monster hinter einem Auto hervorspringen und sie angreifen würde. Aber alles war vollkommen ruhig. Das Tier war wahrscheinlich schon längst über alle Berge und die Winchesters würden es zu Fuß nie einholen können. Dean verfluchte mehr als einmal den Umstand, dass sein Wagen irgendwo vor einem kleinen Tante-Emma-Laden am Rand der Stadt mutterseelenallein und weit entfernt parkte. Nachdem Alyssa sie ein zweites Mal aufs Übelste überrascht hatte, waren die Brüder sofort zu Spencers Haus geeilt, das sich ganz in der Nähe ihres Motels befand. Es wäre unsinnig gewesen, erst den langen Weg zurückzumarschieren, um den Impala zu holen. Nun aber bereute Dean es sehr. Er verwickelte seinen Wagen zwar ungern in eine Dämonenjagd, aber bestimmte Situationen erforderten nun mal harte Maßnahmen. „Es scheint sich um ein wirklich altes Buch mit noch älteren Zauberformeln zu handeln“, meinte Sam. „Das Latein ist wirklich ausgesprochen kompliziert. Ich verstehe nicht mal die Hälfte und das war vermutlich auch damals Spencers Problem. Hätte er den kompletten Text lesen können, wäre ihm wahrscheinlich sofort klar gewesen, welche Dummheit er begeht.“ Er deutete demonstrativ auf eine verschnörkelte Überschrift. „Hier steht, grob übersetzt: ‚Um die Seelen zu holen‘. Spencer glaubte wohl, dass man damit verstorbene Seele zurückrufen könnte.“ „Da hat er wohl ein kleines bisschen falsch gelegen“, meinte Dean sarkastisch. Wenn das alles vorbei war, würde er dem alten Knacker einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpassen. Hätte er sich nur mehr Zeit genommen und sein Latein-Wörterbuch herausgeholt, wäre das alles wahrscheinlich gar nicht passiert. „Hier steht sogar ‚gemini‘“, stellte Sam nach weiterem Lesens der Formel fest. Dean warf ihm daraufhin bloß einen verwirrten Blick zu. „‚Gemini‘ bedeutet ‚Zwilling‘“, erklärte sein jüngerer Bruder seufzend. „Zwillinge hatten schon vor Urzeiten eine große Bedeutung. Es gab einige Menschen und Kulturen, die sie als Unglücksträger und böse Omen ansahen und sie sogar töteten. Wiederum andere hielten sie für besondere Zeichen. Denk nur an die antiken Überlieferungen. Romulus und Remus dürften wohl das bekannteste Beispiel sein.“ „Vielen Dank für diese interessante Lehrstunde“, meinte Dean grummelnd. „Und bringen uns diese Informationen irgendwie weiter?“ Sam runzelte die Stirn. „Soweit ich das beurteilen kann … nicht wirklich.“ „War ja klar“, brummte sein Bruder. „Dieser Fall ist echt verzwickt und er geht mir allmählich ziemlich auf die Nerven. Ich will dieses Vieh einfach nur umnieten, die Gören wieder in die Hölle schicken und einen Cheeseburger verdrücken. Ist das wirklich zu viel verlangt?“ Als sie schließlich die nächste Kreuzung erreichten und keinerlei Anhaltspunkte für den weiteren Weg des Ungetüms zu erkennen waren, wurde Dean augenblicklich klar, dass ihn das Schicksal wohl ordentlich gegen das Schienbein getreten hatte. Beileibe kein gutes Gefühl. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er seufzend. „Diese verdammte Stadt ist riesig. Und ich habe keine Lust, blindlings in der Gegend herum zu suchen und zu hoffen, dass wir vielleicht endlich mal etwas Glück haben.“ „Wir müssen nur logisch denken, Dean.“ Sam schaute suchend die Straßen hinab. „Was würdest du tun, wenn du fünfzehn Jahre in einem Keller eingeschlossen gewesen und nun plötzlich frei wärst?“ Dean verzog sein Gesicht. Das war eine Vorstellung, der er sich nur äußerst ungern hingab. Schon eine einzige Nacht in Spencers schmucklosen Keller hätte ihn wahrscheinlich wahnsinnig werden lassen. „Keine Ahnung, Sammy“, entgegnete er daraufhin. „Ich würde mich erkundigen, wer gerade der Präsident der Vereinigten Staaten ist? Ich würde einen Fastfood-Laden überfallen?“ „Genau.“ Dean blinzelte verwundert. „Wie bitte?“ „Na ja, nicht unbedingt die Präsidenten-Sache, aber mit dem Essen hast du sicher Recht“, meinte Sam. „Das Tier hat in all den Jahren keinerlei Nahrung zu sich genommen. Wärst du da nicht auch hungrig?“ Dean stöhnte. Ein hungriges Monster – der Tag wurde immer besser! „Es ist bestimmt völlig ausgehungert“, fuhr Sam fort. „Und wahrscheinlich auch noch dehydriert. Also wird es zunächst versucht sein, dieses gigantische Loch in seinem Magen zu füllen.“ „Ich sag’s nur ungern, Sam, aber das bringt uns auch nicht wirklich weiter. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wo sich das Vieh was zu Fressen holen könnte. Ganz abgesehen von der Frage, was es überhaupt frisst. Steht es mehr auf gebratenes Hühnchen oder doch eher auf rohes Menschenfleisch?“ Sam aber hatte inzwischen so gut wie irgend möglich sein Gewehr unter seiner Jacke versteckt und sich der Straße zu seiner Rechten zugewandt. „Riechst du das nicht? Da grillt jemand. Wahrscheinlich ein Barbecue. Ich an der Stelle des Tieres würde diesem Geruch nicht widerstehen können.“ Entschlossen machte er sich auf den Weg und ließ einen verdutzten Dean zurück. Dieser konnte hingegen einfach nur den Kopf schütteln und murmelte: „Ein Barbecue bei diesem Mistwetter? Die Menschen sind wirklich verrückt.“ Dann setzte er sich an, um seinem Bruder zu folgen. Der Geruch nach gebratenem Fleisch wurde immer intensiver, je weiter sie vordrangen. Dean lief bereits das Wasser im Mund zusammen, in Erinnerung daran, dass er seit einer schnell herunter geschlungenen Mahlzeit am Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte. Selbst wenn das Tier nicht bei der Grillparty sein sollte, war Dean entschlossen, kurz mal anzuklopfen, seinen Charme spielen zu lassen und sich irgendwie ein leckeres Steak zu mopsen. Das hatte er seiner Meinung nach mehr als verdient. „Steht in dem verdammten Buch auch irgendein Hinweis, um was für ein Geschöpf es sich eigentlich handelt?“, fragte Dean nach. Sam seufzte und zuckte mit den Schultern. „Schon möglich. Aber, wie bereits gesagt, ist alles im schwierigen Latein geschrieben. Ich bräuchte mehr Zeit und Ruhe, um das übersetzen zu können.“ „Und was ist mit den Zwillingen?“ Sam senkte für eine Millisekunde den Blick. Jemand anderen wäre diese Geste nicht weiter aufgefallen, aber Dean erkannte sofort, dass sein Bruder immer noch damit zu kämpfen hatte, in der süßen Amy einen Dämon zu sehen. Entsann man sich an ihr Lächeln und ihre unschuldigen Kinderaugen, die mit Faszination die großen und kleinen Dinge dieser Welt bestaunt hatten, war dies aber auch wirklich schwer. Selbst Dean, der immer stets versucht hatte, so hart und professionell wie sein Vater zu bleiben, war sich nicht sicher, wie er reagieren würde, wenn er Amy wieder gegenüberstände. Würde er sie einfach niederschießen, so wie er es liebend gern mit ihrer verfluchten Schwester gemacht hätte? Oder würde er zögern und damit möglicherweise einem Dämon, der es perfekt verstand, so zu tun, als wäre er vollkommen harmlos, eine Chance geben, ihn anzugreifen? Dean wusste es einfach nicht. Er wusste nicht, ob er dazu fähig war, Amy etwas anzutun. Und er wusste ebenfalls nicht, ob sie nicht bloß eine verdammt gute Schauspielerin war und diese kindliche Naivität nur vorgetäuscht hatte. „Ich glaube, ein bisschen zu den Zwillingen steht hier drinnen“, meinte Sam, während er mühevoll versuchte, das aufgeklappte Buch nah genug an sein Gesicht zu bringen und gleichzeitig das Gewehr unter seiner Jacke versteckt zu halten. Denn im Gegensatz zu Spencers ausgestorbener Straße waren hier einige Menschen tatsächlich unterwegs und wären beim Anblick zweier Männer mit Schrotflinten sicherlich nervös oder gar panisch geworden. „Viel kann ich im Moment nicht übersetzen“, meinte Sam. „Es geht um … unterschiedliche Pole, soweit ich das richtig verstehe. Um Tag und Nacht.“ Dean nickte unbewusst. „Der Fluch von Licht und Schatten.“ „Glaube ich weniger“, erwiderte Sam sofort. „Den Fluch hat Spencer ja erst nachträglich ausgesprochen. Es geht wohl eher … um die Persönlichkeiten der beiden.“ „Du meinst die Tatsache, dass der eine Zwilling ein absolutes Miststück ist und der andere ein unschuldiger Engel?“, hakte Dean nach. „Dass sie wie Tag und Nacht sind?“ Sam hob die Schultern. „Scheint mir plausibel. Das würde vielleicht auch erklären, warum der Fluch bei ihnen so gegriffen hat. Ich denke, das Ganze ist kein Zufall. Womöglich hat Spencer bloß einen allgemeinen Fluch ausgesprochen, der sich angesichts der verschiedenen Charaktere der Mädchen in den Fluch von Licht und Schatten verwandelt hat.“ Sam schwieg einen Moment und legte grüblerisch die Stirn in Falten, ehe er sagte: „Zumindest würde es das Ganze erklären. Oder was glaubst du, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Spencer aus diesem Buch ausgerechnet jenen Fluch findet, der den Gegensatz dieser beiden Schwestern in etwas Greifbares verkehrt?“ Dean war zwar noch nie ein Meister der Wahrscheinlichkeitsrechnung gewesen, aber auch ihm war sofort klar, dass die Chancen hierfür relativ gering standen. Spencer hatte keine Zeit zum Nachdenken gehabt, nachdem die dämonischen Zwillinge und das riesige Ungetüm plötzlich in seinem Keller aufgetaucht waren und seine Frau getötet hatten. Er hatte wahllos eine Formel zitiert, von der er bloß gewusst hatte, dass es sich um irgendeinen Fluch handelte. Dean seufzte schwer. Dieser ganze Fall war über alle Maßen nervenaufzehrend. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, nie diese Stadt angefahren zu haben. Riesige Monsterhunde mit messerscharfen Fangzähnen und kleine, sadistische Gören, die Gedanken lesen und die schlimmsten Albträume eines jeden herausfinden konnten. Aber wenigstens bestätigte Sams neue Erkenntnis, dass Amy wohl tatsächlich so war, wie sie sich die ganze Zeit gegeben hatte. Nett, unbekümmert, liebreizend. Eben der genaue Gegensatz zu Alyssa. Dean fand diesen Gedanken durchaus beruhigend. Auch wenn er gleichzeitig nicht genau wusste, ob die Vorstellung von freundlichen Dämonen ihn eher freuen oder ängstigen sollte. Bevor er jedoch dazu kam, intensiver darüber nachzudenken, zerriss ein gellender Schrei die Luft und ließ die beiden Brüder augenblicklich ihre Flinten zücken. Alarmiert schauten sie sich um und erblickten bereits im nächsten Moment den Ort des Geschehens. Es war an einem Reihenhaus, keine dreißig Meter entfernt. Zuvor hatte es noch ruhig und friedlich dagelegen, nun aber stürmten Menschen aus der Vordertür nach draußen und stürmten hektisch in alle Richtungen davon. Erwachsene zogen ihre weinenden Kinder hinter sich her, ihre Gesichter vor Panik verzerrt. Blind rannten sie alle über die regennasse Straße und wollten das Haus wohl so weit wie möglich hinter sich lassen. Dean griff einen schlaksigen Kerl am Arm, der gerade an ihnen vorbeistürzen wollte. In seinem Lauf so plötzlich unterbrochen, verlor dieser beinahe das Gleichgewicht, konnte sich aber noch in letzter Sekunde auf den Beinen halten. „Was ist hier los?“, wollte Dean wissen. „Da … da …“, stammelte der Mann aufgeregt. „Ein … ein Bär … oder so etwas. Wir haben nur gegrillt. Im Garten. Zu Alans Geburtstag. Und dann … es kam aus dem Nichts.“ Plötzlich schien er die Waffe in Deans Hand zu bemerken und wollte zu einer Frage ansetzen, doch als ein lautes, nichtmenschliches Brüllen ertönte, das selbst noch aus der Entfernung das Trommelfell vibrieren ließ, riss er sich los und hastete davon. „Tja, Sammy, mit deiner Barbecue-Theorie hast du wohl goldrichtig gelegen“, meinte Dean aus zusammengebissenen Zähnen, während er im Gegensatz zu den verschreckten Partygästen direkt auf das Haus zumarschierte. Sam nickte grimmig und ergriff die Flasche mit Weihwasser, die Dean ihm hinhielt. „Dann lass uns mal auf Monsterjagd gehen“, murmelte er. Und Dean konnte sich trotz der heiklen Situation eines Grinsens nicht erwehren. Kapitel 8: 8. Kapitel --------------------- Es herrschte absolute Stille im Haus. Eine unheimliche Stille. Bedrückend. Drohend. Unheilverkündend. Sam umklammerte instinktiv seine Waffe fester, auch wenn er gar nicht wusste, ob die Steinsalzpatronen überhaupt eine Wirkung auf das Tier haben würden. Alyssa zumindest hatte es in keinster Weise geschadet, sie sogar eher amüsiert. Dennoch bereitete Sam die Nähe seiner Waffe ein beruhigendes Gefühl. Im Notfall konnte er das Gewehr dem Vieh immer noch über den Kopf ziehen oder ihm das Salz in die Augen schießen. Vielleicht nicht tödlich, doch sicherlich durchaus schmerzhaft. Sehr viel wichtiger war sowieso die Flasche mit Weihwasser, die er sich in die breite Jackentasche gestopft hatte. Jederzeit bereit, hervorgezogen zu werden wie ein Colt aus einem alten Westernfilm. Das Buch, das er sich von Spencer geborgt hatte, hatte er vorsichtshalber auf einer Kommode im Flur zurückgelassen. Er legte es zwar ungern aus der Hand, da es möglicherweise die langersehnten Antworten enthielt, doch es war viel zu groß und zu sperrig, um es sich ebenfalls irgendwie in die Jackentasche zu stopfen. Außerdem wollte Sam nicht das Risiko eingehen, dass es beim Kampf unter Umständen beschädigt wurde. Womöglich war es die einzige Möglichkeit, all dem ein Ende zu bereiten. Leise bewegten sich die Brüder durch das Haus, vorbei an der teuer aussehenden Einrichtung, den unzähligen, fast schon unerträglich heiteren und idyllischen Familienfotos und den umgekippten Stühlen und Tischen, die die Partygäste bei ihrer übereilten Flucht einfach umgerissen hatten. Sam warf einen Blick zu seinem älteren Bruder, der nun vollkommen auf Jägermodus geschaltet hatte. Konzentrierter Blick, harte Miene und jeder Muskel im Körper angespannt. Wie ein Soldat im Kriegsgebiet bewegte er sich vorsichtig durch das Wohnzimmer und trat schließlich hinaus auf die Terrasse. Dort wurde noch deutlicher, wie sehr die Menschen von dem plötzlichen Auftauchen des ‚Bären‘ erschreckt worden waren. Gläser waren auf dem Boden zersprungen und hatten ihren Inhalt überall verteilt, der Grill war mitsamt dem gebratenen Fleisch ebenso wie der Buffettisch umgestürzt. Brot, Dips, Salate und vieles andere lagen wild durcheinander auf dem feuchten Rasen. Sam bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Dean einen kurzen, wehleidigen Blick auf das vergeudete Essen warf, ehe er seine Aufmerksamkeit auf das riesige Tier richtete. Dieses hatte gerade seine Schnauze in den hauseigenen Gartenteich gesteckt und trank gierig, wie es nur ein Geschöpf konnte, das seit über fünfzehn Jahren keinerlei Flüssigkeit mehr zu sich genommen hatte. Es registrierte nicht mal die Ankunft der Brüder, dermaßen war es von seinem Durst beherrscht. Die Winchesters wechselten einen kurzen Blick und nickten unisono. Bereit zum Angriff, gaben sie sich lautlos zu verstehen. Sam verschwendete daraufhin keine Sekunde. Sie mussten die Ablenkung nutzen, solange sie die Chance dazu hatten. Das Tier durfte kein zweites Mal entwischen. Er schraubte die Flasche mit Weihwasser auf und spritzte einen Großteil des Inhalts direkt auf das Wesen. Augenblicklich war ein zischendes Geräusch zu hören, gefolgt vom qualvollen Brüllen des Tieres, das erneut ihre Trommelfelle vibrieren ließ. Sam verzog angesichts des Lärms das Gesicht und hoffte bloß, dass ihm nicht der Schädel platzte, während Dean sein Gewehr nach oben riss und zwei Schüsse kurz hintereinander abgab. Auch Sam drückte auf den Abzug und schoss mehrmals. Die darauffolgenden Schmerzensschreie des Ungeheuers waren fast unerträglich. Die erste Kugel von Dean hatte es direkt in der Flanke erwischt, rotes Blut sickerte aus der Wunde hervor. Der zweite Schuss war nur knapp am gigantischen Kopf des Tieres vorbeigerauscht, da es sich noch im letzten Moment geduckt hatte. Ob aus Berechnung oder ob es einfach aufgrund der Schmerzen zusammengezuckt war, vermochte Sam nicht zu sagen. Das Steinsalz wiederum schien keine augenscheinlichen Schäden zu hinterlassen, brannte aber offenbar furchtbar in der offenen Wunde. Das Wesen wand und krümmte sich, während es unentwegt brüllte und winselte. Dean visierte erneut sein Ziel an und wollte ihm den Rest geben, während Sam wieder nach dem Weihwasser griff. Ein ordentlicher Schwall mitten ins Gesicht würde sicher seine Wirkung zeigen. Doch diesmal kam es nicht dazu. Ein zweites Mal wollte sich das Monster nicht überrumpeln lassen. Mit einer Geschwindigkeit, die man seinem massigen Körper niemals im Leben zugetraut hätte, sprintete es los. Direkt auf Sam zu. Dieser schnappte entsetzt nach Luft und war im ersten Moment wie gelähmt. Erst als er Deans warnendes Brüllen und die darauffolgenden Gewehrschüsse hörte, vermochte er sich zusammenzureißen. Er schüttete dem Tier den Rest des Weihwassers entgegen und sprang hastig zur Seite. Das Wesen brüllte auf, hielt jedoch in seiner Bewegung nicht inne. Stattdessen wirbelte er einmal um die eigene Achse und benutzte dabei seinen harten Schwanz wie eine Waffe. Und traf damit Dean direkt in die Brust. Er keuchte auf, als alle Luft aus seinen Lungen entwich und er nach hinten gerissen wurde. Sein Kopf donnerte lautstark gegen eine massive Steinwand. Bereits im nächsten Moment sackte er bewusstlos zu Boden, während seine Waffe langsam aus seinen Händen glitt. „Dean!“, rief Sam erschrocken. Er wollte losstürmen und seinem Bruder zu Hilfe eilen, doch er kam nicht mehr dazu. Dermaßen schnell, dass kein menschliches Auge es jemals rechtzeitig gemerkt hätte, hatte das Geschöpf ihn als nächstes Opfer erwählt. Sam spürte bloß, wie er den Boden unter den Füßen verlor und mit seinem Hinterkopf gegen ein Hindernis stieß, ehe ihn völlige Dunkelheit umfing. * * * * * * Das erste, was Sam bemerkte, als er langsam wieder zu Bewusstsein kam, waren die höllischen Kopfschmerzen. Er war zwar schon öfters von Dämonen, Geistern und anderen übernatürlichen Geschöpfen unsanft durch die Gegend geschubst worden – zuletzt von Alyssa höchstpersönlich –, aber noch nie hatte er das Gefühl gehabt, dass sein Schädel entzwei gebrochen wäre. Mehrere Minuten blieb er reglos liegen, aus Angst, er könnte sofort wieder ohnmächtig werden, wenn er sich nur einen Millimeter bewegte. Auch wusste er im ersten Moment überhaupt nicht, was passiert war. Er erinnerte sich noch daran, wie er bei Spencer gewesen war und dieser ihnen die Geschichte über die Beschwörung der Zwillinge und des riesigen Ungetüms erzählt hatte. Und dann war das Tier irgendwie entkommen … Und dann … Sam riss entsetzt die Augen auf, als ihm die gesamte Situation wieder bewusst wurde. In einem Schwung richtete er seinen Oberkörper auf, was ihn sein geschundener Leib mit schwerem Schwindel und Übelkeit dankte. Für einen Augenblick schien alles zu tanzen und sich die ganze Umgebung seltsam zu verzerren. „Dean?“, fragte er leidlich, während er sich an den Kopf fasste und sich selbst dazu zwang, nicht wieder umzukippen. „Dean, alles okay?“ Sein Blick wanderte nach rechts. Dort, wo sein Bruder unangenehm gegen die Mauer geprallt und zu Boden gesackt war. Doch Dean war nicht da. Sams Herz zog sich krampfhaft zusammen. Einen Moment lang versuchte er sich selbst davon zu überzeugen, dass Dean gleich nach dem Angriff wieder zu Bewusstsein gekommen und sofort dazu übergegangen war, die Verfolgung des flüchtigen Tieres aufzunehmen. Dass es ihm bestens ging und bloß sein Jägerinstinkt mit ihm durchgegangen war, sodass er seinen Bruder zurückgelassen hatte. Aber Sam war absolut klar, dass es niemals auf diese Weise geschehen war. Mochte Dean noch so sehr in seinem Element sein, seinen kleinen Bruder hätte er nie im Stich gelassen. Besonders dann nicht, wenn er wusste, dass ein bösartiges Dämonenkind sein Unwesen trieb. Mühevoll rappelte Sam sich auf und ließ seinen Blick schweifen. Schnell entdeckte er verdächtige Spuren im feuchten Gras, die darauf hindeuteten, dass ein Gegenstand oder ein Körper fortgeschleift worden war. Sam schluckte. Hatte das Vieh Dean möglicherweise entführt? Aber wieso? Bevor er sich jedoch auf die Jagd machte, ging er nochmal ins Haus zurück und überprüfte, ob Dean sich nicht vielleicht dort aufhielt. Unter Umständen war er bloß auf der Suche nach einem Verbandskasten oder einem kühlen Bier. Sam rief mehrmals seinen Namen, doch es kam keine Antwort. Stattdessen polterten plötzlich von einem Moment auf den anderen an den Fenstern alle Jalousinen nach unten und tauchten das Haus in Dunkelheit. „Das ist vollkommen zwecklos“, vernahm Sam Alyssas kalte Stimme keine Sekunde später. Er wirbelte herum und entdeckte die vertraute Gestalt im Wohnzimmer, wie sie gerade noch zusätzlich die schweren Vorhänge zuzog, um kein bisschen Licht hereinzulassen. „Wo ist Dean?“, zischte Sam. Er wusste, dass das Gewehr mit Steinsalz in seiner Hand keinerlei Effekt auf Alyssa hatte, dennoch richtete er dessen Mündung auf das kleine Mädchen, das ihm gehässig entgegen grinste. „Wo er ist?“, fragte sie übertrieben theatralisch nach. „Hm, keine Ahnung. Vielleicht in der Hölle?“ Sam knirschte mit den Zähnen und war kurz davor, den Abzug zu drücken, als plötzlich ein merkwürdiges Licht in den Raum fiel. Amy trat zusammen mit ihrem leuchtenden Ball ins Wohnzimmer und blieb so weit entfernt von ihrer Schwester entfernt stehen, dass der Lichtkegel sie nicht erreichen konnte. „Sei nicht so gemein zu ihm“, meinte sie vorwurfsvoll an Alyssa gerichtet. „Er macht sich Sorgen um seinen Bruder. Was würdest du denn machen, wenn ich plötzlich verschwinden würde?“ Alyssa verzog das Gesicht. Sie hätte wahrscheinlich niemals im Leben ausgerechnet vor einem Menschen auch nur ansatzweise zugegeben, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um ihre Schwester zu finden, aber so war es nun einmal. Alyssa war vielleicht ein Miststück alleroberster Güte, das sich in keinster Weise um das Wohl anderer scherte, doch für Amy hätte sie einfach alles getan. Sam konnte es deutlich in ihren Augen sehen. Ihr Blick ähnelte dem von Dean, wenn er den großen Bruder markierte und keinen Zweifel daran ließ, dass er für Sam sogar sein Leben geben würde. „Du bist gar nicht so hart, wie du tust, nicht wahr?“ Sam gestattete sich ein überhebliches Grinsen, wie es sonst eher Dean vorbehalten gewesen wäre. „Im Grunde bist du bloß ein kleines, ängstliches Mädchen, das man aus seinem Zuhause gerissen hat und nun nicht mehr weiß, wie es zurückkommt. Alles, was du tun kannst, ist, dich an irgendwelche Strohhalme zu klammern und sei es auch nur, um deine Schwester zu beruhigen.“ Kaum hatte er es jedoch ausgesprochen, bereute er es bereits, überhaupt seine Klappe aufgerissen zu haben. Alyssa zu provozieren war nicht unbedingt gesundheitsfördernd, wie sie ja bereits feststellen durften. Doch anstatt eines Tobsuchtsanfalls bekam Sam bloß ein unheimliches Lächeln geschenkt. Ein extrem unheimliches Lächeln. „Wenn ich ehrlich bin, hast du gar nicht so Unrecht“, gestand Alyssa sogar ein. „Ich wurde in der Tat meinem Zuhause entrissen und weiß nicht genau, wie ich jemals wieder zurückkehren kann. Aber immer noch besser, als niemals ein Zuhause besessen zu haben, nicht wahr? Bloß von einem Motel zum anderen zu wandern und dabei zuzusehen, wie man selbst und die gesamte Familie nach und nach von innen aufgefressen wird. Nur für seine dumme, kindische Rache zu leben und innerlich tot und leer zu sein.“ Sie legte ihren Kopf schief. „Sag mal, Sam, bist du eigentlich jemals glücklich gewesen? So richtig, uneingeschränkt und rundum glücklich?“ Sam knirschte mit den Zähnen. Diese kleine Dämonin war verdammt gut, das musste man ihr wirklich lassen. Es war eine ausgesprochen effektive Taktik, die Gedanken und Gefühle seines Gegners zu lesen und ihn auf diese Art zu zermürben. Aber Sam zwang sich, nicht weiter darauf einzugehen. Er überhörte die Frage einfach, so gut es ging. Unter anderem auch deshalb, weil er nicht genauer darüber nachdenken wollte. Er wusste, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. „Also nochmal: Wo ist Dean?“, verlangte er zu erfahren. „Und ich sag’s dir auch nochmal: Keine Ahnung!“, wiederholte sie mit Nachdruck, als hätte sie es mit einem Zurückgebliebenen zu tun. „Cytho hat ihn wahrscheinlich mitgenommen. Zum Spielen, wenn du verstehst, was ich meine.“ Sam wollte vehement den Kopf schütteln – eher um zu symbolisieren, dass er das Ganze einfach nicht fassen konnte, als um zu unterstreichen, dass er sie wirklich nicht verstand –, doch angesichts der heftigen Schmerzen, die ihn immer noch quälten und dem Gefühl nach auch niemals wieder im Leben verschwinden würden, ließ er davon ab. Stattdessen biss er sich auf die Unterlippe und fragte widerwillig: „Ist er tot?“ Alyssa zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich habe leider kein Telegramm bekommen, das mich darüber aufklärt. Aber wenn du willst, kann ich diese Frage gerne in meinen Blog im Internet stellen. Möglicherweise meldet sich ja jemand.“ Sam runzelte die Stirn. Für Sarkasmus hatte er im Moment absolut keinen Nerv. „Cytho?“, hakte er stattdessen nach. „Dieses … dieses Ding heißt tatsächlich so?“ „Eigentlich heißt er Cythelkhargurmanos“, erklärte ihn Alyssa amüsiert. „Du kannst ihn gerne so nennen, wenn du Spaß dran hast.“ Sam knurrte übellaunig und wollte zu einer passenden Antwort ansetzen, als er schließlich bemerkte, dass Amy unbemerkt zu ihm getreten war. Mit ihren großen Puppenaugen schaute zu ihm hoch und schenkte ihm ein Lächeln, das alles andere als dämonisch wirkte. „Soll ich dir helfen, deinen Bruder zu suchen?“, bot sie großzügig an. „Du willst mir wirklich helfen?“ Sie lachte belustigt auf. „Na ja, zuallererst will ich natürlich Cytho finden. Aber Dean ist bestimmt nicht weit entfernt, nicht wahr?“ „Ähm … bestimmt“, meinte Sam. Immer noch fühlte er sich in ihrer Nähe unbehaglich und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Sie war zwar ein übernatürliches Wesen, aber abgesehen von ihrer Abstammung schien sie nichts das Geringste mit einem Dämon gemein zu haben. Ein Umstand, der über alle Maßen verwirrend war. „Wunderbar!“, sagte Alyssa, offenbar ehrlich erfreut. „Und während ihr durch die Gegend streift, werde ich den Fluch auflösen.“ Und mit diesen Worten hielt sie Spencers Buch in die Höhe. Sam zuckte bei diesem Anblick zusammen. Er wollte augenblicklich auf sie zustürmen und ihr das Buch entreißen, doch sie hob warnend ihre Hand und gab ihm damit zu verstehen, dass sie ihre Kräfte einsetzen würde, würde er ihr zu nahe kommen. „Mir war ja durchaus bewusst, dass wir das Blut desjenigen, der den Fluch ausgesprochen hat – also Spencers Blut – brauchen, um den Fluch von Licht und Schatten zu lösen“, meinte sie spöttisch. „Aber der Mistkerl hat sich ja all die Jahre in seinem Haus verschanzt. Und nun rate, was mir dieses nette Büchlein verraten hat?“ Sie grinste breit. „Um die Barriere zu zerstören oder zumindest zu schwächen, reicht ein einfaches Blutopfer. Ist das nicht toll?“ Sams Körper verspannte sich bei diesen Worten. Das klang ganz und gar nicht gut. Er hätte dieses Buch niemals mitnehmen sollen. „Also werde ich mir jetzt ein nettes, kleines Opfer suchen“, erklärte Alyssa feierlich. „Und euch beiden wünsche ich viel Spaß!“ Dann jedoch verdüsterte sich ihre Miene – soweit man das zumindest in der Dunkelheit zu erkennen vermochte –, als sie kalt hinzufügte: „Und sollte Amy oder Cytho irgendetwas zustoßen, werde ich dich und deinen lästigen Bruder in die tiefsten Tiefen der Hölle verbannen, wo niemand eure Schreie hört. Wo man euch bei lebendigem Leib die Haut abschält und jeden einzelnen Knochen in eurem Körper bricht. Ihr werdet leiden, ihr werdet weinen und ihr werdet euch wünschen, damals auf mich gehört zu haben. Ist das klar?“ Sam nickte knapp. „Vielen Dank für diese sehr anschauliche Drohung.“ Und wahrscheinlich war sie nicht mal übertrieben. Alyssa hatte in den vergangenen Tagen vermehrt Fähigkeiten gezeigt, die Sam noch nie in diesem Ausmaß gesehen hatte. Vermutlich war sie wirklich dazu in der Lage, sie bis in alle Ewigkeiten zu quälen. „Und vergiss bloß nicht, deinen schießwütigen Bruder davon in Kenntnis zu setzen“, zischte Alyssa. „Sollte er Cytho töten und Amy ins nächste Kinderheim stecken, werde ich wirklich wirklich wütend!“ Mit einem teuflischen Lächeln fügte sie hinzu: „Falls Dean überhaupt noch lebt, versteht sich.“ Und bereits im nächsten Moment war sie verschwunden. Von der Dunkelheit verschluckt. Sam seufzte auf und fuhr sich durchs Haar, hielt jedoch inne, als er etwas Feuchtes an seinem Hinterkopf spürte. Ein Blick auf seine roten Finger verriet ihm, dass er aus einer Platzwunde blutete. Offenbar sogar ziemlich stark, wie er bemerkte, als er weiter bis in den Nacken tastete, der ebenfalls bereits blutverschmiert war. „Du bist wohl hingefallen, was?“, erkundigte sich Amy besorgt. Sam lächelte knapp. „So kann man es irgendwie ausdrücken.“ „Soll ich es heile machen?“, hakte sie nach. Sam, der gerade die Stelle angestarrt hatte, wo Alyssa samt Spencers Buch verschwunden war, blickte verwirrt hinunter auf das kleine Mädchen. „Bitte was?“ „Ich kann es heile machen“, bot sie freundlich an. „Du musst nur was runterkommen. Du bist zu groß.“ Sam musterte sie skeptisch. Einerseits war es schwer, diesem süßen Kind mit seinen großen Augen etwas abzuschlagen, aber andererseits war ihm nur allzu deutlich gewahr, dass es sich bei ihr um keinen Menschen handelte, sondern um ein Wesen, dem man normalerweise nicht unbedingt sein Vertrauen schenken sollte. „Ich an deiner Stelle würde es tun“, meinte Amy, keine Spur beleidigt, dass Sam bei ihrem Angebot zögerte. „In deinem Kopf herrscht ein ziemliches Durcheinander. Spätestens in ein paar Minuten bist du wieder ohnmächtig, garantiert.“ Sam hätte liebend gern ihre Worte als Lüge abgestempelt, aber er konnte es einfach nicht. Ihm war immer noch schwindelig und speiübel, sein Kopf schmerzte wie die Hölle und die Umgebung begann bereits wieder zu verschwimmen. Er würde wohl wirklich nicht mehr allzu lange durchhalten. Zumindest konnte er in dieser Verfassung keinesfalls nach Dean und einem gigantischen Monsterhund suchen. Ohne es richtig zu realisieren, ging er schließlich in die Hocke. Amy gab ein glucksendes Geräusch von sich, ehe sie sanft ihre kleine Hand auf Sams Schläfe legte. Zunächst geschah nicht das Geringste, aber schon einen Augenblick später bemerkte Sam die Veränderung. Sein Blick wurde wieder schärfer und die Schmerzen nahmen kontinuierlich ab, bis sie letztlich nur noch eine schreckliche Erinnerung waren. Erleichtert stöhnte er auf, ehe er Amy zulächelte und leise sagte: „Danke.“ „Kein Problem“, meinte diese vergnügt. „Und, gehen wir jetzt die beiden Ausreißer suchen?“ Sam wollte zunächst nicken, entsann sich dann aber wieder an Alyssas Worte. Sie hatte von einem Blutopfer gesprochen. Von einer Möglichkeit, Spencers Schutzkreis zu brechen und ihn für alles büßen zu lassen. Was sollte er tun? Alyssa hinterher und sie – zumindest im bestmöglichen Fall – von einer furchtbaren Tat abhalten, dafür aber Dean im Stich lassen? Zugegeben, er war ein ausgebildeter Jäger und verstand es bestens, sich zu verteidigen, aber wenn er ebenso angeschlagen war wie Sam noch vor wenigen Augenblicken, standen seine Chancen nicht besonders gut. Außerdem gefiel Sam der Gedanke ganz und gar nicht, seinen Bruder mit einer riesigen Bestie allein zu lassen. Doch wenn er sich auf die Suche nach Dean begab, würde Alyssa in der Zwischenzeit unter Umständen Menschen töten. „Keine Sorge“, sagte Amy zuversichtlich. „Es ist noch Tag.“ „Was?“, fragte Sam irritiert nach. Amy schob eine Jalousine nach oben und deutete demonstrativ nach draußen. „Es sind zwar Wolken da und es ist ziemlich grau, aber es ist immer noch Tag. Irgendwie ist ein ganz komisches Licht. Weder hell noch dunkel.“ Verträumt schaute sie in den Garten. „Alyssa wird nichts unternehmen, bis nicht die Nacht da ist. Das wäre ansonsten viel zu gefährlich.“ Sam wusste darauf nichts zu erwidern. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Die Bewölkung hielt sich sehr in Grenzen und hätte sich jederzeit wieder auflösen können. Und Alyssa durfte es auf keinen Fall riskieren, auch nur von einem einzigen Sonnenstrahl getroffen werden. Sam kannte sich zwar mit dem Fluch von Licht und Schatten kein bisschen aus, aber die Angst der Zwillinge machte mehr als deutlich, was geschehen würde, wenn eine von beiden unvorsichtig war. Somit nickte er zustimmend. Er musste das Risiko eingehen, wenn er seinen Bruder einigermaßen unbeschadet finden wollte. Kapitel 9: 9. Kapitel --------------------- Als Dean erwachte, lag er mit seinem Gesicht in feuchter Erde. Zunächst wusste er die Situation überhaupt nicht einzuordnen und rechnete halb damit, dass er noch träumte, aber dann stürzten die Erinnerungen mit erbarmungsloser Brutalität auf ihn ein. Er spürte den Schmerz in seinem Rücken und am Hinterkopf und entsann sich wieder, wie er von dem Ungetüm gnadenlos gegen eine Steinmauer geschleudert worden war. Auch mehrere Rippen waren offenbar nicht verschont geblieben, als das Tier ihn mit seinem Schwanz am Brustkorb erwischt hatte. Ächzend und stöhnend, als wäre er ein achtzigjähriger Großvater, hievte Dean sich langsam hoch. Wie er feststellte, hatte er mit dem Gesicht in einem Blumenbeet gelegen. Fluchend rieb er sich die nasse Erde von den Wangen, bevor er sich mit viel Mühe und Not schließlich wieder auf die Beine stellte. Allem Anschein nach befand er sich im weitläufigen Garten eines Wohnhauses, jedoch nicht im selben, in dem Sam und er die Bestie gestellt hatten. Anscheinend hatte irgendwer – oder auch irgendwas – ihn hierher verschleppt. Dean hoffte sehr, dass es bloß Sam gewesen war, der seinen älteren Bruder schnellstmöglich in Sicherheit hatte bringen wollen, aber schnell verwarf er den Gedanken wieder. Wieso hätte Sam ihn hier draußen im Blumenbeet ablegen sollen? „Sammy?“, rief Dean, mehr um sich besser zu fühlen, als zu glauben, dass er wirklich eine Antwort erhalten würde. Und tatsächlich gab es keinerlei Reaktion. Abgesehen von dem tiefen Knurren hinter seinem Rücken. Dean spürte, wie sein Herzschlag einen Moment aussetzte. Er hatte normalerweise nichts dagegen, sich mit übernatürlichen Wesen auseinanderzusetzen. Oft genug, wenn er einen schlechten Tag oder zu viel Adrenalin im Blut hatte, begrüßte er es sogar regelrecht. Aber nun in dieser Lage – unbewaffnet, verletzt und deutlich im Nachteil – hätte er durchaus darauf verzichten können. Wie in Zeitlumpe drehte er sich um, während er gleichzeitig seine eigene Nachlässigkeit verfluchte. Eigentlich hatte er noch ein Messer einstecken wollen, es dann aber schließlich nicht für nötig befunden. Im Grunde würde es an der momentanen Situation zwar trotzdem nichts ändern können, aber dennoch hätte Dean sich mit einer Waffe tausendmal besser gefühlt. Selbst ein kleines Küchenmesser wäre ihm recht gewesen. Wie erwartet sah sich Dean schließlich dem Ungetüm aus Spencers Keller gegenüber. Groß, bedrohlich und ganz eindeutig angepisst. Es stand bloß zehn Schritte entfernt und fixierte Dean dermaßen intensiv, dass er das Gefühl bekam, das Tier würde ihn bis aus die Knochen und Eingeweide röntgen. Die Zähne gefletscht, die Ohren angelegt und die Augen hasserfüllt funkelnd. „Du bist wohl nicht so gut auf mich zu sprechen, was?“ Dean lächelte gequält, während er abwehrend die Hände erhob. „Aber du solltest das alles echt nicht persönlich nehmen.“ Sein Blick huschte zu der Wunde der Kreatur. Dean hatte sie direkt an der Flanke getroffen, die nun völlig blutverschmiert war. Und das Monster war offenbar wenig angetan. Es knurrte bedrohlich, während er einen Schritt näherkam. Dean unterdrückte derweil den Instinkt, automatisch zurückzuweichen. Ein offensichtlicher Rückzug hätte das Tier wahrscheinlich nur provoziert. „Hör zu, wir können doch über alles reden“, meinte Dean beschwichtigend. „Ich meine, du und ich – wir sind gar nicht so verschieden. Wir beide … äh, wir beide lieben frische Luft. Das muss doch was heißen, oder?“ Die Kreatur bellte einmal laut auf, als wollte sie Dean zum Schweigen bringen. „Okay, okay, ich seh‘ schon, du kannst mich nicht ausstehen“, sagte er. „Durchaus nachvollziehbar. Ich würde auch niemanden mögen, der mir in den Arsch schießt. Aber mal ehrlich … willst du mich wirklich fressen?“ Dean schüttelte den Kopf. „Ich bin ungenießbar, glaub es mir ruhig. Ich schaufel haufenweise ungesundes Zeug in mich rein, meine Arterien sind völlig verstopft. Du wirst nur furchtbare Magenbeschwerden bekommen, wenn du mich –“ Er stoppte abrupt, als das Ungetüm erneut sein Missfallen kundtat. Eine Minute musterte das Tier Dean noch intensiv, dann aber drehte es den Kopf zurück und machte einige ruckartige Bewegungen. Der Winchester runzelte daraufhin die Stirn. Litt das Vieh nun an spastischen Zuckungen? Das Wesen war wenig amüsiert, dass Dean ihn nicht verstand. Es knurrte tief, ehe es vom Boden vor seinen Pfoten etwas aufhob, das wie ein weißes Handtuch aussah, und erneut seinen Kopf nach hinten verdrehte. „Willst du etwa Scharade spielen? Hör zu, solche dummen Spielchen hab ich noch nie –“ Er unterbrach sich selbst, als das Tier wütend mit seinen Zähnen knirschte. Es rückte noch ein Stück näher an den Winchester heran, hielt ihm demonstrativ das Handtuch entgegen, das es davor wahrscheinlich von irgendeiner Wäscheleine gestohlen hatte, und verdrehte anschließend seinen Kopf wieder nach hinten. Dean musterte das Wesen skeptisch. Und verstand mit einem Mal, was es ihm sagen wollte. „Ich soll … deine Wunde versorgen?“, hakte er erstaunt nach. Das Tier bewegte daraufhin seinen riesigen Schädel auf und ab, was erschreckend nach einem Nicken aussah. Dean konnte hingegen nur gequält auflachen. „Ist das echt dein Ernst? Gott, ich habe dich doch angeschossen! Denkst du wirklich, ich mache jetzt einfach meine wunderschöne Arbeit kaputt?“ Das Wesen knurrte tief und machte damit deutlich, dass es kein Nein akzeptieren würde. „Na fein“, ergab sich Dean schließlich seinem Schicksal. Vorsichtig nahm er das Handtuch entgegen und näherte sich der Kreatur. Diese rührte sich keinen Millimeter, hielt Dean aber die ganze Zeit über argwöhnisch im Auge. Jede falsche Bewegung wäre ihr sofort aufgefallen und wahrscheinlich wenig positiv aufgenommen worden. Dean jedoch hatte nur bedingt Lust, Arzt zu spielen. Mit einem breiten Unschuldslächeln drückte er das Handtuch auf die blutige Wunde. Und zwar mit aller Gewalt. Das Tier brüllte vor Schmerzen gepeinigt auf und knickte mit seinen Hinterbeinen ein. Dean verschwendete derweil keine Sekunde. Er wirbelte herum und stürmte davon, so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Sein geschundener Körper protestierte zwar vehement, doch er ließ sich davon nicht beirren. Er musste einfach nur entkommen. Vielleicht auch irgendwo eine Waffe finden, um sich verteidigen zu können. Aber in erster Linie ging es ihm nur darum, einfach wegzukommen. Doch er hatte die Rechnung ohne das Ungetüm gemacht. Es bewegte sich schneller, als man es bei seiner Größe und Masse vermutet hätte. Dean hatte noch nicht mal den Gartenzaun erreicht, als es sich ihm schon in den Weg stellte. Schnaubend baute es sich vor dem Winchester auf und schien kurz davor zu stehen, ihm den Kopf abzubeißen. Dean schluckte. Vielleicht hätte er doch den netten Onkel Doktor spielen sollen. „Braves Hündchen“, meinte er beruhigend. „Hör zu, tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht … Ich bin einfach etwas ungeschickt in solchen Dingen. Frag meinen Bruder, der wird es dir bestätigen.“ Die Kreatur jedoch machte nicht den Anschein, als hätte sie großartig Lust loszuziehen, um Sam wegen Deans Sensibilitätsdefizit auszufragen. Stattdessen grub sie ihre scharfen Krallen tief in den Boden und überlegte vermutlich gerade, welchen Körperteil von Dean sie zuerst verspeisen sollte. „Wir können’s ja nochmal versuchen, okay?“, meinte dieser, während er ostentativ auf das im Gras liegende Handtuch deutete. „Diesmal bin ich auch ganz vorsichtig. Versprochen!“ Das Tier schnaubte. Es schien ihm kein Wort zu glauben. Und Dean wusste in diesem Augenblick, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. * * * * * Sam hätte nie im Leben gedacht, dass er sich einmal mit einem Dämon auf Rettungsmission begeben würde. Wie sehr man sich doch irren konnte. Allerdings war Amy auch alles andere als ein normaler Dämon. Sie hüpfte vergnügt ihres Weges und winkte allen Menschen zu, denen sie auf der Straße begegneten. Unbesonnen und naiv. Sam selbst konnte nur unsicher lächeln, während ihm eigentlich nicht ganz klar war, was er hier tat. Dean zumindest hätte ihm sicherlich ordentlich den Marsch geblasen, wenn er seinen Bruder zusammen mit einem Dämon erwischt hätte. Sam hatte aber letztlich keine andere Wahl gehabt. Er hatte keine Ahnung, wohin dieses Wesen namens Cytho Dean verschleppt hatte. Amy hingegen schien den Weg bestens zu kennen. Unbeirrt ging sie voran und zögerte keinen Moment. Sam blieb nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, während er mit wachsender Besorgnis die untergehende Sonne beobachtete. Noch gut eine halbe Stunde, dann würde die Dunkelheit der Nacht über das Land hereinbrechen. Und Alyssa würde sich ungehindert ihr Blutopfer beschaffen können. „Du bist so still, Sam“, bemerkte Amy neugierig. Der Ball in ihrer Hand begann bereits zu leuchten. Das Zwielicht der Abenddämmerung war offenbar für den Fluch von Licht und Schatten nicht ausreichend. „Ich bin nur … besorgt“, meinte Sam. „Wegen deinem Bruder?“ Sam nickte. „Ich bin auch wegen Cytho besorgt“, setzte Amy ihn in Kenntnis. „Ich hoffe, Dean tut ihm nicht weh.“ Sam hätte am liebsten laut aufgelacht. Es war wohl kaum die mörderische Bestie, um die sie sich Sorgen machen mussten. Aber er hielt sich wohlweislich zurück. Er durfte Amy auf keinen Fall verprellen. „Aber bald wird alles wieder gut“, sagte das Mädchen lächelnd. „Der Fluch wird aufgehoben und wir dürfen endlich wieder nach Hause.“ „In die Hölle?“, fragte Sam nach. Er selbst hatte keine Ahnung, was Dämonen als ‚ihr Zuhause‘ bezeichneten. Amy kicherte jedoch. „Oh nein, nicht die Hölle. Alyssa und ich sind doch nicht solche Dämonen.“ Sam wusste nicht, worauf sie damit anspielte. Verwirrt musterte er sie, während sie gekonnt ihren Ball von eine Hand in die andere warf. „Unsere Welt ist nicht so … so ungemütlich wie die Hölle“, erklärte Amy. „Unser Zuhause liegt woanders. Und eigentlich haben unsere Welten auch nie Kontakt miteinander. Hätte Spencer uns nicht gerufen, wären wir wahrscheinlich niemals hier gelandet.“ Sam runzelte die Stirn. „Heißt das … es gibt noch mehr Welten da draußen?“ Amy schien seine Unwissenheit sehr zu amüsieren. „Haufenweise. Unzählige. Alyssa hat es mal Dimensionen genannt, soweit ich mich erinnere. Auch wenn ich nicht genau weiß, was das bedeutet.“ Sam schluckte unweigerlich. Der Gedanke, dass noch zahllose andere Welten existieren sollten, in denen sich Dämonen aller Art tummelten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Auch wenn es nach Amys Aussage so klang, als hätten sie normalerweise keinerlei Verbindung miteinander. „Eure Dämonen sind sowieso eigenartig“, fuhr die Kleine ungerührt fort. „Viele von denen besetzen die Körper von anderen. Das ist doch irgendwie seltsam, oder?“ Sam musste sich eingestehen, dass ‚seltsam‘ nicht unbedingt das erste Wort war, das ihm bei einer Dämonenbesessenheit einfiel. „Ihr macht das nicht?“, hakte er nach. „Oh nein“, entgegnete Amy vehement. Allein bei der Vorstellung erschauerte sie. „Wir haben unsere eigenen Körper und sind auch mehr als zufrieden damit. Ich hätte so oder so keine Lust, mich in eine glibbrige menschliche Hülle zu quetschen. Bäh!“ Sam musste angesichts ihrer Reaktion unwillkürlich seine Mundwinkel nach oben verziehen. „Also ist das dein Körper?“, erkundigte er sich, während er ihre kleine Gestalt musterte, die so extrem menschlich wirkte. Amy grinste derweil schief. „Das ist das, was du siehst. Was du sehen willst. Aber vielleicht sehe ich in Wirklichkeit ganz anders aus.“ Sie gluckste belustigt. „Vielleicht aber auch nicht.“ Sam wollte lieber gar nicht so genau darüber nachdenken. Stattdessen meinte er: „Du bist schon irgendwie ein bisschen merkwürdig.“ Amy sah dies offenbar nicht als Beleidigung. „Keine Wunder, dass du das denkst. Eure Dämonen hier sind ja alle so … verbittert und unfreundlich.“ Seufzend schüttelte sie ihren Kopf. „Wirklich ein unhöfliches Pack! Da würde ich auch Dämonenjäger werden.“ Das war das erste Mal, dass Sam diesen Satz von einem Dämon hörte. Und wahrscheinlich würde es auch gleichzeitig das letzte Mal sein. Bevor er jedoch dazu kam, Amy noch weiter auszufragen, quietschte sie plötzlich auf. „Wir sind da!“, rief sie begeistert und stürmte sofort auf ein großes, viktorianisch anmutendes Haus zu. Sam folgte ihr durch den Vorgarten, an der Garage vorbei nach hinten in den Garten. Dieser war dermaßen gigantisch, dass es einen beinahe erschlagen konnte. Weitläufig, sodass man sich durchaus darin hätte verlaufen können, und einfach nur wunderschön. Sam blieb jedoch wenig Zeit, diesen Anblick gebührend zu genießen, denn seine Aufmerksamkeit wurde von zwei Gestalten erregt. Er entdeckte Dean, der sich gegen den Gartenzaun drückte, während ihm das Ungetüm immer weiter auf die Pelle rückte. „Dean!“ Sam zögerte keine Sekunde. Augenblicklich riss er sein Gewehr nach oben und wollte abdrücken, hielt aber inne, als ihm Amy mit ihrer kleinen Faust gegen das Bein boxte. „Tu das bloß nicht!“, meinte sie mit aufgerissenen Augen. „Du darfst Cytho nicht wehtun! Alyssa wird furchtbar wütend werden.“ Sie setzte eine kindliche Trauermiene auf, als sie hinzufügte: „Und ich würde weinen.“ „Aber Dean …“ Das Problem löste sich jedoch von allein. Cytho bemerkte die Ankunft der zwei Neuankömmlinge und wandte sich von Dean ab. Mit wedelndem Schwanz und leicht humpelnd kam er auf sie zu. Amy empfing das riesige Monster mit weit ausgebreiteten Armen und drückte sich lachend an dessen Bein. Sam beobachtete diese Szene einen Moment beunruhigt und war unschlüssig, was er als nächstes tun sollte. Schließlich aber entschied er sich dafür, sich zuerst nach Deans Gesundheitszustand zu erkundigen. „Geht’s dir gut?“, fragte er, als er zu seinem Bruder trat. Aus den Augenwinkeln behielt er das kleine Mädchen und den großen Hund weiterhin im Blick. „Ob‘s mir gut geht?“ Dean knirschte mit den Zähnen, während er die Waffe ergriff, die Sam ihm reichte. „Ich bin gerade von nem Koloss entführt und wenig heldenhaft in einem Blumenbett abgelegt worden. Mein ganzer Körper schmerzt, ich bin durchnässt und überaus gereizt!“ Wenig vorsichtig rückte er seine Jacke zurecht. „Ich will jetzt irgendwas umlegen! Am liebsten natürlich dieses fiese Miststück Alyssa, aber dieses übergroße Hündchen würde es zur Not –“ Er runzelte die Stirn, schaute an Sam vorbei und fragte verwirrt: „Wo sind sie hin?“ Sam drehte sich um und bemerkte erschrocken, dass Amy und Cytho verschwunden waren. Als wären sie niemals anwesend gewesen. Hektisch ließ er seinen Blick schweifen, um irgendeinen Anhaltspunkt zu entdecken, doch nichts fiel ihm ins Auge. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Leise und unbemerkt. „Wie kann denn so ein LKW von einem Ungeheuer einfach so verschwinden?“ Dean schüttelte verständnislos den Kopf. „Und das binnen eines Wimpernschlags?“ Sam konnte nur mit den Schultern zucken. „Sie kommen aus einer anderen Dimension“, sagte er, als würde das irgendetwas erklären. Dean musterte ihn daraufhin irritiert. „Was?“ Sam aber winkte ab. „Egal. Es gibt im Moment Wichtigeres.“ Er blickte zur roten Sonne, die fast vollkommen hinter dem Horizont verschwunden war. „Wir müssen Alyssa aufhalten.“ * * * * * „Deine Stromrechnung wird astronomisch werden.“ Danny musterte seine Schwester mit einem schiefen Grinsen, bevor er wieder dazu überging, das Gemüse für das Abendessen zu schneiden. Michelle jedoch schnaubte nur abfällig. „Machst du dich jetzt etwa allen Ernstes über mich lustig? Seit deinem fünften Lebensjahr kannst du nicht ohne ein Nachtlicht einschlafen. Da hätte ich wirklich auf ein bisschen mehr Verständnis gehofft.“ „Okay, okay“, meinte Danny nickend. „Ich kann’s ja nachempfinden. Ehrlich.“ Michelle lächelte schwach. Jeder andere hätte sie für verrückt erklärt, als sie nach Sonnenuntergang jedes einzelne Licht in ihrer Wohnung angeschaltet hatte. Selbst die kleine Lampe im Flurschrank hatte sie nicht vergessen. Darüber hinaus hatte sie auch noch in jeden Raum Kerzen und Taschenlampen parat gelegt. So fühlte sie sich einfach sicherer. Auch wenn dies wahrscheinlich alles nur Illusion war. „Du musst dich einfach beruhigen“, sagte Danny und reichte ihr ein Stück Möhre. „Ich weiß, das Ganze war ziemlich traumatisch, aber das Mädchen wird sicherlich nicht wiederkommen. Diese … Kerle wollten sich doch um sie kümmern.“ Michelle wusste, dass er sie nur trösten wollte. In Wahrheit traute er den beiden Männern, die vor wenigen Tagen bei ihnen gewesen waren, nicht zu, diesem übersinnlichen Phänomen Herr werden zu können. „So oder so, es wird alles wieder gut“, meinte Danny optimistisch. „Niemand wird dich mehr belästigen. Das lasse ich nicht zu.“ Und im nächsten Augenblick explodierte jede einzelne Glühbirne. Michelle spürte, wie ihr Herz für einen Schlag aussetzte, während die Wohnung ohne jede Vorwarnung in Dunkelheit getaucht wurde. Danny fiel vor Schock das Messer aus der Hand, welches klirrend auf dem Küchenboden aufkam. Begleitet von Kinderlachen. Michelle jagte ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sie sich langsam umdrehte. Auch Danny war zu einer Eissäule erstarrt. Alte Erinnerungen und Ängste bestürmten ihn wahrscheinlich in diesem Moment. „Es ist wirklich ärgerlich, wenn nicht alles so verläuft, wie man sich das denkt, nicht wahr?“ Die Stimme des Mädchens war gehässig. Sie stand im Türrahmen, mit flatternden Kleid und Haaren, und fixierte sie aus ihren leuchtenden Augen. „Was … was willst du?“ Michelle war über alle Maßen erstaunt, dass sie überhaupt einen Ton herausbrachte. Ihre Glieder zumindest waren vollkommen gelähmt. Danny hingegen war noch im Vollbesitz seiner Körperfunktionen. Schnell packte er eine Taschenlampe, die in Greifweite auf dem Tresen lag, und richtete sie auf das unheimliche Wesen. Doch noch bevor er sie anschalten konnte, wurde er plötzlich von einer unsichtbaren Macht von den Füßen gerissen. Er krachte brutal gegen die Küchenschränke und fiel schließlich wie ein Mehlsack zu Boden. „Danny!“, rief Michelle entsetzt. Sie wollte aufspringen, doch konnte sich immer noch nicht rühren. Und allmählich bekam sie das Gefühl, dass ihre Lähmung keinen natürlichen Ursprung hatte. „Was machst du mit mir?“, wollte sie, den Tränen nahe, wissen. Ihr Blick ruhte auf Danny, der regungslos auf der Erde lag. Einen schrecklichen Moment lang war sie felsenfest davon überzeugt, dass er tot war, doch sie hörte ihn noch stöhnen. Zwar leise, aber trotzdem gab er Lebenszeichen von sich. Das Mädchen lachte derweil kalt. „Du darfst dich geehrt fühlen, kleiner Mensch“, meinte sie. Sie trat auf Michelle zu und begutachtete sie wie ein Ausstellungsobjekt. „Dein Blut ist der Schlüssel.“ Kapitel 10: 10. Kapitel ----------------------- Michelle wusste nicht, was mit ihr geschah. Eben noch hatte sie in ihrer Küche gesessen und von einem Moment auf den anderen befand sie sich plötzlich in einer Vorstadtsiedlung. Ihr kam die Gegend vage bekannt vor, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Im Grunde war es auch völlig nebensächlich. Das Mädchen hatte sie einfach bloß am Arm gepackt und teuflisch gelächelt. Als nächstes war es Michelle so gewesen, als würde ihre ganze Umgebung verschwimmen. So musste sich Captain Kirk wohl beim Beamen fühlen. „Keine Angst, es wird nicht wehtun“, sagte das Mädchen in einem Tonfall, der ihren Worten Lügen strafte. Michelle schluchzte nur, während sie auf die Knie sank. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie überhaupt keine Kraft mehr. Als wäre ihr Körper völlig ausgelaugt. Nur mit Mühe schaffte sie es, kurz ihren Blick wandern zu lassen. Die Straße war dunkel und ausgestorben. Keine der Straßenlaternen funktionierte mehr, was sicherlich das Werk des Mädchens gewesen war. Noch deutlich erinnerte sich Michelle, dass die Kleine nicht sonderlich positiv auf Licht jeglicher Art reagierte. „Was … was hast du mit mir vor?“ Michelles Stimme zitterte. Eigentlich war es schon fast beschämend, sich von so einer winzigen Göre dermaßen einschüchtern zu lassen, aber man musste bloß in ihre kalten Augen schauen, um zu wissen, dass es sich bei ihr nicht um einen Menschen handelte. „Wie schon gesagt, ich brauche dein Blut“, erklärte das Mädchen lapidar. „Und zwar hierfür.“ Sie hob ihren Arm, ballte ihre Hand zur Faust und vollführte einige ruckartigen Bewegungen, als würde sie gegen etwas klopfen. Jedoch war weit und breit nichts zu erkennen. Vielmehr wirkte sie wie eine Verrückte, die merkwürdige Verrenkungen vollführte. Dann aber hörte Michelle es. Es klang dumpf. Leise. Offenbar klopfte das Mädchen tatsächlich gegen etwas. Etwas, das man mit bloßem Auge nicht sehen konnte. Eine Art unsichtbare Barriere. „Das dumme Ding nervt mich schon seit unzähligen Jahren“, sagte die Kleine schnaubend. „Und jetzt ist es endlich an der Zeit, es einzureißen.“ Michelle spürte tief in ihrem Inneren, dass diese Mauer ihre Rettung würde sein können. Das Mädchen – das übernatürliche Wesen – vermochte sie nicht zu durchqueren, aber für einen gewöhnlichen Menschen sah das bestimmt ganz anders aus. Dahinter würde Michelle in Sicherheit sein. Sie musste sie nur rechtzeitig erreichen … Aber bereits eine Sekunde später merkte sie, dass es unmöglich war. Ihr Körper war immer noch vollständig gelähmt, sie konnte sich keinen Zentimeter bewegen. Sie war an Ort und Stelle gefesselt und würde einen grausamen Tod sterben. Michelle liefen Tränen über die Wangen, als die Erkenntnis sie mit schonungsloser Brutalität traf. Sie würde hier und jetzt sterben! Allein und in den Fängen dieses Monsters, das wie ein Kind aussah und kein Mitleid kannte. Als das Mädchen die flache Hand ausstreckte und wie aus dem Nichts ein Dolch darauf auftauchte, zuckte Michelle zusammen. Ungehindert begann sie zu schluchzen. „Dein Geflenne wird dir auch nichts nützen“, meinte das Dämonen-Kind kaltherzig. „Es stachelt mich eher noch dazu, gemein zu werden.“ Michelle zwang sich daraufhin, ruhig zu bleiben. Sie würde zwar so oder so sterben, aber immer noch war es ein Unterschied, ob man einen schnellen oder einen langsamen und qualvollen Tod starb. Sie legte es nicht darauf an, dass dieses Ungeheuer seinen sadistischen Neigungen freien Lauf ließ. Somit schloss Michelle ihre Augen und betete zu Gott. Im Grunde hatte sie nie an ihn geglaubt, nun aber kam ihr der Gedanke an ihn tröstlich vor. Wenn es etwas böses Übernatürliches wie dieses Mädchen gab, dann musste auch irgendwo das Gute existieren. Es musste einfach! Und so bereitete sich Michelle darauf vor, zu sterben. Doch noch bevor die Klinge auf ihrer Haut spürte, hörte sie eine Stimme, die laut brüllte: „Nein! Tu das nicht!“ Michelle schlug überrascht ihre Augen auf. Aus dem Haus, das von der unsichtbaren Mauer abgegrenzt war, trat ein älterer Mann heraus. Aufgrund des fehlenden Lichts vermochte ihn Michelle nicht zu erkennen, aber allein seine Bewegungen kamen ihr vage bekannt vor. Ebenso seine Stimme hatte tief verborgene Erinnerungen geweckt. In ihrem Kopf kribbelte es. Und mit einem Mal wusste Michelle, wer dieser Mann war und wo sie sich befand. In ihrer alten Straße, wo sie bis zu ihrem zwölften Lebensjahr gelebt hatte, ehe ihre Eltern das Haus aus finanziellen Gründen hatten verkaufen müssen. Michelle erinnerte sich noch deutlich, wie viele Tränen sie bei ihrem Abschied vergossen hatte. Und dieser Mann … das war Mr. Spencer! Mr. Spencer mit dem netten Sohn, der so tragisch ums Leben gekommen war. Mr. Spencer, der auch kurz danach seine Frau verloren hatte und endgültig zum Einsiedler geworden war. Mr. Spencer, vor dem sich Michelle in ihren jungen Jahren immer ein wenig gefürchtet hatte. Aber nun war er der schönste Anblick, den sie sich vorzustellen vermochte. „Du willst mich aufhalten, alter Mann?“ Das Mädchen lachte, während sie das Messer auf Michelles Hals richtete. „Ein Stoß und es ist vorbei. Und zwar für euch beide.“ Spencer zögerte einen Moment. Schien nicht zu wissen, was er als nächstes tun sollte. Dann aber räusperte er sich vernehmlich und sagte: „Lass sie gehen. Sie hat nichts mit der Sache zu tun.“ Das Mädchen kicherte bösartig. „Und warum sollte ich das tun, dummer, alter Mann?“ Ihre leuchtenden Augen musterten ihn herausfordernd. „Ich brauche ihr Blut, um die Barriere zu durchbrechen. Denkst du wirklich, ich lasse von meinem Plan ab, weil es unmoralisch wäre? Falsch? Ich hoffe doch, du verfügst über genügend Intelligenz, um zu wissen, dass solcherlei Kleinkram mich nicht interessiert.“ Michelle spürte Spencers Blick auf sich. Er schien zu überlegen, was er tun sollte. Schien abzuwägen, ob es sich lohnte, für sie sein Leben zu riskieren. Und schließlich traf er eine Entscheidung. „Ich werde die Barriere aufheben“, erklärte Spencer resigniert. Er senkte seinen Blick, als wollte er damit demonstrieren, dass er aufgab. Michelle aber erkannte an seinem Tonfall, dass er trotz alledem irgendwie erleichtert war. Als wäre er froh, endlich den Mut gefunden zu haben, sich diesem dämonischen Kind zu stellen. Das Mädchen jedoch war ehrlich überrascht. „Wirklich?“, fragte sie erstaunt und klang dabei zum ersten Mal wie ein kleines und harmloses Kind. „Du hebst sie einfach so auf?“ Spencer nickte. „Niemand anderes soll mehr für meine Fehler leiden.“ „Wow.“ Die Kleine schien es immer noch nicht fassen zu können. „Ich dachte die ganze Zeit, du wärst ein rückgratloser Feigling, der sich bloß für sein eigenes erbärmliches Leben interessiert. Und nun opferst du dich auf?“ Sie klang wütend. Sogar ungemein wütend. Die Luft schien plötzlich um einige Grade kälter zu werden, sodass Michelle unweigerlich zitterte. Gepaart mit der Angst, die sich förmlich an ihr festgeklammert hatte, bebte ihr Körper wie Espenlaub und machte den Anschein, als wollte er gar nicht mehr aufhören. „Du wagst es wirklich …?“, zischte derweil das Mädchen aufgebracht. „Jahrelang habe ich alles versucht, um an dich heranzukommen, und nun willst du mir tatsächlich erzählen, dass ich bloß ein dummes Gör hätte entführen und mit einem Messer vor ihr herumwedeln müssen, um dich aus deinem Versteck zu locken? Das willst du mir allen Ernstes damit sagen?“ Spencer spürte auch deutlich die Luftveränderung, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen wirkte er geradezu beeindruckend gelassen, als er sagte: „Ja, das will ich.“ „Wir hätten schon vor Jahren frei sein können!“, fuhr sie ihn an. „Vor Jahren!“ Spencer zuckte mit den Schultern. „Es ist dein Pech, wenn du nie auf den Gedanken gekommen bist, mich direkt zu konfrontieren.“ Michelle rechnete halb damit, dass das Mädchen nun völlig ausflippte, aber stattdessen mahnte sie sich offenbar zur Ruhe. Ihre zusammengeballte Faust löste sich, während sie bemüht um Fassung rang. „Fein“, sagte sie schließlich in einem seltsamen Unterton. „Du kannst dich gerne edelmütig und heldenhaft geben, wenn’s dir Spaß macht. Aber lass dir eins gesagt sein: Du bist ein jämmerlicher Feigling! Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich mutig zeigt oder bloß aufgibt.“ Michelle konnte nicht erkennen, wie Spencer auf diese Anschuldigung reagierte. Sein Gesicht war in Dunkelheit gehüllt, sodass man höchstens erahnen konnte, was er fühlte. Zumindest aber widersprach er nicht. Ohne ein weiteres Wort ging er in die Hocke, grub in der Erde neben einem kleinen Busch und holte schließlich aus dem Loch etwas hervor. Michelle vermochte es nicht genau zu sehen, aber es hatte wenigstens teilweise Ähnlichkeit mit einem kleinen Säckchen. Spencer musterte das Objekt einen Augenblick, ehe er es weit wegwarf. Irgendwo in die Finsternis. Und das Mädchen schien zufrieden. „Wunderbar“, sagte sie. „Dann können wir ja endlich beginnen.“ Michelle kaute währenddessen auf ihrer Unterlippe und hoffte inständig, dass dieses Wesen nicht mehr ihres Blutes benötigte und sie somit gehen ließ. Immerhin hatte sie nun das, was sie wollte. Aber plötzlich bemerkte Michelle das fahle Licht von der Seite. Zwei Gestalten näherten sich der Szene. Die eine war ebenfalls ein Mädchen, das demjenigen, das Michelle entführt hatte, erschreckend ähnelte. Sie trug einen leuchtenden Gegenstand in der Hand und lächelte munter, sodass sie beinahe freundlich wirkte. Und die zweite Gestalt … Michelle blieb beinahe das Herz stehen, als sie diese Kreatur ausmachte. Dieses riesige Ungetüm, das vage an einen Grizzlybären erinnerte, aber noch tausendmal bedrohlicher aussah. Ein Wesen, das direkt der Hölle entsprungen war. Und bei diesem Anblick wusste Michelle plötzlich mit absoluter Klarheit, dass sie verloren war. * * * * * „Ich werde sie auseinandernehmen! Ich werde sie vierteilen, in kleine Stücke hacken, kross braten und anschließend Liliputanern zum Abendessen servieren!“ Sam, der die ganze Zeit stillschweigend Deans Schimpftirade zugehört hatte, runzelte nun verwundert die Stirn. „Warum ausgerechnet Liliputaner?“ „Sie sind klein“, erklärte Dean wie selbstverständlich. „Und sie haben kleine, scharfe Zähne. Es wird wie tausend schmerzhafte Nadelstiche sein.“ Sam verzog gequält das Gesicht. „Du hast eine merkwürdige Auffassung von Liliputanern, Dean.“ „Egal! Ich will nur, dass das Alyssa-Miststück und ihr Hund von Baskerville schreckliche Qualen erleiden. Nicht mehr und nicht weniger.“ Dean verkrampfte den Griff um sein Gewehr, während er an diese beiden Wesen dachte, die ihm die letzten Tage zur Hölle gemacht hatten. Er hatte sich als Besitzer einer imaginären Katze mit schwulem Namen ausgeben müssen, er war gegen Wände und Bäume geschleudert worden, er war zum Kindesentführer mutiert, er hatte beinahe die Wunde eines riesigen Ungetüms versorgen müssen und obendrein war er dazu genötigt worden, seinen geliebten Impala irgendwo in der Walachei zurückzulassen. Dean Winchester war ehrlich angepisst! Und er konnte es kaum erwarten, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für den Schlamassel verantwortlich waren. Deswegen stahl sich auch ein Lächeln auf seine Lippen, als er Spencers Haus in der Ferne entdeckte. Bereits als sie die Straße erreicht und bemerkt hatten, dass alle Straßenlaternen ausgefallen waren, war mehr als klar gewesen, dass Alyssa sich hier aufhielt. Sie würde büßen! Für alles, was sie ihnen angetan hatte! „Ich glaube, die Barriere ist aufgehoben worden“, meinte Sam, als sie Spencers Vorgarten erreichten. Aufmerksam ließ er seinen Blick schweifen. „Und wie kommst du darauf, Haley Joel?“, erkundigte sich Dean mit einem schiefen Lächeln. Es war zwar zu dunkel, um Sams Augen genau zu sehen, aber Dean spürte förmlich den darauffolgenden stechenden Blick seines Bruders. „Nenn es von mir aus Intuition“, sagte Sam leicht angefressen. „Irgendwie hat meine Haut immer ein bisschen gekribbelt, sobald ich mich dem Haus genähert habe. Das ist jetzt nicht mehr so.“ Dean lag schon ein „Freak“-Kommentar auf den Lippen, aber er hielt sich zurück, als er entdeckte, dass die Haustür sperrangelweit offen stand. Einladend und gleichzeitig unheilverkündend. „Sie sind im Keller“, meinte Sam sofort und Dean nickte bestätigend. Dort hatte alles seinen Anfang genommen. Dort sollte es auch enden. Ungehindert traten sie ins Haus und machten sich auf den Weg in die Küche, wo sich die Tür zum Kellergeschoss befand. Es war seltsam still in dem Gebäude, als würden sämtliche Geräusche verschluckt werden. Selbst Dean lief ein jäher Schauer über den Rücken. Die von Cytho zerstörte Kellertür lehnte locker an einer Wand, sodass der Blick auf die Treppe frei war. Dumpfes Licht kam von unten. Offenbar war Amy auch anwesend. Keine Überraschung für Dean. Er umklammerte seine Waffe, während er vom Küchentresen auch noch ein großes Hackmesser nahm und es sich an den Gürtel steckte. Alyssa hatte sich bisher als äußerst standhaft erwiesen, aber möglicherweise war sie mit traditionellen Methoden wenigstens ein bisschen zu beeindrucken. Weihwasser hatten sie sich auf jeden Fall auch vorsorglich besorgt. War es beim Kampf mit dem Monsterhund aufgebraucht worden, hatten die Brüder auf ihrem Weg zurück zu Spencer einer Kapelle in einer Seitenstraße einen Besuch abgestattet und sich etwas heiliges Wasser geborgt. Es war zwar sicherlich nicht förderlich fürs Seelenheil, die Kirche zu bestehlen, aber Dean hoffte, dass Gott ihnen vergeben konnte. Immerhin ging es um Leben und Tod. Dean warf einen letzten Blick auf seinen Bruder. Dieser hatte bereits das Weihwasser gezückt und wirkte über alle Maßen angespannt. Er starrte auf die ebenfalls vom Ungetüm ramponierte Treppe und schien zu zögern. Er dachte wahrscheinlich an Amy. Die kleine Dämonin mit dem bezaubernden Lächeln, die sich auch in diesem Keller befand und sich ihnen in den Weg stellen konnte. Und wenn sie das tat, würden die Jäger handeln müssen. Dean gefiel dieser Gedanken zwar ebenso wenig, aber es blieb ihnen keine andere Wahl. „Bereit?“, wisperte er. Sam wirkte noch einen Augenblick unsicher, dann aber nickte er. „Bereit.“ Und dann stürmten sie beide die Treppe hinunter. Dean ließ sich überhaupt keine Zeit, nachzudenken. Seine Füße trugen ihn wie von selbst, während er sein Gewehr auf die Gestalten in der Mitte des Raumes richtete, die sich nun zu ihnen umdrehten. Spencer, der auf dem Boden kniete, musterte die Brüder überrascht. Dean entdeckte in einer Ecke auch Michelle, welche sich dort zusammengekauert hatte und nun erstaunt aufblickte. Aber die Zwillinge und Cytho schienen keinesfalls verblüfft. „Ihr seid im Haus herum getrampelt wie eine Horde Elefanten“, meinte Alyssa abfällig. Sie stand so weit von ihrer Schwester mit dem leuchtenden Ball entfernt, wie es ihr möglich war. „Lautloses Anschleichen müsst ihr noch ein bisschen üben, Jungs.“ Dean schnaubte, während er sich im Raum umschaute und die Lage zu analysieren versuchte. Dass sich Michelle hier befand, war für ihn im ersten Moment überraschend gewesen, ehe er erkannte, dass sich Alyssa sicherlich sie als Blutopfer ausgesucht hatte, um die unsichtbare Mauer zum Einsturz zu bringen. Michelle wirkte aber relativ unverletzt, was darauf schließen ließ, dass die Dämonen es doch irgendwie geschafft hatten, ohne Blutvergießen in das Haus zu gelangen. Spencer hockte derweil auf dem Boden, mitten in einer Art Pentagramm aus Kreide, das mit ungewöhnlichen Symbolen ausgestattet war, die Dean noch nie zuvor gesehen hatte. In seiner Hand hielt er aufgeschlagen das Buch mit den Beschwörungsformeln. Sie standen offenbar kurz davor, den Fluch von Licht und Schatten zu brechen. „Es ist hier und jetzt vorbei!“, meinte Dean entschieden. Er richtete die Mündung seiner Waffe auf Alyssa. Die Dämonin lachte aber bloß gehässig. „Ich habe euch doch schon gesagt, dass eure kleinen Spielzeuge uns nichts anhaben. Seid ihr wirklich dermaßen schwer von Begriff? Salz, Weihwasser, Silber – das alles hat keinen Zweck. Ihr könnt mich auch gerne mit Knoblauch bewerfen, wenn ihr Freude dran habt. Aber es wird nichts nützen!“ Dean schluckte. Das klang alles ganz und gar nicht gut. „Warum streiten wir uns überhaupt?“, wollte Amy mit einem entwaffnenden Lächeln wissen. Unschuldig wie ein Engel musterte sie die Umstehenden. „Wir können doch alle Freunde sein.“ Alyssa aber schüttelte entschieden den Kopf. „Das sind Jäger, Süße. Die kennen nur Schwarz und Weiß. Und so etwas wie Moral besitzen sie schon lange nicht mehr.“ Dean wollte heftig widersprechen, aber ihm blieb der Protest im Halse stecken, als seine Waffe plötzlich aus seinen Händen gerissen wurde und vor ihm in der Luft zum Stillstand kam. Ebenso Sams Gewehr sowie die Flasche mit Weihwasser schwebten unvermittelt wie von Geisterhand. Und dann lösten sie sich in ihre Bestandteile auf. Es war fast, als würden die Waffen vor ihren Augen in rasender Geschwindigkeit altern. Das Holz wurde blass und spröde, Rost setzte ein. Und schließlich zerfielen die Gewehre zu Staub. Ebenso der Flasche mit Weihwasser erging es nicht anders. Obwohl Dean irgendwo mal gehört hatte, dass Plastik biologisch nicht abbaubar war, schien sich Alyssa an diesem Naturgesetz nicht sonderlich zu stören. Munter ließ sie ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Und von einem Augenblick auf den anderen waren die Brüder plötzlich unbewaffnet. Dean blinzelte einfach nur überrascht. Noch nie in seiner Jägerlaufbahn war es ihm geschehen, dass ihn ein übernatürliches Wesen dermaßen schnell überrumpelt hatte. „Ihr seid uns nicht gewachsen“, meinte Alyssa überheblich. „Ihr seid Babys im Vergleich zu uns.“ Und ehe Dean sich versah, ergriff sie erneut Besitz von ihnen. Sie konnten sich nicht dagegen wehren, als sie ohne jede Vorwarnung über den Boden schlitterten und mit dem Rücken gegen die Wand gepresst wurden. Angepinnt, als würde es sich bei ihnen um Bilderrahmen handeln. Dean versuchte, sich zu bewegen, aber es war vollkommen zwecklos. Kein Muskel rührte sich mehr. Er war komplett gelähmt. Er konnte nicht mal die Augenbrauen anheben und damit sein Erstaunen zum Ausdruck bringen. „Wirklich tragisch, nicht wahr?“ Alyssa legte ihren Kopf schief und zog einen theatralischen Schmollmund. „Zwei große Jäger und ihre Selbstüberschätzung. Kann es etwas Traurigeres geben?“ Spencer musterte sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Resignation, während Michelle ihren Kopf schüttelte und leise flüsterte: „Oh mein Gott, oh mein Gott!“ „Euer Gott wird euch nicht helfen“, zischelte Alyssa. „Er wird es keine Blitze regnen lassen oder gar kleine Engelchen schicken, um euch zu retten.“ Dean hätte der Göre liebend gern das Maul gestopft oder wenigstens mit einem bissigen Kommentar gekontert, aber auch das Sprechen war ihn völlig unmöglich. So blieb ihm nichts anderes übrig, als das Mädchen herausfordernd anzufunkeln und zu hoffen, dass sie diese Geste richtig auffasste. „Du solltest nicht immer so fies sein, Aly“, entgegnete Amy. „Und du solltest nicht immer so verdammt freundlich sein, Am“, meinte Alyssa scharf. „Das sind nur arrogante Menschen, die sich für was Besseres halten und uns das Leben zur Hölle machen. Soll ich da etwa noch nett bleiben?“ Amy machte den Eindruck, als wollte sie zustimmend nicken, aber ihre Schwester ließ ihr gar keine Chance dazu. Stattdessen wandte sie sich an Spencer und befahl: „Los, fang an!“ Der Angesprochene richtete seine Aufmerksamkeit auf den Text vor sich. „Wirst du … wirst du mich töten?“, wollte er mit belegter Stimme wissen. „Dein Blut wird den Fluch auflösen“, meinte Alyssa schulterzuckend. Sie war offenbar der Ansicht, dass dies Antwort genug wäre. Und das war es im Grunde auch. Spencer hatte sein Todesurteil unterschrieben. Und sosehr sich Dean auch dagegen wehrte, er konnte nichts tun, um es zu verhindern. Somit sah er bloß tatenlos zu, wie Spencer begann, die lateinische Formel zu rezitieren, die den Fluch aufheben sollte. Und Alyssa stand mit einem Messer neben ihm und wartete nur darauf, das Ritual mit seinem Blut zu vollenden. Kapitel 11: 11. Kapitel ----------------------- Sam hätte am liebsten laut geschrien. Nicht etwa aus Angst oder vor Schmerzen, sondern vielmehr, um sich bemerkbar zu machen. Um deutlich zu machen, dass er noch anwesend war. Er wollte schreien, wild um sich schlagen, kämpfen. Aber er konnte noch nicht mal seinen Mund öffnen, Alyssa hatte wirklich jeden einzelnen Muskel in seinem Körper gelähmt. Sam war im Grunde sogar sehr überrascht, dass sein Herz überhaupt noch schlug und die Dämonin es nicht zum Stillstand gebracht hatte. Zumindest noch nicht. Aus den Augenwinkeln hatte Sam seinen Bruder im Blick, der ebenso von der unsichtbaren Macht an die Wand gedrückt wurde und sich in keinster Weise bewegen konnte. Gemeinsam vermochten sie nur auf die Szenerie zu starren, die sich ihnen bot, ohne das geringste dagegen unternehmen zu können. Spencer las den lateinischen Text, als handelte es sich dabei um seine Muttersprache. Die ersten Sätze kamen noch laut und unerschütterlich über seine Lippen, aber je mehr er sich dem Ende der Formel näherte, desto leiser wurde er. Seine Hände begannen zu zittern, während er sich wahrscheinlich im Hinterkopf ausmalte, was Alyssa mit ihm anstellen würde, wenn alles vorbei war. Die Dämonin zumindest beobachtete Spencer wie ein Adler, als befürchtete sie, er könnte in der nächsten Sekunde aufspringen und für immer verschwinden. Unter gar keinen Umständen wollte sie das Risiko eingehen, dass er sich tatsächlich davonmachte. Oder dass er gar den falschen Text vorlas und die beiden Schwestern noch schlimmer verfluchte. Amy derweil lächelte selig vor sich hin und schien das Ganze furchtbar amüsant zu finden. Sie warf ihren leuchtenden Ball auf und ab, kicherte vergnügt und gesellte sich schließlich zu Michelle, die in der Ecke zusammengekauert hockte und offenbar darum betete, unsichtbar zu werden. Amy plauderte absolut zwanglos mit ihr und lachte immer wieder unbekümmert, während sich Michelle augenscheinlich keinen Reim darauf machen konnte, ob ihr dieses Mädchen etwas Böses wollte oder nicht. Somit schwieg sie nur und bemühte sich ab und an um ein gequältes Lächeln. Cytho hatte inzwischen sein Auge auf die Winchesters geworfen. Ungeniert trat der riesige Koloss auf sie zu und schnupperte an ihnen, sodass es Sam überaus mulmig wurde. Besonders an Dean war das Untier sehr interessiert, da es dieser immerhin gewagt hatte, ihn zu verletzen. An Cythos bedrohlich funkelnden Augen sah man mehr als deutlich, dass er hoffte, Dean auseinanderreißen zu können. Und Sam war sich ziemlich sicher, dass Alyssa ihm diesen Gefallen mit großer Freude gewähren würde. Eher früher als später. Man konnte förmlich spüren, wie sehr es Cytho nach frischem Jägerfleisch gierte. Er leckte sich über die Lefzen und überlegte sich wahrscheinlich gerade, welches Körperteil er zuerst verspeisen wollte. Sam hätte lautstark geschluckt, wäre es ihm möglich gewesen. Bei vollem Bewusstsein von einer Bestie gefressen zu werden – wahrscheinlich auch noch langsam und überaus qualvoll – war nicht gerade ein Tod, nach dem es ihm dürstete. Wenn er ehrlich zu sich war, fiel ihm im Moment auch gar keine schlimmere Art ein, zu sterben. Er sah bloß in die blitzenden Augen dieses Ungeheuers und fühlte kalte Angst. Unterbewusst hoffte er irgendwie, dass plötzlich ihr Vater aus dem Nichts auftauchen und sie retten würde, aber das war nichts weiter als Wunschdenken. John Winchester trieb sich irgendwo in der Weltgeschichte herum und hatte vermutlich nicht die geringste Ahnung, dass seine Söhne dem Tod von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Vielleicht würde er es sogar nie erfahren. Sam und Dean würden von der Bildfläche verschwinden, ohne dass ihr Vater je herausfand, was mit ihnen geschehen war. Ein über alle Maßen trauriger Gedanke. Gerade als er darüber nachdachte, wie schmerzhaft es wohl sein würde, bei lebendigen Leib aufgefressen zu werden, realisierte er, dass Spencer am Ende des Textes angekommen war. Dessen Stimme, inzwischen brüchig und kaum noch zu verstehen, kam unvermittelt zum Stillstand. „Sehr schön“, meinte Alyssa daraufhin mit einem bedrohlichen Lächeln. Schnell wie eine angreifende Schlange packte sie sich Spencers Hand und schnitt ihm tief in die Innenfläche. „Fürs erste“, versprach sie zischend. Blut quoll aus der Wunde hervor, tropfte zu Boden. Und in dem Moment, als es die Kreidezeichnung zu ihren Füßen berührte, erstrahlte plötzlich ein helles Licht. Dermaßen blendend und grell, dass alles um sie herum zu verschwinden schien. Sam befürchtete in der ersten Schrecksekunde, dass er sein Augenlicht verlieren würde, aber schließlich schaffte er es, seine Lider zusammenzukneifen. Letztlich legte er sogar den Arm über seine Augen, um diese zusätzlich zu schützen. Neben sich hörte er Dean gequält stöhnen. „Verflucht“, knurrte Sam … und bemerkte erst in diesem Augenblick, dass er sich wieder bewegen konnte! Vor Überraschung, nicht mehr an die Wand gefesselt und wieder Herr seines eigenen Körpers zu sein, taumelte Sam vorwärts und wäre beinahe zu Boden gestürzt. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich fangen. Er atmete einige Male tief durch, während seine Gedanken rasten. Dass Alyssa sie aus reiner Nettigkeit freigelassen hatte, bezweifelte er stark. Aber offenbar lenkte sie die Aufhebung des Fluchs dermaßen ab, dass sie ihre Kräfte nicht mehr auf solch eine Art und Weise kontrollieren konnte wie zuvor. Vielleicht hatte sie, die schon seit Jahren in der Dunkelheit lebte, das unvermittelt auftauchende Licht überrumpelt. Sam konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Er blinzelte, als die Helligkeit schließlich nach ein paar Sekunden allmählich wieder zurückging, als würde jemand das grelle Licht einfach runterdrehen. Sam brauchte einen Moment, um sich wieder zu orientieren. Seine Augen schmerzten, aber er ließ sich davon nicht ablenken. Stattdessen sondierte er die Lage, um ungewollten Überraschungen zuvorzukommen. Michelle war noch tiefer in ihrer Ecke zusammengesunken. Den Kopf schützend irgendwo in ihren Armen vergraben, hatte sie sich so klein wie möglich gemacht. Auch Spencer lag zusammengekauert auf dem Boden, seine blutende Hand nahe an seinen Körper gedrückt. Ebenso Cytho hatte sich zuvor von dem Licht abgewandt. So stand er nun zur Wand, die Lider immer noch geschlossen und leise winselnd. „Sammy?“, vernahm Sam die Stimme seines Bruders. Der Angesprochene drehte sich zur Seite und entdeckte Dean, der zwar etwas mitgenommen wirkte, aber ansonsten einen gesunden Eindruck erweckte. Ihm hatte Alyssa wohl ebenfalls keinen größeren Schaden zugefügt. „Alles okay?“, fragte er daraufhin besorgt. Sam nickte sofort. „Mir geht’s gut, Dean.“ Der Winchester nickte bei dieser Antwort zufrieden. „Dann sollten wir jetzt ein paar Dämonen töten!“ Sam richtete seinen Blick auf die Mitte des Zimmers. Auf die beiden Mädchen. Amy hatte wohl irgendwann ihren leuchtenden Ball fallengelassen, dessen Lichtkegel nun auch Alyssa berührte. Und es passierte … gar nichts. Alyssa schien im ersten Moment wie betäubt, ehe sie sich langsam niederkniete und leicht über den Ball strich. Ungläubig betrachtete sie den Lichtstrahl, der ihre Haut traf und sie in keinster Weise verletzte. Ebenso Amy war fassungslos. Sie trat ein paar Schritte zurück und versank Schritt für Schritt in der Finsternis. Ganz langsam, als befürchtete sie, die Dunkelheit könnte sie in der nächsten Sekunde mit Haut und Haaren verschlingen. Aber auch ihr passierte nichts. Der Fluch von Licht und Schatten war aufgehoben. „Es hat funktioniert!“ Amys Stimme war zunächst nur ein Flüstern, dann aber verzogen sich ihre Lippen zu einem breiten Lächeln. „ES HAT GEKLAPPT!“ Lachend fiel sie ihrer Schwester um den Hals und presste sie fest an sich, wie sie es die letzten fünfzehn Jahre nicht hatte tun können. Tränen der Freude rannen ihr über die Wangen. Auch Alyssa sah man ihre Erleichterung deutlich an, dennoch bewahrte sie einen kühleren Kopf. Sie strich Amy einmal kurz über die Haare und drückte sie schließlich sanft von sich. Aber wahrscheinlich weniger, weil ihr die Nähe ihrer Schwester nicht gefiel, sondern eher, da sie von Menschen umringt war. Sie wollte sich keinem Gefühlsausbruch hingeben, wenn sie beobachtet wurde. Immerhin durfte ihre Maske dämonischer Skrupellosigkeit keine Risse bekommen. Dean hatte derweil seinen Blick schweifen lassen, auf der Suche nach irgendetwas, das sie als Waffe benutzen konnten. Doch nichts in dem großen Kellerraum eignete sich dafür, zwei Dämonen und ihr riesiges Haustier zu bekämpfen. Bloß ein paar alte Farbeimer, Glasbehälter und allerlei andere Gegenstände, die man zur Not als Geschosse hätte einsetzen können, wahrscheinlich aber wenig effektiv gewesen wären. Sie hatten bloß noch Deans Messer, das dieser aus Spencers Küche hatte mitgehen lassen. Doch diese kleine Waffe würde wohl kaum ausreichen, um ihren Gegnern ernsthaft zu schaden. Außer natürlich man zog die Möglichkeit in Betracht, dass sich Alyssa beim Anblick des Fleischmesser im wahrsten Sinne des Wortes totlachte. Aber das würde wohl kaum passieren. „Ihr denkt also darüber nach, uns zu töten?“ Alyssas eisige Stimme war drohend. Eindringlich musterte sie die Jäger, deren Gedanken sie offenbar gelesen oder deren Gesten sie richtig gedeutet hatte. „Ihr habt es wohl immer noch nicht begriffen, was?“ Dean zuckte kurz mit den Schultern. „Ich lerne nur langsam“, meinte er, während seine Mundwinkel nach oben zuckten. Man hätte ihn für unbekümmert halten können, aber Sam kannte seinen Bruder schon lange genug, um zu wissen, wie nervös er war. Betrachtete man ihre Lage, war das auch nicht weiter verwunderlich. Unbewaffnet standen sie einer unbarmherzigen Dämonin, welche bisher erstaunliche Kräfte an den Tag gelegt hatte, und einem gigantischen Riesenhund mit rasiermesserscharfen Fangzähnen gegenüber. Und nicht zu vergessen Amy, die immer noch einen unberechenbaren Faktor darstellte. Ihre Situation war heikel. Aussichtslos. Sie würden hier und jetzt sterben, daran war nichts zu ändern. Es gab keine Möglichkeit, dieser Übermacht irgendwie zu entkommen. Auch Spencer, der sich inzwischen wieder etwas aufgerichtet hatte, schien dies begriffen zu haben. Hoffnungslos seufzte er, bevor er langsam die Augen schloss. Als würde er widerstandslos den Todesstoß erwarten. Dean hingegen war nicht bereit, ohne weiteres aufzugeben. Mit dem Messer in der Hand trat er einen Schritt auf die Dämonin zu und zischte: „Du verdammtes Miststück glaubst vielleicht, dass du schon gewonnen hast, aber du irrst dich! Wir kämpfen bis zum letzten.“ Alyssa verdrehte ihre Augen. „Heldenmut … idiotisch! So stirbt man nur früher, das ist alles.“ Dean knirschte mit den Zähnen, sah aber zunächst darüber hinweg, sich Alyssa noch weiter zu nähern, da Cytho sich inzwischen wieder umgedreht hatte und ihn intensiv musterte. Jede schnelle Bewegung hätte ihn wahrscheinlich zuschnappen lassen. „Beleidige mich, soviel du willst“, meinte Dean. „Aber ich sterbe lieber kämpfend, als wie ein Feigling einfach aufzugeben.“ Sam bemerkte, dass Spencer bei diesen Worten wieder seine Augen aufschlug. Er betrachtete Dean und schien schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass der Winchester Recht hatte. Seine Miene verdüsterte sich, während er unerschrocken auf das harrte, was noch kommen würde. „Also spar dir deine Arroganz“, sagte Dean herausfordernd. „Wenn du uns töten willst, dann tu es endlich und lass deine dummen Spielchen!“ „Töten?“ Alyssa musterte ihn verwirrt. „Warum sollte ich das tun?“ Dean war über diese Frage offenbar dermaßen überrascht, dass er völlig aus dem Tritt geriet und zunächst keinen Ton herausbekam. Schließlich aber meinte er, etwas zögerlich: „Na … aus Rache. Du bist ein Dämon.“ Alyssa starrte ihn noch einen Moment mit einer undefinierbaren Miene an, dann aber brach sie in schallendes Gelächter aus. „Rache? Das ist doch völlig albern.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Das ist noch dümmer als Heldenmut.“ Dean war sichtlich überfordert. „Aber …“ „Ich habe noch nie jemanden getötet“, entgegnete Alyssa mit Nachdruck. „Und ich habe es auch nicht vor. Ich bin doch kein Monster!“ Dean runzelte die Stirn. Man sah ihm deutlich an, wie sehr ihn diese Worte verwirrten. Auch Sam war irritiert. Er hatte damit gerechnet, dass Alyssa ihrer Wut freien Lauf lassen würde. Sie dafür büßen lassen würde, dass sie alle ihr das Leben dermaßen schwer gemacht hatten. Aber nun stand sie dort und machte den Eindruck, als wäre allein der Gedanke daran vollkommen abstrus. „Aber … aber du wolltest uns töten“, meinte Dean. „Nur Drohungen“, erwiderte Alyssa schulterzuckend. „Kreative und letztendlich leere Drohungen. Angst ist eine machtvolle Waffe.“ Sam wusste hierauf wirklich nichts zu sagen. Ein Dämon, der keinerlei Interesse an Vergeltung hatte? Und das, obwohl die Rache so zum greifen nahe war? Alyssa hätte sie alle hier und jetzt töten können, es wäre für sie wahrscheinlich kein großes Problem gewesen. „Aber ihr seid Monster!“, mischte sich nun Spencer ein. Sein Blick war hasserfüllt. „Ihr Ungeheuer habt meine Frau umgebracht!“ „Echt?“, fragte Amy erstaunt. „Wann?“ Diese Reaktion warf Spencer zunächst so aus der Bahn, dass er kein Wort herausbrachte. Mit viel Mühe musste er schließlich um Fassung ringen. „Damals“, antwortete er. „Hier … hier in diesem Keller. Diese Bestie hat sie angegriffen!“ Und damit deutete er auf Cytho, der nun seine Ohren spitzte. Alyssa aber lachte nur wieder auf. „Cytho? Ach Quatsch, der tut keiner Fliege was zuleide. Er ist doch noch ein Baby.“ Daraufhin herrschte absolute Stille im Kellerraum. Jeder von ihnen schien sich zu fragen, ob er die Worte der Dämonin richtig verstanden hatte. Sam zumindest war überzeugt, dass er sich verhört hatte. Dieses gigantische Ungetüm – ein Baby? „Aber …“, fand Dean als erster seine Sprache wieder, nur um in selben Moment erneut zu verstummen. Das alles war zu viel für ihn. „Alyssa und ich sind seine Babysitter“, klärte Amy sie mit ihrem zuckersüßen Lächeln auf. „Als Spencer uns hierhergeholt hat, waren wir gerade bei ihm und haben auf ihn aufgepasst. Wir haben gerade miteinander gespielt.“ Sam konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Das war doch alles nicht wahr! „Und dann landeten wir plötzlich ohne jede Vorwarnung hier“, fuhr Amy fort. „Und Cytho … er war eben immer noch in Spiellaune.“ Spencer riss seine Augen auf. „Du willst also tatsächlich sagen, er hat meine Frau nicht angegriffen, sondern wollte mit ihr … spielen?“ Sam fragte sich unwillkürlich, welche Spiele dort, wo die drei herkamen, üblicherweise gespielt wurden? „Wer zuerst dem anderen den Arm abreißt“? „Deine Frau hat sich wohl ziemlich erschreckt, was?“ Amy blickte Spencer verständnisvoll an, was diesem den Rest zu geben schien. „Sie ist böse hingefallen, nicht wahr? Dabei wollte Cytho ihr sicher nichts tun. Er tötet niemanden. Er ist doch Vegetarier.“ Dean zuckte zusammen. „WAS?“, hakte er fassungslos nach. „Cytho mag kein Fleisch“, setzte Amy ihn in Kenntnis. Sie trat zu dem Riesenhund und streichelte ihm sanft über den Kopf. „Er kann nicht mal Blut sehen. Da wird ihm immer ganz schlecht, manchmal fällt er sogar in Ohnmacht.“ Es war daraufhin still. Geradezu unheimlich still. Allesamt starrten sie die Dämonenkinder bloß geschockt an. Entsetzt. Kaum zu einem klaren Gedanken mehr fähig. Sam zumindest hatte keine Ahnung, was er von dem Ganzen halten sollte. Er hatte ja schon einiges erlebt, aber das hier war mit nichts zu vergleichen. „Er … er kann kein Blut sehen?“, fragte schließlich Dean. „Aber … das Monster hat sich mit uns geprügelt. Ich habe es angeschossen. Und es ist zu dem Barbecue gerannt. Warum sollte es das tun, wenn es nicht auf Fleisch steht?“ Dean schien stolz auf seine vorgebrachten Argumente zu sein, doch Alyssa konterte sofort: „Wahrscheinlich hat ihn die Menschenansammlung angelockt. Er liebt nun mal Menschen.“ Sam vermochte es einfach nicht zu fassen. Sollte das Ganze etwa alles wahr sein? „Aber … du hast hier in der Nachbarschaft Angst und Schrecken verbreitet“, erwiderte Dean vehement. Er war offensichtlich nicht gewillt, Alyssas Worten zu glauben. „Du hast Michelle angegriffen und unzählige andere auch.“ Alyssa schnaubte. „Ich habe nie behauptet, dass ich ein unschuldiger Engel bin, oder?“ Sie zuckte mit den Achseln. „Ihr Menschen seid so nervig und dumm, da kann man als anständiger Dämon nur die Geduld verlieren.“ „Ich war aber immer nett“, widersprach Amy. Alyssa nickte hierauf. „Das stimmt, du warst immer nett.“ An die Jäger gerichtet, erklärte sie: „Amy hat auch zahllose Menschen besucht und sie gebeten, nach Cytho zu sehen. Ganz lieb und artig. Das stand aber wahrscheinlich nicht in euren Zeitungen, nicht wahr?“ Automatisch schüttelte Sam den Kopf. Nein, das war nirgendwo dokumentiert gewesen. „Ich hätte auch nett sein können“, meinte Alyssa mit einem falschen Lächeln, das ihre Worte Lügen strafte. „Aber ich war an die Dunkelheit gefesselt und ihr kleingeistigen Menschen fürchtet euch vor allem, was in der Finsternis lauert. Ich hätte so lieb und brav wie Amy sein können, es wären trotzdem alle schreiend davongelaufen.“ Sam konnte es ihnen nicht verübeln. Wenn ihn in einem stockdunklen Zimmer ohne jede Vorwarnung eine fremde Stimme angesprochen hätte, wäre er auch nicht allzu begeistert gewesen. „Also … was jetzt?“ Dean war ehrlich irritiert. Er stand dort, mit dem Messer in der Hand, und wusste augenscheinlich nicht, was er als nächstes tun sollte. Sich auf die Dämonen stürzen oder es einfach auf sich beruhen lassen? Sam hatte auch keine Antwort parat. Es bestand zwar immer noch die Chance, dass Alyssa log, aber irgendwie ergab das keinen richtigen Sinn. Warum sollte ein derart mächtiges Geschöpf, das sie allein mit der Kraft ihrer Gedanken hätte töten können, solch eine Show abziehen? Wieso hätte sie sich die Mühe machen sollen? Um sie auf den Arm zu nehmen? Um sich an ihren erstaunten Gesichtern zu erfreuen, wenn sie sie doch ohne Vorwarnung angriff? Sam glaubte es irgendwie nicht. Er sah hinüber zu Cytho, der Amy gerade über die Hand leckte und beileibe gar nicht mehr so bedrohlich wirkte. Sondern fast schon nett und harmlos. Er hatte ihnen zwar in den letzten Stunden ziemlichen Ärger bereitet und sie ordentlich in die Mangel genommen, aber wenn Sam ehrlich war, waren sie es auch gewesen, die zuerst aggressives Verhalten an den Tag gelegt hatte. Cytho hatte friedlich in seinem Kreis aus Kreide und Salz ausgeharrt und kein Anzeichen von Angriffslust gezeigt. Stattdessen war es Dean gewesen, der ihn unvermittelt mit dem Weihwasser begossen und schließlich auch noch angeschossen hatte. Kein Wunder also, dass Cytho dermaßen wutentbrannt gewesen war. Sam wäre selbst ebenfalls nicht besonders begeistert gewesen, wenn man ihn ohne den geringsten Grund attackiert, gejagt und in die Ecke gedrängt hätte. Sie hätten sich wahrscheinlich alle von Anfang an eine Menge Probleme ersparen können, wenn sie nur richtig zugehört und nicht in ihren Vorurteilen gegenüber Dämonen und riesigen Ungetümen festgefahren gewesen wären. „Man kann es euch aber nicht übelnehmen“, meinte derweil Alyssa schulterzuckend. „Ihr seid schwächlich, unwissend und mickrig. Dafür könnt ihr nichts. Außerdem sind die Dämonen in dieser Welt dermaßen unsympathisch, dass ich sie am liebsten auch allesamt in die Hölle zurückschicken würde.“ Sam nickte unwillkürlich, auch wenn er sich nicht unbedingt wohl dabei fühlte. Solche Worte aus dem Mund einer Dämonin zu hören, war überaus sonderbar. „Heißt das … ihr tötet uns nicht?“, fragte Spencer zaghaft nach. Seine blutende Hand fest an sich gedrückt, musterte er die Mädchen ausgiebig. Alyssa schnalzte daraufhin mit der Zunge. „Hab ich das je irgendwo schriftlich festgehalten?“, wollte sie wissen. „Meine Güte, warum sollte ich euch umbringen? Es macht nur Arbeit, Dreck und bringt mir jetzt überhaupt nichts mehr. Ich habe doch bereits, was ich wollte. Warum sollte ich mir jetzt noch die Mühe machen? Ihr winzigen Würmer seid es überhaupt nicht wert.“ Sam fühlte sich zwar nicht gerade geschmeichelt, sah aber darüber hinweg, zu protestieren. Es war sicherlich nicht ratsam, Alyssa derart zu provozieren, dass sie ihre Meinung vielleicht noch änderte. „Gehen wir jetzt nach Hause?“, fragte Amy inzwischen hoffnungsvoll nach. Alyssa lächelte. Und dieses Lächeln sah ausnahmsweise aus wie das eines überglücklichen Kindes. „Ja, wir gehen nach Hause.“ Amy lachte erfreut auf, ehe sie sich an Cytho drückte und ihm irgendetwas zuflüsterte. Das Tier gab hierauf ein seltsames Geräusch von sich, das fast wie eine Zustimmung klang. Dann wandte sich die Kleine von dem Ungetüm ab, schnappte sich ihren leuchtenden Disney-Ball und trat zu den beiden Jägern. „Vielen Dank!“, sagte sie begeistert. „Es war so nett von euch, dass ihr uns geholfen habt.“ Sam hob seine Augenbrauen. Als ‚Hilfe‘ konnte man das Ganze irgendwie nicht bezeichnen. „Und es war echt lustig mit euch“, fuhr sie fort, während sie sie mit ihren großen Puppenaugen anschaute. „Es freut mich wirklich, dass wir uns kennengelernt haben.“ Sie verstummte daraufhin, erwartete offenbar eine Antwort. Sam öffnete zögernd den Mund und meinte schließlich: „Ähm … ja. Es hat uns auch … sehr gefreut.“ Dean verzog sein Gesicht, sagte hierauf aber nichts, sondern bedachte Amy mit einem gequälten Lächeln. „Den schenk ich euch. Als Erinnerung.“ Mit all der Würde, die ein Kind aufbringen konnte, reichte sie ihnen den Ball entgegen. Sam hielt kurz inne und erwog einen Moment, das Geschenk auszuschlagen, aber nachdem er Alyssas warnenden Blick bemerkte, nahm er den Ball und meinte: „Danke.“ Amy war schlichtweg begeistert und lachte vergnügt auf. Sam schmunzelte, während ihm schon zum tausendsten Mal der Gedanke durch den Kopf schoss, dass Amy der seltsamste Dämon war, dem er je begegnet war. „Wir haben auch was für dich“, meldete sich plötzlich Dean. Sam warf ihm einen verwunderten Blick zu und beobachtete, wie sein Bruder in seiner Jackentasche herumwühlte und schließlich einen Schokoladenriegel hervorholte. „Als … kleiner Reiseproviant.“ Amy starrte die dargebotene Schokolade an, als wäre es das Unglaublichste der Welt. Und dann umarmte sie Dean stürmisch. Sie reichte ihm zwar gerade bis zur Hüfte, aber das störte sie nicht sonderlich. Sie drückte sich an ihn und flüsterte immer wieder ihren Dank. Als sie sich schließlich Sam zuwandte, ging dieser rasch in die Hocke, sodass sie ihm um den Hals fallen konnte. „Danke für alles“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Sam kam sich merkwürdig vor, blendete aber den Gedanken aus, dass er gerade eine Dämonin im Arm hielt. Vielmehr wollte er Amy als liebes Kind sehen, das niemanden etwas zuleide tat. Es gab sicherlich kaum ein Wesen auf diesem Planeten, das weniger dämonisch war als sie. „Erwartet jetzt aber nicht, dass ich euch auch umarme und Küsschen auf die Wange drücke“, meinte Alyssa kalt, nachdem ihre Schwester wieder an ihre Seite getreten war. „Keine bange, darauf können wir gut verzichten“, entgegnete Dean mit einem schiefen Lächeln. Alyssa grinste teuflisch. „Aber vielleicht will sich Cytho noch von euch verabschieden.“ Sie warf einen Blick auf das Ungetüm, das die Winchesters scharf im Auge behielt und offenbar immer noch nicht allzu gut auf sie zu sprechen war. Betrachtete man die große Wunde an seiner Flanke, die Dean ihm beigebracht hatte, war das auch nicht weiter verwunderlich. Baby hin und her, so schnell vergaß man so etwas nicht. Dean schluckte, während er einen Schritt zurückwich. „Hör zu, das war alles …“ Er hielt kurz inne und starrte in die funkelnden Augen des Tieres. „Sagen wir einfach, wir sind quitt, okay? Ich habe dich verletzt und du mich. Ich meine, mein Kopf schmerzt immer noch wie die Hölle und ich glaub, ich hab mir ein paar Rippen gebrochen.“ Cytho schienen diese Worte tatsächlich zufriedenzustellen. Er brummte einmal befriedigt auf, ehe er sich wieder den Schwestern zuwandte. „Dann macht es mal gut“, sagte Alyssa daraufhin. „Und ich hoffe, dass wir euch zwei Dorftrottel nie wieder sehen müssen.“ Dean hob spöttisch seine Hand zum Abschied. „Vielen Dank. Wir haben deine Gesellschaft auch sehr genossen.“ Alyssas Augen leuchteten für einen Moment übernatürlich auf und bereits in der nächsten Sekunde veränderte sich die Atmosphäre in dem Kellerraum spürbar. Die Temperatur fiel rapide, sodass sie ihren eigenen Atem zu sehen vermochten. Die Luft schien dünner zu werden, das Atmen gestaltete sich plötzlich sehr viel schwerer. Michelle, die immer noch etwas unter Schock stand, rang geradezu panisch nach Sauerstoff, woraufhin Spencer schnell an ihre Seite eilte und ihre Hand ergriff, um sie zu beruhigen. „Ihr sucht doch immer noch euren Daddy, oder?“, ergriff Amy plötzlich das Wort. Sie, ihre Schwester und Cytho wirkten bereits seltsam verzerrt, als wären sie nicht mehr ganz anwesend. „Dann geht Richtung Norden.“ Und dann verschwanden sie. Lösten sich auf, als hätten sie nie existiert. Auch die Atmosphäre in dem Raum normalisierte sich schlagartig wieder. Einzig die Zeichnungen auf dem Boden erinnerten daran, dass die Dämonenkinder überhaupt an diesem Ort gewesen waren. Eine Weile sagte niemand etwas. Stumm starrten sie auf die Stelle, wo zuvor noch die Mädchen gestanden hatten, und versuchten jeder für sich, das Erlebte irgendwie zu begreifen. Sam zumindest war weit davon entfernt, das Ganze richtig fassen zu können, aber er wollte sich andererseits auch nicht allzu sehr den Kopf darüber zerbrechen. Es war nun vorbei und nur allein das zählte. Nach ein paar Minuten fand er auch schließlich seine Stimme wieder. „Alter?“ „Ja?“ „Du hast einem Dämon gerade Schokolade geschenkt.“ Dean war das augenscheinlich sehr unangenehm. „Na ja, es war gerade diese Stimmung … und ihre Augen … Hast du ihre großen Kulleraugen gesehen?“ Sam grinste, während er den Ball in seinen Händen betrachtete. Ja, Amy hatte eine ganz spezielle Wirkung auf ihr Umfeld gehabt. „Ist es nun vorbei?“, erklang plötzlich Spencers Stimme. Dieser hatte Michelle wieder auf die Beine geholfen und schaute die Jäger hoffnungsvoll an. „Für euch schon“, antwortete Dean. „Für uns aber nicht. Wir haben noch wichtige Dinge zu tun.“ Sam runzelte die Stirn. „Wovon redest du?“ „Mein Baby!“, klärte Dean ihn auf, offenbar beleidigt, dass Sam diese bedeutende Kleinigkeit einfach vergessen hatte. „Mein armer Wagen steht immer noch im Nirgendwo rum, falls du dich noch dran erinnerst. Wir müssen sie dringend holen, bevor sich irgendwelche Halbstarken an ihr vergreifen.“ Allein der Gedanke beflügelte ihn. Sofort setzte er sich in Bewegung und eilte die ramponierte Kellertreppe nach oben. Sam konnte sich hierauf eines Lächelns nicht erwehren. Trotz alledem war Dean immer noch der Alte. _______________________________________________ So, das war's! Es folgt noch ein kleiner Epilog und dann ist endgültig Schluss ;p An dieser Stelle nochmal vielen Dank an meine Kommentarschreiber ^^ Es freut mich immer wieder, wenn ich euch ein bisschen unterhalten kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)