Licht und Schatten von Nochnoi ================================================================================ Kapitel 10: 10. Kapitel ----------------------- Michelle wusste nicht, was mit ihr geschah. Eben noch hatte sie in ihrer Küche gesessen und von einem Moment auf den anderen befand sie sich plötzlich in einer Vorstadtsiedlung. Ihr kam die Gegend vage bekannt vor, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Im Grunde war es auch völlig nebensächlich. Das Mädchen hatte sie einfach bloß am Arm gepackt und teuflisch gelächelt. Als nächstes war es Michelle so gewesen, als würde ihre ganze Umgebung verschwimmen. So musste sich Captain Kirk wohl beim Beamen fühlen. „Keine Angst, es wird nicht wehtun“, sagte das Mädchen in einem Tonfall, der ihren Worten Lügen strafte. Michelle schluchzte nur, während sie auf die Knie sank. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie überhaupt keine Kraft mehr. Als wäre ihr Körper völlig ausgelaugt. Nur mit Mühe schaffte sie es, kurz ihren Blick wandern zu lassen. Die Straße war dunkel und ausgestorben. Keine der Straßenlaternen funktionierte mehr, was sicherlich das Werk des Mädchens gewesen war. Noch deutlich erinnerte sich Michelle, dass die Kleine nicht sonderlich positiv auf Licht jeglicher Art reagierte. „Was … was hast du mit mir vor?“ Michelles Stimme zitterte. Eigentlich war es schon fast beschämend, sich von so einer winzigen Göre dermaßen einschüchtern zu lassen, aber man musste bloß in ihre kalten Augen schauen, um zu wissen, dass es sich bei ihr nicht um einen Menschen handelte. „Wie schon gesagt, ich brauche dein Blut“, erklärte das Mädchen lapidar. „Und zwar hierfür.“ Sie hob ihren Arm, ballte ihre Hand zur Faust und vollführte einige ruckartigen Bewegungen, als würde sie gegen etwas klopfen. Jedoch war weit und breit nichts zu erkennen. Vielmehr wirkte sie wie eine Verrückte, die merkwürdige Verrenkungen vollführte. Dann aber hörte Michelle es. Es klang dumpf. Leise. Offenbar klopfte das Mädchen tatsächlich gegen etwas. Etwas, das man mit bloßem Auge nicht sehen konnte. Eine Art unsichtbare Barriere. „Das dumme Ding nervt mich schon seit unzähligen Jahren“, sagte die Kleine schnaubend. „Und jetzt ist es endlich an der Zeit, es einzureißen.“ Michelle spürte tief in ihrem Inneren, dass diese Mauer ihre Rettung würde sein können. Das Mädchen – das übernatürliche Wesen – vermochte sie nicht zu durchqueren, aber für einen gewöhnlichen Menschen sah das bestimmt ganz anders aus. Dahinter würde Michelle in Sicherheit sein. Sie musste sie nur rechtzeitig erreichen … Aber bereits eine Sekunde später merkte sie, dass es unmöglich war. Ihr Körper war immer noch vollständig gelähmt, sie konnte sich keinen Zentimeter bewegen. Sie war an Ort und Stelle gefesselt und würde einen grausamen Tod sterben. Michelle liefen Tränen über die Wangen, als die Erkenntnis sie mit schonungsloser Brutalität traf. Sie würde hier und jetzt sterben! Allein und in den Fängen dieses Monsters, das wie ein Kind aussah und kein Mitleid kannte. Als das Mädchen die flache Hand ausstreckte und wie aus dem Nichts ein Dolch darauf auftauchte, zuckte Michelle zusammen. Ungehindert begann sie zu schluchzen. „Dein Geflenne wird dir auch nichts nützen“, meinte das Dämonen-Kind kaltherzig. „Es stachelt mich eher noch dazu, gemein zu werden.“ Michelle zwang sich daraufhin, ruhig zu bleiben. Sie würde zwar so oder so sterben, aber immer noch war es ein Unterschied, ob man einen schnellen oder einen langsamen und qualvollen Tod starb. Sie legte es nicht darauf an, dass dieses Ungeheuer seinen sadistischen Neigungen freien Lauf ließ. Somit schloss Michelle ihre Augen und betete zu Gott. Im Grunde hatte sie nie an ihn geglaubt, nun aber kam ihr der Gedanke an ihn tröstlich vor. Wenn es etwas böses Übernatürliches wie dieses Mädchen gab, dann musste auch irgendwo das Gute existieren. Es musste einfach! Und so bereitete sich Michelle darauf vor, zu sterben. Doch noch bevor die Klinge auf ihrer Haut spürte, hörte sie eine Stimme, die laut brüllte: „Nein! Tu das nicht!“ Michelle schlug überrascht ihre Augen auf. Aus dem Haus, das von der unsichtbaren Mauer abgegrenzt war, trat ein älterer Mann heraus. Aufgrund des fehlenden Lichts vermochte ihn Michelle nicht zu erkennen, aber allein seine Bewegungen kamen ihr vage bekannt vor. Ebenso seine Stimme hatte tief verborgene Erinnerungen geweckt. In ihrem Kopf kribbelte es. Und mit einem Mal wusste Michelle, wer dieser Mann war und wo sie sich befand. In ihrer alten Straße, wo sie bis zu ihrem zwölften Lebensjahr gelebt hatte, ehe ihre Eltern das Haus aus finanziellen Gründen hatten verkaufen müssen. Michelle erinnerte sich noch deutlich, wie viele Tränen sie bei ihrem Abschied vergossen hatte. Und dieser Mann … das war Mr. Spencer! Mr. Spencer mit dem netten Sohn, der so tragisch ums Leben gekommen war. Mr. Spencer, der auch kurz danach seine Frau verloren hatte und endgültig zum Einsiedler geworden war. Mr. Spencer, vor dem sich Michelle in ihren jungen Jahren immer ein wenig gefürchtet hatte. Aber nun war er der schönste Anblick, den sie sich vorzustellen vermochte. „Du willst mich aufhalten, alter Mann?“ Das Mädchen lachte, während sie das Messer auf Michelles Hals richtete. „Ein Stoß und es ist vorbei. Und zwar für euch beide.“ Spencer zögerte einen Moment. Schien nicht zu wissen, was er als nächstes tun sollte. Dann aber räusperte er sich vernehmlich und sagte: „Lass sie gehen. Sie hat nichts mit der Sache zu tun.“ Das Mädchen kicherte bösartig. „Und warum sollte ich das tun, dummer, alter Mann?“ Ihre leuchtenden Augen musterten ihn herausfordernd. „Ich brauche ihr Blut, um die Barriere zu durchbrechen. Denkst du wirklich, ich lasse von meinem Plan ab, weil es unmoralisch wäre? Falsch? Ich hoffe doch, du verfügst über genügend Intelligenz, um zu wissen, dass solcherlei Kleinkram mich nicht interessiert.“ Michelle spürte Spencers Blick auf sich. Er schien zu überlegen, was er tun sollte. Schien abzuwägen, ob es sich lohnte, für sie sein Leben zu riskieren. Und schließlich traf er eine Entscheidung. „Ich werde die Barriere aufheben“, erklärte Spencer resigniert. Er senkte seinen Blick, als wollte er damit demonstrieren, dass er aufgab. Michelle aber erkannte an seinem Tonfall, dass er trotz alledem irgendwie erleichtert war. Als wäre er froh, endlich den Mut gefunden zu haben, sich diesem dämonischen Kind zu stellen. Das Mädchen jedoch war ehrlich überrascht. „Wirklich?“, fragte sie erstaunt und klang dabei zum ersten Mal wie ein kleines und harmloses Kind. „Du hebst sie einfach so auf?“ Spencer nickte. „Niemand anderes soll mehr für meine Fehler leiden.“ „Wow.“ Die Kleine schien es immer noch nicht fassen zu können. „Ich dachte die ganze Zeit, du wärst ein rückgratloser Feigling, der sich bloß für sein eigenes erbärmliches Leben interessiert. Und nun opferst du dich auf?“ Sie klang wütend. Sogar ungemein wütend. Die Luft schien plötzlich um einige Grade kälter zu werden, sodass Michelle unweigerlich zitterte. Gepaart mit der Angst, die sich förmlich an ihr festgeklammert hatte, bebte ihr Körper wie Espenlaub und machte den Anschein, als wollte er gar nicht mehr aufhören. „Du wagst es wirklich …?“, zischte derweil das Mädchen aufgebracht. „Jahrelang habe ich alles versucht, um an dich heranzukommen, und nun willst du mir tatsächlich erzählen, dass ich bloß ein dummes Gör hätte entführen und mit einem Messer vor ihr herumwedeln müssen, um dich aus deinem Versteck zu locken? Das willst du mir allen Ernstes damit sagen?“ Spencer spürte auch deutlich die Luftveränderung, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen wirkte er geradezu beeindruckend gelassen, als er sagte: „Ja, das will ich.“ „Wir hätten schon vor Jahren frei sein können!“, fuhr sie ihn an. „Vor Jahren!“ Spencer zuckte mit den Schultern. „Es ist dein Pech, wenn du nie auf den Gedanken gekommen bist, mich direkt zu konfrontieren.“ Michelle rechnete halb damit, dass das Mädchen nun völlig ausflippte, aber stattdessen mahnte sie sich offenbar zur Ruhe. Ihre zusammengeballte Faust löste sich, während sie bemüht um Fassung rang. „Fein“, sagte sie schließlich in einem seltsamen Unterton. „Du kannst dich gerne edelmütig und heldenhaft geben, wenn’s dir Spaß macht. Aber lass dir eins gesagt sein: Du bist ein jämmerlicher Feigling! Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich mutig zeigt oder bloß aufgibt.“ Michelle konnte nicht erkennen, wie Spencer auf diese Anschuldigung reagierte. Sein Gesicht war in Dunkelheit gehüllt, sodass man höchstens erahnen konnte, was er fühlte. Zumindest aber widersprach er nicht. Ohne ein weiteres Wort ging er in die Hocke, grub in der Erde neben einem kleinen Busch und holte schließlich aus dem Loch etwas hervor. Michelle vermochte es nicht genau zu sehen, aber es hatte wenigstens teilweise Ähnlichkeit mit einem kleinen Säckchen. Spencer musterte das Objekt einen Augenblick, ehe er es weit wegwarf. Irgendwo in die Finsternis. Und das Mädchen schien zufrieden. „Wunderbar“, sagte sie. „Dann können wir ja endlich beginnen.“ Michelle kaute währenddessen auf ihrer Unterlippe und hoffte inständig, dass dieses Wesen nicht mehr ihres Blutes benötigte und sie somit gehen ließ. Immerhin hatte sie nun das, was sie wollte. Aber plötzlich bemerkte Michelle das fahle Licht von der Seite. Zwei Gestalten näherten sich der Szene. Die eine war ebenfalls ein Mädchen, das demjenigen, das Michelle entführt hatte, erschreckend ähnelte. Sie trug einen leuchtenden Gegenstand in der Hand und lächelte munter, sodass sie beinahe freundlich wirkte. Und die zweite Gestalt … Michelle blieb beinahe das Herz stehen, als sie diese Kreatur ausmachte. Dieses riesige Ungetüm, das vage an einen Grizzlybären erinnerte, aber noch tausendmal bedrohlicher aussah. Ein Wesen, das direkt der Hölle entsprungen war. Und bei diesem Anblick wusste Michelle plötzlich mit absoluter Klarheit, dass sie verloren war. * * * * * „Ich werde sie auseinandernehmen! Ich werde sie vierteilen, in kleine Stücke hacken, kross braten und anschließend Liliputanern zum Abendessen servieren!“ Sam, der die ganze Zeit stillschweigend Deans Schimpftirade zugehört hatte, runzelte nun verwundert die Stirn. „Warum ausgerechnet Liliputaner?“ „Sie sind klein“, erklärte Dean wie selbstverständlich. „Und sie haben kleine, scharfe Zähne. Es wird wie tausend schmerzhafte Nadelstiche sein.“ Sam verzog gequält das Gesicht. „Du hast eine merkwürdige Auffassung von Liliputanern, Dean.“ „Egal! Ich will nur, dass das Alyssa-Miststück und ihr Hund von Baskerville schreckliche Qualen erleiden. Nicht mehr und nicht weniger.“ Dean verkrampfte den Griff um sein Gewehr, während er an diese beiden Wesen dachte, die ihm die letzten Tage zur Hölle gemacht hatten. Er hatte sich als Besitzer einer imaginären Katze mit schwulem Namen ausgeben müssen, er war gegen Wände und Bäume geschleudert worden, er war zum Kindesentführer mutiert, er hatte beinahe die Wunde eines riesigen Ungetüms versorgen müssen und obendrein war er dazu genötigt worden, seinen geliebten Impala irgendwo in der Walachei zurückzulassen. Dean Winchester war ehrlich angepisst! Und er konnte es kaum erwarten, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für den Schlamassel verantwortlich waren. Deswegen stahl sich auch ein Lächeln auf seine Lippen, als er Spencers Haus in der Ferne entdeckte. Bereits als sie die Straße erreicht und bemerkt hatten, dass alle Straßenlaternen ausgefallen waren, war mehr als klar gewesen, dass Alyssa sich hier aufhielt. Sie würde büßen! Für alles, was sie ihnen angetan hatte! „Ich glaube, die Barriere ist aufgehoben worden“, meinte Sam, als sie Spencers Vorgarten erreichten. Aufmerksam ließ er seinen Blick schweifen. „Und wie kommst du darauf, Haley Joel?“, erkundigte sich Dean mit einem schiefen Lächeln. Es war zwar zu dunkel, um Sams Augen genau zu sehen, aber Dean spürte förmlich den darauffolgenden stechenden Blick seines Bruders. „Nenn es von mir aus Intuition“, sagte Sam leicht angefressen. „Irgendwie hat meine Haut immer ein bisschen gekribbelt, sobald ich mich dem Haus genähert habe. Das ist jetzt nicht mehr so.“ Dean lag schon ein „Freak“-Kommentar auf den Lippen, aber er hielt sich zurück, als er entdeckte, dass die Haustür sperrangelweit offen stand. Einladend und gleichzeitig unheilverkündend. „Sie sind im Keller“, meinte Sam sofort und Dean nickte bestätigend. Dort hatte alles seinen Anfang genommen. Dort sollte es auch enden. Ungehindert traten sie ins Haus und machten sich auf den Weg in die Küche, wo sich die Tür zum Kellergeschoss befand. Es war seltsam still in dem Gebäude, als würden sämtliche Geräusche verschluckt werden. Selbst Dean lief ein jäher Schauer über den Rücken. Die von Cytho zerstörte Kellertür lehnte locker an einer Wand, sodass der Blick auf die Treppe frei war. Dumpfes Licht kam von unten. Offenbar war Amy auch anwesend. Keine Überraschung für Dean. Er umklammerte seine Waffe, während er vom Küchentresen auch noch ein großes Hackmesser nahm und es sich an den Gürtel steckte. Alyssa hatte sich bisher als äußerst standhaft erwiesen, aber möglicherweise war sie mit traditionellen Methoden wenigstens ein bisschen zu beeindrucken. Weihwasser hatten sie sich auf jeden Fall auch vorsorglich besorgt. War es beim Kampf mit dem Monsterhund aufgebraucht worden, hatten die Brüder auf ihrem Weg zurück zu Spencer einer Kapelle in einer Seitenstraße einen Besuch abgestattet und sich etwas heiliges Wasser geborgt. Es war zwar sicherlich nicht förderlich fürs Seelenheil, die Kirche zu bestehlen, aber Dean hoffte, dass Gott ihnen vergeben konnte. Immerhin ging es um Leben und Tod. Dean warf einen letzten Blick auf seinen Bruder. Dieser hatte bereits das Weihwasser gezückt und wirkte über alle Maßen angespannt. Er starrte auf die ebenfalls vom Ungetüm ramponierte Treppe und schien zu zögern. Er dachte wahrscheinlich an Amy. Die kleine Dämonin mit dem bezaubernden Lächeln, die sich auch in diesem Keller befand und sich ihnen in den Weg stellen konnte. Und wenn sie das tat, würden die Jäger handeln müssen. Dean gefiel dieser Gedanken zwar ebenso wenig, aber es blieb ihnen keine andere Wahl. „Bereit?“, wisperte er. Sam wirkte noch einen Augenblick unsicher, dann aber nickte er. „Bereit.“ Und dann stürmten sie beide die Treppe hinunter. Dean ließ sich überhaupt keine Zeit, nachzudenken. Seine Füße trugen ihn wie von selbst, während er sein Gewehr auf die Gestalten in der Mitte des Raumes richtete, die sich nun zu ihnen umdrehten. Spencer, der auf dem Boden kniete, musterte die Brüder überrascht. Dean entdeckte in einer Ecke auch Michelle, welche sich dort zusammengekauert hatte und nun erstaunt aufblickte. Aber die Zwillinge und Cytho schienen keinesfalls verblüfft. „Ihr seid im Haus herum getrampelt wie eine Horde Elefanten“, meinte Alyssa abfällig. Sie stand so weit von ihrer Schwester mit dem leuchtenden Ball entfernt, wie es ihr möglich war. „Lautloses Anschleichen müsst ihr noch ein bisschen üben, Jungs.“ Dean schnaubte, während er sich im Raum umschaute und die Lage zu analysieren versuchte. Dass sich Michelle hier befand, war für ihn im ersten Moment überraschend gewesen, ehe er erkannte, dass sich Alyssa sicherlich sie als Blutopfer ausgesucht hatte, um die unsichtbare Mauer zum Einsturz zu bringen. Michelle wirkte aber relativ unverletzt, was darauf schließen ließ, dass die Dämonen es doch irgendwie geschafft hatten, ohne Blutvergießen in das Haus zu gelangen. Spencer hockte derweil auf dem Boden, mitten in einer Art Pentagramm aus Kreide, das mit ungewöhnlichen Symbolen ausgestattet war, die Dean noch nie zuvor gesehen hatte. In seiner Hand hielt er aufgeschlagen das Buch mit den Beschwörungsformeln. Sie standen offenbar kurz davor, den Fluch von Licht und Schatten zu brechen. „Es ist hier und jetzt vorbei!“, meinte Dean entschieden. Er richtete die Mündung seiner Waffe auf Alyssa. Die Dämonin lachte aber bloß gehässig. „Ich habe euch doch schon gesagt, dass eure kleinen Spielzeuge uns nichts anhaben. Seid ihr wirklich dermaßen schwer von Begriff? Salz, Weihwasser, Silber – das alles hat keinen Zweck. Ihr könnt mich auch gerne mit Knoblauch bewerfen, wenn ihr Freude dran habt. Aber es wird nichts nützen!“ Dean schluckte. Das klang alles ganz und gar nicht gut. „Warum streiten wir uns überhaupt?“, wollte Amy mit einem entwaffnenden Lächeln wissen. Unschuldig wie ein Engel musterte sie die Umstehenden. „Wir können doch alle Freunde sein.“ Alyssa aber schüttelte entschieden den Kopf. „Das sind Jäger, Süße. Die kennen nur Schwarz und Weiß. Und so etwas wie Moral besitzen sie schon lange nicht mehr.“ Dean wollte heftig widersprechen, aber ihm blieb der Protest im Halse stecken, als seine Waffe plötzlich aus seinen Händen gerissen wurde und vor ihm in der Luft zum Stillstand kam. Ebenso Sams Gewehr sowie die Flasche mit Weihwasser schwebten unvermittelt wie von Geisterhand. Und dann lösten sie sich in ihre Bestandteile auf. Es war fast, als würden die Waffen vor ihren Augen in rasender Geschwindigkeit altern. Das Holz wurde blass und spröde, Rost setzte ein. Und schließlich zerfielen die Gewehre zu Staub. Ebenso der Flasche mit Weihwasser erging es nicht anders. Obwohl Dean irgendwo mal gehört hatte, dass Plastik biologisch nicht abbaubar war, schien sich Alyssa an diesem Naturgesetz nicht sonderlich zu stören. Munter ließ sie ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Und von einem Augenblick auf den anderen waren die Brüder plötzlich unbewaffnet. Dean blinzelte einfach nur überrascht. Noch nie in seiner Jägerlaufbahn war es ihm geschehen, dass ihn ein übernatürliches Wesen dermaßen schnell überrumpelt hatte. „Ihr seid uns nicht gewachsen“, meinte Alyssa überheblich. „Ihr seid Babys im Vergleich zu uns.“ Und ehe Dean sich versah, ergriff sie erneut Besitz von ihnen. Sie konnten sich nicht dagegen wehren, als sie ohne jede Vorwarnung über den Boden schlitterten und mit dem Rücken gegen die Wand gepresst wurden. Angepinnt, als würde es sich bei ihnen um Bilderrahmen handeln. Dean versuchte, sich zu bewegen, aber es war vollkommen zwecklos. Kein Muskel rührte sich mehr. Er war komplett gelähmt. Er konnte nicht mal die Augenbrauen anheben und damit sein Erstaunen zum Ausdruck bringen. „Wirklich tragisch, nicht wahr?“ Alyssa legte ihren Kopf schief und zog einen theatralischen Schmollmund. „Zwei große Jäger und ihre Selbstüberschätzung. Kann es etwas Traurigeres geben?“ Spencer musterte sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Resignation, während Michelle ihren Kopf schüttelte und leise flüsterte: „Oh mein Gott, oh mein Gott!“ „Euer Gott wird euch nicht helfen“, zischelte Alyssa. „Er wird es keine Blitze regnen lassen oder gar kleine Engelchen schicken, um euch zu retten.“ Dean hätte der Göre liebend gern das Maul gestopft oder wenigstens mit einem bissigen Kommentar gekontert, aber auch das Sprechen war ihn völlig unmöglich. So blieb ihm nichts anderes übrig, als das Mädchen herausfordernd anzufunkeln und zu hoffen, dass sie diese Geste richtig auffasste. „Du solltest nicht immer so fies sein, Aly“, entgegnete Amy. „Und du solltest nicht immer so verdammt freundlich sein, Am“, meinte Alyssa scharf. „Das sind nur arrogante Menschen, die sich für was Besseres halten und uns das Leben zur Hölle machen. Soll ich da etwa noch nett bleiben?“ Amy machte den Eindruck, als wollte sie zustimmend nicken, aber ihre Schwester ließ ihr gar keine Chance dazu. Stattdessen wandte sie sich an Spencer und befahl: „Los, fang an!“ Der Angesprochene richtete seine Aufmerksamkeit auf den Text vor sich. „Wirst du … wirst du mich töten?“, wollte er mit belegter Stimme wissen. „Dein Blut wird den Fluch auflösen“, meinte Alyssa schulterzuckend. Sie war offenbar der Ansicht, dass dies Antwort genug wäre. Und das war es im Grunde auch. Spencer hatte sein Todesurteil unterschrieben. Und sosehr sich Dean auch dagegen wehrte, er konnte nichts tun, um es zu verhindern. Somit sah er bloß tatenlos zu, wie Spencer begann, die lateinische Formel zu rezitieren, die den Fluch aufheben sollte. Und Alyssa stand mit einem Messer neben ihm und wartete nur darauf, das Ritual mit seinem Blut zu vollenden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)