Das Leben ist schwarz...schwarzblau von WordlessPoet (Zwei Welten krachen aufeinander) ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 9 Teil 1 ---------------------------- Noch ein paar kleine Worte zu Beginn: Es tut mir wirklich Leid, dass es so ewig lange nicht weiterging, aber ich habs in der Zeit immer wieder versucht un es gig einfach nicht... ...aber das ist jetzt hoffentlich Vergangenheit, ich hab es geschafft endlich wieder ein Kapitel zu beenden und ich hoffe dass ihr trotz der sehr...sehr...sehr...>-< langen Wartezeit noch motiviert seid weiterzulesen. Für alle die dadurch die Lust verloren haben tut es mir nochmal Leid. Das ist natürlich sehr schade, aber das muss ich dann wohl auf meine Kappe schreiben. Ich wünsch euch jedenfalls viel Spaß damit und hoffe, das es euch gefällt ;) WordlessPoet Kapitel 9 Teil 1 Während ich mich anziehe, versuche ich tunlichst den Blick in den Spiegel zu vermeiden. Ich habe keine Lust schon in jungen Jahren blind zu werden und diese Gefahr bestünde unweigerlich. Wehmütig blicke ich zu dem etwas kläglich wirkenden, nassen Kleiderhaufen vor der Badewanne. Wenn mich der Gedanke an das klebrige, kalte Gefühl auf meiner warmen Haut nicht jetzt schon schlottern lassen würde, würde ich sie einfach wieder anziehen. Mit ungutem Gefühl trete ich den Weg zur Badezimmertür an, als mir plötzlich ein grellrotes Wesen mitten ins Gesicht springt und augenblickliche Lähmungserscheinungen in meinem Sehzentrum auslöst. Irgendwie habe ich beim Reinkommen übersehen, dass auch die Rückseite der Tür mit einem gigantischen Spiegel zugepflastert ist. Willkommen im Heim der Narzissten. Ich taste mich mit geschlossenen Augen zum Türgriff vor und verlasse das verfluchte Spiegelkabinett in der unverrückbaren Annahme der Spiegel sei kaputt, denn dieses Wesen, das mir da entgegengeglotzt hat, hatte so wenig Ähnlichkeit mit mir, wie eine Salatgurke, ein rote Salatgurke wohlgemerkt. Allerdings verhält es sich wohl eher umgekehrt. Der Spiegel ist absolut in Ordnung, ich bin derjenige, bei dem etwas nicht stimmt. Ich bin nicht in Ordnung. Dieser Psychokoller, oder besser dieser noch weiter fortschreitende Psychokoller; mich vorher als völlig normal zu bezeichnen wäre eine leichte Untertreibung; äußert sich nicht nur in einem absurd veränderten Erscheinungsbild, sondern auch in offensichtlichen Fehlentscheidungen. Einer davon habe ich es zu verdanken, dass ich gerade aus einem fremden Bad komme und durch eine unbekannten Flur laufe, die, und das ist das Schlimmste, sich in Denis' Haus befinden. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass ich mich nicht nur fühle, wie ein Alien, sondern auch noch so aussehe wie eines. Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort die Flucht ergreifen, aber in diesem Aufzug kann ich mich nicht auf die Straße wagen, ganz zu Schweigen von der Tatsache, dass sich alles in mir dagegen Sträubt das zu tun. Einer der Gründe dafür wirft gerade tonnenweise Wasser gegen das Fenster, ein anderer tobt wahrscheinlich stinksauer zu Hause und der dritte ist gerade dabei warme Getränke zu machen. Meine Schritte haben mich, die Treppe hinunter, vor eine Tür geführt, hinter der ich Denis mit seinem Bruder sprechen höre. Mir bewusst, dass ich letztendlich keine Wahl habe, will ich schon nach der Klinke greifen, als mir klar wird über was, besser gesagt wen, die Beiden da drin sprechen. Meine nicht vorhandene gute Erziehung vergessend, trete ich noch einen Schritt näher und bringe mein Ohr in Lauschposition. Zunächst sind nur Wortfetzen zu verstehen, ich strenge mich noch ein bisschen mehr an, immer darauf bedacht mich dabei nicht allzu sehr zu verrenken. Endlich kann ich die beiden besser verstehen. „... aber gut, ist ja dein Ding. Allerdings bin ich von deiner Wahl ein wenig überrascht. I- Au! Kein Grund mich gleich zu schlagen! Ich hab ja nicht gesagt, dass er eine schlechte Wahl ist. Wenn ich es mir recht überlege, sieht er eigentlich ganz gut aus für nen Kerl und als er so triefend vor unsrer Haustür stand war er sogar ganz niedlich, aber...“ „Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“ Ich kann spüren, dass meine Gesicht eine Portion eiskaltes Wasser jetzt ganz gut vertragen könnte, auch wenn ich vor einer Minute noch geschworen hätte, nie wieder etwas von diesem ekligen Zeug sehen zu wollen. Ich beglückwünsche mich zu meinem außerordentlichen Geschick, das eine Irrenhaus zu verlassen, nur um mich in der nächsten Klapsmühle zu verkriechen; ich sollte mir glatt einen Preis verleihen. „Ach laber keinen Scheiß, ich werd ihn dir schon nicht wegschnappen. Ich versuche doch nur dich nachzuvollziehen. Immerhin muss der Typ irgendwas haben, was dich soweit bringt, der weiblichen Welt den Rücken zu kehren; ein ziemlich krasser Schritt, wenn du mich fragst... Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ist der Typ nicht ein bisschen zu düster für dich Mr. Sonnenschein? Ich meine, als ich vorhin die Tür aufgemacht habe, bin ich zuerst wahnsinnig erschrocken, weil ich dachte ne Leiche würde auf mich zuwanken. Du musst doch bemerkt haben, dass er nicht gerade die Fröhlichkeit in Person ist, oder? Bei all dem Schwarz ist das doch kaum zu übersehen.“ „Er ist nicht gerade einfach, das muss ich ja zugeben. Aber ich kann dir versichern, dass ich weiß was ich tue und im Gegensatz zu einem, sich gerade ziemlich oberflächlich verhaltenden, Idioten neben mir, bin ich sehr wohl in der Lage etwas tiefer zu blicken. Es lohnt sich!“ „Die Worte eines verliebten Trottels, aber Ok, auf deine Verantwortung... Da ist noch was, das mich brennend interessiert, so von Bruder zu Bruder.“ „Ich glaube ich werde in spätestens einer Sekunde bereuen, dass ich das jetzt sage: Schieß los!“ „Wie weit seid ihr beiden denn schon?“ Wie von der Tarantel gestochen fahre ich zurück. Das will ich unter gar keinen Umständen hören, nicht für alles Geld der Welt. Ich könnte mir die Ohren abhacken dafür, dass ich meine beschissene Neugier nicht im Griff habe. Ich kann das Blut durch meinen Schädel rauschen hören, während sich mein Finger um die Türklinke verkrampfen. Mein Innerstes ist schon wieder dabei sich abzukühlen, alle Wärme ist irgendwo zwischen den Worten verloren gegangen. Nur mit Mühe kann ich ein Zittern zurückhalten. Ich dürfte nicht hier sein. Ich bin es dennoch und ich stehe schon mindestens eine Viertelstunde dumm vor verschlossener Türe herum. Man kann mich viele Sachen schimpfen, die Meisten davon sind wahr, aber Feigling... scheiße, Feigling gehört auch dazu. Dann entspreche ich hier wenigstens gerade voll meinem Naturell. Schön, dass sich wenigstens eine Sache im Moment nicht verändert hat. Missmutig, den kläglichen Rest Würde zusammenkratzend, den mir dieses scheußliche Kleidungsstück und mein heutiger Auftritt à la begossener Pudel noch gelassen haben (ich dürfte inzwischen auf dem Niveau einer durchweichten Klorolle angekommen sein), betrete ich endlich die Küche. Ich muss zugeben, dass meine Darbietung größeren Eindruck macht, als ich erwartet hätte. Das liegt mit Sicherheit nicht an meiner imposanten Erscheinung, die sonst immer für genügend Abstand von lästigen Menschenmassen gut ist, mich hingegen immer dann im Stich lässt, wenn sie wirklich mal erwünscht wäre. Schlagartige Stille, ein Zusammenzucken und schuldbewusste Blicke. Für meinen Geschmack dauert dieser Zustand nicht lange genug, die Zwei fangen sofort an, mich mit atomarem Stahlen zu verseuchen. Gottseidank habe ich mir alle Hoffnung auf ein langes, gesundes Leben schon lange abgeschminkt. Ich habe bis jetzt nur nicht damit gerechnet, dass es mal nötig sein wird, mich hinter meterdicken Bleiwänden einsargen zu lassen. „Ich glaub's nicht!“ Denis springt auf, stürzt sich förmlich auf mich und beginnt mich mit kritischer Miene zu umkreisen. An seiner Ausgangsposition angekommen runzelt er die Stirn, macht noch eine letzte Runde und kann es dabei nicht lassen ungläubig an der roten Scheußlichkeit zu zupfen. Wenn er auch nur ein Wort verliert, bring ich ihn eigenhändig zur Strecke. Das wohl bekannte, schiefe Grinsen beendet die Inspektion. „Kennen wir uns?“ In meinen Fingern beginnt es gefährlich zu jucken aber nur mein Mund bewegt sich. „Nein, ich glaube nicht, aber darf ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Fred, meine Freunde nennen mich Giselher. Hier würde ich allerdings vorziehen bei meinem Künstlernamen Elija der Abartige angesprochen zu werden. Ich habe schon seit einigen Jahren gewisse Merkwürdigkeiten an mir festgestellt, die ich aber nicht weiter bedenklich fand. Heute Morgen bin ich allerdings in diesem Kleidungsstück aufgewacht und habe beschlossen, dass es nun doch an der Zeit ist mir Hilfe zu holen. R.A.U.P.I scheint mir da genau das richtige.“ „R.A.U.P.I?“ Denis' Bruder sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Ja, R.A.U.P.I, Richtig Anonyme Union Psychopathischer Irrer. Freut mich, dass ich an eurer Sitzung teilnehmen darf.“ Ein gigantisches Grinsen huscht über sein Gesicht und ich kann Denis hinter mir Prusten hören. Denis Bruder steht auf und macht sich daran, meinen Arm durch besonders heftiges Händeschütteln von meinem Körper zu befreien. „Freut mich Fred äh, ich meine Eure Abartigkeit. Ich will mich auch schnell vorstellen, da man das bisher versäumt hat“, einen kurzen, für mich völlig unverständlichen, brüderlichen Blickwechsel und ein dümmliches Grinsen später, fährt er fort, „Ich bin Horst-Sturmhard aber alle hier nennen mich Alan. Ich besuche seit drei Jahren unsere Treffen und sie haben mir sehr dabei geholfen nicht mehr mit federgeschmückten Socken an den Ohren herumzulaufen, du kannst dir gar nicht vorstellen was das einem für Blicke einbringt. Außerdem kann ich mich jetzt schon viel besser davon abhalten auf einem Bein und einem Arm zu gehen, schont das Kreuz, glaub mir. Klar, es gibt manchmal noch Rückfälle, aber insgesamt...“, scheinbar versonnen blickt er in die nicht vorhandene Ferne, „Jedenfalls dir viel Glück, du scheinst da ja ein ernstes Problem zu haben!“ Die Beiden sind auf jeden Fall Brüder, kein Zweifel. Schallendes Gelächter erfüllt die Küche. Meines ist, welch Überraschung, nicht dabei. Eher würde ich auf der Stelle meine Socken ausziehen, sie über meine Ohren stülpen und auf einem Arm und Bein, nackt Tango durch die Küche tanzen. Mal abgesehen von der technisch, anatomischen nicht Realisierbarkeit dieses Vorhabens, ziehe ich Klappehalten eindeutig vor. Die Fähigkeit meinen enormen Fluchtinstinkt unter Kontrolle zu halten, wird im Moment stark strapaziert. Meine Beinen wollen mich zur Tür zerren und mein Verstand quält mich mit recht bizarren Tango Bildern, um mich zum Rückzug zu motivieren. Das einzige, was tatsächlich passiert ist nichts, ein Zustand an den ich mich langsam gewöhnt haben sollte. Mein Körper, dieser Dreckskerl, scheint mich irgendwie verraten zu haben, denn Denis versucht nun mit merkwürdig anmutenden Gebärden seinen Bruder zum Schweigen zu bringen. Die Tatsache, dass er auf seine Faust beißen muss, um sich vom Lachen abzuhalten, verleiht ihm dabei wenig Überzeugungskraft. Ich zähle langsam bis Hundert und will gerade anfangen alle mir bekannten Volksmutanten aufzuzählen, als mit schlagartig zwei Dinge auffallen: Erstens, ich kenne überhaupt keine, und Zweitens, entweder sie sind beide erstickt oder sie haben es tatsächlich geschafft mit dem Lachen aufzuhören. Mir nicht sicher, was von Beidem mir lieber ist, riskiere ich es, meine Aufmerksamkeit in die Küche zurück zu lenken. Sie leben noch. „Jetzt steh hier nicht rum wie angewachsen, ich hab dir extra Tee gemacht. Ich dachte, von Kaba hast du erst mal genug.“ Er kann es einfach nicht lassen und ich kann nicht verhindern, dass sich eine ganz bestimmte Szene in den Vordergrund drängt, eine die ich in den letzten Tagen bestimmt hundertmal abgespielt habe. Vorwärts, rückwärts, in Zeitlupe und im Schnelldurchlauf. Unfreiwillig. Shit, ich bin so dämlich. Ich bin nicht aus eigenem Antrieb durch den strömenden Regen hierher gelaufen, ganz sicher nicht, irgendetwas hat mich gezwungen, irgendwer. Das Dumme ist nur, dass ich den Eindruck habe, dieser Jemand befindet sich in meinem Inneren, operativ nicht entfernbar. Ich bin zum Traum eines jeden Psychiaters mutiert, nachdem ich gerade, mit „Schizophren“ das zweite S-Wort innerhalb weniger Tage meiner beängstigend vollen Akte hinzugefügt habe. Geistesabwesend starre ich zur Tür, ganz in der Erwartung, gleich eine Horde goldbebrillter, bärtiger, einer intellektuellen Ü50-„Bad-Taste“-Party entfleuchten, Männer und Frauen hereinstürmen zu sehen, die mich auf Knien anflehen mich auf ihrer Couch niederzulassen. Vielleicht gebe ich dabei tatsächlich ein etwas debiles Bild ab, denn Denis mustert mich inzwischen leicht besorgt und sein Bruder sieht aus, als würde er ernsthaft an meinem Geisteszustand zweifeln. Ich glaube er weiß gar nicht, wie Recht er damit hat, mir geht es nämlich nicht anders. Plötzlich schnürt sich mein Hals zu, es ist jedoch nicht, wie ich zuerst befürchte, eine der bekannten Panikattacken, auf die ich seit Betreten dieses Hauses bis jetzt vergeblich gewartet habe, sondern Denis, der mich gnadenlos am Kragen packt und zum Tisch zieht, um mir mit angenervtem Grinsen eine dampfende Tasse in die Hand zu drücken. Ich stelle die Tasse auf die Tischplatte und reibe mir fluchend den Hals. „Lass den Scheiß, ich will verdammt noch mal nicht in diesem Shirt sterben!“ „Kein Problem, ich ziehs dir vorher einfach aus.“ Jetzt kann ich Ton in Ton mit meinem neuen Lieblingskleidungsstück zu Grunde gehen und ich bin wirklich nahe dran. Nahe dran, mich in das stumpfe Buttermesser zu stürzen, das einsam am anderen Ende des Tisches genauso verloren wirkt, wie ich mich gerade fühle. Da ist es wieder, dieses schräge Schmunzeln, das so typisch für Denis ist, zusammen mit einer nicht halb so guten Kopie davon auf dem Gesicht seines Bruders, der die ganze Szene scheinbar sehr erheiternd findet. Er zieht Denis beiseite und flüstert ihm, mit einem provokanten Blick in meine Richtung, nicht gerade leise zu: „Ich als dein großer Bruder fühle mich hier verpflichtet einzugreifen. Ich bin zwar auf diesem speziellen Gebiet kein Experte, aber ich kann dir sagen, dass es nie ein guter Annäherungsversuch ist, die- Tschuldigung, DEN Auserwählten soweit zu treiben, dass er bereit ist dir ein Buttermesser in den Bauch zu rammen. Stellt zwar faktisch gesehen auch eine Annäherung dar, ist aber, glaube ich, nicht ganz das, was du im Sinn hattest. Also hör auf deinen...“ Die Dämpfe des heißen Tees legen sich schwer auf meine Lider, jeder Schluck, der meinen Hals hinunter rinnt, saugt ein Bisschen mehr der letzten Energie aus meinen Gliedern. Ich bin auf ein Mal so unendlich müde. Alle unnötigen Wahrnehmungen werden heruntergefahren, alles ist auf Stumm geschaltet. Zu anstrengend noch zuzuhören, keine Kraft mehr übrig die Spitzen zu kontern, mich über sie zu ärgern, selbst zum schämen reicht es nicht. Diese Selbstverständlichkeit macht mich krank. Die Atmosphäre drückt mich zu Boden, lastet auf meinen Schultern, wie eine Tonne lauwarmer Haferschleim. In der Stille kann ich mein Herz schlagen hören, ganz langsam, regelmäßig und angestrengt. Todmüde. Jede Pumpbewegung presst es an die nahen Wände, einer viel zu engen, unnachgiebigen, harten kleinen Kiste. So verdammt fest verschlossen. Ein stechender Schmerz, reißt mich aus der Trance, ein dunkler Schleier löst sich im goldenen Tee auf. Völlig unvorbereitet getroffen, entweicht mir ein kurzes Zischen. Etwas ekelerregend warmes tropft von meinem Kinn auf den Tisch und hinterlässt hässliche rote Flecken auf der makellosen Fläche. Die Lautstärke ist wieder angeschaltet, aber es kommt kein Ton. Bis eben noch in den hintersten Winkeln meines Bewusstseins lauernd, fallen sie jetzt in ihrer vollen Pracht über mich her: die Schmerzen, die jetzt gnadenlos ihre Aufgabe erfüllen. Ein Stechen meiner wieder aufgeplatzten Lippe, ein stetiges Hämmern in meinem Kopf, eine seltsame Spannung über meiner langsam anschwellenden Wange und ein dumpfes Pochen all jener Stellen, die in den letzten Wochen öfter die Farbe gewechselt haben, als ein Chamäleon es in seinem ganzen Leben schafft. Jede der noch so abwegigen Vertuschungsaktionen, die in diesem Moment mein Hirn stürmen, wie ein Haufen Busreisender die einzige Rastplatztoilette auf dem Weg zur internationalen Inkontinenzversammlung, ist absolut wirkungslos gegen ihn, denn er hat mich sofort durchschaut. Und mal ehrlich, wenn einem wie Graf Dracula der Saft vom Mund tropft und dabei das perfekt gebügelte Tischset verschandelt, kann man selbst mit der besten Ausrede nicht mal mehr gehirnamputierte Flöhe täuschen. Somit ist das, was nun unweigerlich folgen wird, zwar außerordentlich unerfreulich, um nicht zu sagen verdammter Dreck, aber durchaus vorhersehbar und ganz und gar meiner himmelschreienden Dummheit zu verdanken. Glückwunsch an mich selbst, der es immer wieder schafft aus jeder Situation das denkbar Schlimmste herauszuholen und sich dann darin bei nächster Gelegenheit noch zu übertreffen. Hastig wische ich mir das Blut vom Kinn, in der Hoffnung, damit diesen Ausdruck aus seinen Augen zu vertreiben. Diesen ganz bestimmten Ausdruck, der bis weit unter die Oberfläche reicht, der mich aufschneidet, mich ausweidet und mein Innerstes herausreißt, um es für alle sichtbar aufzubahren. Wie kann er dieses Schlachtfest, dieses Massaker ertragen, ohne schreiend davonzulaufen? Wie kann er all die Abscheulichkeiten erkennen und mich trotzdem noch so ansehen, ohne dieses Gefühl in seinen Augen durch Abneigung trüben zu lassen oder es zu verlieren? Sieh mich nicht so an! Aber er tut es dennoch, tut, so wie immer, nicht das, was ich mir wünsche. Ich sehe, wie es in ihm arbeitet, sehe, wie sich seine Fäuste ballen, sehe seine zusammengezogenen Augenbrauen, sehe seine angespannten Schultern und kann dabei seinem sorgenvollen Blick nicht ausweichen, kann ihn aber auch nicht lange ertragen. Ganz damit beschäftigt, ihn möglichst nicht anzusehen, merke ich erst, dass er neben mir steht, als seine Hand auf meiner Schulter zum liegen kommt. Ganz sachte streicht sie darüber. Sie zittert. „Ich bin gleich wieder da, rühr dich nicht vom Fleck.“ Schon in der Tür, wendet er sich noch mal um: „Alan, weißt du, wo Mum den Verbandskasten hingeräumt hat?“ „Keine Ahnung, aber wahrscheinlich ist er wieder im Schrank im Keller.“ Ein stummes Nicken und er ist weg. So habe ich ihn bis jetzt noch nie erlebt. Dass auch immer ich in solchen Situationen enden muss. Wäre sie nicht so beschissen und hätte ich dazu nicht noch einen zweijährigen intensiv Workshop nötig, wäre ich beinahe versucht laut loszulachen. Wie ein Trottel sitze ich mit erhobenen, verschmierten Handflächen in einer ordentlich aufgeräumten Familienküche und bin gerade dabei, diese beim erbärmlichen Versuch zu verbluten, gründlich zu versauen. Diese tragische Sterbeszene wird von gebührendem Schweigen seitens Alan begleitet, der natürlich auch die angemessene Musterung drauf hat. Immer noch in absoluter Geräuschlosigkeit steht Denis' Bruder plötzlich auf, durchsucht ein paar Schränke, kommt mit einer Rolle Küchenpapier zurück und streckt mir etwa fünfzig Blatt entgegen. „Hier, die Schweinerei kann man ja nicht mit ansehen,“ fast lächelt er dabei, nur fast, „Vergiss nicht zu erwähnen, wenn dir schwindlig wird, bei deiner Gesichtsfarbe kann man schwer abschätzen, wann der Blutverlust gefährlich wird.“ Tonlos geht er wieder an seinen Platz zurück und schaut mir bei meinem Versuch zu, mich und meine nähere Umgebung wenigstens ein wenig zu säubern. Ich frage mich, mit welchen Superkräften die Eltern aufwarten können, wenn beide Söhne mit diesem Röntgenblick gesegnet sind, dem ich heute schon bedenklich lange ausgesetzt bin. Bye, bye krebsfreie Zellen. Ich spähe vorsichtig unter meinem Papierberg hervor und auf Alans Gesicht kann ich genau das lesen, was ich niemals in irgendeinem anderen Gesicht lesen wollte. Wie blöd muss ich sein zu glauben, hier mit diesem Gesichtshackfleisch auftauchen zu können, ohne dass jemand, vom einzigen ungebetenen Mitwisser mal abgesehen, Verdacht schöpft. Ich frage mich sowieso, wie blöd ich sein muss überhaupt hier aufzukreuzen. Verzweifelt versuche ich einen nicht dröhnenden Teil meines Schädels aufzufinden, der mich mit einer einigermaßen zufriedenstellenden Ausrede versorgen kann. Zu meinem größten Bedauern, kann ich beim besten Willen keinen finden, der nicht mit aller Gewalt auf mich eindrischt. Jeder unnötige Gedanke gräbt sich wie ein Beil in meine Hirnzellen, bald dürfte nur noch Matsch übrig sein. Ich will nicht mehr denken müssen. Ich weiß, dass er fragen will, dass er fragen wird. Ich sehe es in seinen Augen, in seinem Gesicht, in jeder seiner Bewegungen. Ich kann jetzt nicht denken, will nur noch weg. Weg von diesen wissenden Blicken. Weg, weg von allem. Ich will meine Ruhe. Ich kann nicht mehr. Er fragt nicht. Nicht heute. Er sieht mich nur an, diesen müden, dummen, kaputten Jungen. Er fragt nicht. Nicht heute. Und ich bin ihm unendlich dankbar dafür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)